Hausarbeit und Frauenstreik

Stefan Katzer, ArbeiterInnenmacht, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Wenn
feministische Organisationen am 8. März, dem internationalen Frauenkampftag,
auch in Deutschland zum „Frauenstreik“ aufrufen, folgen sie damit dem Vorbild
von Millionen Frauen weltweit. Diese legten bereits letztes Jahr unter anderem
in Argentinien, Brasilien, Frankreich, Großbritannien, Indien, Iran, Italien,
Kolumbien, auf den Philippineninseln, in der Republik (Süd-)Korea, im
mehrheitlich kurdisch bevölkerten nordsyrischen Kanton Afrin sowie in der
Türkei und in Uruguay die Arbeit nieder und gingen aus Protest gegen ihre
gesellschaftliche Unterdrückung auf die Straße. Sie forderten dabei unter
anderem ein Ende der Gewalt gegen Frauen, das Recht auf körperliche und
sexuelle Selbstbestimmung, die Abschaffung prekärer Arbeitsverhältnisse sowie
eine faire Aufteilung der Haus- und Betreuungsarbeit. Die aufrufenden Gruppen
konnten dabei zum Teil enorme Mobilisierungserfolge erzielen wie etwa in
Spanien, wo zeitweise ca. sechs Millionen Frauen und Männer für einige Stunden
in den Ausstand gingen.

Der
„Frauenstreik“, der als politische Kampfform in den letzten Jahren vermehrt
wiederentdeckt wurde, ist jedoch bedeutend älter. Er kann als eine Erfindung
der zweiten Welle der Frauenbewegung betrachtet werden, die Ende der 1960er
Jahre vor allem in den USA und (West-)Europa entstand. Der „autonome
Frauenkampf“, den Teile dieser Bewegung propagierten und theoretisch zu
legitimieren versuchten, kann dabei auch als politische Reaktion auf die
Ignoranz der reformistisch geführten Organisationen der ArbeiterInnenbewegung,
aber auch der meisten Gruppen aus der „radikalen Linken“ für die Probleme der
(Haus-)Frauen verstanden werden. Der Einfluss kleinbürgerlicher Ideologien auf
den neu aufkommenden Feminismus soll nicht geleugnet werden. Die Trennung von
Frauen- und Klassenkampf ist jedoch ebenso Folge der Unfähigkeit der
Organisationen der ArbeiterInnenklasse, eine politische Kampfperspektive zu
vermitteln, welche den Kampf gegen patriarchalische Unterdrückung und
kapitalistische Ausbeutung als gemeinsamen versteht. Wenn wir uns im Folgenden
mit diesen Theorien auseinandersetzen, so in der Absicht, dessen Notwendigkeit
und seine politischen Perspektiven aufzuzeigen. Inwiefern hierfür der Bezug auf
das Proletariat nach wie vor zentral ist, soll auch in Auseinandersetzung mit
der „Wert-Abspaltungskritik“ von Roswitha Scholz geklärt werden.

(Haus-)Frauenstreik

Theoretisch begründet wurde die Idee des Frauenstreiks von Mariarosa Dalla Costa und Selma James, die mit ihrer Schrift „Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft“ die Debatte um das Thema Hausarbeit in den 1970er Jahren entscheidend prägten. Dalla Costa und James, die sich anschickten, die marxsche Theorie von ihren „blinden Flecken“ zu befreien und durch die Einbeziehung der Reproduktionsarbeit in die Analyse der kapitalistischen Produktionsweise die Ausbeutung der Frau in der Familie sichtbar zu machen, diskutierten in diesem Zusammenhang auch die Frage des „Frauenkampfes“. Dabei sahen sie in der kollektiven Verweigerung der Hausarbeit eine geeignete politische Kampfform, um die Isolation der Frauen im Haushalt zu durchbrechen und ihren Kampf um die Befreiung von patriarchalischer Unterdrückung mit dem gegen die kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse zu verbinden. Sie betrachteten den Frauenkampf somit als ein geeignetes Mittel im Kampf der (Haus-)Frauen gegen die Ausbeutung in der Familie, konzipierten ihn aber von Anfang an zugleich als „Teil des Kampfes, den die Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Arbeit führt“ (Dalla Costa/James, S. 42).

Ihr Vorwurf lautete, Marx sei für wesentliche Formen der Unterdrückung und ökonomischen Ausbeutung blind gewesen. Für sie war die in der Familie geleistete Hausarbeit eine Form produktiver Arbeit wie die in der Industrieproduktion, die Mehrwert für den/die Kapitalistin schafft. Zugleich bildete diese Tatsache nach ihrer Ansicht die ausschlaggebende materielle Grundlage für die Möglichkeit eines „autonomen Frauenkampfes:“ „Diese Möglichkeit des Kampfes auf gesellschaftlicher Ebene entsteht eben aus dem gesellschaftlich produktiven Charakter der Tätigkeit der Frau im Haus.“ (S. 43) Oberflächlich betrachtet erscheine die Hausarbeit zwar als eine persönliche Dienstleistung für den Ehemann, tatsächlich aber gehe sie direkt in die Mehrwertproduktion des Kapitals ein, indem nämlich die Hausarbeit die Ware Arbeitskraft des männlichen Arbeiters hinter dem Rücken der industriellen Produktion, also in verschleierter Form, ohne Lohn reproduziere. Dadurch sorge sie für die Vergrößerung der Mehrwertproduktion, sei also produktive, Mehrwert erzeugende Arbeit. Da die kapitalistische Produktionsweise ohne die Reproduktion der Ware Arbeitskraft nicht funktionieren könne, sei zudem die Familie als die hauptsächliche Stütze der kapitalistischen Organisation der Arbeit zu betrachten (S. 42). Ebenso sei die Konsumtion, die in der Familie stattfinde, produktive Konsumtion und auch dadurch die Hausarbeit Moment der kapitalistischen Mehrwertproduktion. Halten wir zunächst fest, dass „produktive“ Hausarbeit im o. a. Sinne nur in der LohnarbeiterInnenfamilie geleistet werden und somit nicht die Arbeit aller Hausfrauen umfassen kann.

Zwei wesentliche
Konzepte bilden somit die Grundlage für diese Theorie im Fall der
proletarischen Hausfrauen: ihre Produktion von Arbeitern/Arbeitskraft
(d. h. Kindererziehung, Dienstleistung am Ehemann/Arbeiter) und ihre Rolle
bei der „Konsumtion als Teil der Produktion“, also Einkaufen, Kochen, Putzen,
Pflegen usw. Die Behauptung, diese beiden Aspekte der Hausarbeit brächten Mehrwert
hervor, ignoriert allerdings zwei wesentliche Unterschiede, nämlich 1) den
zwischen industrieller und privaterKonsumtion (d. h. Verbrauch von
Lebensmitteln in der Familie) und 2) den Unterschied zwischen produktiver
Arbeit unter dem Kapitalismus, d. h. Lohnarbeit für eine/n KapitalistIn
zur Erzeugung von Mehrwert, und einfacher Arbeit, die „nur” einen Gebrauchswert
erzeugt.

Zum Unterschied
zwischen industrieller und privater Konsumtion schreibt Marx:

„Die Konsumtion des Arbeiters ist doppelter Art. In der Produktion selbst konsumiert er durch seine Arbeit Produktionsmittel und verwandelt sie in Produkte von höherem Wert als dem des vorgeschoßnen Kapitals. Dies ist seine produktive Konsumtion. Sie ist gleichzeitig Konsumtion seiner Arbeitskraft durch den Kapitalisten, der sie gekauft hat. Andrerseits verwendet der Arbeiter das für den Kauf der Arbeitskraft gezahlte Geld in Lebensmittel: dies ist seine individuelle Konsumtion. Die produktive und die individuelle Konsumtion des Arbeiters sind also total verschieden. In der ersten handelt er als bewegende Kraft des Kapitals und gehört dem Kapitalisten; in der zweiten gehört er sich selbst und verrichtet Lebensfunktionen außerhalb des Produktionsprozesses.“ (Marx: Das Kapital, Bd. 1, 21. Kapitel, S. 596f.; Hervorhebung durch d. Red.)

Zwar wird auch
der private Verbrauch, von den KapitalistInnen berücksichtigt, da er zur
Aufrechterhaltung und Reproduktion der Arbeitskraft notwendig ist, somit ein
notwendiges Moment des Produktionsprozesses darstellt. Aber da der/die
ArbeiterIn außerhalb des Produktionsprozesses nicht dem/r KapitalistIn, sondern
sich selbst gehört, kann er/sie dies getrost dem Selbsterhaltungs- und
Fortpflanzungstrieb der ArbeiterIn überlassen. Die Tatsache, dass es notwendig
ist zu essen, zu leben und sich fortzupflanzen, macht die
(ArbeiterInnen-)Familien somit nicht zu einem „Zentrum gesellschaftlicher
Produktion”. Diese Dinge finden vielmehr ungeachtet der gesellschaftlichen
Produktionsform statt. Individuelle Konsumtion zu Hause ist keine kapitalistische
Produktion, da dem/r KapitalistIn die Familie nicht gehört. Der/die ArbeiterIn gehört vielmehr
weiterhin sich selbst und verkauft dem/r KapitalistIn lediglich
stundenweise seine/ihre Arbeitskraft. Die Ware Arbeitskraft wird also in der
ArbeiterInnenfamilie nicht als Ware produziert, sondern als solche im
kapitalistischen Produktionsprozess verkauft. Somit ist auch der
„Produktionsprozess“ der Ware Arbeitskraft im Haushalt selbst nicht
kapitalistisch. Er steht vielmehr außerhalb des Lohnarbeit-Kapital-Verhältnisses,
welches die systematische Grundlage der Klassen- und Ausbeutungsverhältnisse
darstellt. Auch geht die (notwendige Reproduktions-)Arbeit nur dann als
wertbildende Arbeit in diese besondere Ware ein, wenn diese in Form von
bezahlten Dienstleistungen erbracht wird. Die Arbeitskraft wird durch Verbrauch
materieller Dinge (Essen, Kleidung) und Dienstleistungen (medizinische
Versorgung, Ausbildung) geschaffen. Der Gesamtwert dieser Mittel zum
Lebensunterhalt ist der Wert der Arbeitskraft. Die zur Aufbereitung dieser
Verbrauchsgüter von den Hausfrauen geleistete Hausarbeit wird bei dieser Summe nicht
berücksichtigt. Hausarbeit fügt der Ware Arbeitskraft somit auch keinen Wert hinzu,
sie schafft „lediglich“ Gebrauchswert für die individuelle Konsumtion.
Ihr Gebrauchswert für den/die KapitalistIn besteht dagegen erst in ihrem
industriellen Konsumtionsprozess, der Erzeugung von Mehrwert.

Das bedeutet
umgekehrt aber nicht, dass Frauen zu Hause nicht arbeiten oder ihre Arbeit – im
normativen Sinne – „nichts wert“ sei. Es bedeutet lediglich, dass diese
häusliche Schufterei keine kapitalistische Produktion ist und sie genau aus diesem Grund
bei der Analyse kapitalistischer Produktionsverhältnisse von Marx nicht
berücksichtigt wird. Dass Marx die im Haushalt geleistete Arbeit nicht als
„produktive Arbeit“ fasste, hat also nichts mit seiner Blindheit gegenüber
sexistischen Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnissen zu tun. Es liegt
vielmehr daran, dass diese Arbeit unter kapitalistischen Produktionsbedingungen
vom Produktionsprozess wirklich ausgeklammert ist und „privat“ stattfindet –
obwohl sie als notwendige Arbeit für die Reproduktion der Gesellschaft zugleich
unerlässlich ist. Wenn Dalla Costa und James also behaupten, dass Frauen
Menschen „produzierten“, dann ist das im biologischen Sinne sicherlich richtig,
bedeutet aber nicht, dass man deshalb schon von produktiver Arbeit – für eine/n
KapitalistIn – sprechen kann. Genau dies war der theoretische Fehlschluss, der
letztlich auch zu falschen politischen Forderungen führte.

„Lohn für Hausarbeit!“ – eine
Forderung, viele Probleme

Eine, die
mit der Kampfform des (Haus-)Frauenstreiks erkämpft werden sollte, lautete:
„Lohn für Hausarbeit“. Sie begegnet uns heute zum Teil in der etwas
schwammigeren Forderung nach einer „Wertschätzung der Hausarbeit“ wieder und
wird auch vom Bündnis „Frauen*streik“ vertreten. Im „Aufruf zum Streik“ erklärt
es dazu u. a. Folgendes: „Wir wollen streiken, … weil wir in einer Welt
leben wollen, in der jede Arbeit wertgeschätzt wird. … weil wir uns nicht
länger ausbeuten lassen, weder zu Hause, noch auf der Lohnarbeit. … weil
unsere Zeit uns gehört und wir selbst bestimmen wollen, wann und wie wir
arbeiten. […].“ (Aufruf Frauenstreik 2019) Die Forderung nach „Lohn für Hausarbeit“
ist nicht alleine deshalb problematisch, weil sie auf einer falschen Analyse
beruht (eine solche kann sinnvoll und unterstützenwert sein), sondern vielmehr,
weil sie auch politisch-strategisch einige Probleme aufwirft. Dalla Costa und
James haben eines selbst diskutiert. Sie erkannten, dass die Forderung Gefahr
läuft, „so ausgelegt zu werden, als ob wir die Situation der Hausfrau
institutionalisierten und damit verfestigten wollten“ (Dalla Costa/James, S.
42), während ihr eigentliches Ziel darin bestehe, „die gesamte Hausfrauenrolle
zu zerstören“ (S. 43). Wenn es auch keinen Grund dafür gibt, die Aufrichtigkeit
der Autorinnen bezüglich ihrer revolutionären Intention zu bezweifeln, ist es
doch so, dass die soziale Logik einer Forderung und deren materielle
Auswirkungen nicht automatisch dem entsprechen, was sich der/die Fordernde
dabei subjektiv „eigentlich“ denkt oder wünscht. Denn diese Forderung zielt
gerade nicht auf die Überwindung der Trennung von produktiver und
reproduktiver/Gebrauchswert bildender Arbeit ab. Sie schreibt sie und die ihr
zugrunde liegende sexistische Arbeitsteilung vielmehr fest. Darüber hinaus
zeugt sie von einem falschen Verständnis des (bürgerlichen) Staates. Dieser ist
Staat des Kapitals und steht nur scheinbar über den Klassengegensätzen. Er
sichert zugleich die Voraussetzungen der kapitalistischen Ausbeutung und
schützt diese auch mithilfe seines Gewaltmonopols, dient somit in erster Linie
der herrschenden Klasse als Mittel zur Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft. Ein
revolutionäres Programm, das die Aufhebung aller Formen der Ausbeutung und
Unterdrückung zum Ziel hat, muss dementsprechend auf die Zerschlagung des
bürgerlichen und auf die Errichtung eines proletarischen Halbstaates abzielen,
um die notwendigen gesellschaftlichen Umwälzungen vollziehen und absichern zu
können.

Die
Neuaufteilung der Hausarbeit, d. h. die Aufhebung der sexistischen
Arbeitsteilung, erfordert deshalb eine umfassende revolutionäre Strategie und
ein ihr entsprechendes Programm, welches unter anderem die Forderung nach einem
Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten enthält und die gesamte
ArbeiterInnenklasse als Subjekt der revolutionären Umwälzung benennt. Denn nur
diese ist objektiv dazu in der Lage, eine bewusste Vergesellschaftung des
Arbeits- und individuellen Reproduktionsprozesses und der darauf aufbauenden
Verkehrsformen vorzunehmen.

Entlohnung? Vergesellschaftung!

Die Forderung
nach einem/r „Lohn/Wertschätzung für Hausarbeit“ sollte deshalb ersetzt werden
durch die nach deren Vergesellschaftung. Diese muss entsprechend ihrer
Bedeutung und ihrem Zusammenhang mit anderen Bereichen der Produktion in ein
umfassendes Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten integriert werden. So
kann die Frage nach der demokratischen Planung der gesamten gesellschaftlichen
(Re-)Produktion und der Verteilung der hierfür notwendigen Gesamtarbeit auf
alle arbeitsfähigen Hände und Köpfe gelöst werden. Es geht dabei um die
bewusste Organisation des gesellschaftlichen Zusammenhangs von Produktion und
den darauf aufbauenden gesellschaftlichen Verkehrsformen durch die in Räten
organisierten ProduzentInnen selbst. Die Verbindung mit den Kämpfen der
ArbeiterInnenklasse und die Integration einzelner Forderungen in ein
revolutionäres Übergangsprogramm sind 
auch deshalb notwendig, weil die Hausfrauen in keinem direkten
Verhältnis zum Kapital stehen und dementsprechend auch kein direktes
ökonomisches Druckmittel haben, das sie nutzen könnten, um ihre Forderungen
durchzusetzen. So waren auch bisher jene „(Haus-)Frauenstreiks“ am
erfolgreichsten, welche die Lohnabhängigen integrierten und dazu brachten, ihre
Arbeit ebenfalls niederzulegen. Dass dies auch vom Bündnis „Frauen*streik“
angestrebt wird, ist deshalb zu begrüßen. Allerdings ist die Klärung der
hierfür notwendigen Strategie und der jeweils konkret anzuwendenden Taktiken
etwa gegenüber den reformistischen geführten ArbeiterInnenorganisationen damit
noch nicht sehr weit gediehen. (Siehe Artikel zum Frauenstreik 2019 in dieser
Ausgabe!)

Roswitha Scholz und die Theorie der Wert-Abspaltung

War es noch das
erklärte Ziel der „sozialistischen FeministInnen“, die Kämpfe der Frauen mit
dem Klassenkampf des Proletariats zu verbinden, haben Teile der sich auf Marx
beziehenden feministischen TheoretikerInnen danach eine explizite Abkehr vom
Proletariat vollzogen. Eine davon, deren Einfluss auf Teile der
(post-)autonomen Linken nicht zu unterschätzen ist, ist Roswitha Scholz. Scholz
rechnet zum Kreis der WertkritikerInnen um die „EXIT!“-Gruppe („EXIT“ ist der
Name ihrer Theoriezeitschrift), deren bekanntester Vertreter der verstorbene
Robert Kurz war. Ihre Theorie der Wert-Abspaltung zielt laut eignem Bekunden
auf die Analyse des Zusammenhangs von „Rasse“, Klasse, Geschlecht und
postmoderner Individualisierung, ihre hauptsächliche Kritik auf den von ihr so
genannten „Arbeiterbewegungsmarxismus“. Sie versteht ihre Theorie als
Weiterentwicklung der „fundamentalen Wertkritik“, deren blinde Flecken in Bezug
auf Fragen sexistischer und rassistischer Diskriminierung sie mit ihrer Theorie
der „Wert-Abspaltung“ zu überwinden trachtet. Ihr geht es dabei aber nicht
darum, mittels revolutionärer Theorie und Praxis das Proletariat von
kapitalistischer Klassenherrschaft zu befreien. Scholz’ Anstrengungen zielen
vielmehr darauf, die marxistische Theorie vom Proletariat zu „befreien“.
Hierfür bedarf es grundlegender theoretischer Revisionen – welche sie auch
tatsächlich vornimmt.

Die grundlegende
unter ihnen in Bezug auf die Kritik der politischen Ökonomie besteht in der
Bekämpfung der so genannten „Ontologie der Arbeit“. Arbeit ist etwa für den
„Vater“ der Wertkritik, Moishe Postone, lediglich eine für den Kapitalismus
gültige Kategorie:

„Den Kern aller Varianten des
traditionellen Marxismus bildet der transhistorisch gefasste Arbeitsbegriff.
Die Marxsche Kategorie Arbeit wird dabei als zielgerichtete gesellschaftliche
Tätigkeit verstanden, die zwischen Mensch und Natur vermittelt und dabei
spezifische Güter produziert, um bestimmte menschliche Bedürfnisse zu
befriedigen. Arbeit, so verstanden, ist der ,Urgrund‘ allen gesellschaftlichen
Lebens. Sie konstituiert die soziale Welt und ist Quelle allen
gesellschaftlichen Reichtums. Doch diese Auffassung schreibt der Arbeit als
transhistorisch zu, was Marx als historisch spezifische Eigenschaft der Arbeit im
Kapitalismus verstanden hat“. (Postone, S. 28)

Lassen wir
beiseite, dass Marx 1875 in der Kritik am Gothaer Programm der deutschen
Sozialdemokratie ebenso sehr die Natur als Quelle allen menschlichen Reichtums
betrachtete wie die Arbeit. Ungeachtet der Tatsache, dass einige der von
Postone aufgeführten Bestimmungen des angeblich vom traditionellen Marxismus
verwendeten Arbeitsbegriffs tatsächlich unzutreffend sind, ist die Stoßrichtung
seiner Kritik doch eindeutig: Arbeit ist für ihn eine auf die kapitalistische
Produktionsweise beschränkte Kategorie.

Scholz’ Aussagen
in dieser Richtung sind ambivalenter. Mit dem Allgemeinplatz, dass
„Gesellschaft ein historischer und dynamischer Prozess ist“ (Scholz 2005, S.
13), der sich „definitorischen (und ontologisierenden) Zugriffen“ (ebd.)
verweigere, scheint sie sich der Sichtweise Postones, auf den sie sich auch
ansonsten positiv bezieht, anzuschließen. Ihr scheint aber auch klar zu sein,
dass die Menschen doch immer irgendwie irgendetwas tun müssen, um nicht zu verhungern.
So spricht sie in ein und demselben Satz davon, dass es sich bei der Arbeit „in
anderer Hinsicht“ nicht um eine „überhistorische Angelegenheit“ handle, sie
aber dennoch, „wenngleich vielleicht auch in unterschiedlicher Weise, alle
Gesellschaftsformationen durchzieht“ (S. 21). In welcher Hinsicht Arbeit keine
„überhistorische“ Kategorie darstellt und ob sich dies lediglich auf die Form
der Arbeit bezieht, wird nicht klar. Eindeutiger hingegen ist ihr „negativer“
Bezug auf den Wertbegriff, den sie nur für den Kapitalismus gelten lässt.

Um dies zu
begründen, muss Scholz die Aufmerksamkeit vom Begriff des Kapitals, das bei
Marx letztlich als ein gesellschaftliches Verhältnis gedacht war und im Zentrum
seiner Kritik der politischen Ökonomie stand, auf den Wertbegriff umlenken und
sich diesen dabei zugleich zurechtbiegen. Dieser erscheint nicht mehr als
reflexives Verhältnis der einzelnen Arbeit zur Gesamtarbeit, sondern
gewissermaßen als „Substanz“ der „abstrakten Herrschaft“ im Kapitalismus und
damit als das eigentliche Übel dieser Produktionsweise. Dies alles „leistet“
die Wertkritik, indem sie sowohl vom grundlegenden Doppelcharakter der Arbeit
sowie von deren Naturbedingtheit abstrahiert und diese letztlich auf die
Verausgabung von abstrakter Arbeit reduziert. Diese Verkürzungen ergeben sich
aus dem Unverständnis der Bedeutung der abstrakten Arbeit im Allgemeinen und
ihrer Funktion im Kapitalismus im Besonderen. Damit schaffen sich die
WertkritikerInnen jene Theorie, die ihre kleinbürgerliche politische Praxis und
ihre Abkehr vom Proletariat rechtfertigt.

Doppelcharakter der Arbeit

Marx hat ihn als
den „Springpunkt“ seiner Analyse der Ware im Kapitalismus bezeichnet: den
Doppelcharakter der Arbeit. Die abstrakte Arbeit ist neben der konkreten Arbeit
nach Marx ein Moment des Doppelcharakters aller Arbeit, unabhängig von ihrer
konkreten gesellschaftlichen Form. Der Begriff „abstrakte Arbeit“ bezieht sich
dabei auf die Gesellschaftlichkeit der Arbeit, d. h. auf die gemeinsame,
gesellschaftlich gleiche Verausgabung von menschlicher Arbeitskraft und die
dadurch erzeugte Beziehung aller Arbeitsprodukte untereinander und zur
gesellschaftlichen Gesamtarbeit. Abstrakte Arbeit spielt qua dem „Gesetz der
Ökonomie der Zeit“ in allen Gesellschaftsformationen eine wichtige Rolle, und
zwar bei der proportionalen Verteilung der Gesamtarbeit auf einzelne Zweige.
Insofern von jeder konkreten Eigenschaft der besonderen Arbeitsprodukte und der
sie produzierenden Einzelarbeiten real abstrahiert wird, gelten sie als gleiche
menschliche Arbeit. Die abstrakte Arbeit ist somit eine allgemeine Eigenschaft
aller konkret-nützlichen Arbeiten und in
allen Gemeinwesen
werden diese zugleich als abstrakt-menschliche Arbeiten
aufeinander bezogen. Abstrakte Arbeit, als Verausgabung menschlichen
Arbeitsvermögens im Verhältnis zur gesellschaftlichen Gesamtarbeitskraft,
existiert dem Prinzip nach also unter allen Gesellschaftsformationen.

„Nicht ,abstrakte Arbeit‘ an sich ist
also ein gesellschaftliches ,Konstrukt‘, das nur dem Kapitalismus eigen ist, …
sondern die spezifisch kapitalistische, gesellschaftliche Konstruktion ist es,
dass Arbeit, reduziert auf abstrakte Arbeit, schon als solche zu
gesellschaftlicher Arbeit wird. […] Die spezifisch-historische
gesellschaftliche Kategorie, die abstrakte Arbeit in der Wertform zur
Erscheinung bringt, besteht […] in der Auflösung der naturwüchsigen
gesellschaftlichen Zusammenhänge von Arbeit und Bedürfnisbefriedigung, in der
unmittelbaren Gesellschaftlichkeit von ,bloß verausgabter Arbeit‘, deren gegenständliches
Resultat sich im Nachhinein seinen Bedarf zu suchen hat. Hinter dem Rücken der
Akteure entsteht dabei eine ,zweite Natur‘: eine scheinbar ,naturwüchsige
Beziehung‘ zwischen Arbeit und vergegenständlichten Wertformen, die zum
eigentlichen Zweck und gesellschaftlichen Akteur des ökonomischen Prozesses zu
werden scheinen. Diese zweite Naturwüchsigkeit macht die Gewalt der
Fetischcharaktere der verschiedenen Wertformgestalten aus.“ (Lehner 2008, S.
133)

Moishe Postone
geht hingegen davon aus, dass die abstrakte Arbeit spezifisch kapitalistisch
sei und in anderen Gesellschaftsformationen keine Rolle spiele (vgl. Postone
2003, S. 233). Zudem sei die „Objektivierung“ der abstrakten Arbeit in einer
den Individuen gegenüber verselbstständigten Sphäre die spezifisch
kapitalistische Form „abstrakter Herrschaft“ und diese vom Proletariat und
durch dessen Verausgabung abstrakter Arbeit letztlich selbst erzeugt und
aufrechterhalten. Die der Entfremdung und Subsumtion (Unterordnung) der
lebendigen unter die tote (vergangene, im Kapitalvorschuss enthaltene) Arbeit
zugrundeliegende Klassenherrschaft der – äußerst lebendigen – Bourgeoisie wird
von den WertkritikerInnen hingegen ausgeklammert. Die Kontrolle der besitzenden
Klassen über die von ihnen bewegte Arbeit erscheint aber an der Oberfläche der
Gesellschaft lediglich als die Herrschaft von „objektiven“, „naturhaften“
Gewalten der „Markt- und Kapitalbewegungen“:

„Durch die Ablösung des Fetischs und des ,automatischen Subjekts‘ von dieser gesellschaftlichen Basis wird dem Fetisch sein eigentlicher gesellschaftlicher Zweck genommen – er wird quasi wörtlich genommen. Tatsächlich verschleiert er jedoch als sachliches Verhältnis, das doch eigentlich ein ganz handgreiflich gesellschaftliches ist, die Herrschaft einer Klasse über eine andere.“ (Lehner 2003, S. 116)

Die
WertkritikerInnen sind somit nicht in der Lage zu erkennen, dass die
gesellschaftliche Form der Arbeit von den gegenständlichen Bedingungen der
Arbeit und der Distribution der Produktionsmittel abhängt. Doch nur dann, wenn
vom Arbeitsprozess als Einheit seiner subjektiven und objektiven Bedingungen
ausgegangen wird, wenn also von der Naturbedingtheit der Arbeit nicht
abstrahiert und wenn sie nicht auf die Verausgabung von abstrakter Arbeit
reduziert wird, kann überhaupt wahrgenommen werden, dass das Eigentum an den
gegenständlichen Arbeitsbedingungen eine Bedingung der Arbeit ist und dass die
gesellschaftliche Form der Arbeit von
dieser Bedingung abhängt. Eine Theorie hingegen, die diesen Zusammenhang
unterschlägt, muss letztlich zu allerhand Mystizismus führen – wie die Texte
der Wertkritik verdeutlichen.

Auch Roswitha
Scholz behauptet, die abstrakte Arbeit sei überhaupt erst im Kapitalismus
„entstanden“ (Scholz 2005, S. 19). Sie spricht gar vom „System der ‚abstrakten
Arbeit‘“, bei dem es gar nicht um eine „subjektiv-private Aneignung von etwas
Positivem qua Privateigentum an den Produktionsmitteln“ (S. 17) gehe, sondern
das „Privateigentum nur eine sekundäre Erscheinungsform des Mehrwerts als eines
negativen gesellschaftlichen Selbstzwecks“ darstelle (S. 17f.). Was immer man
unter einem „negativen Selbstzweck“ zu verstehen hat, Mehrwert und Verausgabung
abstrakter Arbeit sind gegenüber dem Privateigentum an Produktionsmitteln für
sie das bestimmende Moment.

Die
gesellschaftliche Form der Arbeit wird von ihr von deren gegenständlichen
Bedingungen getrennt. Statt ihren inneren Zusammenhang zu analysieren, wird
„der Wert“ bzw. die „Wert-Abspaltung“ als „zentrales gesellschaftliches
Basisprinzip“ (S. 21) und zugleich als „Metastruktur“ (S. 23) konzipiert, die
nirgends in der empirischen Realität mehr begründet scheint. Die
gesellschaftlichen Voraussetzungen und Vermittlungen der „Selbstverwertung des
Werts“ in der Produktionssphäre werden ausgeklammert. Die Verselbstständigung
der Wertform ist aber abhängig von der Einverleibung der „freien Arbeitskraft“
in die Warenwelt – und das nicht nur historisch, sondern auch logisch. Erst
dadurch – das heißt durch das Privateigentum an Produktionsmitteln, welches die
Eigentumslosigkeit der ArbeiterInnen und somit deren Abhängigkeit begründet –
entsteht überhaupt die Möglichkeit dafür. Doch auch Scholz kann die historische
Genese des Kapitalismus und dessen Voraussetzungen nicht völlig ausblenden.
Dementsprechend benennt sie die Verwandlung der Arbeitskraft in eine Ware als
eine seiner Voraussetzungen (vgl. S. 18). Sie erklärt aber Klassengegensätze
für die sich auf den eigenen Grundlagen reproduzierende kapitalistische
Produktionsweise als zweitrangig bzw. vollkommen obsolet. Die
Verselbstständigung der Wertform ist für sie vielmehr eine Frage des Charakters
– und zwar des „Selbstzweckcharakters des Werts“ (ebd.). Damit verdinglicht sie
ein gesellschaftliches Verhältnis zwischen Individuen und Klassen zu einem Ding
mit quasi-menschlichen Eigenschaften. Das Subjekt der gesellschaftlichen
Reproduktion wird von den empirischen Individuen und den materiellen
Verhältnissen abgelöst und die Wert-Abspaltung entsprechend zu einer
„Metastruktur“ stilisiert, welche sich auf die „Metalogik“ (S. 182) der
sozialen Reproduktion beziehe, deren Widerspiegelung in der Theorie der
Wert-Abspaltung „auf einem hohen Abstraktionsniveau angesiedelt“ (S. 22) sei.
Das „hohe Abstraktionsniveau“ gründet dabei aber nicht in einem über den
gesellschaftlichen Verhältnissen schwebenden „Formprinzip“, sondern in der
Abstraktion von den materiellen gesellschaftlichen Verhältnissen seitens der
Theoretikerin.

Zwischenfazit:
Alle menschlichen Gesellschaften kennzeichnet der doppelte Charakter Ihrer
Arbeit. Einerseits ist diese als konkrete Art der Tätigkeit zweckgerichtet,
erfüllt ein bestimmtes Bedürfnis, andererseits ist sie stets ohne deren
Unterschied abstrakte Verausgabung von Nerven, Hirn und Muskeln sowie auch in
dem Sinne abstrakt, dass sie stets Teil eines gesellschaftlichen Ganzen bleiben
muss, da die Menschen nur in Gesellschaft leben können.

Was den
Kapitalismus dagegen als einzigartig kennzeichnet, ist, dass er abstrakte
Arbeit als Wert darstellt und sie in
ihm misst, weil er eine universelle Warenproduktionsweise ist. Die Lohnarbeit
ist die einzige „freie“ Arbeitsform der Menschheitsgeschichte, in der den
ProduzentInnen die Verfügung über die gegenständlichen Bedingungen ihrer Arbeit
(Produktionsmittel) abhanden gekommen ist, sie nur über ihr subjektives
Arbeitsvermögen verfügen, das sie als Ware Arbeitskraft verkaufen, genauer:
stundenweise vermieten müssen.

Das
Klassenverhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital ist also entscheidend dafür,
dass Arbeitskraft (subjektives Arbeitsvermögen) und Kapital (objektive
Arbeitsbedingungen, abstrakter Reichtum zum Zwecke seiner stetigen Vermehrung)
in deren Werten eine scheinbar dingliche Gestalt annehmen. Die „Wertkritik“
dagegen entfernt Ausbeutung, Klassen und Menschen aus der Geschichte und
verwandelt den Kapitalismus in ein Reich der Herrschaft von Sachen, abstrakter
Arbeit. Sie sitzt damit selbst dem von ihr falsch kritisierten Wertfetischismus
als Motor der Produktionsweise auf. Die Produktionsweise verwandelt sich in ein
Perpetuum mobile von Sachzwängen, das von der ArbeiterInnenklasse nicht mehr
angehalten werden kann.

Der ohnehin schon falschen Vorstellung der WertkritikerInnen, wonach sich „die gesellschaftliche Totalität in der Moderne aus der fetischistischen Selbstbewegung des Geldes und der ‚abstrakten Arbeit‘ als tautologischem Selbstzweck konstituiert“ (S. 19), fügt Scholz die Vorstellung einer
„geschlechtsspezifischen Abspaltung“ hinzu. Diesen Begriff zieht sie in der
Folge heran, um die verschiedenen Formen gesellschaftlicher Unterdrückung auf
das kapitalistische „Basisprinzip“ der Wert-Abspaltung zurückzuführen. Alles,
was nicht in der Wertform „aufgehe“, werde von dieser abgespalten und
gesellschaftlich abgewertet. Die Idee dabei ist, dass der Wert die Gleichsetzung
der verschiedenen (konkreten) Arbeiten zur Voraussetzung habe. Alles, was sich
dieser Gleichsetzung nicht füge, darin „nicht aufgehe“, werde abgespalten.
Dieses „Formprinzip“ strukturiere die gesamte gesellschaftliche Ordnung und
reproduziere sich auch auf symbolischer und sozialpsychologischer Ebene – unter
anderem in der Abwertung des „Weiblichen“, des „Anderen“ und allem damit
Assoziierten. Nachdem sich Scholz eine solche, über allen konkreten
gesellschaftlichen Verhältnissen schwebende „Metalogik“ konstruiert hat, geht
es ihr in der Auseinandersetzung mit anderen TheoretikerInnen nur noch darum,
die Bestimmtheit der vielfältigen Diskriminierungs- und
Unterdrückungserscheinungen durch dieses „Basisprinzip“ zu behaupten.
Solchermaßen bastelt sich Scholz eine scheinbar umfassende Theorie der
kapitalistischen Totalität, indem sie das übergreifende Moment auf eine von den
materiellen Verhältnissen und dem Handeln der Subjekte scheinbar unabhängige
und sich selbst begründende „Metastruktur“ zurückführt.

Da Ausbeutung
für Scholz nur eine sekundäre Erscheinungsform darstellt und es den
KapitalistInnen gar nicht um die „subjektiv-private Aneignung von etwas
Positivem qua Privateigentum an den Produktionsmitteln“ (sprich: Ausbeutung)
gehe, kann sie sich scheinbar auch nicht vorstellen, dass Sexismus und andere
Formen der Unterdrückung durchaus eine gesellschaftliche Funktion im Interesse
einer Klasse erfüllen – und etwa dazu dienen, die Reproduktionskosten der Ware
Arbeitskraft, den Wert der weiblichen Ware Arbeitskraft und dadurch auch das
Lohnniveau im Allgemeinen zu senken – Stichwort: sexistisch delegierte und ins
Private abgedrängte Hausarbeit.

Zur Bewertung der Hausarbeit durch die Wert-Abspaltungstheorie

Während
MarxistInnen argumentieren, Hausarbeit im Kapitalismus sei keine produktive,
aber gesellschaftlich notwendige, Gebrauchswert bildende Arbeit, möchte Scholz
mit Bezug auf Haushaltstätigkeiten wie Kinder erziehen und Pflegetätigkeiten
ausführen überhaupt nicht von „Arbeit“ sprechen (vgl. Scholz 2005, S. 19f.). Da
diese Tätigkeiten „nicht der politökonomischen Rationalität gehorchen wie die
‚abstrakte Arbeit‘“ (ebd.), könnten „die weiblichen Reproduktionstätigkeiten
auch nicht mit der Arbeitskategorie belegt werden.“ (S. 20) Die im Haushalt
ausgeführten „Tätigkeiten“ stellten vielmehr die Kehrseite der sich im Wert
ausdrückenden „abstrakten Arbeit“ dar. Ebendeshalb sei auch dem Versuch zu
widerstehen, diese Tätigkeiten „auch noch in Arbeit umzudefinieren“ (Scholz
1992), da die (abstrakte) Arbeit ja „gewissermaßen selbst die ,Wurzel allen
Übels‘“ (ebd.) sei. Deshalb müsse „ein dritter Begriff gesucht werden, mit dem
die traditionelle Tätigkeit der Frau im Reproduktionsbereich genauer
theoretisch bestimmt werden kann, da auch der Terminus ,Tätigkeit‘ zu diffus
ist und einen zu großen Allgemeinheitscharakter besitzt […]. Diese – keineswegs
irrelevante – Problematik kann hier jedoch nicht weiter verfolgt werden.
Solange eine derartige Klärung nicht erfolgt ist, bediene ich mich deshalb
weiterhin des unbefriedigenden Begriffs ,Tätigkeit‘, wenn von der ,Arbeit‘ im
Reproduktionsbereich die Rede ist.“ (ebd.)

Es bleibt die
Frage, von welchem höheren Wesen sich Scholz diese Klärung verspricht, wenn sie
auch nach mehr als zehn Jahren noch immer den zuvor von ihr selbst als zu
diffus bezeichneten Begriff der „Tätigkeit“ verwendet. Hier präsentiert sie
scheinbar ungewollt die Grenze ihrer eignen Theorie – als „Unmöglichkeit“,
diese „Problematik hier weiter zu verfolgen“ und einen präzisen Begriff der
Hausarbeit zu entwickeln. Es scheint sich bei diesem Problem – das Scholz in
späteren Texten schon gar nicht mehr als solches benennt, wo sie ohne weitere
Kommentare den Begriff der („Haushalts‘- bzw. „Reproduktions“-) Tätigkeiten verwendet (Scholz 2005, S.
20; Scholz 2017a und b) –, um ein theorieimmanent-begriffliches Problem zu
behandeln, welches bedingt ist durch die „fundamentale“ und „radikale“
Verwirrung der Wert-Abspaltungskritik bezüglich der Kategorien der Kritik der
politischen Ökonomie.

Da das
Proletariat als potentielles revolutionäres Subjekt bei den WertkritikerInnen
nicht mehr vorkommt, bleibt ihre gesamte politische Strategie notwendigerweise
diffus und abstrakt.

So soll sich die
„praktische Gesellschaftskritik“ ganz direkt gegen die „Grundform der Wert-Abspaltung
als solche“ (Scholz 2005, S. 265) richten. Dieses Basisprinzip gelte es „in
Frage zu stellen“ und zu „überwinden“ (ebd.). Gegenüber der Notwendigkeit,
Bündnisse mit nicht näher definierten anderen Gruppen einzugehen, beharrt die
Wertkritik zugleich darauf, „dass heute ein radikal kritischer Neubezug auf ein
gesellschaftliches (fragmentarisches) Ganzes, auf ein negatives Wesen
stattfinden muss; gerade auch in der unmittelbar praktischen
gesellschaftskritischen Aktion“. (S. 12) Was immer man sich unter einem „Bezug
auf ein negatives Wesen“ vorzustellen hat – es klingt jedenfalls mehr nach
Okkultismus als nach revolutionärer politischer Praxis.  Da dieses „negative Wesen“ als
„abstrakte Metalogik“ zugleich nirgendwo zu fassen ist, bezieht sich Scholz dann
auch unvermittelt auf den „inhaltlich-spezifischen Kontext vor Ort“, auf
„vortheoretisch erfahrene Lebens- und Gesellschaftsprobleme“ (ebd.) als
Bezugspunkte politischer Praxis.

Politische Perspektiven

Aufgrund ihres
falschen Verständnisses des Kapitalverhältnisses entsorgen Scholz und die
„Wertkritik“ nicht nur die ArbeiterInnenklasse als Subjekt gesellschaftlicher
Veränderung, sondern natürlich auch die organisierte proletarische
Frauenbewegung. Zum Schluss möchten wir noch kurz auf die politischen Perspektiven
zu sprechen kommen, die sich aus der Analyse des Kapitalismus ergeben.

Das Proletariat,
auf welches sich der revolutionäre Marxismus nach wie vor bezieht, wird von
diesem nicht (nur) als eine gegebene Objektivität begriffen, sondern muss „vom
Endpunkt seiner revolutionären Klassenbildung her, von den weltgeschichtlichen
Perspektiven der proletarischen Bewegung, gefasst werden“ (Lehner 2010, S. 13).
Es ist diejenige ProduzentInnenklasse, die alle gesellschaftlich notwendigen
Arbeiten auf entfremdete Weise in sich zusammenfasst und deshalb als einzige
objektiv dazu in der Lage ist, die notwendigen gesellschaftlichen Umwälzungen
–  die rationale Aneignung der
totalen gesellschaftlichen Produktion, (von welcher die derzeit ins „Private“
abgeschobene Hausarbeit einen Teil darstellt) –, bewusst gesellschaftlich
vorzunehmen. Um den Prozess der Herausbildung des Proletariats zum
revolutionären Subjekt aktiv zu befördern, sind deshalb sowohl die Ausarbeitung
einer revolutionären Klassentheorie, der Aufbau einer revolutionären
Organisation nötig wie auch der Kampf um besondere Formen der Organisierung der
Unterdrückten, darunter der für eine proletarische Frauenbewegung.

Dies soll der
Tatsache Rechnung tragen, dass Lohnarbeit und Kapital als Widerspruchsverhältnis
nicht nur die Negation der beiden Seiten umfasst, sondern zu seiner
Reproduktion auch das Moment der Identität. Diese stellt selbst eine materielle
Grundlage für reformistisches Bewusstsein in der ArbeiterInnenklasse dar und
bedeutet auch, dass revolutionäres Bewusstsein nicht spontan entstehen kann. Es
bedarf hierfür einer revolutionär-kommunistischen
Organisation, die um dieses Bewusstsein in der gesamten Klasse kämpft. Der
Bezug auf den Begriff des Proletariats entspricht dabei nicht nur der tatsächlich
vor sich gehenden Vereinheitlichung der besonderen Arbeits- und
Lebensbedingungen, die durch den kapitalistischen Akkumulationsprozess selbst
zunehmend dem allgemeinen Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital subsumiert
werden, sondern erfüllt auch eine wichtige Funktion im revolutionären Kampf
gegen die alte Ordnung, indem es das Lager der objektiv Lohnabhängigen über all
seine Streitungen hinweg ausgehend von der Basis einer differenzierten,
realistischen Klassenanalyse funktional polarisiert.

Literatur

Aufruf Frauenstreik 2019: < https://frauenstreik.org/aufruf/>

Dalla Costa, Mariarosa/ James, Selma: Die Macht der Frauen
und der Umsturz der Gesellschaft, (Internationale Marxistische Diskussion, Heft
36), Berlin/W. 1973, Merve-Verlag

Lehner, Markus (2003): Die „Kritik der Arbeit“ und das
Rätsel der Systemüberwindung, in: Revolutionärer Marxismus 33, Berlin 2003,
global red, S. 89–122

Ders. (2008): Finanzkapital, Imperialismus und die
langfristigen Tendenzen der Kapitalakkumulation, in: Revolutionärer Marxismus
39, Berlin 2008, global red, S. 129–208

Ders.
(2010): Arbeiterklasse und Revolution. Thesen zum
marxistischen Klassenbegriff, in: Revolutionärer Marxismus 42, Berlin 2010,
global red, S. 7–99

Marx, Karl: Das Kapital. Erster Band, Berlin/O. 1971

Postone, Moishe: Zeit, Arbeit und gesellschaftliche
Herrschaft, eine neue Interpretation der kritischen Theorie von Marx,
Freiburg/Breisgau 2003, ça ira Verlag

Scholz,
Roswitha (1992): Der Wert ist der
Mann.
Thesen zu Wertvergesellschaftung und Geschlechterverhältnis, in:
Krisis. Kritik der Warengesellschaft, Erlangen 1992, Selbstverlag; https://www.exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=30&posnr=25&backtext1=text1.php

Dies. (2005): Differenzen der Krise – Krise der
Differenzen. Die neue Gesellschaftskritik im globalen Zeitalter und der
Zusammenhang von „Rasse“, Klasse, Geschlecht und postmoderner
Individualisierung,
Unkel 2005, Horlemann B.

Dies. (2017
a): FEMINISMUS – KAPITALISMUS – ÖKONOMIE – KRISE. Wert-Abspaltungs-kritische
Einwände gegenüber einigen Ansätzen feministischer Ökonomiekritik heute, 2017.
Online (07.02.2019): https://www.exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=30&posnr=517&backtext1=text1.php

Dies.
(2017 b): Wert-Abspaltung, Geschlecht und Krise des Kapitalismus. Interview von
Clara Navarro Ruiz mit Roswitha Scholz (Constelaciones. Revista de Teoria
Critica, 2017), 18.12.2017:
http://www.palim-psao.fr/2017/12/wert-abspaltung-geschlecht-und-krise-des-kapitalismus.interview-von-clara-navarro-ruiz-mit-roswitha-scholz.html