5.000 demonstrieren gegen Münchner Sicherheitskonferenz

Helga Müller/Martin Suchanek, Infomail 1090, 18. Februar 2020 

5.000 TeilnehmerInnen demonstrierten auch in diesem Jahr gegen die Münchner Sicherheitskonferenz. Auch wenn die Anzahl gegenüber den letzten Jahren wieder deutlich anstieg, ist die Teilnahme, verglichen mit dem, was weltpolitisch auf der Tagesordnung steht, dennoch erschreckend niedrig geblieben. An „Krisenherden“ mangelt es schließlich nicht. Im Gegenteil! Die meisten Staaten, die die 800 Tagungsgäste, darunter 40 Staats- und RegierungschefInnen, die Außenminister der USA, Chinas, Russlands sowie zahlreiche VertreterInnen Deutschlands und der EU, vertreten, mischen dabei an vorderster Front mit.

Anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz, die jedes Jahr hochrangige PolitikerInnen, VertreterInnen des Militärs und der Etagen der Großkonzerne aus der ganzen Welt Mitte Februar anzieht, um – nach offizieller Verlautbarung – Austausch und „informelle Absprachen“ zwischen Konfliktparteien zu treffen, fand in der Münchner Innenstadt – auch wie jedes Jahr – eine Gegendemonstration statt.

Kampf um Neuaufteilung der Welt

Angesichts der immer offener zu Tage tretenden Konflikte nicht nur zwischen den Hauptkonkurrenten USA und China sowie Russland, sondern auch der sich immer mehr anbahnenden Konflikte zwischen der EU – genauer gesagt der „Achse“ Frankreich-Deutschland – und den USA, die wohl der französische Präsident am deutlichsten zum Ausdruck brachte, scheint die deutsche Linke die Lage etwas zu verkennen. Wenn die USA im internationalen Kräfteverhältnis im Kampf um Ressourcen und Absatzmärkte immer mehr gegenüber China ins Hintertreffen zu geraten drohen, so gilt das umso mehr für die EU. Nicht zuletzt ist ihren weltmachtpolitischen Ambitionen und damit auch denen Deutschlands mit dem britischen Brexit ein herber Schlag versetzt worden. Schließlich ging damit auch ein wirtschaftlich und v. a. militärisch bedeutendes Potential verloren, das für die EU einen nicht so schnell zu ersetzenden Machtfaktor darstellte. Die Diskussionen um die Erhöhung der militärischen Ausgaben bis hin zur Aufstellung einer eigenen europäischen Armee, gemeinsamer deutsch-französischer Panzer- und Flugzeugprojekte wurden daher auch mit einer vergleichsweise großen Offenheit geführt. Schließlich wollen die immer mehr ins Hintertreffen geratenden Führungsmächte der EU endlich auch in der Lage sein, in weltpolitischen Konflikten nicht nur die Rolle eines/r DiplomatIn und wenig durchsetzungsfähigen/r VermittlerIn zu spielen – wie zuletzt im Libyen-Konflikt –, sondern aktiv im Kampf um die Vorherrschaft mitmischen zu können. Diese, vom Standpunkt eigener imperialistische Interessen durchaus realistische Einschätzung der eigenen Schwäche und der offenkundigen Krise des gesamten EU-Projekts bildete unter dem Namen „Westlessness“ auch mehr als in den letzten Jahren das Hauptthema auf der Münchner Sicherheitskonferenz.

In dieser Hinsicht brachte sie tatsächlich neue Akzente, die von den OrganisatorInnen um Ischinger auch bewusst ins Spiel gebracht wurden. Der deutsche Bundespräsident Steinmeier, einer der Hauptredner des ersten Tages, gab freilich nicht den Takt vor, sondern hielt eine sozial-imperialistische Rede, in der viel von „Verantwortung“, „Humanismus“ und Frieden“ die Rede war. Die USA, China und Russland mussten sich wegen der hartnäckigen und rücksichtslosen Verfolgung ihrer eigenen Interessen Kritik anhören. Beeindrucken ließen sich diese davon sicher nicht, wie sie allesamt in Syrien, gegenüber dem Iran, in Israel/Palästina, in Lateinamerika und sonstwo auf der Welt demonstrieren.

Mehr oder weniger scharf wiesen der russische und der US-amerikanische Außenminister, Lawrow und Pompeo, die Vorwürfe zurück. Die EU müsse eben ihre „Hausaufgaben“ machen, also selbst in „Sicherheit“ investieren, aufrüsten, sich lt. russischer und chinesischer Lesart von der Bevormundung durch und Unterordnung unter die USA „befreien“, nach US-amerikanischer Version, sich endlich ohne Wenn und Aber an den Unternehmungen des Westens beteiligen.

Für US-Außenminister Pompeo gibt es die „Krise des Westens“ so nicht. Die „Westlessness“, wie sie auf der Tagung thematisiert wurde, existiere allenfalls in Europa. „Der Westen gewinnt, und wir gewinnen gemeinsam“, hielt er allen KritikerInnen entgegen – und, so der Subtext, notfalls gewinnen die USA eben auch ohne und gegen alle, die sich deren Kurs nicht unterordnen wollen.

Damit bestätigte er freilich nur, was aus Sicht der imperialistischen Mächte der EU das eigentliche Problem darstellt. In der neuen Weltordnung, die Trump und seiner Regierung vorschwebt, soll nicht nur der Aufstieg Chinas und Russlands bekämpft werden, auch die EU muss sich mit einer Rolle als Vasallin, als größere Variante Großbritanniens zufriedengeben.

Und genau damit und darum hadern die europäischen Mächte. Die ganze politische Krise des deutschen Imperialismus drückt sich gerade darin aus, dass es dessen VertreterInnen schwer fällt, das Thema überhaupt klar und direkt aufzugreifen. Politisch pseudokorrekt formuliert die Verteidigungsministerin und Noch-CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer: „Ich sehe Europa und gerade mein Land in der Pflicht, mehr Handlungsfähigkeit und mehr Willen zum Handeln zu entwickeln.“

Kein Wunder, dass der französische Präsident Macron „ungeduldig“ mit dem deutschen „Partner“ wird. Eine „Schwächung des Westens“ beklagt er, nicht zuletzt aufgrund der aggressiven, unberechenbaren und EU-feindlichen Politik Trumps – und es obliegt dem französischen Präsidenten, Ziele und Aufgaben einer gemeinsamen Europapolitik zu skizzieren. So fordert er „Souveränität auf europäischer Ebene“ und „bietet einen strategischen Dialog mit allen Partnern, die das wünschen, auch im atomaren Bereich“. Schließlich müsse auch ein „neuer Dialog mit Russland“ eröffnet werden.

Allein diese Stellungnahmen verdeutlichen, dass die weltpolitische Lage, dass der Kampf um die Neuaufteilung der Welt auch bei der Sicherheitskonferenz angekommen ist, dass weniger als noch in den 1990er Jahren und frühen Jahren des 21. Jahrhunderts recht offen über die Gegensätze und Widersprüche unter den großen und weniger großen imperialistischen Mächten gesprochen wird.

Die Tagung verdeutlicht auch, wie wichtig es ist, dass die ArbeiterInnenbewegung und die Linke den Ernst der Lage erkennen.

Die Demonstration

Allein schon die Teilnahme von nur 5.000 verdeutlicht freilich, dass diese weit davon entfernt sind, angemessen auf die Herausforderungen zu reagieren und zu mobilisieren. Sicherlich liegt das auch daran, dass der „demokratische“, grün und sozialdemokratisch verbrämte Imperialismus nach wie vor ideologische Wirkung zeigt, zumal sich Deutschland und Frankreich als besonnene, demokratische, aufklärerische, humanitäre Alternativen zu den USA, China und Russland inszenieren. Dabei erfordert diese zynische Heuchelei schon heute täglich Tote in Libyen oder im Mittelmeer – um nur zwei Beispiele zu nennen.

Doch unbestreitbar war und ist auch die jährliche Gegenmobilisierung selbst von politischen Schwächen geprägt.

Da hilft es wenig, wenn – wie im Aufruf zur Anti-Siko-Demo – versucht wird, Russlands durchaus reale Bedrohung durch die USA, wie sie in dem US-Manöver „Defender 20“ zum Ausdruck kommt, bei dem Hauptaustragungsort tatsächlich auch Deutschland sein wird, so weit überdehnt wird, dass sich ein Teil der deutschen Linken entschuldigend oder gar schützend vor Russland stellt. Auch Russland spielt seine militärische Karte aus – siehe Russlands Offensive im syrischen Bürgerkrieg zur Stabilisierung der Herrschaft von Assad –, um im internationalen Kräfteverhältnis seinen „Platz an der Sonne“ in der imperialistischen Neuordnung der Welt behaupten zu können. In diesem Konflikt in Syrien, der nicht nur einfach einen regionalen darstellt, sondern in dem es auch um geostrategische Ziele geht, konnte sich Russland siegreich durchsetzen.

Da nützt es auch nichts – ebenfalls wie im Aufruf zu Anti-Siko-Demo geschrieben –, den DGB und seine Einzelgewerkschaften mitsamt einzelner SozialdemokratInnen als „AntimilitaristInnen“ hinzustellen, weil sie die Unterschriftenkampagne „Abrüsten statt Aufrüsten“ unterstützen. Diese kostet nämlich politisch nichts, ja verkommt zur reinen Kosmetik, wenn gleichzeitig die Außenpolitik der deutschen Regierung offen mitgetragen wird.

Da nützt es in diesem Zusammenhang auch nichts, wenn ein Teil der Linken immer noch meint, dass durch eine andere Regierungspolitik und damit eine andere Verteilung der Gelder – weg von den Ausgaben für Aufrüstung und Militär – automatisch mehr für gesellschaftlich sinnvolle Arbeiten ausgegeben würde. Übersehen oder verschleiern diese Vorstellungen doch dabei, dass die real existierende Umverteilung von unten nach oben eine bewusste Politik im Interesse der Verteidigung des deutschen Kapitals im weltweiten Konkurrenzkampf darstellt, die nicht einfach durch andere politische RepräsentantInnen umgedreht werden kann.

Zielführender Widerstand

Damit wir einen breiten Widerstand gegen Krieg und Militarismus und auch die drohende stärkere Aufrüstung Deutschlands, der EU und der NATO aufbauen, braucht es Klarheit in oben genannten Fragen. Politisch ergibt sich daraus:

Erstens muss unser Widerstand von einer internationalistischen Grundlage ausgehen. Den organisierten KriegstreiberInnen müssen wir international koordiniert – im Rahmen der EU und darüber hinaus – wirkungsvoll entgegentreten. Dies beinhaltet auch die Solidarität mit anti-imperialistischen Bewegungen, mit dem Widerstand gegen Interventionen und Kriege der Großmächte und die Forderung nach dem sofortigen Rückzug aller Truppen der Bundeswehr, der NATO, der EU sowie sämtlicher anderer imperialistischen Mächte! 

Zum anderen muss aber allen AktivistInnen bewusst werden, dass der einzige Weg, um Schluss zu machen mit Krieg, Ausbeutung und Zerstörung der Aufbau eines effektiven Widerstands gegen die VerursacherInnen ist. Dazu ist es auch nötig, gerade die ArbeiterInnenklasse und ihre Organisationen verstärkt für diesen Kampf zu gewinnen. Dies beinhaltet auch, den Zusammenhang zwischen der verstärkten militärischen Absicherung der Absatzmärkte und Ressourcen und den Angriffen auf die ArbeiterInnenklasse im Allgemeinen aufzuzeigen, um sich so mit dieser verbinden zu können.