Strategiekonferenz klassenkämpferischer GewerkschafterInnen: Aufgaben und Ziele

Frederik Haber, Neue Internationale 243, Dezember 2019/Januar 2020

Die Gewerkschaften in Deutschland haben angesichts von
Neoliberalismus und Globalisierung und den damit verbundenen Angriffen des
Kapitals alle Chancen verpasst, aus der Defensive herauszukommen – und sie
hatten auch keinen Plan dafür.

Das sieht man daran, dass praktisch alle Maßnahmen und
Vereinbarungen, die „das Schlimmste verhindern“ sollten, die nächsten Angriffe
erlaubt und erleichtert oder den Widerstand dagegen erschwert haben.

In den letzten Jahrzehnten führte das zu mehreren politisch
verheerenden Resultaten:

  1. Die Gewerkschaften organisieren einen immer kleiner werdenden Teil der Lohnabhängigen. Sie konzentrieren sich immer mehr auf Organisierte in der Großindustrie oder in schon organisierten Bereichen des öffentlichen Dienstes und des Dienstleistungssektors.
  2. Trotz wichtiger einzelner Gegenspiele wie z. B. im Gesundheitssektor blieben größere Abwehrkämpfe aus. Die Vorherrschaft der Bürokratie, die Dominanz des Apparates und der Betriebsräte der Großbetriebe nahmen eher zu.
  3. Ein monströses System der Klassenzusammenarbeit und die Ideologie der „Sozialpartnerschaft“ bestimmen die Gewerkschaftspolitik und jene der meisten Betriebsräte. Die DGB-Gewerkschaften stellen eine soziale Hauptstütze der Großen Koalition dar – und agieren dementsprechend in allen Politikfeldern.

Die Bürokratie hofft, die nächste kapitalistische Krise
durch noch mehr Zusammenarbeit mit dem Kapital, noch mehr „Partnerschaft“ bei der
Sicherung der Interessen des deutschen Exports und des Großkapitals insgesamt
zu überstehen. Kein Wunder, dass immer größere Teile der ArbeiterInnenklasse
von diesen „Interessenvertretungen“ entfremdet, dass ganze Sektoren der
Ökonomie wenig oder gar nicht organisiert sind.

Die klassenkämpferischen und linken Kräfte in den
Gewerkschaften wurden in den letzten Jahren schwächer, nicht stärker. Dafür
gibt es mehrere Ursachen: Erstens die Niederlagen durch Hartz- und
Agenda-Gesetze sowie die sozialpartnerschaftliche Politik in der Rezession, die
die Bürokratie (v. a. in IG Metall und IG BCE) stärkte. Zweitens die Übernahme
und Zähmung von Ansätzen einer größeren Gewerkschaftslinken durch die
Linkspartei. Drittens die weitgehende Ausblendung des politischen und
ökonomischen Gesamtzusammenhangs aus der Aktivität der gewerkschaftlichen und
betrieblichen Oppositionsansätze.

Gerade die aktuelle Krisenperiode erfordert aber eine
politische, nicht bloß eine gewerkschaftliche Strategie, wenn wir eine
klassenkämpferische Basisbewegung, eine echte Opposition gegen die Bürokratie
bundesweit aufbauen wollen.

Zur Strategiekonferenz in Frankfurt am 25./26. Januar treffen sich all jene, die, wenn auch mit unterschiedlichen politischen Ansätzen und Analysen, erkannt haben, dass es einer Neuformierung der Gewerkschaftslinken bedarf, dass dazu nicht nur praktische, sondern auch strategische und programmatische Fragen diskutiert werden müssen.

Fundamentale Krise

Wir denken, dass es angesichts der fundamentalen Krise der
Gewerkschaften nicht nur darum gehen kann, einzelne Forderungen zu einzelnen
Missständen zu bündeln, sondern dass es um eine zusammenhängende Strategie,
Konzeption und letztlich ein Aktionsprogramm geht mit dem Ziel, eine
klassenkämpferische Basisbewegung, eine organisierte Opposition nicht nur gegen
rechte BürokratInnen, sondern das gesamte System der Bürokratie aufzubauen.

Die (Irre-)Führung der Gewerkschaften hat ihre Ursache in
der politischen Unterordnung unter die Anforderungen der KapitalistInnen und
ihrer Regierung, ja der allgemeinen Fesselung an das kapitalistische System
mitsamt seinen Krisen. Auch wenn GewerkschaftsführerInnen heute nicht mehr so
offen mit ihren SPD-Parteibüchern wedeln, sind sie auf das Engste mit dieser
Partei und ihrer Politik verbunden.

Wie in allen Landesregierungen ordnen sich auch die
Mitglieder der Linkspartei in den Gewerkschaftsapparaten den kapitalistischen
„Sachzwängen“ unter. Erst recht gilt das für gesellschaftliche Fragen und für
die internationale Politik. So treten auch die Gewerkschaften für staatliche
kontrollierte, also beschränkte Migration, für die Abriegelung der
EU-Außergrenzen, für ein, wenn auch „menschlicheres“ Sanktionssystem für
Erwerbslose usw. ein, ohne dass es nennenswerten Widerstand von Seiten der
Linkspartei dagegen gibt.

Das Verhindern und Abwürgen von Kämpfen und Aktionen durch
nicht nachvollziehbare „politische“ Argumente und die Anpassung an die
„weltwirtschaftlichen Gegebenkeiten“ durch die Bürokratie, also die
Unterordnung unter sozialpartnerschaftliche Dogmen, führt dazu, dass etliche
kämpferische KollegInnen dazu neigen, sich auf „reine Interessenvertretung“ zu
konzentrieren. Auch AktivistInnen aus antikapitalistischen Gruppierungen
beschreiten zu oft diesen Weg – auch wenn sie selbst politische Standpunkte zu
Einzelfragen einnehmen mögen. Wir halten das für falsch: Im Gegenteil, die
Kämpferinnen und Kämpfer der Zukunft müssen politisch bewaffnet werden, wenn
sie gegen die Unterordnung der Gewerkschaften unter das Kapital und gegen die
Herrschaft der Bürokratie erfolgreich sein wollen.

Wofür kämpfen?

Weiter oben haben wir schon auf die Rolle der
Gewerkschaftsführungen – und unter ihrer Regie der Gewerkschaften selbst – beim
Krisenmanagement des deutschen Kapitals verwiesen. Um die Gewerkschaften
wiederzubeleben und zu Kampfinstrumenten zu machen, braucht es nicht nur ein
Verständnis der aktuellen Krise des Kapitalismus und der dramatischen Angriffe,
die uns bevorstehen.

Wenn die „Gewerkschaftslinke“ zu einer Alternative zur
Bürokratie werden will, braucht sie auch ein alternatives Aktionsprogramm, ein
Programm des Klassenkampfes, das sie der Sozialpartnerschaft gegenüberstellt.

Die Strategiekonferenz wird sicher noch nicht in der Lage
sein, ein solches Programm zu beschließen – sie sollte aber erstens eine
systematische Diskussion in Gang setzen und bundesweit organisieren. Zweitens
kann und sollte sie sich um zentrale Forderungen verständigen, die sie zu den
wichtigsten gewerkschaftlichen und politischen Fragen erhebt, die in der
nächsten Periode auf uns zukommen werden. Die verschiedenen Arbeitsgruppen
können und sollten dazu konkrete Vorschläge erarbeiten, die in eine
Abschlusserklärung der Konferenz einfließen.

In jedem Fall sollte die Konferenz folgende Fragen
diskutieren:

  • Kampf gegen alle Entlassungen! Für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Für ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs, zum Wohnungsbau, im Gesundheits- und Bildungswesen unter Kontrolle der Beschäftigten und der Gewerkschaften!
  • Abschaffung von Hartz IV! Für ein Existenz sicherndes Mindesteinkommen von 1100,- Euro plus Warmmiete und Mindestrenten in dieser Höhe! Für einen Mindestlohn von 12,- Euro netto/Stunde!
  • Für die enge Verbindung mit der Umweltbewegung! Bezahlung des ökologischen Umbaus durch die Besteuerung der Reichen und die Enteignung der gesamten Energiewirtschaft unter Kontrolle der ArbeiterInnenklasse!
  • Organisierung der Unorganisierten! Dies erfordert, einen zentralen Fokus auf die Gewinnung von prekär Beschäftigten zu richten, verbunden mit Kampagnen zur Arbeitszeitverkürzung und zum gesetzlichen Mindestlohn!
  • Faschismus und Rassismus bekämpfen! Offene Grenzen, keine Abschiebungen! Volle StaatsbürgerInnenrechte für alle Geflüchteten und MigrantInnen, Aufnahme der Geflüchteten in die Gewerkschaften!
  • Verbindung der Tarifkämpfe mit den Kämpfen gegen Entlassungen! Abschaffung aller Einschränkungen des Streikrechts, insbesondere politischer Streiks!
  • Internationale Koordinierung der gewerkschaftlichen und sozialen Kämpfe – für eine europaweite Aktionskonferenz gegen die Krise zur Diskussion und Koordinierung des gemeinsamen Abwehrkampfes!

Andere Methoden, um zu kämpfen!

Solche Forderungen müssen von aktiven und oppositionellen
GewerkschafterInnen in Betriebsgruppen, Vertrauensleutekörpern oder auf
Delegiertenkonferenzen eingebracht werden, um die Bürokratie unter Druck zu
setzen und kämpferische Kräfte zu gruppieren.

Um die Allmacht der Apparate zu brechen, braucht es auch
einen systematischen Kampf. Dieser muss mit der Demokratisierung der
Gewerkschaften beginnen. Wir müssen uns vor allem dafür einsetzen, dass die
Mitglieder, ja die Belegschaften allgemein über Forderungen und Kampfmethoden
entscheiden. Nur wenn sie ins Spiel kommen, können Kräfteverhältnisse so geändert
werden, dass andere Entscheidungen möglich werden. Eine Handvoll Leute mit
Resolutionen erreichen das nicht.

Verbunden muss das mit dem Kampf gegen die Einschränkung der
politischen Tätigkeit in den Gewerkschaften selbst werden. Das gegenwärtige
System der „Einheitsgewerkschaft“ DGB kommt einem politischen Maulkorb für jede
oppositionelle, nicht-sozialdemokratische Strömung gleich. Wir treten daher für
das Recht auf Bildung politischer Fraktionen in den Gewerkschaften und
Betrieben ein.

Basisbewegung

Das erfordert, dass programmatische Diskussionen, wie sie
eine zukünftige Gewerkschaftslinke braucht, helfen müssen, die bestehenden
Differenzen demokratisch zu bearbeiten und zugleich neuen AktivistInnen einen
Zugriff auf die Probleme zu erlauben. Also die besten Traditionen der
gewerkschaftlichen Bildung wieder aufzugreifen bei gleichzeitiger Erarbeitung
eines Aktionsprogramms für eine klassenkämpferische Basisbewegung, eine
organisierte anti-bürokratische Opposition.

Am Aufbau einer Opposition können auch FunktionärInnen und
selbst Hauptamtliche teilnehmen. Das Ziel kann und darf jedoch nicht darin
bestehen, im Rahmen der bestehenden bürokratischen Struktur einfach nur mehr
Posten zu gewinnen oder Linke besser zu vernetzen – es geht darum, das
existierende bürokratische System zu zerbrechen und durch ein
arbeiterInnendemokratisches zu ersetzen. Alle FunktionsträgerInnen  auf gewerkschaftlicher und
betrieblicher Ebene müssen ihrer Basis rechenschaftspflichtig, von ihr gewählt
und abwählbar sein. Kein/e FunktionärIn darf mehr als ein durchschnittliches
FacharbeiterInnengehalt verdienen.

Heute haben Hauptamtliche noch weniger Spielraum als früher
und vielen, die als Linke einen solchen Job haben, fehlt das politische
Rüstzeug, um dem Druck des Reformismus und der Sozialpartnerschaft
standzuhalten. Das heißt nicht, dass die Krise der Gewerkschaften nicht Risse
im Apparat produzieren kann, die eine unabhängig strukturierte Opposition
auszunutzen vermag.

Vor allem aber darf sich eine oppositionelle,
klassenkämpferische Bewegung in Betrieb und Gewerkschaften nicht von „linken“
Teilen des Apparates abhängig machen oder zu deren ZuträgerInnen verkommen.

Strukturen

Der Weg zum Aufbau einer Basisbewegung geht vor allem über
die Sammlung und Organisierung von BasisaktivistInnen, die trotz der
Verweigerung durch die Apparate den Kampf suchen, die die Herausforderung durch
die Angriffe der UnternehmerInnen annehmen und den Widerstand suchen. Sie muss
außerdem auch der Tatsache Rechnung tragen, dass sogar viele kämpferische ArbeiterInnen
heute den Gewerkschaften mit berechtigter Skepsis gegenüberstehen oder in
weitgehend unorganisierten Sektoren arbeiten. Ein Schritt beim Aufbau eine
klassenkämpferischen Basisbewegung müsste auch darin bestehen, diese für diese
KollegInnen zu öffnen und auch gemeinsame Kämpfe zu organisieren.

Mit anderen Worten, eine zukünftige Opposition muss da
eingreifen, wo Kolleginnen und Kollegen sie brauchen: beim Kampf gegen
Entlassungen und Werksschließungen, beim Aufbau betrieblicher Gruppen und
alternativer Betriebsratslisten, beim Kampf gegen Arbeitslosigkeit und
Prekarisierung.

Dazu brauchen wir handlungsfähige Strukturen, also örtliche
Gruppen. Viele der bestehenden nennen sich „Foren“, aber es muss klar sein,
dass die Aufgaben solcher Gruppen weit über den Austausch von Infos und
Meinungen hinausgehen müssen.

Eine bundesweite Koordinierung muss nicht nur Material für
die lokale Arbeit produzieren und Treffen, z. B. auch von Arbeitsgruppen,
organisieren, sondern auch beim Aufbau lokaler Gruppen helfen. Eine
provisorische Koordinierung sollte in Frankfurt gewählt werden, aber sie sollte
flexibel genug sein, VertreterInnen neuer Lokalgruppen und weiterer
Organisationen zu kooptieren.

Handlungsfähigkeit setzt auch demokratische Willensbildung
und Legitimation voraus. Wir müssen damit verantwortungsvoll umgehen.
Einerseits müssen Konflikte demokratisch, also durch Abstimmung entscheiden
werden genauso wie eine zukünftige Koordinierung gewählt werden sollte.
Zugleich macht es keinen Sinn, durch Majorisierung an einzelnen Terminen
Kurswechsel durchzustimmen, die nicht tragfähig sind. Deshalb schlagen wir vor,
dass alle so weit wie möglich ihre politische Orientierung offenlegen und
zweitens sichergestellt wird, dass für die anstehende Aufbauphase jede Organisation
darauf verzichtet, eine absolute Mehrheit in Leitungsgremien zu besetzen.

Vorbereiten

Wir brauchen uns keine Illusionen zu machen: Die
reformistischen BürokratInnen werden die Strategiekonferenz als Kampfansage
begreifen und bekämpfen. Da hilft es nicht, wenn wir uns in Unverbindlichkeit
oder Harmlosigkeit hüllen. Wir müssen unser Recht auf Debatte über die Zukunft
der ArbeiterInnenbewegung erkämpfen und zwar gerade gegen diejenigen, die sie
in den Sand gefahren haben.

Das Ziel dieser Konferenz ist eine neue Strategie, eine
andere Strategie und wir wollen sie nicht nur entwickeln, sondern durch- und
umsetzen und das heißt auch mit Leuten, die das wollen und können, und in
Strukturen, die von den Mitgliedern kontrolliert werden und nicht vom Apparat.

Ergreifen wir unsere Chance!