Weltlage: Kapitalistische Globalisierung am Scheideweg

Jürgen Roth, Neue Internationale 239, Juli/August 2019

Mit Marx und
Engels gehen wir davon aus, dass die Überwindung des Kapitalismus kein
automatischer Prozess ist z. B. infolge eines Zusammenbruchs in einer großen
Krise. Der bewusste, organisierte Umsturz der Produktionsverhältnisse,
insbesondere des Privateigentums an den großen Produktionsmitteln durch die
Ausgebeuteten in einer sozialistischen Revolution bildet vielmehr deren
zwingend notwendige Voraussetzung. Wird die Krise des bürgerlichen Systems
wegen der Schwäche der globalen proletarischen Bewegung und ihrer Führungskrise
nicht auf revolutionäre Weise gelöst, sind lange Perioden konterrevolutionärer
Angriffe und Rückschläge unvermeidlich. Die Geschichtsepoche der Bourgeoisie
ist also weder eine ihres linearen Aufstiegs noch eines ununterbrochenen,
mechanischen Niedergangs. Der grundlegende Widerspruch zwischen
Produktivkräften und Produktionsverhältnissen mündet nicht in einen permanenten
Niedergang der ersteren, sondern in ein immer heftigeres Eklatieren dieses
Widerspruchs, der das Überleben der Menschheit zusehends ernsthafter in Gefahr
bringt (Weltkrieg, ökologische Katastrophe).

Entwicklung
ihrer Widersprüche

Jede Periode
bringt nicht nur verschiedene Modelle der Akkumulation und Organisation der
Beziehung zwischen Kapital und Lohnarbeit hervor, sondern auch neue politische
Konstellationen und internationale Kräfteverhältnisse. Die Niederlagen in den
1980er Jahren, der neoliberale Rollback und besonders der Zusammenbruch der stalinistischen
Staaten ermöglichten dem globalen Kapital ein zeitweiliges Aufschieben der
Krise auf Kosten der Ausgebeuteten. Die neoliberale Globalisierung erwies sich
jedoch zur Jahrtausendwende bereits als kurzlebiges, zu früh verkündetes „Ende
der Geschichte“. Tequila-, Asien- und Argentinienkrise und der Widerstand der
französischen ArbeiterInnenklasse legten davon beredt Zeugnis ab, v. a. aber
blutige Regionalkonflikte in den Nachfolgestaaten der UdSSR, auf dem Balkan und
besonders im Nahen und Mittleren Osten.

Zudem
entwickelte sich China seit den frühen 2000er Jahren zu einem imperialistischen
Herausforderer. Russland erholte sich von der Schocktherapie der 1990er Jahre
und konnte sich gestützt auf seine Rohstoff- und Energiereserven sowie
anhaltende militärische Stärke auf der imperialistischen Bühne behaupten.

Die
Entwicklungsdynamik des globalen Kapitalismus verschob sich nach Asien (60 %
der Weltbevölkerung, 26 % Anteil am weltweiten BIP; davon entfallen allein auf
China 2017 15 %). Der Anteil der G7 am globalen BIP sank von 66,4 % im Jahr
2000 auf 46 % im Jahr 2017. Nach der Asienkrise 1997/1998 und Japans langer
Wirtschaftsstagnation brach der Konflikt um Dominanz in dieser entscheidenden
Region umso heftiger aus.

Lateinamerika
und Afrika standen am Rand dieses Globalisierungsbooms. Die Konzentration der
USA auf politische Auseinandersetzungen in anderen Weltregionen und die
schwindende wirtschaftliche Bedeutung seines ehemaligen Hinterhofs ermöglichte
das Zustandekommen mehrerer „Linksregierungen“ gegen den Washington-Konsens
(Venezuela, Brasilien, Bolivien, Ecuador).

Afrika ist fast
so reich an Bevölkerung wie China, jedoch auf 54 Staaten aufgeteilt. Weder
Nigeria noch Südafrika, die ökonomisch bedeutendsten Länder des Kontinents,
konnten eine dynamische Wirtschaftsentwicklung verzeichnen und als Lokomotive
für diesen Erdteil fungieren. Afrika blieb am Rande der großen Kapitalflüsse
während der Globalisierung und fiel aus dem Fokus der Weltpolitik.

Neuzusammensetzung
der ArbeiterInnenklasse

Die Globalisierung
und Entwicklung ihrer Produktivkräfte führte zu einer bedeutsamen
Neuzusammensetzung der internationalen ArbeiterInnenklasse. In den
imperialistischen Zentren sank der Anteil der FabrikarbeiterInnenschaft.
Dienstleistungen und Beschäftigung am oberen Ende der Wertschöpfungskette
(SpezialistInnen, IT, Forschung, Marketing, Finanzindustrie) expandierten
andererseits. Die unteren Einkommens- und Gesellschaftsschichten erwiesen sich
als VerliererInnen der Entwicklung (Prekarisierung). Die Globalisierung führte
in einigen Halbkolonien und sich entwickelnden imperialistischen Staaten
(insbesondere China) zum Wachstum der LohnarbeiterInnenschaft, deren
Reservearmee der informelle Sektor und die Dorfbevölkerung bildet (Wanderarbeit
in China).

Die gesteigerte
Nachfrage nach Arbeitskräften hat nach dem 2. Weltkrieg immer mehr Frauen in
den gesellschaftlichen Arbeitsprozess hineingezogen und die klassischen
Geschlechterverhältnisse erschüttert. Im Gefolge der neuen Qualität
internationaler Kapitalflüsse während der Globalisierungsperiode kann es nicht
überraschen, dass der bürgerliche Nationalstaat und dessen Institutionen
vermehrt in eine Krise gestürzt wurden. Diese Phase hat zu beschleunigter
Internationalisierung von Produktion und Handel und enormem Zuwachs an
Migration auf allen Ebenen geführt.

Die Unterhöhlung
„nationaler Identität“ stellt einerseits ein Versprechen für eine zukünftige
kosmopolitische Welt jenseits nationaler Borniertheit dar. Andererseits
förderte sie Elemente reaktionärer Furcht und rassistischer Politik.

Die
vorherrschende neoliberale Globalisierungsideologie lautet: „Es gibt keine
Alternative!“ (TINA) Niederlagen und Wandel der ArbeiterInnenklasse in den
1980er Jahren wirkten sich ideologisch auf die Linke aus und verleiteten viele
zu einem „Abschied vom Proletariat“ und zur Kapitulation vor postmodernen
Ideologien. Der Bedeutungsverlust der Gewerkschaften, die augenscheinliche
Entstehung einer „neuen Mittelklasse“ bugsierten die „westlichen“
sozialdemokratischen Parteien noch weiter nach rechts (New Labour, Neue Mitte).
Das Ende der Sowjetunion und des Ostblocks trieb viele linke Organisationen zur
Aufgabe des „Modells Oktoberrevolution“ und jeglicher revolutionärer Ambition.
Bestenfalls orientierten sie auf eine „Gesellschaftstransformation“, die sie
mit Gramscis „Stellungskrieg“ rechtfertigten, d. h. einer langen Periode
„radikaler Reformmaßnahmen“ und einer Erringung ideologischer „Hegemonie“.
„Radikalere“ Linke entdeckten neue revolutionäre Subjekte in Bewegungen gegen
Geschlechterunterdrückung, Rassismus, Umweltkrisen oder im Prekariat.

Folglich sind
viele entstehende Protestbewegungen vom Postmodernismus (einschließlich einer
Dosis von Reformismus und Populismus) geprägt. „Identitätspolitiken“ führten zu
einer Zersplitterung der Bewegungen gegen unterschiedliche Unterdrückungsformen
statt zur „Entdeckung“ eines gemeinsamen Nenners in den Klassengesellschaften.
„Intersektionalität“ und die Bündnistaktik zwischen diversen autonomen
Strömungen erwiesen sich als unfähig, diese zu vereinen. Dies bedeutet nicht,
dass der Kampf gegen Formen rassistischer, nationaler oder
Geschlechterunterdrückung eine Abweichung vom Klassenkampf darstellt. Diese
Vorstellung ist vielmehr selbst eine ökonomistische Entstellung, die
Klassenpolitik mit gewerkschaftlichen und ökonomischen Auseinandersetzungen
gleichsetzt. Aber der Sieg der ArbeiterInnenklasse ist unmöglich, wenn sie
nicht von einer revolutionären ArbeiterInnenpartei geführt wird, die auf jedes
Aufbegehren gegen Tyrannei und Unterdrückung reagiert und dieses mit dem Kampf
zum Sturz der kapitalistischen Ausbeutergesellschaft verbindet. Als sich die
Widersprüche der Globalisierung zur Krise verdichteten, war die Linke stark
geschwächt und desorientiert.

Die
Krisenperiode seit 2008

Der deutlichste
Ausdruck der „Großen Rezession“ waren der Finanzcrash 2007-2008 und eine tiefe
Rezession in deren Gefolge 2008-2009. Sie markiert einen historischen
Wendepunkt, weil ihre krisenhaften Widersprüche kulminierten und gebieterisch
neue Beziehungen zwischen Kapital und Lohnarbeit wie zwischen den bürgerlichen
Klassen und ihren Nationalstaaten und Blöcken verlangen. Wir sind in eine Phase
eingetreten, in der die bisherige Weltordnung erodiert und der Kampf um die
Neuaufteilung der Welt immer offenere Form annimmt.

Dank des
spezifischen Gewichts der US-Wirtschaft seit dem 2. Weltkrieg gehen die
langfristigen Tendenzen der Kapitalakkumulation parallel zur Entwicklung der
Profitrate in deren Industrie (ohne Finanzsektor), folgten ihr die „westlichen“
imperialistischen Zentren auf dem Fuß.

Schon mit dem
Einsetzen von Überakkumulationserscheinungen (Asienkrise 1997/1998) entpuppten
sich die deregulierten Finanzmärkte als Bumerang. Unterstützt durch
Niedrigzinspolitik der Zentralbanken wurden angesichts schwindender Renditeaussichten
für Investitionen im Industriesektor solche in der Finanzsphäre getätigt – mit
der Folge gewaltiger Aufblähung fiktiven Kapitals.

Der „schwarze“
18. September 2008 löste mit dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman
Brothers einen Dominoeffekt aus. Im Oktober 2008 drohte dem Kapitalismus „das
Geld auszugehen“. Mehrere Bankeninsolvenzen stoppten den Kredit zwischen ihnen.
Der Welthandel drohte stillzustehen. Die von den IdeologInnen des
Neoliberalismus geschmähten Staaten mussten einspringen – allein 2009 mit 20
Billionen US-Dollar für die Sozialisierung eines Großteils der Verluste (34
Billionen). Der Absturz der G7-Volkswirtschaften war fünfmal so schlimm wie der
nach der sog. „Ölkrise“ 1973/1974. Die Überakkumulationskrise, die 10 Jahre zuvor
am Horizont in Ostasien aufgetaucht war, setzte nun in konzentrierter und
weltweiter Form ein.

Die
Intensivierung der ökonomischen Krise war jedoch nur Ausdruck einer tieferen
allgemeinen Globalisierungsproblematik. Die Ausdehnung von Auslandsinvestitionen
betraf nur einen Teil der Welt (siehe oben). Das Scheitern der USA in den
politische Krisenherden Afghanistan, Pakistan, Somalia, Balkan, Lateinamerika
und in den Golfkriegen verdeutlichte, dass sie nicht fähig, war eine „neue
Weltordnung“ als einzige verbliebene Supermacht durchzusetzen.

Niedergang der
US-Vorherrschaft

Langfristig
hatte sich die ökonomische Vorherrschaft der USA seit Ende der 1960er Jahre
zersetzt. Ihre scheinbar komfortable weltwirtschaftliche Position beruhte auf
dem US-Dollar als fungierendes Weltgeld. Ihre zunehmenden Außenhandelsdefizite
konnten durch Schulden in eigener Währung aufgefangen werden, untergruben aber
ihre Hegemonie. In den 1970er und 1980er Jahren wuchsen Deutschland und Japan
zu ernsthaften Konkurrenten heran, in den 1990ern China. Billige chinesische
Importe und steigende Privatverschuldung in den USA bildeten das Tandem, das
langfristiges Weltwirtschaftswachstum zu garantieren schien – und den Crash
verschlimmerte und weltweit spürbar machte. Während der „Großen Krise“ von
2007-2009 entwickelte sich China mit seinen riesigen staatlichen
Infrastrukturprogrammen und als Kreditgeber zum Hauptfaktor für die Erholung
und zur Großmacht, die die USA global herauszufordern begann.

Gleichzeitig
erholte sich Russland von der Schocktherapie der 1990er Jahre und löste interne
Konflikte auf autoritäre, blutige Weise (Tschetschenien). Im Georgien- wie im
Ukrainekonflikt erwiesen sich seine Armee und von ihr unterstützte Milizen als
machtvoller denn ihre pro-westlichen WidersacherInnen. Es begann, die Schwächen
der US- und EU-Imperialismen auszunutzen, zumeist im Bündnis mit China, und
kehrte auf die Bühne des großen politischen Weltgeschehens zurück, erschütterte
den Traum der USA von einer neuen unipolaren Weltordnung (Krim, Syrien, Allianz
mit dem Iran, aktive Rolle in Afrika, Unterstützung Venezuelas, Nicaraguas und
Kubas).

Ökonomisch und
politisch ist die Globalisierung gescheitert. Die Hegemonialposition der USA
wird außer durch China und Russland auch durch die selbst in die Krise geratene
EU bedroht. Die globalisierte Welt ist wiederum in verschiedene
imperialistische Blöcke und deren Einflusssphären zerfallen wie vor dem 1.
Weltkrieg.

Gesellschaftliche
Folgen

In den
imperialistischen Ländern untergrub die neoliberale Globalisierungsperiode die
Sozialpartnerschaft. Konflikte um Renten, Gesundheits- und Bildungssystem und
v. a. das der sozialen Sicherung nahmen explosives Ausmaß an. Trotz der
Schwächung der Gewerkschaften intensivierten sich die Klassenkämpfe, nahmen in Verteidigung
der Soziallohnbestandteile oft infolge der Schuldenkrise politische Formen an
(Griechenland, Spanien, Portugal).

In den
Halbkolonien gesellten sich zu dieser Art von Bewegungen solche gegen den
Ausverkauf öffentlichen Eigentums an die Multis (Wasser, Energie,
Saatgutpatente) oder den Ruin einheimischer Subsistenzlandwirtschaft durch
billige Agrarexporte (oftmals hoch subventioniert wie im Fall der EU). Die
Finanzblase führte ab 2006 zur Spekulation an den Weltagrarmärkten und ab 2008
zu massiven Anstiegen der Lebensmittelpreise. Unzufriedenheit mit langjährigen
autoritären Regimes und ungelösten sozialen Konflikten ließ die Hungerrevolten
in Nordafrika in politische Revolutionen umschlagen (Arabischer Frühling). Dazu
trug auch bei, dass die imperialistischen Länder ihre Umweltprobleme
(Plastikmüll, Elektronikschrott, „Ausgleichsflächen“ für CO2-Emissionen) in die
Halbkolonien exportierten (Umweltimperialismus).

Gegen die
Widersprüche der Globalisierung bildete sich zur Jahrtausendwende die Antiglobalisierungsbewegung.
Hunderttausende gingen beim Ausbruch des 2. Krieges gegen den Irak auf die
Straßen. Gipfelproteste und Sozialforen waren Schauplatz des Kampfes um
Hegemonie innerhalb ihrer. Die Gewerkschaften und Linksparteien bildeten den
reformistischen, diverse lateinamerikanische Regierungen den
linkspopulistischen Pol. Doch auch antikapitalistische Umgruppierungen kämpften
um Einfluss. Auf dem Höhepunkt der Krise 2007-2009 brach die Bewegung jedoch
auseinander. Die Gewerkschaftsspitzen machten dem Kapital alle möglichen
Zugeständnisse. Das lose gestrickte Antiglobalisierungsnetzwerk hatte dieser
Kapitulation nichts entgegenzusetzen.

Rettungsmaßnahmen

Der Schwäche des
Widerstands setzten die imperialistischen Führungen Entschlossenheit bei der
Überwindung der Krise ab 2009 entgegen. Eine international konzertierte Aktion
aus Auslöse für marode Banken, staatlichen Konjunkturprogrammen und
Wiederbelebung des Interbankenkredits verhinderte das Abgleiten in eine
Depression wie in den 1930er Jahren. Flankiert wurde dies durch einschneidende
Niederlagen für die ArbeiterInnenbewegung:

a)
Massenentlassungen in den USA und der EU mit sozialpartnerschaftlicher
Begleitmusik z. B. in Deutschland.

b) Steigende
Staatsverschuldung durch Sozialisierung der Schulden v. a. der Privatbanken ab
2010. Diese traf insbesondere die schwächeren Glieder in der imperialistischen
Kette oder halbkoloniale Länder, so ab 2012 Südeuropa (Kapitalflucht,
Spekulation gegen ihre Staatsanleihepapiere), was eine permanente Krise in der
EU auslöste.

c) 2014/2015
markierte das Ende des Arabischen Frühlings. Die alten Eliten kamen wieder an
die Macht, ein erneuter Aufstieg des reaktionären politischen Islam begann und
führte oftmals zu Konfrontationen mit ersteren. 2015 setzte eine große Fluchtbewegung
ein. Die „Occupy“-Bewegung in Südeuropa versandete. In Spanien bleibt als deren
Frucht der Populismus von Podemos. Seine pseudodemokratischen Strukturen mit
einem charismatischen, mediengeilen Führer jenseits aller politischen Klarheit
erwiesen sich als Sackgasse. Das trifft auch auf die Hilflosigkeit der
„radiaklen Linken” gegenüber der Kapitulation der griechischen Syriza-geführten
Regierung vor dem Ultimatum der Troika – sei es infolge opportunistischer
Anpassung oder passiven Abseitsstehens angesichts der Kämpfe in Syriza.

Die o. a.
Erfolge des globalen Kapitals bei seiner Krisenbewältigung läuteten allerdings
keinen neuen Aufschwung ein. Überakkumuliertes Kapital wurde durch
Staatsintervention einstweilen vor der Zerstörung bewahrt. Mit Ausnahme Chinas
wurden die imperialistischen Kernländer von 2010-2015 von allgemeiner
Stagnation, nicht ausgelasteten Kapazitäten, niedriger Profitabilität und
ausbleibenden Erweiterungsinvestitionen geprägt. In den USA sind nur die großen
Player der Hightech- und IT-Branche gewinnträchtig (Alphabets Google, Amazon,
Apple, Facebook, Netflix, Microsoft). Trumps Hauptaufgabe besteht darum in der
Zementierung ihres Technologievorsprungs gegenüber der aufkommenden
chinesischen Konkurrenz. Es handelt sich also um mehr als einen
Handelskonflikt, wie das Gezerre um Huawei und ZTE zeigt.

Die
Wirtschaftsstimulationsprogramme und die Politik des lockeren Geldes (QE)
nutzten nicht nur den IT-Granden, sondern auch den RohstofflieferantInnen
(Brasilien, Russland, Venezuela). Mit der Abkühlung des Chinabooms nach 2013
gerieten aber besonders Brasilien und Venezuela in die Krise. Deren politische
Krise folgte auf dem Fuß. Die „Linke“ befindet sich nach ihrem Versagen
angesichts der „Großen Rezession” also auch in Lateinamerika auf dem Rückzug.

Diese
Niederlagen führten nach 2016 zu einem stetigeren, milden Aufschwung, wiederum
mithilfe staatlicher Förderung (Trumps Steuerreform, Protektionismus,
günstigere Investitionsbedingungen; Xi Jinpings Wirtschaftsreformen). Dieser
erfasste alle OECD-Staaten 2016-2019.

Die nächste
Krise kommt bestimmt

Wann dieser
Miniaufschwung beendet sein wird und wie tief und umfassend die nächste
Talsohle sein wird, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die meisten
AnalystInnen erwarten den Einbruch jedoch für 2020. Entscheidend für dessen
Ausmaß werden folgende Faktoren sein:

a) Krise
aufstrebender Märkte

Kapitalrückfluss
aus Ländern, die ab 2010 von Investitionen infolge QE profitierten und im
Vertrauen auf anhaltenden Kapitalimport hoch verschuldet sind, trifft sie
ähnlich hart wie die ehedem vom Rohstoffboom profitierenden: Ägypten,
Argentinien, Pakistan, Türkei.

b) EU-Krise

Die EU bildet
das schwächste Glied in der Kette der G7-Länder: die südeuropäische
Schuldenkrise ist ungelöst, ebenso die Frage des Brexits. Die Spannungen
zwischen Kerneuropa und den baltischen und Visegrad-Staaten eskalieren,
Frankreich schwächelt als eine der beiden Top-Mächte in der Achse mit Berlin.

c) Zunehmender
Nationalismus

Die politischen
Auswirkungen des „Make America great again!“ zerrütten das System der
Nachkriegsinstitutionen (WTO, IWF, UNO, NATO, Weltbank…). Eine gemeinsame
Intervention der Großmächte wird bei der nächsten Krise unwahrscheinlich
werden. Dies wirkt sich nicht nur auf den kommenden Wirtschaftsabschwung aus,
sondern verschärft auch die regionalen Konfliktherde (Nah- und Mittelost,
indischer Subkontinent, Ost- bzw. Südostasien) und die sozio-ökologische Krise.

d)
„Handelskrieg“

Stärkung der
US-Industrie, Erpressungen zwecks Neuformulierung von Handelsabkommen (NAFTA)
und aggressiver Protektionismus (Zollpolitik) bilden Elemente einer
vielgestaltigen Aufkündigung des Tandems mit China einschließlich einer
Aufforderung an andere G7-Mächte, es Trump gleichzutun (G5-Lizenzen unter
Ausschluss von Huawei und ZTE).

e)
Finanzmarktkrise

QE und das
Aufkommen neuer, noch größerer ZockerInnen (Vermögens- und Fondsverwaltungen
wie BlackRock) haben erneut eine Pyramide fiktiven Kapitals in den Himmel
schießen lassen. Waren es in der letzten Krise Privatimmobilien, so sind nun
Konzernverschuldungen die Hauptzielscheibe für SpekulantInnen.

f) Profitrate

Selbst oben
erwähnter Miniaufschwung belegt nicht eine Erholung der Profitraten im
produktiven Gewerbe. Technische Neuerungen werden sich nur voll rentieren, wenn
die nächste Krise massenhaft Anlagekapital zerstört.

Im Gegensatz zu
2008/2009 rechnen wir mit keinem konzertierten Vorgehen der G7 (Nationalismus,
Krise der internationalen Institutionen), ausbleibender Wirtschaftsankurbelung
durch Staaten und Zentralbanken (Staatsverschuldung, ausbleibende Effekte durch
QE und Niedrigzinsen). Statt Übergang in Paralyse wie 2010 wird es
wahrscheinlich zu einem Entscheidungskampf darüber kommen, welche
imperialistischen Mächte die Hauptlast der Vernichtung ihres nationalen gesellschaftlichen
Gesamtkapitals tragen müssen.

Konterrevolutionäre
Phase

Vor dem
Hintergrund der Niederlage der ArbeiterInnenbewegung und der demokratischen
Revolutionen und Strömungen ist es nicht verwunderlich, dass Massen von
Mittelschichtsangehörigen, KleinbürgerInnen und Teile der Lohnabhängigen sich
populistischen Bewegungen zuwandten. Die bürgerliche Demokratie erscheint für
Millionen wie eine leere Hülle. Für RechtspopulistInnen ist es darum ein
Leichtes, sie mit Demagogie gegen die „Elite“ in Bewegung zu bringen. Doch
besteht letztlich ihr Ziel darin, Kleinbürgertum und Mittelschichten neben
demoralisierten proletarischen Elementen als Fußtruppe für kapitalistische
Interessen zu mobilisieren – im Extremfall als Brücke zur Bildung einer
militanten, organisierten faschistischen Massenbewegung. Die kommende Krise
wird diese Tendenzen verstärken. Diese große Gefahr für das Proletariat und
alle Unterdrückten darf die Linke nicht verharmlosen, wie es große Teile
bezüglich der Gelbwesten in Frankreich getan haben.

In verschiedenen
Ländern sehen wir heute bereits eine Verstärkung bonapartistischer Tendenzen
(Brasilien, Indien, Philippinen, Polen, Ungarn, USA). Liberale und v. a.
linksbürgerliche Grüne, z. T. auch SozialdemokratInnen, präsentieren sich als
respektable Gegenkraft unter Anrufung von Demokratie, Gerechtigkeit, der
Kombination aus teilweise kontrolliertem Markt und reformierter
bürgerlich-parlamentarischer Demokratie („Green New Deal“).

Dieser
bedeutende Einfluss (klein-)bürgerlicher Ideologien und Programme weit über ihr
Stammklientel hinaus in die ArbeiterInnenklasse hinein ist Resultat der
Niederlagen des Proletariats, der Krise seiner traditionellen Parteien und
Organisationen sowie zu einem geringeren Teil des Versagens der „radikalen“
Linken, dem Niedergang der Antikrisen- und Antiglobalisierungsbewegungen gerade
mit Ausbruch der Großen Rezession. Dass ausgerechnet rechts- wie
linkspopulistische sowie liberale und grüne Strömungen den Diskurs in Zeiten
der Erosion des bürgerlichen Parteiensystems beherrschen können, verweist auf
die Krise der ArbeiterInnenbewegung.

Krise der
ArbeiterInnenbewegung

Die
Gewerkschaftsbürokratie und reformistischen, insbesondere sozialdemokratischen
Massenparteien erwiesen sich als Verteidigerinnen der Globalisierung, die sie
mit abgespeckten Forderungen nach Regulierung, moderaten sozialen
Mindeststandards und einer keynesianischen „Umverteilungspolitik“ den
LohnempfängerInnen wie dem „vernünftigen“ Flügel der herrschenden Klasse im
Gegenzug für eine sozialpartnerschaftliche „Reform“politik anpreisen. Die
Erfordernisse des Monopolkapitals sollen mit einigen sozialen und politischen
Zugeständnissen zur Rettung des „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ verknüft
werden. Diese Politik steht in diametralem Gegensatz zu den aktuellen
geschichtlichen Trends! Sofern sie sich nach links entwickeln (Labour unter
Corbyn in Großbritannien), stoßen sie schnell an ihre Grenzen, was zu
Konflikten und Spaltungen führen kann und eine Möglichkeit für revolutionäre
Intervention bietet. Ähnliches gilt für die brasilianische PT und die
linkspopulistische venezolanische PSUV. Linkspopulismus ist ein gefährlicher
Schritt zur offenen Unterordnung unter das BürgerInnentums. Wie weit das nach
rechts gehen kann, beweist die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien.

Die
linksreformistischen Parteien stehen vor vergleichbaren Grundsatzproblemen wie
die Sozialdemokratie. Die europäischen Linksparteien (ELP) sind über die Frage
Linksreformismus und -populismus gespalten, wobei letzterer eindeutig eine
Rechtsentwicklung verkörpert im Bestreben, die organische Bindung zur  ArbeiterInnenklasse zugunsten einer
Orientierung auf „das Volk“ zu lockern. Ironischer Weise erfolgt diese Spaltung
zu einer Zeit, wo die Vorzeigeprojekte Linksreformismus (PT) und Linkspopulismus
(PSUV) in eine historische Krise geraten sind!

Proletarische
Führungskrise heißt auch, dass fortschrittliche Bewegungen, die Millionen gegen
den Rechtsruck mobilisiert haben, oft von nichtproletarischen Kräften geführt
werden, selbst wenn diese ernste Sorgen der Lohnabhängigen artikulieren. Dies
trifft auf die feministischen, antirassistischen, ökologischen Strömungen wie
auf die nationalen Befreiungsbewegungen zu. Die organisierte
ArbeiterInnenbewegung vermag immer weniger eine führende Rolle zu spielen.
Reformistische Parteien und Gewerkschaften kämpfen dort allenfalls um
bürokratische Kontrolle. Statt unabhängiger proletarischer Klassenpolitik
herrschen in den Bewegungen Ideologien wie (Post-)Feminismus, Queer-Theorie,
Identitätspolitik oder Postmodernismus vor.

RevolutionärInnen
müssen deshalb nicht nur aktiv darin intervenieren, sondern auch eine
proletarische Perspektive hineintragen. Letzteres ist unerlässlich. Jedes
spontane Aufbegehren bleibt nämlich im Kapitalismus zuvorderst ein Reflex
bürgerlichen Bewusstseins. Dies gilt auch für den proletarischen, ökonomischen,
nur-gewerkschaftlichen Kampf. Der proletarische Klassenstandpunkt muss mittels
einer revolutionären Organisation und Partei zuallererst in der Bewegung
erkämpft werden.

Im Gegensatz zur
Jahrtausendwende, als in den Sozialforen eine spontane internationalistische
Tendenz sichtbar wurde, herrscht heute in großen Teilen der „radikalen“ Linken
eine Zurückweisung revolutionärer Klassenpolitik, eine Beschränkung der eigenen
Politik auf den nationalen oder sogar lokalen Rahmen vor. Die unkritische
Anpassung an Bewegungen wie die Gilets Jaunes, die Übernahme modischer
antimarxistischer Ideologien (Postmodernismus, Dekonstruktivismus,
Identitätspolitik, Postkolonialismus…) haben tiefe Spuren hinterlassen. Dies
gilt auch für den Nachkriegstrotzkismus. So hat auf ihrem letzten Weltkongress
die Vierte Internationale (früher: Vereinigtes Sekretariat) jeden Anspruch
fallenlassen, eine internationale Strömung darzustellen, die eine
leninistisch-trotzkistische Perspektive und Programmtik präsentiert. Auch
MorenistInnen wie die LIT, das KAI (in Deutschland SAV) und die CliffistInnen
befinden sich in einer Krise.

Für
RevolutionärInnen bedeutet das angesichts dieser Todeskrise des degenerierten
Nachkriegstrotzkismus: Brecht mit Eurer Tradition! Es führt kein Weg am Aufbau
einer revolutionären Strömung mit einem klaren marxistischen Programm vorbei!
Vorwärts zum Aufbau einer neuen, Fünften Internationale!