Tausende gegen den mutmaßlichen Vergewaltiger: Stoppt Kavanaugh!

Mo Sedlak, Infomail 1024, 9. Oktober 2018

Die USA unter Trump kommen nicht zur Ruhe. Nachdem der Präsident einen rechtskonservativen, frauen- und arbeiterInnenfeindlichen Kandidaten für den Obersten Gerichtshof vorgeschlagen hatte, haben ihn mehrere Frauen der sexuellen Belästigung und versuchten Vergewaltigung beschuldigt. Der Senat hat Brett Michael Kavanaugh mittlerweile mit 50 gegen 48 Stimmen bestätigt und vereidigt. Die ganze Woche vor seiner Wahl fanden Massendemonstrationen unter der Führung von feministischen und linken Gruppen statt, die sich in eine große Anzahl von Bewegungen gegen die Politik dieser Präsidentschaft einreihen.

Schwere Anschuldigungen und offene Ignoranz

Nachdem Kavanaugh als Vorschlag des Präsidenten für den Obersten Gerichtshof bekannt geworden war, wandte sich eine Schulkollegin des Richters, Christine Blasey Ford, an die Öffentlichkeit. Sie schilderte, dass Kavanaugh und ein anderer Freund sie auf einer Party betrunken in ein Zimmer gezerrt, ihr den Mund zugehalten und sie entkleidet hätten. Der Freund hätte geholfen, sie zu fixieren. Bevor die versuchte Vergewaltigung durchgeführt wurde, konnte sie sich jedoch befreien und fliehen. Ford sagte der Tageszeitung Washington Post, dass sie Angst hatte, er würde sie ersticken.

Eine andere Mitschülerin aus der Oberstufe, Julie Swetnick, unterzeichnete eine eidesstattliche Erklärung, in der sie beschrieb, wie Kavanaugh und seine Freunde Mädchen und Frauen Alkohol bzw. Drogen in die Getränke gemischt hätten, um dann bewusstlose Frauen nacheinander zu vergewaltigen. Sie beschrieb, dass sie Kavanaugh in der Schlange vor einem der Zimmer gesehen hätte, wo er darauf wartete, an die Reihe zu kommen.

Wenige Tage später sagte eine Studienkollegin von Kavanaugh, Deborah Ramirez, in einem Interview, dass ihr der damalige Jurastudent an der Elite-Uni Yale (New Haven, Connecticut) gegen ihren Willen seinen Penis ins Gesicht gehalten hätte.

Nachdem Ford von RepublikanerInnen der Lüge bezeichnet worden war, unterzeichneten hunderte ehemalige MitschülerInnen einen Brief, in dem sie bestätigten, den Anschuldigungen zu glauben. Auch 1200 Yale-AbsolventInnen unterzeichneten einen Brief und bestätigten, dass sie Ramirez glauben würden. Währenddessen bekräftigen SenatorInnen, vor allem RepublikanerInnen, aber auch von der Demokratischen Partei, dass sie den Betroffenen zwar Glauben schenken würden, aber gleichzeitig nicht denken, dass Kavanaugh ein Täter wäre.

Der Senat schützt Täter

Bei den Massendemonstrationen gegen die Angelobung wurde deshalb oft die Aufforderung vorgebracht, gerufen und auf Poster geschrieben, den Betroffenen zu glauben: „Believe the survivors!“ Die widerlichen Versuche des amerikanischen Establishments, die Betroffenen sexueller Gewalt der Lüge oder des Irrtums zu bezichtigen, wurden hier frontal angegriffen.

Dazu kommt, dass es hier nicht einmal um einen Fall von „Im Zweifel für den Angeklagten“ geht, sondern dass sich der Senat weigerte, eine strafrechtliche Untersuchung abzuwarten, bevor Kavanaugh bestätigt wurde. Die Berufung in den Obersten Gerichthof ist lebenslang und kann nur in einem sehr komplizierten Prozess rückgängig gemacht werden.

Oft wird nun der Vorwurf laut, die RepublikanerInnen hätten in ihrem Machtrausch unter der wiedereroberten Präsidentschaft den Tabubruch gesucht. Es hätte auch andere, ähnlich reaktionäre KandidatInnen für den Obersten Gerichtshof gegeben – aber es sei darum gegangen, ein Zeichen zu setzen, eine neue Ära des Frauenhasses auszurufen.

Nicht das erste Mal

Zweifellos ging und geht es Trump, den RechtspopulistInnen und Ultra-Konservativen auch um einen Frontalangriff auf die Frauenbewegung, einen sexistischen Backlash. Aber der Fall Kavanaugh ist leider nicht einzigartig. Einem anderen Richter des Obersten Gerichtshofes, Clarence Thomas, wurde vor seiner Berufung 1990 von einer ehemaligen Mitarbeiterin in einer Bundesbehörde, Anita Faye Hill, sexuelle Belästigung vorgeworfen. Auch ihre Anschuldigungen wurden nicht untersucht, bevor Thomas – vorgeschlagen vom republikanischen Präsidenten George H. W. Bush – bestätigt wurde. Dafür haben sich demokratische SenatorInnen mehr als zehn Jahre später offiziell entschuldigt. Thomas sitzt aber immer noch auf seinem Posten und zählt zum rechten Flügel des Obersten Gerichtshofs.

Es geht hier also nicht um einen erstmaligen Tabubruch, sondern um ein demonstratives Aufrechterhalten des Status quo. Der Oberste Gerichtshof, eine der wichtigsten und einflussreichsten Institutionen des amerikanischen politischen Systems, wird von einer kleinen Clique bestimmt: Der Präsident und seine BeraterInnen schlagen nachrückende RichterInnen vor, die auf Grundlage eines extrem verzerrten Wahlschlüssels gewählten SenatorInnen (zwei pro Bundesstaat) bestätigen das oder bitten um eine Neunominierung. Die Berufung gilt bis zum Rücktritt oder Tod, und die amerikanischen WählerInnen (von Millionen nicht wahlberechtigter MigrantInnen, Schwarzen und ehemaligen Häftlingen ganz zu schweigen) haben im Grunde nichts mitzureden.

Undemokratischer und wirkmächtiger Oberster Gerichtshof

Noch weitaus mehr als in den meisten bürgerlichen Demokratien macht der Oberste Gerichtshof sehr aktiv Politik. Er ist im Prinzip für die Überprüfung der bundesstaatlichen und bundesweiten Gesetze auf Übereinstimmung mit der 1789 geschriebenen Verfassung und den verschiedenen Zusatzartikeln zuständig. Das ist viel mehr als Formalismus: Es gibt eine andauernde Debatte um die Interpretation der Verfassung, die – je nach Mehrheitverhältnissen im Gremium – zu so unterschiedlichen Entscheidungen wie dem prinzipiellen Recht auf Abtreibung („Roe v. Wade“) und dem von Bundesstaaten, dieses einzuschränken („Planned Parenthood v. Casey“), führt. Die politischen Überzeugungen der RichterInnen sind von enormer Bedeutung in diesem ungewählten und unabwählbaren Gremium.

Kavanaugh ist zweifellos ein Kandidat der besonders reaktionären Rechten. Er hat angekündigt, einer weiteren Einschränkung des Rechts auf Abtreibung wohlwollend gegenüberzustehen. Als Bundesrichter hat er mehrmals ArbeiterInnen das Recht abgesprochen, das Bundesarbeitsgericht National Labor Relations Board (NLRB) anzurufen, und einem Unternehmer recht gegeben, der gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen verboten hatte, das Gewerkschaftslogo auf ihren Autos zu zeigen. Er hat außerdem mehrmals dafür argumentiert und abgestimmt, die Umweltschutzbehörden in ihren Aktivitäten einzuschränken, ihnen die Durchsetzung der Gesetze zu verbieten und Gerichte zu hindern, Gutachten dieser Behörden einzuholen. Er vertritt ein klar reaktionäres Programm für eine ebenso klar reaktionäre Institution.

Daher geht auch die Behauptung, dass Trump und Co. ihre Macht „missbrauchen“ würden, wenn sie ihren Kandidaten durchdrücken, am Wesen der Sache vorbei. Der Oberste Gerichtshof ist nicht dazu da, die demokratischen Rechte der Bevölkerung zu sichern, sondern die Interessen der herrschenden Klasse. Das gesamte, etablierte politische System der USA stellt im Grunde sicher, dass nur die beiden Hauptparteien des Kapitals den Präsidenten sowie die überwältigende Mehrheit der SenatorInnen stellen – und damit natürlich auch die Spitzen der Gerichtsbarkeit. Diese Institution stellt also ein wichtiges bonapartistisches Element der US-Verfassung dar, eine zusätzliche Versicherung gegen den Einfluss der Bevölkerung.

Damit will selbstverständlich auch die oppositionelle demokratische Partei nicht brechen. Sie setzt auf „Revanche“ bei den Wahlen zu Kongress und Senat und versucht so, die Empörung von Millionen in politisches Kleingeld für eine berechenbarere imperialistische Politik und Partei umzumünzen.

Stoppt Kavanaugh, Nein zum Obersten Gerichtshof!

Richtigerweise führen linke Gruppen wie die Democratic Socialists of America, die International Socialist Organization oder Left Voice den Kampf nicht nur gegen seine Berufung, sondern auch gegen den Obersten Gerichtshof an sich und für dessen Abschaffung. Das ist gut und richtig. Gegen alle Entscheidungen dieser Institution sollten Kampagnen und Aktionen organisiert werden, um deren Umsetzung zu verhindern.

Neben linken und feministischen Organisationen ist es gelungen, gewerkschaftliche Basiseinheiten („Bargaining Units“) und auch FunktionärInnen zu einer Unterstützung der oft verbotenen Demonstrationen zu motivieren. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, die betriebliche Basis in den Kampf zu integrieren und Druck auf die Führung auszuüben, mit dem opportunistischen Kurs gegenüber den DemokratInnen zu brechen.

Ein wichtiger nächster Schritt besteht darin, die verschiedenen Aspekte des Widerstandes gegen Trump – die AntirassistInnen, AntifaschistInnen, FeministInnen, LGBTIA-, Umwelt- und First-Nation-AktivistInnen – enger zusammenzuschweißen. Dafür ist es auch notwendig, ein Programm des Widerstands aufzustellen, das über die Bekämpfung der einzelnen Widerlichkeiten hinausgeht und auf einen Sturz der Regierung und des Kapitalismus hinausläuft.

Unter den stetigen Angriffen der Bürgerlichen und ReaktionärInnen radikalisieren sich auch ArbeiterInnen und Unterdrückte weiter. Es ist daher jetzt möglich und notwendig, für den Aufbau einer Partei der ArbeiterInnen und ein revolutionäres Programm zu kämpfen.