„Wo, wo, wo wart ihr in Rostock?“

Svenja Spunck, Neue Internationale 197, März 2015

Im August 1992 herrschte in Rostock-Lichtenhagen der Ausnahmezustand. Rund um die Zentrale Aufnahmestelle für AsylbewerberInnen (ZAst), größtenteils Sinti und Roma, und ein Wohnheim mit vietnamesischen ArbeiterInnen, die nach dem Vietnam-Krieg nach Deutschland gekommen waren, sammelten sich mehrere hundert gewalttätige Neonazis.
Am 24. August warfen sie Brandsätze in das „Sonnenblumenhaus“, benannt nach dem Bild auf dessen Fassade. Die pogromistische Stimmung hatte sich schon lange abgezeichnet. Trotzdem wurden nicht ausreichend Polizeikräfte mobilisiert. Diese wurden, so die offizielle Version, „überrascht“ und zogen sich sogar zurück, wodurch jene, die „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus!“ skandierten, ungehindert zur Tat schreiten konnten. Der neue Film „Wir sind jung – wir sind stark“ zeichnet diesen Tag nach, beispielhaft an Hand einer Gruppe von Jugendlichen, die an den Pogromen beteiligt war.

Gleich zu Beginn des Films begeht einer der Jugendlichen Selbstmord. In der DDR hatte er noch einen sicheren Arbeitsplatz gehabt, nun lebt er im Rostocker Plattenbau und sieht keinen anderen Ausweg als den Sprung aus dem Fenster. Relativ unbeeindruckt davon gehen seine Freunde an diesem Sommertag gemeinsam baden, hören rechtsradikale Musik und singen die Internationale. Genau.
Nebenbei bekommt man mit, dass der Vater des Protagonisten Stefan, ein ruhigerer Charakter aus der Gruppe, SPD-Funktionär ist, der das Problem mit dem wütenden Mob vor den Heimen am liebsten aussitzen möchte. Am besagten Abend sitzt er zu Hause und hört klassische Musik, an der Wand hängt ein Plakat mit Brechts Spruch „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“ Am Nachmittag noch hatte er sich mit seinem Vater über die politische Ausrichtung seines Sohnes unterhalten. Der Großvater erzählt, er selbst sei Kommunist, während seine Frau im Hintergrund meint, sie könne verstehen, dass die Leute wütend seien über die MigrantInnen, schließlich würden sie einen furchtbaren Anblick im Stadtbild abgeben.
Obwohl der Film künstlerisch und auch darstellerisch sehenswert ist, lässt er politische Fragen offen. Die ZuschauerInnen gehen zwar betroffener aus dem Kino, als sie hinein gingen – aber wie viele von ihnen werden zu Hause sitzen und klassische Musik hören, wenn in Deutschland wieder die Asylheime brennen?

In Anbetracht der aktuellen Situation, der großen ausländerfeindlichen Demonstrationen, der zunehmenden Angriffe auf MigrantInnen und der populistischen Hetze gegen Muslime, sollten Filme, die genau diese Thematik behandeln, nicht nur an Hand von Einzelschicksalen erzählen, sondern deutlich die Zusammenhänge aufzeigen.
Die einzig linke Alternative schienen ein Einzelkämpfer aus der SPD zu sein, der seinen Parteifreunden den Rücken zukehrt und sich allein vor das Heim stellt, um Interviews gegen Gewalt und für mehr Toleranz zu geben, und ein alter Stalinist, der nicht einmal mitbekommt, dass seine eigene Frau eine Rassistin ist.

Das organisierte Wirken faschistischer Gruppierungen in Rostock wird ebenso verschwiegen wie die extreme Hetze der damaligen Bundesregierung, allen voran des Innenministers Seiters, gegen den „Asylmißbrauch“. Die Regierung instrumentalisierte damals die Pogrome von Rostock bewusst, um die Einschränkung des Asylrechts, den „Asylkompromiss“ durchzusetzen.
Statt dessen wird so getan, als hätten rechte Jugendliche neben Neo-Nazi-Songs auch Arbeiterlieder gesungen – eine alberne Darstellung, die mit der Realität nichts zu tun hat, sondern vielmehr unter der Hand eine reaktionäre „Extremismustheorie“ verbreitet, derzufolge Links- und Rechtsextremismus wesensgleich wären.

Ebenso scheinen die faschistischen Ideen aus den Jugendlichen selbst zu kommen, als natürliche Folge aus dem Ende der DDR und dem Aufwachsen in einer Stadt, die keine Perspektiven bietet.
Wieso ist es ausgeschlossen, dass sie gemeinsam mit den MigrantInnen für soziale Sicherheit kämpfen? Stattdessen hilft am Ende die Freundin des Gruppenführers den Vietnamesen, sich vor dem Brand im Haus zu schützen. Doch die Stimmung allein auf das Scheitern des Stalinismus zu schieben, wäre so, als ob man über den hohen Teilnehmerzahlen von Pegida in Dresden vergessen würde, dass Hogesa in Köln die ganze Innenstadt auseinander genommen hat.

Ob SPD-Funktionäre mehr oder weniger mitfühlend sind, spielt keine Rolle, so lange sie nicht ihre Basis mobilisieren, so lange sie nicht Lösungen für soziale Probleme schaffen. Niedrige Löhne und Arbeitslosigkeit befördern die Anfälligkeit für rassistische Hetze. Auch der Umstand, dass sich die Polizei im entscheidenden Moment zurück zog, zeigt, dass der Staat auf dem rechten Auge blind ist. So lange die Organisationen und Parteien der ArbeiterInnenklasse untätig sind, werden die sozialen Strukturen kontrolliert von denen, die von sozialer Spaltung profitieren. Doch: Wo, wo, wo zeigt das der Film?!