Regierungsprogramm in Österreich: Ein grünes Feigenblatt für die ÖVP

Michael Märzen, Infomail 1083, 7. Januar 2019

Mit der Zustimmung von mehr als 93 % des
Bundeskongresses der Grünen zum schwarz-grünen Koalitionsabkommen ist die neue
österreichische Regierung fixiert. Doch die Zustimmungsquote täuscht über eine
berechtigte Skepsis an der Parteibasis hinweg, denn die Regierung steht
deutlich unter der Dominanz der ÖVP.

Die Volkspartei stellt 11 Ministerinnen und Minister
(darunter Finanzen, Inneres, Äußeres, Verteidigung, Wirtschaft, Arbeit,
Bildung, …) die Grünen nur vier (Justiz, Soziales, Umwelt, Kunst). Das
Regierungsprogramm selbst trägt eine rechts-konservative Handschrift. Dementsprechend
verfolgt die Grundausrichtung einen neoliberalen, rassistischen und autoritären
Kurs im Stil der „neuen Volkspartei“ unter Sebastian Kurz. Die ökologischen
Reformen, die wohl stark auf das Konto der Grünen gehen, werden zwar als Erfolg
präsentiert, einen ernsthaften Durchbruch in der Umweltpolitik bedeuten sie
aber nicht.

Große Zufriedenheit gibt es aber auch aufseiten der
Volkspartei nicht. Die vormalige schwarz-blaue Regierung war von Sebastian Kurz
als längeres strategisches Projekt angelegt worden, um bedeutende
Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung zurückzunehmen. Das ist zum Teil
gelungen, insbesondere bei der Ausweitung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit
auf 12 Stunden pro Tag bzw. 60 Stunden pro Woche oder bei der Reform der
Sozialversicherung, welche die finanziellen Beiträge der Unternehmen entlastet
und ihren VertreterInnen mehr politischen Einfluss gibt. Andere wichtige
Projekte wie eine Steuerreform, die Reform der Arbeitslosenversicherung oder
Kürzungen für die ArbeiterInnenkammer konnten jedoch nicht mehr umgesetzt
werden, weil die schwarz-blaue Koalition am Ibiza-Skandal von Heinz-Christian
Strache bzw. damit verbundenen Auseinandersetzungen zerbrochen ist. Weitere
Skandale und Streitereien um den ehemaligen Parteichef Strache haben die FPÖ so
stark erschüttert, dass eine Fortsetzung des schwarz-blauen Projekts nach den
Neuwahlen im September kaum mehr möglich erschien – zum Bedauern von Sebastian
Kurz. Angesichts des Rechtskurses der ÖVP einerseits und der politischen Krise
der Sozialdemokratie andererseits war auch eine Versöhnung dieser beiden
Parteien unrealistisch. Durch das starke „Comeback“ der Grünen ins Parlament
und die aktuelle Bedeutung des Klimawandels in der öffentlichen Debatte wurde
die „grüne Option“ für die Volkspartei nun naheliegend.

Zentrale Reformen

Das übergeordnete Kurz‘sche Projekt, die Abgabenquote auf 40 %
zu senken, bleibt auch in der Regierung mit den Grünen erhalten. Dahinter steht
die neoliberale Ideologie der Volkspartei, Unternehmen und Besserverdienende zu
entlasten. Natürlich bedeutet das auf der anderen Seite weniger Einnahmen,
worunter mittelfristig das Sozialsystem leiden wird – aber das ist Teil der
neoliberalen Idee. Die Senkung der Abgabenquote ist letztlich eine populistisch
formulierte Strategie, die zu einer Umverteilung von unten nach oben führt. Ein
Element davon ist die Reform der Einkommenssteuersätze nach unten, von der auch
große Teile der ArbeiterInnenklasse profitieren, aber natürlich auch die
reicheren Einkommen. Die ärmsten Teile der Bevölkerung, die kaum oder keine
Einkommenssteuer zahlen, bekommen dabei keine Entlastung. Für die Bourgeoisie
lockt zusätzlich die Reduzierung der Körperschaftssteuer (von 25 auf 21 %),
welche die Gewinne von größeren Unternehmen besteuert.

Zeitgleich zur Reduktion der Abgabenquote möchte die
Regierung auch am Staatshaushalt sparen und die Schuldenquote auf 60 % des
BIP herunterdrücken. In der letzten Regierungsperiode hat diese Logik noch
funktioniert, weil die gute wirtschaftliche Lage zu höheren Steuereinnahmen
geführt hat. Nun sind die Konjunkturaussichten allerdings schlecht und die
gewünschten Investitionen in den Klimaschutz werden auch nicht wenig kosten.
Angesichts einer möglichen Weltwirtschaftskrise wird das österreichische
Kapital auch wieder nach milliardenschweren Konjunkturprogrammen schreien bzw. es
werden möglicherweise sogar große Mengen Geld für Banken- oder
Unternehmensrettungen erforderlich werden.

Um ein gewisses Wahlzuckerl umzusetzen, plant die Regierung
eine Erweiterung des Kurz-Prestigeprojekts Familienbonus. Ab nun sollen
kinderreiche und einkommensstarke Haushalte mit bis zu 1.750 statt 1.500 Euro
Steuerrückerstattung pro Kind und Jahr profitieren, sofern sie überhaupt so
viel Einkommenssteuer zahlen. Zwar kommen nun nicht mehr nur alleinerziehende,
sondern alle Niedrigverdienenden in den Genuss eines erhöhten
„Kindermehrbetrags“, allerdings beträgt dieser immer noch nur 350 Euro pro
Kind.

Die Grünen haben sich mit letztgenannter Maßnahme offenbar
für den Familienbonus überzeugen lassen, weil sie damit Maßnahmen zur
Armutsbekämpfung behaupten können. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch die
Ankündigung eines „Lückenschlusses bei Niedriglöhnen“, welche unter den
niedrigsten Kollektivvertragslöhnen liegen. Die Ankündigung wirkt nett,
allerdings handelt es sich dabei keinesfalls um einen gesetzlichen Mindestlohn,
wie teilweise in Medien suggeriert, sondern um sozialpartnerschaftliche
Verhandlungen, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts Wesentliches
herauskommen wird.

Das „Arbeitslosengeld neu“ aus schwarz-blauen Zeiten, über
das die Notstandshilfe abgeschafft werden sollte, findet sich in dieser Form
nicht mehr, allerdings eine „Weiterentwicklung des Arbeitslosengelds mit
Anreizen, damit arbeitslose Menschen wieder schnell ins Erwerbsleben
zurückkehren können“. Das zeigt natürlich, dass die ÖVP nicht von ihren
Reformplänen ablassen möchte, aber wohl keine Einigung erzielen konnte. Wie ein
grünen-konformer Angriff auf die Arbeitslosen aussehen kann, wird wohl noch
verhandelt.

Die Lage der Frauen wird sich mit dieser Regierung wohl kaum
verbessern. Nach Förderungskürzungen für Frauenvereine und einem
kontraproduktiven „Gewaltschutzpaket“, welches Gesundheitspersonal über den
Willen der Betroffenen hinweg zu Anzeigen bei Verdacht von Vergewaltigung
verpflichtet, soll das Frauenbudget in unbekannter Höhe aufgestockt werden und wird
es Ressourcen für Gewaltschutzzentren geben. Außerdem wird die Kinderbetreuung
ausgebaut (mit einem mittelfristig eventuell verpflichtenden zweiten
Kindergartenjahr) und die Umsatzsteuer auf Hygieneartikel für Frauen reduziert.
Eine geplante Studie über die Verteilung unbezahlter Arbeit wird dann zeigen,
dass sich an der geschlechtlichen Arbeitsteilung, der Grundlage für Sexismus
und Frauenunterdrückung, nichts geändert hat. Dazu wären eine Arbeitszeitverkürzung
und die Organisierung der Reproduktionsarbeit als eine gesellschaftliche
Aufgabe nötig.

Natürlich finden sich in diesem Regierungsprogramm wieder
einige rassistische Maßnahmen, mit denen die Kurz-ÖVP bei den rechtsstehenden
WählerInnen punkten will. So wird das schwarz-blaue Projekt der sogenannten
„Deutschförderklassen“ fortgeführt, d. h. für 15–20 Wochenstunden die
Separation von Kindern und Jugendlichen mit „ungenügenden Deutschkenntnissen“
vom Rest der Klasse. Anknüpfend an die schwarz-blauen Pläne soll die
„Versorgung und Rechtsvertretung von Schutzsuchenden“, d. h. von
AsylwerberInnen, „verstaatlicht“ werden, soll heißen, diese Aufgabe den NGOs zu
entziehen. Das würde mit Sicherheit zu einer schlechteren Situation für
Geflüchtete führen. Relativiert wird dieser Plan nur dadurch, dass die NGOs
einen „Qualitätsbeirat“ beschicken sollen. Wenig überraschend will man auch die
Asylverfahren beschleunigen, sich also weniger Zeit für ein angemessenes
Verfahren nehmen und orientiert sich nur noch an den „Mindeststandards“ der
Genfer Flüchtlingskonvention. Weiters soll es ein Kopftuchverbot für Mädchen
unter 14 an Schulen geben, was mit der „Religionsmündigkeit“ begründet wird,
andere religiöse Maßnahmen gegenüber Kindern wie Taufen, Beschneidungen usw.
werden dagegen toleriert.

Prinzipiell haben die ÖVP und Grünen sich im Bereich von
Flucht, Migration und Asyl die Möglichkeit offengehalten, potenziell ohne die
Koalitionspartnerin Gesetze in den Nationalrat einzubringen. In der Realität kann
die ÖVP daher jederzeit auf die FPÖ, mit der sie zusammen eine Mehrheit im
Nationalrat hält, zurückgreifen.

Ebenfalls unter „Asyl“ angeführt, obwohl es wohl alle
betreffen wird, ist die Einführung einer sogenannten „Sicherungshaft“, mit der
Personen präventiv, also auf Verdacht, eingesperrt werden sollen. Dieser
Schritt in Richtung Polizeistaat wird von einer gehörigen Aufstockung der
Polizei begleitet. Es soll gleich 2.300 zusätzliche Planstellen und 2.000
zusätzliche Ausbildungsplätze geben. Zur antimuslimischen Paranoia passt die
Einführung einer Dokumentationsstelle für „politischen Islam“, der pauschal als
Extremismus gebrandmarkt wird. Ganz allgemein soll es Maßnahmen gegen Vereine
mit „staatsfeindlichem Gedankengut“ geben. Als Beispiel werden hier die
Identitären genannt, aber zu befürchten sind Gesetze, die selbst linke
Organisationen mit revolutionärem oder schlicht staatskritischem Anspruch
treffen.

Für die Grünen und die Umweltbewegung ist das wichtigste
Thema natürlich der Klimaschutz. Hier plant die Regierung eine
„Klimaneutralität“ bis 2040 und 100 % Ökostrom ab 2030. Dazu sollen der nationale
Energie- und Klimaplan nachgebessert und Emissionsreduktionsziele festgelegt
werden. Darin finden sich durchaus gute Maßnahmen wie der Ausbau des
öffentlichen Verkehrs, ein 1-Million-Dächer-Photovoltaik-Programm oder ein
Ausstieg aus der fossilen Raumwärme. Eine CO2-Bepreisung soll durch eine Taskforce für 2022 erarbeitet
werden. Hier gab es offenbar keine Einigung. So oder so reichen diese Maßnahmen
allerdings wohl kaum, um die Klimaneutralität zu erreichen. Dazu bräuchte es
die Verstaatlichung der Konzerne und einen Wirtschaftsplan, um die CO2-Emissionen gezielt zu
reduzieren.

Rolle der Grünen und linke Strategie

Die Grünen sind sich über ihre untergeordnete,
steigbügelhalterische Stellung in dieser Regierung bewusst. Allerdings sehen
sie den Kompromiss als Notwendigkeit, um in der Umweltpolitik etwas voranzubringen.
Tatsächlich werden die ökologischen Maßnahmen für eine „grüne Wende“ aber nicht
ausreichen und die grüne Politik muss an den kurzfristigen Profitinteressen der
Bourgeoisie scheitern. Darüber hinwegzutäuschen, ist im wahrsten Sinne des
Wortes brandgefährlich. Die Grüne Partei offenbart sich dabei nun als
ökologisches Feigenblatt für reaktionäre bürgerliche Politik.

Dass die Grenzen der schwarz-grünen Klimapolitik ersichtlich
werden und zusätzlich Reibungen in der Regierung entstehen, bei denen die
Grünen wohl oder übel einknicken werden, wird sich auch in der Klimabewegung
ausdrücken. Die künftigen Auseinandersetzungen um eine radikalere Strategie sind
ein wichtiger Ansatzpunkt für die Linke, um die Klimabewegung von ihren
(klein)bürgerlichen Illusionen zu trennen und für ein Bündnis mit der ArbeiterInnenbewegung
zu gewinnen. Umgekehrt muss ein entsprechender Kampf in der ArbeiterInnenklasse,
insbesondere in den Gewerkschaften geführt werden. Auf diese Weise können die
Grünen auch so unter Druck kommen, dass die Regierung fällt und die ÖVP
isoliert wird. Eine internationalistische Offensive der Umwelt- und ArbeiterInnenbewegung,
die sich auf eine rätedemokratischen Organisierung stützt, kann dann die
antikapitalistische Zukunftsperspektive für die Milliarden Werktätigen
aufzeigen, die heute so dringend nötig ist.