Auto-Krise: Next Level

Frederik Haber, Neue Internationale 237, Mai 2019

7.000 Arbeitsplätze will VW
vernichten, 10.000 Daimler. Beide haben in den letzten Wochen sogenannte
„Sparprogramme“ angekündigt. In den Pressemeldungen wurde zugleich auf die in
beiden Fällen lange laufenden „Sicherungen“ verwiesen, die Entlassungen der
Stammbelegschaften in Deutschland verhindern würden.

Auch bei den ZuliefererInnen
wird gespart. Der weltweit größte, Bosch, hat intern schon klargemacht, dass
bei der Produktion von Dieselmotor-Komponenten bis zu 90 % der Arbeitsplätze
wegfallen werden. Im letzten Jahr sind schon 600 abgebaut worden. Die
Betriebsräte in Stuttgart-Feuerbach und Bamberg trieb dies bereits zu
Protestkundgebungen und dazu, zu lokalen Demos gegen Diesel-Fahrverbote
aufzurufen.

Der viertgrößte deutsche
Zulieferer Mahle hat ebenfalls ein Sparprogramm einschließlich Stellenabbau
verkündet und darauf hingewiesen, dass die dort gültige Standortvereinbarung
nur bis Ende 2019 gilt.

Gründe

Daimler und VW sprechen von
einem Rückgang der Zulassungszahlen und von notwendigen Investitionen in
Elektromobilität und Digitalisierung. Tatsächlich sind die Zulassungszahlen –
wenn überhaupt – nur leicht gesunken. In Deutschland wurden im März 19 zwar 0,5
% weniger Autos neu zugelassen als im Vorjahresmonat, im ersten Quartal 19 aber
sind es 0,2 % mehr als im entsprechenden Zeitraum 2018. Auch weltweit kann noch
nicht von einem wirklichen Einbruch des Absatzes gesprochen werden.

Diese Begründungen sind also
nur ein Teil der Geschichte.

Mit dem Verbrennungsmotor, insbesondere
mit dem Diesel, haben die deutschen Autokonzerne Milliarden verdient und ihre
Position auf dem Weltmarkt ausgebaut. Unter den 10 größten AutobauerInnen (nach
Umsatz) befinden sich drei deutsche, unter den 30 größten ZuliefererInnen vier.
Im Segment Elektro-Autos, so klein es auch ist, führen andere, vor allem
chinesische Firmen.

Die Zahl der verkauften
Elektroautos ist aber sprunghaft angestiegen. Zwar sind von den im März 19 in
Deutschland zugelassenen nur 1,9 % E-Autos, aber die Zahl stieg in einem Jahr
um fast 75 %. Solche Zuwächse wecken Begehrlichkeiten.

Für Elektrotechnologie sind
allerdings gewaltige Investitionen nötig: in die Entwicklung der
Antriebstechnik, der Produktionstechnik und die Maschinerie selbst. Das Geld
dafür wollen die Autokonzerne und die ZuliefererInnen aus existierenden Anlagen
und Technik raussaugen. Angesichts dessen, dass der Großteil der verkauften
Autos nach wie vor mit Verbrennungsmotoren ausgestattet ist, hat sich die
Konkurrenz auf diesem Sektor ebenfalls verschärft. Wer jetzt nicht genug Profit
saugen kann, spielt im nächsten Level nicht mehr mit.

Schlechte Aussichten

Die Ankündigungen aus den
Konzernetagen sind ernst zu nehmen. Die Sparpläne von VW und Daimler setzen auf
schon laufenden Programmen auf. So hat VW schon seit 2016 eines laufen,
weltweit 30.000 Stellen abzubauen, 23.000 davon in Deutschland. Im Gegenzug
sollen 9.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Dazu kommt eine massive
Entlassungswelle von LeiharbeiterInnen. Bei Daimler-Untertürkheim werden allein
über 800 entlassen, um die Motorenproduktion zu verlagern und
„Zukunftstechnologien“ anzusiedeln.

Diese „Transformation“ ist
keineswegs ein ökologischer Fortschritt. Der Verkehrsexperte Winfried Wolf
bemerkt völlig zu Recht:

„Weniger Klimabelastung in
den USA und Europa? Umgekehrt: Mit der Elektromobilität wachsen die
CO2-Emissionen sogar in den hoch motorisierten Ländern. Die reine CO2-Bilanz
eines E-Pkw ist im Vergleich zu einem Benzin- oder Diesel-Pkw maximal um ein
Viertel günstiger – wenn der gesamte Lebenszyklus des Autos betrachtet wird.
Und wenn es kleine Elektroautos sind. Nun sind die E-Auto-Modelle inzwischen
deutlich schwerer und oft größer als herkömmliche Mittelklasse-Pkw. Der VW
Käfer wog 700 Kilogramm. Der aktuelle Golf bringt 1,3 Tonnen auf die Waage. Der
E-Golf wiegt 1,6, ein Tesla Model S dann 2,1 Tonnen.“

Dass es den Autokonzernen
mitnichten um ökologische Ziele geht, belegt auch das kriminelle Verhalten
einiger ihrer führenden Köpfe. Die EU beschuldigt die drei führenden deutschen
Auto-Konzerne, Absprachen zulasten der VerbraucherInnen getroffen zu haben. Sie
hatten vereinbart, keine weiteren schadstoffreduzierenden Technologien zu
entwickeln. In trauter Eintracht hatten sie zuvor schon Abgasmessungen
manipuliert und Abschaltvorrichtungen eingebaut.

IG Metall

Die stärkste
Industriegewerkschaft der Welt verhält sich bemerkenswert ruhig. Es gibt keine
Erklärung zu den Einsparplänen bei VW oder Daimler, schon gar keinen Protest.
Der Abbau von 30.000 Jobs bei VW wurde 2016 mit dem Betriebsrat vereinbart. Die
vage Zusicherung, dass die anderen Arbeitsplätze gesichert wären, reicht
Betriebsrat und IG Metall, dem Kapital freie Hand zu geben.

Es gibt auch keine Debatte
in der IG Metall über Verkehrssysteme. Die einfache Logik des Handelskrieges
reicht: Wenn China die Elektroautos baut, dann sind unsere Arbeitsplätze weg
und unser Wohlstand auch.

Also trabt die IG Metall
weiter hinter dem Großkapital her. So wie sie die Exportoffensive und die
Abgaspolitik bei der EU unterstützt hat, am selben Strang ziehend wie Merkel
und die Industrie. So wie sie die Agenda 2010 unterstützt hat, die Einführung
der Niedriglöhne und die Ausweitung der Leiharbeit, gerade auch in den großen
Autofabriken. Wie die Ausgliederung von Produktion an
„Logistik“-DienstleisterInnen und die Änderung des Streikrechts, die genau
verhindern kann, dass die NiedriglöhnerInnen bei diesen Betrieben mit Streiks
die Wertschöpfungskette unterbrechen können.

Mitgefangen

Die Krise der
Automobilindustrie ist so auch zu der der Gewerkschaft geworden. Das Konzept
der deutschen AutobauerInnen beinhaltete, die Welt mit immer mehr, immer
größeren und schwereren Oberklassenautos zuzuschmeißen. Sie haben dies mit
KanzlerInnen-Hilfe abgesichert.

Die Strategie der IG Metall
bestand in der engstmöglichen Zusammenarbeit mit dem Exportkapital. Das war
immer schon Verrat an den LeiharbeiterInnen und den NiedriglöhnerInnen, an den
Beschäftigten bei ZulieferInnen und im Ausland. Sie hat eine Mentalität bei den
Stammbelegschaften erzeugt, dass der eigene Arbeitsplatz am besten geschützt
ist, wenn möglichst viele andere ungeschützt sind. Dass die eigenen
Arbeitsplätze auf Kosten anderer mit „Standortsicherungen“ verteidigt werden
müssen und Sonderzahlungen aus den Profiten, d. h. der Ausbeutung, im Ausland
finanziert werden sollen. Sie hat die Solidarität völlig untergraben, aber dies
hat scheinbar funktioniert.

Jetzt wird diese Strategie
für deutlich weniger Menschen aufgehen. Die Ankündigungen von Stellenabbau und
Entlassungen der letzten Wochen sind ein Warnschuss. Es wird der IG Metall
nicht gelingen, diese Arbeitsplatzstreichungen aufs Ausland zu verschieben. Im
Gegenteil: Eine in Deutschland eingesparte Stelle spart mehr als eine im
Ausland. Neue Stellen aus „Transformation“ werden hingegen mit hoher Wahrscheinlichkeit
nicht in Deutschland geschaffen.

Mobilisierung oder Ersatzhandlung?

Offensichtlich wird es auch
den StrategInnen im Vorstand in Frankfurt ungemütlich. Sie wollen nicht, dass
sich gar nichts tut. Sie rufen zu einer Kundgebung am 29. Juni in Berlin auf:

„Eine gerechte
Transformation geht nur mit uns. Wirtschaft und Gesellschaft verändern sich
rasant. Die IG Metall will den Wandel im Sinne der Beschäftigten mitgestalten.
Egal, ob die Schlagwörter Digitalisierung, Elektromobilität, Industrie 4.0 oder
Globalisierung heißen: Wir kämpfen für eine soziale, ökologische und
demokratische Transformation. ‚Wandel geht nur gerecht – gegen Profitgier,
Politikversagen und Spaltung‘, schreiben wir uns auf die Fahnen.“

Die Rolle der Konzerne kommt
nicht vor. Der Kapitalismus kommt nicht vor. Gerade mal „Profitgier“ gibt es,
aber wo fängt die an? Wo doch die IGM-Betriebsräte selbst betonen, dass die
Gewinne nötig sind, um die Zukunft zu meistern?

Die Forderungen „für sichere
und tarifgebundene Arbeitsplätze“, nach „Zurückdrängung prekärer Arbeit“, für
„ein Recht auf Weiterbildung und Qualifizierung“, „Einhaltung der
Klimaschutzziele, Ausbau der öffentlichen Infrastruktur, Investitionen in
nachhaltige und innovative Industrie“ und „mehr Beteiligung und Mitbestimmung“ sind
so unkonkret und beliebig wie ein Wahlplakat der SPD. Damit wird die
Gewerkschaft weder wirklich mobilisieren können noch einen nachhaltigen
Widerstand aufbauen.

Es ist auch fraglich, ob und
wie sich aus der Mobilisierung für Berlin ein solcher entwickeln kann, wenn es
keine Debatte über die konkreten Probleme gibt. Wenn weiterhin die Nähe zu den
Bossen so eng ist, dass weder die „Transformation“ noch die Digitalisierung
noch die E-Autos in Frage gestellt werden.

Ansatzpunkte

Eine Alternative zur Politik
der IG Metall-Führung kann nicht sein, die Kapitulation vor den Angriffen der
Konzerne nur etwas sozialer zu gestalten oder etwas mehr zu kämpfen. Eine
Alternative muss die ganze Situation im Blick haben:

  • Welche Verkehrssysteme entsprechen den Bedürfnissen der Massen in Stadt und Land?
  • Wie können sie durchgesetzt und umgesetzt werden – national und international?
  • Wer kann was produzieren und wer entscheidet darüber?

Die IG Metall fordert in
ihrer Satzung die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien. In der Gewerkschaft
selbst ist das ein Tabu. Doch es ist eine richtige Idee, die Macht der
Autokonzerne zu brechen. Aber die Verantwortung dürfen nicht Regierungen und
Staat übernehmen.

Wir schlagen eine
entschädigungslose Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle vor: Die
Entscheidung, was und wo entwickelt wird, müssen die Beschäftigten demokratisch
fällen – keine Konkurrenz, sondern Zusammenarbeit für die besten Lösungen. Über
die Verkehrssysteme darf nicht der Markt entscheiden, sondern das muss die
Gesellschaft tun.

Brennpunkte

Aus dem heutigen Alltag im
Betrieb heraus erscheint eine solche Diskussion verwegen, ja abseitig. Heute
beschäftigen sich nur wenige weitblickende KollegInnen damit.

Doch wenn wir die Tiefe der
Krise des Kapitalismus, die Notwendigkeit einer grundlegenden Umstrukturierung
des gesamten Energie- und Verkehrssystems in Rechnung stellen, so sind solche
Fragstellungen nicht abseitig, sondern notwendig, wenn wir eine
fortschrittliche Antwort im Interesse aller arbeitenden Menschen – ob nun in
der Autoindustrie oder anderen Branchen – entwickeln wollen. Wenn die
Ankündigungen der ManagerInnen konkret werden, wenn Entlassungen im Raum stehen
und Schließungen, dann wird sich die Lage ändern – die Frage des Kampfs gegen
alle Entlassungen muss spätestens dann mit der nach dem für die
Umstrukturierung der gesamten Industrie, ja der gesamten Gesellschaft verbunden
werden. Dann muss gekämpft werden und dann werden KollegInnen dazu gezwungen
sein, weil die Kapitalseite die Sozialpartnerschaft aufkündigt.

In solchen Situationen
müssen Alternativen auf den Tisch: Das „Schlimmste verhindern“ und ein paar
Arbeitsplätze retten oder gemeinsam für alle die Arbeitsplätze vereidigen? Auf
Lohn verzichten und die eigene Haut „standortsichern“ oder betriebsübergreifend
und international gemeinsam handeln?

Die Bosse „an ihre
Verantwortung erinnern“ oder die Betriebe besetzen, die sie schließen wollen?

Bereiten wir uns darauf vor,
Alternativen präsentieren zu können! Die KapitalistInnen haben den Klassenkampf
ausgerufen. Wir rufen auf, eine klassenkämpferische Bewegung in der IG Metall
aufzubauen! Eine solche Bewegung muss jetzt die Krise der Autoindustrie als
eine des Kapitalismus thematisieren. Sie muss jetzt auf die Vorbereitung des
Abwehrkampfes drängen, auf Besetzungen und politische Massenstreiks gegen
Schließungen, Verlagerungen und Massenentlassungen. Sie muss dies von der
Gewerkschaftsführung einfordern, auf Kongressen, in den Gremien und vor allem
in den Betrieben einbringen, ohne auch nur eine Minute politisches Vertrauen in
die Bürokratie zu setzen.

Und sie muss diesen Kampf
organisiert führen – als klassenkämpferische Bewegung, die mit dem
Co-Management der eigenen Organisation bricht.