Klimaproteste im Rheinland: Eine Massenbewegung formiert sich

Robert Teller, Neue Internationale 239, Juli/August 2019

Der Klimastreik
am 21. Juni in Aachen war die bislang größte Demonstration von FridaysForFuture
(FFF) in Deutschland. Mit 40.000 TeilnehmerInnen kamen doppelt so viele wie
erwartet. Damit knüpft die Bewegung an die Aktionstage am 15. März und am 26.
April an, an denen sich Hunderttausende beteiligten.

Mit vier
Sonderzügen und vielen Bussen reisten AktivistInnen nicht nur aus Deutschland,
sondern auch aus den Nachbarländern an. Der Protest begann mit mehreren kleinen
Zügen, die sich auf dem Weg zur Abschlusskundgebung zu einer großen
Demonstration vereinigten. Diese zog weiter bis zum Tivoli-Stadion, wo die
Hauptbühne für Kultur- und Redebeiträge aufgebaut war und wo auch der Großteil
der angereisten DemonstrantInnen auf dem Protestcamp im Parkhaus übernachtete.
Die allermeisten AktivistInnen waren SchülerInnen.

Viele
beteiligten sich auch an den Protesten am Samstag am Tagebau Garzweiler II. Das
Bündnis „Alle Dörfer bleiben“ organisierte einen Demonstrationszug, der von
Hochneukirch aus an der Abbruchkante entlang bis zum Dorf Keyenberg führte, das
vom herannahenden Tagebau bedroht ist. Zugleich drangen etwa 1.000
AktivistInnen von „Ende Gelände“ (EG) in den Tagebau ein, woraufhin der
Kohleabbau teilweise eingestellt wurde. Die Kohlebahnen in den Gruben Hambach
und Garzweiler II wurden etwa 40 Stunden lang von AktivistInnen blockiert. Die
Ende-Gelände-Aktionen gingen von einem eigenen Camp bei Viersen aus, an dem 6.500
AktivistInnen teilnahmen.

Radikale
AktivistInnen und grüne Hegemonie

Sicher haben FFF
und Ende Gelände insofern voneinander profitiert, dass viele AktivistInnen über
mehrere Tage in der Region blieben und Aktionen beider Organisationen
besuchten. Dennoch kann bezweifelt werden, dass die Separierung in „breite
Großdemos“ und „radikale direkte Aktionen“ den gemeinsamen Zielen der Bewegung
nutzt. Viele der subjektiv radikaleren und antikapitalistischeren AktivistInnen
sind nur oder vorrangig bei EG gewesen, während die Masse an aktivistischen
SchülerInnen davon getrennt protestierte. Das Eindringen in den Tagebau und die
symbolische Stilllegung des Betriebsablaufs ist natürlich eine vollkommen
legitime Aktionsform, die zudem mit verhältnismäßig geringer TeilnehmerInnenzahl
eine große mediale Aufmerksamkeit erregt.

Ebenso wichtig
wäre aber gewesen, auf den zahlenmäßig deutlich größeren FFF-Aktionen einen
antikapitalistischen Block zu bilden und die politische Hegemonie bürgerlicher
Kräfte, vor allem der Grünen und der ihnen nahestehenden Organisationen wie
BUND und NABU dort herauszufordern. Denn was die Klimabewegung am dringendsten
benötigt, ist die Einsicht, dass der Kampf für Klimaschutz ein Kampf gegen die
Interessen des Kapitals ist.

Antikapitalistische
Sprechchöre waren zwar auch in Aachen zu hören, doch was die RednerInnenliste
und die Gesamtwirkung angeht, war die Demonstration dort hauptsächlich eine Bühne
für Konsumkritik und einen „Green New Deal“. Man könnte sagen: Ende Gelände
lieferte an diesem Wochenende das Bildmaterial fürs Fernsehen – aber die
politischen Botschaften lieferten die Grünen!

Ein
antikapitalistischer Pol auf der Großdemonstration hätte natürlich auch dafür
argumentieren können, dass sich beispielsweise die „Alle Dörfer bleiben“-Demonstration
am Samstag am Ende einer Blockade anschließt oder das Eindringen in den Tagebau
versucht – und damit die „direkten Aktionen“ auf eine qualitativ höhere Stufe
hebt, sie zu Massenaktionen macht. Dies (oder auch nur das Eintreten dafür
innerhalb der Klimabewegung) hätte wahrscheinlich den entschiedenen Widerstand
der Grünen und vieler Umwelt-NGOs hervorgerufen und einer größeren Zahl von
AktivistInnen vor Augen geführt, dass diese Organisationen im Zweifelsfall an
der Seite des Kohle-Kapitals stehen.

Der Polizeipräsident
Aachens drückt das Verhältnis von FFF und EG so aus: „Wir haben ein großes
Interesse daran, dass sich die beiden Demonstrationen nicht vermischen.“ Die
bei EG politisch dominante Interventionistische Linke (IL) geht der Auseinandersetzung
mit Floskeln wie „Vielfalt ist Stärke“ einfach aus dem Weg. Anders dagegen der
Grünen-Flügel bei FFF, der mit expliziten Flyerverboten auch in und um Aachen
versucht hat, antikapitalistischen Kräften ihre Meinung zu verbieten).

Die entscheidende
Frage ist dabei nicht, ob „kleine, radikale“ oder „große, breite“ Proteste
wirkungsvoller sind. In Wirklichkeit erweist sich schon die Entgegensetzung als
problematisch. So stellt der von FFF für den 20. September vorgeschlagene
globale Klimastreik zweifellos eine breite Massenaktion vor. Doch diese wäre,
sollte es gelingen, Gewerkschaften und Massenparteien der ArbeiterInnenklasse
dafür zu gewinnen, zugleich auch die radikalste, weil sie zumindest für einige
Stunden das Zentrum der kapitalistischen Produktion in den Betrieben lahmlegen
würde.

Der Punkt ist,
dass antikapitalistische KlimaaktivistInnen versuchen müssen, die Massen für
ihre Positionen und solche Aktionsformen zu gewinnen. Die Zweiteilung in
legalen Protest und „zivilen Ungehorsam“ überlässt bürgerlichen Kräften die
WortführerInnenschaft der Massenbewegung. Darin artikuliert sich zwar auch der
sich entwickelnde Konflikt zwischen dem antikapitalistischen und dem
bürgerlichen Flügel – jedoch in einer bloß auf die Aktionsform, nicht auf die
klassenpolitische Ausrichtung bezogenen Gegenüberstellung.

Stärken und
Schwächen

FFF vereint die
Einsicht, dass sich sehr schnell sehr viel ändern muss, um die drohende
Klimakatastrophe abzuwenden. Zu den Stärken der Bewegung gehört, dass die
wöchentlichen Schulstreiks ein relativ radikaler Schritt sind, der die
Diskussion über die globale Erwärmung erzwingt. Die völlige Unfähigkeit der bürgerlichen
Politik, effektive Maßnahmen zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen zu
beschließen, führt tagtäglich neue SchülerInnen zur Bewegung. Sie erkennt
außerdem, dass der Kampf international geführt werden muss, und tut genau dies
mit international koordinierten Aktionen. Doch die Forderungen beschränken sich
aktuell auf Appelle an die Politik, endlich die Warnungen der Wissenschaft
„ernst zu nehmen“ und auf das 1,5-Grad-Ziel hinzuarbeiten. So wird von FFF
Deutschland ein Kohleausstieg bis 2030 und ein CO2-Nettonull bis
2035 gefordert, was laut Klimamodellen der notwendige deutsche Beitrag für eine
wirksame Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs sei. Wie und von welcher
gesellschaftlichen Kraft das erreicht werden soll, bleibt aber weitgehend
unklar und wird bewusst „der Politik“ überlassen.

Der Kampf gegen
den Klimawandel wird nicht als einer um gesellschaftliche Interessen und deren
Durchsetzung verstanden, sondern auf die Anerkennung wissenschaftlich
erwiesener Notwendigkeiten reduziert. Die einzige „Sofortforderung“ ist daher
auch die Einführung einer CO2-Steuer, um klimaschädlichen Produkten „einen
Preis zu geben“.

Die eigentliche
Frage ist aber: wer bezahlt diesen Preis? Bei dem von FFF und den Grünen
diskutierten Konzept ist klar, dass die KonsumentInnen die als Verbrauchssteuer
konzipierte Abgabe bezahlen. Die VerursacherInnen – also die Konzerne im
Energie- und Verkehrssektor der imperialistischen Nationen – bleiben außen vor,
genauso die Beschäftigten in den CO2-intensiven Branchen, die zu
gewinnen eine zentrale Aufgabe der Klimabewegung sein muss. Auch die
ökologischen Aspekte der imperialistischen Ausbeutung, die Abwälzung der Lasten
des Klimawandels auf die von den kapitalistischen Zentren beherrschten Länder
Asiens, Afrikas, Ozeaniens oder Lateinamerikas bleiben oft außerhalb des
Blickwinkels.

Die Umweltfrage
wird letztlich nicht als Systemfrage begriffen, sondern als eine der Reform des
Kapitalismus, wo – wie im „Green New Deal“ der Grünen – „Klimagerechtigkeit“
für alle geschaffen werden soll. Dass die Profitinteressen der herrschenden
KapitalistInnenklasse ökologischer Nachhaltigkeit und der viel beschworenen
„Klimagerechtigkeit“ direkt entgegenstehen und diese daher auch nur gegen sie
durchgesetzt werden können, bleibt ausgeblendet.

Diese
Beschränktheit des Forderungsprogramms und der vorherrschenden Ideologie von
FFF steht in einem Gegensatz zu ihrem durchaus kämpferischen Anspruch.

Globaler
Klimastreik

Dies wird den
Konflikt um die Ausrichtung innerhalb von FFF verschärfen, auch mit Hinblick
auf den Aufruf zu einem weltweiten Klima-Generalstreik am 20. September. Dieser
Aufruf stellt eine Verbindung her zu den Kämpfen der Lohnabhängigen,
gleichzeitig unterstreicht er die Notwendigkeit einer internationalen Bewegung.
Er macht aber auch die Frage dringender, mit welchen Forderungen und Methoden
die Bewegung ihre Ziele erreichen kann. Als AntikapitalistInnen argumentieren
wir innerhalb der Bewegung dafür, folgende Punkte auf die Tagesordnung zu
setzen:

  • Für die ökologischen Katastrophen ist die herrschende Klasse verantwortlich – daher soll sie für die Schäden aufkommen! Die großen CO2-EmittentInnen in Europa, China und den USA müssen für die weltweiten Schäden ihres Handelns zur Kasse gebeten werden! Massive Besteuerung der Unternehmensgewinne und privaten Großvermögen! Entschädigungslose Enteignung der Energie- und Transportindustrie unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Für den schnellstmöglichen organisierten Ausstieg aus der fossilen Energiegewinnung und Einstieg in klimaneutrale Erzeugung im Rahmen eines Energieplans unter ArbeiterInnenkontrolle! Für einen solchen Plan auf europäischer und weltweiter Ebene, der Verkehr, Industrie, Haushalte, Strom- und Wärmegewinnung integriert!
  • Weg mit dem Emissionsrechtehandel! Den „blind“ wirkenden Marktmechanismen setzen wir das bewusste, planmäßige Eingreifen in die Produktion entgegen. Für die Förderung von Energie und Ressourcen sparenden Techniken, bezahlt vom Kapital!
  • Für ein globales Programm zur Wiederaufforstung von Wäldern, der Renaturierung von Mooren und zum Schutz des Bodens und der Meere als CO2-Senken! Entschädigungslose Enteignung von großen GrundbesitzerInnen, nachhaltige Bewirtschaftung unter Kontrolle der ArbeiterInnen und BäuerInnen!
  • Für Forschung nach neuen Energien wie Kernfusion und zur Lösung der Speicherproblematik der erneuerbaren Energien, zur Minimierung bzw. Beseitigung des Schadstoffproblems (Atommüll) unter ArbeiterInnenkontrolle und auf Kosten der Energiekonzerne!
  • Gegen die Spaltung von Umweltbewegung und Beschäftigten in umweltgefährdenden Betrieben! Umschulung und neue Arbeitsplätze zu gleichen Löhnen und Arbeitsbedingungen! Gegen prekäre Beschäftigung in der Branche erneuerbarer Energien: gleiche Bedingungen für alle Beschäftigten in Windkraft-, Solarbetrieben wie für jene in Bergbau, AKWs und bei den Stromkonzernen!
  • Aufbau eines klassenkämpferischen, internationalen Pols in Fridays for Future! Unterstützung des globalen Klimastreiks durch die Gewerkschaften! Für Betriebsversammlungen und politische Massenstreiks am 20. September!