Von Mao zum Markt – Wie die chinesische KP den Kapitalismus zurück holte

Peter Main, Revolutionärer Marxismus 39, August 2008

Im Dezember 1978 nahm der 11. Kongress der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) ein Wirtschaftsreformprogramm an, das die interne, fraktionelle Auseinandersetzung beendete, die die Partei mehr als 25 Jahre gequält hatte. Die Reformen markierten den Sieg von Deng Xiaoping, der kurz zuvor aus der innerchinesischen Verbannung zurückgekehrt war. Nun wurde er als „überragender Führer“ gefeiert.

Vor der Beschäftigung mit den Auswirkungen dieses Programms wenden wir uns noch kurz den Strategiewechseln der KPCh zu, die seit Begin ihrer Herrschaft 1949 zu beobachten waren, sowie den Fragen, über welche die Führung so lange zerstritten war.

Anders als Lenin, der den Machtantritt der Bolschewiki 1917 mit den berühmten Worten einleitete: „Wir werden uns nun anschicken, die sozialistische Ordnung aufzubauen“, kam Mao Tse-tung an der Spitze einer Partei zur Macht, deren erklärte Politik „die Wahrung privater und öffentlicher Interessen, der Nutzen für Unternehmer und Arbeiter, die Ermutigung der gegenseitigen Hilfe zwischen unserem und fremden Ländern zwecks Entwicklung der Produktion und Gedeihen der Wirtschaft” (1) war.

Kurz: Die Partei hatte ein „Volksfront“programm, das die kapitalistische Entwicklung des Landes unter einer Regierungsallianz aus KPCh und jener „patriotischen Bourgeoisie“ vorsah, die nicht mit Tschiang Kai Scheks Nationalisten in den späten Stadien des Bürgerkrieges paktiert hatte. In Einklang mit Stalins Etappentheorie herrschte die Meinung, dass der Sozialismus erst möglich sei, nachdem der Kapitalismus die Produktivkräfte zur notwendigen Höhe entwickelt hätte.

Doch von 1951-53 sah sich die KP vor dem Hintergrund des Korea-Krieges genötigt, einschränkende Maßnahmen politischer wie wirtschaftlicher Natur gegen die anfänglichen Verbündeten zu ergreifen. Die USA hatten damals die Tschiang Kai Schek-Kräfte, die inzwischen Taiwan besetzt und ihre Verbindungen mit der Bourgeoisie und den Großgrundbesitzern in China erneuert hatten, massiv unterstützt und eine Wirtschaftsblockade gegen Zentralchina verhängt.

1953 waren durch gesetzliche Strafen, die bis zur Enteignung reichten, die gesamte moderne Industrie und das Kommunikationswesen praktisch verstaatlicht worden. Auf dem Land löschte eine Bodenreform die Grundbesitzer als Klasse aus. Zum Schutz für die heimische Wirtschaft  vor billigen ausländischen Einfuhren und zur Unterbindung der Anbahnung jeglicher politischer Seilschaften über internationale Geschäftsbeziehungen wurde auch ein Staatsmonopol im Außenhandel errichtet.

Der wirtschaftliche Aufbau vollzog sich nunmehr entlang einer zentralen Planung, die sich im Wesentlichen auf das Vorbild der Sowjetunion bezog. Wie in der UdSSR schloss eine privilegierte Bürokratenkaste die Arbeiterklasse von den Entscheidungsprozessen über Ziele und Methoden der Wirtschaftsplanung aus. So blieb trotz der Niederlage der Kapitalisten der Weg zum Sozialismus versperrt. Die Kapitalistenklasse wurde zwar enteignet – ihre Herrschaft jedoch nicht durch eine Gesellschaftsordnung ersetzt, die auf demokratischer Planung und der politischen Herrschaft durch Arbeiterräte fußt.

Das neue politische und wirtschaftliche Regime vermehrte die Macht der KPCh und festigte sie als undurchdringliche Mauer gegen die Befreiung der Arbeiterklasse und somit auch gegen jede Entfaltung Richtung Sozialismus in China. Wie in allen im Kern stalinistischen Staaten hätte der Weg zum Sozialismus nur über den revolutionären Sturz der Diktatur der KP eingeschlagen werden können. China war in der trotzkistischen Begrifflichkeit ein degenerierter Arbeiterstaat.

Die folgenden 25 Jahre waren gekennzeichnet durch eine ständige Auseinandersetzung zwischen zwei Flügeln der Parteiführung. Der eine befürwortete eine Wirtschaftspolitik, die einen begrenzt freien Markt für landwirtschaftliche und Leichtindustriegüter zuließ und sich an das Bucharinsche Programm Mitte der 20er Jahre in der Sowjetunion anlehnte. Die andere Seite unter Führung Mao Tse-tungs befürchtete, dass dies die Parteidiktatur untergraben könnte. Sie legte größeres Gewicht auf zentral geplante Industrialisierung durch Massenkampagnen. Ihr Kurs entsprach dem ersten Fünfjahrplan in der Sowjetunion.

Die Auswirkungen dieser innerparteilichen Differenzen lassen sich an den heftigen Zickzacks der offiziellen Politik ablesen. Der anfänglichen Annahme des Plans folgten drei Jahre wohlwollender Duldung von Markttätigkeit, was die politische Lockerung in der „Hundert-Blumen“-Kampagne nach sich zog. Das wiederum ermutigte antibürokratische politische Strömungen, und im Gefolge von Chruschtschows Abrechnung mit Stalin wurde die Linie wieder abrupt in Richtung politische Unterdrückung geändert. Danach wurden Massenmobilisierungen für den „Großen Sprung nach vorn“ initiiert.

Innerhalb von zwei Jahren endete dieses Experiment in einer ökonomischen Katastrophe mit Hungersnöten. Danach verließ sich die KPCh wieder stärker auf Marktmechanismen, besonders in ländlichen Gegenden.

In den 60ern folgte Maos Vorstoß, der den verfälschenden Namen „Große Proletarische Kulturrevolution“ trägt, die Massen gegen seine politischen Gegner in der Partei zu mobilisieren. Als ArbeiterInnen in Wuhan seine Aufforderung zur „Bombardierung des Hauptquartiers“ allzu wörtlich nahmen, wurde ihr Aufruhr durch die Volksbefreiungsarmee (VBA) zermalmt, die von da ab eine zentrale Rolle in der Lenkung der Industrie spielte.

In den 70er Jahren war die Folge dieser bürokratischen Kämpfe ein Planungssystem, das nie so zentralisiert war wie in der Sowjetunion. Die Schwerindustrie wurde jedoch auch in China als wichtigster Sektor angesehen. Produktionsziele wurden durch Planziffern vorgegeben, die auch den Austausch zwischen den Erzeugern regelten. Die Preise wurden durch Planausschüsse festgesetzt. In der Landwirtschaft wurde die Erzeugung durch die Volkskommunen organisiert, die in der Regel örtliche Behörden waren und sich mit den zentralen Planzielen abstimmten.

Noch ehe Deng  Xiaoping jene Marktreformen startete, welche die Entwicklungsrichtung der chinesischen Wirtschaft fundamental änderten, hatten die chinesischen Regenten erkannt, dass sie sich von der Autarkiepolitik abwenden mussten, welche die letzten 10 Jahre der Herrschaft Mao Tse-tungs dominiert hatte. Damals machte der Außenhandel ungefähr 5% des Bruttosozialprodukts aus und erreichte damit nicht einmal 1% des Welthandels.

Binnen Monaten nach Maos Tod im September 1976 ordnete die neue Führung unter Hua Guofeng einen 10-Jahresplan an, der durch die wachsenden Auslandsdeviseneinkünfte finanziert werden sollte. Der Plan besaß die typischen Merkmale stalinistischer Großprojekte zur Entwicklung der Schwerindustrie durch Importe neuester Technologien aus den westlichen Ländern. Dies sollte aus Mitteln steigender Ausfuhren bestritten werden, v.a. aus der Öl-Förderung, die sich im abgelaufenen Jahrzehnt um 15% gesteigert hatte (2).

Zugleich wurde ein bedeutender Anstoß zur politischen Lockerung und zur Rationalisierung von während der Kulturrevolution angefangenen, aber nicht beendeten Industrieprojekten gegeben und führte zu einem deutlichen Produktionsschub. Das Wachstum beim Nettomaterialprodukt kletterte von 4% zwischen 1970-1976 auf über 10% bis 1978 (3). Angetrieben durch diese Entwicklung wurden Verhandlungen über 40 Milliarden Dollar  für Technologien, vornehmlich Stahlhütten, Kraftwerke und Düngemittelfabriken, aufgenommen (4). Doch wie schon bei früheren Projekten in China und der Sowjetunion machten sich – entgegen den überoptimistischen und willkürlichen Zielsetzungen und Erwartungen – bald die sinkenden Aussichten auf große Deviseneinkünfte durch Ankurbelung der Ölindustrie bemerkbar. Trotz ausgiebiger Erkundungen und Probebohrungen wurden keine weiteren größeren Vorkommen gefunden (5).

Im Sommer 1978, als sich die Parteiführung schon auf Verträge im Wert von $7 Milliarden eingelassen hatte, sah sie sich mit einer drohenden Zahlungsbilanzkrise konfrontiert. Unter diesen Vorzeichen, dass der Plan nicht zu realisieren und deswegen die eigene politische Macht gefährdet war, zogen die Spitzen der KP Chinas auf dem 3. Plenum des 11. Zentralkomitees im Dezember 1978 die Notbremse. Auf dieser Sitzung etablierte sich Deng Xiaoping als „unumstrittener Führer“ und setzte das „Reform“programm durch, mit dem die Wirtschaft durch einen größeren Spielraum für Marktanreize gefördert werden sollte. Der eigentliche Verfasser des Plans war Tschen Yun, ein betagter wirtschaftspolitischer Führer, der auch die ökonomischen Rettungsmaßnahmen nach dem „Großen Sprung“ und der „Kulturrevolution“ geleitet hatte.

Die Maßnahmen waren nicht völlig neu. Im industriellen Sektor hatten Pläne zur Steigerung der Effektivität und Produktivität durch größere Entscheidungsfreiheit von Fabrikdirektoren schon 10 Jahre zuvor in der Sowjetunion Anwendung gefunden. Dies hatte sich aber als unzureichend für die Überwindung der Trägheit der bürokratischen Planung erwiesen. Das gleiche Schicksal ereilte auch die chinesische Variante davon. Im Landwirtschaftsbereich bedeuteten die Verminderung der Zwangsabgabe an den Staat sowie eine gleichzeitige Erhöhung seiner „Aufkaufpreise“ und ein freier Markt für alle anderen Produkte eine Wiederholung der Neuen Wirtschaftspolitik (NEP) in der Sowjetunion ab 1921 und der Maßnahmen zur Überwindung der Hungersnot nach dem „Großen Sprung“ in China 1962.

Hauptakteure

Ob die Hauptakteure Deng Xaioping, Li Xiannian oder Tschen Yun schon damals bewusst an der Wiederherstellung des Kapitalismus arbeiteten oder nicht, mag dahin gestellt bleiben. Ihre Politik im folgenden Jahrzehnt und darüber hinaus lässt dies eher nicht vermuten. Aber klar ist, dass sie als eingefleischte Stalinisten stets ein Ziel verfolgten: die politische Macht in den Händen der KP China zu behalten, ungeachtet des Klassencharakters der Eigentumsverhältnisse in China. Der Weiterbestand der Parteiherrschaft darf jedoch nicht den Blick auf den gewandelten gesellschaftlichen Gehalt verstellen, den das Regime verwaltete.

Die „Reformen“ seit Ende der 70er Jahre verfolgten nicht die Absicht, die Planwirtschaft abzuwickeln, sondern sie durch schnelle Anstöße und Anreize zu stärken und dynamisieren. Die Reformen wirkten allerdings in Richtung einer Parallelwirtschaft, die nicht mehr dem Plan unterworfen war, sondern eine Eigendynamik entfaltete, v. a. weil sie Güter und Dienstleistungen erzeugte, die durch den Vorrang der Schwerindustrie und durch die bürokratische Planung der Landwirtschaft der chinesischen Bevölkerung lange vorenthalten blieben. Als dieser Sektor gedieh, legte er die Grundlage für weitere Experimente, weitere Lockerung der Kontrollen über den Markt und Unternehmer sowie für größere Bereitschaft, die Quellen des Plansektors anzuzapfen, um das Wachstum der „Parallelwirtschaft“ zu fördern.

Als die Kräfte des Marktes stärker wurden und die Zusammenhänge des Plansektors zu untergraben begannen, förderte dies unvermeidlich die politische Aktivität und eine Debatte über die künftige Richtung des Landes. Doch jegliche Diskussion gefährdete unmittelbar die Diktatur. Solche Debatten waren praktisch illegal, seitdem die Verfassung die führende Rolle der Partei zementiert hatte. Somit war eine Demokratiebewegung, auch wenn sie schon bis in die obere Riege der Bürokratie vorgedrungen war, untragbar für die Führung als ganzes.

Der Bruchpunkt kam, als Ende der 80er Jahre der Studentenprotest auf dem Platz des Himmlischen Friedens aktiven Rückhalt aus den Reihen der frisch gegründeten  Arbeiterorganisationen in Peking und darüber hinaus erhielt. Das Tiananmen-Massaker und die folgende landesweite Unterdrückung säuberten praktisch jegliche politische Opposition und verstärkten die Parteidiktatur. Als diese gesichert war, änderten die Führer ihre Strategie und beschlossen, die Überbleibsel der Planwirtschaft zu beseitigen bei gleichzeitiger Wahrung ihrer diktatorischen Befugnisse – jedoch nun über ein kapitalistisches China.

Der kapitalistische Weg

Den Entscheidungsträgern war bewusst, dass das Reformprogramm von 1978 die Einführung von kapitalistischen Elementen nach sich zieht. Deng selbst war von Mao Tse-tungs berühmtem Verdikt als „kapitalistischer Wegbereiter“ angegriffen worden, weil er die Marktreformen in den 60ern unterstützt hatte. Seine ebenso berühmte Entgegnung, dass es keinen Unterschied mache, „ob eine Katze schwarz oder weiß sei, Hauptsache sie fange Mäuse“, beschreibt im Grunde Dengs zweideutige Haltung in der Verteidigung der nachkapitalistischen Eigentumsverhältnisse. Obwohl er verstand, dass das Wirtschaftswachstum ein Gebot war, blieb sein Hauptziel stets die Erhaltung der Macht der Partei. Seine „Reformen“ erleichterten aber nicht nur die Wiederauferstehung des Kapitalismus in China, sondern waren auch ein Anreiz für die Rückkehr der chinesischen Bourgeoisie und eine Einladung an das Kapital aus den imperialistischen Ländern.

Zu Beginn der Reformperiode wurden förmlich alle Ein- und Ausfuhren über die Außenhandelsgesellschaften des Staates getätigt. Öl war der Hauptexportartikel (6). Zwischen 1978 und 1985 verdreifachte sich die Ausfuhr von Rohöl und raffiniertem Petroleum auf 36 Millionen Tonnen im Wert von etwa 6 Milliarden $. Nach diesem Höhepunkt jedoch fiel die Exportkurve in Umfang und Umsatz wieder. Das lag teils daran, dass die heimische Wirtschaft eingeengt wurde: 98% aller Steigerungen der Ölproduktion seit 1978 wanderten in den Export (7).

Andere Grundstoffe wie Grundnahrungsmittel, Tabak, Minerale, tierische und pflanzliche Öle, die zentral kontrolliert wurden, machten mit dem Öl 50% aller Ausfuhren dieser Periode aus und setzten damit die Politik der 60er Jahre fort. Nach 1985 wurde dieses Schema verändert. Der Anteil der Fertiggüter am Gesamtausfuhrwert stieg bis 1991 auf 77% (8). Bedeutend war, dass die Fertigwaren zunehmend außerhalb des zentralen Plansektors erzeugt wurden, entweder im Stadt- und Dorfunternehmenssektor (SDU) oder in den Wirtschaftssonderzonen (WSZ).

Obgleich diese Güter von staatlichen Behörden vermarktet wurden, hatte ein Politikwechsel 1984 die Gründung von neuen ausländischen Handelsgesellschaften in Stadt und Land gestattet. Weil diese im Wesentlichen unabhängige Körperschaften waren, ging die Warenkontrolle vom zentral dirigierten Handelsplan in ihre Hände über. Unmittelbar wirkte sich das in einer beschleunigten Preisgestaltung aus, die von der Weltmarktkonkurrenz vorgegeben wurde. Den Institutionen stand eine wachsende Geldmenge in Fremdwährungen zur Verfügung, die zentral schwer zu kontrollieren waren.

Als SDU-Sektor wurden jene anfangs kleinen Firmen bezeichnet, die aus den Gemeindewerkstätten und kleinen Fabriken hervorgingen. Zu Beginn der Reformperiode gab es davon 28 Millionen. Die meisten arbeiteten der Landwirtschaft zu und stellten Landbauwerkzeuge, Futtermittel, Haushaltswaren, Bekleidung und Schuhe her. Maos Dezentralisierungspolitik bedeute aber auch, dass einige in größerem Maßstab tätig waren (Wasserkraftwerke, Metall- und Zementindustrie). Sie waren offiziell als „staatlich“ und verfügten über Staatsressourcen, gehörten aber nicht zum Plansystem.

Landwirtschaft

Die Rückkehr zur familiären Landwirtschaft nach 1978 hatte große Auswirkungen. Örtliche Funktionäre wurden ermutigt, diese Form der Landwirtschaft „nach Kräften zu unterstützen“. Die stetig steigenden bäuerlichen  Einkommen und mehr vermarktbare Produkte belebten den Aufstieg der Werkstätten zu dynamischeren Unternehmungen. Die Verbindung von steigender Nachfrage nach landwirtschaftlichen Gütern, Haushaltswaren, Fertignahrung, Baumaterial und Transportmitteln und der erleichterte Zugang zu günstigen Krediten entweder von Staatsbanken oder ländlichen Kreditgenossenschaften und gepaart mit den um mehr als 40% niedrigeren Löhnen als in der Industrie, sorgte für rasches Wachstum. Das wird von folgenden Zahlen illustriert: die Zahl der ländlichen Märkte stieg von 38.000 (1980) auf 67.000 (1993) (9).

Ökonomisch bedeutete der SDU-Sektor trotz seines immer wieder betonten Charakters als kollektives Eigentum, dass diese Unternehmen vermehrt als kapitalistische Firmen in Erscheinung traten. Sie akkumulierten Kapital und etablierten Marktpreise für viele Güter, darunter manche, die auch Eingang in den Plansektor fanden. 1996 befanden sich 135 Millionen Betriebe in diesem Wirtschaftsteil. Ihr Anteil am Bruttosozialprodukt war von 6% (1978) auf 26% eines zugleich gewaltig angewachsenen Volkswirtschaftsumfangs 1996 empor geschnellt.

In jenem Jahr beschäftigte dieser Wirtschaftsbereich SDU in vorgeblichem Kollektivbesitz 60 Millionen ArbeiterInnen, etwa die Hälfte der gesamten Erwerbsbevölkerung. Der Rest bestand aus kleinen Gewerbetreibenden oder bildete die Belegschaft von „Haushalts- und Privat“firmen. Seither hat die nun offen durchgeführte Privatisierung den „Kollektivanteil“ auf 10 % gedrückt (10).

In diesem Sektor erstand eine neue Kapitalistenklasse in China. Obwohl sie zweifelsfrei von ihren Wurzeln aus dem Staatsfundus und von Vergünstigungen durch lokale Staats- und Parteifunktionäre profitierte, mussten im vergangenen Jahrzehnt und darüber hinaus diese Kapitalisten ihre Geschäftstüchtigkeit schärfen, um nicht nur auf dem Binnenmarkt, sondern auch international bestehen zu können. Besonders in Guangdong sind sie zu einem wichtigen Kanal für das Hongkong-Kapital geworden, Kapital-Anlagen im chinesischen Hinterland tätigen zu können (11).

Wirtschaftssonderzonen

Wie andere Elemente des Reformprogramms waren auch die Wirtschaftssonderzonen (WSZ) keine chinesische Idee. In diese geografisch begrenzten Gebiete konnte ausländisches Kapital fließen, die sonst in China geltenden Wirtschaftsgesetze fanden hier keine Anwendung.

Diese „Zugeständnisse“ zwecks Nutzung ausländischer Währungen, Technologien und Fertigkeiten waren bereits Teil des Programms der Linken Opposition in der Sowjetunion der 20er Jahre. Deren Konzept orientierte sich aber an der Notwendigkeit des staatlichen Außenhandelsmonopols und einer demokratischen Planung durch Wiederbelebung und politischen Herrschaft von Arbeiterräten (Sowjets). In jüngerer Zeit haben auch andere asiatische Staaten solche „Export fördernden“ Zonen eingerichtet, ironischerweise zuerst auf Taiwan.

Die ersten vier WSZ in China lagen an der Küste nahe Taiwan und Hongkong. Neben ihren Lagevorteilen (leichte Ein- und Ausfuhrbedingungen) waren diese Plätze strategisch wichtig, weil sie bewusst Investitionen aus Taiwan und Hongkong begünstigten. Obwohl das angelockte Kapital als „ausländische Direktinvestitionen“ (FDI) klassifiziert wurde, war dies auch ein deutliches politisches Signal an die chinesische Bourgeoisie, auf das Festland zurückzukehren. Dem Entwicklungsmodell der WSZ lag die Erwartung zu Grunde, dass Investoren ihre eigenen Rohstoffe und Produktionsanlagen einführen und ihre Produkte exportieren würden. Die WSZ-Behörden sorgten für Infrastruktur und Energiebedarf – und natürlich Arbeitskräfte zu „attraktiven“ Bedingungen. Diese Vereinbarungen zeugten davon, zu dieser Zeit eine strenge Trennung zwischen WSZ und der restlichen Wirtschaft zu wahren.

Eine Besonderheit stellt die WSZ Schenzhen in der Provinz Guangdong nahe Hongkong dar. Von Beginn an sollte sie mehr als eine reine Fertigungsenklave sein. Sie umfasste Wohnungs-, Einkaufs- und Freizeitgelegenheiten sowie touristische Sehenswürdigkeiten, um Besucher aus Hongkong anzulocken. Ihre Ausdehnung von 330 km2 übertraf die meist nicht mehr als 10 km2 großen übrigen drei WSZs deutlich. Der Handel zwischen Guangdong und Hongkong war ohnehin bereits gefestigt, die lokalen Amtsträger hatten sich schon vor Einführung der Marktreformen für die Schaffung einer solchen Zone stark gemacht. In dieser Region hatte die chinesische Bourgeoisie sich eine Plattform geschaffen oder – vielleicht genauer – erhalten und war bereits in der Lage, die Zentralregierung zu beeinflussen. Die längerfristige Bedeutung der Großzone lag in ihrem Einfluss auf die Gesamtprovinz, z. B. durch ihre Sogwirkung auf Arbeitskräfte, nicht nur für die Arbeit in der Produktion, sondern auch in der Bau- und Dienstleistungsbranche, die dafür sorgten, dass die Zone sich stabilisierte und ausweitete.

In den ersten vier Jahren waren die WSZ nicht sonderlich erfolgreich. Doch ihr Potenzial, FDI anzuziehen, das auch großenteils vor Ort gehalten werden konnte, blieb der Verwaltung anderer Provinzen und Städte nicht verborgen. Den Ausschlag für die Diskussion, ob die Rechte und Befugnisse der WSZ ausgedehnt werden sollten, gab ein Besuch von Deng Xiaoping 1984 in Schenzhen, der der Stadt Erfolg bescheinigte. Daraufhin wurden neue WSZ eingerichtet und WSZ-ähnliche Rechte an 14 „offene Städte“ verliehen, darunter besonders bedeutsam Schanghai, Chinas geschichtsträchtiger Haupthandelshafen.

Befürworter einer exportorientierten Strategie hatten argumentiert, dass die langsame Entwicklung der WSZ durch eine Verbindung von geringer Größe mit einem Mangel an Vertrauen von potenziellen Investoren hervorgerufen worden war. Die Resultate des geänderten Kurses schienen ihre Ansichten zu bestätigen. Der FDI-Kapitalfluss erhöhte sich von $1,4 Mrd. (1984) über $2,2 Mrd. (1985) bis zu $11,2 Mrd. 1992, dem letzten Jahr der Reformphase.

Ausländische Direktinvestitionen (FDI)

Es gab zwei Hauptquellen dieses Kapitals während der Reformphase. Es floss aus Händen chinesischer Kapitalisten in Taiwan, Hongkong und Macao, die mit $2 bis 3 Mrd. jährlich beteiligt waren, ehe 1992 ein Sprung auf $9 Milliarden erfolgte. Die übrigen Investoren aus den drei imperialistischen Hauptblöcken USA, Japan und EU hatten demgegenüber nur einen Anteil von etwa $1 Mrd. im Jahr (12). Das Kapital zur Ausbeutung billiger chinesischer Arbeitskraft stammte mithin nicht zur Hauptsache von den großen imperialen Mächten, sondern vornehmlich aus der chinesischen Diaspora, also jenen Elementen der chinesischen Bourgeoisie, die sich außerhalb des chinesischen Festlandes ihre Grundlage geschaffen hatten.

Das stete Anwachsen der Investitionen hatte beträchtlichen Einfluss auf Produktion und Produktivität. Exporte aus Unternehmen mit Auslandskapital waren noch 1985 in Chinas gesamtem Außenhandel ein vernachlässigbarer Posten mit einem Anteil von 1,1%, erreichten aber 1988 bereits 5,2% und 1992 über 20%. In jenem Jahr trugen sie mit 60% zur jährlichen Steigerung der Fertigwarenausfuhr bei (13).

Für eine Regierung, die auf eine vom Export bestimmte Strategie orientiert war, lag es auf der Hand, dass dieser Sektor nun die Waren produzieren konnte. Zwar waren die FDI nicht die einzige Finanzquelle, denn die chinesischen Spareinlagen hätten leicht die Investitionskosten decken können, aber sie waren der einzige Weg zu neuer Technologie, moderner kapitalistischer Betriebsführung und einem Verständnis für internationale Märkte und Vermarktungsstrategien. Es darf nicht vergessen werden: Trotz ihrer Einstufung als „ausländisch“ waren die meisten dieser Unternehmen Eigentum des chinesischen Bürgertums.

1992 trat der volle Einfluss der Ausweitung der WSZ und der „offenen Städte“ klar hervor. Die Gesamtbevölkerung in den Zonen belief sich nun auf 160 Millionen, in etwa die Bevölkerung von Deutschland und Frankreich. Wegen ihrer Lage entlang der Küste waren die WSZ praktisch eine Wirtschaftseinheit für sich. Innerhalb ihres Einzugsbereichs wurde die Einteilung nach strengen Demarkationslinien, zwischen Genossenschaftsunternehmen, Unternehmen auf Fremdkapitalbasis, Stadt- und Dorfunternehmen und auch rein staatlichen Unternehmen nicht mehr so ernsthaft befolgt.

Zwar kamen weiter Vorgaben aus dem Plansektor, z.B. Baumaterial und nichtmilitärischer Maschinenbau, Energie und Hafenanlagen, aber die Beziehungen zwischen verschiedenen Firmen wurden zusehends vom Markt bestimmt. Demzufolge vollzog sich bei aller Unreife von im Wesen kapitalistischen Firmen auch die Herausbildung einer Klasse von Kapitalisten sowie einer Schicht von Managern, die eng mit dem Geschäftssystem, das von der chinesischen Bourgeoisie auf Taiwan und in Hongkong beherrscht wurde, verzahnt war.

Dennoch blieb die zentrale Rolle der Partei unangetastet. Die Parteisekretäre waren die Schlüsselfiguren in den Entwicklungsprozessen, bauten bürokratische Hürden ab, bürgten für Kredite von staatlichen Banken usw. Der Staat unterhielt enge Verbindungen im gesamten WSZ-System und hatte die Befugnis, eigene Prioritäten zu setzen, um sich gegen seine Macht bedrohende Entwicklungen abzusichern.

Es gab Firmen mit Sitz auf dem Festland, die am Gesetz vorbei Kapital nach Hongkong oder Zollhäfen wie auf den britischen Jungferninseln exportierten, um es dann in China neu zu investieren mit allen Vorteilen, die Auslandskapital in China gewährt wird – so genanntes „Rundreisekapital“. Dies unterstreicht die mehr und mehr verfeinerten Verbindungen zwischen den Küstenprovinzen und den ausländischen Geschäftsinteressen, die fraglos von der chinesischen Emigranten-Bourgeoisie mit Duldung von KP-Parteigrößen zumindest auf Provinzebene vermittelt wurden.

Firmen konnten einen Teil der Einkünfte aus Fremdwährungen einstreichen, mussten aber im Binnenhandel mit der nationalen Währung, dem Renminbi Yuan, verrechnen. Deswegen blühte bald der Devisen-Schwarzhandel für den Renminbi Yuan. Um diese Sache nicht ganz aus dem Griff zu lassen, gestattete Peking die Schaffung von „Tauschzentralen“ in 30 Städten. Da der Renminbi Yuan offiziell höher bewertet wurde als auf den internationalen Märkten, wurde für diese Tauschzentralen ein inoffizieller, dafür aber aussagekräftigerer Wechselkurs eingeführt.

Einfluss von Reformen

Ende der 80er Jahre hatten die Reformen in Bezug auf Außenhandel eine große Rolle bei der Schwächung der drei miteinander verbundenen Hauptmerkmale von Chinas nachkapitalistischer Wirtschaftsordnung gespielt: dem staatlichen Eigentum an der Großindustrie, ihrer Unterordnung unter den Plan und das Staatsmonopol des Außenhandels.

Wo vordem kein bedeutender Bereich der Produktion bestand, der sich in Privatbesitz befand oder unabhängig vom Staat operierte, trat jetzt ein gedeihender und zunehmend vernetzter kapitalistischer neben dem Plansektor auf, der zudem in den Planbereich hineinwirkte (14). Zwar sollte die Produktion per definitionem in den WSZ, den Auslandskapitalunternehmen, den SDU sowie dem kleinen aber aufstrebenden Privatsektor außerhalb des Plans stattfinden, dennoch war sie nicht gänzlich abgeschieden von der Produktion im Plansektor. Aber weil die Planungsprioritäten den politischen Prioritäten des Staates untergeordnet waren – denn das vom Export bestimmte Programm und die Unterstützung für neue Unternehmen waren die Richtschnur -, wurde die Produktion für den Plan weiter nach deren Bedürfnissen ausgerichtet. Die zunehmende Unabhängigkeit für die Verwalter des Staatssektors ermutigte sie auch, eigene Geschäfte einzufädeln, besonders mit den SDU. Schließlich war auch das staatliche Außenhandelsmonopol in den meisten wirtschaftlich fortgeschrittensten Teilen des Landes praktisch aufgehoben. Es sollte ursprünglich die nationale Wirtschaft als ganze in Einklang mit den politisch vorrangigen Zielen vor dem internationalen kapitalistischen Wertgesetz schützen.

Die parallele Existenz zweier unvereinbarer Wirtschaftssysteme führte natürlich zu schweren Verwerfungen, ganz zu schweigen von Korruption und Vetternwirtschaft. Doppelte Preis- und Währungs-Verrechnungssysteme sowie lokale Investitionsentscheidungen neben zentralen Plananweisungen erzeugten widerstreitende Interessen und Differenzen über die Ausrichtung der Politik. Die Auswirkungen der Reformen riefen eine offene politische Diskussion hervor, die nicht auf die Partei eingegrenzt war. Das war der Anfang der Demokratiebewegung, die Mitte der 80er Jahre einsetzte und fast jeden Winkel der chinesischen Gesellschaft erreichte. Mit der Unterdrückung dieser Bewegung, an erster Stelle und am auffälligsten auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking und später im Gefolge des Massakers breiter und systematischer auf dem Land zeigte die Partei klar, was sie politisch dulden würde; zugleich zeigte sich auch der Mangel an Zusammenhalt der politischen Opposition.

Zwei Jahre lang schien Chinas Wirtschaftsleben zurückgeworfen, da die Führung unter Li Peng den Unterdrückungsapparat und die allgegenwärtige Parteimaschinerie nicht nur zur Niederhaltung von Widerspruch nutzte, sondern auch die noch beträchtlichen wirtschaftlichen Hebel des Staatssektors zur Eindämmung von Inflation, zur Wiederherstellung von Preiskontrollen und zur Lenkung von Beschaffung und Verteilung in Gang setzte.

Der neue Schwerpunkt verdeutlichte einen Sieg für jene Elemente in Partei und Staat, die das ganze Reformprogramm nur widerwillig unterstützt hatten und nun die Gelegenheit sahen, der Schwerindustrie und dem Staatssektor allgemein wieder den ihnen gebührenden Platz zuzuweisen. Das vermochte jedoch nicht das Problem der wachsenden Exporteinnahmen oder den Zugang zu neuen Technologien zu lösen, wie dies noch in den 70er Jahren funktionierte.

Hinter den Kulissen wurde die offenkundige Fähigkeit Pekings, „Ordnung“ zu schaffen, zum Anlass genommen, bei den Investitionen aus Taiwan und Hongkong aufzusatteln, während die imperialistischen Länder ihre Einlagen kaum erhöhten. Bereits 1991 trug dank des raschen Investitionszuwachses aus Hongkong, Taiwan und Macao eine neue Wachstumswoge die Wirtschaft, v.a. natürlich in Guangdong, empor.

Wieder einmal stellte ein Besuch von Deng Xiaoping während seiner „Südreise“, als er die Erfolge von Schenzhen und das Anhäufen von Reichtum lobte, die Signale für die Entscheidung auf höchster Ebene, nicht nur das Reformprogramm beizubehalten, sondern auch die Staatsmacht für den Abbau der Planwirtschaft und die bewusste Wiederherstellung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse einzusetzen.

Die formale Bestätigung für den Kurswechsel erfolgte auf dem 14. Parteikongress im Oktober 1992, als die Befürworter der neuen Politik ihre konservativen Widersacher aus der Führungsriege drängten und ein Drittel der Mitgliedschaft des Zentralkomitees von ihnen säuberten. Der Kongress markierte den qualitativen Wandel im Charakter des Staates. Seit dieser Zeit waren der Rückbau der Planwirtschaft und ihre Ersetzung durch den Kapitalismus erklärtes Ziel.

Obgleich die Umsetzung dieser Politik mehrere Vorbereitungsjahre erforderte, kann der chinesische Staat von diesem Zeitpunkt an als bürgerlicher Staat angesehen werden, weil Klassencharakter eines Staat durch die Eigentumsverhältnisse definiert ist, die er verteidigt und fördert, selbst wenn die ökonomische schlussendliche und erfolgreiche Durchsetzung des Wertgesetzes noch über Jahre von ebendiesem Staatsapparat vorangetrieben werden muss.

Deng Xiaoping blieb als „höchster Führer“ im Hintergrund, die politische Führung ging auf den Generalsekretär der Partei, Dschiang Tschemin, und seinen wirtschaftspolitischen Ressortchef, Tschu Rongdschi, über, der später Präsident und Premier wurde. Das neue Programm der KP China konnte nicht offen als Wiederherstellung des Kapitalismus bezeichnet werden. Es wurde als „Neuer Weg zum Sozialismus“ vorgestellt, als „sozialistische Marktwirtschaft“, auch gelegentlich „sozialistische Warenwirtschaft“ benannt. In einer Resolution des Zentralkomitees der Partei im folgenden Jahr beschreibt Dschiang selbst das Ziel als „den Markt zu befähigen, die fundamentale Rolle bei der Bereitstellung von Ressourcen zu spielen unter der makroökonomischen Kontrolle des Staates“ (15).

Wenn diese in sich widersprüchliche Formulierung überhaupt einen Sinn ergeben soll, Ressourcengarantie durch den Markt versus makroökonomische Kontrolle des Staates, so kann hier an Trotzki angeknüpft werden, der über die Stalinisten in der Sowjetunion äußerte, sie machten den Fehler, sich selbst mit der Revolution gleichzusetzen. In China haben Maos Nachfolger den „Sozialismus“ mit der Fortsetzung ihrer eigenen Herrschaft verwechselt. Der wahre Gehalt dieser Formel lautet deshalb „Kapitalismus unter der Diktatur einer Partei“.

Welthandelsorganisation (WTO)

Der Reformabschnitt 1978 bis 1992 zeichnete sich durch die wachsende Öffnung gegenüber dem Weltmarkt aus, die zu einem inneren Wandel Chinas führte. Die Entscheidung zur Wiedereinführung des Kapitalismus wiederum eröffnete eine Periode, in der Chinas Wandel die Weltwirtschaft zu verändern begann. Obwohl die Folgen der Wirtschaftsreformen in China offenkundig großen Anteil an der Entscheidung auf dem Parteikongress 1992 hatten, muss auch dem internationalen Zusammenhang großes Gewicht beigemessen werden.

Bald nach dem Massaker von Tiananmen vollzog sich auch der Zusammenbruch der stalinistischen Herrschaft in der Sowjetunion sowie in Ost- und Mitteleuropa. In unterschiedlichem Maß forderten auch dort populäre demokratische Bewegungen, die an die Demokratiebewegung in China erinnerten, die Einparteien-Diktaturen heraus. Als klar wurde, dass die Rote Armee nicht zur Stützung dieser unpopulären Regierungen einschreiten würde, war das Schicksal dieser stalinistischen Diktaturen besiegelt. An deren Stelle sorgten pro-kapitalistische Kräfte, die von westlichen Mächten und Institutionen wie Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank unterstützt wurden, für die sofortigen Abwicklung des Plans und für die Privatisierung von Staatsbesitz.

Diese „Urknall-Politik“ führte zum ruckartigen Zusammenbruch der Produktion, da die Versorgungslinien gekappt wurden, Fabrikdirektoren verkauften die Anlagen und Güter zu Schleuderpreisen und entließen die Belegschaft, als sie die Löhne nicht mehr zahlen konnten. In Peking wurde daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass die Aufrechterhaltung der politischen Macht einer kontrollierten Umgestaltung der Wirtschaft bedurfte, in der die staatliche Großindustrie in eine Reihe von unabhängigen Industriekomplexen umgewandelt werden müsste, die schließlich als kapitalistische Konzerne fungieren würden.

International machte der Zusammenbruch des Sowjetblocks die USA zur unangefochtenen Supermacht. Der US-Imperialismus schlug aus der neuen Situation jedes erdenkliche Kapital. Das US-Kapital zwang Land um Land zur Lockerung seiner wirtschaftlichen Schutzmaßnahmen wie Einfuhrquoten oder Zölle, und der Begriff „Globalisierung“ bürgerte sich allgemein ein (16). Wenn davon ausgegangen wird, dass die 90er Jahre das Jahrzehnt waren, in dem der chinesische Außenhandel, besonders für die USA zu einem bedeutenden Faktor in der Weltwirtschaft wurde, wäre es nahe liegend anzunehmen, dies wären nur zwei Seiten ein- und derselben Medaille. Dies könnte als klassisches Beispiel für das leninsche Imperialismuskonzept herangezogen werden, worin das US- imperialistische Finanzkapital seine Extraprofite durch die Ausbeutung einer Halbkolonie, nämlich China, schöpft. Aber die Vorstellung, dass das globale Kapital einfach von der plötzlichen Einsetzbarkeit von billiger Arbeitskraft profitieren würde, verdunkelt genau soviel wie sie erhellt.

Auf einer sehr hohen Abstraktionsebene ist es natürlich möglich, “Kapital und Arbeit global zusammenzufassen“. Aber jeder Grad von Konkretisierung muss in Betracht ziehen, dass dieses globale Kapital sich in jeweils bestehende Kapitale aufspaltet, die besonderen Staatsgebieten zuzuordnen sind, die entweder imperialistisch oder allgemein halbkolonial verfasst sind. Die kapitalistischen Investitionen in China in den 90er Jahren stammten zum Großteil nicht aus imperialistischen Ländern. Somit spielte China als neue Quelle von Extraprofiten keine herausragende Rolle für die Einkünfte des Imperialismus.

Trotz der obskuren Terminologie wurde Pekings Ankündigung, nunmehr als Ziel die Schaffung einer „sozialistischen Marktwirtschaft“ anzustreben, sofort von den Kapitalisten innerhalb und außerhalb Chinas als Zeichen verstanden, dass die Gegner von weit reichenden Marktreformen besiegt waren und auch das industrielle Kernstück der Wirtschaft in absehbarer Zeit „marktreif“ gemacht werden soll.

Dies verstärkte den Fluss der FDI, der schon 1991 wieder eingesetzt hatte. In jenem Jahr betrugen die FDI $ 4,3 Mrd., was einem Anteil von 37% am gesamten Kapitalstrom entsprach. (Der Hauptteil der restlichen Summe – 6,8 Milliarden – setzte sich aus niedrig verzinsten Darlehen von internationalen Institutionen wie der Weltbank zusammen.) 1992 erhöhte sich der FDI-Prozentsatz auf 57,3% bei einem Realbetrag von 11 Milliarden. Die Investoren hatten einige Vorinformationen über die neue wirtschaftspolitische Ausrichtung auf dem Parteikongress im November des Jahres erhalten. 1993 kletterten die Gelder bereits auf 27,5 Milliarden, anteilig 70,62%, während die Kredite an Bedeutung abnahmen (17). Obgleich der Löwenanteil weiter nach Guangdong ging, lockerte die Partei nun ihre Investitionskontrollen, so dass 1995 alle Teile des Landes „offen“ waren und zum ersten Mal Investitionen aus dem Ausland in neuen Anlagesphären wie Grundstücken, Energieerzeugung und Einzelhandel begünstigt wurden.

Obwohl die Direktinvestitionen von den imperialistischen Hauptmächten sich in den 90ern verstärkt haben, blieben auslandschinesische Anleger aus Hongkong, Taiwan, Singapur und Malaysia die Hauptinvestoren. Die Konten füllten sich mit „importiertem“ Kapital auf der „Rundreise“; besonders auffällig war der Investitionsumfang in China von den britischen Jungferninseln.

Während die großen multinationalen Konzerne von China als potenziellem Markt angezogen wurden, waren die chinesischen Investoren aus Taiwan oder Hongkong eher an der Verlagerung ihrer Produktionsanlagen auf das Festland interessiert, um in den Genuss der billigen Arbeitskraft, einer Aufsicht ohne große Vorschriften und von attraktiven Steuersätzen zu kommen. Für Hongkong, das die weitaus größte Investorenschaft stellte (18), war der Anlagentransfer über die Grenze nicht nur leicht, sondern auch wesentlich, weil seine Möglichkeiten als Niedriglohnstandort ausgereizt waren. Für Investitionen in Gemeinschaftsunternehmen im SDU-Bereich oder den WSZ konnten die Hongkonger Geschäftsleute ihre bereits bestehenden internationalen Handelsnetze nutzen und ihre eigene Kapazität für verfeinerte Spezialisierungen wie Design, Marketing und Finanzdienste erweitern und zugleich die Produktionskosten drastisch senken.

In China bedeutete dies eine gesicherte Ausweitung des SDU-Bereichs um einige Jahre. Dies war wichtig, weil der Sektor fortgesetzt überschüssige Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft aufsog, wo die Produktivität seit Mitte der 80er nicht mehr stieg. 1995 waren in den SDU schätzungsweise 128 Millionen Menschen beschäftigt. Dies sollte der Höchststand bleiben, denn als mehr Kapital einströmte, wurde der Sektor unweigerlich weniger arbeitsintensiv. Die Konkurrenz zwischen Firmen und städtischen sowie Provinzverwaltungen hielt die Kosten niedrig, so dass die Firmen, um weiter florieren zu können, ihren Produktionsumfang erweitern mussten. Wie bei jedem kapitalistischen Akkumulationszyklus begann die Maschinerie die lebendige Arbeitskraft zu ersetzen. In den 90er Jahren ist auch ein stetiges Ansteigen der Zahl von offiziell registrierten gänzlich privaten Firmen feststellbar: von 90.000 im Jahr 1990 auf 1,76 Millionen gegen Ende des Jahrzehnts (19). Diese Firmen erhielten jedoch keine Vergünstigungen, deren der SUD-Sektor teilhaftig war. Z.B. gestaltete sich die Krediterlangung von Staatsbanken als schwierig. Die reinen Privatfirmen mussten Investitionen entweder aus eigenen Rücklagen oder durch informelle Kanäle tätigen. Ihre Zunahme zeigt, dass dies zunehmend möglich war.

1997 führte dieser „natürliche“ Kreislauf der kapitalistischen Entwicklung zu ersten Bankrotten im SDU-Sektor. Dies fiel mit größeren Veränderungen im staatlichen Bereich zusammen. Dort gingen innerhalb von vier Jahren 27 Millionen Arbeitsplätze verloren (20). Damit war eine wichtige Station in der „Kapitalisierung“ dieses Sektors erreicht, als die Zahl der dortigen Unternehmen von 262.000 auf 159.000 sank (21). Trotz der 1992 festgeschriebenen Bemühungen, den Plansektor aufzulösen, der sich u.a. auf Schwerindustrie, Energieerzeugung, Bergbau und Ölindustrie erstreckte, versuchte Peking, den Zusammenbruch, den die Sowjetunion erlitt, zu vermeiden.

Paradoxerweise führte die Ankündigung, dass der Sektor in autonome Firmen zerstückelt werden sollte, zu einem Anstieg von Investition und Produktion. Die Erklärung dafür liegt darin, dass Direktoren und Funktionäre auf allen Ebenen „ihre“ Fabriken in Erwartung einer künftigen „Privatisierung“ aufstocken wollten. Wegen der engen Verzahnung von staatlicher Industrie und Banken – vermittelt über die Parteibürokratie – fiel es ihnen nicht schwer, sich Kredite zur Erweiterung ihrer Anlagen zu holen. In Übereinstimmung mit den Normen der bürokratischen Planung schien ihnen der einzig gangbare Weg zur Produktionssteigerung der Neuaufbau von Kapazitäten und die Anwerbung von Arbeitskräften zu sein. Als Folge dessen dehnte sich der Staatssektor Mitte der 90er aus und beschäftigte mit 76,4 Millionen noch mehr Menschen als fünf Jahre zuvor (73 Millionen) (22). Als Kehrseite davon waren die Staatsbanken immer stärker mit „faulen Darlehen“ belastet. Die gesteigerte Produktion war vielfach für die SDU und WSZ bestimmt, womit letztlich privates Kapital gefördert wurde.

Solche Praktiken konnten jedoch nicht einfach fortgeführt werden, als die staatliche Industrie dann systematisch zerlegt wurde. Diese Politik nach dem Motto „Das Große erhalten, das Kleine fallen lassen“ sonderte die großen, potenziell profitablen Fabriken aus, die im Verbund mit ihren unmittelbaren Zuliefer- und Verarbeitungsbetrieben belassen wurden. Sie sollten in eigenständige Konzerne nach dem Vorbild der koreanischen Verbundgesellschaften („Chaebols“) umgewandelt werden. Hingegen wurden die veralteten und Kleinbetriebe sich selbst überlassen. Viele davon sollten absichtlich als unprofitabel erscheinen, damit ihre Direktoren sie nun für einen Spottpreis kaufen konnten. Im gesamten Bereich jedoch war der Prozess einer Freisetzung von Arbeitskräften spürbar. Die Beschäftigung sank zur Jahrtausendwende auf 43,9 Millionen (23).

Die Verbindung von Schließungen in den SDU und Staatsbetrieben führte zu ernsten sozialen Spannungen. 1994 waren 77.794 ArbeiterInnen in Arbeitskonflikte verwickelt. 1997 hatte sich die Zahl fast verdreifacht, 1998 schnellte sie gar auf 359.000 (24).

Doch ein noch größerer Schock lauerte am Horizont. Die Südostasienkrise wurde ausgelöst durch den Zusammenbruch der thailändischen Währung und breitete sich rasch auf die anderen Ökonomien aus, als spekulative Investitionen zurückgezogen wurden. Die Krise beleuchtete die inneren Schwächen der vom IWF verordneten strukturellen Anpassungsprogramme und das Vertrauen auf „heißes Geld“, das durch günstige Zinsen angezogen wird. Gelder aus solchen Fonds konnten schneller wieder abfließen als die FDI, die in Chinas neuen Industrien angelegt waren. Fast über Nacht gingen Firmen bankrott, wurden Währungen entwertet, die Produktion schrumpfte.

Das hatte unmittelbare Auswirkungen auf China, weil der Nachschub an Ersatzteilen und Rohmaterial betroffen war; die Aufträge für Montagefabriken nahmen ab und potenzielle Auslandsinvestoren beschlossen, ihre Gelder bis zur Besserung der wirtschaftlichen Aussichten zurückzuhalten.

Der Wert des Renminbi Yuan

Chinas Antwort auf diese Krise war instruktiv. Viele auch in den USA hatten befürchtet, dass der Renminbi Yuan nun abgewertet werden würde, um die chinesischen Exporte nicht ins Stocken geraten zu lassen. Diese Maßnahme hätte die internationalen Auswirkungen der Asienkrise noch verschärft. Doch Peking versicherte den Amtskollegen in Washington, dass sie ihre Währung im Interesse der Stabilität offiziell nicht abwerten wollten. Formal war der Renminbi Yuan über die Anbindung an den Hongkong-Dollar letztlich an den US-Dollar gebunden.

Zugleich wurde ein Riesenprogramm von öffentlichen Investitionen zur Modernisierung der chinesischen Infrastruktur gestartet. Das Vertrauen in staatliche Finanzierung betont die anhaltende Bedeutung von Staatseigentum im Kernbereich der Industrie. Obwohl China keine Planwirtschaft mehr hat, geben die staatlichen Banken und Großbetriebe der Staats- und Parteiführung wirtschaftliche Hebel in die Hand, auf die andere halbkoloniale Länder unter dem Diktat der IWF-„Umstrukturierungsprogramme“ und dem „Washington-Konsens“ verzichten müssen.

Die Krise hat auch gezeigt, dass China auf die stetige Ausweitung seiner Exporte setzen muss. Angesichts der zusätzlichen Wirtschaftslast des Infrastrukturpro-gramms war es sogar unbedingt notwendig, dem Export weitere Anstöße zu geben. Seit 1986 stand China in Verhandlungen über den Beitritt zum allgemeinen Abkommen über Zölle und Handel (GATT), aber diese wurden durch westliche Forderungen nach Aufhebung von Importbeschränkungen gelähmt. Das spiegelt das veränderte internationale Kräfteverhältnis wider. Im kalten Krieg wurden Polen und Ungarn zum GATT zugelassen, sobald sie in den 60er und 70er Jahren einige Marktreformen eingeführt hatten, zumal dies den imperialistischen Mächten einen Türspalt zum Sowjetblock öffnete. China wurden später jedoch weit größere Zugeständnisse abverlangt – v.a. die Öffnung sämtlicher Binnenmärkte, was in den 80er Jahren der chinesischen Bürokratie noch zu weit ging.

In der Uruguay-Runde wurde der „Washington-Konsens“ festgelegt. Wer jetzt der Welthandelsorganisation (WTO), der Nachfolgeorganisation des GATT, beitreten will, muss noch mehr Vorleistungen erbringen. Alle Importkontrollen müssen fallen und darüber hinaus muss freier Kapitalverkehr im gesamten Wirtschaftsgebiet herrschen. Für internationale Konzerne darf es keine Hindernisse für Niederlassung im Land, Übernahme von chinesischen Firmen oder selbst bei Angeboten von Finanzdienstleistungen mehr geben. Überdies muss die chinesische Führung die Kontrolle über die Banken aus den Händen geben. Die Banken wiederum müssen sich an die internationalen Gepflogenheiten im Rechnungswesen und im Verhältnis von Einlagen und Geldverleih halten.

Diese Liste von Forderungen war einschüchternd, musste aber abgewogen werden gegen die erhöhten Exportchancen, die eine Mitgliedschaft in der WTO mit sich bringt. Es gab zu der Zeit noch wichtige Beschränkungen für Chinas Ausfuhren in die USA oder in die EU. Eine weitere „Globalisierung“ war andererseits ohne Einbezug Chinas schlecht möglich, so viel hatten die Imperialisten erkannt. Das Land kam ihnen als nicht zuletzt als Gegengewicht zu Indien und Pakistan, die im Mai 1998 beide ihr nukleares Drohpotenzial auffuhren, ebenfalls gelegen. Nach der Asienkrise wurden die Verhandlungen beschleunigt und China im Dezember 2001 schließlich als Mitglied der WTO aufgenommen.

Mitgliedschaft in der WTO

Die Bedeutung von Chinas Beitritt zur WTO und sein Zeitpunkt sind kaum zu überschätzen. Bis dahin hatte Peking die kontrollierte Restauration des Kapitalismus hinter den schützenden Schranken von Einfuhrregelungen, eingeschränkten Handelsrechten und Zöllen vollzogen. Hier nutzte die Führung die Verfügung über das Staatseigentum an Industrie und Banken, um ihren politischen Prioritäten nachzugehen. Das Was, Wo und Wie der Produktion wurde weitestgehend vom Weltmarkt bestimmt.

Nach marxistischer Analyse lag der Unterschied in der Wirkungsweise des Wertgesetzes. Während es in den Küstenprovinzen voll zur Anwendung kam, herrschte im übrigen China eine Mischung aus heimischem Wertgesetz und Regierungsdiktat. Durch Anerkennung der Mitgliedschaftskriterien der „Uruguay-Runde“ ließ Peking den Binnenmarkt für ausländische Waren relativ offen. Zölle wurden von 42 auf 15% gesenkt und der Handel nicht mehr ausschließlich über staatliche Gesellschaften abgewickelt. Nach kurzer Übergangszeit musste die Führung ab 2007 nun auch die Durchdringung der gesamten chinesischen Geschäfts- und Finanzdienste mit Fremdkapital gestatten. Kurzum: der Beitritt zur WTO öffnete potenziell die gesamte chinesische Ökonomie für das internationale Wertgesetz.

In der Theorie würde das bedeuten, dass Firmen, die bisher für den Binnenmarkt produzierten, sich nun der Konkurrenz durch Produkte der fortgeschrittensten kapitalistischen Ökonomien zu stellen hatten. Ihr Schicksal wäre, entweder vom Markt verdrängt oder von internationalen Konzernen geschluckt zu werden. Zuvorderst würden die halbflüggen Dienstleistungsbereiche, Banken, Versicherungen, Kommunikationswesen, Vermögensverwaltung, Gesundheitsdienste und Bildung rasch von ausländischem Kapital beherrscht werden.

Die Annahme des „Washington-Konsens“ würde also bedeuten, dass China zu einer Halbkolonie würde, die formal unabhängig, aber tatsächlich von den imperialistischen Mächten beherrscht wäre.

Im Weltmaßstab ergaben sich für China jedoch Ende 2001 unschätzbare Vorteile durch Umstände, die in eine andere Richtung wiesen – dass China selbst zu einer imperialistischen Macht werden könnte. In der asiatischen Region hatten sich die „Tigerstaaten“ noch nicht von der Krise 1997/98 erholt und tasteten sich erst zu neuen Strategien vor, um ihre exportorientierten Industrien wieder flott zu machen.

Die Weltwirtschaft insgesamt befand sich immer noch in den Nachwehen des Aktienmarktabsturzes aus dem Vorjahr, als die Spekulationsblase der „Neuen Ökonomie“ geplatzt war. Die Strategie der US-Notenbank bestand in der Anheizung des Verbrauchs durch günstige Zinsen und Steuersenkungen für die Mittelschicht. Sie war gerade in dem Bemühen, dem kommerziellen Vertrauensschwund nach dem Angriff auf die Zwillingstürme in New York im September 2001 entgegenzuwirken, verstärkt worden.

Die chinesische Wirtschaft zog unmittelbar Nutzen aus dem Zugang zur WTO. Wie US-Protektionisten niemals müde werden zu betonen, sind Chinas Ausfuhren in die USA, die schon bis 2001 erheblich waren, danach sogar noch schneller gewachsen. Die Gesamtexportziffern kletterten in fünf Jahren nach dem WTO-Beitritt von 20 auf 35% des Bruttoinlandsprodukts. (25) Die amtlichen BIP-Zuwachszahlen betrugen für 2001 8%, für 2002 9%, für 2003 10% sowie für das erste Halbjahr 2007 über 11%.

Die FDI zeigen dasselbe Muster; sie stiegen von  $40,7 Mrd. im Jahr 2000 auf 46,9 Milliarden 2001, 52,7 Milliarden 2002 sowie 53,5 Milliarden 2003. Entgegen den Annahmen verringerten sich die Investitionen aus den USA in den ersten drei Jahren von $4,4 auf 4,2 Mrd. Dafür wuchs der Anteil aus Hongkong, Taiwan, Singapur, Korea und den britischen Jungferninseln zusammen von $25,9 auf 34,4 Mrd. (26)

Mittelbar kam Chinas Wachstum nicht nur benachbarten asiatischen Ökonomien zu Gute, sondern auch entfernter liegenden. Für die asiatischen Ökonomien konnte die Krise Ende der 90er Jahre durch Belieferung Chinas mit Rohstoffen und Halbfertigwaren bewältigt werden, die dann als chinesische Waren endgefertigt und exportiert wurden. So behielten sie die meiste ihrer kapitalintensiven und qualifizierten Arbeit und gliederten die einfacheren Montagebereiche nach China aus und folgten damit den Spuren Taiwans und Hongkongs. Als Ergebnis wurde 2005 die Rekordsumme von $37 Mrd. in den 10 Mitgliedsstaaten des ASEAN Wirtschaftsverbundes investiert (27). Zugleich hat Chinas Rohstoff- und Energiehunger entlegene Volkswirtschaften wie Australien, Lateinamerika und Afrika belebt.

Dieses neue und wachsende Handelsgeflecht hat China den Titel „Motor der Weltwirtschaft“ eingebracht, aber er ist irreführend. Gewiss hat der Außenhandel, gemessen an seinem Anteil am BIP mit 64% (28) einen hohen Stand – verglichen etwa mit den 20% der USA. In Wertbegriffen ist China zurzeit das zweitgrößte Handelsland und könnte Deutschland im Laufe des Jahres sogar vom ersten Rang verdrängen. Diese Zahlen, welche die Werte von Im- und Export zusammenziehen, verschleiern aber, dass Chinas Handelsbilanzüberschuss gegenüber dem Rest der Welt im Allgemeinen sehr knapp ist.

Obwohl China seit vielen Jahren eine positive Handelsbilanz aufweist, ist der Anteil am BIP von 4% (1998) auf etwas über 2% zwischen 2001 und 2004 geschmolzen. Seither erlebt die chinesische Bilanz allerdings einen erheblichen Zuwachs auf 8% des BIP (29).

Eine neuere Untersuchung besagt, dass dies die Folge eines Rückgangs der Importe von relativ unspezialisierten Produkten ist, die entweder für die Wiederausfuhr oder den Inlandsverbrauch bestimmt sind und nun in China selbst hergestellt werden können (30). Nichtsdestotrotz ist die Gesamtsumme des Außenhandels hoch wegen des Wertes der chinesischen Einfuhren. Die Nachfrage hat die Preise für Rohstoffe und Energie nach oben getrieben. Obgleich China gegenwärtig mehr Bestandteile für Ausfuhrgüter erzeugen kann, macht der Wert der eingeführten Halbfertigwaren den Großteil des Wertes der hoch entwickelten Exporterzeugnisse aus, die lediglich in China zusammengesetzt werden.

Exporte

Dieses Verhältnis ist so geblieben trotz größerer Änderungen in der Zusammensetzung von Chinas Exporten. China gilt zwar weiterhin als Hauptquelle für billige Textilien oder Schuhe, aber im Wert haben komplexere Waren wie elektronische Artikel und Computer 2005 einen Anteil von 43% von Chinas Exporten erobert (31). Von besonderem Belang ist der Anstieg bei Exporten von Stahlerzeugnissen und Maschinen – ein Resultat des gewaltigen Aufschwungs in der Produktionskapazität seit der WTO-Anbindung. Jüngste Zahlen zeigen, dass „Kapitalgüter“ schon mehr als 40% des Gesamtausfuhrwertes ausmachen (32). China „verschiebt also die Produktkette nach oben.“ Das heimisch produzierte Exportsegment dehnt sich aus, außer bei hochkomplexen Waren wie Elektronik. Die Produktion dieser Sektoren ist jedoch entweder ganz im Besitz von Auslandsfirmen oder von gemeinschaftlichen Unternehmen auf Fremdkapitalbasis dominiert.

Der wirklich große Wandel vollzog sich dementsprechend durch die Integration von China in das internationale Handelssystem. Das Land ist zu einem Kanal geworden, durch den ein wachsender Teil des Welthandels fließt, aber der Handel ist letztlich bestimmt für die Märkte der imperialistischen Nationen, v.a. die USA. Dorthin gehen allein 21% der chinesischen Ausfuhren. Vor 10 Jahren war der Prozentsatz noch wesentlich kleiner. Zudem bezogen sich diese 17% auf einen geringeren Grundwert.

Dies illustriert die Bedeutung Chinas als Lieferant für eine steigende Konsumnachfrage in den USA, zu welcher der Handel selbst beigetragen hat. Wegen des Umfangs von Chinas Exporten in die USA haben sich Pekings Devisenreserven, großenteils in US-Dollar, seit dem WTO-Anschluss ständig vergrößert. Heute stehen sie bei über 1,3 Billionen Dollar. Ein großer Teil davon ist für den Ankauf von US-Schatzbriefen verwendet worden, womit ein nicht unbedeutender Beitrag für die Erhaltung niedriger Zinsen geleistet wurde, welche die US-Ökonomie im derzeitigen Zyklus gestützt haben.

Chinas Entwicklung zu einer größeren kapitalistischen Wirtschaft war nie nur auf die Erlaubnis für das „globale Kapital“ zurückzuführen, sich billiger chinesischer Arbeitskräfte zu bedienen. Während der letzten drei Jahrzehnte seit den ersten Reformen kam das Kapital in immer größeren Schüben durch die chinesische Bourgeoisie in halbkolonialen Nachbarstaaten ins Land. Dies ist mit der Aufnahme in die WTO so geblieben. 1999 investierten die USA $37 Mill. in der Chemieindustrie, dies steig auf $520 Mill. im Jahr 2005 an. Die FDI aus Taiwan steigerten sich gleichzeitig von $538 Millionen auf 2,4 Milliarden im Elektroniksektor und von $28 Mill. auf 373 Mill. im Bereich Präzisionswerkzeuge (33). Chinesische NiedriglöhnerInnen wurden in arbeitsintensiven Fabriken ausgebeutet und die Produkte anschließend in Ländern verkauft, deren eigene Produktionskosten viel höher waren, v.a. in den USA, Europa und Japan. Dadurch waren chinesische Kapitalisten in der Lage, einen Extraprofit einzustreichen, den sie mit Verkäufen über den eigenen Produktions-preisen realisieren konnten.

Ein Teil dieses Profits wurde durch das Kapital aus den Importländern abgeschöpft. Als schlagendes Beispiel soll hier die Supermarktkette Wal-Mart angeführt werden, die im vergangenen Jahr angeblich Waren im Wert von $14 Milliarden aus China bezogen hat. Dies war aber nicht der Hauptnutzen für die Kapitalistenklasse der imperialistischen Länder. Für die Haupteigner des „globalen Kapitals“, bestand der große Vorteil in der Senkung der Kosten von Verbrauchsgütern, um in deren Folge die Kosten der Arbeitskraft in den eigenen Werken niedrig zu halten oder gar zu drücken. Das hatte die Wirkung, dass der Anteil der „notwendigen Arbeit“ am Arbeitstag verringert werden konnte und darum einen absoluten Anstieg des Mehrwerts möglich machte. Es wäre schwierig bis unmöglich, diese Wirkung zu messen, doch eine Schätzung des Instituts für internationale Ökonomie in Washington legt dar, dass 2003  der „China-Preis“ eine Kostenersparnis zwischen 10 und 20% brachte, bis zu $30 Mrd. jährlich. Zusätzlich übte der „China-Preis“ Druck auf andere Produzentenpreise für Waren im Werte von $500 Milliarden aus Niedriglohnländern ebenso wie für Waren im Wert von $450 Milliarden von amerikanischen und japanischen Konkurrenzfirmen zu China aus (34).

Konstantes Kapital

Die Produktion in China weitete sich auf hoch entwickelte Produkte aus, die in die Wertbildung von konstantem Kapital (Rohstoffe, Gebäude, Maschinen), die Verkürzung von Umschlagszeiten und höhere Kommunikationsgeschwindigkeit Eingang finden konnten. Die niedrigeren Preise führten zu sinkenden Kosten des konstanten Kapitals und würden so dem tendenziellen Fall der Durchschnittsprofitrate entgegenwirken. So wichtig diese Wirkungen auch sein mögen, sie sind nur ein vorübergehender Vorteil, bis sie sich über die ganze Wirtschaft ausgebreitet haben. Danach, wenn die Dinge sich ausgeglichen haben, lassen diese Wirkungen wieder nach. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass sich die Wirtschaftsstrategen der Imperialisten auch über den nur zeitweiligen Erfolg von billigen Exporten klar sind. Am 16.5.07 warnte der Direktor der Bank von England, dass der deflationäre Einfluss von chinesischen Importen „im Abnehmen“ begriffen ist.

Ohne die Erforschung der Möglichkeit, dass die ‚„Kreditklemme“ aus dem Zusammenbruch des faulen Hypothekenmarkts in den USA die Nachfrage sogar nach chinesischen Waren empfindlich dämpfen könnte, was in diesem Rahmen jedoch nicht untersucht werden kann, setzt schon der reine Erfolg von Chinas Exporteuren diesem Prozess Grenzen. Wenn China der Hauptproduzent der Welt für eine bestimmte Kategorie von Waren geworden ist, wird der „China-Preis“ zum alleinigen Preis, und die chinesischen Produzenten können nicht mehr diese Extraprofite ernten. Sie müssen nun miteinander konkurrieren und den klassischen Geschäftszyklus durchlaufen. In der globalisierten Ökonomie sind jedoch die Auswirkungen dieses Zyklus, ihre Auf- und Abschwünge nicht nur lokal spürbar, sondern auf der ganzen Welt.

Der WTO-Boom

Der Produktionsanstieg nach dem Eintritt in die WTO schuf in China Hochkonjunkturbedingungen. Zusätzlich zum bereits erwähnten Sturzbach ausländischer Direktinvestitionen (FDI) händigten nun auch die staatlichen Banken verstärkt Kredite aus. Laut Joe Studwell hatten im Dezember 2004 die gesamten Bankkredite um 58% auf einen Wert von $785 Mrd. zugenommen (35). Wichtigstes Ergebnis war die Ermunterung zu Investitionen in neue Fertigungskapazitäten, mit denen die Fabriken im Hinblick auf noch größere Ausfuhrströme durch die absehbare Abschaffung der Einfuhrquoten auf chinesische Textilien 2004 reagierten. Die Bruttoquote fixen Kapitalanteils am Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg von 34% 2001 auf 40% 2004 und erreichte 2005 50% (36).

Seit 2004 bestand die Regierungspolitik darin, diese Zahlen herunterzuschrauben und somit das allgemeine BIP-Wachstum auf 8% zu drücken. Das vollständige Scheitern, diese Ziele zu erreichen, betont die Tatsache, dass wir Zeugen eines ziemlich typischen kapitalistischen Booms sind, in dem die Kapazität zwecks Eroberung von Marktanteilen so schnell wie möglich aufgestockt wird – ungeachtet der Tatsache, dass das dadurch geschaffene Gesamtpotenzial viel größer wird, als der Markt hergibt. Unter solchen Bedingungen lässt der Trieb zur Produktionssteigerung die Rohstoff- und Energiepreise ebenso klettern wie die örtlichen Lohnkosten, wie sehr immer auch die Arbeitskraft sich global anbietet. All diese Phänomene kann man im aktuellen Boom in der VR China beobachten.

Besonders bedeutend sind die nachweislich steigenden Löhne, worauf Goldman Sachs und „The Economist“ aufmerksam gemacht haben. Gemäß “The Economist” ist die Entlohnung in den strategisch wichtigen Küstenprovinzen 2,5 bis 3 Mal so hoch wie auf den Philippinen und in Indonesien, geschweige denn in Vietnam (37). Derselbe Bericht lässt trotzdem darauf schließen, dass Chinas Ausfuhren allgemein wegen der Produktivitätszuwächse trotzdem konkurrenzfähig blieben. Jedoch hat Goldman Sachs ausgerechnet, dass die Lohnstückkosten im Bergbau, im verarbeitenden Gewerbe und in Versorgungsbetrieben fast um 10% seit 2005 jährlich zugelegt haben. Da diese aber Produktivitätsgewinne widerspiegeln, heißt das, die Werktätigen waren in der Lage, die Löhne hochzutreiben und ihren erhaltenen Anteil am Neuwert (Volkseinkommen) real zu steigern (38).

Der Umfang an Chinas Devisenreserven sowie die Prioritäten, Exportmärkte zu festigen und Rohstoffquellen zu sichern, schufen im Einklang die materielle Grundlage und ökonomische Notwendigkeit für den Beginn des eigenen Exports von Kapital. Der stellt selbstverständlich das offensichtlichste wirtschaftliche Signal für eine Entwicklung in Richtung imperialistischer Macht dar. Es muss aber festgestellt werden, dass solche Ausfuhren im Verhältnis zur Gesamtwirtschaft Chinas und dem Volumen an Kapitalimporten noch winzig sind. Nichtsdestotrotz vervielfachten sich Chinas Übersee-FDI von praktisch Null Anfang der 1990er schnell bis zu einem Gipfel 1994 von $4 Mrd. über $6 Mrd. 2001 bis auf nahezu $12 Mrd. 2005 (39).

Noch im Januar 2007 meinte Ministerpräsident Wen Jiabao auf einem Treffen des Rates für Finanzangelegenheiten, die Entscheidung sei gefallen, dass China mittels Gründung einer neuen Regierungsagentur „die Bewirtschaftung der Auslandsdevisenreserven verstärken und aktiv Kanäle verbreitern und Methoden auskundschaften werde, die Reserven nutzbringend einzusetzen.“ (40) Kommentatoren rechnen damit, dass eine Reserve in Höhe von $ 700 Mrd. unangetastet bleiben wird und $ 500 Mrd. für strategische Kapitalanlagen freigestellt werden. Das stärkt sowohl Chinas Überseeinvestitionen wie es zugleich die eventuellen Verluste beim Halten solch umfangreicher Dollarreserven mindert, wenn sie wahrscheinlich an Wert verlieren werden. Die ersten Früchte dieser Politik bildeten chinesische Anlagen bei Blackstone, einem privaten Finanzinvestmentgeschäft, und bei Barclays Bank, um deren Gebot für die niederländische Bank ABN Amro zu stärken. Da jedoch beide Firmen wahrscheinlich etliche auf den Finanzmärkten erzielte Verluste mit sich schleppen, scheint vor Chinas Investmentagentur vor bitteren Erfahrungen zu stehen.

Auslandskapital

Was ist die Kehrseite der Medaille? In welchem Maß hat der WTO-Beitritt ausländischem, also imperialistischem Kapital gestattet, China über den Rahmen der Exportindustrien hinaus zu durchdringen? Ein Charakteristikum ist klar: FDI werden überwiegend in vollständig AusländerInnen gehörende Firmen gelenkt. Vordem lag die Betonung auf verschiedenen Formen von Gemeinschaftsbetrieben mit Unternehmen in chinesischem Eigentum. Mitte der 1990er Jahre verbuchten diese annähernd 70% „gegenwärtig getätigter Investitionen.“ 2005 war das auf wenig über 30% geschrumpft (41).

Im Jahresbericht 2005 bemerkte die OECD, dass ausländisch kontrollierte Unternehmen 13% des Binnenmarktes ausmachten. Doch „ausländisch kontrolliert“ ist nicht gleich „ausländisch kontrolliert“. Unter diese Kategorie fallen Dachgesellschaften im Kapitalbesitz Taiwans und Hong Kongs. Obwohl diese 13 Prozent im Verhältnis zum Exportmarkt, an dem Auslandsfirmen im Durchschnitt 55% Anteile, in einigen Branchen wie Elektronik sogar um 80% halten, gering erscheint, muss diese doch im Kontext verstanden werden.

Zunächst einmal stellen 13% Marktanteil in einem Land mit einer Bevölkerung von 1,35 Milliarden immer noch sehr großes Absatzgebiet dar. 10 Jahre vorher war diese Zahl noch unbedeutend. Mehr noch, der Marktanteil konzentriert sich auf die Stadtbevölkerung, die weiter wächst. Zweitens erfolgt unter den Bedingungen des Beitritts zur WTO eine stufenweise Öffnung von Chinas Binnenmärkten. Mit anderen Worten: die Zahl von 13% berücksichtigt nicht die Tatsache, dass diese Branchen, vor allem der Dienstleistungssektor, wo Auslandskonkurrenz noch nicht gestattet war, eine Null aufwiesen; umgekehrt war die Zahl höher als 13% in den Branchen, die FDI offen standen.

Schließlich wurden die meisten Beschränkungen formell 2007 abgeschafft, aber die Auswirkung der Auslandskonkurrenz wird nicht unmittelbar spürbar sein wegen der Zeit, die es braucht, um Büros zu eröffnen, Verteilerketten zu bilden und Fachkräfte heranzuziehen sowie alles andere, was nötig ist, um in nationalem Maßstab z.B. im Versicherungs-, Bank-, Gesundheits- und Bildungswesen physisch anwesend zu sein.

Es bleibt abzuwarten, bis zu welchem Grad die Annahme der WTO-Regeln dazu führt, dass China von multinationalen Konzernen beherrscht wird, die ihren Sitz in imperialistischen Ländern haben. Da diese Regeln ausdrücklich dafür gestaltet wurden, für diese Konzerne eine „offene Tür“ zu schaffen, indem nicht nur offen protektionistische Maßnahmen wie Zölle und Einfuhrquoten verboten sind, sondern auch weniger offensichtliche Formen von Subventionen und Vorzugsbehandlung, ist die Drohung mit der Unterwerfung unter einen halbkolonialen Status sehr realistisch.

Besonders das US-Kapital betrachtet China weiterhin vor allem als Markt. Unter den neuen Bedingungen hat sich das auszuzahlen begonnen. Laut der US-Handelskammer erreichen die Durchschnittsrenditen der Investitionen etwa 14% (42). Doch die schiere Undurchsichtigkeit chinesischer Geschäftspraktiken und praktischen Hindernisse dabei, die Vorherrschaft in einem so großen Land zu erringen, sollten nicht unterschätzt werden; ebenso gilt das für die Fähigkeit von Regierung und Partei, nationalistische und chauvinistische Gefühle zu mobilisieren, um einem zu aggressiven Ausbreiten innerhalb Chinas zu begegnen.

Klassenbildung

In diesem Moment, da wir uns dem 30. Jahrestag des ersten Dengschen Reformprogramms nähern, zeigt sich China ein einzigartiges Beispiel für kombinierte und ungleichzeitige Entwicklung, einzigartig in Zusammensetzung und Ausmaß. Die anfänglichen Reformen gestatteten die Herausbildung von Kapital innerhalb der VR China, aber die strikte Regulierung durch die Partei stellte sicher, dass die im Inneren entstehende Kapitalistenklasse gegängelt und überwacht wurde. Gleichzeitig lieferte die Etablierung der Küstenenklaven ein Reservoir billiger Arbeitskräfte zwecks Ausbeutung durch die chinesische Exilbourgeoisie. Obwohl das diese sicher bereichert hat, blieb sie doch im Exil gespalten und war abhängig von Peking und der Kommunistischen Partei für die Garantie der Bedingungen, unter denen sie aufblühen konnte.

Die streng kontrollierte Restauration des Kapitalismus unterhöhlte die Planwirtschaft, erlaubte jedoch nicht nur viele Aspekte staatlicher Wirtschaftsüberwachung, sondern auch der vom degenerierten Arbeiterstaat ererbten politischen Struktur beizubehalten, v.a. die Partei und den Sicherheitsapparat.

Alle chinesischen Konzerne, die „nationale Spitzenreiter“ werden sollen wie Sinopec, Huawei, Lenovo, Baoshan Stahl, Schanghai Auto und Nanking Auto verdanken ihre Größe und Kapitalquelle ihren Wurzeln im Staatssektor und haben alle sehr enge Beziehungen zu Staat und Partei aufrechterhalten. Nur Haier, das Haushaltsverbrauchsgüter herstellt, scheint als unabhängige Gesellschaft von seinen Ursprüngen aus einer bankrotten Fabrik des kleinen und mittleren Stadt-Land-Sektors her aufgebaut worden zu sein.

Wegen der andauernden Parteidiktatur ist es besonders aus der Ferne unmöglich, das Ausmaß zu kennen, in dem die verschiedenen Bestandteile einer neuen chinesischen Kapitalistenklasse, die zweifellos „an sich“ existiert, zu einer Klasse zusammengeballt sind, die sich ihrer Interessen bewusst und fähig ist, diese in einem politischen Programm zu formulieren, dass die Bedürfnisse dieser Klasse „für sich“ formuliert.

Ein neuer Bericht legt jedoch nahe, dass dieser Prozess im Gang ist. Im August enthüllte eine amtliche Untersuchung illegaler Finanzgebaren die Existenz eines geheimen Bankunternehmens mit Sitz in Shenzhen. Dem Bericht nach hatte es seit 8 Jahren bestanden und Geschäfte in jeder Landesprovinz betrieben. Gerade in den letzten anderthalb Jahren hatte es Transaktionen im Wert von $544 Mio. allein in der Shenzhenzone vollzogen. Zu seinen Kunden zählten Staatsfirmen und ausländische Multis. “The Economist” schrieb, eine Studie der Zentraluniversität für Wirtschaft und Finanzen habe gezeigt, dass solche Banken „800 Mrd. Yüan jährlich (etwa $100 Mrd.)“ verliehen (43). Unternehmungen solchen Ausmaßes erklären, warum Peking unfähig war, die Wirtschaft zu kontrollieren und spekulative Investitionen niederzuhalten; sie verdeutlichen auch, dass Chinas neues Bürgertum bereits einen bemerkenswerten Grad gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenhalts entwickelt hat.

In anderen Ländern, wo die „kombinierte und ungleichmäßige Entwicklung“ eine neue Bourgeoisie gegen ein politisches Regime formierte, das sich z. B. auf eine Grundbesitzerklasse stützte, traf es im Allgemeinen zu, dass die Klasse ungeachtet der Unterstützung bürgerlicher IdeologInnen für demokratische Rechte oder sogar Revolution selbst so schwach war, dass sie generell vor einer offenen Konfrontation mit dem ancien régime zurückschreckte. Mehr noch, in Anbetracht der Perspektive, dass ihr eigener Besitz durch die Klassenkämpfe der Arbeiterschaft und Bauernarmut in Gefahr geriet, würde sie sich bei Bedarf auf die Seite selbst des unterdrückerischsten Regimes schlagen.

Doch in China steht die Sache etwas anders. Alle Kapitalisten leiten einigen Nutzen aus der diktatorischen Macht der Partei ab. Die Partei aber ist in letzter Instanz Agentur einer bürokratischen Kaste, keine sozial verwurzelte Klasse. Schon nennen sich 20% der Parteimitglieder „Geschäftsleute“. Es ist kein Geheimnis, dass auf jeder Ebene Parteifunktionäre und -vorstände sicher dafür sorgen, dass ihre Söhne und Töchter in Führungspositionen der ehemaligen Staats-Unternehmen aufrücken, die nun darum wetteifern, große Aktiengesellschaften zu werden.

Wie wir aber gesehen haben, hat das Privatkapital in den letzten Jahren stark zugelegt. Man kann erwarten, dass es in Gegensatz zur Dauerherrschaft einer Partei gerät, die systematisch Ressourcen für ihre Kumpane und ausgesuchte Unternehmen abzweigt. Auf ähnliche Weise wird wohl das chinesische Bürgertum in Hong Kong und auf Taiwan niemals die „Kommunistische Partei“ als die ihrige ansehen. Die Bourgeoisie auf Taiwan verfügt über eine eigene Partei und Erfahrung in der Ausübung von Staatsmacht. Schließlich hätten die imperialistischen Mächte jeden Grund, die Zerstörung potenzieller KonkurrentInnen und das völlige Aufbrechen des chinesischen Marktes als Kreuzzug gegen KommunistInnen und Diktatur aufzuführen. So können wir davon ausgehen, dass ernsthafte gesellschaftliche Erschütterungen in China das Überleben der Partei in der gegenwärtigen Form bedrohen und deshalb eine Grundfrage aufwerfen: Wer soll herrschen?

Die Arbeiterklasse

Jede Entwicklung des Kapitalismus beinhaltet mit Notwendigkeit auch eine Veränderung der Lohnarbeiterklasse. In China ist diese auf ca. 350 Millionen angewachsen. Obwohl von einer homogenen Klasse weit entfernt, stellt sie eine Kraft dar, die bereits blutige Erfahrungen in Klassenauseinandersetzungen gemacht hat. Wie viele Schilderungen von Protesten und Streiks zeigen, hat sie die ersten Schritte zur Selbstorganisation zurückgelegt. 2006 verzeichnete das Ministerium für Arbeit und soziale Sicherheit 317.000 Arbeitskonflikte mit davon betroffenen 680.000 ArbeiterInnen und verzeichnete weitere 130.000 Meinungsverschiedenheiten, in die es eingegriffen hatte, um zu verhindern, dass sich ein Konflikt entwickelt (44). Beständig zunehmende Zahlen und Ausmaße von Auseinandersetzungen schlagen sich im Entwurf für ein neues Arbeitsgesetz nieder, der gegenwärtig vor dem Nationalen Volkskongress verhandelt wird (45).

Unter der Parteidiktatur kann jedoch keine Rede von friedlicher Entstehung unabhängiger Arbeiterorganisationen sein – weder politischer noch gewerkschaftlicher. Die vom Staat genehmigten Gewerkschaften des Allchinesischen Dachverbands ACGB haben zwar gelegentlich Arbeiterbeschwerden aufgegriffen und gelten immer noch als mögliche Kanäle für Proteste und das Vertreten von Arbeiterinteressen, insbesondere im Bereich, der dem Ausland gehört. Ihre völlige Unterordnung unter Partei und Staat bedeutet aber, dass sie keinen unabhängigen Kurs einschlagen oder irgendeine Aktion anführen können, welche den Staat wirklich herausfordert.

Schließlich steht Chinas immer noch riesige Bauernschaft von vielleicht 800 Millionen mitten in einem grundsätzlichen Konflikt. Der ursprünglich dramatische Einkommenszuwachs der Höfe hielt nur bis Mitte der 1980er an. Seitdem hat eine Abfolge von Klassendifferenzierung und Wanderung das Leben umgekrempelt. Offizielle Zahlen zeigen, dass 114 Millionen in der größten Massenwanderung der Menschheitsgeschichte vom Land weggezogen sind (46). Der Verstädterungs- und Industrialisierungsgrad hat auch direkte Auswirkungen auf die LandwirtInnen gehabt, indem Provinz- und Gemeindefunktionäre ihr Land oft ohne Entschädigung an sich gerissen haben. Berichten zufolge gab es 87.000 amtlich registrierte öffentliche Proteste im Jahr 2006 als Reaktion auf solche Landnahmen. Solche Geschehnisse unterstreichen die innige Verknüpfung des „Landes“ mit der „Stadt“ in China.

Natürlich gibt es noch abgelegene, isolierte Gegenden, das Gros der Bevölkerung ist aber in den großen Flusstälern konzentriert. Diese stehen städtischen Einflüssen viel aufgeschlossener als früher gegenüber. Gerade der Umfang an Binnenwanderungen stellt im Zeitalter des Mobiltelefons sicher, dass es zwischen Stadt- und Dorfbevölkerung enge Kontakte gibt.

Das Tempo des Wandels auf dem Land wird sich unter dem Einfluss des Beitritts zur WTO noch beschleunigen, weil die Öffnung der Volksrepublik für Auslandserzeugnisse eine dramatische Verschiebung der Anbausorten und -methoden erzwingt. Die chinesische Agrarkultur brachte vor dem Beitritt etwa $5 Mrd. aus Exporten ein. 2005 berichtete die OECD von Nettoimportkosten von $11 Mrd. (47). Bereits 30% der Schweinefleischerzeugung und 70% der Geflügelproduktion werden von „spezialisierten“ Geschäften und nicht den traditionellen Bauernhöfen erbracht. Der kapitalistische Fortschritt wird die Landkonzentration fördern; gegenwärtig beträgt die durchschnittliche Farmgröße nur 0,65 Hektar, aufgeteilt auf mehrere nicht zusammenhängende Ackerflächen.

Dorf und Stadt

Politisch folgt das Dorf der Stadt. Die Bauernschaft in der VR China bildete das gesellschaftliche Rückgrat des Regiments der Kommunistischen Partei und stellt den Großteil der Streitkräfte. Nun müssen aber die innere Klassenspaltung der Bauernschaft und ihre ständigen Zusammenstöße mit Partei und Staatsbeamten ihre Treue in Frage stellen.

So hat die Restauration des Kapitalismus Kräfte freigesetzt, welche die chinesische Gesellschaft ummodeln, neue Klassen heranzüchten, Millionen umsiedeln und neue Städte in einer Größe und mit einem Tempo aus dem Boden stampfen, die man nie vorher gesehen hat – aber unter einem politischen Regime, der Einparteidiktatur, die von einem degenerierten Arbeiterstaat entlehnt ist, in welchem Wanderungen verboten waren und die Volkswirtschaft von Agenturen der Zentralregierung dirigiert wurde. Die Diktatur vereitelt, die volle Dynamik der Klassenherausbildung zu erkennen, weil Klassen sich im wirklichen Kampfgeschehen formieren. Solange der aktuelle Boom andauert, wird die chinesische Gesellschaft undurchsichtig bleiben. Doch alle Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass die energischsten Kräfte in der chinesischen Gesellschaft sich gegen die Partei richten und demokratische Rechte fordern werden, mittels derer sie sich zu verteidigen und ihre speziellen Interessen vorzutragen gedenken, sobald einmal diese Umstände in Frage gestellt sind.

Wir sollten keinen Zweifel haben, dass innerhalb jeder Massenbewegung für demokratische Rechte die Agenten nicht nur des chinesischen Bürgertums darauf bedacht sind, Massenmobilisierungen für die Förderung ihrer Interessen auszunutzen, sondern auch jene der imperialistischen Staaten. Diese sind entschlossen, demokratische Illusionen zu manipulieren, um China auf eine Halbkolonie zurechtzustutzen, wie sie es bei den Ländern Mittel- und Osteuropas praktiziert haben.

Wir können bereits einige der Themen vorweg bestimmen, um die es Organisationsversuche geben wird: „Menschenrechte“ für reaktionäre Bewegungen wie die Falun Gong, Unterstützung für „kämpfende Unternehmen“ gegen staatlich subventionierte Aktiengesellschaften, Pressefreiheit bei der Berichterstattung über politische Skandale und, vielleicht, wie einst in Polen, Aufbauhilfe für „freie“ Gewerkschaften. Die Verwicklung bürgerlicher Erfüllungsgehilfen in solche Bewegungen darf die arbeitende Klasse nicht hindern, berechtigten demokratischen Forderungen Nachdruck zu verleihen; das Hauptaugenmerk muss aber auf unabhängige politische Organisierung gelegt werden.

Innerhalb der Organisationen, die im Kampf ins Leben gerufen werden, treten revolutionäre KommunistInnen für die Bildung von Industriegewerkschaften auf nationaler Stufenleiter ein, die sich von den amtlichen Gewerkschaften dadurch unterscheiden, dass sie von ihren Mitgliedern mittels gewählter und abrufbarer Delegierter auf allen Ebenen direkt gelenkt werden. In den kleinen und großen Städten setzen sie sich für die Schaffung von auf dem Prinzip gewählter VertreterInnen fußenden Arbeiterräten ein, die die öffentliche Ordnung kontrollieren, Rationen austeilen und die Produktion unter Bewachung durch eine Arbeitermiliz am Laufen halten. Gleichzeitig appellieren sie dringlich an alle, die sich sowohl dem Sturz der Parteidiktatur wie der Kapitalherrschaft verschrieben haben – ob chinesischer oder fremder -, die eine neue revolutionäre Partei schmieden wollen, die dem Programm der Permanenten Revolution verpflichtet ist.

Großmacht

Das heutige China ist eine Gesellschaft im Übergang. Wir sahen, wie Elemente des alten degenerierten Arbeiterstaates mit Merkmalen sowohl einer Halbkolonie wie einer imperialistischen Macht ko-existieren. Es gibt eine zunehmende Durchdringung mit imperialistischem Kapital und die Überausbeutung großer Teile der LohnarbeiterInnen, aber auch einen beginnenden Kapitalexport. Diesem kann die militärische Dimension hinzugefügt werden: die Bildung des Schanghaier Rates für Zusammenarbeit, die jüngste Demonstration der Fähigkeit, Satelliten abzuschießen. Das ist ein instabiles und explosives Gemisch.

Es kann keinen Zweifel daran geben, dass Pekings Pläne auf die Wiederherstellung Chinas als Großmacht zielen. Aber ein Land von der Größe Chinas kann nicht friedlich in eine Welt integriert werden, welche bereits zwischen den großen imperialistischen Mächten aufgeteilt ist. Um auf der Grundlage der wiederhergestellten kapitalistischen Eigentumsverhältnisse das Wirtschaftswachstum zu verstetigen, müsste China seine Ausfuhr weiter ankurbeln sowie den Binnenverbrauch und die Zentralprovinzen fördern. Das würde nicht nur bedeuten, Märkte zu sichern, sondern auch große Energie- und Rohstoffquellen, die damit anderen Mächten vorenthalten werden. Mit anderen Worten: China müsste selbst imperialistische Großmacht werden. Doch schon Lenin wies darauf hin, dass in der imperialistischen Epoche eine neue imperialistische Macht nur aus der Neuaufteilung der Welt hervorgehen kann. Jeder bedeutsame Schritt in diese Richtung würde sofort von der einen oder anderen – oder allen – imperialistischen Mächten als Drohung betrachtet werden und Maßnahmen provozieren, um Chinas Vormarsch zu stoppen bzw. für eigene Zwecke zu missbrauchen.

Geradezu gewiss ist, dass die existierenden halbkolonialen Züge verstärkt werden, bis China eine vollständig unterwürfige Halbkolonie geworden ist, falls es seine unabhängigen kapitalistischen Interessen nicht vorantreiben kann. Das Tempo mag schnell oder langsam sein; an einem gewissen Punkt würde es die KP-Diktatur in Frage stellen, deren Legitimität auf wirtschaftlichem Wachstum und – vielleicht vor allem anderen – auf Souveränität des Landes beruht.

Zu diesen destabilisierenden Kräften gesellen sich steigende soziale Spannungen im Gefolge eines Konjunkturabschwungs der chinesischen Wirtschaft. Jeder Versuch auszumachen, wann genau die Talfahrt erwartet werden darf, gerät zu fruchtloser Spekulation. Der gegenwärtige chinesische Zyklus startete vor der Jahrtausend-wende. Der gegenwärtige Fieberwahn der Wirtschaft mit fast unbekanntem hohen Investitionsvolumen, steigenden Rohmaterial- und Arbeitskosten und zunehmend hektischen Börsenumsätzen deuten darauf, dass er sich auf seinen Gipfel zu bewegt.

Doch China ist weit entfernt von einer „klassischen“ kapitalistischen Ökonomie. Der Staat spielt noch eine große Rolle in der Produktion und verfügt über riesige Hilfsquellen, die z.B. für die Ankurbelung des Binnenkonsums, die Stützung schwächelnder Firmen und Ermunterung der Ansiedlung von Produktionsstätten eingesetzt werden können. Ebenso steckt die Vergabe von Verbraucherkrediten in China noch in den Kinderschuhen. Das Maß kapitalistischen Fortschritts wechselt von einer Industrie zur andern; alles könnte die Geschwindigkeit beeinflussen, mit der der Niedergang eine Schneise durch die Wirtschaft schlägt.

Außerdem gibt es keinen Grund zur Annahme, eine politische Krise müsse mit einem offen „ökonomischen“ Anlass beginnen. Unterdrückungsmaßnahmen gegen Proteste zum Zeitpunkt der Olympischen Spiele, Umweltkatastrophen wie ein Dammbruch oder verseuchte Trinkwasservorräte, Bauernproteste gegen Landraub, Arbeitermobilisierungen gegen fehlende Lohnzahlungen, gefährliche Arbeitsbedingungen oder Bestrafung von AktivistInnen – all‘ dies könnte zum Auslöser für Massenproteste und Streiks werden, welche die Zukunft des Regimes viel ernster bedrohen könnten als zur Zeit der Demokratiebewegung und der Demonstrationen auf dem Tiananmen-Platz.

Schluss

Was perspektivisch zählt, ist: der chinesische Kapitalismus kann den Konsequen-zen seines eigenen Erfolgs nicht entrinnen! Seine modernsten Branchen brauchen sogar eine Bereinigungskrise, um die Ökonomie von den unproduktivsten Einzelkapitalen zu säubern, eine neue Runde von Konzentration und Zentralisation einzuläuten und die Voraussetzungen für bessere Verwertungsmöglichkeiten und höhere Profitraten zu schaffen. Das aber nicht ohne die gesellschaftliche Erschütterung einer Konjunkturkrise vor sich gehen. Im Kontext schrumpfenden Ausstoßes, von Schließungen und Entlassungen, Pleiten und Massenarbeitslosigkeit, unzureichender sozialer Absicherung für die besser gestellten Sektoren der Lohnarbeiterschaft und überhaupt keiner für über 100 Millionen illegaler WanderarbeiterInnen vom Lande kann man darauf zählen, dass Arbeiterklasse und arme Bauernschaft den Kampf aufnehmen. Um aber zu gewinnen, müssen sie eine auf ihren eigenen unabhängigen Organisationen gegründete neue politische Führung kreieren!

Die Strategie, China durch die Restauration des Kapitalismus voran- und die Bourgeoisie zurückzubringen, hat das Land an den Rand eines kolossalen internen Konflikts und der Aussicht auf erneute Auslandsherrschaft geführt. Auf kapitalistischem Fundament kann Chinas Zukunft entweder die einer imperialistischen Macht oder einer Semikolonie sein. Beide Ergebnisse würden eine herbe Niederlage für Arbeiterklasse und Unterdrückte landesweit wie international verkörpern. Aber in den kommenden Klassenkämpfen liegt das Potenzial für eine dritte Alternative: die StalinistInnen zu besiegen, die den Kapitalismus haben wiederauferstehen lassen, das chinesische Unternehmertum, das sich noch nicht als Klasse fest zusammengeschlossen hat sowie die Imperialisten, die noch keinen sicheren Rückhalt im Land haben.

Der Sieg über diesen dreifachen Feind könnte nur mittels Gründung eines Arbeiterstaates errungen werden, der sich nicht nur auf die Enteignung des Kapitals stützt, sondern vorrangig auf die Machtausübung der LohnsklavInnen und ihrer Verbündeten unter der Bauernarmut vermittels ihrer eigenen, demokratisch kontrollierten Räte.

So wie die kapitalistische Entwicklung die Bedingungen für die wirtschaftliche, soziale und politische Krise in China erzeugt hat, wird die Globalisierung dafür sorgen, dass die Nachwehen dieser Krise schneller als alle anderen in der Geschichte um die Welt gehen werden. Gerade weil China eine Schlüsselrolle in der Stabilisierung des globalen kapitalistischen Systems gespielt hat, wird jede Destabilisierung in der Volksrepublik sofort die Schwächen, die sich in den imperialistischen Ökonomien summiert haben, enthüllen und verstärken. Wie die verschiedenen Klassen weltweit auf eine womöglich international synchronisierte Krise antworten, kann nicht vorausgesagt werden. Es kann allerdings wenig Zweifel daran geben, dass das Ergebnis ihrer unvermeidlichen Konflikte einen Hauptfaktor bei der Gestaltung der nachfolgenden Geschichte des 21. Jahrhunderts ausmacht.

Fußnoten und Anmerkungen

(1) Das Gemeinsame Programm, zitiert nach J. Chesneaux, in China: The People’s Republic 1949-76, London, 1979, S.9

(2) Zahlen aus: B. Naughton, The Chinese Economy, Cambridge (Massachusetts), S. 78 und aus: Noland und Ash, China’s Economy on the Eve of Reform, in: China Quarterly 144, London, 1995, S. 982

(3) ebenda.

(4) Naughton, a.a.O., S. 78

(5) ebda.

(6) 1981 wurden 91% aller Exporte und 87% der Importe von Außenhandelsfirmen kontrolliert, die dem Ministerium für Auslandsbeziehungen und Außenhandel direkt unterstellt waren; 1984 beliefen sich ihre diesbezüglichen Anteile auf 79% bzw. 65% (Sun Wenxiu, zitiert nach Nicholas Lardy, im Kapitel Chinese Foreign Trade in: The Chinese Economy Under Deng Xiaoping, Oxford, 1996, S. 227)

(7) ebenda., S. 222

(8) ebenda., S. 224

(9) Zahlen aus T. Sinclair, Redefining State, Plan and Market in: China Quarterly, a.a.O., s. 1026

(10) Naughton, a.a.O., S. 286

(11) Für eine detaillierte Diskussion von Emporkommen und Einfluss der SUD siehe Trotskyist International 22, Juli 1997. Zum Zeitpunkt dieser Übersicht war es besonders wichtig, den grundlegend kapitalistischen Charakter des SUD-Sektors trotz seiner nominellen Bezeichnung als „Kollektiveigentum“ zu betonen, um die Dynamik hinter dem Restaurationsprozess zu begreifen. Die Schlüsselfunktion von Partei- und Staatsfunktionären in der erdrückenden Mehrheit von Betrieben blieb jedoch ein extrem bedeutsamer politischer Faktor, der Überwachung und Kontrolle gewährte, während der Bereich aufstrebte. Heute, da einige Firmen, die diesem Bereich entwachsen sind, sich zu Konzernen gemausert haben, bleibt die Bedeutung der engen Verzahnung vieler Unternehmen mit dem Partei- und Staatsapparat bestehen.

(12) Naughton, a.a.O., S. 403

(13) Lardy, a.a.O., S. 1074

(14) Eine ausführlichere Darlegung in Trotskyist International, a.a.O.

(15) Zitiert nach Jonathan Story in: China, the Race to the Market, London, 2003, S. 100

(16) Eine detaillierte Untersuchung der Globalisierung in: Globalisierung, Antikapitalismus und Krieg – Ursprünge und Perspektiven einer Bewegung, Berlin, Dezember 2001 sowie Anti-Capitalism, London, 2004

(17) Zahlen aus: David Harvey, A Brief History of Neoliberalism, Oxford, 2005, S. 124

(18) Lt. amtlichen Zahlen stellte Hongkong die Quelle von 42% der gesamten FDI im Zeitraum 1985 – 2005 dar; zitiert nach: Naughton, a.a.O., S. 412

(19) Story, a.a.O., S. 192

(20) Harvey, a.a.O., S. 144

(21) Naughton, a.a.O., S. 144

(22) Harvey, a.a.O., S. 128

(23) ebenda.

(24) Zahlen nach: Nationaler Volkskongress, zitiert in: Green Left Weekly, 5. September 2007

(25) Zahlen aus: Global Economics Paper 147, Goldman Sachs, Oktober 2006

(26) Zahlen aus: OECD Economic Surveys, China, 2005, S. 36

(27) Zahlen aus: The Economist, 31. März 2007, S. 10

(28) Naughton, a.a.O., S. 377

(29) Zahlen aus: Li Cui und Murtaza Syed, The Shifting Structure of China’s Trade and Production, IWF-Arbeitspapier 07/214, S. 5

(30) ebenda., passim

(31) Zahlen aus: The Economist, a.a.O., S. 11

(32) ebenda., S. 7

(33) Li und Syed, a.a.O., S. 6

(34) Zahlen aus Fishman in: China Inc., London, 2005, S. 285

(35) Joe Studwell, The China Dream, 3. Auflage, London, 2005, S. 285

(36) Naughton, a.a.O., S. 145

(37) ebenda., S. 12

(38) Goldman Sachs, a.a.O.

(39) Zahlen aus: The Economist, a.a.O., S. 6

(40) Bericht in Asian Times Online, 27. Januar 2007

(41) Zitiert durch Naughton, a.a.O., S. 412

(42) Doch angesichts des verhältnismäßig geringen Ausmaßes an Investitionen seitens der USA ist selbst diese Ertragsmarge ganz unzureichend, um einen qualitativen Eindruck in der US-Wirtschaft insgesamt zu hinterlassen, die sich im BIP-Maßstab auf etwa 13 Bill. $ addiert.

(43) The Economist, 9. August 2007

(44) Zahlen aus Green Left Weekly, a.a.O.

(45) Die Substanz dieses Entwurfs war Gegenstand permanenten Lobbyismus‘ durch internationale Konzerne. Diese wollten jede Verbesserung von Arbeiterrechten verwässern. Details unter: www.fifthinternational.org/index.php?id=210,0,0,1,0,0

(46) Harvey, a.a.O., S. 127

(47) OECD-Überblick, a.a.O.