Entstehung und Untergang der DDR

Bruno Tesch/Martin Suchanek, Revolutionärer Marxismus 52, November 2019 (Erstveröffentlichung 1999)

Die Deutschlandpolitik
der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs war Ausdruck der neuen
Nachkriegsordnung. Mit der endgültigen Niederzwingung des „durchgeknallten“
innerimperialistischen Konkurrenten Deutschland und der kriegsbedingten
Unterordnung der imperialistischen Verbündeten Frankreich und Britannien stieg
der US-Imperialismus als neuer Hegemon empor. Zugleich bescherte der Sieg über
den deutschen Faschismus aber auch der UdSSR und damit der stalinistischen
Bürokratie eine Stärkung. Die im Krieg durch das volksfrontartige Zweckbündnis
verschleierten Klassengegensätze mussten wieder voll durchbrechen. Ein neuer, „Kalter“
Krieg war vorprogrammiert.

Weltpolitischer Rahmen

Deutschland wurde nun zu
dessen besonderem Austragungsort. Das Potsdamer Abkommen der Kriegsalliierten
vom August 1945 mit seinen Plänen zur Entmilitarisierung, Abschaffung der
Rüstungsproduktion, Entflechtung von Kartellen und Behandlung Deutschlands als
wirtschaftlicher Einheit war bald darauf Makulatur. Die Installation des
Besatzungsrechts drückte bereits das gegenseitige Misstrauen aus, denn die
Durchführung von Maßnahmen oblag den jeweiligen Militärregierungen der
verschiedenen Besatzungszonen. Der gemeinsame Kontrollrat stellte nur ein
Koordinationsgremium ohne direkte Weisungsbefugnisse dar. Zudem kam es schon
vor Potsdam zu empfindlichen atmosphärischen Störungen zwischen den „Waffenbrüdern“,
als die US-Administration der SU weitere Hilfsleistungen verweigerte.

In den USA gab es noch
während des Krieges Kontroversen über ein mögliches militärisches Vorgehen
gegen die Sowjetunion, weil das Kriegsgeschehen ein Vorrücken der Roten Armee
nach Mitteleuropa mit sich brachte. Eine neue kriegerische Konfrontation wäre
aber zu riskant gewesen. Immerhin zwang die veränderte Lage, den Blick über
Deutschland hinaus auf Gesamteuropa zu richten. Die Absichten zur Zerstückelung
und der Morgenthau-Plan von 1944 zur Deindustrialisierung Deutschlands wurden
fallengelassen zugunsten einer modifizierten imperialistischen Strategie, die
schließlich im Marshall-Plan mündete. Danach sollten die von der Roten Armee
besetzten und von bürgerlichen ArbeiterInnen- oder Volksfrontregierungen
verwalteten Gebiete durch gezielte Wirtschaftshilfe dem Einfluss der
Kreml-Bürokratie friedlich wieder entrissen werden. Das gelang jedoch nicht. So
wurden die geopolitisch und ökonomisch unverzichtbaren Westzonen Deutschlands
mittels Marshall-Plan zum Bollwerk und Brückenkopf gegen den Stalinismus
ausgebaut.

Die stalinistische
Politik war von einem extremen Sicherheitsdenken dominiert. Was wie
weltrevolutionäre Ausweitungsgelüste wirkte, war in Wahrheit nichts weiter als
der Versuch, die durch den Kriegsverlauf errungenen Gebietsgewinne zu einem
Schutzgürtel für die bürokratischen Interessen auszubauen. So wurden das
Baltikum und Ostpolen unmittelbar dem eigenen Territorium einverleibt, die
Staaten Osteuropas von Polen bis Bulgarien sollten die eigentliche Pufferzone
bilden, während Deutschland (zu dieser Überlegung gehörte ursprünglich auch
Österreich) als entmilitarisiertes, neutrales, jedoch durchaus bürgerlich
geführtes und ungeteiltes Land vorgeschaltet sein sollte.

Jedoch weder der
US-imperialistische noch der Plan Moskaus gingen wie anfangs konzipiert auf.
Ein Erstarken der Bourgeoisie in Osteuropa konnte die Kreml-Bürokratie nicht
hinnehmen; sie entschied sich für deren Enteignung und die Errichtung von ArbeiterInnenstaaten.
Ihre Pläne für einen gesamtdeutschen Staat wiederum wurden durch den Aufbau
eines westdeutschen Separatstaates durchkreuzt. Folglich blieb auch hier keine
Wahl mehr, und die Kreml-Bürokratie musste nachziehen und auf ihrem
Besatzungsgebiet ebenfalls einen ArbeiterInnenstaat als Schutzzone etablieren.

Die beiden deutschen
Teilstaaten sind also Frucht eines weltpolitischen Prozesses und vereinen die
Gegensätze der Nachkriegsordnung auf unmittelbar benachbartem und daher
besonders spannungsgeladenem Raum, im Sonderstatus von Berlin sogar
schicksalhaft in einer Stadt. Die DDR blieb sogar bis 1952, also drei Jahre
nach ihrer Gründung, als die deutschlandpolitische „Stalin-Note“ den
Westbesatzungsmächten den Abschluss eines Friedensvertrags und die deutsche
Wiedervereinigung (als kapitalistische) anbot, bloße Verhandlungsmasse für die
Interessen der Kreml-BürokratInnen. Im Grunde hat sich diese Haltung bis zum
Ende der DDR nicht geändert und all jene enttäuscht, die sich an den Strohhalm
klammerten, Gorbatschow würde die kapitalistische Wiedervereinigung nicht
zulassen.

Die DDR-Gründung

Die Errichtung von
degenerierten ArbeiterInnenstaaten nach dem Vorbild der UdSSR war für die
StalinistInnen stets nur ein Mittel, um sich mit dem Imperialismus zu
arrangieren. So sehr diese Gebilde der Weltbourgeoisie auch ein Dorn im Auge
waren, garantierte die Bürokratenherrschaft doch andererseits eine gewisse
Berechenbarkeit und Stabilität der Verhältnisse, die dem Imperialismus seine
politischen und ökonomischen Geschäfte erleichterte. Als oberstes Gebot für die
Kreml-Bürokratie, bevor sie zur Schaffung dieser besonderen, bürokratisierten
Form von ArbeiterInnenstaat schritt, galt stets, sicherzugehen, dass jedwede
Art von Eigenständigkeit der ArbeiterInnenbewegung, die ihre Herrschaft in
Frage stellen könnte, restlos zerstört war. Erst wenn sie die Keime einer revolutionären
Entfaltung ausgerottet hatte, nahm sie die Umwandlung der Eigentumsverhältnisse
in Angriff.

Notwendige Voraussetzung
für diesen Weg war auch in Deutschland die Ausschaltung eigenständiger
revolutionärer Bestrebungen aus der ArbeiterInnenklasse in Gestalt von
Antifa-Ausschüssen und Betriebsräten, die vielfach auf örtlicher und
betrieblicher Ebene das Machtvakuum der alten geflohenen oder desavouierten
Verwaltungs- und BetriebsdirektorInnen ausfüllten. Diese Organe einer
potentiellen rätedemokratischen ArbeiterInnenmacht wurden von der sowjetischen
Militärverwaltung und ihren HelfershelferInnen aus den Reihen der entstehenden ArbeiterInnenbürokratie
zerschlagen. Damit erwies sich der Stalinismus als Agentur des Imperialismus
auf dem Boden eines noch bürgerlichen Staates und bediente sich dessen
Instrumentarien.

Wie das Beispiel
Ostösterreichs zeigt, war die Enteignung der Kapitalistenklasse und die
Errichtung eines von Beginn an bürokratisch degenerierten ArbeiterInnenstaates
keineswegs ein unvermeidliches Produkt der stalinistischen Kontrolle über den
Staatsapparat in der sowjetischen Besatzungszone. Dieser Schritt zur Enteignung
der Bourgeoisie durch die StalinistInnen war vielmehr Produkt der
internationalen Entwicklung und der Herausbildung der Nachkriegsordnung.

Ausschaltung der ArbeiterInnenklasse…

Dieses Vorgehen der StalinistInnen
hatte wesentliche Konsequenzen. Die Etablierung nachkapitalistischer
Eigentumsverhältnisse – für sich genommen zweifellos ein Fortschritt – wurde
auf konterrevolutionäre Weise vollzogen. Ihre innerdeutschen, aber vor allem
ihre internationalen Auswirkungen waren mit einer Stabilisierung der
imperialistischen Weltherrschaft und einer Ruhigstellung des revolutionären
Potentials des Proletariats verbunden.

Die ArbeiterInnenklasse
in der DDR (und in der BRD) spielte nicht nur keine aktive politische Rolle.
Ihr wurde mit dem „ersten ArbeiterInnen- und Bauern-/Bäuerinnenstaat auf
deutschem Boden“ auch gleich die erste bürokratische Diktatur verpasst und
damit von Beginn an der „Sozialismus“ in Ost und West diskreditiert. Die
DDR-Staatsmaschinerie war vom Typus her bürgerlich, ein abgehobener
allmächtiger Apparat, ein Heer an Repressionskräften und StaatsdienerInnen. Es
ist kein Wunder, dass dieser Apparat später keinerlei Widerstand gegen die
Restauration des Kapitalismus leistete, sondern im Gegenteil die meisten
BürokratInnen versuchten, im vereinten imperialistischen Deutschland
unterzukommen. Dass ihnen das oft nicht allzu gut gelang, liegt daran, dass die
westdeutsche Kapitalistenklasse schon einen erprobten Staatsapparat hatte und
auf einen großen Teil der NVA, der Volkspolizei und der Beamtenschaft nicht
angewiesen war.

… und ihre
konterrevolutionären Folgen

Dass sich das Proletariat
keineswegs freiwillig in die Etablierung der Nachkriegsordnung fügte, beweisen
der ArbeiterInnenaufstand 1953 in der DDR ebenso wie die Kämpfe um die
Verstaatlichung der Grundstoffindustrie und gegen die Einführung des
Betriebsverfassungsgesetzes im Westen. Der „Kommunismus“ war rasch in der ArbeiterInnenklasse
in Ost und West diskreditiert. Hinzu kam, dass die stalinistische Diktatur in
der DDR jede unabhängige Subjektbildung der ArbeiterInnenklasse, selbst
verglichen mit vielen osteuropäischen „Bruderländern“ besonders systematisch
kontrollierte und somit das Subjekt jeder sozialistischen Umgestaltung
zerstörte.

Zweitens war die
Errichtung der DDR (wie des gesamten Ostblocks) Teil der Etablierung einer
reaktionären Nachkriegsordnung, die neben der territorialen Ausdehnung
bürokratischer Planung v. a. die konterrevolutionäre Aufteilung zwischen
Ost und West, unter unbedingter Anerkennung der Herrschaft des Kapitals in den
imperialistischen Sphären, implizierte. Die Errichtung degenerierter ArbeiterInnenstaaten
war nur die andere Seite der Preisgabe des griechischen Widerstandes gegen die
Bürgerlichen und die BritInnen, der Entwaffnung der ArbeiterInnen durch PCI und
KPF. In der Teilung Deutschlands fassten sich alle Probleme und Widersprüche
dieser reaktionären Nachkriegsordnung zusammen.

Hier standen einander
nicht nur die militärischen Apparate der DDR und der BRD gegenüber, sondern
Deutschland war auch zentraler Ort der Blockkonfrontation. Schließlich führte
die deutsche Teilung auch zu einer territorial fixierten Aufteilung der ArbeiterInnenbewegung
unter die Apparate von SED und SPD, die – wenn auch mit unterschiedlichen
Mitteln – ein politisches Monopol über „ihren“ Teil der Bewegung ausübten.
Zweifellos hatten beide ein beachtliches Eigeninteresse an diesem Monopol und
der Säuberung der ArbeiterInnenbewegung von allen widerspenstigen Elementen.
Zugleich waren sie aber auch verlängerter Arm der führenden
politisch-militärischen Kräfte „ihres“ Blocks zur Kontrolle der jeweiligen ArbeiterInnenklasse.

Anders als die
Oktoberrevolution brachte die Schaffung degenerierter ArbeiterInnenstaaten in
Osteuropa keinen revolutionären Impuls für die internationale ArbeiterInnenbewegung
mit sich. Im Gegenteil, sie führte zur Versteinerung der politischen
Verhältnisse und läutete eine rund zwei Jahrzehnte andauernde
konterrevolutionäre Periode ein.

Diese Politik des
Stalinismus konnte sich natürlich nicht nur auf die Rote Armee stützen. Um
rasch ein politisches Gegengewicht gegen die Gefahr einer revolutionären
Organisierung der ArbeiterInnenklasse schaffen zu können, wurden von der
sowjetischen Militärverwaltung nicht nur früher als in den Westzonen Parteien
zugelassen, sondern es sollte ein verlässliches Kontrollorgan der ArbeiterInnenschaft
entstehen. Dazu bediente man sich seitens der StalinistInnen der tiefen
Sehnsucht in der ArbeiterInnenklasse nach Einigkeit, die gerade aus der
schmerzlichen Erfahrung der historischen Niederlage des deutschen Proletariats
gegen den Faschismus resultierte.

Die Gründung der SED

Die deutschen StalinistInnen
der KPD folgten auch nach dem Krieg der seit 1935 für alle KPen verbindlichen
Volksfront-Linie, d. h. sie forderten eine bürgerliche Republik unter
Einschluss aller antifaschistischen demokratischen Kräfte und schlossen ein
Rätedeutschland aus. Sie verfochten ein Etappenmodell, wonach durch die
Blockaden der deutschen Geschichte zunächst die bürgerlich-demokratischen
Aufgaben von 1848 erfüllt werden müssten. Dann erst könne an die Aufgaben eines
gesellschaftlichen Zukunftsmodells, des Sozialismus, gedacht werden. Programmatisch
fiel die KPD damit deutlich hinter die andere ArbeiterInnenmassenpartei, die
SPD, zurück, die immerhin für die sofortige Verstaatlichung der
Schlüsselindustrien eintrat und von der auch das Motto „Deutschlands Zukunft
wird sozialistisch oder gar nicht sein“ (Dr. Kurt Schumacher) stammte.

Die Vereinigung beider
Parteien wurde im Ostteil von den StalinistInnen aktiv betrieben, als sie sich
sicher sein konnten, die Kontrolle über diesen Prozess ausüben zu können. Es
handelte sich jedoch nicht einfach um eine „Zwangsvereinigung“. Dieser Prozess
reflektierte auch Bedürfnisse nach Einheit der ArbeiterInnenklasse und reale
Unterstützung dieses Projekts durch bedeutende Teile der SPD-Mitgliedschaft.
Hinzu kommt, dass sich SPD und KPD politisch-programmatisch keineswegs
grundsätzlich unterschieden. Beide waren bürgerliche ArbeiterInnenparteien,
Parteien der sozialen Reform, wenn auch mit grundlegend anderer internationaler
Ausrichtung.

Dadurch geriet die
Ost-SPD mehr und mehr in die Defensive. Die Mentorin der KPD – die sowjetische
Besatzungsmacht – kontrollierte den Staatsapparat im Osten. Die West-Führung
der SPD hintertrieb gleichzeitig jede Vereinigungsbestrebung ebenso
bürokratisch, wie sie von der KPD-Führung ihrerseits vorangetrieben wurde. Die
Führung um Schumacher setzte vor allem auf den britischen Imperialismus und
dessen Labour-Premierminister Attlee.

Der Zusammenschluss von
KPD und SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) 1946 war
nicht das Ergebnis prinzipienfester Bilanz- und Perspektivdiskussionen, die
eine Vereinheitlichung des Bewusstseins der ArbeiterInnenbewegung auf einem
höheren Niveau sich auch nur zum Ziel gesetzt hätte. Es ging um einen rein
organisatorischen Akt, der ins nackte Machtkalkül der stalinistischen BürokratInnen
passte, die damit eine Legimitationsbasis für ihre spätere Rolle als
Staatspartei schufen. Die Strukturen der SED waren von Anfang an
undemokratisch, ihr Programm reformistisch und ihre Praxis konterrevolutionär
und immer an den Erfordernissen der Kreml-Bürokratie orientiert. Als erste
Visitenkarte ihrer frisch erlangten Monopolstellung in den Ost-Gewerkschaften
schaffte die SED das Streikrecht ab. Die unabhängigen Betriebsräte wurden mit
Beginn des 2-Jahresplans 1948 ausgemerzt.

Zick-Zack-Kurs der SED

Im Laufe der 40-jährigen
DDR-Geschichte hat es verschiedene Kurswechsel der SED gegeben. Der erste kam
sehr bald nach der Verkündung des planmäßigen Aufbaus des Sozialismus auf der
zweiten Parteikonferenz 1952. Zwangskollektivierung von Kleinbauern/-bäuerinnen
und Vorgehen gegen das Kleinbürgertum in Handel und Dienstleistung verursachten
eine dramatische Verschlechterung der Versorgungslage, so dass diese Maßnahmen
schon ein Jahr später wieder wirtschaftlichen Vergünstigungen für die
kleinbürgerlichen Schichten und gleichzeitigen Belastungen des Proletariats
(Normenerhöhungen in der Produktion) wichen. Dies brachte wiederum die ArbeiterInnen
der DDR in Aufruhr. Die Regierung Ulbricht stand kurz vor der Ablösung, doch
paradoxerweise rettete gerade der Aufstand das Regime, das er eigentlich
stürzen wollte, denn die Kreml-Bürokratie konnte sich in der Situation keinen
Rückzug oder Schwäche leisten, sonst hätten sie womöglich die unterdrückten
Massen anderswo in ihrem Einzugsgebiet zu ähnlichen Aufständen ermutigt.

Dass die Ulbricht-Ära
doch zum Auslaufmodell wurde, lag daran, dass das 1963 ins Leben gerufene NÖSPL-
(Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung)-Experiment, das erhebliche
Mehrbelastung v. a. des Arbeitszeiteinsatzes für die ArbeiterInnenklasse
mit sich brachte, Mitte der 1960er Jahre verhältnismäßig erfolglos wieder
abgebrochen werden musste, aber keine neuen Impulse mehr von dieser
Regierungsspitze ausgingen.

Das sie 1971 ablösende
Honecker-Regime konnte kurzfristig ebenfalls wirtschaftliche Erfolge vorweisen:
Kaufkraft und Warenangebot stiegen. Dies wurde erreicht durch die taktische
Wende, „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ genannt, womit eine
Einengung des Entscheidungsspielraums der einzelnen Betriebe gemeint war. Die
sich verschärfenden weltwirtschaftlichen Bedingungen mit gestiegenen
Rohstoffpreisen, Verschuldung und erhöhten technologischen Anforderungen
schlugen in den 1980er Jahren voll durch. Mangelerscheinungen konnten in der
DDR zunehmend weniger kaschiert werden. Das Honecker-Regime war untragbar
geworden.

Deutsche Teilung – nationale
Frage

Bevor wir zum
Zusammenbruch der DDR kommen, wollen wir noch einmal auf die Bedeutung der
nationalen Frage eingehen.

Die beiden deutschen
Teilstaaten blieben immer ein Symbol für die Weltordnung nach dem Zweiten
Weltkrieg und ihre gegenseitige Beziehung ein Barometer für den jeweiligen
Stand des Kräfteverhältnisses zwischen den Hauptmächten des Status quo, dem
US-Imperialismus und der UdSSR. Nicht zufällig fällt gerade das sinnbildhafteste
Ereignis der deutschen Teilung, der Bau der Berliner Mauer, in eine Zeit, als
die internationalen Beziehungen auf dem Gefrierpunkt angelangt und der Kalte
Krieg in einen heißen atomaren Krieg (Kubakrise) umzuschlagen drohte.

1961 markierte einen Wendepunkt
in den innerdeutschen Verhältnissen und auch eine Abkehr der in der DDR
herrschenden SED-Bürokratie selbst von einem verbal positiven Bezug zur
deutschen Einheit und eine Hinwendung zum Versuch des Aufbaus einer
eigenständigen Nationalidentität der DDR. Maßnahmen von Zwangskollektivierung,
Enteignung und Denunziation hatten bereits seit den frühen 1950er Jahren zur
Flucht von Bauern/Bäuerinnen, HandwerkerInnen und KleineigentümerInnen in den
deutschen Weststaat geführt. Nach der Niederschlagung des ArbeiterInnenaufstands
1953 und dem am Ende des Jahrzehnts immer spürbarer werdenden
Auseinanderklaffen des Lebensstandards zwischen Ost und West drohte die DDR an
qualifizierten industriellen Arbeitskräften, die ebenfalls in die BRD
abwanderten, auszubluten. Dagegen musste etwas unternommen werden.

Das Nadelöhr Berlin mit
Flüchtlingsauffangstellen, hundertausenden Ost-West-ArbeitspendlerInnen und den
Wechselstuben, wo sich der Verfall der DDR-Währung empfindlich bemerkbar
machte, wurde zugemauert. Die PendlerInnen waren für Westfirmen besonders
lukrativ und für die DDR verheerend, da die ArbeiterInnen mit Wohnsitz im Osten
und Arbeitsstelle im Westen Sozialleistungen der DDR bezogen und die Valuta im
Verhältnis 1:10 rückgetauscht wurde. Auch ein gesunder ArbeiterInnenstaat hätte
die nachkapitalistischen Eigentumsverhältnisse schützen müssen, aber niemals um
den Preis, die Bevölkerung in einer geschlossenen Anstalt mit Freigangsregelung
nur in die „sozialistischen Bruderländer“ zu verwahren. So aber schien die
deutsche Spaltung auf Dauer buchstäblich betoniert zu sein.

Ökonomische Durchdringung

Zwar erholte sich die DDR
bis Mitte der 1960er Jahre wirtschaftlich auf der Woge einer noch günstigen
Weltkonjunktur, doch in den Augen der internationalen ArbeiterInnenbewegung
hatte sich das stalinistische Regime politisch endgültig diskreditiert und
besonders in der BRD dem Antikommunismus auch in der ArbeiterInnenschaft immens
Vorschub geleistet. Die DDR-ArbeiterInnenklasse erstickte ideologisch im
Provinzmief, verfiel durch die nun noch effektivere Gängelung seitens der
Bürokratie in politische Apathie und wurde so erst recht zum „Fallobst“ für die
BetreiberInnen der kapitalistischen Restauration.

1972 wurde der
Grundlagenvertrag zwischen beiden deutschen Staaten unterzeichnet. Das
BRD-Kapital erkaufte sich mittels der neuen SPD-Ostpolitik durch formale
Zugeständnisse der politischen Nichteinmischung, die das Sicherheitsbedürfnis
der DDR-Bürokratie bedienten, das Paradoxon eines größeren ökonomischen
Bewegungsspielraums in der DDR. Auf dieser Grundlage konnten sich die
innerdeutschen Beziehungen „normalisieren“, die ein prima Klima v. a.
unter der CDU-geführten Regierung der 1980er Jahre schufen.

Das scheinbare politische
Laisser-faire war allerdings begleitet durch eine neue imperialistische
Offensivstrategie der „Totrüstung“ gegen die ArbeiterInnenstaaten, die
zusätzlich die Wirtschaft der DDR neben den hausgemachten Problemen mit den
abgestumpften bürokratischen Planmechanismen in Mitleidenschaft zog. So ließ
sich der Milliarden Swing-Kredit von 1983/1984 als einvernehmliche Hilfe
anbahnen und erhöhte damit wiederum die Abhängigkeit der DDR von der BRD, da
die RGW-Zusammenarbeit des Ostblocks längst nicht mehr griff, sondern zum Klotz
am Bein wurde.

Aus der Schuldenfalle und
der damit verbundenen Produktionsspirale für die Erbringung von Devisen auf
Kosten der Gütererzeugung für den Inlandsbedarf konnte sich die DDR schließlich
mit den herkömmlichen bürokratischen Methoden nicht mehr aus eigener Kraft
befreien, so dass der BRD-Imperialismus die Wiedervereinigung in seinem Sinne
über diesen Umweg vorbereiten half.

40 Jahre unterschiedlicher
Gesellschaftssysteme und eine praktische Abschottung gegeneinander sind
natürlich nicht spurlos am Bewusstsein insbesondere der ArbeiterInnenklasse
diesseits und jenseits der deutsch-deutschen Grenze vorübergezogen, dennoch ist
die nationale Frage immer wieder aufgetaucht: 1953, 1961, 1970 (Brandt-Besuch).
Der Mauerfall 1989 war die Bestätigung, dass die seit dem Mauerbau scheinbar
negativ gelöste Frage der deutschen Wiedervereinigung plötzlich wieder zur
realen Perspektive wurde. Es war nicht entscheidend, dass in diesem Augenblick
kaum jemand der DDR-BesucherInnen im Westen an die Möglichkeit geglaubt hatte,
sondern vielmehr, dass das frisch gewonnene Selbstbewusstsein, durch Druck
etwas zu erreichen, aber auch die Verinnerlichung der beeindruckenden
Konsumkulisse der BRD beide Optionen, sowohl die der revolutionären
Wiedervereinigung wie die der kapitalistischen Restauration der DDR zuließen.

Nationale Frage und
politische Revolution

Die nationale Frage in
Deutschland war immer eng mit der Nachkriegsordnung verbunden. Die Frage der
politischen Revolution in der DDR und der sozialen Revolution in der BRD sowie
ihrer Kombination zur Errichtung einer gesamtdeutschen Räterepublik musste
notwendigerweise immer zum direkten Angriff auf diese Ordnung werden.

Jede Revolution in
Deutschland nach 1945 hätte nicht nur mit dem BRD- oder DDR-Staatsapparat,
sondern auch mit der Sowjet-Armee bzw. den US-amerikanischen, britischen und
französischen Truppen zu tun gehabt. Das bestätigte auch die politisch
revolutionäre Krise in der DDR, wenn auch mit konterrevolutionärem Ausgang.
Ohne Einverständnis v. a. der Sowjetunion zur praktischen Einverleibung in
die BRD, zum „Beitritt“ der DDR, v. a. aber zur Ausdehnung der NATO auf
dieses Territorium wäre die deutsche Einheit in dieser Form fraglos nicht
zustande gekommen.

Die Teilung Deutschlands
führte natürlich auch zu einer massiven Einschränkung demokratischer Rechte,
der Reisefreiheit im Besonderen. Diese war immer ein wichtiger Nährboden für
politische Unzufriedenheit und Proteste, vor allem gegen das SED-Regime.

Es ist damit klar, dass
die Teilung Deutschlands als solche bei der ArbeiterInnenklasse keine wie immer
geartete Legitimität erwarten konnte. Die Versuche des SED-Regimes, die
Existenz einer DDR-Nation zu beweisen, waren von Beginn an zum Scheitern
verurteilt. Mit der immer tiefer werdenden Krise der bürokratischen Planung und
dem damit verbundenen Schwinden der sozialen Stützen des SED-Regimes musste die
nationale Frage daher früher oder später akut werden.

Aushöhlung der
wirtschaftlichen Grundlagen des SED-Regimes

Die Existenz der DDR als
ökonomisch immer schwächer werdender Teil Deutschlands stand und fiel in
Wirklichkeit mit zwei Faktoren. Erstens der Stabilität der Nachkriegsordnung.
Zweitens damit, den Arbeitern und Arbeiterinnen in der DDR eine wirtschaftliche
und politische Perspektive glaubhaft darlegen zu können. Wie jedes Regime der
Welt konnte sich auch die stalinistische Herrschaft nicht nur auf Repression
stützen, sondern beinhaltete ein Element des Kompromisses mit der ArbeiterInnenklasse,
besonders mit den oberen Schichten der Angestellten und Staatsverwaltung, die
teilweise in die unteren Ebenen der Bürokratenkaste übergingen.

Dieser Ausgleich
erstreckte sich auch auf die industrielle ArbeiterInnenschaft, ja musste diese
als sozial stärkste Schicht umfassen. Er bestand vor allem darin, dass das
Regime – politische Ruhe vorausgesetzt – zumindest eine spürbare Steigerung des
Lebensstandards bringen müsse. Diese Notwendigkeit reflektierte auch Honeckers
Wende zu vermehrter Konsumgüterproduktion am Beginn der 1970er Jahre.

Die DDR blieb jedoch
ökonomisch immer mehr zurück. Gerade die industrielle ArbeiterInnenklasse
spürte diese Entwicklung: stetige Verschlechterung des Zustands der
Produktionsmittel, immer stärkerer Verschleiß, immer größere Produktion für den
Export bei gleichzeitigem Engpass an Gütern im Inneren, Stagnation der
Lebensbedingungen, immer stärkeres relatives Zurückbleiben gegenüber dem
Westen. Hinzu kam, dass die „Betonköpfe“ in der SED-Führung verglichen mit den
polnischen oder ungarischen „Bruderländern“ sehr viel unbeweglicher und „reformfeindlicher“
wirkten, was die Hoffnung in eine schrittweise Reform à la Gorbatschow immer
unrealistischer erscheinen ließ.

Daraus ergibt sich, dass
erstens eine tiefe politische Krise der SED-Herrschaft recht rasch die Frage
der wirtschaftlichen Zukunft aufwerfen musste; dass zweitens die Kernschichten
der ArbeiterInnenklasse in der DDR mit dem System der bürokratischen Planung
schon abgeschlossen hatten, bevor es 1989/1990 geschichtlich zur Disposition
stand. In der Wirklichkeit hatte, wie sich herausstellen sollte, selbst die
Bürokratie die Hoffnung verloren, dass dieses System durch eine reformierte
Variante der SED-Herrschaft wieder in Schwung zu bringen sei.

Damit war das gesamte
DDR-Gesellschaftssystem in Frage gestellt. Dass die nationale Frage im Herbst
1989 rasch solche Bedeutung erlangen musste, hatte also vor allem
gesellschaftliche Ursachen (wie das bei der nationalen Frage immer der Fall
ist). Sie war keineswegs reaktionären „Urinstinkten der Deutschen“ geschuldet,
schon gar nicht wurde sie einfach „von außen“ durch die Kohl-Regierung „hineingetragen“
oder „künstlich“ aufgebauscht.

Es handelt sich vielmehr
um eine spezifische historische Form, in der die nationale Frage aufgeworfen
wurde: um die Infragestellung der reaktionären Nachkriegsordnung, die sich in
der deutschen Teilung manifestierte. Der Zusammenbruch eines der Pfeiler dieser
Nachkriegsordnung eröffnete die Möglichkeit, dass die in der Blockbildung
erstarrten Klassenwidersprüche auch im anderen Teil dieser Nachkriegsordnung
wieder in Bewegung gerieten.

Gerade wenn wir die
zentralen Aufgaben der politischen Revolution in der DDR – der Eroberung der
Staatsmacht und Reorganisation der Planwirtschaft – betrachten, wird unmittelbar
deutlich, dass diese von Beginn aufs Engste mit der ArbeiterInnenklasse und
sozialen Revolution im Westen verbunden waren. Wie hätte die DDR-Wirtschaft
reorganisiert werden sollen und können, wenn nicht im engen Verbund mit den
Klassenbrüdern und -schwestern im Westen?

Revolution und
Konterrevolution als historische Alternativen

Der Zusammenbruch eines
Teils der Nachkriegsordnung im Osten, eine politisch-revolutionäre Krise in der
DDR konnte nur zu drei Resultaten führen: bürokratische Konterrevolution,
politische Revolution oder soziale Konterrevolution. Die bürokratische
Konterrevolution wäre zwar im Herbst 1989 noch möglich gewesen. Sie hätte aber
angesichts der wirtschaftlichen Krise der bürokratischen Planung ziemlich rasch
zur nächsten manifesten politischen Krise führen müssen, wahrscheinlich mit
einer ArbeiterInnenklasse, die von „Sozialismus“ endgültig genug gehabt hätte
und die noch empfänglicher für bürgerlich-demokratische Lockungen gewesen wäre.
Daher waren im größeren geschichtlichen Maßstab nur zwei Optionen wirklich
offen: politische Revolution oder soziale Konterrevolution.

Die Bedeutung der
revolutionären Wiedervereinigung

Die Frage eines mutigen
und revolutionären Aufgreifens der nationalen Frage ergab sich daher für
Kommunisten und Kommunistinnen nicht aus irgendwelcher Einheitstümelei, sondern
aus der Analyse der sozialen Voraussetzungen, der politischen und
wirtschaftlichen Dynamik der Krise des SED-Regimes. Daher war die Losung einer
Vereinigten Sozialistischen Räterepublik in ganz Deutschland eine zentrale
Frage vom Beginn der Massenbewegung in der DDR an.

Sie musste jedoch konkret
übersetzt werden in Schritte zum sofortigen Aufbau von direkten Verbindungen
zwischen den Gewerkschaften, betrieblichen AktivistInnen in Ost und West, in
ein Aktionsprogramm zur Lösung der dringendsten Aufgaben auf wirtschaftlichem
und politischem Gebiet, das mit der Losung einer revolutionären ArbeiterInnenregierung
verbunden werden musste. Die LRKI (Vorläuferin der LFI) hat von Beginn an die
Frage der revolutionären Wiedervereinigung sehr konkret aufgeworfen und
gleichzeitig die Notwendigkeit dargelegt, jede Rekapitalisierung der DDR
einschließlich einer kapitalistischen Wiedervereinigung entschieden zu
bekämpfen. Wir dokumentieren den Abschnitt zur nationalen Frage aus einer der
ersten Stellungnahmen unserer internationalen Tendenz vom November 1989 am Ende
dieses Textes.

Die Frage der
Wiedervereinigung war von Beginn an virulent, obwohl sie in den ersten Wochen
der Mobilisierung gegen die Bürokratie nicht offen gestellt wurde. Das hing
damit zusammen, dass gerade in den Stellungnahmen des Großteils der
kleinbürgerlich geprägten „Bürgerbewegung“ die Forderungen im Wesentlichen auf
demokratische Reformlosungen beschränkt waren. Diese Ziele drückten zweifellos
berechtigten Unmut aus und ihr Gehalt musste von RevolutionärInnen in dieser
Phase aufgegriffen und zugespitzt werden. Das trifft besonders auf Losungen wie
Organisationsfreiheit, Reisefreiheit, Pressefreiheit zu.

Die Blindheit gegenüber
den ökonomischen Fragen fand ihren Ausdruck allerdings nicht nur in direkter
Ignoranz. Wo die Bürgerbewegung und besonders ihr linker Flügel wirtschaftliche
Forderungen und Konzepte entwickelten, stellten sie der bürokratischen
Planwirtschaft entweder eine Spielart des utopischen „Dritten Weges“ zwischen
Kapitalismus und Kommunismus oder eine Form des „Marktsozialismus“ entgegen.
Das traf auch auf die linkesten Strömungen wie die Vereinigte Linke zu, die in
der „Böhlener Plattform“ einer Form der „ArbeiterInnenselbstverwaltung“
nach jugoslawischem Muster das Wort redete.

Hinzu kam, dass die
Bürgerbewegung insgesamt politisch eine Reformperspektive des SED-Staates
vertrat. Die Macht lag zwar auf der Straße, wie ein geflügeltes Wort dieser
Tage hieß – aufheben wollte sie allerdings in dieser Phase niemand. Der Druck
der Massenbewegung führte Ende 1989 zur Installation der sogenannten „Runden
Tische“, die sowohl der perspektivlosen und konfusen Opposition wie auch der
noch herrschenden SED-Bürokratie zupasskamen.

Sie erlaubten allen
Kräften, vor allem die Massen zu demobilisieren, auf die Arbeit in den „neuen“
Gremien zu vertrösten. Hinzu kam außerdem, dass auch die zunehmende
Orientierung auf bürgerliche parlamentarische Wahlen zur Volkskammer dazu
beitrug, die politische Energie von der Straße an die Wahlurnen zu verlagern.

Die Bürgerbewegung
übergab in dieser Phase die Initiative, die sie ohnedies nie haben wollte, an
die teilweise aus ihr, teilweise aus den Blockparteien entstandenen, offen
bürgerlichen Parteien und die Sozialdemokratie einerseits, an die SED-PDS
andererseits.

Vom Sommer 1989 bis zur
Wiedervereinigung erlebte die DDR eine tiefe politisch-revolutionäre Krise, die
schließlich in einer sozialen Konterrevolution mündete. Bis zum November 1989
befand sich die Massenbewegung, befand sich die Revolution in der Offensive. Es
schien hier nur vorwärtszugehen. Der scheinbar aus Stahl gegossene Parteiapparat,
die Stasi usw. mussten Schritt für Schritt zurückweichen, zeigten, wie marode
das Regime schon war.

Nachdem Gorbatschow klargemacht
hatte, dass die sowjetischen Truppen nicht gegen die Bevölkerung eingesetzt
würden und die SU ein solches Vorgehen von den Staatsorganen der DDR
missbilligen würde, waren die Tage der Honeckers und Co. gezählt. Wie oft in
solchen Krisen tat die herrschende Schicht ihr Übriges, den letzen Kredit zu
verlieren, so z. B. als Honecker den hunderttausenden, die im Sommer die
DDR fluchtartig verlassen hatten, noch ausrichten ließ, dass er ihnen keine
Träne nachweine. Solche „Botschaften“ der stalinistischen Führung haben dazu beigetragen,
dass die unten nicht länger bereit waren, die oben wie bisher weitermachen zu
lassen.

Mehr noch, die tiefe
Krise in der DDR hatte auch in der SED, z. B. auf dem Parteitag von
Dezember 1989, zu einer politischen Differenzierung geführt. Unter den
Millionen, die in der DDR auf die Straße gingen, waren auch hunderttausende
SED-Mitglieder, die von „ihrer Parteiführung“ endgültig die Schnauze voll
hatten.

Es war in den ersten
Monaten der Wende keineswegs der Fall, dass die Restauration des Kapitalismus –
sei es in der DDR selbst oder in Form einer kapitalistischen Wiedervereinigung
bewusstes Ziel der Massenbewegung war. Auch der BRD-Imperialismus, die SPD und
noch viel mehr die westlichen imperialistischen Mächte sahen hier noch nicht
die Chance einer raschen Ausdehnung des Kapitalismus in den Osten (und viele
imperialistische PolitikerInnen waren darüber auch froh, da sie keineswegs ein
Interesse an einem erstarkenden deutschen imperialistischen Rivalen hatten).

Wie kam es zum
konterrevolutionären Umschwung?

Die Antwort darauf liegt
grundsätzlich nicht darin, dass besonders kluge oder dumme Aktionen einzelner
PolitikerInnen dazu geführt hätten. Natürlich war z. B. die Maueröffnung
auch auf einen Akt der „Panik“ des Politbüros zurückzuführen. Er macht
allerdings durchaus Sinn vom Standpunkt der Selbsterhaltung der Bürokratie, die
zu diesem Zeitpunkt ein Interesse daran hatte, dass die Bürger und Bürgerinnen
der DDR „Dampf ablassen“ frei nach dem Motto: Wer bei Aldi einkauft, läuft
nicht auf Demos gegen das DDR-Regime. Es ist überhaupt eine
verschwörungstheoretische Geschichtsinterpretation, wenn gemeint wird, dass der
Fortbestand des reaktionären Grenzregimes irgendeine grundsätzliche Änderung
gebracht hätte.

Die tieferen Ursachen des „Umkippens“ der Bewegungsrichtung bestanden in folgenden Faktoren:

  1. Erschöpfung der Potentiale der bürokratischen Planwirtschaft;
  2. Fehlen einer politischen Führung, die eine Alternative für die Avantgarde der ArbeiterInnenbewegung mit der Perspektive des revolutionären Sturzes des SED-Regimes und einer revolutionären Wiedervereinigung hätte weisen können;
  3. weitgehende Zerstörung des Klassenbewusstseins des Proletariats.

Diese Faktoren und die
internationale Bedeutung der politisch-revolutionären Krise implizierten von
Beginn an, dass sich die Ereignisse in der DDR überaus rasch entwickeln würden.
Doch trotz ungünstiger Voraussetzungen – Zerstörung des proletarischen
Klassenbewusstseins und Fehlen einer revolutionären Avantgardepartei weltweit –
entwickelten sich im Zuge der Krise politische Strömungen, die den Wunsch nach
einer fortschrittlichen, proletarisch-revolutionären Lösung zum Ausdruck
brachten. Das betraf vor allem in der Frühphase der Bewegung die Vereinigte
Linke, die sich auf eine landesweite Bekanntheit und einen Anhang unter der
Intelligenz und Teilen der bewussten ArbeiterInnenschaft stützen konnte und
einige hundert Aktivisten und Aktivistinnen und zehntausende AnhängerInnen
umfasste. Ebenso führten die Ereignisse zur politischen Oppositionsbildung in
den Gewerkschaften – z. B. in der Initiative Unabhängige Gewerkschaften –
und, vor allem Ende 1989, zu einer tiefen politischen Krise in der SED-PDS.

In diesen politischen
Bewegungen nach links hätten Revolutionäre und Revolutionärinnen das
Rohmaterial für eine wirklich revolutionäre Partei finden können.

Die Entwicklung in der
DDR wurde allerdings noch dadurch erschwert, dass die ArbeiterInnenklasse nicht
nur nicht als bewusstes politisches Subjekt auftauchte, sondern auch
betriebliche und kommunale Formen proletarischer Selbstorganisation sehr rar
blieben (obwohl es dokumentierte Fälle von betrieblichen Räten in der DDR
gibt). Es wäre jedoch verkürzt, das Ausbleiben proletarischer Machtorgane im
Betrieb und in der Gesellschaft nur auf ein geringes Niveau des
Klassenbewusstseins zurückzuführen.

Die SED-Bürokratie war
sehr rasch zurückgewichen. Im Betrieb erschien die Bürokratie kaum noch als
Gegnerin. Damit entfiel ein unmittelbarer praktischer Grund, die Macht im
Betrieb, gestützt auf Machtorgane der Arbeiter und Arbeiterinnen, direkt in die
Hand zu nehmen.

Zentrale politische Probleme

Revolutionäre Agitation
und Propaganda mussten sich auch stark auf die Notwendigkeit der Schaffung von
räteähnlichen Strukturen und Kampforganen der Arbeiter und Arbeiterinnen
konzentrieren und diese mit der Notwendigkeit der Errichtung einer demokratischen
Planwirtschaft verbinden. Eine solche wäre jedoch unmöglich gewesen, ohne den
revolutionären Sturz der SED, die Zerschlagung des Staatsapparates, die
Forderung nach Abzug der sowjetischen Armee, nach Entwaffnung von Polizei,
Armee, Betriebskampfgruppen und der Übergabe ihrer Waffen in die Hände von ArbeiterInnenmilizen.

Ein zweiter zentraler
Punkt war der Kampf gegen demokratische Illusionen. Dazu war es angesichts des
fehlenden Klassenbewusstseins des Proletariats unbedingt notwendig, die Kritik
des Charakters der bürgerlichen Demokratie und die Propagierung des Rätesystems
mit Forderungen zu verbinden, die die Hoffnungen in die bürgerliche Demokratie
einem Test unterzogen hätten und gleichzeitig dazu angetan waren, den Schaden
dieser Illusionen zu minimieren.

Eine solche
Herangehensweise war umso dringlicher, als der politisch-revolutionäre Prozess
November/Dezember 1989 seinen Schwung verloren hatte, die spontane
Massenmobilisierung mehr und mehr unter die Fuchtel offen restaurationistischer
Führungen geriet und auch SED, SED-PDS (später die PDS) unter Krenz, Modrow und
Gysi auf den Kurs der kapitalistischen Wiedervereinigung umschwenkten.
Bezeichnenderweise war es in dieser Phase Krenz, der als erster von einem „Vierten
Reich“ sprach, das er entstehen sah.

Demobilisierung und
Rechtsentwicklung

Die „Runden Tische“ waren
in dieser Hinsicht für alle bürgerlichen, kleinbürgerlichen und bürokratischen
Kräfte ein Mittel, sich dem Druck der Arbeiter und Arbeiterinnen zu entziehen.
In dieser Phase wurde von der westdeutschen Bourgeoisie und der SPD auch die
Frage der kapitalistischen Wiedervereinigung offensiver ins Treffen geführt.

Im Januar 1990 versuchte
die SED-PDS einen letzten Vorstoß zur Restabilisierung der Stasi, zu der sie
auch das Auftauchen faschistischer Schmierereien nutzte. Doch dieser Versuch
versandete rasch und die SED-PDS willigte ein, im März 1990 Wahlen abzuhalten.

Die Massenbewegung war
damit von der Straße weg vor die Fernsehschirme verbannt. Anfang 1990 war es
die SPD, die nun die Hoffnungen der ArbeiterInnenklasse und der Mittelschichten
in der DDR auf sich zog. Aber die SPD hatte einen Wiedervereinigungsplan, der
weder die historisch-strategischen Interessen des deutschen Imperialismus voll
befriedigte noch den Werktätigen der DDR eine vernünftige Perspektive bot:
Wiedervereinigung in zehn Jahren (womit die SPD in trauter Gemeinsamkeit mit
den MonetaristInnen der Deutschen Bundesbank gegen das „Abenteuer
Wiedervereinigung“ stand).

Die zögerliche Haltung
der SPD hatte nichts mit antiimperialistischen Überlegungen zu tun, sondern
spiegelte ihre soziale Basis in der westdeutschen ArbeiterInnenaristokratie
wider, die borniert, aber nicht zu Unrecht fürchtete, die Zeche für die
Expansion des deutschen Imperialismus zahlen zu müssen. Statt gemeinsam mit den
Klassenbrüdern und -schwestern im Osten in die Offensive zu gehen, blieb die ArbeiterInnenklasse
im Westen gegenüber den Ereignissen passiv, skeptisch, abwartend.

Statt gemeinsam gegen die
Angriffe des Kapitals zu kämpfen, dem Feldzug des deutschen Kapitals im Osten
gemeinsam entgegenzutreten und gleichzeitig für die Reorganisation der
Planwirtschaft auf Kosten der Profite der deutschen Multis zu kämpfen, redete
die SPD einer Variante der kapitalistischen Wiedervereinigung das Wort, deren
Kosten allerdings nur die ostdeutschen Arbeiter und Arbeiterinnen hätten
begleichen müssen.

Diese sahen sich daher zu
Recht von der SPD in Stich gelassen. Die Reformkonzepte der Bürgerbewegung, die
Sonntagsreden vom „Dritten Weg“ hatten nicht nur einen recht offensichtlichen
utopischen Charakter, sie klangen auch nach der allzu bekannten
Ankündigungspolitik der SED. Dass die DDR-Wirtschaft mit bürokratischer Planung
light nicht aus der Krise gebracht werden konnte, wusste auch die/der
unpolitischste DDR-ArbeiterIn.

Selbst eine einigermaßen
große kämpfende Propagandagruppe revolutionärer Kommunisten und Kommunistinnen
hätte in dieser Phase zumindest der Avantgarde eine politische Orientierung
geben können. Es existierte aber kein solcher Kern.

Die Haltung der
westdeutschen ArbeiterInnenbewegung, die Politik der SPD, aber selbst die
Position der „radikalen“ Linken, dass die Revolution (und Konterrevolution) in
der DDR ausschließlich eine Angelegenheit der DDR-Bevölkerung sei, führten
nicht nur zum stetigen Terrainverlust im Osten, sie sicherten dem westdeutschen
Imperialismus nebenbei auch ein ruhiges Hinterland.

Kohls Sieg

Andererseits hatte die
BRD-Regierung unter Kohl als einzige Kraft die weltgeschichtlichen Potentiale
der Situation nicht nur begriffen, sondern auch sehr selbstbewusst im Interesse
der langfristigen Perspektiven des deutschen Imperialismus die Initiative
ergriffen. Der „ideelle Gesamtkapitalist“ hat in dieser Situation auch ganze
Sektoren des deutschen Kapitals, nicht zuletzt die Bundesbank, zur Seite
geschoben und Kurs auf eine rasche kapitalistische Wiedervereinigung genommen.
Wenige Wochen vor der letzten Volkskammerwahl ging der westdeutsche
Imperialismus in die Offensive. Die Ost-CDU, nunmehr Marionette der Bonner
Regierung, gewann die Wahl. Der eigentliche Sieger war Kohl.

Keine einzige größere
Partei, die zur Wahl stand, hatte auch nur die Absicht, die kapitalistische
Wiedervereinigung und Abwicklung der DDR zu verhindern. Entscheidende
ökonomische Mechanismen – darunter die Gründung der Treuhand und die
Vorbereitung der Wirtschafts- und Währungsunion vom Juli 1990 – waren schon
unter der Regierung Modrow auf den Weg gebracht worden. Nun folgte die
endgültige Zerstörung des degenerierten ArbeiterInnenstaats DDR mit der
Wirtschafts- und Währungsunion. Die Wiedervereinigung im Herbst war dann bloß
der staatliche Nachvollzug dieser Regelung.

Nein zur kapitalistischen
Vereinigung!

Zu den letzten
Volkskammerwahlen konnten Revolutionäre und Revolutionärinnen keine der
antretenden Parteien unterstützen. Sie waren in einer ganz entscheidenden
Stunde einer Wahl, die im Grunde eine Abstimmung über die Existenz der
Errungenschaften der DDR war, allesamt auf der falschen Seite der Barrikaden.
Die soziale Konterrevolution nahm dadurch auch wie in den meisten
osteuropäischen Ländern eine bürgerlich-demokratische Form an.

Im Frühjahr 1990 hätte
das Schwergewicht der Intervention revolutionärer Kommunisten und
Kommunistinnen auf folgende Punkte konzentriert werden müssen: die Verteidigung
der existierenden Errungenschaften, den Kampf gegen den beginnenden Ausverkauf
der DDR-Wirtschaft an das Kapital, ein klares Nein zur kapitalistischen
Wiedervereinigung bei gleichzeitiger Herstellung enger Verbindung zu den
Arbeitern und Arbeiterinnen im Westen (besonders in jenen Konzernen und Banken,
die sich anschickten, den Osten zu „erobern“), den Kampf für volle
demokratische Rechte für die ArbeiterInnenbewegung und die Schaffung von den
Belegschaften verantwortlichen Kampforganen, die bei einer Generalisierung und Zuspitzung
der Abwehrkämpfe zu landesweiten räteähnlichen Organen, zu Organisatorinnen von
Massenstreiks gegen Kapital und Bürokratie, gegen NATO und sowjetische Truppen hätten
ausgebaut werden müssen.

Solche Organe hätten
gleichzeitig die Grundlage für eine revolutionäre ArbeiterInnenregierung sein
können, für die Zerschlagung der Reste des SED-Staatsapparates und die
Errichtung einer proletarischen Räterepublik in Deutschland. Eine solche
Entwicklung hätte die revolutionäre Wiedervereinigung mit unzweifelhaft
progressiver Dynamik auf die Tagesordnung gesetzt. Vor allem aber hätte der
Zusammenbruch der alten Weltordnung mit einem Fanal für die Ausweitung der
Revolution nach Ost- und Westeuropa begonnen.

Dass es nicht so gekommen
ist, lag zweifellos an ungünstigen politischen Voraussetzungen und der geringen
Zeitspanne, die für die Entstehung proletarischen Klassenbewusstseins und für
eine grundlegende Umgruppierung der Kräfte in der ArbeiterInnenbewegung genutzt
werden hätte müssen. Die kapitalistische Wiedervereinigung war eine Niederlage
für die ArbeiterInnenbewegung in Deutschland und eine besonders schwere für das
Proletariat in der ehemaligen DDR.

Es ist kein Zufall, dass
seit den frühen 1990er Jahren fast alle zentralen Angriffe auf die
Errungenschaften im Westen durch „Probeläufe“ und „Vorstöße“ im Osten gestartet
werden. Die Deindustrialisierung und die riesige industrielle Reservearmee,
aber auch der Verlust an gewerkschaftlicher Kampferfahrung und Bereitschaft des
Proletariats in den neuen Bundesländern haben die ArbeiterInnenklasse in der ganzen
BRD geschwächt. Gleichzeitig wurde die weltpolitische Rolle des deutschen
Imperialismus im letzten Jahrzehnt enorm gestärkt. Die ArbeiterInnenbewegung in
Deutschland steht heute einem Klassengegner gegenüber, der sich viel mehr
gestärkt hat, als es die Betrachtung der rein territorialen Ausdehnung
wiedergibt.

Der Kampf ist nicht zu
Ende!

Welches Potential in der ArbeiterInnenklasse
noch immer steckt, lässt sich freilich daran ermessen, dass es der Bourgeoisie
trotz ihres historischen Erfolgs 1990 noch nicht gelungen ist, die
Errungenschaften der westdeutschen ArbeiterInnenbewegung und die Stärke dieser
Bewegung zu vernichten. Zweifellos hat sich das Kräfteverhältnis insgesamt
zugunsten der Kapitalistenklasse verschoben – aber diese Verschiebung hatte
bisher einen im Wesentlichen graduellen, keinen qualitativen Charakter. Für die
deutsche Bourgeoisie ist dieser Schritt aus internationalen politischen und
ökonomischen Erwägungen notwendig, da nur so für den deutschen Imperialismus
alle Früchte aus der kapitalistischen Wiedervereinigung geerntet werden können.

Um diesen noch
ausstehenden Kampf gewinnen zu können, muss die ArbeiterInnenbewegung in
Deutschland auch die Ursachen der Niederlage des ostdeutschen Proletariats
begreifen und die politischen Lehren daraus ziehen!