Handeln statt Hoffen: Welche Strategie für Fridays for Future?

REVOLUTION, Infomail 1085, 19. Januar 2020

Dieses Papier
ist aufgrund einer Strategiedebatte innerhalb der bundesweiten Struktur von FFF
entstanden. Als REVOLUTION beteiligen wir uns seit einiger Zeit an den
Klimaprotesten und unterstützen diese praktisch. Dieses Papier versucht, vor
allem zwei Fragen zu beantworten:

  • Wie können wir unseren Protest im nächsten Jahr voranbringen und unsere Forderungen durchsetzen?
  • Wie können wir unsere Struktur verbessern?

Dabei haben wir
den ersten Teil vorangestellt, da wir glauben, dass die Inhalte auch maßgeblich
das Vorankommen, aber auch die Form unseres Protestes bestimmen. Viel Spaß beim
Lesen! Wer Weiteres mit uns diskutieren möchte oder seine_ihre Kritik mit uns
direkt teilen will, kann sich unter strategiefff@riseup.net
bei uns melden!

Kurze Bilanz

Seit einem Jahr
streiken wir und haben es geschafft, große öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen.
Jeden Freitag sind in verschiedenen deutschen Städten Menschen auf die Straße
gegangen, zudem gab es 4 internationale Aktionstage. Hierzulande beteiligten
sich am 20.09.2019 sogar 1,4 Millionen. Das ist die größte Mobilisierung seit
Jahren. Kurz: Viele sind sich der Problematik der Klimakrise nun bewusst und
Politik und Medien mussten sich vermehrt mit dem Thema beschäftigen. Unsere
Forderungen wurden allerdings nicht umgesetzt. Mit dem Klimapaket können die
Ziele des Pariser Klimaabkommens sowie die 1,5°-C Grenze nicht eingehalten
werden. Dieses ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Auch die
UN-Klimakonferenz in Madrid endete ergebnislos und hinterlässt mal wieder den
Eindruck, dass es kaum AkteurInnen des aktuellen Wirtschafts- und
Staatensystems gibt, die unsere Klimaziele umsetzen wollen. Aber wir wollen uns
nicht demoralisieren lassen, sondern fragen uns: Was nun?

Welche Strategie
brauchen wir?

Wie schon
geschrieben: Wir sind viele. Aber das reicht nicht aus, um etwas zu ändern.
Damit wir mehr werden – und vor allem mehr erreichen – müssen wir im nächsten
Jahr gezielter vorgehen. Statt Klimaschutz individuell zu denken (Was kann
jede_r von uns einzeln tun?) müssen wir kollektive Verbesserungen erkämpfen.
Das hat zwei Gründe: Zum einen sprechen wir so mehr Menschen an, denn aktuell
wird Klimaschutz nur mit Verzicht, Verboten und Steuererhöhungen in Verbindung
gebracht. Das schreckt ab, da sich das viele nicht leisten können und es auch
keine gute gesamtgesellschaftliche Perspektive ist. Zum anderen schaffen wir es
dadurch, im Hier und Jetzt Veränderungen zu erwirken, die nicht nur unseren
Lebensstandard erhöhen, sondern auch schnellere Auswirkungen auf unsere
Lebensgrundlage haben. Zusätzlich haben wir als Bewegung dann einen greifbaren
Erfolg! Konsumprotest kann nur ein begleitendes Mittel sein. Denn was nutzt ein
bewusster Verzicht, solange die von uns genutzte Energie durch Kohleverstromung
erzeugt wird oder Massenvernichtungswaffen gebaut werden?

Dazu müssen wir
die Interessen der Mehrheit nach einem Arbeitsplatz, einer gut bezahlten
Zukunft, einem besseren Leben in unsere Forderungen mit einbeziehen. Also kurz:
Lasst uns für Verbesserungen statt Verbote einstehen! Damit genau das umgesetzt
wird, müssen wir Interessenvertretungen eben jener mit einbeziehen. In diesem
Fall sind es die Gewerkschaften, sowie die politischen Parteien, mit denen
diese verbunden sind. Diese haben zwar in Fragen des Klimaschutzes in der
Vergangenheit nicht allzu viel erreicht, aber organisieren bereits eine Masse
an Leuten, die wir mit unseren Forderungen erreichen wollen und können. Ein
zentraler Ansatzpunkt für eine erfolgreiche Kampagne sind somit die Tarifrunden
der Länder im nächsten Jahr. Dort müssen wir uns als Fridays for Future
beteiligen und gleichzeitig eine eigene Position hineintragen, um Kämpfe zu
verbinden.

Wie können wir
die Kohlesubventionierung beenden und den Beschäftigten eine Perspektive
bieten?

Hier sollten wir
für einen Branchentarifvertrag eintreten. Dies bedeutet einheitliche Bezahlung
in der Energiebranche, damit sie nicht gegeneinander ausgespielt werden. Werden
dann Kohlekraftwerke geschlossen, bedarf es kostenloser Umschulungen und der
Erschließung neuer Jobs, beispielsweise im Bereich der erneuerbaren Energien,
die dann automatisch zu gleichem Lohn geleistet werden, damit die Beschäftigten
eine Perspektive für weitere Arbeit haben. Dies muss dann beispielsweise aus den
aktuellen Subventionen für die Kohle gezahlt werden sowie durch die stärkere
Besteuerung von Unternehmen wie RWE. Weigern sich diese, müssen wir für die Enteignung
dieser Firmen eintreten, die jahrelang von der Zerstörung unserer
Lebensgrundlage profitiert haben.

Verkehrswende
statt Klimawandel!

Diese kann nicht
alleinig durch E-Mobilität bewerkstelligt werden. Wir müssen für einen
kostenlosen ÖPNV eintreten unter Kontrolle der Beschäftigten und Nutzenden.
Statt den Schwerpunkt auf individuelle Verkehrsmittel zu legen, sollten wir auf
die Verbesserung von kollektiven Fortbewegungseinrichtungen setzen. Diese
Forderung kann nur real werden, wenn wir für massive Investitionen in die Bahn
eintreten, für mehr Personal mit besseren Löhnen und den Ausbau der
Streckennetze und Infrastruktur in der Fläche. Dazu müssen wir aktiv auf die
Beschäftigten zugehen und sie einladen, gemeinsame Aktionen mit uns zu machen.
Beispielsweise bedarf es Vollversammlungen in Schulen und Betrieben, wo wir
gemeinsam über diese Thematik diskutieren können und müssen. Daneben können wir
auch unsere Streiks miteinander verbinden. Statt uns auf das Gerede der
Konzerne und Regierungen zu verlassen, dass nicht genug Geld dafür da ist,
sollten wir für die Einsicht in die Geschäftsbücher eintreten. Schließlich geht
der Klimaschutz uns alle an.

Holt die
Gewerkschaften mit ins Boot!

Nicht umsonst
sind im Rahmen des weltweiten Generalstreiks 1,4 Millionen Leute auf die Straße
gegangen. Das zeigt: Diese Aufforderung hat Wirkung. Wenn wir mehr als das
Klimapaket haben wollen, dann müssen wir uns dieses Mittels bedienen! Dadurch,
dass Unternehmen Verluste einfahren, erwirken wir Druck auf Politik und
Kapital. Wir als Fridays for Future müssen deshalb die Gewerkschaften zum einen
offen aufrufen, dies mit uns gemeinsam zu veranstalten, indem sie a) offen dazu
aufrufen und b) im Vorfeld Vollversammlungen in den Betrieben organisieren.
Durch die oben genannten Forderungen haben wir dann gleichzeitig Kontakt zur
Belegschaft und können dies ebenfalls unterstützen, sollte dies nicht
passieren. Nur so können wir uns in Stellung bringen, unsere Forderungen
durchzusetzen. Gemeinsame Kämpfe mit den Beschäftigten sind in einer Situation,
in der die Wirtschaft weltweit stagniert, besonders wichtig. Denn wir dürfen
nicht zulassen, dass die Unternehmen die Kosten der ökologischen Krise durch
Massenentlassungen und Auslagerung von umweltschädlicher Produktion in andere
Nationen auf die Schultern der Lohnabhängigen abladen.

Klimaschutz
kennt keine Grenzen!

Das Problem des
Klimawandels lässt sich nicht in einem Land lösen. Wenn wir wachsen wollen,
müssen wir unsere Kämpfe verbinden und über Nationalstaatsgrenzen hinweg gegen
eine Politik eintreten, die dafür sorgt, dass die Produktion in andere Länder
verlagert wird und dort Löhne drückt sowie die Umwelt zerstört. Ein Schritt
dahin ist, Bewusstsein dafür zu schaffen und für die Anerkennung von
Umweltzerstörung als Fluchtursache und volle Staatsbürger_Innenrechte für
Geflüchtete einzutreten. Ebenso müssen die Länder, die besonders unter den
Folgen des Klimawandels leiden, durch Zahlungen der Klimakillerkonzerne, wie
beispielsweise RWE, entschädigt werden.

Welche Struktur
brauchen wir, um das zu erreichen?

a) Damit unser
Protest nicht stagniert und wir schnell handlungsfähig bleiben, bedarf es
ebenfalls Aktions- und Streikkomitees an den Orten, an denen wir uns tagtäglich
bewegen. Also an Schulen, Unis und Betrieben. Warum? Viele Aktivist_Innen gehen
regelmäßig freitags auf die Straße. Anstatt sich nur unter Gleichgesinnten zu
bewegen und die Spaltung in der Umweltfrage zu vertiefen, lohnt es sich, durch
Mobilisierungen, Vollversammlungen und kleinere Aktionen vor Ort die Debatte zu
anderen Leuten zu tragen. Das sorgt für eine stetige Auseinandersetzung und
befähigt gleichzeitig viele von uns, sich mehr einzubinden. Vor allem, da es
für viele leichter ist, sich dort zu organisieren, wo sie sich tagtäglich
bewegen. Es ist unsere Aufgabe, offen um unsere Perspektive zu streiten und
damit neue Aktivist_Innen für unsere Ziele zu gewinnen.

b) Diese
Basiskomitees können dann Vertreter_Innen ins Plenum schicken und Delegierte
wählen. Dieses System hat mehrere Vorteile. Denn aktuell ist das Problem, dass
sich nicht alle von uns verantwortlich fühlen, für die Sachen die entschieden
und umgesetzt werden. Dadurch machen manche Menschen sehr viel Arbeit und haben
viel Verantwortung, alles zu entscheiden. Der Großteil an Menschen wird in
diesen Prozess nicht einbezogen und übernimmt daher nur ab und zu Aufgaben.

c) Warum ist das
wichtig? Wir sind eine Jugendbewegung, die es geschafft hat, ins Gespräch zu
kommen. Unser Ziel muss aber auch sein, dass  Aktivist_Innen selbstständig
lernen zu handeln, anstatt zu hoffen – also sich eigenständig an unseren
Strukturen zu beteiligen. Dies geschieht vor allem auch darüber, dass wir offen
über Inhalte und Entscheidungen diskutieren. Nicht um der Selbstbeschäftigung
willen, sondern um der Bewegung willen. Nur wenn wir demokratische Strukturen
haben, an denen sich alle beteiligen können, schaffen wir es auch, eine
demokratische Bewegung zu sein.

d) Deswegen
müssen unsere Delegierten auch jederzeit rechenschaftspflichtig und wähl- und
abwählbar sein. Jede_r soll und darf Ideen einbringen. Gleichzeitig müssen
zentrale Momente der Bewegung wie Aktionstage, Forderungen und Perspektiven
gemeinsam besprochen und abgestimmt werden. Das muss aber auch für alle
Aktivist_Innen überprüfbar sein. Ansonsten droht die Gefahr, dass wichtige
strategische Entscheidungen nur von einem kleinen Teil getroffen werden. Was
aber passiert, wenn sich herausstellt, dass diese falsch oder nicht im
Interesse des gemeinsamen Ziels (Klimaschutz, yeah!) sind?

e) Um das zu
ermöglichen, brauchen wir Aktions- und Perspektivkonferenzen. Dort sollten sich
alle Aktivist_Innen treffen können und die Chance haben, über die zentralen
Entwicklungen und unterschiedlichen Ausrichtungen, die es gibt (und immer geben
wird), zu entscheiden. Der SoKo war hierfür ein guter Auftakt, aber wir
brauchen nicht nur Momente des Empowerments, wir brauchen offene politische
Debatten, Anträge, Wahlen und Entscheidungen. Eine solche Konferenz sollte im
Vorfeld eine offene Antragsphase haben.

f) Unser Ziel
ist es, nicht nur eine vorübergehende Bewegung zu schaffen, sondern die
Gesellschaft zu verändern! Hierfür brauchen wir nicht nur Leute, die regelmäßig
auf die Straße gehen und teilweise in den jeweiligen FFF-Ortsgruppen aktiv
sind, nein, wir brauchen Leute, die offen um ein politisches Programm
diskutieren, die sich einen Kopf machen. Dafür müssen wir allen Teilen der
Bewegung gleiche demokratische Rechte geben. Es braucht offene Diskussion, ob
die bittstellerische Haltung gegenüber der Bundesregierung überhaupt die Chance
hat, unsere Ziele zu erreichen, oder ob wir eine gesamtgesellschaftliche
Bewegung brauchen, die selbst die Zügel in die Hand nimmt und die
gesellschaftliche Produktion mit gleichen Möglichkeiten für alle Menschen und die
nachhaltige Beherrschung der Umwelt durch die Menschheit zum Ziel hat. Wenn die
Perspektive, die die Bewegung aktuell einnimmt, richtig ist, dann sollte sie
auch eine offene Debatte darüber überstehen und alle Teile der Bewegung darin
bestärken, für ihre Position zu kämpfen. Sollte die Position hingegen falsch
sein und wir keine Debatte darüber führen, so würden wir damit die riesigen
Chancen, eine neue Generation bewusster Aktivist_Innen zu begeistern und in
Bewegung zu bringen, verschenken.