Woher kommt Sexismus?

Svea Hualidu, Revolution Deutschland, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

Sexismus zieht sich durch alle Bereiche
unseres Lebens. Ob nun in der Schule, bei der Arbeit oder auf dem täglichen
Heimweg. Beispielsweise werden Geschlechtern immer wieder bestimmte Eigenschaften
zugeschrieben. Mädchen sollen immer schön zurückhaltend, fürsorglich und
freundlich sein. Jungs sollen hingegen immer noch nicht über ihre Gefühle reden
und die „starken Beschützer“ sein. Dadurch, dass uns diese Werte durch Medien,
Familie und unser Umfeld von Geburt an vermittelt werden, stellen wir diese oft
nicht in Frage.

Sobald wir in die Schule kommen, werden
diese Rollenverteilungen noch durch nebensächliche Behandlung von der Rolle der
Frau in der Geschichte verhärtet. Frauen aus der Wissenschaft finden sich hier
kaum bis gar nicht wieder. Mädchen sollen gut in Kunst sein und werden für ihre
Handschrift gelobt. Wenn sie sich in einen naturwissenschaftlichen Kurs
einschreiben, müssen sie sich dafür dumme Sprüche anhören. In der Ausbildung
oder an der Uni gehen die dummen Sprüche in der Pause über Frauen, die sich
sowieso nur schminken und von technischen Sachen keine Ahnung haben, weiter.
Das sind alles nur Beispiele für 
Alltagssexismus. Dieser macht aber nur einen Teil der
Frauenunterdrückung aus. Denn gleichzeitig findet in unserer Gesellschaft eine
strukturelle Unterdrückung der Frau statt. So bekommen  Frauen 2020 immer noch 21 %
weniger Lohn als Männer insgesamt, 8 % mit der gleichen oder
vergleichbaren Arbeitsstelle. Dies führt dazu, dass sie nach der
Schwangerschaft oder einem Krankheitsfall in der Familie häufiger in
Teilzeitarbeit gedrängt werden.

So entstehen mehrere Nachteile: Frauen sind
viel häufiger von (Alters-)Armut betroffen, von ihrem Partner finanziell
abhängig und müssen mehr im Haushalt arbeiten. Daneben gibt es noch gesetzliche
Hürden wie Einschränkungen/Verbot der Abtreibung, während gleichzeitig sexuelle
Straftaten kaum geahndet werden. Klar ist also: Sexismus ist kein Hirngespinst
und hat eine materielle Basis in der Gesellschaft, die stetig reproduziert
wird.

Feminismus

Vielen Leuten ist Feminismus mittlerweile
ein Begriff. Dabei gibt es unterschiedliche inhaltliche Strömungen, die jeweils
andere Ansätze entwickelt haben, wie man gegen Frauenunterdrückung  kämpfen sollte. Der Queerfeminismus
wirft beispielsweise die Frage auf: „Wie definiert man Geschlechter?“ und sieht
das Hauptproblem in der Konstruktion sämtlicher Geschlechternormen an sich. Der
Radikalfeminismus hingegen sieht die Ursache in der männlichen Natur, sucht die
Lösung in der autonomen Organisierung von Frauen. Intersektionalität fragt
„Sind manche Frauen durch die Kombination mehrerer Unterdrückungsmechanismen
mehrfach unterdrückt?“, zeigt allerdings keinen Lösungsansatz auf und setzt
alle Unterdrückungen gleich. Der bürgerliche Feminismus hat viele Spielarten,
konzentriert sich in erster Linie auf die rechtliche Gleichstellung aller
Frauen. Dabei kann es auch dazu kommen, dass die bürgerlichen Feminist_Innen
rückschrittliche Positionen annehmen, beispielweise Alice Schwarzer, die sich
in ihrem Magazin EMMA ganz offen gegen Sexarbeit und das Tragen eines Kopftuchs
ausspricht. Diese Positionen lehnen wir offen ab.

Alle diese Spielarten haben mehrere
Probleme. Zum einen gibt es selten eine wirkliche Erklärung, woher
Frauenunterdrückung eigentlich kommt. Zum anderen betrachten sie meist alle
Frauen als „Einheit“ und schreiben ihnen ein gleiches Interesse zu. Das ist
problematisch. Zwar ist es positiv, dass Feminismusmagazine oder
Self-Love-Instagramprofile sich mit den eigenen Gefühlen von erlebter
Unterdrückung auseinandersetzen, doch Worte formen leider nicht die Realität.
Diese wird von der ökonomischen Basis der Gesellschaft geprägt. Da es
unterschiedliche Klassen gibt, gibt es auch unterschiedliche Interessen. So
sind Frauenquoten in Chefetagen nur für einen kleinen Teil der Frauen relevant
und eben dieser hat auch ein Problem mit Forderungen, die eine reale
Verbesserung für alle darstellen würden wie bspw. kostenlose Abtreibungen und
Verhütungsmittel oder gleicher, höherer Lohn. Aber woher kommt denn nun
Frauenunterdrückung?

Entstehung der Familie und des
Privateigentums

Am Anfang der menschlichen Geschichte gab
es eine klassenlose Urgesellschaft. Hier waren alle Geschlechter
gleichgestellt. Anthropologische Forschungen belegen, dass sich erwachsene
Frauen wegen Schwangerschaft und langer Abhängigkeit der Kinder von der Mutter
nicht an den langen Hetzjagden auf Großwild beteiligen konnten. Diese war
Domäne der erwachsenen, bewaffneten Männer. In dem Sinne können wir von einer
geschlechtlichen Arbeitsteilung sprechen, die genau wie die noch
ursprünglichere (Gebären, Stillen; Zeugen) biologische Ursachen hatte. Frauen
sammelten Früchte, Samen und andere Pflanzenteile und erbeuteten kleine Tiere.
Diese Arbeitsteilung der Jäger- und Sammlergesellschaften hatte so gut wie
nichts mit anderen physischen Unterschieden (Körperkraft, Ausdauer) zu tun.
Frauen trugen geschätzt 60 % zum Nahrungserwerb der Horden bei.

Mit der Sesshaftwerdung, also ab der
Jungsteinzeit, entwickelte sich dann Stück für Stück ein Überschuss. Dies
geschah insbesondere durch die Viehzucht und die Durchsetzung des Ackerbaus
(insbesondere in Verbindung mit Zugtieren zum Pflügen). Eben jene Entwicklung
ist hierbei hervorzuheben. Sie legte die Basis für die Umgestaltung der
Verhältnisse in Produktion (Ausbeutung, Klassengesellschaft, Staat) und
Reproduktion. Durch den erwirtschafteten systematischen, dauerhaften Überschuss
konnte erstmals ein Teil der Gesellschaft aus der Produktion ausscheiden, sei
es nur im Alter oder zeitlebens bei ehemaligen Oberhäuptern (Häuptlingen). In
diesem Zuge bildete sich auch die Familie heraus. Diese unterschied sich von
der heutigen dadurch, dass neben dem Oberhaupt auch Haussklav_Innen oder
Gesinde (nicht verheiratete Mägde und Knechte) dazugehörten.

Auch wenn die Übergangsperiode zur
Klassengesellschaft mehrere Tausend Jahre dauerte, so erwuchs sie aus dieser
Formation und legte ebenfalls den Grundstein für die Entstehung des Staates.
Ein wichtiges Element hierbei nimmt der Übergang zur Monogamie ein. Damit das
Eigentum in an die eigenen Nachkommen vererbt werden konnte, wurde diese
essenziell. Diese war in erster Linie verbindlich für Frauen, da durch die
Monogamie die leibliche Vaterschaft der besitzenden Männer gesichert werden
sollte. Herauszustellen ist, dass die Unterdrückung der Frau ab Entstehung der
ersten Klassengesellschaften unumkehrbar geworden ist und ihre Beseitigung
darum die Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft erfordert.

Übergang in den Kapitalismus

Mit Beginn des Kapitalismus und der
Entstehung des Proletariats hörte der Haushalt auf, die grundlegende
Produktionseinheit zu sein. Statt in der Familie selber zu produzieren, musste
es nach seiner Vertreibung von Grund und Boden, nach Verlust seiner Produktionsmittel
die eigene Arbeitskraft bei KapitalistInnen verkaufen. Im Zuge des wachsenden
Fortschritts, der Einführung von Maschinen im Zuge der industriellen Revolution
wurde es notwendig und möglich, mehr Arbeitskräfte als nur Männer (Lohnarbeit
von Frauen und Kindern) in die Fabrikproduktion einzubeziehen. Zuvor, im
Verlagssystem (Zwischenglied zwischen Handwerk und Industrie), waren die
Produzent_Innen schon keine Handwerker_Innen mehr, weil sie allein von Aufträgen
der Kaufleute vollständig abhängig waren, aber noch keine Proletarier_Innen,
weil sie formal noch über ihre Produktionsmittel und Werkstatt verfügten. Mit
dem Ruin des Handwerks wurden sie zu Lohnabhängigen in industrieller Kooperation
und Manufaktur. Die Fabrikarbeit stellt für die Emanzipation der Frauen
insofern einen Fortschritt dar, als sie durch Mechanisierung etliche Schranken
der nach Gewerk getrennten Arbeitsteilung zwischen Männern, Frauen und Kindern
einreißt und Aufhebung der geschlechtlichen Arbeitsteilung vom technischen
Prinzip, vom Stand der Produktivkräfte her überhaupt ermöglicht. Muskelkraft
spielt nur noch eine untergeordnete Rolle.

Doch die kapitalistischen
Produktionsverhältnisse verwandeln das fortschrittliche Potenzial des
Fabriksystems in eine Hölle für die Arbeiter_Innenklasse, für die Frauen zudem
noch in ein Fegefeuer. Da erstens nämlich der Lohn von Arbeiter_Innen nur das
enthält, was zur Reproduktion der eigenen Familie notwendig ist und er im
Fabriksystem auf die gesamte Arbeiter_Innenfamilie verteilt wurde, sank der des
Ehemannes, der zuvor die Bestandteile für Gattin und nachwachsende zukünftige
Arbeitskräfte enthielt. Dies sparte den Kapitalist_Innen Geld und verschärfte
auch die Konkurrenz innerhalb der Klasse. Diese Abwertung des männlichen
Arbeitslohns liegt dem reaktionären proletarischen Antifeminismus zugrunde. Zum
zweitens wurde die Arbeiter_Innenfamilie nun als Ort, an dem die Arbeitskraft
wieder hergestellt werden musste, zur zweiten, aber unbezahlten Schicht für die
Lohnarbeiterin.

Für die Arbeiter_Innenklasse  hat sie also einen doppelten Charakter.
Zum einen ist die Familie der einzige „Ruheort“, zum anderen jedoch für die
Frau eine Doppelbelastung. Sie musste arbeiten und sich gleichzeitig um den
Haushalt kümmern. So sparen die Kapitalist_Innen zusätzlich viel Geld dadurch,
dass sie die Reproduktion ins Private auslagern. An Stellen, wo dies nicht
(mehr) möglich ist wie beispielsweise der grundlegenden Ausbildung, greift dann
der bürgerliche Staat ein, um das Interesse der gesamten Kapitalist_Innenklasse
zu vertreten (allgemeine Schulpflicht, Verbot der Kinderarbeit).

Auf der anderen Seite blieb Familie
funktional für das Bürger_Innentum, um die Vererbung innerhalb der herrschenden
Klasse zu legitimieren. Das klassische Bild der Arbeiter_innenhausfrau, was vor
allem in westlichen, imperialistischen Ländern präsent war, ist dabei etwas,
das erst im späteren Verlauf der Geschichte entstand. Für die Bürgerlichen und
ebenso die besser gestellten Kleinbürger_Innen war dieses zweifelhafte Ideal
hingegen schon immer möglich. Als sich dann vor allem in imperialistischen
Ländern eine Schicht von Arbeiter_Innen (Arbeiter_Innenaristokratie) durch
erfolgreiche Streiks sowie Extraprofite herausbildete, die besser verdient,
wurde von ihr diesem Bild der bürgerlichen Familie als Privileg nachgeeifert.
Allerdings ist dies, wie wir wissen, auch heute nur für einen kleinen Teil
möglich.

All das beweist, dass Sexismus eine
Klassenfrage ist und somit auch der Kampf um die Frauenbefreiung einer um die
Herrschaft einer Klasse über die andere ist. Der Kapitalismus hat sich als
unfähig und unwillig erwiesen, die im Haushalt verrichtete Arbeit systematisch
zu vergesellschaften. Er ist daher unfähig, die Unterdrückung der Frauen zu
beenden.

Doch wie dagegen ankämpfen?

Für die Praxis heißt das anzuerkennen, dass
zwar auch die Männer der Arbeiter_Innenklasse in einem gewissen Maß von
Frauentundrückung profitieren, allerdings keinen historischen Nutzen daraus
ziehen. Vielmehr werden sie dadurch an der Verwirklichung ihrer grundlegenden Klasseninteressen
gehindert. Nur ein gemeinsamer Kampf aller Proletarier_Innen gegen die
herrschende Klasse kann ein erfolgreicher sein. Als Revolutionär_Innen müssen
wir uns entschieden gegen jegliche Form der Frauenunterdrückung stellen. Um
diese jedoch effektiv zu beseitigen, müssen wir sie an der Wurzel packen – dem
Kapitalismus. Gleichzeitig muss klar herausgestellt werden: Wir müssen den
Kampf für eine bessere Welt mit Reformen und konkreten Verbesserungen im Hier
und Jetzt verbinden!

Beispielsweise durch einen gemeinsamen
höheren Mindestlohn oder das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper
kann man die existierende Spaltung innerhalb der Arbeiter_Innenklasse anfangen
zu beseitigen. Ebenso müssen diese Kämpfe an allen Orten unseres täglichen Lebens
und somit auch an denen, wo Politik stattfindet, geführt werden. Durch
Diskussionen am Arbeitsplatz, gewerkschaftliche Organisierung auch mit dem
Ziel, den Kampf gegen Frauenunterdrückung dort mit einzubringen,
antisexistische Veranstaltungen an Schulen und eine Schüler_Innengewerkschaft.
Komplett aufgelöst werden kann sie nur in einer klassenlosen Gesellschaft, in
der die Reproduktionsarbeit nicht mehr nur auf die Familie und somit die Frauen
ausgelagert wird. Ziel muss es sein, die tägliche Hausarbeit
gesamtgesellschaftlich zu organisieren. Durch beispielsweise Großküchen,
Waschräume sowie Kinder- und Angehörigenbetreuung, die kollektiv organisiert
wird.

Für den Kampf im Hier und Jetzt muss uns
dabei klar sein, dass in der heutigen Gesellschaft, in der wir alle nicht frei
von unterdrückender Sozialisierung leben, es auch in linken Organisationen
Mechanismen bedarf, die dem entgegenwirken. So brauchen wir jetzt schon
kollektive Kinderbetreuung, aktiven Umgang mit sexuellen Grenzüberschreitungen,
Bewusstsein, Frauen und sexuell Unterdrückte von technischen Aufgaben zu
befreien sowie sie zu ermutigen, aktiv nach außen zu treten. Auch Caucuses,
also gesonderte Treffen von sozial Unterdrückten, bei der sie sich über
Erlebtes austauschen können, sind ein notwendiges Mittel. Ebenso müssen Männer
regelmäßig ihre Sozialisierung und unterdrückendes Verhalten reflektieren.

Quellen

Hausarbeit https://www.beziehungen-familienleben.de/ergebnisse/wie-teilen-sich-maenner-und-frauen-die-arbeit-im-haushalt/