Nationalratswahlen 2019: Vor der Neuauflage von Schwarz-Blau?

Alex Zora, Infomail 1066, 30. August 2019

Nachdem die Ibiza-Affäre die Koalition
gesprengt hat und Ende September Neuwahlen durchgeführt werden, hat
sich die politische Lage leider womöglich nur oberflächlich
verändert. Die ÖVP unter Sebastian Kurz liegt in den Umfragen
unangefochten auf Platz 1 und, falls es im Wahlkampf nicht zu
unvorhergesehenen Ereignissen kommt, wird auch die Wahlen gewinnen.
Doch was können wir tun, um uns gegen eine Neuauflage von
Schwarz-Blau zur Wehr zu setzen, bei den Wahlen und danach?

Schwarz-Blau – ein unfertiges Projekt

Im Mai diesen Jahres war das
schwarz-blaue Projekt noch keine eineinhalb Jahre alt, da war es auch
schon wieder vorbei. Nachdem Vizekanzler Strache wegen der
Ibiza-Affäre zurücktreten musste, weigerte sich die ÖVP, die
Regierung mit Innenminister Kickl weiter zu führen, die FPÖ hielt
an letzterem fest und die Regierung platzte. Wenige Tage später
wurde Kanzler Kurz durch ein Misstrauensvotum von SPÖ, FPÖ und
Liste JETZT gestürzt. Seitdem werden wir von einem ungewählten
„ExpertInnen“kabinett regiert.

Doch in der kurzen Zeit ihres Bestehens
schaffte es die schwarz-blaue Regierung, wesentliche Angriffe auf die
große Mehrheit der Bevölkerung durchzuführen. Begonnen wurde
dieses Projekt mit dem passiven Einführen von Studiengebühren für
berufstätige StudentInnen, die zu langsam fertig würden, einem
Steuerbonus für einkommensstarke Familien und Angriffen auf die
Rechte von AsylbewerberInnen. Schon bald darauf kam es zur vermutlich
größten und wichtigsten Reform von Schwarz-Blau. Der 12-Stundentag
wurde im Eilverfahren durchs Parlament bugsiert. Damit zeigte die
Regierung zum ersten Mal offen, dass sie nicht nur Angriffe auf den
einen oder anderen unterdrückten Teil der Gesellschaft fahren würde,
sondern eben auch solche auf die gesamte ArbeiterInnenklasse auf dem
Programm stehen. Gemeinsam mit den Stimmen der NEOS wurde die „Reform
der Tageshöchstarbeitszeit“ Anfang des Sommers 2018 angenommen.
Der ÖGB mobilisierte zwar innerhalb kurzer Zeit zu einer kraftvollen
Demonstration mit mehr als 100.000 TeilnehmerInnen, doch die Kritik
der ÖGB-Spitzen bezog sich vor allem auf die Tatsache, dass sie
nicht wie üblich zu Verhandlungen eingeladen worden waren. Trotz der
ohne Zweifel möglichen Dynamik kam es abgesehen von dieser
Großdemonstration am 30. Juni zu keinen weiteren Kampfmaßnahmen.
Die verräterische Rolle der sozialpartnerschaftlich orientierten
Gewerkschaftsspitze zeigte sich ein weiteres Mal.

Mit dem 12-Stundentag waren die
Angriffe von Schwarz-Blau keineswegs vorbei. Noch vor Ende des Jahres
2018 wurde eine Reform der Sozialversicherung beschlossen, die neben
einer Zusammenlegung der Versicherungsträger vor allem das Gewicht
in den Entscheidungsgremien deutlich zu den UnternehmerInnen hin
verschob. Das letzte große Projekt war die Reform der
Mindestsicherung, das zwar keine großen Einsparungen brachte, aber –
rassistisch ausgerichtet – vor allem Familien mit vielen Kindern
deutliche Einbußen bescherte und Menschen ohne österreichische
StaatsbürgerInnenschaft den Zugang erschwerte. Klar im Interesse des
Kapitals agierend wurde immer darauf geachtet, neben diesen Angriffen
die Geflüchteten und MuslimInnen als populäre Feindbilder zu
erhalten, um sich eine populär„volksnahe“ Basis zu bewahren. Das
funktioniert bis heute ausgesprochen gut. Die aktuellen Umfragen
sagen ÖVP und FPÖ zusammen einen ähnlichen Prozentsatz wie noch
bei den Wahlen 2017 voraus, wenn auch mit einer leichten Verschiebung
hin zur ÖVP.

Doch um sich auf die möglichen
Angriffe der nächsten Regierung vorbereiten zu können, ist es neben
den durchgeführten Angriffen vor allem auch wichtig, sich anzusehen,
welche Angriffe nicht (mehr) durchgeführt werden konnten. Ganz oben
auf dieser Liste steht die Reform von Arbeitslosengeld und
Notstandshilfe. Im Regierungsprogramm lautete das erklärte Ziel, die
Notstandshilfe und das Arbeitslosengeld in einem „Arbeitslosengeld
NEU“ zusammenzuführen. Dabei sollte vor allem die praktisch
unbegrenzte Bezugszeit der Notstandshilfe abgeschafft werden, was zu
einem ähnlichen Modell wie dem deutschen Hartz IV führen würde.
Das würde bedeuten, dass nach dem Ablauf des Bezugs des
Arbeitslosengelds, das sich in Höhe und Dauer wie angedacht nach der
vorherigen Beitragsdauer richten würde, das Vermögen bis auf einen
gewissen Freibetrag verbraucht werden müsste, bevor ein Bezug der
Mindestsicherung möglich wäre. Dieses Projekt war auch jenes, das
die meisten Unstimmigkeiten zwischen FPÖ und ÖVP bewirkt hatte und
dessen Durchführung vermutlich für Herbst/Winter 2019/20 geplant
war. Wir können mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
davon ausgehen, dass sich dieses Thema auch in einem neuen
Regierungsprogramm von Schwarz-Blau wiederfinden würde. Die
Gewerkschaften müssen sich schon jetzt auf diesen Angriff einstellen
und Gegenstrategien entwickeln, um nicht wieder wie bei der Reform
des 12-Stundentages vollkommen überrumpelt zu werden. Aber auch
andere Angriffe konnten nicht mehr durchgeführt werden, wie die
Einführung von Studiengebühren, ein vermieterfreundliches
Mietrecht, oder die finanzielle Austrocknung der ArbeiterInnenkammer.

Alle jagen Kurz

Was sich durch die Ibiza-Affäre klar
gezeigt hat, ist dass die etablierten Parteien, auch solche wie die
FPÖ, die sich gerne als „Partei des kleinen Mannes“ ausgibt,
nicht viel mehr als korrupte Gebilde sind, um Politik im Interesse
der Reichen und Mächtigen zu machen. Die ÖVP ist auch durch die
Spendenaffäre rund um die Milliardärin Heidi Horten (die Strache
auch im Ibiza-Video als Spenderin der FPÖ nennt) in ein für sie
ungutes Licht gerückt worden. Nachdem Spendenlisten der ÖVP
diversen Medien zugespielt wurden, veröffentlichte die ÖVP ihre
SpenderInnen von 2018 und 2019. Ungeschlagen dabei ist Heidi Horten,
die seit der Übernahme durch Kurz jeden Monat 49.000 Euro (ab 50.000
Euro wäre es zu melden gewesen) an die ÖVP überwies. Insgesamt
belief sich das auf fast 1 Million Euro. Aber auch andere
KapitalistInnen wie Pierer oder Ortner spendeten mehrere
hunderttausend.

Trotz all dieser Steilauflagen tut sich
die SPÖ bisher schwer, im Wahlkampf auf Kosten des Kanzlers Kurz an
Boden zu gewinnen. Auf der einen Seite versucht sie, zwar klar die
Politik der Reichen von Kurz und Co. anzuprangern, tut sich aber
gleichzeitig schwer, wirklich radikal und offensiv für die
Interessen der ArbeiterInnen einzutreten. Das ist auch wenig
verwunderlich, immerhin möchte sie sich ja nicht den Weg in eine
Regierung als Juniorpartnerin der ÖVP versperren. Die FPÖ hingegen
wandelt gerade auf einem schmalen Grad der Parteispaltung. Hinter den
Kulissen dürfte es harte Auseinandersetzungen zwischen dem
radikaleren Flügel um die deutschnationalen Burschenschafter und
Ex-Innenminister Kickl auf der einen Seite und dem gemäßigteren
Flügel um Parteichef Hofer geben, der sich voll auf eine Fortsetzung
der Regierung mit der ÖVP orientiert. Auch Strache versucht aktuell,
an seinem Comeback zu arbeiten, und befindet sich damit eindeutig auf
Konfrontationskurs mit Hofer. Der FPÖ-Parteitag am 14. September
könnte diesbezüglich noch interessante Entwicklungen bringen.

Die Grünen sind wohl die Partei, die
am meisten zulegen wird können. Das ist aber in erster Linie nicht
selbstverschuldet, sondern liegt vor allem an der internationalen
Umweltthematik. Mit Fridays for Future gibt es nun schon seit einigen
Monaten eine kampfstarke Umweltbewegung, die die Grünen in vielen
Ländern dominieren und wovon sie natürlich auch politisch
profitieren. Das hat sich schon bei den EU-Wahlen gezeigt. In dieser
Bewegung spielen die Grünen aber vor allem die Rolle der
„realistischen“ Alternative zu den anderen Parteien, die den
Umweltschutz nur als untergeordnetes Thema aufgreifen wollen. Aber es
ist auch ganz klar, dass sie mit ihrer Politik der grünen bzw.
sozial-ökologischen Marktwirtschaft nicht über die Grenzen dieses
Systems hinausgehen wollen und letztlich nicht in der Lage sein
werden, das Problem der Umweltzerstörung und des Klimawandels
wirklich zu lösen.

ArbeiterInnenbewegung und die Wahlen

Links der Sozialdemokratie und der
Grünen werden österreichweit der „Wandel“ antreten und die KPÖ
(diesmal unter „Alternative Listen, KPÖ PLUS, Linke und
Unabhängige“). Beide versuchen, sich mit einem mehr oder weniger
ambitionierten Reformprogramm bei diesen Wahlen als Alternative zu
präsentieren. Aber mehr als linker Reformismus ohne relevante
Grundlage in der ArbeiterInnenklasse ist bei beiden nicht zu
erkennen. Vielmehr geht es darum, das Programm der klassischen
Sozialdemokratie ins 21. Jahrhundert zu bringen. Ein klarer Bruch mit
dem Kapitalismus und ein proletarischer Klassenstandpunkt ist bei
beiden zu vermissen.

Die SPÖ, immer noch die dominierende
Kraft in den Gewerkschaften und in den organisierten Teilen der
ArbeiterInnenklasse, bringt bei diesen Wahlen selbst nicht viel mehr
als ein handzahmes Programm des Bruchs mit der schwarz-blauen
Koalition vor. Nicht einmal die Rücknahmen aller Konterreformen der
letzten zwei Jahre finden sich bei ihnen. Offiziell möchte man
wieder schaffen, stärkste Kraft zu werden, doch anlässlich der
Umfrageergebnisse ist wohl die Rolle der Juniorpartnerin unter
Sebastian Kurz realistischer, nicht zuletzt um die FPÖ aus der
Regierung zu verdrängen. Nichtsdestotrotz werden viele
fortschrittliche ArbeiterInnen, Arbeitslose und Jugendliche die SPÖ
als Partei des kleineren Übels und als Kraft gegen eine Neuauflage
von Schwarz-Blau wählen.

Für uns ist es deshalb nicht genug,
auf die Unzulänglichkeiten aus den vergangenen SPÖ-Regierungen
hinzuweisen: auf die Sparpolitik nach der Wirtschaftskrise, in der
Faymann die Kosten der Bankenrettung auf die ArbeiterInnen und
Jugendlichen abwälzte, auf die rassistische Grenzpolitik im Zuge der
„Flüchtlingskrise“ und die sozialpartnerschaftliche Ausrichtung
der sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaftsführungen. Die SPÖ
ist eben wegen dieser zutiefst bürgerlichen Politik, Strukturen und
Führung, aber gleichzeitig wegen ihrer engen Verbindungen zu den
Gewerkschaften und der ArbeiterInnenbewegung eine bürgerliche
ArbeiterInnenpartei. Ihre reformistische, lähmende Dominanz bleibt
das größte Hindernis für revolutionäre Politik der
ArbeiterInnenbewegung, die den konsequenten Bruch mit den
KapitalistInnen sucht. Deswegen müssen alle ehrlichen und
klassenbewussten Linken Wege finden, um die ArbeiterInnenbewegung vom
Reformismus zu trennen.

Interessanter Weise ist die Rolle der
Sozialistischen Jugend in der Partei in den letzten Monaten gestärkt
worden. Die SJ-Chefin Julia Herr kandidiert auf Platz 7 der
Bundesliste. Als selbstproklamierte Sozialistin müssen wir von ihr
die konsequente Ablehnung aller Politik gegen die Interessen der
ArbeiterInnenklasse, Frauen, MigrantInnen und Jugendlichen fordern
und die Unterstützung für die Mobilisierung der Linken und der
ArbeiterInnenbewegung. Von der SPÖ fordern wir die Ablehnung
jeglicher Koalitionen mit den bürgerlichen Parteien des Parlaments
und stattdessen eine Orientierung auf den außerparlamentarischen
Widerstand gegen die kommenden Angriffe von Kurz und Co. Gerade den
linkeren Kräften innerhalb der Sozialdemokratie, die eine solche
Herangehensweise teilen, bieten wir hier eine praktische
Zusammenarbeit an. Um den Kampf um solche Anliegen zu stärken,
werden wir am 29. September für eine kritische Wahlunterstützung
der SPÖ aufrufen. Gleichzeitig muss uns aber auch klar sein, dass
der wirkliche Kampf erst nach den Wahlen beginnen wird und deshalb
schon jetzt in der ArbeiterInnenbewegung die Diskussion über den
praktischen Widerstand gegen die geplanten Angriffe geführt werden
muss.