MieterInnenbündnis wehrt sich: Gegen das Berliner Mietenmonopoly!

Jürgen Roth, Neue Internationale 231, September 2018

Die erste Stufe in Richtung des geplanten Volksbegehrens mit dem Ziel, der Berliner Senat möge ein Gesetz zur Enteignung der Deutsche Wohnen AG beschließen, ist eingeleitet.

Volksentscheid

Im Jahr 2015 scheiterte die „Initiative für soziales Wohnen“ mit einem Berliner Mietenvolksentscheid über einen von ihr ausgearbeiteten Entwurf eines Wohnraumversorgungsgesetzes. Dieses hätte zeitgleich mit den Landtagswahlen im September 2016 zur Abstimmung stehen sollen, wurde jedoch juristisch gekippt. Der neue rot-rot-grüne Senat sah sich jedoch gezwungen, ein paar Brosamen aus dem gescheiterten Gesetzentwurf aufzunehmen.

Das Wohnraumversorgungsgesetz Berlin sah vor: eine Umwandlung der Landeswohnungsunternehmen von bestehenden privaten Rechtsformen (AG, GmbH) in Anstalten öffentlichen Rechts (AöR); Senkung der Mieten in den öffentlich geförderten Wohnungsbeständen mittels Richtsatzmieten; Förderung von Wohnungsneubau, -modernisierung und -ankauf durch einen staatlichen Fonds zur Zweckbindung und Kontinuität im sozialen Wohnungsbau (Finanzierung der landeseigenen Gesellschaften, Mietkappungen in geförderten Wohnungen).

An der realen Verschärfung und Verschlechterung der Lage in Berlin haben einige halbherzige Initiativen des Senats nichts zu verändern vermocht. Im Gegenteil. Die Mietpreise steigen in der Bundeshauptstadt im Rekordtempo. Die „Deutsche Wohnen“, größte private Wohnungseigentümerin in Berlin, verfügt über rund 110.000 Mietwohnungen und erzielte mit den üblichen üblen Geschäftspraktiken, die allesamt auf eine schnelle Rendite aus sind, allein 2017 einen Gewinn von 1,7 Milliarden Euro. Die „sozialen Maßnahmen“ der Landesregierung bleiben demgegenüber Makulatur. Sie verspricht zwar sozialen Wohnungsbau und „Beschränkung“ der Profitmacherei, mit der Wohnungsbaulobby will sie sich aber auch nicht anlegen. Ja, die Geschichte der rot-rot-grünen Landesregierung ist auch eine Geschichte des ständigen Rückzugs und fauler Kompromisse.

Deutsche Wohnen enteignen!

Das Berliner Mieterbündnis hat sich daher die Forderung nach der Enteignung von Deutsche Wohnen und der anderen großen privaten Wohnungsbaukapitale auf die Fahnen geschrieben. Im Unterschied zu 2015 soll kein eigener Gesetzentwurf zur Abstimmung gestellt werden, sondern der Senat wird aufgefordert, die bundes- wie landesverfassungsrechtlichen Mittel dazu auszuschöpfen. Laut Grundgesetz und Landesverfassung ist eine entschädigungslose Enteignung aber ausgeschlossen. Diese soll jedoch möglichst gering ausfallen. Das Bündnis sah sich aber gezwungen, in diesen sauren Apfel beißen zu müssen, um die Möglichkeiten eines Volksentscheides überhaupt zur Mobilisierung nutzen zu können. Dieser wird mittlerweile von den Mietervereinigungen, linken Gruppierungen und einer Reihe von MieterInneninitiativen z. B. von solchen der „Deutsche Wohnen“ unterstützt.

Bei allen grundsätzlichen Grenzen und Schwächen von Volksentscheiden, trägt die Initiative das Potential, eine Massenbewegung zu einem der entscheidenden politischen Themen in Berlin und zahlreichen anderen Städten zu entfachen, die außerdem die Wohnungsfrage mit der Eigentumsfrage direkt verknüpft.

Wir unterstützen daher die Initiative und werden uns nach Kräften an ihr beteiligen. Wir fordern auch alle anderen linken Gruppierungen und alle Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, insbesondere die Gewerkschaften, dazu auf, das Mieterbündnis zu unterstützen.

Grundsätzlich stehen wir der Methode des Volksentscheids, auch mit unterstützenswerten Forderungen, kritisch gegenüber und warnen vor Illusionen in den Staat. Selbst bei einer Mehrheit für den Volksentscheid ist dessen Umsetzung nicht gesichert. So sind schon die einzelnen Abgeordneten im Zweifelsfall ihrem „Gewissen“ und nicht der demokratischen Entscheidung verantwortlich. Selbst bei Übernahme seiner Forderungen durch ein Parlament stehen immer noch Exekutive und Judikative vor deren Um- bzw. Durchsetzung.

Im Verlauf einer Kampagne müssen wir also den Schwerpunkt auf ihren Ausbau zu einer organisierten Massenbewegung setzen, die sich dadurch die Mittel zur Kontrolle der Durchsetzung der Volksentscheidsforderungen im Falle seiner Annahme verschafft und im Falle seiner Ablehnung zu drastischeren Methoden des Klassenkampfs übergehen kann. Der Volksentscheid kann daher nur der Hebel sein, den Widerstand zu organisieren.

Entschädigung?

Grundsätzlich treten wir für eine entschädigungslose Enteignung ein. Zudem verknüpfen wir diese Forderung mit der nach Kontrolle des enteigneten Unternehmens durch die Organisationen der ArbeiterInnenbewegung und der MieterInnen – ArbeiterInnenkontrolle also, die aber auch die NutzerInnen der Wohnungen einschließen muss.

Ferner würden wir von Anfang an die entschädigungslose Enteignung eines einzelnen Unternehmens unter ArbeiterInnenkontrolle nur als Übergang zur Kontrolle der ganzen Branche, ja der ganzen Wirtschaft propagieren. Eine sozialistische Insel im kapitalistischen Ozean kann auf Dauer nur zu einem Laden wie jeder andere degenerieren, wenn das Wertgesetz nicht durch gesamtgesellschaftliche Bedürfnisplanung und Arbeitszeitaufwandsrechnung zurückgedrängt und schließlich ganz ersetzt wird.

Darüber hinaus gehört unserer Meinung nach zu einer solchen Kampagne, dass sie die Organisationen der Arbeiterinnenbewegung – Gewerkschaften, Parteien, aber auch den sozialdemokratisch dominierten Deutschen Mieterbund – auffordert, ihre Forderungen zu unterstützen und dazu Mittel des Klassenkampfs einzusetzen wie Streiks (der Beschäftigten bei Deutsche Wohnen), Besetzungen (z. B. bei Verdrängungen), Offenlegung der Bücher und Kontrolle des operativen Geschäfts (Reparaturen, Beschwerdeannahme, Zahlungsverkehr, Mahnwesen, Mietklagen) des Wohnungsunternehmens. Natürlich gehört zu einer solchen Kampagne auch, andere MieterInnen in die Kampagne einzubeziehen , z. B. diejenigen, an die sich der letzte Berliner Mietenvolksentscheid mit seinem Wohnraumversorgungsgesetzentwurf richtete, der ja durchaus unterstützenswerte, wenn auch geringfügige Verbesserungsvorschläge enthielt.

Aber es wäre vollständig sektiererisch, diese Kritikpunkte zum Vorwand zu nehmen, der Volksentscheidskampagne den Rücken zu kehren. Eine solche Kritik liefe darauf hinaus, einer realen, gegen die Wohnungsbaukapitale und den Berliner Senat gerichteten Kampagne nicht existente, bloß gedachte „höhere“ Kampfformen gegenüberzustellen.

Die politische Brisanz eines solchen Volksbegehrens darf vielmehr nicht unterschätzt werden. Schließlich handelt es sich bei der Wohnungsfinanzindustrie wie Deutsche Wohnen, Vonovia & Co. um OperateurInnen gewaltigsten Kalibers, die genau nach den Grundprämissen und strategischen Zielen handeln wie die weltweit führenden Akteure des monopolistischen Finanzkapitals, die immer schneller (fiktive) Kapitalsummen durch ganze Volkswirtschaften schleusen, auf der Jagd nach dem aktuell höchsten Extraprofit. Die Deutsche Wohnen AG steht quasi als Symbol für die Nervenzentren und Schaltzentralen des modernen Kapitalismus. Ein Angriff auf sie wird erbitterte Reaktionen der gesamten Kapitalistenklasse und ihrer politischen VertreterInnen heraufbeschwören. Umso erbitterter und entschlossener muss unser Kampf sein!

 

Grundrisse eines Programms in der Wohnungsfrage

Schon Friedrich Engels stellte in seiner Kritik an den bürgerlichen und proudhonistischen „Lösungen“ der Wohnungsfrage die ersten marxistischen Forderungen auf (Zur Wohnungsfrage, MEW 18; Vorwort zur 2., durchgesehenen Auflage, MEW 21): Ablehnung der Rückkehr zum eigenen privaten Wohnungsbesitz, Staatseingriffe (z. B. Beschlagnahme leerstehenden Wohnraums). Außerdem legte er dar, dass es sich beim Verhältnis zwischen VermieterIn und MieterIn nicht um ein Klassenausbeutungsverhältnis handelt.

Bürgerliche Wohnungs- und Bodenreformpolitik richtet sich lediglich gegen „spekulative Auswüchse“, nicht gegen das auch der Wohnungsfrage zugrunde liegende Kapitalverhältnis, nicht einmal gegen das private Grundeigentum oder die aus sekundärer Ausbeutung resultierende Monopolrente. Maßnahmen des sozialen Wohnungsbaus in der BRD beschränkten sich auf staatliche Subventionierung der Differenz zwischen Kostenmiete, die die „Kapitalverzinsung“ deckt, und der Sozialmiete für den/die MieterIn einer Sozialwohnung. Der zunehmende Abstand zwischen beiden ist eine der Ursachen für immer wenigere und immer teurere neu erstellte Sozialwohnungen. Zudem ist die Vollsubvention zugunsten befristeter abgeschafft worden (auslaufende Sozialbindung).

Die aufstrebende, noch revolutionäre Bourgeoisie forderte die Verstaatlichung des Grund und Bodens. Damit sollte dem ehemals feudalen Grundbesitz die Existenzquelle entzogen und die Grundrente in die Taschen des ideellen Gesamtkapitalisten gelenkt werden. Heute hat sie dies längst aufgegeben. Ein Angriff auf arbeitslose Einkommen des Grundbesitzes ist in der Ära des Monopolkapitals mit dessen parasitären Zügen für die gesamte Klasse viel zu gefährlich. Das moderne Wohnungsbaukapital stellt auch keine Kapitalfraktion im eigentlichen Sinn dar. Die Grundeigentumsaneignung erfolgt durch Industrie-, Bank- und Wohnungsbaukapital. Zudem sind die letzten beiden enger als in anderen Kapitalanlagesphären miteinander verbunden.

Darum müssen Übergangslosungen entwickelt werden, die den Kern des heutigen Wohnungsmarkts angreifen. Dabei können wir uns nicht mit der Requirierung vorhandenen Wohnraums begnügen, sondern schlagen auch ein Programm öffentlicher, nützlicher Wohnungsbau- und Sanierungsmaßnahmen zu Tariflöhnen und bezahlt aus Unternehmerprofiten vor. Der Staat soll selber sozialen Wohnungsbau betreiben, nicht das private Wohnungskapital subventionieren.

Ansätze dazu gab es im „Roten Wien“ der Zwischenkriegszeit. Das bedeutet nicht nur Kommunalisierung des Grund und Bodens, sondern Baubetrieb in Staatshand zwecks Neubau wie Altbausanierung, bezahlt aus dem beschlagnahmten Vermögen des entschädigungslos enteigneten Wohnungs- und Baukapitals bzw. einer progressiven Steuer auf alle Unternehmensprofite.

Erst auf dieser Grundlage kann eine echte Selbstverwaltung bzw. Mitsprache der MieterInnen stattfinden, begleitet von ArbeiterInnenkontrolle über das Wohnungsbauwesen. Dies schließt die Planung über eine gleichmäßige Verteilung der Industrie, des Handels, des Bankwesens, der Infrastruktur und des Transports ein, aber auch der Besiedlung. Es handelt sich hier um nichts weniger als gesamtgesellschaftliche Bedürfnisplanung und Arbeitszeitkalkulation von Arbeits-, Freizeit- und Wohnmöglichkeiten im großen, kollektiven Maßstab. Es geht dabei auch um ökologische Aspekte, denn – worauf Friedrich Engels bereits hinwies – die Aufhebung des Unterschieds zwischen Stadt und Land mit all seinen negativen Auswirkungen auf Mensch und übrige Natur ist erst unter diesen Bedingungen der Abschaffung des Kapitalverhältnisses möglich!