Österreich: 100.000 demonstrieren gegen Arbeitszeitverlängerung
Michael Märzen, Neue Internationale 230, Juli/August 2018
Der 30. Juni 2018 war ein bedeutsamer Kampftag und eine Machtdemonstration für die österreichische ArbeiterInnenbewegung. Über 100.000 Menschen gingen in Wien auf die Demonstration des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB) gegen den 12-Stundentag. Im Vorfeld der Demonstration fanden in allen Bundesländern Betriebsrätekonferenzen und Betriebsversammlungen statt, davon alleine bei den Privatangestellten über 700. In den Betrieben wurde mobilisiert und aus den Bundesländern wurden Busse nach Wien organisiert. Der ArbeiterInnenstandpunkt hatte sich zusammen mit der Jugendorganisation REVOLUTION mit einem gemeinsamen Block an der Demonstration beteiligt.
Angriffe der Regierung
Die Regierung von ÖVP und FPÖ plant die Ausweitung der täglichen Höchstarbeitszeit auf 12 Stunden bzw. 60 Stunden pro Woche. Die gesetzliche Normalarbeitszeit von 40 Wochenstunden soll dabei nicht formell abgeschafft, sondern nur flexibler gestaltet, also de facto außer Kraft gesetzt werden. Schon heute ist sie für viele arbeitende Menschen aufgrund zahlreicher (auch unbezahlter) Überstunden und entsprechender Betriebsvereinbarungen längst nicht mehr Realität. Die Reform der Regierung wird diese Tatsache verschlimmern, insbesondere indem sie sogar formell die gesetzlich zulässige Anzahl an Überstunden ausweiten soll und die Betriebsräte entmachtet. Trotzdem beteuert die Regierung die Freiwilligkeit zur Mehrarbeit, was angesichts der Machtverhältnisse im Betrieb ein Hohn ist.
Der Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbunds Wolfgang Katzian erklärte auf der Abschlusskundgebung, dass man „mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen“ Widerstand leisten werde. Einen Aufruf für Streikaktionen vom ÖGB bzw. von den Teilgewerkschaften gab es aber nicht. Auf der Demonstration war die Forderung nach Streiks hingegen weit und breit zu sehen. Tatsächlich wäre eine koordinierte, allgemeine Arbeitsniederlegung, ein Generalstreik, die einzige realistische Möglichkeit, um den Angriff der Regierung abzuwenden. Zugleich wäre das auch eine Möglichkeit, um in die Offensive zu gehen, um für eine Arbeitszeitverkürzung zu kämpfen und die Regierung der Reichen und KapitalistInnen zu Fall zu bringen. Letzteres hat sogar der Chef der Postgewerkschaft in den Raum gestellt, worauf der ÖGB-Chef Katzian seine Achtung vor der demokratisch gewählten Regierung betonte. Dass die Gewerkschaft auf Streiks setzen wird, ist allerdings unwahrscheinlich. Das Gesetz soll schon kommende Woche beschlossen werden und danach ist das Parlament in Sommerpause. Das ist zwar kein Hindernis, aber wäre es der Gewerkschaftsführung ernst gewesen, hätte sie schon früher gegen die Arbeitszeitflexibilisierung mobilgemacht und spätestens jetzt Streiks vorbereitet. Stattdessen forderte Katzian nun eine Volksabstimmung. Die Gewerkschaftsführungen scheinen dagegen lieber auf Kämpfe um die Arbeitszeiten im Rahmen der Kollektivverträge zu setzen. Tatsächlich ist beides ein Verrat an der Bewegung, denn die ArbeiterInnenklasse ist jetzt in der Offensive. Eine Volksabstimmung, der Gesetzesbeschluss und die längeren Zeiten bis zu den nächsten Verhandlungen werden demobilisierend und resignierend wirken. Zusätzlich bedeutet ein Kampf im Rahmen von KV-Verhandlungen, ihn nicht allgemein als gesamte Klasse zu führen, sondern zersplittert und ungleichzeitig in den verschiedenen Branchen. Und schlussendlich würde man die Vorstöße der KapitalistInnen bei jeder Verhandlungsrunde aufs Neue abwehren müssen. Die Orientierung auf Kollektivvertragsverhandlungen ist also ein Rückzug auf einen geschwächten Posten und damit schon eine mehr als halbe Kapitulation. Das ist nicht verwunderlich, immerhin denkt die sozialdemokratische Gewerkschaftsführung nach wie vor in den Kategorien der SozialpartnerInnenschaft mit dem Ziel, Verhandlungen statt Klassenkämpfe zu führen. Dadurch möchte sich die Gewerkschaftsbürokratie eine Konfrontation mit der Regierung ersparen, um der Sozialdemokratie auf dem Rücken der ArbeiterInnen (am besten mit einem Kompromiss) die nächste Regierungsbeteiligung zu ermöglichen.
Die Frage nach einer Streikbewegung gegen den 12-Stundentag ist also tief verbunden mit der Perspektive des politischen Kampfes gegen die sozialdemokratische Gewerkschaftsbürokratie durch eine gewerkschaftliche Basisbewegung. In den nächsten Tagen und Wochen wird es also auf den Druck von unten auf die Gewerkschaftsspitzen ankommen. Dafür sind derzeit schon weiterhin geplante Betriebsversammlungen ein guter Anknüpfungspunkt, z. B. bei der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB), aber auch in zahlreichen anderen Betrieben der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida sowie auch in etlichen Betrieben der Produktionsgewerkschaft PRO-GE (Metall, Textil, Nahrung, Chemie). Auf diesen Betriebsversammlungen muss man die Perspektiven eines Arbeitskampfes diskutieren, die Wahl von Streikkomitees durchführen und eine Koordination für einen Generalstreik in Gang setzen, der den 12-Stundentag zu Fall bringen kann. Das würde der gesamten ArbeiterInnenbewegung in Österreich eine gewaltige Stärkung verleihen und den ArbeiterInnen aller Länder ein Beispiel liefern, wie sich die weltweiten neoliberalen Angriffe verhindern lassen!