Proteste und Gentrifizierung in Leipzig-Connewitz

Leonie Schmidt, REVOLUTION und ArbeiterInnenmacht

Seit einigen
Jahren boomt Leipzig, viele Menschen ziehen in die sächsische Stadt. Das
schlägt sich natürlich auch auf dem Wohnungsmarkt nieder. Allerdings nicht nur
in den sowieso schon teuren Gegenden, sondern mittlerweile auch in alternativen
Stadtvierteln wie Plagwitz oder auch im Szeneviertel Connewitz, welches schon
seit den 1990ern für seine linken Freiräume bekannt ist. Während die Häuser
hier vorerst unangetastet blieben, kam es in den letzten Jahren zu
Mieterhöhungen, Renovierungen und Neubauten. Wirklich günstig kann man
mittlerweile hier auch nur noch leben, wenn man einen 15 Jahre alten
Mietvertrag hat.

Aktuell gibt es
gleich mehrere Projekte für Luxusbauten, wie beispielsweise drei in der
Wolfgang-Heinze-Straße, welche die Mietpreise in die Höhe treiben und Menschen
aus dem Kiez verdrängen. Andere sind ebenfalls schon fertig gestellt wie die
Studierendenapartments am Connewitzer Kreuz, in welcher ein 19 m² kleines
Apartment mal eben 525 Euro kosten kann oder die Neubauten neben dem „Werk 2“,
für die die alten Hausbestände abgerissen und die alten Anwohner_Innen
verdrängt wurden. Auch eine Nebenkostenabrechnung wird mal schnell um 100 Euro
in die Höhe getrieben, um Mieter_Innen noch mehr auszusaugen. Anwohner_Innen
wie geringfügig Verdienende, Arbeiter_Innen, Sozialleistungen Beziehende,
Azubis und Studierende, welche nicht von den Eltern finanziert werden, können
sich solche Wohnungen bereits jetzt kaum leisten. Zwischen 2012 und 2016
stiegen die Mietpreise um 21 %, 2017 gar um 10 %, 2018 pendelten sie
sich wieder auf „moderate“ 5,5 % ein. Zukünftig werden sie sich wohl immer
weniger ihre Wohnungen leisten können, zumal viele mit stagnierenden Löhnen und
Unterstützungen zurechtkommen müssen, die schon jetzt nicht zum Leben reichen.
Zusätzlicher Stress ist gegeben durch den Zwang umzuziehen und etwaige
polizeiliche, alles andere als friedliche Räumungen.

In Connewitz regt
sich hiergegen Protest und so gibt es einige Ansätze die sich gegen die
Verdrängung richten. Zum einen gibt es die Vernetzung Süd, welche es sich zum
Ziel gemacht hat, Mieter_Innen an einen Tisch zu bringen und durch Kundgebung
und Demos eine Veränderung zu bewirken. Sie fordert durchaus Schritte zur
Vergesellschaftung, die sie taktisch durch den Mieter_Innenverein bewirken
will, welcher sich politisch mehr engagieren soll.

Auf der anderen
Seite gibt es autonome Proteste, welche in den letzten Monaten Schlagzeilen
machten und auch im Fernsehen landeten, da erstmalig im Leipziger Kontext nicht
nur Bagger brannten, sondern auch eine führende Mitarbeiterin einer für einen
Neubau verantwortlichen Immobilienfirma zusammengeschlagen wurde.

Das ging für die
Behörden zu weit. Die SOKO Linx gegen Linksextremismus wurde gegründet und ein
100.000 Euro hohes Kopfgeld auf die Täter_Innen ausgesetzt. Der Staat ruft also
eine Hexenjagd aus. Indem er die öffentliche Entsolidarisierung bezahlt, werden
zeitgleich vermehrte Polizeikontrollen und Streifen im Leipziger Stadtteil
gerechtfertigt. Das eigentliche Probleme, die Verdrängung tausender
MieterInnen, die vor allem die ärmeren Schichten der ArbeiterInnenklasse
trifft, darunter viele Renter_Innen, Alleinerziehende, Frauen, MigrantI_nnen
rückt zugleich in den Hintergrund. Die Immobilienwirtschaft, Bauunternehmen und
die Wohnungsspektulant_Innen inszenieren sich als Opfer und nutzen die Chance,
nicht nur von ihren Profitinteressen abzulenken, sondern auch, um alle
Mietproteste mal unter eine Art „Generalverdacht“ zu stellen, alles kaputt
machen zu wollen.

Diese
Kriminalisierungsversuche aller, die sich gegen die Verdrängung wehren, lehnen
wir ab. Wir fordern die Auflösung der SOKO Linx, der Bespitzelung der Szene und
der Polizeikontrollen. Nicht brennende Bagger und aus Wut und Empörung
erwachsende individuelle, politisch falsche Aktionen, sondern die Profithaie in
der Bau- und Immobilienwirtschaft stellen das eigentliche Problem dar. Durch
die Ausschreibung eines Kopfgeldes zeigen die Polizeibehörden freilich einmal
mehr, dass ihnen die „Anschläge“ nur als Vorwand für verschärfte Repression,
Bespitzelung und Hetze dienen, dass sie als Erfüllungsgehilfen auf Seiten des
Kapitals stehen.

Auch wenn wir den
Willen, etwas gegen die Verdrängung zu tun, berechtigt finden, so schaden
individuelle „autonome“ Brandlegungen oder physische Angriffe auf
Vertreter_Innen des Kapitals dem Widerstand gegen die neue Immobilienwirtschaft
jedoch mehr, als dass sie ihm helfen. Sie bieten keine Perspektive und erweisen
sich als politisch kontraproduktiv. Sie stoppen die Vorhaben nicht. Allenfalls
verzögern sie einzelne Baumaßnahmen. So erklärte ein Verantwortlicher einer
Immobilienfirma im MDR-Fernsehen, dass der Bau höchstens um ein paar Wochen
verzögert wäre, wenn Bagger auf einer Baustelle brennen würden. Und ob Angriffe
auf Mitarbeiter_Innen überhaupt irgendeinen Effekt auf die Bauzeit haben, sei
dahingestellt.

Aktionen wie der physische Angriff auf eine Mitarbeiterin einer Immobilienfirma dienen eher den Zwecken jener, die sich eine goldene Nase am Elend der Mieter_Innen verdienen. Für einen Großteil der Mieter_Innen führen solche Aktionen zur Abwendung von einer radikalen Perspektive für die Wohnungsfrage. Selbst jene, die es für sinnvoll halten, werden höchstens auf die nächsten geheimen Aktionen dieser anonymen autonomen Jedi-Ritter_Innen hoffen, als dass sie aktiv werden. Die individuelle Kleingruppenaktivität lässt also selbst Sympathisierende als passive Zuschauer_Innen zurück, verkommt im Grunde zu einer Form von Stellvertreter_Innenpolitik.

Den Zwecken des
Wohnungsbaukapitals kommt das durchaus gelegen. Die Masse der MieterInnen wird
verunsichert und von der notwendigen Organisierung eher abgeschreckt denn
ermutigt. Dabei könnte nur eine Bewegung die Verdrängung stoppen, die sich auf
breite Bündnisse, Mieter_Innenversammlungen und -komitees stützt und um
konkrete politische Forderungen formiert – nicht nur in Connewitz, sondern in
ganz Leipzig, ja bundesweit.

Der Wohnungsmarkt
selbst bildet schließlich einen Teil des kapitalistischen Gesamtsystems. Diesem
droht die Krise, doch das Grundbedürfnis zu wohnen hat noch Potential für
höhere Renditen. Gleichzeitig subventioniert der Staat Investitionen in Betongold
massiv, ob über Baubezuschussung oder indirekt durch Wohngeld. Der Kampf der
Mieter_Innen muss daher als Klassenkampf geführt werden. Die Bedürfnisse, zu
wohnen und hieraus Gewinn zu schlagen, stehen einander entgegen. Und so werden
es wohl kaum die sich abgrenzenden individuellen autonomen Gruppen sein, denn
um die Gewinne am Wohnungsmarkt zu vereiteln und ausreichend leistbaren und
hochwertigen Wohnraum schaffen zu können, braucht es definitiv mehr und
mächtigere Aktivist_Innen.

Somit brauchen
wir eine antikapitalistische bundesweite Mieter_Innenbewegung. Hierfür brauchen
wir eine Strategiekonferenz, in der wir offen um eine Perspektive der
Mieter_Innenbewegung streiten und gemeinsam in Aktion treten. Eine erfolgreiche
Bewegung braucht den Schulterschluss mit der  Arbeiter_Innenbewegung. Wir müssen jede Mieterhöhung als
Angriff auf unsere Löhne verstehen. Die Aufgabe von kämpfenden Arbeiter_Innen
ist es hier, die Gewerkschaften und die Beschäftigten in der Branche
(z. B. Bauarbeiter_Innen, Reinigungskräfte, Instandhaltung,
Hausmeister_Innen, …) ins Boot zu holen.

Wir müssen die
Wohnungsfrage mit der Eigentumsfrage verbinden. Forderungen wie die
entschädigungslose Enteignung der Immobilienkonzerne unter Kontrolle der
Mieter_Innen und Beschäftigten sind hier ein Ansatzpunkt. Ein gutes Beispiel
dafür ist die Berliner Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen, welche
durch ihre Aktionen das Konzept der Enteignung wieder in aller Munde gebracht
hat. So muss nun beispielsweise auch die SPD einen mehr oder minder löchrigen
Mietendeckel umsetzen. Aber die Organisierung gegen hohe Mieten und
Luxus-Neubauten darf sich nicht nur grundsätzlich auf die Wohnungsfrage
beziehen, sie muss erweitert werden auf alle Fragen, die das Leben in einer
Stadt, also beispielsweise Kulturräume und öffentliche Verkehrsmittel, und
generell den Kampf gegen den Kapitalismus, also Enteignung der Betriebe und
demokratische Arbeiter_Innenkontrolle, betreffen. Daher fordern wir, die
entschädigungslose Enteignung aller „Miethaie“ und die Kontrolle des Wohnraums
unter Arbeiter_Innenkontrolle zu stellen, sowie einen massiven Ausbau von
Sozialwohnungen und Infrastruktur in der Stadt, kostenlose öffentliche
Nahverkehrsmittel und Kulturangebote für alle.