170 Jahre Märzrevolution in Österreich: eine gescheiterte Revolution?

Aventina Holzer, Infomail 998, 12. April 2018

Die Ereignisse des Jahres 1848 sind ein viel diskutierter, aber auch oft ignorierter Teil der europäischen Geschichte. Man könnte sie fast als eine Fortsetzung der Französischen Revolution verstehen, da die Hintergründe und Ursprünge ähnlich waren, wäre der zeitliche Abschnitt zwischen diesen zwei Ereignissen nicht so groß. Aber auch der Ursprung für die Revolution von 1848 ist in Frankreich zu finden.

Reaktion und Revolution

Die Errungenschaften der Französischen Revolution wurden den Menschen Stück für Stück wieder abgenommen. Zuerst durch Napoleon und später durch die siegreichen Kräfte der europäischen Konterrevolution. Aber nicht nur dort: Auch außerhalb Frankreichs, in den Ländern, die unter Napoleon eingenommen wurden (und die dadurch bürgerliche, zum Teil auch liberale Rechte importiert bekamen), wurden diese Rechte wieder abgeschafft. Es herrschte eine Periode der Konterrevolution, Zensur und politische Repression waren die Norm. Die alten Eliten der Monarchien hatten durch die Kämpfe und die Gefahren durch Napoleon erkannt, dass ihre Macht doch nicht so unendlich und für immer gesichert war. Mit dem Wiener Kongress 1815 und der Bildung der „Heiligen Allianz“ (einem Bündnis, bestehend aus Österreich, Preußen, Russland und etwas später auch Frankreich) wurde ein regelrechter Feldzug gegen bürgerliche und nationalstaatliche Ideen gestartet. Es war also kein Wunder, dass sich mit der Februarrevolution 1848 die französische Bevölkerung anfing zu wehren. Was aber durchaus überraschend war, war die kontinuierliche Ausbreitung der Aufstände über Europa.

Als nächstes wurden die deutschen Staaten ergriffen. Zwar war Deutschland noch kein einheitliches Land, doch die Ideen und Proteste breiteten sich von Baden über die losen und teilweise wahllos gezogenen Grenzen aus. Auch ergriffen wurde Italien, wobei die Proteste dort, speziell gegen die Habsburger und die spanischen Bourbonen, auch als ein Funke gesehen werden können, der die Revolution ursprünglich anfachte. Die Auswirkungen, die die Märzrevolte auf Österreich hatte, wollen wir hier speziell diskutieren.

Die Habsburger Monarchie war damals Teil des Deutschen Bundes. Das war ein Zusammenschluss, der weniger nationales Zugeständnis war, sondern mehr als lose, völkerrechtliche Vereinbarung den „Frieden“ in Europa sichern sollte. Dabei stellten Preußen und Österreich sicher dessen mächtigsten Akteure dar. Österreich war aber auch aus anderen Gründen interessant, was die Forderungen der Märzrevolution betraf.

Zum einen war in Österreich die Frage der Nationalität wesentlich präsenter als in anderen Ländern. Später auch als Vielvölkerstaat betitelt, hatten die unterschiedlichen Menschen und Kulturen in Österreich oft Probleme, sich Gehör zu verschaffen. Zum anderen war die Durchsetzung des Kapitalismus im Vergleich zu anderen europäischen Ländern stark verzögert. Die Monarchie wehrte und sträubte sich gegen jeden Fortschritt. Sie hatte ja auch seit 1815 de facto nichts anderes getan, als zu versuchen, die vergangenen Umstände wieder herzustellen.

Märzrevolution

In Wien kam es am 13. März zum Aufstand. Die Monate davor waren geprägt von Unabhängigkeitsforderungen der ungarischen und der tschechischen Bevölkerung. Die Aufstände waren alles andere als friedlich. Es wurde auch hart dagegen vorgegangen. Das Militär schoss auf die DemonstrantInnen und es kam in den blutigen Auseinandersetzungen ungefähr zu 60 Toten. Daraufhin kam es zu einer Radikalisierung der Massen. Fabriken wurden besetzt, Geschäfte geplündert und Barrikaden errichtet. Die Regierung sah keine andere Wahl, als ihr repressives Verhalten einzustellen und auf die Forderungen der RevolutionärInnen einzugehen. Fürst von Metternich, der eine treibende Kraft des Wiener Kongresses gewesen war und die reaktionäre Politik seit 1815 verkörperte, war gezwungen zu fliehen. Es kam zur Gründung einer neuen Regierung, die aber nur in Teilen auf die Forderungen einging (z. B. kein Wahlrecht für die ärmere Bevölkerung). Die versprochene Verfassung fiel weitaus reaktionärer aus als gedacht, weshalb sich der „Sicherheitsausschuss“ gründete, der eine revolutionäre Parallelregierung darstellte, bis zum Ende jedoch relativ bedeutungslos blieb.

Das Schicksal der österreichischen Revolution entschied sich stark an der Situation in Italien und vor allem in Ungarn. Ungarn hatte im Verlauf der Revolution enorme Zugeständnisse bekommen, die mit einem eigenen Reichstag auf eine gewisse Autonomie hinauszulaufen schienen. Diese einstweilige Befriedung ermöglichte es dem österreichischen Militär, sich auf die Konflikte in Italien zu konzentrieren. Die Nationalbewegung in Italien wurde stark zurückgeschlagen, das Militär konnte bis nach Mailand einmarschieren. Das Habsburger Haus gewann dadurch wieder an Ansehen, Respekt und politischer Macht. Dies machte es möglich, den Fokus erneut auf Ungarn zu richten. Ansatz für das Vorgehen waren die nationalen Minderheiten in Ungarn (die gemeinsam ca. 60 % der Bevölkerung ausmachten), die sich mithilfe der kaiserlichen Dynastie gegen die Vorherrschaft Ungarns wehren wollten. Die fortschrittlichen Teile (vor allem ArbeiterInnen und Teile des städtischen KleinbürgerInnentums) der österreichischen Bevölkerung wehrten sich gegen dieses Vorgehen – ohne Erfolg. Im Oktober kam es nicht nur zur Niederschlagung Ungarns (und damit auch dessen Parlaments und dessen Autonomie), sondern auch zur erfolgreichen Belagerung Wiens von Seiten der Konterrevolution, an der sich die letzte Energie der Aufständischen entlud. Die Revolution war formell besiegt. Der letzte Nachhall war die Verfassung, die in ihrem Kern stark monarchistisch blieb, aber zu einer konstitutionellen Variante führte. Kaiser Ferdinand I. dankte zugunsten seines Neffen Franz Joseph ab und die Phase des Neoabsolutismus setzte ein.

Analyse und Bewertung

Der Ablauf der Revolution, wie wichtig und interessant er auch sein mag, gibt uns allerdings noch wenig Anhaltspunkte über die AkteurInnen der Revolution. Natürlich waren die Forderungen größtenteils bürgerlich und die Ansätze liberaler bzw. nationalistischer Natur, aber wer steckte als treibende Kraft tatsächlich hinter den Aktionen und Revolten?

Wenn man an die anfänglich erwähnten Ähnlichkeiten zur Französischen Revolution denkt, scheint die Frage leicht beantwortet: Das aufstrebende Bürgertum, die Bourgeoisie, muss die führende Kraft gewesen sein.

Aber die Antwort ist nicht so einfach. Die Märzrevolution war eine stark verspätete Revolution. Das bedeutet, dass die in der Französischen Revolution noch aufstrebende Klasse der Bourgeoisie in Deutschland sich bereits akklimatisiert, also ans System gewöhnt hatte und ängstlich war, den nächsten Schritt zu setzen. Sie war nicht die treibende Kraft an der Spitze. Dies waren die objektiven Bedingungen, die schwerwiegenden Widersprüche, die zwischen dem sich etablierenden Wirtschaftssystem und der veralteten Regierung entstehen mussten. Die Bourgeoisie wurde also aus einer gewissen objektiven Notwendigkeit an die Spitze gesetzt bzw. eher von den Massen vorangetrieben. Ein zweiter Aspekt ist für diese Revolution bezeichnend. Das Proletariat wuchs mit der Industrialisierung beständig, das Bauerntum nahm eine neue Rolle ein. Diese Klassen waren diejenigen, die im Endeffekt geopfert wurden, bluten mussten, aber am wenigsten aus der Revolution herausbekamen. Das alles, weil die Bourgeoisie die Revolution nur halbherzig verfolgte, sich vor den radikalisierten Volksmassen fürchtete und lieber den alten Repressionsapparat erhalten wollte, anstatt die Republik zu erkämpfen.

Die mangelnde Entschlossenheit der Bourgeoisie erklärt auch, warum die Revolution ausging, wie sie ausgehen musste. „Sie [die Märzrevolution] hat nur die Krone, den absolutistischen Staat, gezwungen, sich mit der Bourgeoisie zu verständigen, sich mit ihrem alten Rivalen zu vereinbaren. Die Krone wird der Bourgeoisie den Adel, die Bourgeoisie wird der Krone das Volk opfern. Unter diesen Bedingungen wird das Königtum bürgerlich und die Bourgeoisie königlich werden“, schrieb Marx in der „Neuen Rheinischen Zeitung“ vom 16. Dezember 1848. Die Kompromisslösung offenbart den widersprüchlichen Charakter des deutschen Bürgertums zu diesem Zeitpunkt und warum es, trotz seines Widerspruchs mit der Gesellschaft (bzw. vielmehr mit dem politischen Überbau) am Ende eigentlich gegen die Volksmassen und auf der Seite der Konterrevolution stand. Trotz alledem bleibt der Charakter der Revolution durchaus ein bürgerlicher, da die Revolution nur bürgerliche Ziele verfolgte und erreichte (Verfassung, nationale Rechte, etc.).

Marx und Engels schrieben in der „Neuen Rheinischen Zeitung“, die sich auch aufgrund der Lockerung der Zensur in diesem Zeitraum etablieren konnte, viel und ausführlich über die Entwicklung der Revolution von 1848.

Sie analysierten vor allem die Rolle des Bürgertums in diesem Konflikt: „Die Bourgeoisie musste sich ihren Anteil an der politischen Herrschaft vindizieren (beanspruchen, Anm. d. Red.), schon ihrer materiellen Interessen wegen. Sie selbst war allein fähig, ihre kommerziellen und industriellen Bedürfnisse gesetzlich zur Geltung zu bringen.“ Dies war eine logische Ableitung aus der historisch-materialistischen Ansicht, die Marx und Engels vertraten. Es ging nicht primär um neue „Rechte“ und individuelle Freiheit, es ging konkret um die Freiheit der Bourgeoisie, besonders um die für ihre Wirtschaft.

So erklärt sich zum Beispiel auch das Pochen auf demokratische Rechte: „Sie musste, um ihren Zweck zu erreichen, ihre eigenen Interessen […] frei debattieren können. Das nannte sie das ‚Recht der Pressefreiheit’. Sie musste sich ungeniert assoziieren können. Das nannte sie das ‚Recht der freien Assoziation’. Religionsfreiheit und dgl. musste ebenfalls als notwendige Folge der freien Konkurrenz von ihr verlangt werden.“

Auch pointiert erkannten sie, dass die Niederlage der Revolution von 1848 nicht unbedingt auch eine Niederlage der Bourgeoisie bedeuten musste. Sie schrieben: „Die liberale Opposition […] war also nichts anderes als die Opposition der Bourgeoisie gegen eine Regierungsform, die ihren Interessen und Bedürfnissen nicht mehr entsprach. Um dem Hofe Opposition, musste sie dem Volke den Hof machen. Sie bildete sich vielleicht wirklich ein, für das Volk Opposition zu machen.“ Dies hielt jedoch nicht lange an. Am Ende paktierte das Bürgertum wie gehabt mit der Krone.

Was war also die Bilanz der Revolution? Unter anderem die Befreiung der Bauern/Bäuerinnen (also ein wichtiger Schritt weg vom Feudalismus), die Entstehung von Verfassungen, Ansätze neuer Nationalstaaten, die Auflösung der Heiligen Allianz etc. Der wirkliche Verdienst der Revolution war jedoch der Bruch mit der Politik der Restauration, die Europa seit 1815 nicht erlaubte, gesellschaftlich voranzuschreiten. So war die Revolution zwar gescheitert und musste in wichtigen Fragen einen Schritt zurücktreten (Vorherrschaft der Monarchie, Gleichberechtigung aller BürgerInnen,…), schuf aber die Voraussetzungen für den endgültigen Todesstoß des alten Europas, nicht zuletzt durch das Entstehen von ArbeiterInnenverbänden und das freiere Auftreten des Klassenkonfliktes zwischen Bourgeoisie und Proletariat.