Den Worten folgen Taten

Trotzki und die bolschewistische Partei

Vorwort der Redaktion

Mit diesem Beitrag wollen wir den im Folgenden abgedruckten Artikel Trotzkis „Den Worten folgen Taten“ würdigen. 9o Jahre nach seiner Veröffentlichung in der Zeitung „Wperjod“ (Vorwärts) am  28. Juni 1917 ist er in der Geschichte von Trotzkis Annäherung an Lenins Partei ein Schlüsseldokument. „Wperjod“ war die Zeitung der überregionalen Organisation der Vereinigten Sozialdemokraten, der „Meschrajonzi“. Sie wurde 1913 von Jurenew und anderen Mitgliedern der russischen sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAPR), die die Disziplin des bolschewistischen und des menschewistischen Parteiflügels ablehnten, gegründet. Jurenew schrieb später: „Wir weigerten uns v.a., die bolschewistische Konferenz von 1912 als Konferenz der gesamten SDAPR anzusehen.“ Ihr ursprüngliches Vorhaben war, die Bolschewiki und linken Menschewiki in einer Partei der ‚Vereinigten Internationalisten‘ zusammenzuschließen.

Dieses Ansinnen stand in Gleichklang mit dem Trotzkis zwischen 1907 und 1916. Seit der Spaltung 1903 hatte Trotzki eine Position auf dem äußersten linken Flügel des Menschewismus eingenommen, in der Hoffnung, dass der objektive Druck der revolutionären Ereignisse den Menschewismus in eine revolutionäre Richtung treiben würde (wie zeitweilig 1905). Nach 1914 wurde Trotzkis „menschewistisches Versöhnungsprogramm“ auf internationale Ebene ausgeweitet, was ihn in eine Position zwischen dem sozialpazifistischen „Zentrum“ und der revolutionär-defätistischen Linken auf der Zimmerwalder Antikriegskonferenz von 1915 manövrierte.

Aber der Krieg und die russische revolutionäre Erhebung zeigten in der Praxis die menschewistische Unfähigkeit, eine revolutionäre Orientierung zu entwickeln, immer deutlicher. Im Mai 1917, als Trotzki nach Russland zurückkam, waren die Menschewiki gemeinsam mit den kapitalistischen und kleinbürgerlichen Parteien eine Koalitionsregierung eingegangen, wo sie ihre Energie daran setzten, die erlahmende Unterstützung der ArbeirInnen für die kapitalistischen Kriegsanstrengungen wieder anzuspornen.

Bei seiner Rückkehr traf Trotzki ohne Umschweife den Meschrajonzi bei. 1914 zählten sie 350 Mitglieder, 1917 waren es nur noch 150. Sie wuchsen nicht so wie die Bolschewiki, obwohl einzelne linke Menschewiki und einige ex-Bolschewiki wie Lunatscharski, Joffe, Uritzki, Rjasanow und Wolodarski dazu stießen.

Während Stalin und Kamenew im April die Bolschewiki zur Unterstützung der bürgerlichen provisorischen Regierung und des Krieges führten, setzten sich die Meschrajonzi für einen neuen Aufstand und für Sowjetmacht ein. Als Trotzki in Petrograd ankam, hatte Lenin bereits den Kampf gegen die „alte bolschewistische Linie“ von Kamenew und Stalin zu Ende geführt und entwickelte in seinen „Aprilthesen“ die Losung „Alle Macht den Sowjets!“.  Es gab keine  politische Differenz zwischen den Meschrajonzi und den Bolschewiki mehr. Deutscher schreibt: „In öffentlichen Veranstaltungen wurden die Meschrajonzi dauernd gefragt, worin sie sich von den Bolschewiki unterschieden und warum sie sich nicht die Hände reichten. Auf diese Frage hatten sie in Wirklichkeit keine zufriedenstellende Antwort.“

Am 10. Mai trafen sich Lenin, Kamenew und Sinowjew mit Trotzki und den Meschrajonzi-Führern und schlugen die sofortige Fusion mit Beteiligung in den bolschewistischen Führungsgremien und der Redaktion der „Prawda“ vor. Trotzki sagte, dass er mit Lenin seit den Aprilthesen politisch völlig übereinstimme, machte aber trotzdem Ausflüchte. Doch im Mai und Juni wurde zusehends klar, dass das, was er als bolschewistisches Sektierertum („Cliquenwesen“) bezeichnete, durch den großen Zustrom von revolutionären ArbeiterInnen in die Partei ad absurdum geführt war.

Zur Zeit des Artikels bereitete sich Trotzki darauf vor, mit den Bolschewiki zu fusionieren und Jurenews Versöhnlertum zu bekämpfen. Dieser Prozess wurde verkürzt durch die Periode der Reaktion, die den  Julitagen folgte. Lenin floh in ein Versteck, während Trotzki verhaftet wurde. In dieser Zeit trat Trotzki den Bolschewiki bei. Von seiner Zelle aus erklärte er sich bereit, sich im August ins Zentralkomitee wählen zu lassen.

Am 1. November sagte Lenin auf einer ZK-Sitzung, dass es, seit Trotzki unter seine Versöhnungsversuche mit dem Menschewismus einen Trennungsstrich gezogen habe, „keinen besseren Bolschewiken“ gab. Trotzkis Artikel dokumentiert den klarsten Moment des Bruches. Sein Titel „Den Worten folgen Taten“ war nicht nur eine Ermunterung für die zögernden Meschrajonzi. Er war ein Sinnbild für Trotzkis eigene Handlung vom linksmenschewistischen Publizisten und Redner zum Führer einer revolutionären Kampfpartei.

„Den Worten folgen Taten“

L. Trotzki

Seit der Konferenz der Petrograder Bezirksverbund-Organisation sind schon anderthalb Monate vergangen, aber das Problem der Vereinigung der Internationalisten ist noch keinen Schritt vorangekommen. Mehr noch: jeder, der auf der Konferenz anwesend war und die vorherrschende Stimmung dort miterlebte, würde sagen, dass wir damals der Einigung näher waren als jetzt.

Damals erschien es in jeder Beziehung eine praktische Aufgabe zu sein. Heute wird es zu oft in eine fromme Floskel umgemodelt, die uns zu keiner praktischen Lösung zwingt. Auf der Konferenz wurde festgestellt, dass wir keine grundsätzlichen Differenzen zu den Bolschewiki haben. In allen Fragen, die durch den Krieg, die Revolution oder die Internationale aufgeworfen wurden, kamen wir zu ein und demselben Schluss. Doch eine separate organisatorische Existenz kann nur durch große programmatische oder praktische Differenzen gerechtfertigt werden. In Ermangelung solcher Differenzen folgt notwendigerweise die Konsequenz: totale organisatorische Fusion (Hervorhebung im Original)

Auf der Konferenz wurden die Probleme in Ableitung aus den Gewohnheiten und Methoden des bolschewistischen Cliquenwesens gesehen. Natürlich ist es unmöglich, diese Probleme abzustreiten, die auch jetzt nicht gerade selten mit äußerst abstoßendem Gehabe in der Organisationspolitik des Zentralkomitees und auf den Seiten der Prawda erscheinen. Gleichzeitig hat der Genosse Lunatscharski auf der Konferenz absolut korrekt gesagt, dass dieses Cliquenwesen unter der Bedingung der offenen Existenz einer Arbeitermassenpartei auf einen mächtigen Gegendruck stößt. Auf jeden Fall ist es unmöglich, gegen das Cliquenwesen anzugehen, wo es keine grundsätzlichen Differenzen gibt, es sei denn, man widersetzt sich ihm innerhalb der Schranken einer gemeinschaftlichen Organisation, d.h. durch demokratischere Methoden in der Parteiarbeit. Künstlich eine separate Organisation zum Zwecke des Kampfes gegen das Cliquenwesen zu erhalten, würde bedeuten, die Voraussetzungen für unser eigenes Sektierertum in kleinerem Umfang zu schaffen. Ohne Zweifel steht die Bezirksverbund-Organisation vor dieser Gefahr. In Wperjod Nr. 3 sah Genösse Jurenew einen der Vorteile, die Schritte zur Vereinigung zu verschieben, darin, sich auf die menschewistische Internationale zu beziehen. Er schrieb: „Vereinigung ist für uns in der Form einer separaten organisatorischen Fusion mit den bolschewistischen Genossen unannehmbar. Obwohl wir mit ihnen in der zentralen Frage der Revolution übereinstimmen, wäre es falsch, nicht alle Möglichkeiten für die Bildung einer einzigen revolutionären Sozialdemokratie auszunutzen, indem man sofort fusioniert. Nach Petrograder Maßstab wäre das ein Vorteil, nach einem gesamtrussischen Maßstab ein Nachteil. Wir sehen den Ausweg nicht in einer solchen Fusion, sondern in der gemeinsamen Vorbereitung auf eine allgemeine gesamtrussische Konferenz der Internationalisten.“

Es ist grundsätzlich falsch, die Streitfrage so zu stellen. Es geht nicht um eine separate Fusion mit den Bolschewiki, sondern gerade die Vereinigung mit ihnen. Diese Form der Vereinigung ist schon durch voraufgegangene Entwicklungen vorbereitet. Das grundlegende Fundament dafür ist in unseren Beschlüssen formuliert. Unsere gesamte Arbeit in Petrograd wird in Form einer separaten Kooperation mit den Bolschewiki vollführt. Das Problem ist nun, ob die organisatorische Trennung die gemeinsame politische Arbeit stört und zerschlägt. Genösse Jurenew hat selbst erkannt, dass diese Vereinigung für Petrograd ein Vorteil sein würde. Er denkt allerdings, dass es ein Nachteil für die Provinzen wäre. Die Bezirksverbund-Organisation ist v.a. eine Petrograder Organisation. Folglich wäre die Vereinigung der internationalistischen Kräfte zweifellos der größte Gewinn für die Petrograder Bewegung. Dies kann keineswegs mit den Schäden, die solch eine Petrograder Vereinigung für die Provinzen mit sich bringen würde, verglichen werden. Ein Vorteil für Petrograd unter den gegenwärtigen Bedingungen, wo „Petrograd“ eine wütende Verfolgung durch alle konterrevolutionären Elemente erfährt, kann für uns nur ein ausschlaggebendes Merkmal sein.

Wie könnte dies eine Gefahr für die Provinzen darstellen? Genösse Jurenew ist der Ansicht, es wäre offenkundig eine Gefahr. Die Provinzen hinken hinter Petrograd her. Die politischen Gruppen dort sind immer noch meist konturlos. Vielleicht können sich die Internationalisten in der Provinz, die mit den Defensisten brechen möchten, nicht entscheiden, sich den Bolschewiki anzuschließen, sondern würden sich lieber mit den vereinigten Internationalisten zusammentun.

Diese Logik wäre mehr oder minder überzeugend, wären wir ein einfacher Block von Internationalisten, der sich weder auf die Seite der Bolschewiki noch auf die der Menschewiki schlägt. Aber dies ist nicht der Fall. Wir scharen uns um eine bestimmte Plattform, die nicht von den Bolschewiki abweicht. Unter diesen Umständen kann sich die Aufrechterhaltung unserer von den Bolschewiki getrennten Organisation nur in Form von Rückschlägen und Verwirrung für die Provinzen auswirken. Das kann nie als ein Plus gerechnet werden. Im allgemeinen wäre es naiv gewesen, zu glauben, wenn alle Problemfragen sich so klar stellen, dass dann die politischen Gruppen in der Arbeiterklasse oder ihre sozialistische Vorhut auf zweitrangige Eigenschaften innerparteilicher Art gebaut werden könnten. Genosse Jurenew sagt: „Aber die Partei von sozialdemokratischen Internationalisten kann sich nicht selber als eine Sekte begreifen, die vollkommen ohne Menschewiki organisiert ist. Selbst wenn die menschewistischen Internationalisten von uns in der Frage der Organisation der Macht abweichen, besteht die Möglichkeit einer gemeinsamen Arbeit mit ihnen sowie die Möglichkeit und Notwendigkeit zur Einheit.“

Dass die Partei keine Sekte sein sollte, ist absolut korrekt. Doch unglücklicherweise beantwortet dieser allgemeine Gedanke nicht die Frage, die sich uns stellt. Wenn jemand eine Wahl zwischen der Vereinigung mit den Bolschewiki und den menschewistischen Internationalisten oder nur mit den Bolschewiki vorschlüge und wir von diesen beiden die letztere Möglichkeit wählten, könnten wir von Sektierertum reden. In Wirklichkeit hat niemand von uns diese Wahl vorgeschlagen. Die menschewistischen Internationalisten haben nirgendwo ihre Bereitschaft angezeigt, sich mit uns zu vereinigen. Im Gegenteil, sie unterscheiden sich besonders von der Position, die uns und den Bolschewiki in der grundsätzlichen Frage der Revolution – der Machtergreifung – gemeinsam ist. Keineswegs brechen sie mit ihren Defensisten, um sich mit uns und den Bolschewiki zu vereinigen, sie betonen vielmehr in jeder Hinsicht das, was sie von uns getrennt hat. Sie schränken ihre Taktiken innerhalb der Formen der defensistischen Organisation ein und gestatten sich keine selbständige politische Handlung. Müssten wir wiederum unsere Arbeit für die Vereinigung auf die Entwicklung der Beziehungen zwischen den menschewistischen Fraktionen stützen, würde dies bedeuten, dass wir den schon zu einer Gesinnung vereinigten Elementen im Namen der bevorzugten Kräfte, die keinen Willen zu einer Einigung mit ,uns zeigen, den Rücken zukehren. Jederzeit hätten die Unterstützer des Genossen Martow zur Vereinigung mit uns und den Bolschewiki finden können, was wir erfreut zur Kenntnis genommen hätten. Für uns und die Menschewiki hätte es keinen Unterschied gemacht, ob wir von den Bolschewiki getrennt oder in einer vereinigten Organisation wären, die auf der Grundlage einer Plattform revolutionärer Aktivität vereinigt ist.

Für uns ist die vergleichsweise breite Schicht von Arbeitern, die immer noch zu den Menschewiki und Sozialrevolutionären schauen, wichtiger. Wir können annehmen, dass diese mehr rückständigen Massen aufgrund der Logik ihrer Position auf die Seite des revolutionären Sozialismus gedrückt werden. Dabei stellen sie die Regierungspolitik auf die Probe, v.a. den Test der Offensive!

Jeden Tag wird die am stärksten unterdrückte Schicht der Bauern und des Kleinbürgertums, zuerst in der Armee, ihre Enttäuschung über die Politik der Koalitionsregierung auf die Probe stellen und eine revolutionäre Lösung suchen. Diese Massen brauchen klare, aufrichtige und einfache politische Gruppen. Dem Lager des kleinbürgerlichen Defensismus muss ein geeintes Lager des revolutionären Sozialismus entgegengestellt werden. Für die Provinzen, wenn wir über die provinziellen Massen und nicht über die provinziellen Zirkel reden, ist die getrennte Existenz der vereinigten Internationalisten und der Bolschewiki kein Vorteil, sondern ein Nachteil.

In der Frage der Einheit ist es Zeit, dass den Worten Taten folgen. Zusammen mit der gemeinsamen Vorbereitung eines Generalkongresses von Internationalisten ist es jetzt schon nötig, die organisatorische Einheit gesprochener und gedruckter Agitation und eine grundsätzliche Einheit politischer Aktion zu garantieren.

Genosse Jurenew sagt, dass die Vereinigung nicht von oben, sondern von unten hergestellt werden muss. Dies ist richtig, wenn Druck von unten benötigt wird, um die Vereinigung an der Spitze zu beschleunigen. Ich glaube, dass es für die Petrograder Arbeiter, Bolschewiki und Bezirksverbund-Organisation nun an der Zeit ist, voll Tatendurst zusammenzukommen.