Coronavirus und bürgerliche Politik: Tun, was nötig ist – wirklich?

Martin Suchanek, Infomail 1095, 14. März 2020

„Wir müssen alles tun, um den Zusammenhalt in unserem Land zu zeigen“ – so die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in eine Pressekonferenz am 12. März. So auch der Tenor der Bundesregierung wie auch der meisten anderen Regierungen der Welt. In den letzten Tagen wandelte sich der öffentliche Umgang mit dem Coronavirus (Covid-19, Sars-CoV-2) dramatisch.

Wochenlang
galt es – nicht nur in Deutschland – als vornehmlich chinesisches Problem.
Unter Eindämmung und Verlangsamung der Ausbreitung wurde in erster Linie die
Rückholung von westlichen StaatsbürgerInnen aus China, Kontrollen an Flughäfen
und Grenzen verstanden. An die Bevölkerung wurde appelliert, nicht in Panik zu
geraten. Gesundheitsminister Jens Spahn wurde, stellvertretend für die gesamte
Regierung, nicht müde zu verkünden, dass Deutschlands Gesundheitssystem bestens
vorbereitet wäre. Wirklich gefährlich wäre das Virus letztlich nur für andere,
für ärmere Länder mit schwächeren Gesundheitssystemen. Selbst die Ausbreitung
der Epidemie in Italien wurde noch heruntergespielt. Die Behörden hätten bei
der Identifizierung der „Patienten null geschlampt“, während hierzulande alle
Infektionsketten quasi lückenlos aufgedeckt und mögliche Infizierte getestet
und isoliert worden wären.

Andere
Länder, andere Märchen

Während
die deutsche Regierung und das „traditionelle“, bürgerlich-liberale
Establishment die Bevölkerung in der Regel mit beschwichtigenden Nachrichten zu
beruhigen versuchten, setzte der Rechtspopulismus auf eine Mischung aus
„alternativen Fakten“ und fake news, auf Leugnen und Rassismus.

Noch
vor wenigen Tagen bezeichnete der brasilianische Präsident Bolsonaro die
Corona-Pandemie als „Phantasie“. Donald Trump spielte die Gefahr wochenlang
herunter, verbreitete Märchen über die angebliche Vorsorge in den USA – und hat
jetzt mit der EU eine neue Schuldige für das „ausländische“ Virus ausgemacht.
Diese hätte die Grenzen für ChinesInnen nicht ausreichend dicht gemacht.

Dabei
konnte China die Ausbreitung des Virus im eigenen Land verlangsamen und weist
sinkende Infektionsraten auf, auch wenn die Erfolgsmeldungen des Regimes nicht
einfach für bare Münze genommen werden sollten. Auch der chinesische
Staatsapparat hatte gerade zu Beginn der Ausbreitung der Krankheit vertuscht
und die eigene Bevölkerung getäuscht. Die bisherigen Erfolge der Eindämmung
zeigen schließlich nicht nur die Möglichkeiten eines zentralistischen und
despotischen Systems, rasch Ressourcen konzentrieren zu können – sie gingen
auch einher mit drakonischen Maßnahmen gegen die ArbeiterInnenklasse. Die
tiefen Klassengegensätze des chinesischen Imperialismus machten sich natürlich
auch in der „sozialen Vorsorge“ für die neue Bourgeoisie, die Staatsbürokratie
einerseits, für ArbeiterInnen und BäuerInnen anderseits manifest.

Pandemie

Während
Anfang 2020 noch offen war, ob sich das Coronavirus über China hinaus
ausbreiten würde, so steht nun fest, dass wir es mit einer Pandemie, also einer
mehrere Kontinente übergreifenden Krankheit zu tun haben. Als gesichert kann
auch gelten, dass wir in fast allen Ländern am Beginn ihrer Ausbreitung stehen.
In den nächsten ein bis zwei Wochen werden die meisten europäischen Länder und
die USA wahrscheinlich ähnliche Ausbreitungsraten und, auf die Bevölkerung
bezogen, ähnliche Fallzahlen wie Italien aufweisen. Viele der halb-kolonialen,
also von den imperialistischen Mächten in politischer und ökonomischer
Abhängigkeit gehaltenen Länder könnten aufgrund ihrer geringeren
wirtschaftlichen Ressourcen besonders unter deren Ausbreitung leiden.

Auch
unter ExpertInnen ist das wahrscheinliche Ausmaß der Bedrohung durch die
Pandemie natürlich ungewiss. Als sicher kann jedoch gelten, dass ihre
Auswirkungen größer sein werden als die einer „normalen“ Influenza. Zugleich
gehen nach heutigem Stand die meisten Prognosen davon aus, dass die Todesrate
und Zahlen unter jener/n der „spanischen Grippe“ bleiben. Zwischen 1918–1920
starben 25 bis 50 Millionen Menschen an diesem ungewöhnlich virulenten
Influenzavirus vom Subtyp (A/H1N1).

Bis zum 14. März 2020 zählt die Weltgesundheitsorganisation 145.377 Infiziert, davon 80.973 in China. 5429 Menschen sind ihm bisher zum Opfer gefallen, davon 3193 in China, 71.717 gelten als wieder genesen (65.657 in China; https://www.welt.de/vermischtes/article206504969/Coronavirus-Alle-Karten-Zahlen-Daten-zur-Ausbreitung.html.). Besorgniserregend sind jedoch vor allem die Ausbreitungsraten, die es zu verlangsamen gilt. Mittlerweile gehen Prognosen sogar davon aus, dass 60 – 70 % der Bevölkerung in den nächsten zwei Jahren infiziert werden können. Auch wenn niemand genau den weiteren Verlauf der Krankheit und die Wirksamkeit verschiedener Abwehrmaßen vorhersehen kann, so kann die Gefahr für die Gesundheit nicht unterstützt werden. Vor allem ältere Menschen, Armen und Personen mit Vorerkrankungen gehören zu den Risikogruppen.

In
dieser Situation versprechen alle Regierungen – einschließlich derer, die
gestern noch die Lage beschönigt oder die Existenz einer Bedrohung ins Reich
der Phantasie verwiesen, alles in ihre Macht Stehende zu tun, um die Pandemie
einzudämmen, deren Ausweitung zu bremsen und den Schutz der Bevölkerung zu verbessern.

Nirgendwo
besteht Anlass, diesen Damen und Herren zu vertrauen. Viele der Maßnahmen
selbst sind schon auf den ersten Blick fragwürdig.

Nationale
Rettung?

Etliche
Regierungen antworten mit Grenzschließungen, Kontrollen, Aussetzung des
Flugverkehrs. Der US-Präsident verkündete überraschend einen Einreisestopp für
alle BürgerInnen des Schengen-Raums. Damit nahm er, ob nun bewusst oder
„unabsichtlich“, einen weiteren Einbruch der internationalen Börsen billigend
in Kauf. Schließlich revidierte er auf Nachfrage einen Teil seines Masterplans,
die Aussetzung des Warenverkehrs mit der EU. Trump ist freilich nicht der
Einzige, der auf Abschottung der Grenzen setzt. Auch die EU-Länder verschärfen
ihre Kontrollen nach außen wie auch nach innen. Italien hat eine landesweite
Quarantäne verhängt. Indien hat alle Einreisevisa aufgekündigt, zahlreiche
Länder sperren ihre Flughäfen für Gäste aus wirklichen oder vermeintlichen
„Gefahrenherden“ (vorzugsweise, aber nicht nur China, Südkorea, Iran und
Italien) oder steckten Reisende aus diesen Ländern für zwei Wochen in
Quarantäne.

In
der aktuellen Krisensituation wird sicher niemand verstärkte
Gesundheitskontrollen, Tests usw. per se ablehnen. Manche davon haben nur
geringen medizinischen Wert und sollen eher Aktivität suggerieren. So hat die
Messung der Körpertemperatur an Flughäfen nur begrenzten Nutzen, da Menschen
auch ohne erhöhte Temperatur infiziert sein können.

Auffällig
und für das bürgerliche System bezeichnend ist freilich der selektive Charakter
zahlreicher Maßnahmen. Der Grundtenor besteht in nationaler Abschottung.

Auch
wenn sich die EU über den Affront der USA und Trump empört, so sollten wir
nicht die Augen davor verschließen, dass sie – nicht nur deren
rechts-populistische Regierungen – selbst die eigenen Außengrenzen gegen
Flüchtlinge abschottet. Die Aufnahme von 1.400 Kindern aus griechischen
Flüchtlingslagern war erst nach wochenlangem Gezerre möglich. Dabei handelt es
sich hier nur um den berühmten Tropfen auf den heißen Stein, der „humanitären“
Begleitmusik zur täglichen Barbarei.

In
den Flüchtlingslagern Griechenlands, in der Türkei oder in Syrien, ja selbst
bei den nationalen Alleingängen in der EU zeigt sich nämlich schon ein
wesentlichen Merkmal der bürgerlichen Pandemie-Bekämpfung. Es geht um die
Rettung der jeweils eigenen StaatsbürgerInnen, der eigenen Nationalität. Die
Gesundheit der anderen, die Menschheit als Ganze wird zum Nebenfaktor.

In
praktisch allen Ländern der Welt geht die staatliche Abschottung wie von selbst
mit rassistischen, nationalistischen, fremdenfeindlichen Einstellungen einher.
Menschen, die „asiatisch“ aussehen, werden spürbar argwöhnisch beäugt. Der
anti-chinesische und anti-asiatische Chauvinismus und Rassismus ist in Europa
deutlich angestiegen. Dass sich die Abschottung auch gegen andere Menschen
richten mag, stellt dabei nur eine Voraussetzung dieser allgemeinen Tendenz
dar.

Wie
verlogen diese Politik ist, verdeutlicht das Festhalten der NATO-Armeen,
darunter auch von Bundeswehr und US-Army, am Manöver Defender 2020. Während die
Landesgrenzen für die Bevölkerung geschlossen werden und Versammlungen verbotet
werden, sollen die grenzüberschreitenden Truppenbewegungen tausender SoldatInnen
kein besonders Ansteckungsrisiko darstellen. Offenkundig gehen die politischen,
militärischen und ökonomischen Interessen des imperialistischen Bündnisses vor.
Der Kampf um die Neuaufteilung der Welt, die Konkurrenz zu Russland und China
wird wegen einer Pandemie jedenfalls nicht ausgesetzt.

Der
letztlich rein nationale Fokus und mehr oder weniger offen nationalistische
oder gar rassistische Charakter der bürgerlichen Rettungspolitik zeigt sich in
allen Ländern, weil er ein wesentliches Merkmal des kapitalistischen Systems darstellt
– eines von NationalistInnen, die die Interessen ihrer jeweiligen nationalen
Kapitale verfolgen – natürlich auch bei der Bekämpfung einer Pandemie.

Dies
bedeutet nicht nur Abschottung, es setzt auch der Kooperation zwischen den
Ländern, die eigentlich gefordert wäre und zu der sich etliche in
Lippenbekenntnissen auch bekennen, enge Grenzen.

So
werden z. B. Länder wie Deutschland, Frankreich oder die USA, wie China
oder Japan versuchen, die ökonomischen Folgen für ihre Wirtschaft, d. h.
für das nationale Gesamtkapital zu begrenzen. Sie mögen sogar versuchen, die
Auswirkungen auf strategisch wichtige Teile der ArbeiterInnenklasse z. B.
in der Exportindustrie durch Kredite, Konjunkturprogramme,
KurzarbeiterInnengeld zu begrenzen, damit sie bei einer in der Ferne liegenden,
zukünftigen „Erholung“ schneller als die Konkurrenz sind und diese aus dem Feld
schlagen können.

Diese
Möglichkeiten haben jedoch nur wenige Länder, d. h. die Großmächte und
ökonomisch stärkeren Länder der imperialistischen Blöcke. Selbst für die
entwickelteren Halbkolonien, sog. Regionalmächte, bestehen diese Reserven kaum.
Sie sind schon jetzt von der globalen Wirtschaftskrise viel stärker betroffen –
und damit sind ihre Möglichkeiten zur Bekämpfung einer Pandemie erst recht viel
beschränkter.

So
wie alle anderen globalen Probleme und Krisen trifft wahrscheinlich auch das
Coronavirus, sollte es sich weiter ausbreiten, diese um ein Vielfaches härter
als alle anderen. Die Entwicklung im Iran verdeutlicht das.

Die
Stellung der einzelnen Länder in der globalen Arbeitsteilung bestimmt
maßgeblich, welche Möglichkeiten ihre Gesundheitssysteme haben, die Verbreitung
der Krankheit zu verzögern und ihre Auswirkungen zu bekämpfen. Eine Politik der
nationalen Abschottung bedeutet freilich, dass die Halbkolonien auf ihre
eigenen geringeren Ressourcen zurückgeworfen sind – Ressourcen, die geringer
sind, weil im Rahmen der imperialistischen Weltordnung ebendiese über
Jahrzehnte, ja Jahrhunderte ausgeplündert wurden, weil deren Ökonomien vom
Kapital der Großmächte bestimmt sind.

Klassenfrage
im Gesundheitswesen

Pandemien
können und werden natürlich in allen Gesellschaftsformationen auftreten. Auch
eine zukünftige klassenlose Gesellschaft könnte dagegen keine Garantie abgeben.
Im bürgerlichen System spiegelt freilich die Form der Bekämpfung den
Klassencharakter der Gesellschaft selbst wider.

Die
nationale Abschottung basiert letztlich darauf. Sie stellt ein enormes
Hindernis für die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Pandemie, bei der
Erforschung von Impfstoffen, ja selbst bei der Umsetzung von Schutzmaßnahmen
dar.

Sie
ist aufs Engste mit dem privaten, kapitalistischen Charakter der Produktion und
der Forschung selbst verbunden. Schließlich stellen alle Produkte, die zum
Schutz der Bevölkerung und zu medizinischen Tests dienen sollen
(Desinfektionsmittel, Test-Kits, …) ebenso wie die Entwicklung von
Impfstoffen durch Pharmakonzerne für das Kapital Mittel der Bereicherung, zur
Profitmacherei dar.

Daher
soll bei aller „Kooperation“ auch das Geschäftsgeheimnis der Konzerne gewahrt
werden. Wer zuerst ein Gegenmittel entwickelt, dem winkt im globalen
Kapitalismus ein gigantischer Monopolprofit über Jahre.

Hinzu
kommt, dass das Gesundheitswesen längst ein Geschäftszweig wie alle anderen
geworden ist. Dass staatliche und durch Sozialversicherungen getragene System
selbst mehr und mehr finanziell ausgedünnt, (teil)privatisiert wurden, rächt
sich jetzt. Entgegen den Schönwetterreden von Gesundheitsminister Spahn war und
ist auch das deutsche Gesundheitssystem nicht auf eine Pandemie vorbereitet.
Die Reserven fehlen – und woher sollten sie auch kommen, wenn lt. Berechnungen
der Gewerkschaft ver.di allein in Deutschland 162.000 Stellen im
Gesundheitswesen, darunter 70.000 in der Pflege fehlen!

Ein
Lösungsvorschlag von Spahn: Die Mindestbesetzungsschlüssel für das Personal pro
Station sollen aufgehoben werden – im Klartext: Die Beschäftigten sollen pro
Schicht mehr PatientInnen betreuen.

Ganz
Ähnliches, wenn nicht noch Drastischeres offenbart sich in anderen Ländern. In
den USA z. B. hat ein großer Teil der Bevölkerung trotz der
„sozialistischen“ Obama-Care keine Krankenversicherung. Selbst einen Virustest
muss ein großer Teil der Versicherten aus den eigenen Taschen, dem Selbstbehalt
zahlen – sofern überhaupt ein Test-Kit vorhanden ist.

Hier
offenbart sich schlagend der Klassencharakter des gesamten medizinischen
Systems. Die Gesundheit stellt entweder einen zu reduzierenden Kostenfaktor für
das Gesamtkapital in Form des staatlichen Gesundheitswesens dar, oder im privaten
Bereich ein Mittel zur Geschäftemacherei wie jedes andere.

Auf
der Strecke bleiben die Beschäftigten und PatientInnen – fein abgestuft nach
ihrer  Klassenlage in der
Gesellschaft. Für die ärmsten Teile der ArbeiterInnenklasse gibt es allenfalls
eine „Minimalversorgung“ in den imperialistischen Ländern, in mehr und mehr
Halbkolonien erst gar keine. Selbst in Ländern wie den USA bestehen weder
Rechtsanspruch noch Versorgungspflicht für unversicherte PatientInnen.

Öffentliches
Leben einstellen – Profite sichern

Auch
an anderen Stellen offenbart sich der Klassencharakter der Gesellschaft. So
schlagen mehr und mehr Regierungen vor, dass Menschen öffentliche
Versammlungen, Veranstaltungen meiden. In mehr und mehr Ländern wurden
Universitäten, Schulen, Kindergärten, Kultureinrichtungen, Schwimmbäder
geschlossen. Mittlerweile werden auch politische Versammlungen und
Demonstrationen ab einer gewissen Größe verboten. Auf die damit verbundene
Einschränkung demokratischer Rechte kommen wir später zurück.

Bemerkenswert
ist aber auch, was aufrechterhalten wird – selbst in Ländern wie Italien.
Natürlich braucht es weiter eine Gesundheitsversorgung, Lebensmittelläden usw.
Aber die italienische Regierung hat bei der Quarantäneverordnung für die
Lombardei und Norditalien auch eine bemerkenswerte Ausnahme vorgesehen. Wo
immer möglich soll weiterhin produziert und möglichst normal gearbeitet werden,
auch in den verschiedenen anderen Branchen der italienischen Wirtschaft – was
die großen Unternehmen ohnehin, ganz ohne die Regierung zu fragen, ihren
Beschäftigten diktiert haben.

So
lassen nicht nur FIAT (jetzt FCA) und andere weiter produzieren, als ob die
Infektionsgefahr beim Arbeiten für die Ausgebeuteten geringer wäre als bei
einer Demonstration gegen diese. Migrantische ArbeiterInnen sollen weiter in
der extrem ausbeuterischen Arbeit als ErntehelferInnen schuften, wobei viele
verzweifelt zu fliehen versuchen.

Bemerkenswert
ist aber auch, dass es in etlichen Betrieben zu Arbeitsniederlegungen kam.

„Während in Italien alles unter Corona-Quarantäne steht, müssen die Arbeiter weiterarbeiten, damit der Profit der Unternehmen nicht kleiner wird. Die Beschäftigten von FIAT weigern sich weiterzuarbeiten, nur damit die Profite bleiben, und haben zum Streik aufgerufen“. (Jules El-Khatib auf Twitter am 10. März)

Weitere
Streiks gab es auch bei Ikea, auf Schlachthöfen und im Hafen von Genua.

Bemerkenswert
an den Kämpfen in Italien ist auch, dass die großen Dachverbände die Regierungspolitik
unterstützen, dass die Streiks von Oppositionellen oder kleineren
Gewerkschaften organisiert wurden.

Diesen
Grundtenor, das öffentliche Leben einzustellen, den Schaden für „unsere“
Wirtschaft, also die Profitmargen der Unternehmen, möglichst gering zu halten,
schlägt natürlich auch die deutsche Regierung an. Selbst Konjunkturprogramme
und billige Kredite stehen jetzt an – um die Produktion anzukurbeln und
Unternehmen zu subventionieren.

Die
Beschäftigten können derweil auf KurzarbeiterInnengeld, also weniger Einkommen
hoffen. Wer nicht in einer Branche beschäftigt ist, die von (vorübergehenden)
Schließungen betroffen ist, oder keiner Beschäftigung nachgeht, die vom Home
Office aus erledigt werden kann, wird auch weiterhin zur Arbeit fahren müssen.

Während
die herrschende Klasse auf die Unterstützung ihrer Regierung hoffen kann, so
wird die Masse der BürgerInnen auf Verzicht und Einschnitte vorbereitet. Auch
sie müsse „ihren Anteil leisten“ – als ob die Lohnabhängigen, darunter auch die
Risikogruppen wie Alte, Arme, Kranke aus der ArbeiterInnenklasse nicht ohnedies
ein höheres Risiko tragen müssten.

Bei
den Maßnahmen gegen das Virus setzt der Staat jedoch nicht auf flächendeckende
Maßnahmen wie z. B. das Aufstellen von Desinfektionsmitteln in allen
öffentlichen Gebäuden und großen Plätzen, kostenlose Tests oder die Herstellung
und kostenlose Verteilung von Atemschutz. Selbst bei der Schließung von
Kindergärten und Schulen können berufstätige Eltern nicht auf öffentliche
Unterstützung rechnen, sie müssen eben selbstständig und privat ihren Anteil
leisten.

Klassenpolitik

Wie
die obigen Ausführungen zeigen, handelt es sich bei der Ausbreitung des Virus
und seiner Bekämpfung nicht nur um ein im engeren Sinn des Wortes medizinisches
Problem. Wie die Pandemie eingedämmt, wie rasch und für wen ein Impfstoff
verfügbar ist, wer Kosten für die Maßnahmen trägt usw., stellt auch eine
gesellschaftliche, eine Klassenfrage dar.

Vor
diesem Hindergrund sind alle Maßnahmen der Regierung, die politischen Rechte
der ArbeiterInnenklasse, ja der Masse der Bevölkerung, das Streik- und
Demonstrationsrecht einzuschränken, äußerst kritisch zu betrachten. Sie müssen
abgelehnt werden.

Natürlich
wird keine linke Kraft, keine ArbeiterInnenorganisation leichtfertig
Versammlungen abhalten, wenn das Anstreckungsrisiko groß ist. Es kann auch
durchaus möglich sein, dass es zur Bekämpfung einer Pandemie notwendig wird,
die An- und Abreise aus bestimmten Gebieten zu kontrollieren. Die Frage ist
aber, wer legt das fest? Staatliche Behörden, bürgerliche, kapitaltreue
Regierungen oder aber die ArbeiterInnenbewegung, allen voran die
Gewerkschaften.

Damit
sich Beschäftige jedoch dazu organisieren können, brauchen sie auch
demokratische Rechte, die sie eben während der aktuellen Lage ausüben können.
So wären Versammlungen in den Betrieben und Büros sinnvoll, um von ExpertInnen
aus dem Gesundheitswesen, die das Vertrauen der ArbeiterInnen und
Gewerkschaften genießen – am besten von Gewerkschaftsmitgliedern der Branche –
informiert zu werden und auch zu diskutieren, welche Maßnahmen sinnvoll sind
und welche nicht.

Einen generellen Einreisestopp oder die Abriegelung der Außengrenzen lehnen wir ab. Vielmehr geht es auch darum, Hilfe für Menschen in Not in der sog. „Dritten Welt“, für die Geflüchteten in Griechenland, der Türkei oder Syrien zu leisten – auch durch die Öffnung der EU-Außengrenzen. Bezüglich möglicher Infizierter mit dem Coronavirus sollten dieselben Regeln wie für andere Infizierte gelten, kostenlose Tests und medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt werden.

ArbeiterInnenkontrolle

Die
ArbeiterInnenklasse, Gewerkschaften und ArbeiterInnenparteien müssten eine
Kampagne führen für die Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses und aller
Forschungsergebnisse der staatlichen und privaten Institute. Sollte ein Impfstoff
gefunden werden, muss dieser allen kostenlos zur Verfügung stehen und darf
nicht selbst zur Profitmacherei missbraucht werden.

Die
privaten Konzerne werden sich mit Sicherheit schon gegen eine solche Forderung
wehren, schließlich gefährdet das ihre Profite, ihren eigentlichen
Geschäftszweck. Daher muss dies mit dem Kampf für ArbeiterInnenkontrolle und
die entschädigungslose Enteignung der Branche verbunden werden.

Der
Kampf um ArbeiterInnenkontrolle beschränkt sich jedoch keineswegs auf das
Gesundheitswesen. Die streikenden ArbeiterInnen in Italien argumentieren zu
recht, dass ihre Gesundheit wichtiger ist als die Profite der Konzerne.
Angesichts einer solchen Krise stellt sich außerdem die Frage, welche Arbeiten
und Tätigkeiten aufrecht erhalten werden sollen und welche nicht.

Alle
Tätigkeiten, die nicht zur Aufrechterhaltung der Grundversorgung und Gesundheit
der Bevölkerung nötig sind – z. B. im Gesundheitswesen, Transport, Feuerwehren,
Lebensmittelproduktion, medizinischer Forschung, Kommunikation … – sollten
eingestellt werden, die Beschäftigten sollten weiter volle Bezüge erhalten.

Umgekehrt
braucht es offenkundig viel mehr Kräfte, die im Gesundheitswesen arbeiten.
Aufgrund der Nicht-Ausbildung von Fachkräften über Jahre können natürlich
einfach aus dem Boden gestampft werden. Andererseits können sehr wohl Menschen
für Hilfstätigkeiten angelernt werden und auch Kapazitäten für Versorgung
aufgebaut werden. Hinzu kommt der private, teilweise auf sehr reiche und
zahlkräftige PatientInnen ausgelegte Teil des Gesundheitswesens. All diese
Kliniken und Kapazitäten müssten in die allgemeine Gesundheitsversorgung
integriert, für die Masse der (Kassen)PatientInnen geöffnet werden. Sollten
sich die EigentümerInnen dieser Einrichtungen dagegen wehren, müssen sie
entschädigungslos enteignet werden.

Für
alle Menschen braucht es eine öffentliche Krankenvorsorge, freien und
kostenlosen Zugang zu den medizinischen Einrichtungen. Aufenthalte in
Krankenhäusern oder in Quarantäne müssen wie normaler Krankenstand von der
Versicherung oder vom staatlichen Gesundheitswesen übernommen werden, nicht von
den Massen.

Kurzum,
es geht darum, den klassenspezifischen Charakter der Maßnahmen von Regierung
und UnternehmerInnen aufzuzeigen und ihnen entgegenzutreten. Das kann jedoch
nur geschehen, wenn sich die ArbeiterInnenklasse, allen voran die
Gewerkschaften nicht als sozialpartnerschaftliche Erfüllungsgehilfin von
Kapital und Regierung, sondern als eigene soziale Kraft präsentiert. Der Kampf
um ArbeiterInnenkontrolle nimmt dabei ein Schlüsselrolle ein.

Gerade
weil Kapital und Regierung auch die Lasten – und damit auch Risiken der
Pandemie der Masse aufbürden wollen und werden – darf jene nicht leichtfertig
die flächendeckende Einschränkung demokratischer Rechte hinnehmen. Sie muss
vielmehr diese mühsam erkämpften Errungenschaften nutzen, um ein wirksames
Programm zur Bekämpfung der Pandemie durchzusetzen.