Solidarität mit den Klimaktivist:innen!

Redaktion, Neue Internationale 270, Dezember 2022/Januar 2023

In den letzten Wochen ist die Bewegung mit dem Namen „Letzte Generation“ mit ihren Aktionen in aller Munde.

In Berlin laufen über 700 Ermittlungsverfahren gegen sie, über ein Dutzend sitzt im Gefängnis. Von Springer über AfD bis zum Staatsapparat hetzt alles, was Auto fährt und liebt gegen sie. Der Tod einer Radfahrerin wurde gegen die „Letzte Generation“ instrumentalisiert, obwohl nachweislich klar ist, dass dieser mit der Autobahnblockade nichts zu tun hatte. Während radikale Aktionen des zivilen Ungehorsams als Vorboten einer Klima-RAF diffamiert werden, wird dreist verschleiert, dass die Tausenden Verkehrstoten auf deutschen Straßen ein Massensterben sind, das Autoindustrie und Verkehrsministerium zu verantworten haben – nicht Klimaaktivist:innen.

Rechte und Konservative – allen voran AfD und CSU – rufen nach Gesetzesverschärfungen. Der Bayern macht den Vorreiter. Die Freiheit des Rasers wird zum letzte Refugium des Selbstbestimmung des kleinen Mannes verklärt, der ansonsten für die Profite in den Autobuden und an sonstigen Unternehmensstandorten schuftet. So wird einer Besetzerin der A9 nicht nur „Unverhältnismäßigkeit“ und „Störung des Mobilität“ vorgeworfen, sondern auch gleich ein Angriff auf „die Freiheit“ und ihre „Grundordnung“. Dem will die CSU durch die Verhängung von Präventivhaft von bis zu 30 Tagen für mögliche Störenfriede vorgreifen. Die AfD ruft nach der Überwachung der jungen „Verfassungsfeinde“.

Da hilft es den Aktivist:innen der „Letzen Generation“ nichts, dass sie auf Demokratie und Menschenrechte pochen. Längst haben sie bürgerliche Politiker:innen als Staatsfeinde ausgemacht. Für NRW-Innenminister Reul weist die Gruppe Züge einer „kriminellen Vereinigung“ auf, weil sie organisiert vorgeht – eine Begründung, die natürlich jederzeit gegen jede andere Besetzung z. B. sei es einer Braunkohlegrube, eine Straße oder eines Betriebes herangezogen werden kann.

Bei so viel konservativer und rechter Hetze gibt sich die Ampel-Koalition vergleichsweise nüchtern. Die Letzte Generation verdammen natürlich auch diese Parteien, die angesichts von Ukraine-Krieg und Profitinteressen den Klimaschutz auf die lange Bank schieben. Aber, so diese „Verteidiger:innen des Rechtsstaats: Man brauche keine Sondergesetze, die bestehenden würden schon ausreichen, um hunderter Aktivist:innen anzuklagen, zu verurteilen und finanziell auszubluten. Kriminalisierung light, also.

Gegen diese Angriffe braucht es die Solidarität der gesamten Linken und der Arbeiter:innenbewegung. Bei den Prozessen und Gesetzesverschärfungen geht es nicht darum, ob wir mit den Aktionsformen und der politischen der „Letzten Generation“ übereinstimmen, sondern um die Kriminalisierung von Protest und Widerstand der Umweltbewegung. Maßnahmen die heute gegen Klima-Aktivist:innen angewandt werden, können morgen ebenso gut Proteste gegen das Immobilienkapital oder „unverhältnismäßig“ hart geführte Arbeitskämpfe betreffen.

  • Freiheit für alle ihre Gefangenen, Niederschlagung aller Verfahren! Nein zu allen Gesetzesverschärfungen und Präventivhaft! Keine Repression gegen Klimaschützer:innen!



Ende Gelände – der militante Teil der Umweltbewegung?

Wilhelm Schulz/Martin Suchanek, Infomail 1079, 4. Dezember

Zwischen Freitag, dem 29. November, und Sonntag, dem 1.
Dezember 2019, fanden erneute Aktionstage des Bündnisses „Ende Gelände“ (EG)
statt. Diesmal führten sie ins Lausitzer Braunkohlerevier. An den vielfältigen
Aktionen und Blockaden beteiligten sich rund 4.000 Menschen, denen es für
einige Stunden gelang, in die Kohlegruben einzudringen, Bagger zu besetzen und
Bahngleise zu blockieren. Der Abbau wurde so zeitweilig gestoppt oder
wenigstens verringert.

Auf dieser symbolischen Ebene waren die Aktionen trotz
massiver Hetze der regionalen und lokalen Medien, Politik,
WirtschaftsvertreterInnen und auch der Gewerkschaften ein politischer Erfolg.

In den Kohlerevieren im Rheinland begrüßte, ja unterstützte
die Mehrheit der Bevölkerung die Besetzung des Hambacher Forstes. Letztlich war
es diese Bewegung, die sich immer wieder in Massendemonstrationen äußerte und
eine zeitweilige Aussetzung der Rodung des „Hambi“ erzwang.

Vorfeld

Anders in der Lausitz. Die Mehrheit steht dort EG,
wie allen anderen Kräften der Umweltbewegung, skeptisch bis offen
feindlich gegenüber – was sich auch im Vorfeld auf verschiedene Weise äußerte.

Es ist kein Zufall, dass sich in der Lausitz mehr und mehr die
AfD als angebliche Verteidigerin einer Heimat breitmacht, die von den Baggern
abgetragen werden soll. In ihr und ihrem Umfeld tummeln sich offen Nazi und
RassistInnen, die mit physischen Angriffen auf AktivistInnen von EG
drohten und drohen.

Die Bilder und Postings von Bullen unter dem Motto „Stoppt
Ende Gelände“ stießen nicht nur auf weitere Verbreitung unter Rechten und
mediales Aufsehen. Sie verdeutlichen einmal mehr, wie verbreitet rechtes und
rechtsradikales Gedankengut bei den „Sicherheitskräften“ nicht nur in
Brandenburg und Sachsen sind.

Bei
den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen verbuchten zwar die Grünen
den Einzug in die Koalitionsregierung mit CDU und SPD als „Erfolg“, der
freilich auf Kosten der Bewegung erkauft wurde. Beide Landesregierungen
sprachen sich klar und deutlich gegen EG aus. Die Grünen distanzierten sich
offen von ihren WählerInnen. Sie verteidigen den sog. „Kohlekompromiss“, der
ein Ende der Kohleverstromung bis 2038 (!) vorsieht. An dem soll nicht
gerüttelt werden – auch nicht von der einstigen WählerInnenschaft.

Von der SPD erwartet in Brandenburg und Sachsen ohnedies
niemand, dass sie sich mit Kapitalinteressen anlegt. In Cottbus einigte sich
auch die „oppositionelle“ Linkspartei mit allen Fraktionen des Stadtparlaments
(außer den Grünen) auf eine gemeinsame Entschließung. Am Mittwoch, den 27.
November, votierten sie gemeinsam mit der AfD für ein Papier, das mit  „Kohlekompromiss umsetzen, Meinungen
respektieren, gewaltfrei debattieren“ überschrieben ist und die „Gewalt“
verurteilt, die von EG ausginge. Die nachträgliche Distanzierung von
VertreterInnen der Brandenburger Linkspartei kann hier nicht darüber
hinwegtäuschen, dass sich ihre Cottbusser „GenossInnen“ mit dem
Rechtspopulismus gemein machten.

Und natürlich darf auch die kapitalhörige IG BCE nicht
fehlen, wenn es darum geht, für den vermeintlich „eigenen“ Konzern die Kohlen
nicht nur aus der Grube zu holen, sondern sich auch schon für deren Profite
stark zu machen, so dass noch einige Jahre „Zusammenarbeit“ abfallen.

All dieses zeigt, wie sehr sich reformistische und grüne
Parteien, aber auch die Gewerkschaften dem Rechtsruck und „ihren“ Unternehmen
unterordnen und anpassen. Sie mögen damit hoffen, die Basis in der Bevölkerung
nicht zu verlieren – in Wirklichkeit erreichen sie genau das nicht.

Eine klassenpolitische Antwort müsste auf Forderungen wie
die entschädigungslose Enteignung der Energiekonzerne, Umbau der
Industrie unter ArbeiterInnenkontrolle, Aufteilung der Arbeit auf alle Hände
durch radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich und
ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten, finanziert aus Profiten und
Großvermögen, konzentrieren. So könnte auch eine Brücke zur Umweltbewegung, zu
antikapitalistischen AktivistInnen von EG geschlagen und diese auch dafür
gewonnen werden, in den ArbeiterInnen Verbündete zu sehen und nicht bloß
passive Betroffene, denen auch bestenfalls geholfen werden soll.

Auch wenn dieses Händeschütteln, ähnlich wie im Hambi, von beiden
Seiten nicht stattfindet – all das verdeutlicht die qualitativ anderen
Voraussetzungen des Protests in der Lausitz. Das spricht keineswegs gegen EG
und andere Protestierende aus der Umweltbewegung. Der Kampf gegen die Klimakatastrophe
sowie für das schnellstmögliche Ende der Braunkohleverstromung samt einer Energieproduktion,
die sich auf fossile Träger stützt, muss auch dort thematisiert werden. Es war
daher richtig, auch in der Lausitz ein Zeichen zu setzen und vor dem
öffentlichen Druck, der Hetze und selbst physischen Drohungen Rechter nicht
einzuknicken.

Vor Ort

Als REVOLUTION und ArbeiterInnenmacht entschieden wir uns, zu
den Protesten zu mobilisieren. So nahmen GenossInnen aus Berlin, Hessen,
Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen an den Aktionen teil. Hier beteiligten wir
uns vor allem an der von Fridays for Future und einigen NGOs ausgerufenen
Demonstration in Jänschwalde. Ebenfalls schickten wir ein Kontingent von
AktivistInnen zu den zentralen Protestaktionen von EG, somit in die Tagebaue.

Die Blockadeaktionen von EG wurden aus drei Städten
organisiert (Berlin, Dresden, Leipzig). Von hier aus sollten unterschiedliche
Orte in und um die vier aktiven Braunkohleabbaugebiete im Revier organisiert
werden. Neben den jeweils lokalen Fingern, die in verschiedene Unterstrukturen
aufgeteilt waren, gab es auch einen inklusiven (bunten) und einen
feministischen (lila) Finger. Kurz zuvor wurde ein weiterer Finger, die
sogenannten AntiKohleKidz (Slogan „AKK positiv besetzen“), der sich scheinbar
stärker aus SchülerInnen aus FFF zusammensetzte, ausgerufen. Dieser war rund um
das Kraftwerk Jänschwalde aktiv. Allein der rote Finger aus Berlin, neben dem
noch Teile von AKK, der bunte und der lila Finger anreisten, teilte sich in
drei Teile auf.

Auch die Polizei war vor Ort. Diese griff zwar vereinzelt
AktivistInnen an – insgesamt war es jedoch leicht, an den PolizistInnen vorbei
auf das Gelände zu kommen. Offenkundig wollten Landesregierungen und LEAG/MIBRAG
Bilder prügelnder PolizistInnen und Massenfestnahmen vermeiden – und nahmen
dafür einen kurzzeitigen Produktionsausfall und einen symbolischen Erfolg von EG
in Kauf. So wurden insgesamt 29 Strafanzeigen gestellt. Auch versuchte die
Polizei schnellstmöglich, Gewalt darstellende Bilder auf ihre Echtheit zu
überprüfen. Was nicht bedeutet, dass unsere Delegation nicht eindeutig
unterschiedliche Formen der Polizeigewalt vor Ort sehen und erleben musste.

Schwäche

Das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch
einer selbstkritischen Bilanz von EG selbst bedarf.

Anders
als bei den Aktionen im Rheinland und der letzten Besetzungsaktion in der
Lausitz wurde diesmal kein Camp organisiert, von dem aus die Aktionen
vorbereitet oder koordiniert wurden. Ein möglicher Grund dafür war jedoch nicht
fehlende Logistik oder finanzielle Ressourcen, sondern scheinbar die Angst vor
Nazis und noch schlimmer vor der lokalen Bevölkerung. Diese war deutlich auch
bei der Aktion spürbar. So appellierten viele von EG bei der Abfahrt aus der
Kohlegrube in den LEAG-Bussen (!) zum Bahnhof an die Polizei, dass diese
DemonstrantInnen vor etwaigen rechten Übergriffen schützen müsse. Hier kippte
der „staatskritische“ Protest in den Hilferuf an die Staatsgewalt um.

Dies spiegelt das Fehlen einer politischen Konzeption, von
Forderungen wider, wie die Beschäftigten und die Bevölkerung einer
krisengeschüttelten, benachteiligen Region für einen gemeinsamem Kampf gewonnen
werden können.

Ohne eine solche Orientierung, die Klimaschutz und den Kampf
für die Klasseninteressen der Beschäftigen zu verbinden versucht, müssen notwendigerweise
alle Erklärungen an die Beschäftigen in der Kohleindustrie, an die lohnabhängige
Bevölkerung, an Hartz-IV-EmpfängerInnen, ArmutsrenterInnen oder perspektivlose
Jugendliche als rein moralisierende Kritik rüberkommen.

Statt die Masse der Bevölkerung als Menschen anzusprechen, deren soziale Sorgen, deren Ausbeutung und Deklassierung erst genommen wird, erscheinen bei vielen AktivistInnen der Umweltbewegung noch die BewohnerInnen der Lausitz oder die im Tagebau und in Kraftwerken Beschäftigten als „Privilegierte“. Den Menschen in der Lausitz „Verzicht“ zu predigen, wird von den EinwohnerInnen einer durch den Kahlschlag nach der Wende weitgehend de-industrialisierten Region verständlicher Weise als Zynismus aufgefasst.

Es ist unsere
Aufgabe, den Beschäftigten eine Perspektive aufzuzeigen, indem wir die soziale
Frage fest in unsere Klimaforderungen integrieren. Floskeln vom
„sozialverträglichen Kohleausstieg“, den die Menschen der Region seit 30 Jahren
als Begleitmusik zu Arbeitsplatzvernichtung zu hören bekommen und die leider
auch bei EG üblich sind, werden da nicht helfen. Ebenso nicht der Verweis auf
die weitaus schlimmeren Folgen des Klimawandels für Menschen im globalen Süden,
verglichen mit den sozialen Folgen einer Schließung der Tagebauten für die
LausitzerInnen.

EG steht zwar – und darin unterscheidet es sich positiv von anderen Teilen der Umweltbewegung – für Antikapitalismus. Aber dieser scheint ohne Klassensubjekt auskommen zu wollen. Das drückt sich auch in der Aktionsform des zivilen Ungehorsams aus. Anders als z. B. der Streik stellt der zivile Ungehorsam keine Form der kollektiven Selbstorganisation von Ausgebeuteten dar, der die Produktion selbst lahmlegt, sondern trägt selbst als Massenaktion vorwiegend symbolischen Charakter. Daher geht sie – ob bewusst oder notgedrungen – oft mit dem Appell an den bürgerlichen Staat einher.

Auch wenn von Massenblockaden die Rede ist, so wird sich der Aufbau der Bewegung als Addition von Individuen und Kleingruppen (Bezugsgruppen) vorgestellt. Es ist natürlich durchaus sinnvoll, sich in Aktionen in Bezugsgruppen aufzuteilen – aber eine Klassen- und damit eine Massenbewegung kann nie eine von Kleingruppen oder eine bloße Addition von Individuen sein. Sie stützt sich immer auch auf politische Organisationen, gewerkschaftliche oder soziale Massenorganisationen oder Kampforgane wie Räte, Aktionskomitees, die die Integration, Repräsentation und koordinierte Aktion großer Massen ermöglichen.

Ihre Demokratie muss daher notwendigerweise eine sein, die
sich auf Massenversammlungen, Entscheidungen, Wahl, Abwählbarkeit und
Rechenschaftspflicht stützt.

Das System der Bezugsgruppen, der Delegiertenplena wie der
Pseudo-Klandestinität von EG hingegen entspricht nicht einer Massenbewegung,
sondern einer größeren Ansammlung entschlossener EinzelaktivistInnen, wie es in
radikaleren Formen des „zivilen Ungehorsams“ zum Ausdruck kommt. Aus dieser
Perspektive erklärt sich auch, wieso eine derartige Geheimhaltungspolitik
bezüglich der konkreten Blockadepunkte existierte. Diese sind, bis auf einen
unbekannten Kreis, bis zur konkreten Blockadeaktion geheim geblieben. Eine
Unterstützung dieser war nur für Anreisende aus den jeweiligen Städten möglich.

Perspektive der
Bewegung

Die Aktionen von EG, der Aktionswoche von XR wie auch die
Streiks von Fridays for Future verdeutlichen die Notwendigkeit einer
politischen und strategischen Diskussion in der Umweltbewegung. Gerade
angesichts der kommenden Wirtschaftskrise erlangt die Verbindung von
Klimaschutz, Antikapitalismus und ArbeiterInnenklasse gegen die Krise eine
strategische Bedeutung. Gelingt der Schulterschluss in der gemeinsamen Aktion
nicht, so droht die Umweltbewegung in eine Sackgasse zu geraten und die Kluft
zwischen ihr und gewichtigen Teilen der Lohnabhängigen vertieft zu werden.

Zweifellos bringen die Bündnisse und Bewegungen wie EG, FFF
und XR dabei auch enorme Stärken ein, allen voran einen grenzübergreifenden
Charakter. Es mangelt jedoch an verbindlicher globaler Vernetzung zum
koordinierten Widerstand, der über einzelne Aktionstage hinausgeht. Zweitens
muss die Klassenfrage mit der Umweltbewegung verbunden, genauer, der Kampf
gegen die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit als
integraler Teil des Klassenkampfes begriffen werden.

Um all dies zu leisten, benötigen wir ein Aktionsprogramm,
das an Schulen und Unis, vor allem aber auch in Betrieben und das heißt auch in
den Gewerkschaften verankert ist. Dafür müssen AntikapitalistInnen aktiv
werden, dazu bedarf es Aktionskonferenzen und Foren des Austausches und
Beschlussfassung, ähnlich den Sozialforen zu Beginn des Jahrhunderts. So kann
die Bewegung gestärkt aus einer strategischen Diskussion hervorgehen.




Extinction Rebellion: Alle Klassen für das Klima?

Jan Hektik/Martin Suchanek, Neue Internationale 241, Oktober 2019

Extinction Rebellion (XR) ist bekannt als radikaler Teil der
Umweltbewegung und als enge Bündnispartnerin von Fridays for Future. Gerade in
Großbritannien und den USA steht sie im Fokus der öffentlichen Debatte. Doch
wofür tritt XR ein? Was sind ihre Taktiken? Und was ihre Stärken und Schwächen?
Mit diesen Fragen möchte sich dieser Artikel auseinandersetzen.

Was macht Extinction Rebellion?

XR ist eine auf öffentlichkeitswirksame Aktionen abzielende
Bewegung, die vor allem in Großbritannien viele AnhängerInnen und große
Protestaktionen organisiert hat. Auch in Deutschland existieren ca. 30
Ortsgruppen, Tendenz rasch steigend. Mittlerweile soll XR bundesweit rund
16.000 Mitglieder haben.

Zunächst einmal muss man positiv hervorheben, dass durch XR
viele Jugendliche aktiv auf die Straße gehen und in Konflikt mit dem
bürgerlichen Staat treten, gegen den wir letztlich die Rettung unserer
Lebensgrundlagen durchsetzen müssen. Weiterhin hat XR es geschafft, zumindest
in Großbritannien eine große Öffentlichkeit zu erreichen und so die allgemeine
Debatte maßgeblich zu beeinflussen. Dies geschieht vor allem in Aktionen
zivilen Ungehorsams wie Straßenblockaden aber auch in künstlerischen
Protestformen wie z. B. „Die-Ins“ (sich an öffentlichen Orten massenweise tot
stellen). Dort erreichten die Aktionen teilweise eine Größe von 6.000
TeilnehmerInnen, was aber inzwischen auch zu hunderten, wenn nicht tausenden Verhaftungen
führte. Laut XR ist es sogar das Ziel, solche zu provozieren, um eine größere
Öffentlichkeit zu schaffen. Weiterhin soll gewaltfrei agiert werden, damit die
Öffentlichkeit sich eher mit den Protesten solidarisiert, also „die richtigen
Bilder geschaffen werden.“

In Deutschland organisierte XR bislang eine symbolische
Blockade der Internationalen Automobilausstellung sowie Aktionen um Fridays for
Future und die Kampagne plant vom 7. Oktober an, „Berlin lahmzulegen“, wozu
mehrere tausend AktivistInnen erwartet werden.

Grundforderungen

Bevor wir uns mit den Aktionsformen auseinandersetzen, geben wir zunächst die drei Grundforderungen von XR auszugsweise wieder:

„Sagt die Wahrheit!

Die Regierung muss die existenzielle Bedrohung der ökologischen Krise offenlegen und den Klimanotstand ausrufen. Alle politischen Entscheidungen, die der Bewältigung der Klimakrise entgegenstehen, werden revidiert. (…)

2. Handelt jetzt!

Die Regierung muss jetzt handeln, um die vom Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen bis 2025 auf Netto-Null zu senken. (…)

3. Politik neu leben!

Die Regierung muss eine Bürger:innenversammlung für die notwendigen Maßnahmen gegen die ökologische Katastrophe und für Klimagerechtigkeit einberufen. Darin beraten und entscheiden zufällig ausgewählte Bürger:innen darüber, wie die oben genannten Ziele erreicht werden können. (…) Die Regierung verpflichtet sich, die Beschlüsse der Bürger:innenversammlung umzusetzen.“

Diese drei Forderungen stellen für XR gemeinsam mit 10 „Prinzipien und Werten“ das inhaltliche Konzept dar.

Vertrauen in bürgerliche Politik

Die Grundforderungen verdeutlichen einen zentralen
Widerspruch, der sich durch die ganze Bewegung zieht. Einerseits präsentiert
sie sich als radikaler, internationaler und aktionistischer Flügel der
Umweltbewegung. Andererseits bleiben die Forderungen sogar weit hinter deren
reformistischen oder selbst linken kleinbürgerlichen Teilen zurück. Während z.
B. reformistische Parteien, attac oder die verschiedenen NGOs konkrete
Forderungen aufstellen, belässt es XR bei einem allgemeinen Aufruf an die
Regierung. Diese solle nicht nur „die Wahrheit sagen“ und „endlich handeln“,
sie soll darüber hinaus auch selbst festlegen, welche Maßnahmen notwendig sind,
damit die Klimaziele bis 2025 erreicht werden können.

Dieselben Regierungen, die über Jahrzehnte versagt und die
Interessen der großen Kapitale bedient haben, sollen wie durch ein Wunder zu
„Klimaretterinnen“ mutieren. Und nicht nur das. Sie sollen nicht einmal
konkrete Forderungen z. B. nach Besteuerung der Profite der großen Konzerne
oder Ausbau des öffentlichen Nachverkehrs umsetzen, sondern selbst entscheiden,
wer wie welchen Anteil an den notwendigen Maßnahmen und deren Kosten übernehmen
soll. Mit anderen Worten: es wird der bürgerlichen Regierung überlassen zu
entscheiden, wie viel UnternehmerInnen oder Lohnabhängige, arm oder reich
„beitragen“ müssen. Allenfalls wird unverbindlich angemahnt, dass „die
Bedürfnisse der Menschen, die von der ökologischen Krise am stärksten
betroffenen sind, (…) Priorität“ haben sollen. Solche Allerweltserklärungen
könnten selbst Trump, Merkel und Johnson unterzeichen – sie verpflichten
schließlich zu nichts.

Klassen?

XR gibt sich zwar militant und kämpferisch, offenbart aber ein rühriges Vertrauen in das bestehende politische System. Die Bindung des Staatsapparates und der Regierung an die Interessen des Kapitals kommt erst gar nicht vor. XR strebt vielmehr eine Bewegung aller Klassen an, wenn aufgerufen wird, sich „der Rebellion für das Überleben anzuschließen, unabhängig von Religion, Herkunft, Klasse, Alter, Sexualität, Geschlecht sowie politischer Neigung.“ (https://extinctionrebellion.de/wer-wir-sind)

So richtig es ist, für eine Bewegung unabhängig von
Religion, Nationalität, Geschlecht, sexueller Orientierung einzutreten, so
problematisch wird es, wenn „politische Neigung“ und „Klasse“ keine Rolle
spielen sollen.

Was die „politische Neigung“ betrifft, so ist schon der
Begriff problematisch. Ob jemand rassistische oder anti-rassistische,
internationalistische oder nationalistische, bürgerliche, kleinbürgerliche oder
proletarische politische Positionen vertritt, ist eben keine Frage einer
„Neigung“ wie z. B. ob jemand lieber Wasser mit oder ohne Kohlensäure trinkt.
Es geht hier darum, welchen politischen, letztlich welchen Klassenstandpunkt
eine Person oder gar eine ganze Bewegung einnimmt. So richtig es ist, dass wir
für neue Menschen offen sein müssen, so bedarf es auch einer klaren Abgrenzung
gegenüber rassistischen und nationalistischen Positionen, so müssen bürgerliche
und kleinbürgerliche pro-kapitalistische Positionen offen politisch bekämpft
werden. Alles andere läuft nicht auf eine „bunte“ Bewegung hinaus, sondern auf
eine Unterordnung der großen Masse der Ausgebeuteten und Unterdrückten.

BürgerInnenversammlung?

Darüber hinaus lehnen wir auch die Forderung nach
BürgerInnenversammlungen ab, deren Mitglieder gar nicht gewählt, sondern per
Los, also rein zufällig bestimmt werden sollen. Ein solches Gremium wäre nicht
nur leicht von Regierung und bürgerlichen ExpertInnen manipulierbar, es wäre
auch undemokratischer als jedes Parlament.

Auch dieses verschleiert zwar, wer die eigentliche Macht in
der Gesellschaft ausübt: die EigentümerInnen von Energie-, Autokonzernen und
Transportunternehmen, von Banken und Versicherungen, von Medien und
IT-Unternehmen, um nur einige wichtige Teile der KapitalistInnenklasse zu
nennen. Sie haben kein Interesse daran, einen effektiven Klimaschutz zu
schaffen, sobald er ihren Profitinteressen entgegensteht.

Aber zu den Parlamentswahlen treten wenigstens politische
Parteien an, die verschiedene Klassenkräfte repräsentieren (können), die die
Lohnabhängigen somit als Feld nutzen können, ihr Programm zu vertreten. Selbst
das würde bei der Verlosung zur „BürgerInnenversammlung“ völlig entfallen.
Statt die Regierung und den Staatsapparat besser zu kontrollieren, würden diese
in Wirklichkeit gestärkt werden.

Kontrolle und Räte

Wirklicher Klimaschutz erfordert daher, nicht weitere, gar
noch undemokratischere Anbauten am bürgerlichen Staat vorzunehmen, sondern
vielmehr den Kampf für klassenspezifische, in den Betrieben, Unternehmen,
Stadtteilen und Kommunen verwurzelte Strukturen der Gegenmacht. Diese müssten
z. B. kontrollieren, was zu welchem Zweck erforscht wird. Diese müssten die
Schwerpunkte für eine nachhaltige Produktion im nationalen wie internationalen
Maßstab festlegen. Solche Organe wären Mittel der ArbeiterInnenkontrolle, die
vor allem in den großen Energie-, Verkehrs- und Verschmutzungsindustrien, in
den Banken usw. eingeführt werden müssten. Sie müssten die Aufstellung eines gesellschaftlichen
Plans kontrollieren, der ökologische Ziele und die Bedürfnisse der Mehrheit der
ProduzentInnen und KonsumentInnen in den Mittelpunkt stellt.

Solche Kontroll- und Kampforgane würden ihrerseits rasch mit
den Machtorganen der Unternehmen wie des Staates zusammenstoßen. Um deren
unvermeidlichen Widerstand zu brechen, müssten sie selbst den Schritt von
Organen der Gegenmacht zu Organen der ArbeiterInnenmacht, einer sozialistischen
Umgestaltung machen.

Anhang: Welche Aktionsform?

Daher treten wir für massenhafte, kollektive Aktionsformen,
die den Kern der verantwortlichen Industrien treffen, ein: Streiks,
Besetzungen, Massendemonstrationen. Auch eine Platzbesetzung wie sie XR in
London ausgeführt hat, kann sinnvoll sein. Es braucht aber vor allem demokratisch
gewählte Organe von ArbeiterInnen, Unterdrückten und Jugendlichen.

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage der
Gewaltfreiheit. Da es hierbei um das Überleben der Menschheit geht, ist
eigentlich klar, dass im Notfall leider Gewalt angewendet werden muss – schon
allein zur Selbstverteidigung gegen die unvermeidliche Repression durch den
Staat oder unternehmensnahe rechte Kräfte. In der Tat wäre die Alternative,
weiter zuzulassen, dass Klimakiller unsere Umwelt zerstören, alles andere als gewaltfrei.
Sie bedeutet nämlich massenhafte Vertreibung und letztlich die Zerstörung der
Lebensgrundlage vieler Millionen Menschen.

Die Frage lautet daher, welche Art von Gewalt und
Aktionsform für uns sinnvoll ist. Sicher können „Die-Ins“kurzzeitig ein medienwirksames
Symbol darstellen. Wirklich unter Druck setzen wird dies aber weder Regierung
noch Konzerne. Erst eine massenhafte militante Streikaktion kann das tun. In
diesem Sinne sollten die Schulstreiks fortgeführt werden und die Verbindung zu
ArbeiterInnen suchen. Die Polizei wird nicht geneigt sein, solche Aktionen mit
Samthandschuhen und Humor zu behandeln, aber diese können organisiert und
kollektiv verteidigt werden.