Kassel: 15.000 demonstrieren gegen Nazis – „Antideutsche“ ProvokateurInnen denunzieren InternationalistInnen

Martin Suchanek, Infomail 1063, 24. Juli 2019

15.000 Menschen gingen am 20. Juli gegen die faschistische
Gruppierung „Die Rechte“ auf die Straße – eine der größten Demonstrationen seit
Jahren. Zweifellos brachte die gezielte Provokation der Nazis für viele das
Fass zum Überlaufen und dazu, gegen den Nazi-Mob auf die Straße zu gehen. „Die
Rechte“ brachte es schließlich fertig, den Mord am Kassler
CDU-Regierungspräsidenten Walter Lübcke zu relativieren, den der Getötete durch
die Unterstützung der Flüchtlingspolitik der Regierung Merkel gewissermaßen
„herausgefordert“ hätte. In den Augen der Nazis stellte der rassistische Mord
gewissermaßen eine „Notwehr“ gegen eine imaginierte Zerstörung deutscher Kultur
und Volksgemeinschaft dar.

Die gute Nachricht vorweg: Der „Dritte Weg“ erlitt mit
seiner menschenverachtenden Mobilisierung kläglich Schiffbruch. Selbst den
RassistInnen von der AfD und den meisten AnhängerInnen des Rechtspopulismus war
solcherart zur Schau getragene Sympathiebekundung mit einem faschistischen
Mörder (noch?) zu viel. Die Nazis blieben weitgehend unter sich, mussten ihre
Route verlegen, konnten jedoch unter massivem Polizeischutz demonstrieren.

Allein die Masse von rund 15.000 Menschen verdeutlicht, wer
an diesem Tag zahlenmäßig die Oberhand hatte. Kurzfristig mag das auf die
Völkischen vom „Rechten Weg“ sogar demoralisierend wirken. Die
Massendemonstration offenbarte ein enormes Mobilisierungspotential im Kampf gegen
rechts.

Zugleich verdeutlichte sie aber auch die politische Schwäche
des „breiten“ Mobilisierungsbündnisses bis hin zu Kirchen, Grünen, bürgerlichen
Vereinen. An diesem Tag wäre nicht nur ein zahlenmäßiger Erfolg, ein klarer
Sieg bei der symbolischen Heerschau möglich gewesen. Die Nazis hätten bei einer
entschlossenen, koordinierten Vorgehensweise der 15.000 – und das heißt zuerst
bei einem entschlossenen Vorgehen des Bündnisses selbst – nicht nur an den Rand
gedrängt werden können. Ihre Veranstaltung hätte tatsächlich verhindert und die
Rechten in die Flucht geschlagen werden können. Sie hätten so nicht nur erleben
müssen, dass ihnen an diesem Tag die Stadt nicht gehörte, sie hätten auch von
der Straße gefegt werden können.

Hier zeigte sich einmal mehr die Grenze des bürgerlichen
Antifaschismus, der das Kassler Bündnis (wie die meisten, bis weit ins
bürgerliche Lager hinein reichenden „breiten Bündnisse“) politisch dominiert –
diesmal in Form der Beschränkung auf eine massenhafte, symbolische Manifestation.

So weit zur eigentlich politischen Bilanz und zu den Fragen,
die bei einer Auswertung der Aktion im Vordergrund stehen müssen.

Die „Bilanz“ der Anti-Deutschen

Während bürgerliche Kräfte wie die Grünen, die katholische
und evangelische Kirche, aber auch reformistische Parteien (SPD, Linkspartei)
und die Gewerkschaften wirklich AnhängerInnen mobilisierten und so dazu
beitrugen, dass sich Tausende versammelten, gaben sich die anti-deutschen
Gruppierungen in Kassel mit den Tiefen profaner Mobilisierungsarbeit nicht
weiter ab.

Das drückte sich darin aus, dass sie allesamt den Aufruf zur
Aktion um die vier Forderungen „Gemeinsam gegen rechten Terror! Aufdeckung und
Zerschlagung der braunen Netzwerke und NSU-Strukturen! Kein Fußbreit den
Mördern und Faschisten!
Den Naziaufmarsch am 20. Juli in Kassel verhindern!“ (http://bgr-kassel.de/kassel-nimmt-platz-no-pasaran)
erst gar nicht unterstützten.

Ihr Anliegen besteht offenkundig nicht darin, Faschismus und
Rassismus entgegenzutreten. Ihre Hauptenergie verwenden sie vielmehr auf die
„Feindbeobachtung“ bei den Aktionen gegen die Rechten – und darunter verstehen
nicht die Nazis, sondern alle linken Strömungen, die sich der „Solidarität mit
Israel“ verweigern und die reaktionäre Gleichsetzung von Antizionismus und
Antisemitismus ablehnen.

„Den Aufruf des Kasseler Bündnisses gegen Rechts haben auch
klar antizionistisch und antisemitisch ausgerichtete Gruppen unterzeichnet:

DKP-Nordhessen, Gruppe Arbeiterinnenmacht, Kasseler Friedensforum, MLPD Kreis Kassel, Jugendorganisation REVOLUTION und die SAV. Mit der‚Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft’ hat mittlerweile auch eine Kasseler Gruppe den Aufruf unterzeichnet, die wie die MLPD die offiziell für antisemitisch erklärte BDS-Bewegung unterstützt (siehe: BDS-Unterstützer) und deren Vorsitzende sich an den antisemitischen Aufmärschen im Sommer 2014 beteiligte…“ (https://bgakasselblog.wordpress.com/2019/07/15/auch-in-kassel-unteilbar-mit-antizionisten)

Dieses Zitat verdeutlicht die politische Ausrichtung der
sog. Anti-Deutschen. Sie richten sich gegen alle bekanntermaßen politisch sehr
unterschiedlichen Kräfte, für die Antifaschismus und Antirassismus mit dem
Kampf gegen Imperialismus und Krieg, für internationale Solidarität eng
verbunden sind.

Wir haben schon in verschiedenen Artikeln hinlänglich den
falschen, demagogischen und hetzerischen Vorwurf des Antisemitismus gegen
ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION wie auch gegen die anderen genannten
Gruppierungen zum Ausdruck gebracht. Sie erwachsen allesamt aus der falschen
Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus. Diese führt einerseits zur
Unterstützung oder Hinnahme der Unterdrückung der PalästinenserInnen durch den
israelischen Staat und den Imperialismus (einschließlich der politischen,
wirtschaftlichen und militärischen Unterstützung durch den deutschen Staat).
Andererseits verharmlost sie den wirklich wachsenden Antisemitismus auf Seiten
der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Rechten – von den Nazis, den
RechtspopulistInnen bis in „bürgerliche Lager“.

Die Verstrickung der Anti-Deutschen in diese Politik
verdeutlicht ihre Solidarität mit dem US-Imperialismus und Israel gegenüber dem
Iran oder der anti-muslimischen und anti-arabischen rassistischen Hetze (bis
hin zum skandalösen Hofieren von RednerInnen der ultra-rassistischen „English
Defence League“ in Kassel durch AK Raccoons und das sog. Bündnis gegen
Antisemitismus).

Daher kann es auch nicht verwundern, dass sich die
Anti-Deutschen einzig über die Teilnahme, linker, internationalistischer,
kommunistischer, sozialistischer und antikapitalistischer Strömungen an der
Demonstration echauffieren. Mit der staatstragenden Politik der VertreterInnen
der „Mitte“ der Gesellschaft (christliche Kirchen, Grüne Partei, SPD,
Linkspartei, Gewerkschaftsführungen) haben sie offenkundig keine politischen
Probleme – abgesehen davon, dass diese angeblich „demokratie- und
israelfeindliche“ Gruppierungen bei der Mobilisierung und auf der Demonstration
dulden würden. Mit anderen Worten: Die „Mitte“ ist den Anti-Deutschen nicht
rechts und staatstragend genug. Schließlich soll diese die Forderung der
Anti-Deutschen umsetzen und die linken, antifaschistischen Kräfte rauswerfen,
damit pro-imperalistische und rassistische anti-deutsche HetzerInnen auch
mitmachen könnten.

Freudig nahmen auch die bürgerlichen Medien die Diffamierungskampagne auf. So warf die Hessische Niedersächsische Allgemeine Zeitung vor der Aktion die Frage auf, ob es eine gute Idee wäre, mit „Linksextremisten“ und „Gewaltbereiten“ zu demonstrieren. All dies verdeutlicht nur, dass die Anti-Deutschen die Interessen des deutschen Imperialismus, seiner „Demokratie“, seines Staates bedienen.

Klare Kante zeigen!

Die linken Organisationen müssen der erneuten Diffamierung durch die Anti-Deutschen klar und gemeinsam entgegentreten. Die Hetze in Kassel stellt nur einen und leider auch keineswegs den gefährlichsten Teil der rechten Kampagne dar. ArbeiterInnenmacht, REVOLUTION und andere Gruppierungen haben als einen Schritt in diese Richtung den Aufruf „Internationale Solidarität gegen die Angriffe der sogenannten ,Antideutschen‘ – Antizionismus ist kein Antisemitismus!“ lanciert. Wir rufen andere linke Organisationen auf, sich diesem anzuschließen und ihre gemeinsamen Aktivitäten gegen Provokationen aus dem „anti-deutschen“ Spektrum zu verstärken.

Das Kassler Bündnis gegen Rechts sollte seinerseits eine
klare Absage an die Zumutungen aus diesem Spektrum erteilen. Im Kampf gegen den
realen, wachsenden Faschismus, Rassismus und auch gegen den Antisemitismus
stehen die Anti-Deutschen auf der anderen Seite der Barrikade. Allenfalls sind
sie unnützer Ballast – und den sollten wir abwerfen. Der Kampf gegen Rechts
erfordert ohnedies genug Kräfte. Vor allem aber wird er nicht erfolgreich sein
können, wenn er nicht zugleich mit dem gegen Ausbeutung der sog. „Dritten
Welt“, Abschottung der EU, rassistische und nationale Unterdrückung durch den
Imperialismus verbunden wird.