CSD 2017 – Buntes Treiben oder Kampftag?

Leonie Schmidt, Revolution, Neue Internationale 221, Juli/August 2017

Laute Technomusik, viele bunt geschminkte Menschen und über ihnen wehen Fahnen, meist im Spektrum des Regenbogens. Ebenso sieht man Wagen von Initiativen sowie Ländern und Konzernen. Alle zusammen feiern eine riesige Party für LGBTIA-Rechte. Die Rede ist vom Christopher Street Day.

Der Ursprung

Häufig ist der Ursprung des CSD nur noch wenigen DemonstrationsteilnehmerInnen wirklich bewusst. In den 1960er Jahren hatte es in New York immer wieder übermäßige Razzien in Bars für Trans- und Homosexuelle gegeben. Afro- und LateinamerikanerInnen traf die Schikane der PolizistInnen am heftigsten. So auch im Stonewall Inn, in der New Yorker Christopher Street, wo eine Polizeikontrolle durchgeführt wurde und auch Anwesende verhaftet worden sind. Doch zum ersten Mal in der Geschichte der LGBTIA-Bewegung ließen sich die sexuell Unterdrückten die Prozedur nicht gefallen – dies ist als Stonewall-Aufstand in die Geschichte eingegangen.

Vornehmlich afro- und lateinamerikanische Drags, Transmenschen und Homosexuelle wehrten sich. Sie konnten die Polizei vertreiben, aber dafür griff diese im Laufe der Nacht einige Drags und Transmenschen auf und misshandelte sie. Daraufhin kam es in den nächsten Tagen zu größeren Demonstrationen und kämpferischen Auseinandersetzungen rund um das Stonewall Inn. Der CSD wurde als eine Art Gedenktag angesetzt und wird heutzutage hauptsächlich als „Gay Pride“ begangen.

Dabei geht es vor allem darum, die eigene sexuelle und geschlechtliche „Identität“ nach außen zu tragen. Das an sich soll hier nicht kritisiert werden. Was aber scheinheilig ist, ist, dass auch Parteien und Konzerne mitlaufen, obwohl ihre Politik oftmals zu Ungunsten der LGBTIA-Community geartet ist, und gleichzeitig eine Entpolitisierung des Protestes stattfindet. Zudem ist die Ignoranz der DemonstrationsteilnehmerInnen gegenüber der weiter reichenden sexuellen Unterdrückung anzumerken. Denn diese ist nicht nur im Alltag vorhanden, wie oft von RednerInnen auf dem CSD beschrieben wird (wenngleich diese natürlich auch äußerst unangenehm und zu bekämpfen ist), sondern hauptsächlich strukturell angesiedelt.

Die Situation heutzutage

Auch Deutschland ist nicht so offen gegenüber einem Leben fernab der heterosexuellen Norm, wie es gerne vorgibt zu sein. So ist es zu bemängeln, dass mensch im Aufklärungsunterricht in der Schule nie wirklich etwas über queeren Sex hört oder gar erklärt bekommt, wie beispielsweise Safer Sex aussieht, wenn man sich nicht vor Schwangerschaften schützen muss und auch kein Kondom zum Einsatz kommen kann. In vielen Ländern sind LGBTIA auch staatlichen Gewalttaten ausgesetzt, unter anderem in Russland, wo in den letzten Jahren eine regelrechte Hetzjagd auf Homosexuelle durchgeführt wurde. Zurzeit werden besonders in Tschetschenien, vom dortigen Ministerpräsidenten Kadyrow unterstützt, Schwule verschleppt, misshandelt und letztendlich in Lagern ermordet. Auch in den USA geht es für LGBTIA nicht gerade lustig zu: alleine im Jahr 2017 gab es bisher 9 Morde, vornehmlich an Trans-Frauen of Color.

Gleichzeitig werden aber auch Länder glorifiziert, bei denen es angeblich ganz fortschrittliche und tolle Rechte für sexuell Unterdrückte gibt. In Teilen der deutschen Linken und der liberalen LGBTIA-Bewegung ist es nämlich nichts Ungewöhnliches, wenn Israel für sein tolles Engagement im queeren Bereich verehrt wird. Pinkwashing nennt sich das. Es soll aufzeigen, wie modern und progressiv ein Staat ist, und wie im Fall Israels davon ablenken, dass gleichzeitig die Menschenrechte der PalästinenserInnen, und seien sie noch so queer, mit Füßen getreten werden, und soll außerdem die queeren Menschen von anderen, ebenfalls unterdrückten Gruppen isolieren. Auch wird der direkte Vergleich zu angeblich barbarischen und homophoben Gruppen gezogen, um diese weiterhin zu unterdrücken. Somit kann eben zum Beispiel die israelische Regierung ihren Kolonialismus vorantreiben und die Islamophobie propagandistisch ausnutzen. Sicher, in der arabischen Welt gibt es immer noch Homophobie, aber genauso ist es überall auf der ganzen Welt, weil es leider nach wie vor ein universelles Problem ist. Pinkwashing ist und bleibt also ein Instrument zur Spaltung.

Für uns ist klar, dass es im Kapitalismus nicht möglich sein wird, sich von sexueller Unterdrückung, genau wie von Sexismus, vollständig zu befreien. Durch die Notwendigkeit der bürgerlichen Familie im kapitalistischen System wird auch diese immer die Norm bleiben und besonders geschützt werden, während LGBTIA-Familien oder Beziehungen immer als „unnatürlich“ bezeichnet werden. Erst auf dem Weg zum Kommunismus über den Sozialismus kann sich dieser gesellschaftliche Widerspruch auflösen.

Was tun?

Aufgrund der strukturellen Unterdrückung von LGBTIA ist es aber gerade wichtig, dagegen anzukämpfen und auf dem CSD nicht nur zu feiern, dass man „anders“ ist. Es reicht eben nicht aus, ein paar Regenbogenfahnen zu schwingen und durch die Straßen zu tanzen. Nein, für die Rechte der LGBTIA muss aktiv und zur Not auch militant eingetreten werden – auch und besonders von Seiten der heteronormativen Gesellschaft.

Der CSD muss wieder kämpferisch werden! Trotzdem muss der Kampf gegen sexuelle Unterdrückung als ein täglicher Kampf gelten, der nicht nur einmal jährlich, sondern bei allen politischen Fragen, egal ob Flucht, Armut oder Bildung, geführt werden muss. Gleichzeitig kann er auch nur gewonnen werden, wenn er eingebettet ist in den gemeinsamen Kampf aller Unterdrückten weltweit.

  • Volle Legalisierung von LGBTIA weltweit und gleiche Rechte in ihren Beziehungen wie die von Heterosexuellen (finanzielle Gleichstellung, Adoptionsrecht)!
  • Gleichwertige Darstellung von LGBTIA-Beziehungen mit Heterosexualität im Aufklärungsunterricht!
  • Selbstverteidigungskomitees für LGBTIA gegen Übergriffe und das Recht auf gesonderte Treffen (Caucus) in der ArbeiterInnenbewegung!