Wien: ArbeiterInnen fordern „Gleichen Lohn für gleiche Arbeit“!

Michael Märzen, Infomail 1059, 18. Juni 2019

Seit 1. Jänner
2018 gilt für alle neuen Gemeindebediensteten der Stadt Wien ein neues
Besoldungs- und Dienstrecht, laut dem ehemaligen Stadtrat Czernohorsky von der
SPÖ die „größte personalpolitische Reform der Stadt in der Zweiten Republik“.
Vorgebliches Ziel ist es, die Gemeinde als Arbeit„geberin“ attraktiver zu machen,
vor allem durch eine höhere Lebensverdienstsumme bei flacherer Gehaltskurve.
Das gilt aber nicht für alle: Wer schon vor 2018 bei der Gemeinde begonnen hat,
hat keine Möglichkeit, in das neue Anstellungsverhältnis zu wechseln. Nun
kämpfen Beschäftigte im Krankenanstaltenverbund (KAV) – vor allem Pflegekräfte
– für eine Optierung.

Worum es geht

Bei der Stadt
Wien sind etwa 60.000 Menschen in rund 260 Berufsgruppen beschäftigt. Mit der
„Besoldung neu“ und dem neuen Dienstrecht erwartet sich die Gemeinde einen
flexibleren Umgang mit Personalressourcen. Anwerbung neuer MitarbeiterInnen
geschieht vor allem über ein höheres Einstiegsgehalt (es gilt Mindestlohn 1.670
Euro brutto). Die „Anwerbung“ wird vor allem dadurch erleichtert, dass es gar
keine Pragmatisierungen mehr gibt. Die Entlohnung soll transparenter sein,
indem eine Vielzahl an Zulagen pauschal ins Grundgehalt integriert wird, und
außerdem wird der Tätigkeitsbereich gegenüber Vorbildung und Dienstalter
stärker gewichtet. Für Dienstältere kann die „Besoldung alt“ somit durchaus
vorteilhafter sein, auch weil es keine zusätzlichen Urlaubstage für Ältere mehr
gibt. Es existieren somit durchaus Vor- und Nachteile, die man mit einer
Optierung, also mit einer persönlichen Entscheidung der „Alt“-Bediensteten für
dieses oder jenes Dienstrecht, individuell abschätzen könnte.

Wo liegt das
Problem?

Eine Optierung
ist bisher nicht möglich und auch nach beinahe zwei Jahren ist es nicht sicher,
dass eine solche überhaupt kommen wird. Das wäre vielleicht nicht so schlimm,
wenn nicht mittlerweile durch direkte Vergleiche von Gehaltszetteln bekannt
geworden wäre, welche Kluft zwischen Jahresverdiensten existiert und wie spät
sich in manchen Fällen die Gehaltskurven erst treffen. So liegt der
Schnittpunkt für Pflegekräfte der Intensivstation beispielsweise bei 37
Dienstjahren und der Ausgleich der Lebensverdienstsumme bei absurden 104 Dienstjahren.
Kein Wunder, dass die Stimmung bei den Pflegekräften gegenwärtig hochkocht!

Die Gewerkschaft
beschwichtigt

„Younion“, die
Gewerkschaft der Gemeindebediensteten, hat die Besoldungs- und
Dienstrechtsreform zwei Jahre lang verhandelt und keine Optierung durchgesetzt.
Die Stadt Wien hat eine zweijährige Evaluierungsreform in Aussicht gestellt,
nach der die Gewerkschaft die Optierung haben möchte. Bei den empörten
ArbeiterInnen im Krankenanstaltenverbund stellt sich natürlich die berechtigte
Frage, warum man so lange warten soll und ob diese Entscheidungsmöglichkeit
dann überhaupt noch kommen wird. Darüber hinaus gibt es viele
Gemeindebedienstete, denen in der Zwischenzeit eine ordentliche Menge Geld
entgeht. Sollte es eine Optierung geben, dann müsste sie also auch rückwirkend
gelten!

Proteste an der
Basis

Eine Gruppe von
PflegerInnen in der Rudolfstiftung wollte sich die Beschwichtigungen von der
Gewerkschaft nicht gefallen lassen und wandte sich an die Personalvertretung.
Ein Personalvertreter startete daraufhin eine Petition an die Wiener
Stadtregierung zur freien Wahlmöglichkeit des Besoldungssystems für alle
MitarbeiterInnen im KAV. Die empörten KollegInnen lancierten parallel dazu die
Initiative „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Seither wurden über 15.000
Unterschriften gesammelt und mehrere öffentlich wirksame Protestaktionen
organisiert. Gefordert wird neben der Optierung die Anpassung der Besoldungen
in Richtung gleicher Lohn für gleiche Arbeit sowie eine transparente
Informationspolitik der Gewerkschaft. Besonders bemerkenswert war jener
Anblick, als mehrere tausend Pflegekräfte vor dem Hauptgebäude der Younion
demonstrierten und skandierten: „Kämpft mit uns!“ – aus dem Gebäude kam keine
Reaktion!

Wie geht es
weiter?

Am 6. Juni tagt
der Petitionsausschuss im Rathaus. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“
organisiert um 15 Uhr vor dem Rathaus eine Kundgebung, um lautstarke
Unterstützung für die Eingabe zu signalisieren. Am 19. Juni wird es ein großes
Vernetzungstreffen geben, um die weiteren Aktivitäten zu planen. Auch gibt es
in den verschiedenen Spitälern AktivistInnentreffs und Aktionskomitees. Im
Wilhelminenspital hat sich sogar eine kämpferische Personalvertretungsliste
gebildet und bei den PV-Wahlen im Mai 27 % erreicht! Unter den Pflegekräften
im gesamten KAV hat die FSG fast 15 Prozentpunkte verloren. Das zeigt die große
Unzufriedenheit mit der inkonsequenten Politik der Gewerkschaftsbürokratie.
Diese Wahlen zeigen aber zeitgleich ein Problem auf: Was ist die Alternative
zur FSG in der Gewerkschaft? Eine kämpferische Basisbewegung, wie sie seit
Jahren unter den Pflegekräften existiert, muss sich einen klassenkämpferischen
und organisierten Ausdruck in der Gewerkschaft schaffen. Nur so und im Bündnis
mit anderen Berufsgruppen wird man langfristig etwas erreichen können!