Pakistan: Drei Studenten der BSO freigelassen – sofortige Freiheit für alle anderen Entführten!

Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 1037, 6. Januar 2019

Am 3. Januar konnten Mitglieder der Belutschischen
Studentenorganisation (BSO) und die Familien von Zareef Rind, Changez Baloch
und Aurangzaib Baloch aufatmen, da diese drei Anführer des BSO nach einem Monat
gewaltsamer, krimineller und inoffizieller Entführung durch den Geheimdienst
lebendig entlassen wurden. Im vergangenen Monat gab es eine Welle der
Solidarität, nachdem Zareef, Changez und Aurangzaib nach einem Protest in
Quetta verschollen waren. Dieser Sieg gehört ausschließlich den Linken, den
sozialen und und ArbeiterInnenbewegungen, die sich für diese mutigen
Studentenaktivisten eingesetzt haben. Ein permanenter Protest wurde seit dem 5.
Dezember in Quetta für ihren Genossen Jiand Baloch abgehalten, der eine Woche
zuvor am 30. November zusammen mit seinem zehnjährigen Bruder Husnain und
seinem Vater Abdul Qayyum verschwunden war.

Kein Dank gilt natürlich dem pakistanischen Geheimdienst für
die Freilassung derjenigen, die er einen Monat lang entführt und zumindest
geistig gefoltert hat, nur weil sie sich für ihren vermissten Genossen und die
Tausende von anderen, die seit Anfang der 2000er Jahre verschollen sind, eingesetzt
haben. Auch kein Dank an die von Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI, deutsch:  Pakistanische Bewegung für
Gerechtigkeit) geführte Regierung von Imran Khan. Bei dem von der PTI
versprochenen Erneuerungsprogramm „Naya Pakistan“ geht es eindeutig nicht um die
Verwirklichung demokratischer Rechte. Regierungsministerien haben über die vom
Geheimdienst verübten Verbrechen geschwiegen, wenn sie sie nicht tatsächlich
angeordnet haben. Es gab keine Anzeichen für einen Protest der überwältigenden
Mehrheit der bürgerlichen Gesellschaft durch ihre Gerichte, Medien und
liberalen Intellektuellen. Die Nationalversammlung hielt auch ihr Schweigen,
einschließlich der bürgerlichen ParlamentarierInnen, die ihren Sitz in
Belutschistan haben. Das macht deutlich, dass wir diesen „hohen“ Institutionen
und VertreterInnen der bürgerlichen Gesellschaft weder Vertrauen noch Hoffnung
schenken können. Sie alle sind untrennbar mit der herrschenden Klasse und ihrem
Staat verbunden.

Niemand war überrascht über die Unterstützung von Mitgliedern
der Nationalversammlung, allein aus der Linken wie Mohsin Dawar und Ali Wazir,
die mit der Paschtunen-Tahafuz-Bewegung (PTM, deutsch: Bewegung zum Schutz der
Rechte der PaschtunInnen) verbunden sind, und Manzoor Pashteen, dem das Recht
verweigert wurde, an dem anhaltenden Protest in Quetta teilzunehmen. Sie
antworteten auf den Ruf nach Solidarität, obwohl sie selbst Mitte Dezember vom
Militär bedroht worden waren. Das Militär ergriff Maßnahmen wegen ihres
Aktivismus zur Unterstützung der demokratischen Rechte des paschtunischen
Volkes und des politischen Kristallisationsprozesses, der die Pakistanis im
ganzen Land ermutigte, aktiv zu werden. Schändlicherweise müssen wir auch
feststellen, dass bis auf wenige Ausnahmen viele sozialistische Organisationen
in Pakistan sich nicht gemeldet haben. Ihr Sozialist ist nicht jener, für den
die Liga für die Fünfte Internationale steht. Wir sind für einen Sozialismus,
der anerkennt, dass es die Pflicht eines/r jeden SozialistIn ist, sich für die
am stärksten unterdrückten Menschen in der Gesellschaft einzusetzen.

Heute feiern wir die Freilassung von Zareef, Aurangzaib und
Changez. Aber es sollte nicht vergessen werden, dass am selben Tag, an dem
diese drei lebend entlassen wurden, ein vierter tot geborgen wurde. Es war die
Leiche von Ilahi Bakhsh, die in der Nähe von Hub (Stadt im Lasbela-Distrikt im
belutschischen Teil Pakistans) gefunden wurde. Ilahi wurde vor drei Jahren bei
einem Militärangriff auf seine Heimatstadt entführt und steht für die Tausenden
von entführten Menschen, deren Körper erst lange nachdem ihre Namen aus dem
öffentlichen Bewusstsein verschwunden waren, zurückgegeben wurden. Jiand
Baloch, Abdul Qayum Baloch und Husnain Baloch werden noch vermisst, ebenso wie
viele andere.

Seit dem Amtsantritt der Regierung von Imran Khan im August
ist die Zahl der täglichen Entführungen sogar gestiegen. Heute verschwinden
Menschen, manchmal regelmäßig mehrere am Tag. Viele davon in Belutschistan,
aber die Bevölkerung der Provinzen Sindh, Khyber Pakhtunkhwa und nun sogar Punjab
(Pandschab) wird nicht verschont. Dies ist sicherlich eine sehr beängstigende
Entwicklung, aber wir sollten auch daran denken, dass sie ein Symptom der
Instabilität in der pakistanischen Gesellschaft darstellt. Die pakistanische herrschende
Klasse hat offensichtlich Angst vor dem Chaos und der Krise, die sie verursacht
hat, sowohl auf wirtschaftlicher als auch auf politischer Ebene. Sie hat Angst
vor den sozialen Bewegungen und der daraus möglicherweise resultierenden
politischen Reorganisation der ArbeiterInnen und Unterdrückten. Deshalb
versucht sie, jeden Funken von abweichenden Standpunkten auszumerzen.

Regierung und Staat werden immer autoritärer und versuchen
sogar, konkurrierende politische Strömungen der herrschenden Klasse zu
unterdrücken, wie die anhängigen Korruptionsverfahren gegen FührerInnen der PML-N-
(Pakistanische Muslimliga-Nawaz) oder der PPP (Pakistanische Volkspartei)
zeigen. Wir sollten uns dieser Widersprüche bewusst sein und sie zum Aufbau des
sozialen und politischen Widerstands nutzen, aber solche politischen Kräfte
können niemals unsere Verbündeten sein. Wie könnten sie das auch sein, wenn wir
bedenken, was von ihnen geführte Regierung für das unterdrückte Volk von
Belutschistan bedeuten, dass auch sie jede lokale Regierung aufgelöst haben,
die es gewagt hat, selbst die grundlegendsten bürgerlichen demokratischen Rechte
umzusetzen? Wenn sich Bilawal Bhutto Zardari (PPP) heute als Verteidiger der
Demokratie bezeichnet, tut er das nicht, um die Menschen zu verteidigen, die
tatsächlich von Unterdrückung betroffen sind. Er tut dies, um angesichts der
Korruptionsvorwürfe gegen seinen Vater Asif Ali Zardari Unterstützung in der
Bevölkerung zu erhalten. Die ganze Clique der korrupten bürgerlichen
PolitikerInnen kann für uns keine Verbündete sein. Ihr Interesse ist nicht die
Befreiung, sondern die Konsolidierung ihrer eigenen Macht gegen die konkurrierenden
Fraktionen von GrundbesitzerInnen und Industriellen.

Wir hoffen, dass die Mobilisierungen seit dem Verschwinden
von Jiand Baloch das Band der Solidarität zwischen den GenossInnen des BSO
gestärkt haben. Schwierige Zeiten stellen jede Bewegung unter enorme Belastung,
aber sie können auch die besten Lehrerinnen sein, um die Politik und
Organisation zu entwickeln, die morgen die Befreiung bringen wird. Eine solche
Organisation wird heute mehr denn je benötigt. Die soziale und politische
Bewegung der Unterdrückten muss wiederbelebt werden.

Dank gebührt auch den sozialistischen und linken Parteien,
die die GenossInnen der BSO unterstützt haben. Wir hoffen, zur Stärkung der
internationalen Solidarität zwischen linken Organisationen und den
pakistanischen ArbeiterInnen-, Jugend- und Frauenbewegungen beizutragen.

Jetzt, da sich die wirtschaftliche und politische Krise
verschärft, ist eine revolutionäre sozialistische Partei dringend erforderlich,
die sowohl innerhalb der ArbeiterInnenklasse als auch unter den Menschen der
national unterdrückten Provinzen tiefe Wurzeln schlägt. Das Wiederaufleben
sozialistischer Ideen bei vielen StudentInnen ist in dieser Hinsicht ein hoffnungsvoller
Lichtblick, und wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit den GenossInnen der
Belutschischen Studierendenorganisation und allen anderen, die das in Zukunft
ausbauen wollen. Eine zentrale Aufgabe dabei wird es sein, für die schnelle
Freilassung von Jiand, Abdul, Husnain und allen anderen Vermissten zu kämpfen!