AfD: Rassismus im Parlament – und nicht nur dort

Wilhelm Schulz, Neue Internationale 224, November 2017

Mit der AfD ist eine offen rassistische Partei in den Bundestag eingezogen. Gauland verspricht, die Regierung zu „jagen“ und „das Volk zurückzuholen“. Mit 12,6 % und 94 Abgeordneten ist sie die drittstärkste Kraft im Parlament.

Ihr Sieg ist das deutlichste und beunruhigendste Signal des aktuellen gesellschaftlichen Rechtsrucks der letzten Jahre. Schien sich die AfD in den letzten Jahren nach Spaltungen oft selbst zu zerlegen, so ist die Partei aktuell konsolidiert. Der Austritt Petrys lehrte die Parteiführung nicht das Fürchten, sondern hat sie eher erleichtert.

Nährboden

Vor allem aber: Die Bedingungen, die zum Wachstum der AfD trotz zweifelhaften Personals und innerer Streitigkeiten führten, drohen, ihr auch in der nächsten Legislaturperiode „WutbürgerInnen“, WählerInnen und AnhängerInnen zuzutreiben.

Die soziale Unsicherheit wird größer werden. Altersarmut und Angst vor einer ungewissen Zukunft werden zunehmen. Der Konkurrenzdruck in den Betrieben wird nicht geringer – zugleich wird auch die Bundesregierung MigrantInnen, Geflüchtete zu Sündeböcken machen, „überzählige“ Menschen abschieben, die Grenzen abschotten und gegen MuslimInnen hetzen.

Die Krise der EU wird unvermindert weitergehen. Zugleich wird auch die Regierung Patriotismus und Nationalismus – natürlich nur in ihrer vermeintlich „zivilisierten“ Form – puschen, um Deutschland im globalen Wettbewerb stärker zu machen. So soll zugleich nicht nur eine noch stärkere Dominanz der EU durch Deutschland und Frankreich gerechtfertigt werden, sondern auch die Aufrüstung der Bundeswehr, Waffenexporte, Interventionen, Militarismus und Eingreifen im Inneren.

Die nächste Regierung wird dort anknüpfen, wo die Große Koalition aufgehört hat – nur unter einem noch rechteren Vorzeichen. Die AfD verkauft das als eine Bestätigung ihrer Politik.

Dies fällt ihr umso leichter, weil die Kritik an der AfD durch den bürgerlichen Mainstream tatsächlich von Grund auf verlogen ist. Während Gauland mit einem Anknüpfen an die „soldatischen Tugenden“ der Wehrmacht „Tabus“ bricht, die ohnedies im deutschen Bürgertum und Staatsapparat nie so tabu waren, baut die „offizielle“ Politik mit Pomp und Staatsknete die Garnisonskirche in Potsdam wieder auf. Während die AfD gegen Geflüchtete hetzt, schiebt die Regierung ab.

Mit dem Einzug ins Parlament verfügt sie über eine Tribüne, von der aus sie ihre Mischung aus rassistischer Hetze, rechts-populistischer Demagogie, Neoliberalismus, national-konservativen bis völkischen „Vorstößen“ medienwirksam ausposaunen kann.

Was ist die AfD?

Die bürgerliche Politik (und auch ein Teil der Linken) schwankt hinsichtlich der AfD zwischen Dämonisierung, Entwarnung und Anbiederung. So denunzieren sie Teile der SPD, aber auch der radikalen Linken als Nazis. Zugleich soll sie im Bundestag nicht „ausgegrenzt“ werden, damit sie sich nicht als Märtyrerin präsentieren kann.

Hinzu kommt, dass die AfD selbst ein in sich gegensätzliches und in Bewegung befindliches Projekt ist, das sowohl Elemente einer extrem neo-liberalen Partei wie einer national-konservativen bis hin zum Völkischen vereint. Rassismus, Chauvinismus und Populismus bilden den Kitt, der den Laden zusammenhält.

Als Oppositionspartei im Bund und in den Ländern drückt ein Flügel der Partei die AfD vermehrt in Richtung Rechtsradikalismus. Höcke und andere möchten die Truppe zweifellos zu einer halbfaschistischen oder wenigstens rechtsradikalen Partei nach dem Muster der Front National machen. Dieser Flügel wird neben der Medienwirksamkeit seiner „Vorstöße“ sicher auch die Mobilisierung ehemaliger NichtwählerInnen und die Gewinnung von VerliererInnen der Merkel-Politik, verarmter, abgehängter, aber auch politisch demoralisierter Arbeitsloser und Beschäftigter für sich reklamieren.

Andere wiederum sehen den „Radikalismus“ der Partei vor allem als Druckmittel gegenüber der CDU, aus deren rechtem, national-konservativem Flügel sie oftmals selbst stammen. Sie wollen eine Abkehr von der Politik Merkels. Diese präsentiert die Politik des deutschen Imperialismus als „vernünftig“, „demokratisch“ und so weltoffen wie die globale Konkurrenz. Rechtsradikalismus und Deutschtümelei erscheint diesen demokratischen Merkel-PatriotInnen als geschäftsschädigend. Aber die AfDlerInnen wissen, dass die CDU/CSU auch anders sein kann – wie eine Million Stimmen beweisen, die sie von der Union gewannen.

Somit wird der Erfolg der AfD einerseits die Partei stabilisieren. Andererseits wird er auch den Kampf um die Führung der Partei, die „richtige“ rechte Ausrichtung permanent befeuern.

Flügel

Für die nächste Periode müssen wir uns wohl aber darauf einstellen, dass nicht die Spaltung der Partei oder ihr Selbstzerlegen auf der Tagesordnung steht. Für beide Flügel ist der Wahlerfolg, das große Milieu, das die Partei anziehen konnte, Grund genug, der Partei die Stange zu halten.

Alle wollen Hechte im großen AfD-Wählerinnenteich sein – und nicht wie Lucke oder Petry im eignen Tümpel schwimmen. Trotzdem ist es wichtig, die Pole der Partei kurz zu skizzieren.

Auf der Rechten findet sich der halbfaschistische bis national-konservative Flügel, der einen zunehmend völkisch-nationalen Kurs verfolgt.

Dieser stützt sich auch aktiv auf die außerparlamentarische Bewegung des gesellschaftlichen Rechtsrucks und versucht dabei mitunter durch mehrdeutige Phrasen, alle Teile der neu-rechten Bewegung zu integrieren. Dies führt beispielsweise zu bewusst doppeldeutigen Aussagen u. a. von Björn Höcke wie denen in seiner „Denkmal der Schande“-Rede.

Aber auch die Politik der baden-württembergischen AfD-Landtagsfraktion die zwischen dem 1. Mai 2016 und dem 15. März 2017 insgesamt 284 „kleine Anfragen“ gestellt hat – auf Platz 2 befindet sich die FDP mit 159 – zielt weniger auf direkte Einflussnahme auf den Landtag als auf eine Politik der Entlarvung ab. Kurzum, diese nutzen das Parlament vermehrt als Podium, weniger als Austragungsort ihrer politischen Ziele. Auch wenn sich im Auftreten dieser Kräfte einige Überschneidungen mit Eigenschaften faschistischer Kräfte finden, so stellt die AfD ein Orientierungsfeld, in manchen Regionen eine Art Arbeitsfeld für faschistische IdeologInnen dar. Sie ist aber noch weit davon entfernt, einen Pol zur Organisierung faschistischer Kräfte darzustellen.

Auf der anderen Seite gibt es einen Flügel, der die Macht im Staat beziehungsweise eine verstärkte Einflussnahme auf den bürgerlichen Staat als ideellen Gesamtkapitalisten anstrebt. Dieser findet sich auch eindeutiger in weiten Teilen des Parteiprogramms wieder, wenn wir die Parteilinie des zunehmenden Schreis nach Recht und Ordnung, aber auch nach Auflösung sozialstaatlicher Errungenschaften bei zunehmender nationaler Abschottung beachten. Die Existenzberechtigung dieses Flügels bemisst sich als Korrektiv an der Krisenpolitik des Mehrheitsflügels der CDU/CSU im Verlauf der Regierungspolitik unter Merkel. So versucht die AfD, doch einen Pol in der herrschenden Klasse zu verkörpern, der durch diese Politik seine zunehmende Schwächung fürchtet. Hierzu nur ein paar Beispiele:

Die AfD fordert den Austritt aus der Eurozone und die Wiedereinführung der Deutschen Mark. Der Euro selbst stellt dabei eine relativ harte Währung dar, der sich aber an der Wirtschaftsleistung der durchschnittlichen Produktivität des geschaffenen EU-Binnenmarktes und nicht an der Stärke der deutschen Ökonomie allein orientiert. Somit kann das auf Export ausgerichtete Kapital die eigenen Waren in diesem Raum konsequent vertreiben, sind doch die Stückkosten oftmals um einiges geringer als in den meisten anderen europäischen Nationen. Andersherum erleichtert dies auch den Kapital- und Warenexport anderer Kapitalien nach Deutschland. Bedroht werden hierbei vermehrt die sogenannten mittelständischen Betriebe, die die Konkurrenz mit multinationalen Konzernen staatlich eingrenzen müssen. Dies soll durch eine Politik aus Zollschranken und einer harten deutschen Währung geschehen.

Ein anderer Punkt ist die Frage der Ausrichtung auf andere imperialistische Nationen, vor allem die der Politik gegenüber Russland. Das trifft nicht nur die deutschen Apfelbauern. Auch mittelständische Betriebe konnten hier in der industriell schwach ausgebauten Nation Russland leichter ihre Waren auf dem Binnenmarkt als einheimisch produzierte umsetzen. Auch bedeutet eine Stärkung der Zusammenarbeit mit Russland eine weitere Schwächung des EU-Projektes und bei der Einführung unterschiedlicher Freihandelsabkommen.

Die Spannungen zwischen den Flügeln lassen sich jedoch letztlich nicht durch Parteibeschlüsse lösen. So ist es doch in der Partei gang und gäbe, dass diese gebrochen werden vom rechten Flügel, während die anderen Teile der Partei entweder versuchen, dies als Ausnahme zu beschreiben und Rügen verteilen oder diese und jene Situation zu ignorieren. So gibt es zwar keinen Beschluss mehr, wie Petry es einst versuchte, der ein Verbot für AfD-Mitglieder, an Pegida-Demonstrationen teilzunehmen, vorschreibt, jedoch ein Zusammenarbeitsverbot mit der Identitären-Bewegung. Trotzdem befindet sich beispielsweise das Büro des Sachsen-Anhalter AfD-Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider im Hausprojekt der Identitären in Halle. Auch auf dem 3. Pegida-Geburtstag sprachen Martin Sellner, Führer der IB in Österreich, und der AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier. So sollte der baden-württembergische AfD-Politiker Wolfgang Gedeon aufgrund seiner Bezeichnung des Judentums als „inneren“ und des Islams als „äußeren“ Feinds aus der Partei ausgeschlossen werden, eine Untersuchungskommission wurde jedoch nie gegründet.

Andererseits gibt es auch in einigen Bundesländern erste Kooperationen mit der CDU bei der Formulierung von Anträgen in den Landtagen. Auch hier wird von beiden Seiten gewissermaßen „sondiert“ für eine Zeit nach Merkel.

Rechts-Populismus

Wir sehen einen kontinuierlichen Reibungsprozess, der in der AfD stattfindet, diese jedoch momentan stetig nach rechts treibt. Der AfD-Parteitag in Hannover am 2. und 3. Dezember 2017 wird dies im Lichte der für die AfD erfolgreichen Bundestagswahlen zur Schau stellen. Hier wird vermutlich wieder ein heikles Thema auf die Tagesordnung gerückt werden, die Frage des Parteivorsitzes.

Der aktuelle Vorsitzende Meuthen spricht sich dabei offen gegen die Führung durch Gauland und Weidel aus.

Gleichzeitig stimmte die Basis der Partei mit knapp 64 % dafür, dass es kein Delegierten-, sondern ein Mitgliederparteitag sein solle – die Entscheidung ist jedoch vorerst nicht bindend. Größere Mobilisierungskraft außerhalb der Delegationen könnte dabei der rechte Flügel der Partei unter Beweis stellen. Dies fürchten auch weite Teile der Partei, so spricht sich von Storch für eine fraktionsübergreifende Parteiführung aus und gründete die interne Fraktion „Alternative Mitte“.

Die AfD ist, betrachten wir sie in ihrer Gesamtheit, sicher noch weit entfernt davon, eine faschistische Partei darzustellen – also eine, deren Ziel die gewaltsame Zerschlagung der ArbeiterInnenbewegung ist und die ihre Mitglieder nicht nur als WählerInnen bindet, sondern zu einer organisierten Kampforganisation gegen MigrantInnen, ArbeiterInnen, Linke vereint.

Aber sie ist eine rassistische, rechts-populistische Partei, eine Pressure-Group für Nationalismus, Law and Order, Sexismus und Homophobie.

Diese Rückgriffe auf „traditionelle Werte“ und Populismus sind kein Zufall. Sie erlauben es, dass eine im Kern bürgerliche kapitalistische Partei auch breite Massen an sich als AnhängerInnen und WählerInnen binden kann. Der Rassismus wird daher auch bewusst mit einer Politik kombiniert, die sich scheinbar gegen das Establishment und dessen „Volksfeindlichkeit“ richtet.

So lässt sich auch erklären, warum die von den neo-liberalen Angriffen der letzten Jahrzehnte am meisten Betroffenen eine Partei wählen, die noch mehr Neo-Liberalismus – z. B. die totale Privatisierung des Sozialversicherungssystems – verspricht. Leute aus dem Establishment wie Gauland, Weidel, Meuthen tun so, als würden sie nicht dazu gehören, als wären sie mit dem Austritt aus der CDU auch aus der Elite „ausgetreten“ und würde sie nichts von jenen unterscheiden, die tatsächlich von Armut und sozialem Abstieg bedroht sind.

In der aktuellen Periode treten solche rechts-populistische Parteien, Bewegungen und Führungsfiguren in vielen Ländern auf den Plan. Sie sind Momente der aktuellen, unter der Oberfläche schwelenden Krise. Sie verkörpern nicht nur eine Radikalisierung von Teilen der auf den nationalen Markt ausgerichteten Bourgeoisie, von Teilen des KleinbürgerInnentums und der Mittelschichten. Sie sind auch wegen ihres Populismus und Rassismus in der Lage, Teile der ArbeiterInnenklasse – z. B. Erwerbslose und selbst gewerkschaftlich organisierte Lohnabhängige – als WählerInnen zu binden, weil die Gewerkschaften, die SPD, aber auch die Linkspartei keine glaubwürdige und kämpferische Alternative bieten.

Der Kampf gegen Populismus und Rassismus kann und darf nicht als von dem für die sozialen Bedürfnisse der Masse getrennter betrachtet, er muss vielmehr als Teil des Klassenkampfes geführt werden.