Nazis marschieren durch Berlin – eine ernste Warnung

Georg Ismael, Infomail 2015, 19. August 2018

Zum Samstag hatten FaschistInnen zum Gedenken an den Nationalsozialisten und Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß einen Aufmarsch in Berlin angekündigt. Heß hatte sich am 17. August 1987 im Alter von 93 Jahren im Kriegsverbrechergefängnis in Spandau das Leben genommen. Seitdem hatten die Nazis immer wieder versucht, Aufmärsche in Berlin und Spandau zu organisieren, um den Verbrecher und Mörder Rudolf Heß zu ehren, der während der Nürnberger Prozesse aussagte, er bereue nichts.

Schon im vergangenen Jahr hatten die Nazis versucht, ihre menschenverachtende Propaganda auf die Straße zu tragen. Durch erfolgreiche Blockaden in Spandau war es gelungen, den Marsch nach wenigen hundert Metern aufzuhalten. In diesem Jahr konnten sie auch nicht durch Spandau laufen, da ihre favourisierte Route nicht genehmigt worden war. Stattdessen sind sie ins Zentrum Berlins ausgewichen, wo sie nicht nur die ganze Strecke laufen, sondern auch eine Abschlusskundgebung durchführen konnten. Es gelang 700 Nazis, ihren Aufmarsch vom Platz der Vereinten Nationen in Friedrichshain bis nach Lichtenberg durchzuführen.

Bilanz

In den Wochen zuvor hatte es durchaus eine größere Mobilisierung in Berlin, insbesondere in Spandau gegen den Heß-Marsch gegeben. Hier hatte insbesondere die North East Antifa eine positive Rolle gespielt. Aber auch die Linkspartei und die SPD hatten zum Gegenprotest aufgerufen. Dementsprechend kamen rund 4.000 AntifaschistInnen, unter ihnen viele GewerkschafterInnen und insbesondere etliche Jugendliche am Morgen in Spandau zusammen, um eine Demonstration in Richtung des Standortes des ehemaligen Gefängnisses, in dem Heß einsaß, durchzuführen. Auch REVOLUTION und die Gruppe ArbeiterInnenmacht beteiligten sich hier mit einem Kontingent an der Spitze der Demonstration. Doch auffällig war das Fernbleiben großer Teile der „radikalen Linken“ bis hin zur DKP, die kaum oder gar nicht sichtbar und anwesend waren.

Als bekannt wurde, dass die Nazis tatsächlich nicht in Spandau laufen würden, sondern auf ihrer bereits vorher bekanntgewordenen Alternativroute vom Platz der Vereinten Nationen aus starten würden, gelang es REVOLUTION, rund 1.000 TeilnehmerInnen, insbesondere Jugendliche, hinter sich zu versammeln mit dem Ziel, geschlossen über den Bahnhof Spandau in die Innenstadt zu gelangen. Doch beim Anblick der ersten Polizeikette verließ viele bereits der Mut. Sie drehten ab und verstreuten sich in kleine Gruppen, die auf sich allein gestellt in die Innenstadt fuhren. Der Verlust dieser gemeinsamen Kraft sollte entscheidend für den Rest des Tages sein. An keiner Stelle gelang es, in der weitläufigen Innenstadt eine Anzahl von AntifaschistInnen zu versammeln, die stark genug gewesen wäre, eine Blockade über längere Zeit erfolgreich durchzuführen, geschweige denn es im Falle einer direkten Auseinandersetzung mit den FaschistInnen aufzunehmen.

Immerhin gelang es REVOLUTION, mit rund 200 Jugendlichen in kurzer Zeit nach Abreise der Nazis in Spandau ebenfalls mit dem Zug zum Alexanderplatz zu fahren. Hier machte sich zum ersten Mal die Schwäche kleiner Ansammlungen angesichts des Aufgebots an Polizei, die rund 2.300 BeamtInnen abgestellt hatte, bemerkbar. Knapp 200 PolizistInnen zwangen die AntifaschistInnen, in einem doppelten Spalier zum Platz der Vereinten Nationen zu laufen – hinter die Route der Nazis. Bei einem Versuch, von dem Kundgebungsort auf die Route der Nazis zu gelangen, verhielt sich jedoch ein großer Teil der Anwesenden passiv.

Immer wieder gelang es kleineren Gruppen, in Friedrichshain und in Lichtenberg die Route zeitweise zu blockieren. Die Polizei löste diese Blockaden jedoch zum Teil mit äußerster Brutalität auf. Diese zahlenmäßige Unterlegenheit konnten auch besonders couragierte AnwohnerInnen nicht ausgleichen, indem sie Gegenstände auf die Fahrbahn trugen, um diese so zu blockieren. In Lichtenberg kam es zu zwei größeren Blockaden auf der Möllendorffstraße von jeweils rund 300 bis 500 Personen, die die Polizei jedoch durch eine Umleitung der Strecke umging. Die letzte Blockade an der Frankfurter Allee/Ecke Ruschestraße zerschlug die Polizei mit Einsatz von Schlagstöcken und der zahlenmäßigen Überlegenheit ihrer Kräfte. Jene, die mit Fahrrad gekommen waren, konnten noch entkommen, andere erwischten die Schlagstöcke.

An dem Tag haben wir uns als Organisation gut geschlagen. Es gelang uns immer wieder, entschlossene AntifaschistInnen hinter uns zu versammeln. Etliche schlossen sich über den ganzen Tag unseren Strukturen an, da wir, wie uns oft gesagt wurde, „sehr gut organisiert auftreten“ würden. Doch es wurde offen sichtbar, dass ein Teil der „radikalen Linken“ nicht mehr bereit ist, tatsächlich mit allen Mitteln die Nazis am Laufen zu hindern, wie beispielsweise die IL mit ihrem Fahrradkorso anschaulich zeigte. Andere waren gar nicht erst erschienen. Die antifaschistische Linke und insbesondere das autonome Milieu müssen sich fragen, was aus ihrer Strukturen in den vergangenen Jahren geworden ist. Oder haben sie stillschweigend darauf spekuliert, dass die Nazis ohnedies nicht in Mitte laufen würden?

Was tun?

Der Aufmarsch der Nazis konnte in erster Linie deshalb stattfinden, weil zu wenig Menschen auf die Straße gegangen waren. Viele Jugendliche auf den Aktionen waren durchaus bereit, sich den Rechten in den Weg zu stellen. Sie konnten vor allem deswegen laufen, weil es wenig organisierte Strukturen gab, die eine Taktik verfolgten, die für militanten Widerstand bereit ist, und dies gleichzeitig mit der Anleitung vieler verbindet. Dies ist umso wichtiger, da sich das Selbstvertrauen der Masse nicht durch das passive Betrachten militanter Einzelaktionen steigert, sondern durch die eigene Erfahrung in größeren Auseinandersetzungen, in denen es kein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei gibt, sondern ein gemeinsames Vorgehen gegen die Nazis.

Parteien wie die LINKE oder die SPD sind zu diesem Vorgehen nicht bereit. Sie haben sich auch im Vorhinein viel zu sehr auf ein Verbot des Aufmarsches konzentriert. Als ob es Nazis, die in ihren Kellern Waffen horten, Flüchtlingsheime in Brand setzen und Linke auf der Straße jagen würden, im Zweifelsfall wichtig wäre, ob ihre Aufmärsche legal sind oder nicht. Dies umso mehr, da sie in steigendem Maß Sympathie durch die Polizei erfahren, die von Spandau aus Nazis gar in ihren Wannen nach Friedrichshain eskortierte, während sie alles tat, um AntifaschistInnen ihren Weg in die Stadt zu erschweren.

Die Aktionen haben aber gezeigt, dass Mitglieder der SPD und Linkspartei wie auch der Gewerkschaften durchaus bereit waren, sich auch in Mitte und Lichtenberg an den Aktionen zu beteiligen. Das beweist, dass Forderungen an diese Parteien, effektiv Widerstand zu leisten, bei den Mitgliedern, Jugendlichen wie ArbeiterInnen, auf fruchtbaren Boden fallen können. Umso beschämender ist dann, wenn viele aus der ach so „radikalen“ Linken durch Abwesenheit glänzen.

Die Beschränkung auf rein legalistische Methoden oder Illusionen in den bürgerlichen Staat werden die Nazis nicht aufhalten. Das Gleiche gilt auch für ein verbissenes Festhalten an dem Konzept von Blockaden. Wir halten diese durchaus für eine anwendbare Taktik. Aber auch sie ist nur durchsetzbar, wenn sich ausreichend AntifaschistInnen beteiligen und diese bereit sind, aktiv ihre Position sowohl gegen die Polizeiübergriffe als auch gegen die Nazis zu verteidigen. Tatsächlich kam es auch auf der Route der Nazis zu Ausbruchsversuchen mit dem alleinigen Ziel, AntifaschistInnen, die am Rande standen, anzugreifen.

Das tatsächliche Ziel jeder antifaschistischen Mobilisierung muss es sein, die FaschistInnen nicht nur am Laufen zu hindern, sondern sie gänzlich von der Straße zu vertreiben. So wie ihre Parteien und Kameradschaften, ihre Wehrsportgruppen und ihre Presse gehören auch ihre Aufmärsche zerschlagen. Das ist die einzige Sprache, die jene verstehen, die das gleiche mit den Organisationen der ArbeiterInnenbewegung anstellen wollen mit dem Ziel, eine offene Diktatur des Kapitals zu errichten. Wenn dies gelingen soll, muss diese Notwendigkeit aber überhaupt angesprochen werden. Eine hedonistische Anbiederung an den Party-Protest wie gegen den AfD-Aufmarsch, der von Teilen der Linken betrieben wurde, ist dabei nicht hilfreich.

Stattdessen braucht es die Einsicht, dass eine starke antifaschistische Bewegung nur aufgebaut wird, wenn revolutionäre Arbeit an Schulen, Universitäten und im Betrieb entfaltet wird, wie es REVOLUTION beispielsweise seit Jahren an Berliner Schulen tut. Nur so können dauerhafte Verbindungen geschaffen werden, so entstehen Mobilisierungsstrukturen, die über einzelne Aktionen hinausgehen. Diese Arbeit muss mit einer klaren Taktik verbunden werden, die sich im Kampf gegen die FaschistInnen ganz klar auf die Fahne schreibt: „massenhaft, militant, organisiert.“