Von Polizei erschossener Afghane: KritikerInnen werden eingeschüchtert

Lea Schmidt, REVOLUTION, Infomail 1100, 19. April 2020

Zwei Jahre ist es nun her, dass in Fulda der afghanische Geflüchtete Matiullah J. am 18. April 2018 von einem Polizisten erschossen wurde, nachdem er an einer Bäckerei randaliert und PassantInnen mit Steinen attackiert hatte. Das Ergebnis der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ging von Notwehr aus. Der Polizist wurde freigesprochen – basierend vor allem auf seiner eigenen Aussage. Er war der einzige Zeuge, weitere PolizistInnen allerdings in unmittelbarer Nähe. Was genau am Tag der Tat geschehen ist, wird sich wahrscheinlich nie weiter klären lassen.

Interessant ist aktuell vor allem, wie massiv StaatsanwältInnen und Polizei gegen all jene vorgehen, die eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse fordern, obwohl dies durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist. Zum Beispiel wurde von TeilnehmerInnen der Solidaritätsdemos für Matiullah J. im Jahr 2019 die Frage gestellt, wieso mehrere PolizistInnen es nicht geschafft haben, einen 19-Jährigen zu stoppen, ohne ihn zu töten. Sie stellten sich auch die Frage, wie von einem Menschen eine tödliche Gefahr ausgehen kann, wenn er so weit weg ist, dass ein geschulter Polizeischütze von zwölf Schüssen scheinbar achtmal daneben trifft. Auch vor dem Hintergrund aufgedeckter rechter Netzwerke innerhalb der hessischen Polizei wurde argumentiert, dass eine rassistisch bedingte Überreaktion nicht ausgeschlossen werden kann. Deshalb stellte die Demonstration die Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung auf.

Heute sehen sich einzelne TeilnehmerInnen der erwähnten Demonstrationen einer Welle von Repressalien ausgesetzt. Phillip W. wird vorgeworfen, den Vorfall als Mord bezeichnet zu haben, weshalb eine Strafanzeige gegen ihn gestellt wurde. Er selbst bestreitet diese Aussage. Ihm sei es lediglich darum gegangen, die Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung zu unterstützen. Doch diese Strafanzeige ist nur eine von sechs, die im Zusammenhang mit der Demonstration gestellt wurden. Die Tatvorwürfe reichen von übler Nachrede und Verleumdung über Beleidigung bis hin zu einem Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Auch die Anmelderin ist betroffen, weil sie den Sprechchor „Bullen morden und der Staat schiebt ab, alles ein Rassistenpack“ nicht unterbunden haben soll.

Der Autor Darius R. verfasste einen Artikel über die Tat, in dem er davon schreibt, dass Matiullah mit zwölf Schüssen getötet wurde. Zur Richtigstellung: Matiullah trafen vier Schüsse, zwei waren tödlich. Abgegeben wurden allerdings insgesamt zwölf Schüsse. Die Frage von rassistischer Polizeigewalt wird in dem Artikel aufgeworfen. Die Staatsanwaltschaft stellte hier einen Strafbefehl von 2250 Euro aus. Der Vorwurf: Darius R. wollte mit dem Artikel gezielt den Eindruck einer Hinrichtung vermitteln. Mit welchem Eifer die Fuldaer Polizei und Justiz ihre KritikerInnen verfolgt, wird auch daran deutlich, dass die Anzeige gegen Darius R. von dem Fuldaer Polizeipräsidenten persönlich gestellt wurde.

Timo S., der Administrator einer Fuldaer Seite gegen Rassismus ist, musste sogar eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen, nur weil über seine Seite der Artikel geteilt wurde. Die Polizei war angerückt mit dem Ziel, sämtliche technischen Geräte zu konfiszieren. Besonders brisant ist dabei, dass seine Privatwohnung auch Sitz seines Lokalmagazins „Printzip“ ist. Der Anspruch an Verhältnismäßigkeit ist deshalb in dem konkreten Fall höher zu bewerten als bei einer Hausdurchsuchung in einer normalen Privatwohnung. Der Strafrechtsexperte Andreas Hüttl behauptet unter anderem deshalb, dass es mehrere rechtliche Unzulänglichkeiten bei dem Durchsuchungsbefehl gebe.

Diese Welle an staatlicher Repression zeigt abermals im Fall Matiullah J., dass Polizei und Justiz eben nicht unabhängig und neutral sind. Sie verfolgen eine eigene Agenda, welche unter anderem daraus besteht, KritikerInnen einzuschüchtern und mundtot zu machen. Wir sind solidarisch mit allen Betroffenen und fordern die sofortige Einstellung aller laufenden Verfahren. Auch die Forderung nach einer Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den Todesschützen ist legitim und wird von uns unterstützt. 

Wenn Ihr Euch auch solidarisch zeigen wollt, dann könnt Ihr für ein unabhängiges Gutachten in dem Fall spenden. Außerdem könnt Ihr Phillip W., Darius R. und seiner Co-Autorin bei ihren Gerichtsterminen Beistand leisten. Die Termine waren für Anfang April angesetzt, sind jedoch aufgrund der Corona-Krise auf unbestimmte Zeit verschoben. Wir werden darüber informieren, sobald es einen neuen Termin gibt.

Spendenwebseite für ein unabhängige Gutachten:

https://www.betterplace.org/de/projects/78990-spende-fur-finanzierung-von-unabhangigen-gutachten-wasgeschahmitmatiullah