Wer sind die G20?

Zwischen Kooperation und Konkurrenz

Kapitel 1, Unite Against G20, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juli 2017

Die G20 stehen für die „Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer“. Diese besteht seit 1999 als Zusammenschluss von 19 Staaten und der Europäischen Union. Ursprünglich wurde sie als Mittel zur finanzpolitischen Koordination der führenden kapitalistischen Mächte sowie „aufstrebender“ Länder der sog. „Dritten Welt“ ins Leben gerufen.

Ihre Bildung war eine Reaktion auf die Krise in Ostasien, die Ende der neunziger Jahre Länder wie Indonesien oder Südkorea erfasste und die gesamte Weltwirtschaft mitzureißen drohte. Sie spiegelte zweitens den Aufstieg und das größere Gewicht von Ländern wie China, Russland, Indien oder Brasilien wider.

Die Gründung geht auf die Initiative von US-Präsident Clinton zurück, der im Rahmen des Gipfels der APEC (Asiatisch-pazifische Wirtschaftsgemeinschaft) 1997 die Gründung einer G22 (später G33) vorschlug, was schließlich zur G20 in ihrer heutigen Besetzung führte. Formell ins Leben gerufen wurde sie auf dem G7-Finanzministertreffen 1999 in Washington, ihre erste Tagung fand im Dezember 1999 in Berlin statt. Von Beginn an gehörten ihr die USA, die EU, China, Japan, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Indien, Italien, Brasilien, Kanada, Südkorea, Russland, Australien, Mexiko, Indonesien, Türkei, Saudi-Arabien, Argentinien und Südafrika an (Reihung nach BIP der Staaten im Jahr 2016).

Angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 stieg ihre globale Bedeutung. Die G20 fungierten als eine Art „Weltfinanzgipfel“, der die Auswirkungen der globalen Krise begrenzen, den Welthandel und vor allem das Finanzsystem am Laufen halten sollte. Seit 2008 tagen daher nicht nur die FinanzministerInnen, sondern auch die Staats- und Regierungschefs.

Die G20 erschienen aus mehreren Gründen dazu geeignet. Erstens umfassten sie nicht nur die größten Volkswirtschaften, sondern auch die wichtigsten globalen Finanzinstitutionen wie IWF, Weltbank, OECD und die Europäische Zentralbank nehmen regelmäßig an den Tagungen teil. Darüber hinaus sind die wenigen fehlenden größeren imperialistischen Ökonomien (wie z. B. Spanien und die Schweiz) und regionale Staaten-Bündnisse durch Einladungen der Gastgeberländer integriert.

Zweitens umfassen sie anders als z. B. die G7 oder die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) alle wichtigen imperialistischen Mächte und auch die führenden Länder des sog. „globalen Südens“, allen wirtschaftlichen und politischen Blöcke.

Gipfel seit 2008

Die G20 sind also nicht eine Institution zur Vereinbarung der Ansprüche des „eigenen“ Blocks und des Ausgleichs von deren inneren Gegensätzen (wie z. B. die EU oder die Eurozone), sondern auch und vor allem ein Austragungsort der widerstreitenden Interessen, wo gleichzeitig „informell“ die Möglichkeiten der Koordinierung auf allen Politikfeldern zur Verfolgung gemeinsamer Interessen am Erhalt des Gesamtsystems ausgelotet werden sollen. Nach 2007 waren die Gipfel der Staats- und Regierungschefs von der Pleite von Lehman Brothers geprägt. Das globale Finanzsystem sollte stärker reguliert werden. George W. Bush versprach, die Interessen der „hart arbeitenden Menschen“ zu bedienen, die auf die G20 zählen würden. Die Ratingagenturen sollten stärker kontrolliert und der Einfluss der Finanzmärkte eingeschränkt werden. Die G20 und auch große Teile der KapitalistInnenklasse verhielten sich damals ähnlich wie verkaterte TrinkerInnen nach einer durchzechten Nacht. Dem Alkohol, der „zügellosen Spekulation“, sollte abgeschworen werden. Allenfalls „in Maßen“ wollten sie das Gift noch zu sich nehmen.

Bekanntlich ist der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert. Auf die Umsetzung der ohnedies bescheidenen Versprechen zur Kontrolle des Finanzsystems warten die Menschen bis heute.

Das soll nicht damit verwechselt werden, dass die G20 in der Zeit nach dem schockartigen Ausbruch der globalen Krise keine reale Funktion für die Weltwirtschaft erfüllt hätten. Sie dienten vielmehr dazu, die Krise einzugrenzen und einen Zusammenbruch des globalen Finanzsystems und damit des Welthandels zu verhindern. Angesichts der Gegensätze zwischen den großen kapitalistischen Staaten und ihrem gleichzeitigen Interesse, das Gesamtsystem am Laufen zu halten, sind Gipfel unerlässlich, die überhaupt ein Ausloten von gemeinsamen Handlungsmöglichkeiten erlauben. Dazu haben sie und die Treffen der FachministerInnen in Absprache mit den Regierungen, Zentralbanken, globalen Finanzinstitutionen einen Beitrag geleistet – und darin besteht auch ein Verdienst, das sie für das kapitalistische Gesamtsystem haben. Ihre Leistung zeigt zugleich schlagartig, um welche Institution es sich bei den G20 handelt. Sie trug nicht zur „Zügelung“ der Banken bei, sondern zu deren Rettung. Sie verhinderte nicht die grassierende Spekulation, sondern rettete vielmehr die institutionellen Spekulanten und Großkapitalisten, um so den Boden für weitere, zukünftige Spekulationsblasen zu bereiten.

Die Gipfel dienen den Herrschenden der G20-Staaten. Die Versprechungen an die Massen, die diversen Klima- und Weltverbesserungsprogramme sollen den Tagungen nur eine breitere, umfassendere Legitimation verleihen, der auch die seit Jahren betriebene Einbeziehung der „Zivilgesellschaft“, genauer von NGOs, staatlichen und privaten Stiftungen usw. dient.

Nachdem der erste Krisenschock überstanden war, trat daher auch die Notwendigkeit von Absprachen zur Rettung des kapitalistischen Gesamtsystems in den Hintergrund.

Schon 2009 war es mit den gemeinsamen Absichtserklärungen vorbei. Der Gipfel in London konnte sich angesichts der Differenzen zwischen China und den USA auf keine gemeinsamen Schritte zur Bekämpfung der Rezession einigen.

Die Ergebnisse von Toronto (2010) waren selbst in den Augen von SchönrednerInnen wie dem damaligen britischen Regierungschef Cameron „unzureichend“, bestanden sie doch vor allem in der Vertagung von Themen wie Klimawandel auf das nächste Treffen. Noch härter traf es die nur wenige Jahre zuvor vollmundig versprochene Bankenabgabe und die internationale Finanztransaktionssteuer. Diese wurden nicht einmal zur Weiterbehandlung empfohlen, sondern praktisch beerdigt.

Die übrigen Gipfel der letzten Jahre kreisten immer wieder um die Frage der Weltwirtschaft, des Klimawandels, mehr oder minder vollmundiger „Entwicklungsziele“ zur Bekämpfung von Armut und Not. Der Schwerpunkt auf der „Hilfe“ für Afrika im Jahr 2017 reiht sich in diese Agenden ein, denen allesamt zwei Dinge gemeinsam sind. Erstens kommt für die Massen nichts rum. Zweitens ist selbst die Behandlung dieser Themen in erster Linie ein Mittel zur Rechtfertigung von wirtschaftlicher, politischer und sonstiger, humanitär verbrämter „Entwicklungshilfe“, die vor allem dem Export der reichen Nationen zugute kommt, unter deren Deckmantel um ökonomischen und geo-politischen Einfluss gerungen wird.

Themen der letzten Jahre

In den letzten Jahren prägten zwei Themen die Tagungen der G20:

Erstens die Frage der Terrorismusbekämpfung, andererseits traten die wachsenden Konflikte zwischen den Großmächten in den Vordergrund.

2014 fand im australischen Brisbane der erste Gipfel nach dem Putsch in der Ukraine und dem Ausschluss Russlands aus den G8 statt. Neben vollmundigen Wachstumszielen und dem erklärten Willen, schädliche Auswirkungen politischer Krisen (die Ukraine wurde nicht offen benannt) auf die Weltwirtschaft zu verhindern, fanden auch Forderungen wie die nach mehr Transparenz des Bankensektors Eingang in das Abschlusskommuniqué. Wie viel das wert war oder ist, verdeutlicht die Tatsache, dass zuvor jede Verbindlichkeit dieses „Versprechens“ blockiert worden war.

2015 konzentrierte sich der Gipfel im türkischen Antalya auf die „Terrorbekämpfung“ und auf die sog. Flüchtlingsfrage. Vor allem die EU-Länder drängten dabei auf die Abschottung ihrer Außengrenzen, Abkommen mit Ländern wie der Türkei und den nordafrikanischen Staaten. Im Gegenzug für den schmutzigen Deal fließen Hilfsgelder.

Hinzu kommt, dass die Lage in der Ukraine und der Bürgerkrieg in Syrien mehr und mehr die Form von Stellvertreterkriegen zwischen den Großmächten wie auch regionalen Kräften annahmen, so dass der „Terrorist“ des einen im Zweifelsfall auch der Verbündete des anderen sein konnte. 2016 brachte der Gipfel in Hangzhou eine neue, weitere Dimension der aktuellen Weltlage deutlich zum Vorschein. Der Gipfel beschwor zwar den „Aufbau einer innovativen, gestärkten, vernetzten und inklusiven Weltwirtschaft“, der Wachstumsschwäche und dem Klimawandel sollte gleichermaßen begegnet werden.

Unübersehbar waren aber vor allem die zunehmenden Konflikte zwischen China und den USA. Letztere hatten schon unter Obama den Kampf um den Pazifik und Ostasien zur wichtigsten Aufgabe erklärt und seither mehr und mehr Ressourcen aufgewandt, um Chinas wachsenden Einfluss zu beschränken. Die Auseinandersetzungen um das Südchinesische Meer verschärfen sich seit Jahren. Am Rande des Gipfels tagten die BRICS-Staaten, um ihre Politik gegenüber den westlichen Mächten abzustimmen.

Der Gipfel ging zwar auch mit dem medial inszenierten Beitritt Chinas und der USA zum Pariser Klimaschutzabkommen einher. Doch bekanntlich produziert auch dieses vor allem heiße Luft.

Ein kurzer Abriss der G20-Gipfel zeigt, dass bei den Treffen regelmäßig relativ wenig rauskommt. Ihre Bedeutung liegt vielmehr darin, dass hier fast alle versammelt sind, die in der globalen kapitalistischen Weltwirtschaft und imperialistischen Weltordnung eine Rolle spielen.

Ihre Treffen sind dabei von zwei entscheidenden Momenten geprägt:

(a)   Der Versuch, gemeinsame Interessen auszuloten und zur Geltung zu bringen.

Bislang wurde bei den Gipfeln in manifesten Krisenperioden tendenziell mehr Einigung erzielt als in Phasen, wo das globale Finanzsystem, der Weltmarkt, also die Bedingungen für eine kapitalistische Wirtschaft, weniger gefährdet scheinen oder waren.

So haben die Gipfel zweifellos auch zur Koordinierung einer gemeinsamen Antwort auf die Krise in Asien um die Jahrhundertwende wie auch auf die globale Rezession und Finanzkrise 2007-2009 beigetragen. Dass dabei die Versprechungen zur Begrenzung der Spekulation, zur Regulierung des Finanzsektors unter den Tisch fielen, ändert nichts daran. Schließlich waren diese immer die Beleitmusik zum eigentlichen Kerngeschäft der kapitalistischen Staats- und Regierungschefs sowie globaler Wirtschaftsinstitutionen, nämlich, den Fortbestand des Gesamtsystems zu sichern.

(b) Die G20 sind auch Austragungsort politischer und ökonomischer Konflikte.

In den letzten Jahren sind wir in eine Periode des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt eingetreten. Das verringert natürlich den Spielraum für Kompromisse oder die Möglichkeit, ernsthaft „Menschheitsprojekte“ wie den Kampf gegen Armut, Hunger oder Klimawandel anzugehen. Was immer auf diesem Feld passiert, kann getrost unter der Rubrik Public Relations abgehakt werden.

Umso deutlicher treten die Gegensätze in den letzten Jahren hervor. Ökonomisch versucht der US-Imperialismus unter Trump, mit protektionistischen Maßnahmen der US-Wirtschaft wieder stärker verlorenes Terrain zurückzugewinnen und die Kosten auf die KonkurrentInnen abzuwälzen. Ob und wie sehr das gelingt, wird sich zeigen.

Unter dem Deckmantel der Kampfes für Frieden, gegen „Terrorismus“, für Demokratie und eine Reihe anderer schöner Ziele geht es um die Sicherung globaler Interessen und deren Legitimierung. Praktisch alle Staats- und Regierungschefs rechtfertigen eigene Aufrüstungspläne und militärische Interventionen.