Analyse und Auswertung der Aktionen in Fulda

REVOLUTION Hessen, Infomail 1043, 20. Februar 2019

Am vergangenen Samstag, dem 16. Februar,
marschierten ca. 100 FaschistInnen der Nazi-Kleinstpartei „III. Weg“ mit
Fackeln durch Fulda, um anlässlich der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg
einen deutschen Opfermythos zu konstruieren. Bis zu 2.500 Menschen aus Fulda
und von auswärts beteiligten sich an verschiedenen Gegenaktionen (vor allem
organisiert vom Verein „Fulda stellt sich quer e. V.“) bis hin zu
spontanen Blockaden, welche den Aufmarsch der Nazis massiv störten. Es war für
das jüngere Fulda das erste Mal, dass direkte Massenaktionen gegen einen
Naziaufmarsch in der Innenstadt stattfanden. Im Folgenden wollen wir die
Vorbereitung der Gegenaktivitäten und ihren Erfolg am Samstag bilanzieren, die
Mobilisierung der Nazis einordnen und Vorschläge machen, was beim nächsten Mal
besser laufen könnte, um den Naziaufmarsch vollständig zu blockieren.

Ganz Fulda auf den Beinen

Die Nachricht eines Naziaufmarschs im
Herzen von Fulda hatte sich im Vorfeld in allen Milieus herumgesprochen und
überall für Empörung besorgt. Schnell war klar, dass es eine breite Front gegen
die Nazis geben würde: von den Stadtratsfraktionen, kirchlichen Organisationen,
Restaurant- und Kneipenbesitzer_Innen über alternative Kulturräume bis hin zu
antikapitalistischen Gruppen. Das spiegelte sich am 16.02. zum einen an den
verschiedenen Anlaufpunkten in der Stadt wider wie z. B. dem L14, wo es
Essen und Getränke gegen Spende gab und die Möglichkeit, sich auszuruhen. Vor
allem aber machte es sich auf der Gegenkundgebung auf dem Uniplatz bemerkbar,
welche ab mittags mit jüngeren wie älteren Menschen gut gefüllt war. Dass sie
nach scheinbar langwierigen Verhandlungen auf dem zentralsten Platz der
Innenstadt und in Nähe der Nazi-Kundgebung stattfinden konnte, war bereits ein
Erfolg. Sie war ein wichtiger Anlaufpunkt und ermöglichte es den Gruppen und
Initiativen, den Protest mit politischem Inhalt zu füllen, sich zu vernetzen,
mit neuen Leuten in Kontakt zu kommen und auf die späteren Blockadeaktionen
aufmerksam zu machen.

Keine Gegendemo in der Innenstadt

Nachdem sich schon die Gegenkundgebung
auf dem Uniplatz scheinbar nicht so ohne weiteres durchsetzen ließ, kam es bei
der Verhandlung über die Route der Gegendemo zu überhaupt keinem Ergebnis. Die
Stadt wollte keine Gegendemo innerhalb der Innenstadt, sondern hätte der Route
nur zugestimmt, sofern diese aus der Innenstadt heraus und weg von dem
Naziaufmarsch und der Gegenkundgebung geführt hätte. Das Kalkül dabei ist offensichtlich:
Die Stadt wollte den Protest dezentralisieren und weg von den Nazis führen,
sodass Blockadeaktionen nicht unmittelbar hätten folgen können. Dass sich
„Fulda stellt sich quer“ darauf nicht eingelassen hat, war die einzig richtige
Entscheidung. Mit einer eigenen Demo in die Offensive zu gehen, wäre schön
gewesen, es gab an dem Tag aber auch so genug Möglichkeiten, politische Inhalte
in die Öffentlichkeit zu tragen, sodass den Störaktionen hier klar der Vorrang
galt. Auch zeitlich wäre es wahrscheinlich zwischen Gegenkundgebung und
Blockadeaktionen eng geworden.

Die Organisierung der Proteste

Die Gegenproteste wurden von unzähligen
Gruppen, Parteien, Initiativen und Einzelpersonen unterstützt. Maßgeblich
organisiert wurden sie aber vom Verein „Fulda stellt sich quer“. Der
Vorsitzende und seine Mitstreiter_Innen haben viele Dinge in die Hand genommen,
z. B. die Gegenkundgebung angemeldet, Flyer und Plakate produziert, Infos
über die Nazis zusammengetragen, versucht, eine Demo in der Innenstadt durchzusetzen,
Pressearbeit usw. usf. Sie haben viel Arbeit auf sich geladen und dafür muss
man grundsätzlich erstmal dankbar sein.

Nichtsdestotrotz müssen wir auch Kritik
üben: Es gab im Vorfeld keine Bestrebungen, ein wirkliches demokratisches
Bündnis aller Gruppen und Initiativen aufzubauen, welches auf Augenhöhe die
Proteste gemeinsam plant, Aufgaben verteilt und Entscheidungen trifft. Die
Info-Treffen, zu denen „Fulda stellt sich quer“ (Fssq) eingeladen hatte, waren
keine Bündnistreffen, sondern liefen eher wie Pressekonferenzen ab. Vorne auf
der Bühne der Vorsitzende von Fssq, der erzählt, was er und sein Verein alles
planen und machen, die Gruppen und Initiativen sitzen im Publikum und hören zu.
Oft wurden dabei große Töne angeschlagen und Dinge behauptet, die dann doch
nicht umgesetzt wurden oder sich nicht bewahrheitet haben wie z. B. das
angekündigte Infotelefon, der Ermittlungsausschuss oder die angeblich mehreren
Hundert Nazis, die zu erwarten seien.

Sicher hat das auch mit der hohen
Arbeitsbelastung der AktivistInnen von Fssq zu tun. Das unterstreicht aber noch
deutlicher, wie wichtig es ist, solche Proteste nicht allein zu planen, sondern
ein wirkliches Bündnis aufzubauen, was mit vereinten Kräften arbeitet und
Entscheidungen gemeinsam trifft. Wie auch in der Vergangenheit hatte man aber
wieder das Gefühl, dass es Fssq wichtiger ist, die alleinige Kontrolle über
alles zu haben, allein im Rampenlicht zu stehen, statt ein schlagkräftiges
demokratisches Bündnis aufzubauen. Gemeinsam wäre es sicher möglich gewesen,
eine bessere Info-Struktur an dem Tag auf die Beine zu stellen, um die Aktionen
an der Route besser zu koordinieren, mehr Leute dafür einzusammeln und den
Aufmarsch vielleicht ganz zu blockieren.

Die Mobilisierung der Nazis

Mit rund 100 Nazis blieb die
Mobilisierung des „III. Wegs“ hinter dem Vorjahr zurück. Letztes Jahr hatte der
Trauermarsch in Nordhausen stattgefunden, mit bis zu 200 Nazis, in den Jahren
davor immer in einer anderen Stadt. Jedes Jahr war die Teilnehmerzahl um ca. 50
Nazis gestiegen. Laut Verfassungsschutz ist auch die Mitgliederzahl des „III.
Wegs“ in den letzten beiden Jahren von 350 auf 500 gestiegen. Deshalb lag die
Vermutung nahe, dass auch der Aufmarsch in Fulda wieder etwas größer werden
könnte als das Jahr zuvor. Das hat sich nicht bewahrheitet. Darüber hinaus
wurde von „Fulda stellt sich quer“ die Info verbreitet, dass neben dem „III.
Weg“ auch aus dem Kameradschaftsumfeld und von der NPD nach Fulda mobilisiert
werde und deshalb sogar mit mehreren Hundert Teilnehmer_Innen zu rechnen sei.
Diese Nachricht sorgte erstmal für einen kleinen Schock unter den Fuldaer
Aktivist_Innen. Rückblickend ist uns absolut nicht klar, warum diese Info
verbreitet wurde. Weder auf den Websites der NPD noch auf denen anderer rechter
Gruppen ließen sich Hinweise darauf finden. Der ganz überwiegende Teil der
deutschen Naziszene mobilisierte nach Dresden, wo dieses Jahr erstmals wieder
bis zu 1.000 Nazis an einem „Trauermarsch“ teilnahmen.

Die Nazis in Fulda kamen ganz überwiegend
selbst nicht aus dem Landkreis, sondern waren aus anderen Bundesländern
angereist, wahrscheinlich überwiegend aus dem Süden und dem Osten, wo der „III.
Weg“ stark ist. In Hünfeld stiegen ca. 20 Nazis mit Polizeibegleitung in den
Zug nach Fulda ein und fuhren nach der Demo auch dahin zurück, was verwundert,
weil Hünfeld kein Umsteigebahnhof ist und es dort bisher keine Aktivität vom „III.
Weg“ gab. Vielleicht gab es die Absprache mit der Polizei, dort die Autos zu
parken und dann in Begleitung nach Fulda mit dem Zug reinzufahren.

In Hessen hat die Organisation laut
Verfassungsschutz 15 Mitglieder, ein paar davon kann man im Landkreis Fulda
vermuten. Der „III. Weg“ hat gerade erst angefangen, sich hier zu verankern. Bisher
fehlt ihm der Rückhalt, ohne Unterstützung von außerhalb geht nix. Das
Potenzial im Landkreis Fulda schätzen die Nazis aber zu Recht nicht schlecht
ein. Allerdings dürfte die Demo am 16.02. wohl kaum zu einer größeren
Verankerung beigetragen haben. Nahezu alle TeilnehmerInnen hatten Pullis,
Jacken oder Kappen vom „III. Weg“, standen also schon vor der Demo mit der
Organisation in Kontakt. Das Gefühl, von allen Seiten angebrüllt zu werden, hat
die Motivation, bei der Organisation aktiv zu werden, sicher nicht gesteigert.

Unterstützung des Protests von außerhalb

Ab 15 Uhr strömten vom Bahnhof
Antifaschist_Innen aus ganz Hessen in die Innenstadt, die meisten aus dem
Rhein-Main-Gebiet, aber auch aus Kassel, Gießen, Marburg, Würzburg und
Witzenhausen. Insgesamt waren schätzungsweise bis zu 400 Menschen von außerhalb
nach Fulda gekommen, die große Mehrheit davon mit dem konkreten Ziel, den
Naziaufmarsch zu stören. Dass es gelungen ist, den 16.02. auch über Fulda
hinaus so bekannt zu machen und Hunderte Menschen gekommen sind, ist ein
weiterer großer Erfolg. Dieser ist natürlich in erster Linie dem Engagement der
Menschen aus Frankfurt, Darmstadt, Kassel, Gießen usw. zu verdanken.

Die Störaktionen

Ab dem Zeitpunkt, wo die Nazis sich auf
dem Platz „Unterm Heiligen Kreuz“ begannen zu sammeln, wurden sie aus Richtung
der verschiedenen mit Gittern abgesperrten Zugänge niedergepfiffen und mit
antirassistischen Parolen empfangen, überwiegend von jüngeren AktivistInnen.
Das sollte den ganzen Tag und Abend so weitergehen: Egal an welcher Stelle der
Route, die Nazis wurden schon erwartet. Die Atmosphäre eines Gedenk- und
Schweigemarsches wurde dauerhaft vollkommen zerstört. Auch das war ein
wichtiger Erfolg für den Protest. Höchstens bei ihrer Zwischenkundgebung am
Peterstor hatten sie relativ ihre Ruhe, weil die Absperrungen weiträumiger
waren und viele AntifaschistInnen schon weiter nach oben gezogen waren und
nichts von der Zwischenkundgebung mitbekommen hatten.

Blockaden

Während die erste Hälfte der Route
konsequent abgesperrt war und aufmerksam von der Polizei bewacht wurde, war das
bei der zweiten Hälfte nicht mehr der Fall. Teilweise standen Absperrungen
vollkommen verlassen auf der Straße. An manchen Übergängen zur Route war
überhaupt keine oder nur wenig Polizei. Das liegt vielleicht an der dort
größeren Entfernung zur Gegenkundgebung. Vielleicht hatte die Polizei nicht
damit gerechnet, dass so viele Menschen versuchen würden, auch auf den hinteren
Teil der Route zu gelangen. Insgesamt waren laut Presse ca. 1.000 Einsatzkräfte
vor Ort, ein eigentlich lächerlich großes Aufgebot.

Ein großer Teil der Polizeikräfte
konzentrierte sich in der unmittelbaren Nähe der sich fortbewegenden Nazi-Demo,
nur wenige aber auf den Straßenabschnitten weiter vorne. So gelang es unserer
Kenntnis nach dreimal, die Route zu blockieren. Die erste und größte Blockade
war auf der Petersberger Straße. Diese konnte den Aufmarsch für längere Zeit
stoppen. Nach Verhandlungen zwischen Nazis und Polizei und der Weigerung der
AntifaschistInnen, die Straße zu räumen, wurde die Demo schließlich von der
Polizei auf eine andere Route umgeleitet. Weiter oben, in der Heinrichstraße,
warteten AktivistInnen an zwei Kreuzungen, um die Straße als Rückweg der Nazis
zu blockieren. Ein Teil davon bewegte sich dann auf die darüber liegende
Straße, welche direkt am Bahnhof vorbeiführt. Diese Straße stellte sich kurze
Zeit später auch als die von den Nazis eingeschlagene Route heraus, weshalb die
AktivistInnen sich zu einer Sitzblockade formierten, was die Nazis erneut
aufhielt. Die Blockade wurde schließlich geräumt und die Beteiligte einzeln in
einen durch PolizistInnen abgetrennten Kessel getragen. Dort wurden sie
festgehalten, bis eine dritte kleine Blockade, direkt vor dem Bahnhof,
ebenfalls aufgelöst wurde. Endlich am Bahnhof angekommen, wurde auch die
Abschlusskundgebung der Nazis von einer großen Masse an Menschen, welche sich
auf dem Vorplatz gesammelt hatte, niedergebrüllt. Schätzungsweise 600 Menschen
beteiligten sich an dem Tag an den Störaktionen, davon vielleicht 350 auch an
den Blockadeversuchen.

Allein die Störaktionen am Rande der
Route machten den Gedenk- und Schweigemarsch der Nazis zu einem Desaster. Die
Blockaden kamen noch dazu. Beides zusammen hat den Tag für AntifaschistInnen zu
einem so kaum erwarteten Erfolg gemacht. Dieser ist auch den AktivistInnen von außerhalb
zu verdanken, welche einen wichtigen Teil der Menschen ausmachten, die durch
die Innenstadt rannten, um den Nazis zuvorzukommen. Genauso waren aber auch
viele Menschen aus Fulda an vorderster Front mit dabei, haben Mut und
Entschlossenheit gezeigt. Für viele war es wahrscheinlich das erste Mal, dass
sie sich an solchen Aktionen beteiligt haben. Somit gibt es in Fulda eine ganze
Reihe an AktivistInnen, die am 16.02. wichtige Erfahrungen sammeln konnten und
beim nächsten Mal gestärkt in die direkte Aktion gegen Nazis treten werden.