Der Fall Magnitz – ein Rechtspopulist inszeniert sich als Opfer

Martin Suchanek, Infomail 1037, 11. Januar 2019

Nur wenige Minuten benötigte die AfD Bremen, um den Überfall
auf ihren Bundestagsabgeordneten Magnitz bekannt zu machen. Nachdem die Polizei
am 7. Januar kurz nach 20 Uhr den Überfall gemeldet hatte, postete die rechte
Partei schon wenige Minuten später erste Informationen zum „feigen Überfall“.

Schnell waren nicht nur Bilder von Magnitz’ Kopfwunde im
Umlauf, auch der „Tathergang“ wurde im Detail geschildert:

„Unser Landesvorsitzender und Bundestagsabgeordneter Frank Magnitz ist am Montag von drei vermummten Männern angegriffen worden. (…) Mit einem Kantholz schlugen sie ihn bewusstlos und traten weiter gegen seinen Kopf, als er bereits am Boden lag. Dem couragierten Eingriff eines Bauarbeiters ist zu verdanken, dass die Angreifer ihr Vorhaben nicht vollenden konnten.“ (Weserkurier vom 9.1.)

Der AfD-Vorsitzende Gauland sprach von einem Mordanschlag.
Magnitz wie überhaupt die gesamte Partei wären Opfer eines
quasi-linksterroristischen Klimas, das nicht nur die radikale Linke, die Antifa
oder die Linkspartei, sondern obendrein auch noch SPD und Grüne bewusst schaffen
würden.

Dabei widersprich lt. Medienberichten schon die „Schilderung“ des angeblichen Tathergangs den Ermittlungen der Polizei. Auf einem Video des Überfalls lässt sich weder das Kantholz ausmachen noch das Nachtreten. Die Täter seien vielmehr „sofort nach dem Angriff geflohen“ (Weser Kurier, 9.1.). Die Staatsanwaltschaft ermittelt auch nicht wegen Mordversuchs, sondern wegen gefährlicher Körperverletzung, nachdem sich der von den RechtspopulistInnen suggerierte „Anfangsverdacht“ offenbar als nicht haltbar erwies. Der AfD-Inszenierung tut das keinen Abbruch.

Ein Rechter als Opfer?

Dabei ist Magnitz selbst alles andere als ein Unschuldslamm. Wie sein ganzer rechtspopulistischer Verein betrachtet er Migration, vor allem von MuslimInnen, als „Gefahr“. Mit anderen Worten: Der Mann erweist sich als rassistischer Überzeugungstäter. In der Bremer Bürgerschaft organisierte er unter anderem Veranstaltungen mit dem kulturpolitischen Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion Marc Jongen und dem Politikwissenschaftler Benedikt Kaiser vom neurechten Institut für Sozialpolitik, das u. a. die Zeitschrift Sezession herausgibt.

Magnitz gilt auch als Unterstützer von Bernd Höcke, also des
rechten, völkischen Flügels der AfD, und organisierte gemeinsame Aktionen mit
der „Identitären Bewegung“, die er selbst ganz im Stile seiner Partei als
„witzig, intelligent und harmlos“ verniedlicht.

Magnitz verdient den Hass, die Wut, die Empörung aller
AntifaschistInnen und AntirassistInnen. Der angebliche Biedermann entpuppte
sich schon längst als Brandstifter.

Vollkommen deplatziert sind daher die Verurteilungen des „Anschlags“ durch VertreterInnen der SPD, der Grünen und auch der Linkspartei oder gar „Solidaritätsbekundungen“ mit Magnitz. Von SPD und Grünen mag man auch nicht viel anderes erwartet haben – die Linkspartei will offenkundig wieder einmal beweisen, dass sie längst im verlogenen Einheitsbrei des Parlamentarismus angekommen ist. So twitterte der Vorsitzende der Linksfraktion Bartsch: „Es gibt keine Rechtfertigung für ein solches Verbrechen.“ (https://www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/afd-politiker-magnitz-angegriffen-100.html)

Wir wissen ebenso wenig wie Bartsch mit Bestimmtheit, welche
Motive die Menschen getrieben haben, die Magnitz angriffen. Es scheint aber
durchaus wahrscheinlich, dass die Aktion politisch motiviert war. Eine mögliche
Begründung auszumachen, fällt jedenfalls nicht schwer – die rassistische Hetze des
„Opfers“ und der AfD, ihre Zusammenarbeit und Mobilisierung mit Nazis gegen
Flüchtlinge, MigrantInnen bis hin zur Erzeugung von pogromartigen Stimmungen
wie in Chemnitz.

Ermahnungen wie jene, dass „Gewalt kein Mittel von Politik“
sein dürfe, wirken angesichts der Ermutung zu rassischer und faschistischer
Gewalt, die der Rechtspopulismus mit sich bringt oder zumindest billigend in
Kauf nimmt, lächerlich und zynisch. Gegen die organisierte Gewalt von Rechten,
gegen Angriffe auf Flüchtlinge, MigrantInnen, gegen anti-muslimische und
anti-semitische Attacken, gegen Anschläge auf linke Organisationen und Parteien
(darunter nicht zuletzt auch Büros der Linkspartei) helfen keine lahmen
Beschwörungsformeln, sondern nur organisierte Selbstverteidigung.

Eine solche Politik bedarf zweifellos auch der Begründung,
der Auseinandersetzung und Vermittlung, so dass mehr und mehr Lohnabhängige,
GewerkschafterInnen, Jugendliche diese aktiv tragen, um eine kämpferische
Massenbewegung gegen die Rechten und den Rechtsruck aufzubauen.

In diesem – und nur in diesem Sinne – war der Anschlag
politisch kontraproduktiv. Subjektiv nachvollziehbar war er allemal und
sicherlich nicht „kriminell“. Eine solche bloß individuelle Aktion ermöglicht
es jedoch viel eher, mediale Hetze gegen AntifaschistInnen und AntirassistInnen
zu streuen, den Angriff als einen von „Kriminellen“ darzustellen; es
erleichtert der AfD und Menschen wie Magnitz, sich als Opfer zu inszenieren.
Vor allem aber erscheint so auch vielen Lohnabhängigen, GewerkschafterInnen,
Flüchtlingen und MigrantInnen kämpferischer Antirassismus als Einzelaktion und
nicht als kollektives, organisiertes Vorgehen.

Das eigentliche Problem der Linken, der
ArbeiterInnenbewegung in Deutschland besteht jedoch nicht darin, dass einzelne
GenossInnen die Sache selbst in die Hand nehmen und Magnitz eine Abreibung
verpassen – es besteht vielmehr darin, dass der Kampf gegen rassistische und
faschistische Mobilisierungen, gegen Angriffe und Aufmärsche viel zu
unentschlossen, zu wenig militant und zu wenig organisiert geführt wird. Diesen
Zustand zu überwinden, dazu sollte uns der Fall Magnitz anspornen.