100 Jahre KPD-Gründung: Schwere Geburt

Bruno Tesch, Neue Internationale 234, Dezember 2018/Januar 2019

Im November 1918 brach in Deutschland die Revolution aus. Nicht nur das morsche monarchistische System hatte sich überlebt. Der Kapitalismus selbst stand zur Disposition.

Die traditionelle ArbeiterInnenführung, die SPD, hatte 1914 Klassenverrat
begangen und den imperialistischen Krieg unterstützt. Im Verlauf des Krieges
spaltete sie sich in Mehrheitspartei und Unabhängige SozialistInnen (USPD).

Revolutionäre Krise

Die ArbeiterInnenmassen waren ausgehungert und aufrührerisch. Die
politischen und gesellschaftlichen Strukturen befanden sich in Auflösung. Am
Ende des Ersten Weltkrieges steckte Deutschland in einer revolutionären Krise.

Spontan bildeten sich in vielen Orten Räte aus ArbeiterInnen und
heimkehrenden Frontsoldaten, die den Machtfreiraum – die Bourgeoisie war wie
gelähmt – zunächst ausfüllten. RevolutionärInnen waren in ihnen jedoch klar in
der Minderheit.

Anders als die Bolschewiki, die in Russland vor der Revolution 1917 schon
einen jahrzehntelangen unerbittlichen Fraktionskampf gegen den reformistischen
Menschewismus geführt hatten, setzte sich die deutsche revolutionäre Linke aus
einer Vielzahl von Strömungen und Gruppen zusammen, deren kleinster gemeinsamer
Nenner in der Absetzung von der Sozialdemokratie bestand. Einige von ihnen wie
z. B. der Lichtstrahlen-Kreis aus Berlin entstand außerhalb der
Sozialdemokratie, während die bedeutendste Formation, der Spartakusbund um
Luxemburg und Liebknecht, sich erst 1918 von der zentristischen USPD abgespalten
hatte.

Diese Gruppen standen in mehr oder minder engem Zusammenhang und stimmten auf dem Rätekongress Mitte Dezember 1918, der über das weitere Schicksal der Räteorgane und der politischen Zukunft des Landes befinden sollte, oft gemeinsam ab, vor allem in der Frage der Macht im künftigen Staatswesen. Sie traten für eine Räterepublik ein. Es gelang ihnen jedoch nicht, die Mehrheit der Delegierten dafür zu gewinnen. Hier setzte sich klar die Linie des Gewerkschaftsbundes ADGB durch, der die Macht dem Regierungsprovisorium unter Ebert (SPD) übertragen wollte.

Ebert war der letzte Trumpf, den die Bourgeoisie ausspielen konnte, um ihre
Herrschaft abzusichern, denn sie selbst war damals nicht in der Lage, die
Revolution zu bremsen. Ebert hatte einen klaren Fahrplan für die demokratische
Konterrevolution im Visier. Er orientierte auf die Durchsetzung demokratischer
Rechte, parlamentarische Wahlen und eine neue bürgerlich-demokratische
verfassunggebende Versammlung. Dies vertrug sich natürlich nicht mit der Aufrechterhaltung
der Doppelmachtsituation zwischen Regierung und Räten.

Obleute

Ein entscheidender Faktor für die weitere Weichenstellung waren die
revolutionären Obleute, die während des Krieges FührerInnen von Massenstreiks
waren und eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Räte spielten. Sie waren
größtenteils in der USPD organisiert und hatten in wichtigen Fragen mit der
alten SPD-Politik gebrochen. Doch in der entscheidenden Frage der Errichtung
einer Räterepublik, d. h. der Übernahme der ganzen Staatsmacht und der
Zerschlagung des bürgerlichen Staates, nahmen sie eine zögerliche Haltung ein.

Statt den provisorischen Rat der Volksbeauftragten unter Ebert zu
kontrollieren und ihm klare Weisungen zu erteilen, ließen sich die Angeordneten
der Räte oft vor vollendete Tatsachen stellen. Ebert und seine
HelfershelferInnen nutzten derweil ihre alten Verbindungen mit dem
Herrschaftsapparat in Verwaltung und Militär aus, bauten die angeschlagene alte
Machtmaschinerie wieder auf und ermöglichten und ermunterten schließlich die
Offensive der Konterrevolution und den Terror der reaktionären Freikorps, dem
bald auch Luxemburg und Liebknecht zum Opfer fallen sollten.

Der Rätekongress entmachtete sich durch sein mehrheitliches Votum für den
Kurs auf eine Nationalversammlung praktisch selbst. Damit war die einmalige
Chance vertan, die ArbeiterInnenrevolution in Deutschland in einem Zug zum Sieg
zu führen.

Kinderkrankheiten

Erst nach diesem herben Rückschlag für die Revolution, dem Scheitern der
Rätebewegung, erfolgte zur Jahreswende 1918/1919 die Gründung einer Partei, die
sich die sozialistische Revolution auf die Fahnen geschrieben hatte: der KPD.
Der Schärfe des Klassenkampfes entsprach die, mit der die unterschiedlichen
Strömungen, die an der Parteigründung beteiligt waren, aufeinanderprallten und
an der die junge Partei fast schon gescheitert wäre, noch ehe sie gegründet
war.

Die KPD kam mit einigen Geburtsfehlern zur Welt. Die Notwendigkeit der
Revolution zwang die RevolutionärInnen zum Hissen einer revolutionären Parteifahne,
aber diese war ein Flickenteppich. Der Diskussions- und Klärungsprozess vor der
Parteigründung war oft unzureichend. Vor allem gelang es nicht, die
revolutionären Obleute dabei einzubeziehen und für die KPD zu gewinnen.

Das Parteiprogramm, vor allem aber die politische Praxis ließen
Einheitlichkeit und klare Linie vermissen. Selbst der Spartakusbund war
keineswegs homogen. Dies schlug sich in Form der Parteistrukturen nieder. Die
KPD blieb zunächst eher föderalistisch organisiert, wirklichen demokratischen
Zentralismus gab es nicht.

Die widerstrebenden Interessen brachten es mit sich, dass sich in der
Organisation eher Strömungen durchsetzten, die eine antibolschewistische
Ausrichtung verfolgten und einen nationalen Sonderweg bevorzugten. Auch in der
Frage, ob in den Gewerkschaften oder nur bei den revolutionäre Obleuten
interveniert werden sollte, wurde keine Einigkeit erzielt. Das taktische
Eingehen auf eine Nationalversammlung, wie Rosa Luxemburg es vertrat, lehnte
die Mehrheit ab. Stattdessen ließ sie sich unter Führung von Liebknecht im
Januar 1919 in ein militärisches Abenteuer ziehen, den sog. Spartakus-Aufstand
in Berlin.

Die Konterrevolution ermordete noch vor den Wahlen zudem mit Luxemburg und
Liebknecht sowie im März mit Jogiches die wichtigsten FührerInnen der jungen
KPD. Von diesem Schlag erholte sich die Partei erst allmählich.

Trotz aller Unreife war ihre Gründung ein historisch notwendiger und
bedeutender Schritt, um eine eigenständige politische Entwicklung und
Organisierung von revolutionären MarxistInnen zu ermöglichen. Nur eine solche
eigenständige Partei konnte überhaupt einen politischen und organisatorischen
Attraktionspol für die ArbeiterInnenklasse verkörpern. Trotz vieler Fehler und
Schwankungen der KPD in den Jahren bis 1933 erwies sich, dass sie für die
Vorhut der Klasse, für die kämpferischsten Teile durchaus eine Alternative zu
Reformismus und Zentrismus darstellte.

Möglichkeiten

Nach 1918 gab es mehrere revolutionäre Situationen, zunächst der
Kapp-Putsch 1920, der darauf folgende Generalstreik und die Kämpfe der Roten
Ruhrarmee. Auch der von der jungen Sowjetunion gewonnene Bürgerkrieg und die
Festigung der Sowjetmacht hatten international große Anziehungskraft auf die
ArbeiterInnenmassen. In vielen Ländern entstanden danach revolutionäre
Parteien.

Der Durchbruch der KPD zur ArbeiterInnenmassenpartei erfolgte aber erst,
als die zentristische USPD zerfiel und sich Ende 1920 immerhin 300.000
USPDlerInnen mit der KPD vereinigten (VKPD). Die KPD verfügte bis dahin
höchstens über ein Fünftel dieser Mitgliedschaft – auch als Folge zahlreicher
innerparteilicher Konflikte, Ausschlüsse und Austritte.

Der politische, aber auch zahlenmäßige Niedergang begann nach den
politischen Fehlern von 1923, als die KPD (und die Komintern) die tiefe
revolutionäre Krise im Sommer viel zu spät erkannt hatten und dann einen
inkonsequenten Kurs auf den Aufstand verfolgten.

Die blutige Festigung der bürgerlichen Herrschaft nach 1923 in Deutschland
– Sturz der „ArbeiterInnenregierungen“ in Sachsen und Thüringen durch die
Armee, Niederschlagung des Hamburger Aufstandes – sowie der Aufstieg Stalins,
die Machtübernahme durch die Bürokratie und die Beseitigung der
innerparteilichen ArbeiterInnendemokratie in der Sowjetunion waren dabei
weitere wesentliche Faktoren. Selbst 1932 zählte die KPD immer noch nicht mehr
als 320.000 Mitglieder!

Doch noch viel stärker wirkte sich aus, dass sie unter Thälmann endgültig
eine stalinistische Organisation geworden war: zunächst zentristisch, ab 1935 –
mit der Annahme der Volksfrontstrategie – sogar reformistisch.

Sie war aufgrund ihrer von Moskau aufgezwungenen Doktrin außerstande, eine
ArbeiterInneneinheitsfront gegen den Faschismus zu schaffen und unterlag ihm
schließlich – kampflos. Bei aller Kritik dürfen wir allerdings nicht den
revolutionären Opfermut, den Willen und die Tatkraft der KPD-GenossInnen
vergessen – aus ihren, oft bitteren, Erfahrungen müssen wir lernen!

Lehren

Momentan gibt es in Deutschland keine revolutionäre Situation. Aber der
Kapitalismus ist weltweit in einer tiefen strukturellen Krise. Deshalb werden
die Klassenkämpfe zunehmen.

Die Geschichte zeigt, dass sich gerade in zugespitzten Situationen die
Sozialdemokratie als völlig unbrauchbar erwiesen hat – nicht nur für die
Überwindung des Kapitalismus, sondern auch bei der Verteidigung grundlegender
Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse. Doch auch der linke Reformismus oder
der Zentrismus stellten keine Alternative zur SPD dar, wie das Schicksal der
USPD und gegenwärtig die Linkspartei zeigen.

Die KPD war insofern ein notwendiges, ein logisches Resultat des Versagens
von SPD und USPD. Doch zugleich zeigte sich, dass die KPD im Unterschied zu den
Bolschewiki in Russland angesichts großer historischer Chancen und deutlich
besserer objektiver Bedingungen zum Aufbau des Sozialismus nicht in der Lage
war, die Führung der Klasse im Kampf zu erringen und den Kapitalismus zu
stürzen.

Was waren die entscheidenden Unterschiede zwischen der Entstehung der KPD
und jener der Bolschewiki?

Die MarxistInnen um Lenin führten schon frühzeitig einen kompromisslosen
politischen Kampf innerhalb der russischen Sozialdemokratie um Fragen der
Perspektive der Revolution und des Parteiaufbaus. Was damals viele, darunter
auch Trotzki, als überspitzte, sektiererische Manöver ansahen, erwies sich 1917
als entscheidend. Lenins bolschewistische Partei erwarb in diesen fraktionellen
Kämpfen gerade jene Eigenschaften, die den Bolschewiki in der Revolution den
Erfolg brachten: eine Beharrlichkeit in programmatischen Grundfragen, die
zugleich mit der Flexibilität verbunden war, die eigene Politik an der Praxis
zu messen und, wenn nötig, zu verändern, und einen geschulten, gestählten
Kaderkern, der im Feuer der Revolution standhielt.

Anders als Lenin versäumte es Rosa Luxemburg aber viel zu lange, ihren
politischen Kampf gegen den aufkommenden Reformismus in der SPD – den sie viel
eher und klarer sah als Lenin – mit entsprechenden organisatorischen Schritten
zu verbinden. Indem sie einen Fraktionskampf ablehnte, erschwerte sie nicht nur
die politische und organisatorische Polarisierung in der SPD, sie verzögerte
damit auch entscheidend die politisch-programmatische Klärung innerhalb der
revolutionären Kräfte. Als die Revolution dann auf der Tagesordnung stand, gab
es keine dieser Aufgabe gewachsene kommunistische Partei.

Luxemburgs Fehler und Schwächen – so tragisch sie vielfach waren – tun dem
revolutionären Charakter ihrer Politik aber keinen Abbruch. Sie gehört ganz
ohne Zweifel zu den wichtigsten kommunistischen TheorikerInnen und
PolitikerInnen.

Die Geburtsschwächen der KPD müssen uns jedoch heute eine politische Lehre
sein. Der Kampf für eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei und die Entwicklung
einer kommunistischen Programmatik dürfen nicht leichtfertig auf die Zukunft
verschoben werden. Er muss hier und jetzt geführt werden.