Streikrechtskonferenz 2019: Klassenzusammenarbeit ist eine Sackgasse!

Frederik Haber, Neue Internationale 235, Februar 2019

„Aus unseren Kämpfen lernen“ heißt das Motto der Konferenz
linker GewerkschafterInnen, die 2019 zum vierten Mal von der
Rosa-Luxemburg-Stiftung organisiert wird. So gut es ist, dass es diesen Rahmen
für kämpferische, aktive und linke Kolleginnen und Kollegen gibt, so groß ist
auch diesmal die Gefahr, in den vielen kleinen Problemen der gewerkschaftlichen
Alltagspraxis stecken zu bleiben und dem Bemühen, damit fertig zu werden.

„In unseren gewerkschaftlichen Kämpfen entstehen neue Formen
der Gegenwehr“, heißt es in der Einladung: „Was können wir aus ihnen lernen?
Wie können wir Erfolge verallgemeinern, alte Routinen durchbrechen und unsere
Durchsetzungsfähigkeit stärken?“

Hier stecken die VeranstalterInnen aus der Rosa
Luxemburg-Stiftung, also der Linkspartei, den Rahmen der Konferenz ab: eine
bessere gewerkschaftliche Praxis. Diese erstreben selbstverständlich alle
aktiven GewerkschafterInnen und Linken. Doch die Frage beinhaltet auch eine
Einschränkung. Der Rahmen der „gewerkschaftlichen Praxis“ selbst, die
Gesamtheit der kapitalistischen Verhältnisse in Deutschland und international,
die politische Strategie der Gewerkschaften und Betriebsräte, also die
eigentlichen Grundlagen der aktuellen Praxis, erscheinen allenfalls als
Nebenfragen.

Aber eine „bessere Praxis“ kann ohne eine „bessere“, d. h.
grundlegend andere politische Ausrichtung auf betrieblicher oder Branchenebene
allenfalls nur als Ansatz, als Stückwerk in Erscheinung treten. Die bestehende
„alte Routine“ entspricht nämlich der Ausrichtung der deutschen
Gewerkschaftsbewegung, der Verinnerlichung der Klassenzusammenarbeit mit dem
Kapital auf allen Ebenen vom Betrieb über die Aufsichtsräte bis zur
Unterstützung der Großen Koalition – und sie kann daher letztlich auch nur
überwunden werden, wenn die Politik und Strategie der herrschenden Bürokratie
in Gewerkschaften und Betriebsräten in Frage gestellt, ja bekämpft wird.

Das ist keine abstrakte Frage. Beispielsweise ist in den
Krankenhäusern eine Bewegung für Mindestbesetzungen in der Pflege in Gang
gekommen. Es gibt erste Erfolge. In Haustarifverträgen gibt es Quoten oder
zumindest Mechanismen, wie seitens der Belegschaften gegengesteuert werden
kann.

Beispiel Kampf um Pflege

Warum bleibt es bei einzelnen Beispielen? Natürlich gibt es
überall rückständige Belegschaftsteile, hinderliche Einstellungen von
Beschäftigten, die auch von christlicher und anderer Ideologie gefördert
werden. Aber es gibt auch das Problem, dass sich die ver.di-Führung weigert,
für einen allgemeinen Tarifvertrag zu kämpfen. Ein gemeinsamer Tarifkampf muss
natürlich entsprechend vorbereitet werden. Aber er kann alle Belegschaften
vereinen und die schlechter Organisierten mit hineinziehen und stärken.

Das Verhalten des ver.di-Vorstandes beruht nicht einfach auf
dem Festhalten an „alter Routine“, sondern resultiert aus ganz bewusster
Politik. Die AktivistInnen aus den Krankenhäusern und den Soli-Gruppen sollen
Unterschriften sammeln und demonstrieren, die ver.di-Führung will alleine
bestimmen, wie weit die KollegInnen gehen können/dürfen. Schließlich sollen sie
nicht als selbstständige EntscheiderInnen über ihre Aktionen auftreten, sondern
als Mittel, die Verhandlungsmacht der Führung zu erhalten.

Warum verhindert sie einen einheitlichen Kampf? Vielleicht,
weil zu viele Apparatschiks in den Aufsichtsräten sitzen? Oder in Stadträten
und Verwaltungen, die Ausgabensteigerungen fürchten? Die zwar Minister Spahn
angehen, aber keinesfalls eine Massenbewegung wollen, die die
Regierungskoalition gefährdet?

Der Kampf in der Pflege und den Krankenhäusern hat enormes
Potential. Er kann Massen in den Kampf führen, die bisher eher am Rand standen
und sich erst in den letzten Jahren organisiert und mobilisiert haben. Er kann
auf Unterstützung aus der ganzen ArbeiterInnenklasse rechnen. Der
Pflegenotstand ist Folge einer Politik, die Steuersenkungen für das Kapital von
den Arbeitenden durch Kürzungen für die Kommunen, Senkung der
„Lohnnebenkosten“, Einführung und Ausbreitung von Niedriglöhnen bezahlen lässt.

Diese Politik wurde von den Gewerkschaftsführungen
mitgetragen. Die SPD hat sie aktiv gestaltet. Die „Agenda 2010“ sollte  die Stellung Deutschlands gegenüber den
anderen führenden imperialistischen Ländern verbessern.

Die Linkspartei bekämpft diese Politik zwar in Worten, aber
es reicht weder, eine bessere Praxis zu propagieren noch der SPD gelegentlich
den Schwarzen Peter Agenda 2010 vorzuhalten. Erst recht wird eine solche
Politik zur Farce, wenn in Landesregierungen gemeinsam mit der SPD und den
Grünen die Agenda 2010 weiter verwaltet und umgesetzt wird.

Die Gewerkschaften sind durch und durch von der Politik
geprägt, die die Agenda durchsetzte und heute umsetzt:

  • „Gestaltung“ der Leiharbeit statt deren Bekämpfung.
  • Standort„sicherung“ auf Kosten anderer Belegschaften im In- und Ausland.
  • Aushöhlung der Tarifverträge durch Standort„sicherung“, Sanierungs-TV, Ausgliederung.
  • Kein Kampf für kollektive Arbeitszeitverkürzung, selbst angesichts massiver Arbeitsplatzverluste durch Digitalisierung.
  • Unterstützung des Angriffs auf das Streikrecht (IG Metall, SPD) bzw. die kampflose Hinnahme (ver.di und Linkspartei).

Diese Politik schwächt die Gewerkschaften und macht sie
wehrlos gegen Angriffe, die sich mit der kommenden Krise noch verstärken
werden. Sie entfremdet immer größere Teile der Lohnabhängigen von ihnen und
liefert sie den rechten PopulistInnen aus.

Eine andere, bessere Gewerkschaftspraxis kann nur
durchgesetzt werden, wenn diese Politik aktiv bekämpft wird. Wir müssen dafür
eintreten, dass die Gewerkschaften damit brechen!

Daher soll die Konferenz diese Fragen behandeln und die
Diskussion dazu organisieren – in Braunschweig und darüber hinaus. Wir brauchen
nicht nur Erfahrungsaustausch, sondern gemeinsame Forderungen, um den Kampf für
eine andere, klassenkämpferische und anti-bürokratische Gewerkschaftspolitik zu
koordinieren und zu vereinheitlichen. Hierzu einige Vorschläge:

  • Statt im Namen der Wettbewerbsfähigkeit und des Exportes Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne und Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, brauchen wir den Kampf für unsere Interessen mit allen gewerkschaftlichen und politischen Mitteln. Betriebsbesetzungen sind dabei unverzichtbar und legitim.
  • Die Einbeziehung der Basis in die Entscheidung über Streiks ist der Anfang – letztlich hat nur sie über den Abschluss zu entscheiden und nicht die hauptamtlichen Zentralen. Die Streikleitungen müssen von ihr gewählt, ihr wirklich rechenschaftspflichtig und abwählbar sein.
  • Eine radikale Erhöhung des Mindestlohnes ohne Ausnahmen ist ein entscheidendes Mittel, um den rechten DemagogInnen das Wasser abzugraben und den ständigen Lohndruck auf Stammbelegschaften abzuschwächen.
  • Betriebe, die Arbeitsplätze vernichten, müssen entschädigungslos unter Kontrolle der Beschäftigten enteignet werden!
  • Arbeitszeitverkürzung mit dem Ziel, alle Arbeitssuchenden in die Betriebe zu integrieren! Gleiche Löhne und Arbeitsbedingungen für Stamm- und Randbelegschaften! „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ statt Spaltung. Kampf der Leiharbeit!
  • Solidarität mit kämpfenden KollegInnen in anderen Ländern statt „Sicherung der deutschen Standorte“ – gerade in den internationalen Konzernen!
  • Kampf gegen Rassismus durch Massenmobilisierung! Aufnahme von Geflüchteten und MigrantInnen in die Gewerkschaften! Keine Rückendeckung für die Große Koalition – das ist nur Wasser auf die Mühlen der AfD.

Aussprechen, was ist

Es hilft den Linken in den Gewerkschaften nicht, sich davor
aus taktischen Überlegungen oder Opportunismus zu drücken. „Zu sagen, was ist,
bleibt die revolutionärste Tat….“ – Luxemburgs Satz ist angesichts der Krise
der deutschen Gewerkschaftsbewegung nur zu wahr!

Es hilft daher nichts, die Lage der Gewerkschaften
angesichts von Rechtsruck, Krise, globaler Konkurrenz und Militarisierung zu
beschönigen. Die Politik der sozialpartnerschaftlichen Mitverwaltung des
Kapitalismus, der Standortpolitik ist tief in die politische DNA der Führungen,
des Apparates und der Betriebsräte der Großkonzerne eingeschrieben. Daher
bildet diese Bürokratie heute auch eine der wichtigsten verbliebenen Stützen
der Großen Koalition.

Um eine bessere, andere Praxis in den Betrieben und
Gewerkschaften durchzusetzen, bedarf es neben Forderungen und Diskussion vor
allem auch des organisierten, gemeinsamen Vorgehens der linken,
klassenkämpferischen GewerkschafterInnen, Vertrauensleute, Betriebsräte. Das
System der Bürokratie, das die ArbeiterInnenklasse an die Zusammenarbeit mit
Kapital und Regierung bindet, kann nicht einfach „reformiert“ werden. Es reicht
nicht, einzelne Personen durch andere zu ersetzen. Vielmehr müssen die
Gewerkschaften der Kontrolle durch einen Apparat, eine ganze bürokratische
Schicht entrissen und auf demokratischer Basis neu aufgebaut werden. Dazu
bedarf es einer organisierten Basisbewegung, einer Opposition, die für eine
demokratische, antibürokratische, klassenkämpferische Gewerkschaft kämpft!