US-Drohungen: Die Gefahr eines weiteren Koreakrieges

Dave Stockton, Infomail 957, 16. August 2017

Der US-amerikanische Präsident Donald Trump, bisher ein spektakulärer Flop in seinen innerpolitischen Initiativen, kompensiert dies durch die Demonstration seiner Macht als oberster Befehlshaber der mächtigsten Nation der Welt. Nachdem er 59 Tomahawkraketen auf einen syrischen Militärflughafen abfeuerte und 39 IS-Kämpfer mit der „Mutter aller Bomben“ im April in Afghanistan tötete, droht er nun Nordkorea mit einem verheerenden Krieg, sei es ein konventioneller oder sogar ein nuklearer.

„Nordkorea sollte am besten keine Drohungen mehr gegen die Vereinigten Staaten aussprechen“, warnte er. „Es werden ansonsten Feuer, Wut und, offen gesagt, Macht kennenlernen, eine solche, wie sie die Welt noch nie zuvor gesehen hat.“ Später twitterte er:

„Meine erste Anordnung als Präsident war es, unser Nukleararsenal zu erneuern und zu modernisieren. Es ist nun viel stärker und riesiger als je zuvor. Hoffentlich werden wir diese Macht niemals nutzen müssen, aber es wird nie eine Zeit geben, in der wir nicht die mächtigste Nation der Welt sein werden!“

Drohungen nicht nur gegen Nordkorea

Mit Blick auf den letzten Satz wird klar, dass er nicht nur an Pjöngjang, sondern auch an Peking, Moskau und sogar Berlin gerichtet war. Trump spricht hier für die gesamte herrschende Klasse der USA. Was er damit aussagt, ist im Endeffekt: „Auch wenn ihr vielleicht ökonomisch an uns herankommt oder uns gar überholt, so macht euch doch keine Hoffnungen darauf, dass wir jemals unsere militärische Hegemonie über die Welt in Frage stellen lassen werden“. Hinter dieser Versicherung liegt die Anerkennung, dass – sollte es jemals dazu kommen – die USA erwarten kann, gedemütigt und geplündert zu werden genauso, wie sie selbst nach 1945 die alten imperialistischen Mächte geplündert und gedemütigt hatte.

Die wiederholten Drohungen der USA haben genauso viel, wenn nicht sogar mehr, mit der Entwicklung der strategischen Rivalität mit China zu tun als damit, dass Nordkorea daran gehindert werden soll, Nuklearwaffen zu besitzen. Unter Trump, genauso wie unter Obama, sind die USA damit beschäftigt, ein Schutznetz über die kleinen Staaten in Ost- und Südostasien zu spannen, vergleichbar mit ihrem Vorgehen in Europa seit 1949, welches den Namen NATO trägt.

Der US-Verteidigungsminister James N. Mattis, der schon früher Nordkorea davor gewarnt hatte, es stehe vor „dem Ende seines Regimes sowie der Vernichtung seines Volkes“, sollte es Washington oder seine Verbündeten jemals angreifen, hat weiters ausgeführt, dass die US-Politik unter Außenminister Rex Tillerson und UN-Botschafterin Nikki Haley von einer diplomatischen Anstrengung geprägt sei, die „diplomatische Zugkraft“ besitze und „diplomatische Resultate“ erreiche. Mattis, Spitzname „Verrückter Hund“, ist somit schlicht nicht der verrückteste Köter im Hundezwinger „Weißes Haus“.

Egal welche rhetorischen Unterschiede es geben mag, dies stellt eine Fortsetzung des diplomatischen „Zuckerbrot und Peitsche“-Ansatzes dar, der die neue Periode innerimperialistischer Rivalitäten charakterisiert, die unter Bush und Obama begann.

Pjöngjang kann ebenfalls drohen

Nicht überraschend reagierte Nordkorea mit seinen eigenen, lebhaften Drohungen. General Kim Rak-Gyom, Kopf der strategischen Atomraketenwaffenstreitmacht der nordkoreanischen Volksarmee, antwortete damit, dass sein Land in den nächsten Tagen Pläne fertigstellen werde, vier Hwasong-12 Mittelstreckenraketen zu starten, die über Japan fliegen und im Meer rund um Guam landen und die Insel „einhüllen“ sollen. Guam stellt externes US-Hoheitsgebiet dar – im Grunde genommen eine Kolonie – und wurde von Spanien im Krieg 1898 erobert. Es beherbergt den Andersen-Militärflughafen, den Marinestützpunkt für die siebte US- sowie die Pazifikflotten neben anderen Militäranlagen, die zusammengenommen rund 29 % der Insel in Beschlag nehmen.

Gleichzeitig hat die Washington Post passend dazu veröffentlicht, dass „eine frühere Analyse des militärischen Abschirmdienstes“ behauptet, dass Pjöngjang „einen verkleinerten Sprengkopf produziert hätte, welcher nun in eine der getesteten Interkontinentalraketen (ICBM) passen würde.“ Sollte sich dies als wahr herausstellen, könnte dies das Übertreten einer von Trumps so bezeichneten „Roten Linien“ bedeuten, was zumindest seiner Ansicht nach einen Angriff auf Nordkorea rechtfertigen würde.

Deshalb enthalten Drohung und Gegendrohung der jeweiligen Seiten ein reales Potential, aus dem Ruder zu laufen und ein Desaster herbeizuführen. Die Menschen in Nord- und Südkorea, ja auf der ganzen Welt, haben gute Gründe, beunruhigt darüber zu sein, dass der übertriebene Redeschwall mit notwendigen Folgen anschließender Gesichtswahrung von Trump und Kim den jeweils anderen einem ultimativen Test auf Glaubwürdigkeit unterziehen könnten.

Kim Jong-un, wie auch schon sein Vater und Großvater, wird in den westlichen Medien als zweitklassiger Tyrann abschätzig dargestellt, dessen Drang nach Nuklearwaffen ein Beweis für seinen Größenwahn sei. Es ist durchaus richtig, dass es sich bei dem Regime um eine brutale bürokratische Diktatur handelt, welche dabei jedoch nicht alleine auf der Welt ist. Weit davon entfernt, ein Beweis für Unberechenbarkeit zu sein, ist die Entwicklung von Atombomben die rationale Antwort auf Jahrzehnte der US-Bedrohung. Für das Regime stellt eine solche Waffe sowie die Möglichkeit, diese auch einzusetzen, die einzige Überlebensgarantie dar.

Pjöngjangs offizielle Nachrichtenagentur veröffentlichte letztes Jahr die Logik dahinter: „Die Geschichte hat gezeigt, dass mächtige nukleare Abschreckung das am meisten behütete Schwert darstellt, um Aggressionen Außenstehender zu vermiesen. Das Regime Saddam Husseins im Irak und das Regime Gaddafis in Libyen konnten dem Schicksal der Zerstörung nicht entkommen, nachdem ihnen die Grundlagen ihrer nuklearen Entwicklung genommen wurden und sie ihre eigenen Atomprogramme aufgegeben hatten.“

Dass Kim und sein Regime das Ziel haben, die „ultimative Abschreckung“ zu erlangen, steht nicht zur Debatte. Besitzen sie einmal „die Bombe“, so ihr Kalkül, werden die imperialistischen Mächte auf allen Seiten wie im Falle Israels, Pakistans und Indiens auch die vollendeten Tatsachen anerkennen und eine Art der „Entspannungspolitik“ aushandeln. Dies würde Deeskalation und knappe Ressourcen in die Wirtschaftsentwicklung zu stecken erlauben. Es ist die Geschwindigkeit des in Nordkorea gemachten militärischen Fortschrittes in den letzten Jahren, welche die zunehmende Betonung der USA darauf – schon vor Trump – erklärt, ein Ende solcher „Provokationen“ zu fordern.

Die eskalierende Rhetorik Washingtons wie auch Pjönjangs kann zum Großteil als Bluff gesehen werden. Sogar die aufsehenerregende Aussage über Raketen, die auf Guam abgefeuert werden sollen, ist in Wirklichkeit sehr vorsichtig ausgedrückt. Je nachdem, was „um Guam herum“ bedeutet, ist sie keine direkte Drohung, US-Gebiet zu attackieren. Gleichfalls wissen Trump und seine BeraterInnen, dass bei den ersten Anzeichen einer US-Attacke die südkoreanische Hauptstadt Seoul unter sofortiges Artillerie- und Raketenbombardement geraten und China ohne Zweifel seine eigenen Truppen mobilisieren würde. Nichtsdestotrotz können militärische Konfrontationen ihre eigenen Dynamik entfalten, und sollten Trump und seine Generäle denken, dass ihre Täuschung aufflog, könnten ihre Drohungen in Aktionen umschlagen – mit schwer zu kalkulierenden Ergebnissen.

Zentrale Rolle Chinas

Was auch immer rund um die Positionen von Pjöngjang und Washington herum an Verwirrung stiften mag, ihr Zusammenprall hat etwas sehr deutlich gemacht: die zentrale Rolle Chinas. Als Nordkoreas hauptsächlicher, manchmal auch einziger Verbündeter über Jahrzehnte kam Pekings Entscheidung, die vor kurzem verhängten Sanktionen des UN-Sicherheitsrates gegen Nordkorea zu unterstützen, als sehr überraschend für viele. Ihr folgte eine Aussage Xi Jinpings nach einem Telefonat mit Trump, dass „China und die USA ein gemeinsames Interesse daran haben, die atomare Abrüstung der koreanischen Halbinsel durchzusetzen und Frieden sowie Stabilität auf der koreanischen Halbinsel zu erhalten.“

Im Grunde genommen ist dies die Anerkennung eines Problems, mit welchem Washington nur zu gut vertraut sein sollte: der Affäre eines abhängigen Landes, welches sich dazu entscheidet, seine eigenen Interessen anstelle der seines Herrn zu verfolgen. Dieses sowie die Grenzen der chinesischen Geduld wurden schon in einem Vorwort der Global Times formuliert. Darin wurde erklärt, dass „China auch klarstellen sollte, dass, wenn Nordkorea zuerst Raketen abschießen, damit US-Boden bedrohen und die US daraufhin Vergeltung üben sollte, China neutral bleiben werde. Sollten die USA und Südkorea einen Angriff ausführen und versuchen, das nordkoreanische Regime zu stürzen, um dadurch die politische Landkarte der koreanischen Halbinsel zu verändern, wird China sie daran hindern, dies zu tun.“

Angenommen, dass Peking weiß, dass Nordkorea „US-Boden“ nicht angreifen und Südkorea wohl nicht den Norden attackieren wird, ist dies primär eine Warnung an die USA und einmal mehr steckt hier der Stachel im Satzende. Dass China nun in der Lage sein könnte, „sie daran zu hindern“, war Hintergedanke bei einer noch nie dagewesenen Machtdarstellung, die den 90. Jahrestag der Gründung der Volksbefreiungsarmee am 1. August prägte.

Noch nie wurde ein solcher Jahrestag gefeiert und – anders als die traditionellen Paraden am 1. Mai – wurde sie nicht in Peking abgehalten, sondern im Trainingslager von Zhurihe in der inneren Mongolei. Die Soldaten trugen Kampfdrillich anstelle feierlicher Uniformen. Die Parade trug ebenfalls die neusten Waffen Chinas zur Schau wie das J-20 Tarnkappenkampfflugzeug und die weiterentwickelte DF-31 AG Langstreckenrakete. Vieles an diesem Waffenarsenal wurde noch nie in der Öffentlichkeit gezeigt.

Ob die Volksbefreiungsarmee nun wirklich in der Lage ist, eine US-Attacke zu verhindern, ist trotz der Ausrüstung fraglich. Sie ist immer noch eine Armee, die seit Jahrzehnten niemandem gegenüberstand, und das letzte Mal, als dies gegen Vietnam Ende der 1970er Jahre der Fall war, holte sie sich eine blutige Nase. Jedoch ist der reale Beitrag der chinesischen Position das Ziel einer atomaren Abrüstung. Dies würde bedeuten, dass Nordkorea das, was es schon erreicht hat, demontieren müsste. Was noch unklar bleibt, ist, ob Peking schon eine Entscheidung darüber getroffen hat, ob dies notwendigerweise einen durch China initiierten Regimewechsel benötigt oder nicht. Die Unterstützung von UN-Sanktionen, welche noch nicht Nahrungsmittel- und Energielieferungen beinhalten, stellt nichtsdestotrotz eine Warnung an Kim und seinen Kreis dar, die diese zu interpretieren wissen.

Stellt dies Pekings langfristige Politik dar, dann würde die implizierte Gegenleistung für die Entfernung der „nuklearen Bedrohung“ darin bestehen, dass die USA anerkennt, dass die koreanische Halbinsel nun in Chinas Einflusssphäre liegt. Dies haben jedoch alle US-Regierungen bisher versucht zu verhindern. Für sie stellt das überragende langfristige Ziel ein Korea – und zwar ein Korea in seiner Gesamtheit – dar, das einen integralen Bestandteil einer militärischen Allianz verkörpert, die die chinesische Expansion verhindern soll.

Diese unterschwellige Konfrontation zwischen den USA und China ist es, welche die „Koreakrise“ anfacht. Sie wird auch zur Vorläuferin zukünftiger Konflikte, die den Rest des Jahrhunderts gestalten werden. Im Hier und Jetzt sollten SozialistInnen sowie die ArbeiterInnen- und Jugendbewegungen gegen die drohenden Attacken gegen Nordkorea auf die Straße gehen. Eine Niederlage und Demütigung Trumps wären ein Sieg für die Kräfte des Protestes auf der ganzen Welt, nicht zuletzt in den Vereinigten Staaten.

Dies bedeutet aber nicht, dass wir irgendwelche politische Unterstützung für Kim Jong-Un und sein bürokratisches Regime geben. Die US-Intervention ist jedoch nicht dazu bestimmt, Demokratie, Frieden oder Stabilität zu den Menschen dieser Region zu bringen. Ganz im Gegenteil. Aus diesen Gründen kämpfen wir dafür, allen US-Interventionen, deren Planung wie auch während ihrer Durchführung entgegenzutreten. Gleichzeitig müssen wir die kämpferischen Gewerkschafts- und Jugendbewegungen in Südkorea unterstützen, die zum wiederholten Male den kriegerischen Drohungen ihrer rechtsgerichteten Regierung und der USA die Stirn boten.

  • Hände weg von Nordkorea – alle US-Truppen, die siebte Flotte und alle Militärflughäfen eingeschlossen, raus aus Korea und der ganzen Region!
  • Die weltweite Antikriegsbewegung muss zu Massenaktionen auf der Straße mobilisieren und sich gegen alle Drohungen gegen Nordkorea richten!
  • Nieder mit dem arbeiterInnenfeindlichen Kriegstreiber Trump und seiner reaktionären Administration!