Bayrisches Polizeiaufgabengesetz: Gefahr für uns alle

Veronika Schulz, Neue Internationale 228, Mai 2018

Im Vorfeld des bayerischen Landtagswahlkampfs profiliert sich die CSU einmal mehr als Vorreiterin in Sachen Repression und Überwachungsstaat. Eine für Mai geplante Reform des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) ebnet den Weg zu ihrer militärischen Aufrüstung und zum massiven Ausbau der Kontrolle über BürgerInnen und ihre Privatsphäre. Die neuen Befugnisse heben die ohnehin nur scheinbare Trennung von Polizei und Geheimdiensten weiter auf und reihen sich nahtlos in die bereits umgesetzten Einschnitte in Grund- und Bürgerrechte der letzten Jahre ein.

Repressionswelle

Pünktlich vor dem G20-Gipfel 2017 in Hamburg durfte sich die Polizei in ganz Deutschland über eine Ausweitung ihrer Befugnisse freuen: von „Integrationsgesetzen“ über die Verschärfung von §114 StGB bis hin zum sogenannten „Gefährdergesetz“ wurden nach und nach die Hürden für Strafverfolgung gesenkt.

So ist nun schon bei einer nicht näher definierten „drohenden Gefahr“ die Eingriffsschwelle für die Polizei gegeben, um – ohne richterlichen Beschluss! – eine Fülle von Maßnahmen anzuwenden: Einsatz von Bodycams (auch in Wohnungen), Ausweitung von Online-Durchsuchungen und Betreten der Wohnung zur Installation von Überwachungssoftware, intelligente Videoüberwachung, erweiterte DNA-Analyse mit Bestimmung der „biogenetischen Herkunft“ (racial profiling), Einsatz von Explosivmitteln wie Blend- oder Handgranaten und Maschinengewehren. Alles, was technisch möglich ist, wird durch das geplante Gesetz legalisiert.

Der Freistaat verfügt zurzeit laut Landespolizeipräsident Schmidbauer über keine bewaffneten Drohnen, ihr Einsatz wird durch das neue Gesetz auch ermöglicht. Dies alles ergänzt die bereits eingeführte präventive „Unendlichkeitshaft“ bei bloßem Verdacht, wobei lediglich alle drei Monate ein neuer richterlicher Beschluss erfolgen muss, ohne dass tatsächlich ein Strafverfahren gegen den/die Beschuldigte/n eröffnet wird. Außerdem kann die Polizei Kontaktverbote, Aufenthaltsgebote und -verbote aussprechen, aber auch Kontenpfändungen vornehmen.

Bei Haftstrafen ab drei Monaten wird die Lage für die Beschuldigten schnell existenzgefährdend, da Verlust von Arbeitsplatz und Wohnung vorprogrammiert sind – wohlgemerkt, auf bloßen Verdacht hin. Wenn dann auch noch die Konten gepfändet werden, kann der/die Beschuldigte froh sein, wenn er/sie anwaltlichen Beistand bekommt, den er/sie zunächst nicht einmal bezahlen kann. Kurz: Menschen, denen in keinster Weise Straftaten oder deren Vorbereitung nachgewiesen werden können, sind um ein Vielfaches schlechter gestellt als Verdächtige in Strafverfahren, so betreffs Schadensersatz, sollte sich die Polizei „geirrt“ haben.

Auch das aktuelle PAG sieht keine Rechtsbeschwerdemöglichkeiten vor. Widersprüche haben keine aufschiebende Wirkung, die Maßnahmen greifen sofort.

Statt eines Strafprozesses wird im Verfahrensfall auf Basis des „Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit“ (FamFG) verhandelt. Ein Anspruch auf Pflichtverteidigung ist dabei nicht gegeben. Dadurch werden die Möglichkeiten für eine anwaltliche Verteidigung der Beschuldigten enorm erschwert. Während bei einem Strafprozess ein strenges Beweisverfahren vorgeschrieben ist und Ausnahmen begründet werden müssen, sieht das FamFG Ermessensentscheidungen vor, d. h. es bleibt den RichterInnen überlassen, ob sie Beweisen überhaupt nachgehen, wobei dies selbst dann nur „in geeigneter Form“ passieren muss. Auch die Akteneinsicht kann eingeschränkt werden, was eine Verteidigung und die Entkräftung von Vorwürfen schwer bis unmöglich macht.

Modell für die gesamte Bundesrepublik

Die CSU will sich vor der Landtagswahl, bei der ihre absolute Mehrheit auf dem Spiel steht, um jeden Preis als Garantin für innere „Sicherheit“ profilieren und versucht auf diesem Weg, sich die AfD als rechte Konkurrenz vom Hals zu halten. Landespolizeipräsident Schmidbauer rechtfertigt das geplante Polizeiaufgabengesetz als notwendig, Innenminister Herrmann und Ministerpräsident Söder rühmen die CSU als Vorreiterin, der es gelingt, das „härteste Polizeigesetz Deutschlands“ umzusetzen.

Bayern macht dabei nur den Anfang auf dem Weg zum deutschlandweiten Polizeistaat. Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Sachsen planen ähnliche Gesetze. Horst Seehofer als neuer Bundesinnenminister hat seinerseits selbstbewusst angekündigt, sich bayerische Maßstäbe für ganz Deutschland zum Vorbild zu nehmen. Der Grad der inneren Aufrüstung hat sich schon im letzten Jahr zum G20-Gipfel gezeigt, als in Hamburg Einsatzkräfte aus ganz Deutschland erfolgreich und mit Duldung von Bundesregierung und Hamburger Senat den Ausnahmezustand geprobt haben.

Nicht nur das PAG ist ein Angriff auf uns alle. Anwaltsverbände kritisieren die bereits vollzogene Verschärfung des §114 StGB als Sonderrecht für eine Berufsgruppe, die im Dienst des Staates steht. Vorgeblich um PolizistInnen besser zu schützen, wurde im Mai 2017 – rechtzeitig vor Gipfelbeginn in Hamburg – der „tätliche Angriff“ gegen VollstreckungsbeamtInnen neu definiert. Die Mindeststrafe ist eine Haftstrafe, wobei weder eine Verletzung vorliegen noch der Versuch dazu nachgewiesen werden muss. Die Hamburger Staatsanwaltschaft legte dies wie folgt aus: „Schon das gemeinsame Zugehen im Pulk auf Polizeibeamte stelle eine erhebliche Kraftentfaltung dar, die auf einen unmittelbaren körperlichen Zwang gerichtet sei. Einer tatsächlichen Berührung bedürfe es nicht.“

Bei diesem Szenario liegt das Mindeststrafmaß sogar bei 6 Monaten Haft, da hier von einem „gemeinschaftlichen tätlichen Angriff“ ausgegangen wird. Diese Interpretation durch Staatsanwaltschaften und Gerichte zeigt, wie ein Gesetzestext mit Leben gefüllt wird und welch massive Repression gegen jede Demonstration, jede Versammlung, jede Protestaktion, jeden Streik bereits jetzt befürchtet werden muss. Daher ist es auch und gerade im Sinne aller Gewerkschaften, sich gegen weitere Gesetze dieser Machart zur Wehr zu setzen.

Widerstand ist notwendig

Mitte Mai sollen der bayerische Landtag und der Ausschuss für Innere Sicherheit das Gesetz beschließen – in beiden hält die CSU die Mehrheit. Grüne und auch die SPD bauen auf das Verfassungsgericht, das die grundgesetzwidrigen Vorhaben kassieren soll. Das mag zwar einzelne Änderungen einfordern, die Verschärfung des Gesetzes, geschweige denn die bestehenden Befugnisse der Polizei und anderer Repressionsorgane lassen sich so nicht verhindern.

Was wir brauchen, um die weitere Militarisierung der bayerischen Polizei zu stoppen, ist eine entschiedene Opposition auf der Straße, in Betrieben, Schulen und an den Universitäten. Die Gewerkschaften machen – natürlich mit Ausnahme der reaktionären Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) im Deutschen Beamtenbund (DBB), die das Gesetz unterstützt (!), so der Vorsitzende ihres bayerischen Landesverbandes Rainer Nachtigall – den Anfang, indem sie für den 10. Mai zu einer Demonstration in München aufrufen. Dennoch darf sich der Protest gegen das PAG nicht auf Bayern beschränken und auch die Gewerkschaften müssen bundesweit dagegen mobilisieren. Es gilt, diesem unverhohlenen Angriff auf demokratische Rechte mit der drohenden Entwicklung zum Polizeistaat entgegenzutreten.

Die „drohende Gefahr“ ist das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz selbst! Lassen wir uns also weder einschüchtern noch spalten, unsere Solidarität gilt allen, die bereits von Repression betroffen sind.

  • Nein zum Polizeiaufgabengesetz! Keine Sonderschutzrechte für PolizistInnen!
  • Gewerkschaft der Polizei (GdP) – raus aus dem DGB!
  • Gegen willkürliche Kriminalisierung und Überwachung!
  • Gegen Polizeistaat und Aufrüstung – innen wie außen!