Münchner Sicherheitskonferenz: Deutscher Imperialismus soll „Zurückhaltung“ aufgeben

Martin Suchanek, Neue Internationale 244, Februar 2020

Die
OrganisatorInnen der diesjährigen 56. Münchner Sicherheitskonferenz schlagen
Alarm. Die Welt stehe nicht nur „neuen“ globalen Herausforderungen, neuen
militärischen und ökonomischen Mächten wie Russland und China und einer ständig
wachsenden Zahl „nichtstaatlicher“ bewaffneter Gruppierungen gegenüber, worüber
die zahlreichen RegierungschefInnen, MinisterInnen, Konzern-Vorstände und
„SicherheitsexpertInnen“ aus Wissenschaft und Medien reden wollen.

Westlessness

Die SiKo 2020
stellte ein weiteres „Problem“ ins Zentrum ihrer Debatten: Westlessness.

„Der Munich Security Report 2020 wirft ein Schlaglicht auf ein Phänomen, das wir als ‚Westlessness‘ bezeichnen. ‚Westlessness‘ beschreibt ein weitverbreitetes Gefühl des Unbehagens und der Rastlosigkeit angesichts wachsender Unsicherheit über die Zukunft und Bestimmung des Westens. Viele aktuelle Sicherheitsherausforderungen scheinen direkt mit dem vielbeschriebenen Zerfall des westlichen Projekts verknüpft zu sein. Überdies scheint das Verständnis dafür, was es eigentlich heißt, Teil des Westens zu sein, verloren gegangen zu sein. Es bleibt unklar, inwieweit der Westen eine Strategie und gemeinsame Antwort auf eine Ära der Großmachtrivalität finden wird – wobei darin vielleicht die größte strategische Herausforderung für die transatlantische Partnerschaft liegt.“ (https://securityconference.org/publikationen/munich-security-report-2020)

Im Klartext und
weniger „westlich“ formuliert: Der Niedergang der Vorherrschaft der USA und
ihrer Verbündeten, die Brüche zwischen USA und Europa, der Aufstieg neuer
imperialistischer Rivalen wie China und Russland, der Kampf um die
Neuaufteilung der Welt bestimmen die Tagesordnung der Sicherheitskonferenz.

Nach dem Sieg
des Kapitalismus im Kalten Krieg prägte die Frage, wie die „neue Weltordnung“
gemeinsam zu gestalten sei, wie die USA, EU – und damit auch Deutschland – die
Welt nach ihren Vorstellungen dauerhaft einrichten könnten, eine Zeitlang die
jährlich stattfindenden Treffen.

Doch die
imperialistische „Ordnung“, die mit der Globalisierung des Kapitals etabliert
werden sollte, wurde mit der Weltwirtschaftskrise, mit der neuen Periode der
Instabilität, die 2008 anbrach, unwiederbringlich erschüttert. Sie macht einer
immer härter und offener ausgetragenen Konkurrenz Platz, bei der „der Westen“
zurückzufallen droht. Die USA regieren unter Trump darauf mit einer aggressiven
Wende zum Unilaterialismus, um ihre Vormachtstellung gegen ihren
Hauptkonkurrenten China, aber auch gegen die „verbündete“ EU und Deutschland
wieder zu festigen – inklusive vermehrter Einmischung in die sog. „Dritte Welt“
bis hin zu Putschen wie jüngst in Bolivien und Putschversuchen wie in
Venezuela.

Mit dieser Fragestellung,
die auch schon in den letzten Jahren zunehmend präsent war, verschiebt sich
auch der Fokus der Sicherheitskonferenz.

Unheimlicher
Aufmarsch

Natürlich
präsentiert sie sich weiter als internationale Tagung mit dutzenden
RegierungchefInnen, StaatspräsidentInnen, MinisterInnen, Konzern-Vorständen
sowie „ExpertInnen“ in Sicherheits- und Verteidigungsfragen.

So sollen aus
den USA Außenminister Pompeo, Verteidigungsminister Esper und die Sprecherin
des Repräsentantenhauses, Pelosi, anreisen. China wird mit Außenminister Wang
Yi vertreten sein. Darüber hinaus werden der iranische Außenminister Sarif, der
nordkoreanische stellvertretende Außenminister Kim Son Gyong und viele andere
aus Ost und West erwartet.

Die
Bundesregierung wird von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer sowie
Außenminister Maas vertreten. Eventuell besuchen auch Bundespräsident
Steinmeier und Kanzlerin Merkel die bayrische Hauptstadt. Eine zentrale Rolle
soll außerdem die Vorsitzende der EU-Kommission, von der Leyen, einnehmen.

Und wie jedes
Jahr sind die VertreterInnen der „Sicherheitsindustrie“, Rüstungskonzerne und
deren SponsorInnen aus der Finanzwelt besonders zahlreich vertreten.

Die illustre
Zahl der Gäste soll wie auch in vergangen Jahren ermöglichen, dass die
Sicherheitskonferenz ein „informelles Gesprächsklima“ – beispielsweise zwischen
VertreterInnen Nord- und Südkoreas, Chinas und der USA – zur Lösung jener
Konflikte bietet, die nicht zuletzt die Großmächte selbst herbeigeführt und
befeuert haben.

So werden
sicherlich auch die EU- bzw. NATO-Programme zur „Sicherheit“ der Außengrenzen
der EU einen zentralen Diskussionspunkt bilden.

Erst vor wenigen
Wochen hat sich bekanntlich der deutsche Imperialismus als „Vermittler“ in
Libyen ins Spiel gebracht. Medial wurde ein „Waffenstillstandsabkommen“
verkündet, dessen Umsetzung freilich bis heute auf sich wartet lässt – und
somit sowohl die Ambitionen Deutschlands und der EU wie auch deren Schwächen
als Machtfaktoren der internationalen Politik aufzeigt. Die EU steht auf
verschiedenen Seiten im Bürgerkrieg und erweist sich bislang allenfalls als
fähig, bewaffnete Banden und KillerInnen so weit auszubilden, dass sie die
Grenzen gegen Flüchtlinge sichern.

Defender 2020

Zweifellos
dürfte auch das US-Großmanöver Defender Europe 2020, an dem sich auch
zahlreiche NATO-Staaten beteiligen, eine zentrale Rolle spielen. Die ersten
Truppenverlegungen aus den USA fanden schon im Januar statt. Deutschland soll
im April und Mai im Zentrum der Übung stehen – mit eingegliedertem NATO-Manöver
und logistischer Unterstützung durch die Bundeswehr. Das Ziel liegt auf der
Hand – dem/n gemeinsamen Konkurrenten Russland (und China) verdeutlichen, dass
USA und NATO nicht nur Hand in Hand agieren können, sondern sich auch darauf
vorbereiten, einen Krieg im Ernstfall zu gewinnen.

Das Manöver
entspricht somit nicht nur dem militärischen Schwerpunkt der USA, sondern auch
jener Kräfte in der EU, die China als zunehmenden Rivalen ausmachen. Ob und wie
lange die westliche Allianz sich einheitlich hinter den USA versammelt, ist
freilich offen – in jedem Fall entspricht ein Großmanöver aber auch der
„verteidigungspolitischen“ Wende, die auch die VertreterInnen des deutschen
Imperialismus und der EU forcieren wollen. Wer bei der Neuaufteilung der Welt
nicht nur mitreden, sondern auch gewinnen will, muss militärisch aufrüsten,
aufholen, muss sich „selbstbewusst“ präsentieren und seine „Zurückhaltung“
aufgeben.

Am deutschen
Wesen soll die Westlessness genesen

Wenn es darum
geht, wie das Problem der „Westlessness“ gelöst werden soll, schlägt die
Sicherheitskonferenz, wenn auch im Ton moderat, einen stärker „europäischen“
und das heißt für hiesige ImperialistInnen automatisch einen stärker
„deutschen“ Kurs vor.

Der Organisator der Konferenz, Ischinger, selbst ein lang gedienter politischer Stratege, der von den 1970er Jahren bis in die 2000er unter verschiedenen Regierungen als politischer Staatssekretär und Abteilungsleiter im Außenamt sowie als Botschafter fungierte, fasst die Schwerpunkte und politische Zielsetzung der Konferenz in einem Interview für „Internationale Politik und Gesellschaft“ folgendermaßen zusammen:

„Diese Frage
wird die Konferenz 2020 beschäftigen: ist der Westen heute weniger westlich,
und ist gar die ganze Welt weniger westlich geworden? Das ist ein erster Punkt.

Ein zweiter
Punkt ist folgender: Wenn wir feststellen müssen, dass wir ein ziemlich
chaotisches Bild globaler Ordnung haben, dann stellt sich die Frage: Welche
Rolle spielt eigentlich Europa – als Stabilitätsanker und nicht als Teil der
Zerfallserscheinungen? (…)

Dann schließt
daran die dritte Frage an: Was ist mit der Rolle Deutschlands? Was sind die
Erwartungen an Deutschland?“

Auf die Fragen folgt auch eine Antwort. Europa müsste seine Kleinstaaterei überwinden, Deutschland seine außenpolitische und militärische „Zurückhaltung“ aufgeben. Schließlich, so Ischinger, liefen die letzten Jahre nicht so gut für die imperialistischen Länder Europas. Sie sind trotz ihres ökonomischen Gewichts und einer noch größeren gemeinsamen Potenz zurückgefallen.

Obwohl die EU
eine der größten Industrie- und Handelsmächte ist, vermag sie diese nicht in
geostrategisches Gewicht umzumünzen – und dazu brauche es eine Überwindung
ihrer inneren Gegensätze und eine gemeinsame geo-politische Agenda.

Und natürlich
hat Ischinger auch eine Antwort darauf parat, wer diese vorantreiben und wie
diese etwa aussehen solle. Die „Vorstöße“ Macrons hält er für hilfreich, weil
sie die richtigen Fragen aufwerfen würden, in etlichen Fällen – so z. B. seiner
NATO-Schelte – für überzogen, falsch und kontraproduktiv.

Die eigentliche
Führung komme, auch wenn er das nicht so klar ausspricht, somit Deutschland zu.
Das müsse sich nur von seiner „bequemen“ und passiven Haltung verabschieden.
Sicherheitspolitik, Verteidigung, Sicherung der Grenzen dürften nicht mehr
vernachlässigt werden. Zum Glück, so fährt er weiter fort, bessere sich die
Lage jedoch.

Von der Leyen
zeige mit ihrer „geo-politischen“ Agenda für die EU den Weg, Kramp-Karrenbauer
gehe endlich die Aufrüstung der Bundeswehr richtig an. Gemeinsame Manöver mit
den USA und die NATO seien zumindest mittelfristig, solange Deutschland und ein
geeintes Europa über keine eigenen Atomwaffen verfügen, unerlässlich. Defender
Europe 2020 verdeutliche gegenüber Russland endlich, dass sich Europa (und
somit auch Deutschland) verteidigen könne und wolle. Aber Ansätze zu vermehrten
Auslandsinterventionen, „Friedensmissionen“ und EU-Programme wie die jüngst
beschlossene Marinemission im Persischen Golf zur Sicherung eigener
ökonomischer und geostrategischer Interessen wären Schritte in die richtige
Richtung.

Die diesjährige
Sicherheitskonferenz steht nicht nur im Zeichen einer Diskussion der aktuellen
Weltlage und Krisen, sie versteht sich vor allem als Beitrag, den deutschen
Imperialismus fit für den Kampf um die Neuaufteilung der Welt zu machen.

Der Hauptfeind steht im eigenen Land

Wir unterstützen
die Aktionen und die Demonstration gegen die Konferenz der KriegstreiberInnen,
der imperialistischen PolitikerInnen und StrategInnen, der VertreterInnen
repressiver Regime, der Rüstungsindustrie und des Großkapitals.

Die Sicherheitskonferenz verdeutlicht einmal mehr, dass dem Kampf gegen Militarismus, Aufrüstung und Militärinterventionen in der gegenwärtigen weltpolitischen Lage eine zentrale Bedeutung zukommt. Sie zeigt wiederum auch, dass der Hauptfeind im „eigenen“ Land steht. Nur durch eine klare, internationalistische und antiimperialistische Ausrichtung und den Versuch, gezielt GewerkschafterInnen, Lohnabhängige und vor allem Jugendliche anzusprechen, kann es gelingen, eine Massenbewegung gegen die versammelten KriegstreiberInnen aufzubauen – eine Bewegung, die nicht nur Aufrüstung und Krieg, sondern auch ihre Ursache, das imperialistische Weltsystem ins Visier nimmt.

Demonstration gegen die Münchner Sicherheitskonferenz

Samstag, 15. Februar, 13.00, Stachus

Webseiten zur Information über die Demostration

www.sicherheitskonferenz.de

www.antisiko.de