Schweden: Regierung doch noch gestürzt

Arbetarmakt, schwedische Sektion der Liga für die 5. Internationale, Infomail 1153, 21. Juni 2021

Schwedens sozialdemokratisch-grüne Minderheitsregierung ist endgültig gestürzt, nachdem Ministerpräsident Stefan Löfven eine Vertrauensabstimmung im Parlament verloren hat. Nach der Wahl von 2018, die keine klare Mehrheit eines „Lagers“ mit sich brachte, trat die Koalition ihr Amt nur an, nachdem sie die neoliberalen Forderungen der Zentrumspartei und der Liberalen im „Januarabkommen“ akzeptiert hatte. Selbst mit deren Unterstützung war die Regierung immer noch von der Linkspartei, der Nachfolgerin der Kommunistischen Partei, abhängig, die sich bereit erklärte, nicht gegen sie zu opponieren, wenn sie zwei Schlüsselelemente des Abkommens nicht umsetzt: die Verwässerung des Rechte der Beschäftigten und die Preisgabe der Mieten für den freien Markt.

Die Angriffe auf die Arbeitsplatzsicherheit kamen, wie versprochen, aber die Vorsitzende der Linkspartei, Nooshi Dadgostar, sagte, dass sie nicht für ein Misstrauensvotum stimmen würde, falls die Gewerkschaften und die UnternehmerInnen von sich aus zu einer Einigung über das Arbeitsrecht kommen würden. Die SozialdemokratInnen übten daraufhin schnell Druck auf ihre Verbündeten in der Gewerkschaftsbürokratie aus, um genau solch eine Vereinbarung auszuarbeiten, und die Regierung blieb im Amt.

Mieten

Das war im Oktober des vergangenen Jahres. Das zweite Thema, die Freigabe der Mietpreise im öffentlichen Wohnungsbau, war nicht so leicht zu umgehen. Der Vorschlag lautete, dass das „schwedische Modell“, bei dem die Mieten durch Verhandlungen zwischen der MieterInnengewerkschaft Hyresgästföreningen und den VermieterInnen festgelegt werden, durch freie Hand für die VermieterInnenseite ersetzt werden sollte, damit diese die Mieten nach „Marktpreisen“ beliebig festlegen können. Um die Pille zu versüßen, würde dies zunächst nur für Neubauten gelten.

Wie wir bereits berichtet haben, würde eine Freigabe der Mietpreise in Schweden laut dem Bericht einer Beratungsfirma etwa 50 Prozent höhere Mieten in Stockholm und 30–50 Prozent landesweit bedeuten.

Letzte Woche gab Nooshi Dadgostar unter dem Druck ihrer eigenen Parteimitglieder und der massiven Kampagne im ganzen Land gegen diesen extremen Vorschlag zur Liberalisierung des Wohnungsmarktes, der laut Umfragen nicht einmal unter den rechten WählerInnen eine Mehrheit hat, der Regierung eine Frist von 48 Stunden, um entweder den Vorschlag zurückzuziehen oder neue Verhandlungen mit der MieterInnengewerkschaft einzuleiten.

Seine Chance sehend, kündigte Löfven an, dass der MieterInnenbund zwar verhandeln dürfe. Sollte es aber zu keiner Einigung mit den ImmobilieneigentümerInnen kommen, würde wie im Arbeitsrechtskonflikt der ursprüngliche Vorschlag der Freigabe der Mietpreise trotzdem verabschiedet werden.

Dieses Mal sind Dadgostar und die Linkspartei nicht umgefallen. Sie kündigten an, dass sie diese „Lösung“ nicht akzeptieren können, und dann initiierten die rassistischen SchwedendemokratInnen ein Misstrauensvotum. Die konservativen Parteien der Moderaten und der ChristdemokratInnen stimmten aus eigenen Motiven für den Antrag, und gestern, am 21. Juni um 11 Uhr, wurde Premierminister Löfven mit den Stimmen der Linkspartei, der SchwedendemokratInnen, der ChristdemokratInnen und der Moderaten zu Fall gebracht. Er hat nun sieben Tage Zeit, entweder zurückzutreten oder Neuwahlen auszurufen.

Wie Arbetarmakt am Sonntag vor der Abstimmung schrieb, müssen alle AktivistInnen der Wohnungs- und ArbeiterInnenbewegung, die gegen die drohende Freigabe der Mietpreise gekämpft haben, den Sturz der Regierung und des Januarabkommens begrüßen. Von Anfang an war es die Pflicht aller SozialistInnen, alles in unserer Macht stehende zu tun, um das Januarabkommen zu Fall zu bringen, gegen jeden Teil davon zu kämpfen, den Druck zu erhöhen und schließlich die Regierung zu stürzen.

Was nun?

Die öffentliche Aufmerksamkeit wendet sich nun den politischen Ränkespielen zu, da eine neue Regierung oder möglicherweise eine vorgezogene Neuwahl diskutiert wird. Wir können die Möglichkeit nicht ausschließen, dass die Linkspartei erneut ihre vermeintlich „roten Linien“ verrät und Verhandlungen unter dem Druck entweder eines Gesetzes oder des Schreckgespenstes einer reaktionären schwedendemokratisch-moderat-christdemokratischen Regierung akzeptiert. Es war zweifellos der Druck der Bewegung gegen die Preisgabe der Mieten auf der Straße, der die Führung der Linkspartei dazu gezwungen hat, das Misstrauensvotum, anders als beim letzten Mal über das Beschäftigungsgesetz, zu unterstützen.

Egal, was als Nächstes kommt, die Aufgabe der SozialistInnen besteht jetzt darin, die Kampagne gegen die Vermarktung der Mieten auf der Straße zu verstärken. Die politische Krise wird nicht durch weitere Intrigen, Verhandlungen hinter verschlossenen Türen oder eine weitere Pressekonferenz gelöst werden. AktivistInnen in der MieterInnengewerkschaft, der Kampagne gegen die Kommerzialisierung der Mieten, GewerkschafterInnen und organisierte SozialistInnen müssen kristallklar machen, dass, egal welche Regierung als Nächstes kommt, die Kommerzialisierung der Mieten für uns eine rote Linie darstellt. Wie die Kampagne, die von Arbetarmakt unterstützt wird, am Sonntagabend schrieb: „Wir wollen keine Scheinverhandlungen oder verräterische Deals auf dem Rücken der MieterInnen sehen. Wir wissen, dass sieben von zehn SchwedInnen, aus allen politischen Richtungen, gegen die Freigabe der Mietpreise sind. Hört auf das Volk!“

Der Protest vor dem Parlament, zu dem die Kampagne aufgerufen hatte, war ein guter Auftakt für einen heißen Sommer im Kampf gegen jegliche Angriffe auf den Wohnungsbau. Während die politische Situation in Schweden derzeit ungewiss ist, können wir uns einer Sache sicher sein: Die Intensivierung des Kampfes ist unsere einzige Garantie, um die Angriffe der kapitalistischen Rechten zurückzuschlagen, egal welche Regierung an der Macht ist.




Hände weg von der Rigaer Straße!

Martin Suchanek, Infomail 1153, 17. Juni 2021

Die Berliner Polizei räumt wieder einmal. Seit Jahren sind ihr die besetzten Häuser in der Rigaer Straße 94, in der Liebigstr. 34 und viele andere wie Wohn- und Kulturprojekte ein Dorn im Auge. Längst ist der rot-rot-grüne Senat von der Politik der faktischen Legalisierung und Befriedung von Besetzungen abgerückt, wie sie in den 1990er Jahren durchgeführt wurde.

Unter dem fadenscheinigen Vorwand einer Brandschutzprüfung konnten die HauseigentümerInnen der Rigaer –  die in London ansässige Lafone Investments Limited, die über weitere Firmen und Treuhandkonstruktionen zu einem Berliner Privateigentümer und Immobilienhai führt – einen massiven Polizeieinsatz erzwingen. Dass es sich bei der Prüfung um einen bloßen Vorwand handelt, war schon immer klar, wurde aber am 17. Juni noch einmal deutlich, als das Angebot der BewohnerInnen ausgeschlagen wurde, den Brandschutzprüfer ohne Polizei ins Haus zu lassen.

Das Ziel wird damit nur noch einmal unterstrichen: die Räumung des Hauses mit allen Mitteln. Genau aus diesem Grund wird die Rigaer Straße seit Monaten, ja Jahren regelmäßig zum polizeilichen Sperrgebiet erklärt. Demonstration und Versammlungen werden tagelang verboten – und diese faktische Militarisierung der Auseinandersetzung durch Polizei, Senat und Gerichte wird dann den BesetzerInnen und deren UnterstützerInnen in die Schuhe geschoben, die ihre Vertreibung nicht einfach hinnehmen wollen.

Widerstand ist berechtigt!

Die EinwohnerInnen wehren sich – wie die vieler anderer besetzter Häuser – seit Jahren. Ihr Widerstand ist zweifellos berechtigt und verdient die Unterstützung der gesamten Linken, der MieterInnenproteste und –bewegung, der Gewerkschaften und der ArbeiterInnenbewegung.

Die beabsichtigte Räumung praktisch aller besetzten Häuser und Projekte in Berlin und die Diffamierung ihre BewohnerInnen und VerteidigerInnen als „Kriminelle“ muss im Gesamtzusammenhang  der Privatisierungen, der zunehmenden Spekulation, der Immobilienblase an den Börsen und der Finanzialisierung des Wohnungsmarktes verstanden werden. Der Polizeieinsatz in der Rigaer Straße bildet einen Bestandteil dieser Entwicklung, die zu stetigen Mietpreissteigerungen und Verdrängung hunderttausender Menschen führt.

Die Hetze der bürgerlichen und rechten Oppositionsparteien im Abgeordnetenhaus, der PolizeivertreterInnen und natürlich der Immobilienwirtschaft bringt letztlich nur deren Klassenstandpunkt und -hass zum Ausdruck. Kriminell agieren nicht die BesetzerInnen, die verdrängt werden sollen und sich wehren, sondern diejenigen, die deren Verdrängung, Räumung und Kriminalisierung fordern.

Ob AfD, CDU oder FDP: Sie alle singen im Chor mit der Berliner Presse das Lied der Freiheit der Rendite, fordern ein immer härteres Durchgreifen. Der rot-rot-grüne Senat erweist sich dabei wieder einmal als treuer Erfüllungsgehilfe dieser Kapitale. Voraus marschiert dabei SPD-Innensenator Geisel. Als Mini-Noske gibt er den Einpeitscher und Taktgeber: Was die bürgerliche Opposition fordere, setze er ohnedies längst schon um. Solange der Mann der Polizeitruppe vorsteht, können die Reichen in Ruhe reicher werden. „Wer Autoreifen anzündet, kämpft nicht für linke Freiräume, sondern drangsaliert den eigenen Kiez“, lässt der Innensenator verlauten. Hier spricht einer, der sich auskennt mit dem Drangsalieren von AnwohnerInnen. Denn: Was sind schon brennende Reifen gegen die Räumung von Häusern, Verdrängung tausender MieterInnen durch die Spekulation? Was bedeutet es schon, einen Farbbeutel oder einen Stein auf die Straße zu werfen, wenn tausende MieterInnen aufs Pflaster geworfen werden?

Von dem Innensenator kann die grüne Bezirkbürgermeisterin Herrmann in Sachen Umkehrung von Tatsachen noch lernen. Sie ist bestürzt über Gewalt und Chaos einer Minderheit. Gemeint hat sie damit jedoch nicht die Polizei, die die Straßen besetzt hält, sondern die Menschen, die sich gegen die Räumung wehren.

Ansonsten gehen Jusos, die verbliebenen Linken bei den Grünen und die Linkspartei derweil auf politische Tauchstation. Sie agieren nach dem Pontius-Pilatus-Prinzip und waschen ihre Hände in Unschuld. Gegen Geisel, die Polizei und die Pressehetze wollen sie nichts sagen, um nicht die imaginäre „Mitte“ zu verprellen oder gar kurz vor den Wahlen einen Koalitionskrach so zu riskieren. Umgekehrt wollen sie die UnterstützerInnen und SympathisantInnen der Rigaer Straße nicht als WählerInnen verprellen. Diese feige Stillhaltepolitik ist selbst ein politischer Skandal. Sie macht es den Geisels leicht, den Einbruch der Polizei mit Kettensägen und Rammböcken als „normalste Sache der Welt“ hinzustellen.

Solidarität!

Damit Geisel, seine Polizei und Immobilienlobby, deren Profite sie sichern, nicht durchkommen, bedürfen die BewohnerInnen der Rigaer 94 und alle anderen von der Räumung bedrohter Häuser und Projekte unserer Solidarität.

Ohne Massenunterstützung wird es kaum möglich sein, dass der Widerstand gegen das paramilitärische Aufgebot der Polizei, gegen den vereinten Justiz- und Verwaltungsapparat auf Dauer siegen kann. Unterstützt daher die Solidaritätsaktionen, Kundgebungen und Demonstrationen mit der Rigaer 94 heute und an den kommenden Tagen!

Zugleich brauchen wir eine breite Solidaritätsbewegung, die alle MieterInnenbündnisse und Kampagnen wie Deutsche Wohnen & Co. enteignen und die Gewerkschaften umfasst. Vor allem aber sind die Linkspartei und alle Senatsparteien, die ständig vorgeben, sich für die Belange der MieterInnen einzusetzen, gefordert, den Geisels und Hermanns in den Arm zu fallen und aufzuhören, als verlängerter Arm von HauseigentümerInnen und Kapitalinteressen zu agieren.

Sofortiger Stopp der Räumung und Rückzug aller Polizeieinheiten! Aufhebung aller Demonstrations- und Versammlungsverbote!

  • Freilassung aller festgenommenen Protestierenden!
  • Entschädigungslose Enteignung der BesitzerInnen der Rigaer 94 und anderer von der Räumung bedrohter Häuser!
  • Überlassung der Wohnräume und Projekte an die BesetzerInnen und Hauskollektive!
  • Unterschreibt das Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co. enteignen! Entschädigungslose Enteignung von Vonovia, Deutsche Wohnen und aller anderen Immobilienkonzerne!



Zweite Runde des Volksbegehrens erfolgreich abschließen! Und wie dann weiter?

Lucien Jaros, Wem gehört die Stadt? ArbeiterInnenmacht-Broschüre, Mai 2021

Seit letzten Sommer hat es DWE nicht nur geschafft, eine große SammlerInnenstruktur mit ca. 1.600 Personen aufzubauen, was zahlreiche „Solidarische Orte“, lokale Kiez- und Hochschulgruppen einschließt, sondern auch die Zustimmung großer BündnispartnerInnen wie des Berliner Mietervereins und ver.dis, der GEW, IG Metall , IG-BAU- und DGB-Jugend sowie der Berliner Jusos gewonnen. Es gibt Gespräche mit verschiedenen linken Bezirksverbänden und Abgeordneten der Grünen und der SPD. Die Linkspartei unterstützt das Volksbegehren ebenso wie zahlreiche andere linke Initiativen, Vereine, Interessenvertretungen und politische Gruppierungen.

Zusätzlich wurde die Kampagne geographisch erweitert:

  • Eine bundesweite Enteignungsvernetzung hat begonnen mit UnterstützerInnen in Aachen, Aschaffenburg, Bremen, Darmstadt, Dortmund, Düsseldorf, Frankfurt, Freiburg, Göttingen, Halle, Hamburg, Hannover, Jena, Kiel, Köln, Leipzig, Mannheim, Marburg, Nürnberg, Potsdam, Stuttgart und Tübingen (bundesweit@dwenteignen.de).
  • Mit der (Unter-)Kampagne „Right to the City“ wurde das Sammeln rechtlich ungültiger, aber politisch unterstützender Unterschriften von Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft zusammen mit verschiedenen MigrantInnenorganisationen (wie bspw. DIDF, der kurdischen und arabischen Community) geplant, um auf den Umstand ungleicher Rechte aufmerksam zu machen. Dafür wurden Materialien in englischer, türkischer, arabischer und russischer Sprache produziert. Wir sind der Meinung: Wer Miete zahlt, dessen Unterschrift soll auch gezählt werden.
  • Damit hat die Kampagne nicht nur eine starke personelle Ausstattung, sondern eine bis dahin nicht bekannte gesellschaftliche Reichweite in stark unterschiedlichen Milieus und in der organisierten ArbeiterInnenklasse entwickelt.

Mobilmachung der Gegenseite

Aber auch die Gegenseite macht mobil: Eine Woche vor Start der zweiten Phase schikanierte die Polizei mehrere SammlerInnen, beschlagnahmte Material, erstattete Anzeigen wegen Plakatierens ohne Erlaubnis und Sachbeschädigung oder wurde in Treptow ertappt, wie sie selbst Plakate (bspw. in der Baumschulenstraße) entfernte. Innensenator Geisel berät weitere Schritte wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz. Derselbe Innensenator, der 441 Tage für die Freigabe des Volksbegehrens gebraucht hat, beeilt sich anscheinend, jetzt die Kampagne zu stören. Dabei ist politische Werbung zum Zwecke von Volksbegehren nach § 2 Abs. 5, Nr. 2 der Covid-Verordnung ausdrücklich erlaubt. Geisel ist dem rechten und der Immobilienlobby nahen Flügel der SPD zuzurechnen und bereits zuvor mit einer feindlichen Haltung gegenüber diversen Volksbegehren aufgefallen. Die Rate konservativer und neoliberaler Internettrolle steigt an und spammt die Kommentarspalten unter den Artikeln bürgerlicher Zeitungen zu. Und nicht zuletzt will der Immobilienlobbyverband GdW (Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen) 1,6 Millionen Euro für eine öffentliche Gegenkampagne bereitstellen, die durch Spenden der Mitgliedsverbände wie beispielsweise des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) und Sonderbeiträge der von der Vergesellschaftung betroffenen Immobilienkonzerne finanziert wird, und damit durch die Mieten der einfachen BerlinerInnen.

(Mehr zum Thema im Artikel „Wenn die Immobilienhaie rufen, kommt die Polizei“).

Das alles war zu erwarten und zeigt sehr gut, dass Vergesellschaftung zwar in Form des Volksbegehrens eine demokratische Frage ist, aber im Kern eine soziale mit klaren Klassenlinien und Lagern.

Stand des Volksbegehrens

Aktuell läuft das Volksbegehren zufriedenstellend. In der 10. von insgesamt 18 Wochen wurden ca. 100.000 gültige Unterschriften von 175.000 benötigten abgegeben. Eine leichte Steigerung der Unterschriften ist in den letzten Wochen wahrscheinlich, da Einzelpersonen und Organisationen ihre am Ende gesammelt abgeben. Jedoch ist der Erfolg nicht sicher und es kommt bis zum Ende auf jede Unterschrift an. Daher:

  • Installiert die DWE-App auf Euer Handy, wo Ihr über Sammelaktionen, Infoveranstaltungen und Kundgebungen sowie Orte informiert werdet, wo Ihr abstimmen könnt sowie Materialien und Unterschriften bekommt!
  • Werdet aktiv bei einem der vielen lokalen Kiezteams, der Hochschulvernetzung oder in der DWE-Gruppe Eurer Hochschule und tretet der entsprechenden Telegram-Gruppe bei (eine Liste findet Ihr unter www.dwenteignen.de/mitmachen/)!
  • Nehmt teil am zweiwöchigen Plenum der Kampagne! Schickt dazu eine Mail an mitmachen@dwenteignen.de!
  • Sprecht mit FreundInnen, KollegInnen und Familie über DWE, holt Euch Unterschriftenlisten von einem der „Solidarischen Orte“, reicht diese weiter und sammelt selbst! Das zentrale DWE-Büro befindet sich in der Graefestraße 14 in Kreuzberg. Eine Karte, wo Du unterschreiben oder Deine Unterschriftsbögen abgeben kannst, findest Du in der DWE-App.

Volksbegehren und Internationalismus

Die Quote der „ungültigen“ Unterschriften liegt bei ca. 25 %. Hauptgrund ist die fehlende deutsche Staatsbürgerschaft. Dieser Sachverhalt zeigt einerseits deutlich, dass sich das Interesse an einer sozialen Wohnpolitik und dem Volksbegehren über die nationalen Milieus hinaus und entlang den Klassenlinien ausbreitet und damit die Trennung der ArbeiterInnenklasse entlang Sprach- und Kulturbarrieren überwunden werden kann. Und das ist ein Fortschritt im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten.

Andererseits sind migrantische ArbeiterInnen ohne Staatsbürgerschaft trotz ihrer Bereitschaft, die Berliner Wohnpolitik mitzubestimmen, von der politischen Willensbildung ausgeschlossen. Daher ist die Right-to-the-City-Kampagne und die Zusammenarbeit mit migrantischen Milieus und ihren Kämpfen wichtig und auszubauen, um gemeinsam für gleiche Rechte für alle zu kämpfen. Im Gegensatz zu linksliberalen Intellektuellen sind MigrantInnen im Vergleich zu anderen mehr von Armut betroffen und stellen daher viel solidere und langfristige BündnispartnerInnen dar. Der Erste Mai hatte das Potenzial dieser Zusammenarbeit verstärkt. Dieses wurde aber leider bisher nicht genutzt. Ein Teil von DWE hofft nämlich, dem Druck der feindlichen bürgerlichen Medien und der Wohnungsbaulobby ausweichen zu können, indem eine klare Positionierung zu diesen Fragen umgangen wird. In Wirklichkeit wird durch diese Anpassung versäumt, sich an solchen strategischen Milieus zu orientieren.

Man muss migrantische ArbeiterInnen und Jugendliche hier unterstützen und zwar genau dort, wo sie ihre Kämpfe führen, sei es im Betrieb, aber auch auf der Straße und auch, wenn es der Erste Mai ist. Der Erste Mai ist schließlich der internationale Kampftag der gesamten ArbeiterInnenklasse und nicht nur der Tag der deutschen Gewerkschaftsbürokratie. Als breite Kampagne muss DWE alle linken politischen Spektren und alle sozialen Milieus der lohnabhängigen Mittelschichten und ArbeiterInnenklasse, insbesondere aber die am meisten ausgebeuteten Schichten, ansprechen und als aktive MitstreiterInnen gewinnen.

Volksbegehren und Klassenkampf

Bei allen guten Entwicklungen und optimistischen Aussichten ist das Ziel der Vergesellschaftung jedoch nicht sicher. Erstens weil das Volksbegehren letztlich alle Hoffnungen auf einen legalistischen Prozess setzt, der beim Gesetzgebungsverfahren eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus voraussetzt, also von der Unterstützung von Grünen, SPD und Linkspartei abhängt. Zweitens weil das Bündnis keine anderen Wege zur Vergesellschaftung aufzeigt, die im Falle einer Niederlage die Kampagne auffangen und umorientieren könnten. Die extrem einseitige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel im Interesse der Immobilienkonzerne zeigt trotz des Umstandes, dass ein Berliner Vergesellschaftungsgesetz formal rechtssicherer wäre, eine Bedrohung auf und beweist, dass man kein Vertrauen in bürgerliche Staatsorgane hegen darf.

Daher ist eine freie politische Diskussion über zusätzliche und alternative Wege und eine Strategie, vonnöten die mittels demokratischer Fragen Massen mobilisiert und organisiert. Das Volksbegehren ist erfolgreich, viele Menschen zu aktivieren, orientiert sie aber strategisch nicht über den institutionellen Rahmen hinaus. Sie müsste aber vielmehr ihre UnterstützerInnen nicht auf das Maß eines reinen Druckmittels auf die etablierte Politik reduzieren, sondern als entscheidendes Subjekt formieren, indem versucht wird, die Entscheidungsebene weg von Organen des bürgerlichen Staates (wie den Regierungsparteien, dem Abgeordnetenhaus und den Gerichten) auf eine (Klassen-)Ebene und auf das soziale Milieu der ArbeiterInnen und MieterInnen zu verschieben, wo DWE tatsächlich eine größere Hebelwirkung und Verankerung hat. Dieses Milieu muss sich durch Betriebsversammlungen, Gewerkschaften, lokale MieterInnenräte formieren und ihre Kämpfe auf  den Ebenen der Straße, des Mietboykotts und politischer Streiks führen.

Als Motor und demokratisches Vehikel ist das Volksbegehren sehr gut geeignet und die Unterstützung durch die Gewerkschaften zeigt das. Unabhängig davon, wie der Kampf ausgeht, hat die Strategie ihr Potential verdeutlicht, eine demokratische Frage in eine soziale Massenmobilisierung zu transformieren. Wie der weitere Weg aussehen soll und sich das Volksbegehren in eine Gesamtstrategie in der Wohnungsfrage einbettet, muss offen diskutiert werden. Trotz der Schwerpunktlegung auf das aktuelle Sammeln, muss diese Diskussion um Alternativen und mögliche Negativszenarien geführt werden, denn davon hängt der nachhaltige Erfolg der Vergesellschaftung ab.

Denn die erfolgreiche zweite Phase wäre nicht nur ein Sieg für 300.000 MieterInnen. Es gibt das Potenzial, Bündnisse um die Losung der Enteignung, Überführung in Gemeineigentum und demokratische Kontrolle über die Wohnungsfrage hinaus aufzubauen. Die Veranstaltung und anschließende gemeinsame Erklärung zu „Gemeinwirtschaft statt Marktradikalismus“ im September 2020, die Stadtversammlung und der Enteignungsblock im April 2021 sind gute Ansätze für größere breitere Bündnisse. Dies muss jedoch ausgebaut werden. Damit könnten die Linke und die ArbeiterInnenklasse nicht nur nach Jahrzehnten des politischen Rückzugs endlich wieder in die Offensive kommen, sondern auch in Zeiten von Corona, Klimawandel und der kommenden Wirtschaftskrise dringende Sofortmaßnahmen und ein langfristiges Programm auf eine Grundlage stellen, von der die Masse der Menschen profitiert und damit ihr Überleben sichert.

  • Volle Unterstützung für DWE! Sammelt Unterschriften und unterstützt die Kampagne bei der Abstimmung im September! Mobilisierung gegen jede Verwässerung und Hinhaltetaktik durch Senat, bürgerliche Opposition und Immobilienlobby!
  • Für eine AöR unter Kontrolle der MieterInnen und ArbeiterInnen! Mitbestimmung durch MieterInnen, Beschäftigte und Gewerkschaften statt durch reiche BerlinerInnen als Teil der Stadtgesellschaft und den bürgerlichen Staat!
  • Für unabhängige MieterInnenräte zur Kontrolle der Mietpreise, Gewährung von energetischen Sanierungen, Sicherung diskriminierungsfreier Wohnungsvergabe in der AöR!
  • Für echte MieterInnenräte auf Basis jederzeitigen Abwählbarkeit, Rechenschaftspflicht und imperativem Mandat statt Mietparlamentarismus!
  • Wiedereinsetzung der Wohngemeinnützigkeit und deren Anwendung auf AöR, kommunale Wohnungsunternehmen und Wohnungsgenossenschaften!
  • Für ein öffentlich gefördertes, demokratisch kontrolliertes und unbefristet sozialgebundenes Neubauprogramm und Verwaltung dieser Bestände durch die AöR.
  • Für die Vergesellschaftung aller freien privaten Bodenflächen und Vergabe dieser nur an kommunale, genossenschaftliche oder gemeinwirtschaftliche Bauinitiativen!
  • Verbot der Umlegung der Grundsteuer auf die MieterInnen und Besteuerung allen privaten Eigentums zwecks Finanzierung des sozialen Wohnungsneubaus!
  • Entzug des Eigentums bei Mietwucher und Überführung aller beschlagnahmten Wohnungen in die AöR!
  • Für einen bundesweiten Mietstopp und Kontrolle des Mietpreises durch unabhängige Organe von MieterInnen, Mietvereinen und Gewerkschaften!
  • Entschädigungslose Enteignung der Immobilienkonzerne unter Kontrolle der MieterInnen und Beschäftigten!

Perspektive

Bürgerliche Wohnungs- und Bodenreformpolitik richtet sich lediglich gegen „spekulative Auswüchse“, nicht gegen das auch der Wohnungsfrage zugrunde liegende Besitz- und Kapitalverhältnis. Die Stärke des DWE-Volksbegehren besteht hier darin, mit dieser Politik im Ansatz zu brechen und den markt- und preisbestimmenden Immobilienkonzernen und damit dem Markt Wohnungen zu entziehen und sie in Gemeineigentum umzuwandeln. Zusammen mit der demokratischen Kontrolle durch MieterInnenräte will DWE zentrale Ansätze einer proletarischen Wohnungspolitik verwirklichen, bleibt hier aber auf halbem Weg stecken, da die Nachhaltigkeit der Errungenschaft vergesellschafteten und demokratisierten Wohnraums von der Systemfrage abgekoppelt wird. Ob sich eine soziale Insel im Meer des Kapitalismus langfristig halten kann, ist nämlich fraglich.

Die Entwicklung der Wohnungsgenossenschaften und ihre heutige Politik bezüglich Mietendeckel und Vergesellschaftung ist ein Indikator dafür, was passiert, wenn man die Kampagne programmatisch sozialdemokratisch ausrichtet und demokratisches Gemeineigentum oder andere Formen der demokratischen Gemeinwirtschaft langfristig im Kapitalismus einrichten will. Daher muss für eine konsequente soziale Wohnpolitik und Nachhaltigkeit der DWE-Forderungen der unabhängige Klassencharakter weiterentwickelt  und der Anspruch erhoben werden, kommunales und öffentlich-rechtliches Eigentum und Demokratisierung über die eigenen Bestände und über Wohnpolitik hinaus auszudehnen. Denn auch wenn man für Reformen und Teilverbesserungen kämpfen muss, ist jeder Erfolg durch die Existenz des Marktes und des bürgerlichen Staates bedroht. Daher ist die Lösung der Wohnungsfrage untrennbar  mit der Ablösung der Marktwirtschaft verbunden.




Bundesverfassungsgericht kassiert Berliner Mietendeckel, aber der Kampf geht weiter

Karl-Heinz Hermann/Martin Suchanek, Wem gehört die Stadt? ArbeiterInnenmacht-Broschüre, Mai 2021

Das Kapital weiß Siege zu feiern. Mit dem Urteil von Karlsruhe verbesserte sich nicht nur die Laue der ImmobilienbesitzerInnen, sondern auch der Aktienkurs von Deutsche Wohnen und Co. Mit einem satten Plus von 2,72 Prozent war der Konzern nicht nur Gewinner vor dem Verfassungsgericht, sondern auch an der Frankfurter Börse.

Kapital in Feierlaune

Der Präsident des Bundesverbands freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen jubelt ob der nunmehr erreichten „Rechtssicherheit“. Nun können Mieten wieder „marktgerecht“ erhöht, erhoben, nachgefordert werden, wie es sich in der freien Marktwirtschaft eben gehört. Die SiegerInnen feiern nicht nur das Verfassungsgericht, das endlich für Recht und Ordnung gesorgt habe, sondern geben den Besiegten vom Berliner Senat und den 1,5 Millionen MieterInnen, denen massive Nachzahlungen drohen, auch noch eine Gratis-Lehrstunde in Sachen Angebot und Nachfrage. Wer gegen dieses heilige, für kapitalistische Freiheit so grundlegende Gesetz verstoße, bräuchte sich über eine Niederlage vor Gericht nicht zu wundern. Diese wäre schließlich nur eine gerechte Strafe für den Versuch, eine zum Naturgesetz verklärte angebliche Spielregel des Marktes aushebeln zu wollen. So betrachtet, erscheint die gesamte Wohnungsnot nicht als Resultat des Wirkens der Gesetze des Kapitalismus, sondern eines Verstoßes gegen diese.

Großzügig stellen einige SiegerInnen von Karlsruhe sogar in Aussicht, auf die Nachzahlung der gedeckelten Miete ganz oder teilweise verzichten zu wollen. So erklärt die Vonovia, mit 42.000 Wohnungen immerhin zweigrößter privater Immobilienkonzern in Berlin, auf eine Nachzahlung der gedeckelten Miete großzügig verzichten zu wollen, dass den MieterInnen „keine finanziellen Nachteile aufgrund getroffener politischer Entscheidungen“ erwachsen sollen. Die „Kosten“ für die soziale Beruhigungspille und Werbemaßnahme in eigener Sache werden 10 Millionen Euro veranschlagt und sind wohl schon bei zukünftigen Mietpreiserhöhungen einkalkuliert. Weniger spendabel gibt sich der Berliner Marktführer Deutsche Wohnen, dem über 100.000 Wohnungen in der Stadt gehören. Auf eine Nachforderung könne man leider nicht verzichten – schließlich würde das „unseren Verpflichtungen gegenüber dem Unternehmen, seinen Mitarbeitern und Eigentümern nicht gerecht werden“.

Altehrwürdiges Gericht

Folgt man den Klagenden in Karlsruhe, so hätte also nicht nur ein Kapitalinteresse, sondern auch gleich die Gerechtigkeit an sich gesiegt.

Zurück geht der Entscheid des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auf eine Klage von 284 Abgeordneten der Bundestagsfraktionen von Union und FDP. Sie hatten vor geraumer Zeit eine Normenkontrollklage gegen das „Gesetz zur Mietbegrenzung im Wohnungswesen“ des Landes Berlin angestrengt. Die Karlsruher RichterInnen durften auch die formale Frage klären, ob Bundesländer überhaupt Mieten regulieren dürfen oder dies allein dem Bund vorbehalten ist – ein Punkt, der auf den Bundesbauminister Horst Seehofer zurückgeht.

Bemerkenswert war schon, dass über das wichtige sozialpolitische Projekt vom Gericht alles andere als üblich ohne Anhörung entschieden wurde. VerfahrensbeobachterInnen fragen sich außerdem, ob das Prozedere im Einklang mit dem Ersten Senat des Gerichts erfolgte, der als Erstes mit dem Thema befasst war, bevor der als konservativer geltende Zweite Senat übernahm. Auch dies verdeutlicht nur, dass es sich bei dem Verfahren auch um eine wichtige Klassenfrage handelte.

Das Urteil verkörpert eine krachende Niederlage für den Berliner Senat, aber v. a. für die MieterInnen von rund 1,5 Millionen Wohnungen in der Bundeshauptstadt, die unter das Gesetz fallen. Demnach ist der Mietendeckel grundsätzlich illegal, eine irgendwie geartete Mietpreisbremse alleinige Bundessache. Juristische Hoffnungen der AnhängerInnen des Gesetzes richteten sich zum einen auf einen Schiedsspruch des Verwaltungsgerichts Berlin, das den Eilantrag eines Vermieters zurückgewiesen hatte, dem das Bezirksamt Pankow eine Mieterhöhung untersagt hatte. Der Mietstopp liege einerseits durchaus in der Gesetzgebungskompetenz des Bundeslandes, andererseits sei eine politisch festgesetzte Preisgrenze eine Ausnahmeregelung, die zeitweilig die Vorschriften des bürgerlichen Rechts überlagere. Wegen ihrer zeitlichen Befristung sei sie aber mit dem Eigentumsgrundrecht vereinbar und den VermieterInnen zuzumuten.

Zum anderen hatte der zuständige Berichterstatter des Zweiten Senats, Peter M. Huber, vor seiner Wahl zum Verfassungsrichter ein Jahr lang CDU-Innenminister in Thüringen, beim Deutschen Juristentag 2004 sich in der damaligen Föderalismusdebatte dafür ausgesprochen, den Ländern die Zuständigkeit fürs Wohnungswesen zu gewähren. Dies sei aufgrund regionaler Unterschiede in diesem Sektor geboten.

Zum Dritten hatte der Erste Senat im März 2020 einen Antrag auf vorläufige Außerkraftsetzung der Bußgeldvorschriften abgelehnt und zumindest keine grundsätzlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Landesgesetzes geäußert.

Diese auf juristische Spitzfindigkeiten gegründeten Hoffnungen sind nun so gründlich zerstoben wie das Laub im Herbststurm: April, April – das BVerfG macht, was es will!

Der Mietendeckel

Das Vertrauen in Justiz und Staat bei der Verteidigung von Reformen erwies sich einmal mehr als naiv und kurzsichtig. Einen Plan B zur Durchsetzung des Gesetzes haben der Berliner Senat und seine Parteien, ob SPD, Grüne oder Linkspartei allesamt nicht vorzuweisen, es sei denn, man hält die Forderung, dass nun „der Bund“ also die Bundesregierung oder eine Parlamentsmehrheit, die gerade die Klage in Karlsruhe unterstützt hatte, für einen Plan.

Wir haben schon im Artikel „Berliner Mietendeckel: Mietenbremse oder Trostpflaster?“ dargelegt, worin die Grenzen und Schwächen des gesamten Reformvorhabens bestanden.

Die Mieten in ca. 1,5 Millionen Wohnungen sind seit Ende Februar 2020 für 5 Jahre auf dem Stand vom 18. Juni 2019 eingefroren, dem Tag der Verabschiedung des Gesetzes. Bei Mietverträgen, die nach diesem Stichtag abgeschlossen wurden, darf höchstens die Vormiete derselben Wohnungen bzw. die niedrigere Mietobergrenze verlangt werden oder im Falle, dass die Vormiete darunter lag, die Obergrenze. Ab 2022 dürfen die VermieterInnen jährlich 1,3 % mehr kassieren. Das nennt sich „atmender“ Mietendeckel.

Ausgenommen vom Gesetz sind Neubauwohnungen, die nach dem Jahr 2014 gebaut wurden und Sozialwohnungen, die besonders bezuschusst werden. Seit vergangenem Herbst durften in einer 2. Stufe sogar überhöhte Mieten abgesenkt werden. Neben den o. a. Ausnahmen stellt das individuelle Antragsverfahren ein weiteres Loch im Deckel dar, denn natürlich erfolgt der Preisstopp nicht automatisch und von Amts wegen – das wäre ja für diesen BeamtInnenstaat zu einfach.

Bei allen Mängeln hat der Deckel natürlich eine, wenn auch viel zu geringe finanzielle Entlastung von immerhin 1,5 Millionen Menschen gebracht.

MieterInnen brauchen eine Perspektive – jetzt!

Diese MieterInnen müssen nun die Folgen des Schandurteils von Karlsruhe ausbaden. Sie müssen nicht nur wieder höhere Mieten zahlen, sondern evtl. auch noch Rückzahlungen in Höhe der Differenz leisten müssen, die den VermieterInnen durch das Berliner Gesetz entstanden sind. Die durchschnittliche Höhe dieser Nachzahlungen wird auf 1000,- Euro pro MieterIn geschätzt. Im schlimmsten Fall verlieren sie die eigene Wohnung aufgrund dieser Forderungen oder überhöhten Preisen. Schätzungen zufolge droht in den kommenden Monaten rund 40.000 Personen die Kündigung.

Der Berliner Senat verspricht zwar Hilfe für alle, die von Nachzahlungen betroffen sein werden. Doch selbst wenn diese unbürokratisch und in vollem Ausmaß erfolgen sollte, stellt sie bestenfalls ein zeitlich befristetes soziales Trostpflaster dar. Mieterhöhung und Preissteigerungen müssen die MieterInnen ab jetzt zu 100 % selbst zahlen.

Angesichts der massiven Wut, die Hunderttausende in Berlin verspüren, angesichts des sozialen Skandals werden wohl Zehntausende mehr die Forderung nach Enteignen von Deutsche Wohnen und Co. unterstützen. Ein Ja zum Volksentscheid im September wäre eine richtige Quittung für die Wohnungsbaulobby, für CDU, FDP und AfD, aber auch alle Volksbegehrens-BlockerInnen im Senat, allen voran die SPD-Rechte.

Die 1,5 Millionen MieterInnen können und sollen aber nicht bis zu den Bundestagswahlen warten. Sie können sich auch nicht auf die Rechtssicherheit einer etwaigen Mehrheit bei einer Volksabstimmung verlassen. Auch ein Volksentscheid in Berlin kann in Karlsruhe kassiert werden, auch wenn es tausende Rechtsgutachten gibt, die ihn für „verfassungssicher“ halten. Es braucht also, nebenbei bemerkt, auch DWE  einen Plan B, will es nicht dasselbe Schicksal wie der Senat erleiden.

Das Urteil von Karlsruhe zeigt nämlich eines. Letztlich sind Fragen wie die Durchsetzung des Mietendeckels oder der Enteignung keine bloß juristischen. Im Rechtsstreit treten soziale und Klassenfragen vielmehr selbst schon in einer für die bürgerliche Gesellschaft regulierten, im Rahmen der Marktwirtschaft verbleibenden Form auf.

Diese können, wie jede errungene soziale Reform verdeutlicht, zeitweilig durchaus zugunsten der Lohnabhängigen, der Masse der MieterInnen verschoben werden. Aber die juristische Auseinandersetzung ist dabei letztlich nur Beiwerk.

Entscheidend ist es, den Konflikt mit den Mitteln des Klassenkampfes auszutragen. Die riesige Demonstration nur wenige Stunden nach dem Urteil von Karlruhe, als sich in Berlin gut 25.000 Menschen versammelten, verdeutlicht, dass das Potential und die Wut für einen solchen Kampf vorhanden sind. Doch um daraus eine Bewegung zu machen, braucht es jetzt klare Schritte im Kampf und zur Organisierung.

Verteidigt den Mietendeckel!

Karlsruhe hat den Mietendeckel zwar kassiert, er sollte aber nicht kampflos aufgegeben werden. Wir schlagen vielmehr vor:

  • Alle MieterInneninitiativen wie Mietenwahnsinn stoppen, Deutsche Wohnen und Co. enteignen, die Berliner MieterInnenverbände, Bündnisse wie Hände Weg vom Wedding, aber auch die Gewerkschaften, Linkspartei und SPD-Verbände fordern wir auf, sich zu einem Aktionsbündnis zur Verteidigung des Mietendeckels und dessen Durchsetzung zusammenzuschließen.
  • Ein solches Aktionsbündnis darf nicht auf Vereinbarungen von SpitzenvertreterInnen der verschiedenen Parteien und Organisationen beschränkt sein, es muss sich vielmehr auf deren Basis, die Masse der MieterInnen in Betrieben, an Unis, Schulen und vor allem auch in den Wohnhäusern stützen. Erst recht  darf die Bildung eines solchen Bündnisses davon abhängig gemacht werden, ob auch die lahmsten Senatsmitglieder oder VertreterInnen der Senatparteien mitmachen oder ob ihnen die Aktionsformen eines solchen Bündnisse harm- und wirkungslos genug erscheinen.
  • Dazu müssen Massenversammlungen in den Stadtteilen und Betrieben organisiert, örtliche oder betriebliche Aktionsbündnissen und Strukturen gebildet, die auf Landesebene gebündelt und koordiniert werden. Daher sollte auch rasch eine Aktionskonferenz einberufen werden, um diese Vorschläge zu diskutieren, lokale Initiativen sowie stadtweite Bündnisse zu koordinieren und zusammenzufassen.
  • Ein Aktionsbündnis sollte um die einfache Forderung gegründet werden: Verteidigt den Mietendeckel! Keinen Cent mehr für die WohnungsbesitzerInnen!
  • Die Nachzahlung und Erhöhungen der Mieten sollten verweigert werden durch einen kollektiven und organisierten Boykott. Von den Senatsparteien ist einzufordern, dass sie eine solche Bewegung für ihren Mietendeckel verteidigen und gegen sie nicht repressiv vorgehen.
  • Auch wenn von SPD, Linkspartei, Grünen gefordert werden muss, dass sie keine Zwangsräumungen durchführen und gegen eine solche Bewegung nicht vorgehen, so dürfen wir uns nicht darauf verlassen. Die Bewegung muss Strukturen und Mobilisierungen gegen Zwangsräumungen, Pfändungen von MieterInnen usw. aufbauen.
  • Dazu muss sie sich auf eigene Strukturen und Aktionen wie Massendemonstrationen stützen. Von den Gewerkschaften im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft muss sie die Organisierung politischer Streiks zur Verteidigung des Mietendeckels und im Kampf gegen jede Repression einfordern.

Eine solche Perspektive ist ohne eine Radikalisierung der Bewegung und den Aufbau von Kampforganen ebendieser nicht zu haben. Wir sind uns im Klaren, dass nicht nur die bürgerlichen Grünen, die rechtssozialdemokratische SPD oder die Gewerkschaftsapparate alles tun werden, um die Entstehung einer solchen Bewegung zu blockieren oder ihr die Spitze zu nehmen. Das trifft letztlich auch auf die Führungen der Linkspartei oder vieler MieterInnenverbände zu.

Aber um eine Massenbewegung aufzubauen, ist es unerlässlich, diese Organisationen und ihre Mitglieder, WählerInnen und AnhängerInnen in Bewegung zu bringen – und das schließt auch ein, Forderungen an sie und ihre Führungen zu stellen, um sie dem Praxistest auch in den Augen ihrer UnterstützerInnen zu unterziehen. Nur im Rahmen realer Kämpfe und deren Radikalisierung wird es möglich sein, diese Bewegung selbst so weit zu treiben, dass sie in der Praxis über die Hoffnung auf Gerichte und bürgerliches Recht hinausgeht. So kann die Verteidigung des Mietendeckels zu einem Schritt werden im Kampf um die entschädigungslose Enteignung der Wohnbaugesellschaften und Immobilienhaie unter Kontrolle der MieterInnen und der ArbeiterInnenklasse!




Gesetze zur Mietenbegrenzung: Von löchrigen Deckeln und zaghaften Bremsen

Lucien Jaros/Jürgen Roth, Wem gehört die Stadt? ArbeiterInnenmacht-Broschüre, Mai 2021

Egal ob Mietpreisbremse, Milieuschutz, Wohnraumversorgungsgesetz oder Mietendeckel: Die Mieten in der Hauptstadt sind in den letzten Jahren trotzdem explodiert. Dass die Idee eines Mietendeckels konkrete Formen annahm, war sicher erstmal ein Erfolg, weniger einer sozialen Politik der Regierungsparteien (SPD, Linke, Grüne), sondern des Druckes der MieterInnenbewegung und Projekte wie des Volksbegehrens zur Vergesellschaftung der größten Wohnkonzerne in Berlin (Deutsche Wohnen & Co. Enteignen) auf diese Parteien.

Bevor der jüngst vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) kassierte Landesmietendeckel überhaupt in Kraft trat, hatte der Bund im April 2015 durch das landläufig als Mietpreisbremse bezeichnete Mietrechtsnovellierungsgesetz 3 neue Paragraphen (556d, e und f) in das BGB eingefügt.

Mietpreisbremse, Kappungsgrenze, Wohnraumoffensive

Demnach konnten die Landesregierungen bis 2020 „Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten“ für die Dauer von höchstens 5 Jahren festlegen. Dort darf bei Abschluss eines neuen Vertrags der Mietpreis die ortsübliche Vergleichsmiete um max. 10 % übersteigen, falls nicht mit dem/r VormieterIn ein Jahr vor Ende des Mietvertrags eine höhere Miete vereinbart war, die dann die Obergrenze markiert. Die Mietpreisbremse gilt in ca. 300 Gemeinden bzw. Teilen davon, jedoch nicht in allen Bundesländern. MieterInnen müssen gegen eine überhöhte Miete zur Not klagen und eine Senkung beantragen. Oft fehlen ihnen aber schon die Informationen über die Höhe der Vor- oder ortsüblichen Vergleichsmiete. Mehrere Studien belegen, dass die Bremswirkung schwach ist. In Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten wurde bei 60 bis über 90 % der Neuvermietungen der Richtsatz überschritten. Neubauten (ab Oktober 2014) und Modernisierungen blieben zudem ausgenommen.

Am 1.1.2019 trat ein neues Mietrechtsanpassungsgesetz in Kraft mit geringfügigen Verbesserungen: Die Mietpreisbremse wurde bis 2025 verlängert; VermieterInnen müssen Auskunft geben, wenn die Vergleichsmiete um mehr als 10 % überschritten wird; die Modernisierungsumlage wurde auf 8 % (statt 11 %) pro Jahr gesenkt; nach Modernisierung darf die Miete binnen 6 Jahren um max. 3 Euro/m2 erhöht werden; MieterInnen können auf Antrag zu viel gezahlte Miete zurückfordern; in die ortsübliche Vergleichsmiete fließen die letzten 6 (statt 4) Jahre ein.

Die Bundesländer haben mit der Kappungsgrenze ein weiteres schwaches Mittel in der Hand. Sie können Gebiete benennen, in denen Mieterhöhungen binnen 3 Jahren nicht mehr als 15 % betragen dürfen (das BGB erlaubt 20 %). Auch dieses Instrument wird nur in wenigen Bundesländern angewandt und die Gemeinden dürfen es nicht selbstständig beschließen. Es soll zudem in NRW und Schleswig-Holstein wieder abgeschafft werden. Auch hier müssen MieterInnen Anträge stellen. Darüber hinaus gilt die Kappungsgrenze wie die Mietpreisbremse auch nur für Bestandsmieten und diese müssen schon deutlich unter der Vergleichsmiete liegen, weil diese eh nicht überschritten werden darf.

2018 wiederum startete die Bundesregierung eine Wohnraumoffensive mit den Zielen: Fertigstellung von 1,5 Millionen Wohnungen im Lauf dieser Legislaturperiode; Maßnahmen zur altersgerechten und energetischen Sanierung; neue Sozialwohnungen; Stärkung der MieterInnenrechte. Die Gewerkschaft BAU rechnet mit max. 1,2 Millionen Neubauwohnungen bis Ende 2021. Die Zahlen würden außerdem durch einen statistischen Trick aufgehübscht, weil Baugenehmigungen und unfertige Bauten mitzählten. Mit den in der Legislaturperiode ausgegebenen 5 Milliarden Euro für Baukindergeld, von dem nur EigenheimbesitzerInnen profitieren, könnten eigentlich 115.000 Sozialwohnungen errichtet werden. Sozialverband VdK und BAU beklagen außerdem völlig zu Recht, dass Bauen allein nicht reicht. Die Mieten gingen durch die Decke, während alle 12 Minuten eine Sozialwohnung durch Fristablauf aus der staatlich begrenzten Mietpreisbindung herausfiele (60.000 pro Jahr). Zwischen 2002 und 2019 seien 1,2 Millionen Sozialwohnungen verloren gegangen, also die Hälfte des Bestandes seit Anfang des Jahrtausends.

In Memoriam: Berliner Mietendeckel

Die Mieten in ca. 1,5 Millionen Wohnungen waren während der Gültigkeit des Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin – vom Volksmund Mietendeckel getauft – seit Ende Februar 2020 für 5 Jahre auf dem Stand vom 18. Juni 2019 eingefroren, dem Tag der Verabschiedung des Gesetzes. Bei Mietverträgen, die nach diesem Stichtag abgeschlossen wurden, durfte höchstens die Vormiete derselben Wohnungen bzw. die niedrigere Mietobergrenze verlangt werden oder im Falle, dass die Vormiete darunter lag, die Obergrenze. Ab 2022 hätten die VermieterInnen jährlich 1,3 % mehr kassieren dürfen. Das nannte sich dann „atmender“ Mietendeckel.

Kern des Gesetzes war entsprechend eine Tabelle mit Obergrenzen, die sich von Baujahr und Ausstattungsmerkmalen ableiteten und deren Basis der Mietspiegel von 2013 war, als die Mieten schon deutlich anzogen. Die Obergrenzen umfassten dabei lediglich Neuvermietungen in vor 2014 bezugsfertigen Häusern und ließen auch immer noch gewisse Erhöhungen zu. Ein genereller Mietenstopp war der Deckel also nie.

Ausgenommen vom Gesetz waren Neubauwohnungen, die nach dem Jahr 2014 gebaut wurden und Sozialwohnungen, die besonders bezuschusst werden. Seit vergangenem Herbst durften in einer 2. Stufe sogar überhöhte Mieten abgesenkt werden. Ein weiteres klaffendes Loch im Deckel stellte das individuelle Antragsverfahren bei zu hoher Miete dar, denn natürlich erfolgte der Preisstopp nicht automatisch und von Amts wegen.

Das im Gesetz enthaltene Verbot von Möblierungszuschlägen wurde von manchen VermieterInnen umgangen, indem sie die Einrichtung an das Start-up mbly über eine monatliche Ratenzahlung verkauften, das wiederum einen Vertrag mit dem/r MieterIn über das Mobiliar abschloss. Die Berliner Stadtentwicklungsverwaltung beschloss eine neue Ausführungsverordnung im Februar 2021, die solche Praktiken unterbinden sollte.

Dass die Begrenzung der Modernisierungszulage nichts brachte, zeigte die Praxis Vonovias, als diese z.B. den Ersatz 30 bis 50 Jahre alter Fenster, die ohnehin ausgetauscht werden müssten, also eine nicht umlagefähige Instandhaltung, als Modernisierung mit entsprechendem Aufschlag berechneten.

Was dem Deckel völlig fehlte war, dass Obdachlosigkeit durch Verlust des Wohnraums in Folge von Mietpreissteigerung ausgeschlossen wird. Eine Pflicht, einen Teil der Wohnungen für besonders Bedürftige (Obdachlose, Geflüchtete, sexuell Unterdrückte und Jugendliche) bereitzustellen und leicht zugänglich zu machen, fehlte ebenso.

Vergangenheit

Bei allen Mängeln stellte der Deckel natürlich eine deutliche Verbesserung ggü. den bisherigen und immer noch in Kraft stehenden Bundesregelungen dar und hat eine, wenn auch viel zu geringe finanzielle Entlassung von immerhin 1,5 Millionen Menschen gebracht.

Doch selbst dies ist nun Vergangenheit. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Nichtigkeit des Deckels ging dieser in die Geschichtsbücher über – Deckel auf den Deckel, Klappe zu, die Länder hätten im Mietrecht nichts zu entscheiden.

Und was lernen wir daraus? Dass es fatal ist, den Kampf der MieterInnenbewegung auf rein rechtlicher Ebene zu führen, um Gesetze und Parlamentsbeschlüsse, so wichtig diese in Teilen auch sein mögen. Aber ohne die direkte demokratische Kontrolle über den Wohnraum durch MieterInnen und die ArbeiterInnenklasse selbst, z.B. durch Wohnhauskomitees oder Stadtteilräte wird auch der dichteste Deckel durch Staat und Immobilienkonzerne mit Leichtigkeit vom Topf gehoben…

  • Mietenstopp mit absoluten Obergrenzen statt einen löchrigen Mietensieb!
  • Obergrenzen müssen für alle Mietwohnungsarten gelten (auch für öffentlich geförderte, Wohnheime, Sozialwohnungen, WBS-Mieten)!
  • Mietsenkung auf 30 % des Haushaltseinkommens, wenn diese Schwelle trotz Obergrenze überschritten wird!
  • Kontrolle der Mietpreise und diskriminierungfreie Mietvergabe durch Kontrolle durch unabhängige demokratische Organe der MieterInnen und Gewerkschaften!
  • Verwaltung vergesellschafteten Wohnraums und einer Anstalt des öffentlichen Rechts durch MieterInnenräte und VertreterInnen der Beschäftigten!
  • Anpassung der Löhne an die Mietpreiserhöhungen und steigende Lebenshaltungskosten!



Finanzialisierung des Wohnungsmarktes

Veronika Schulz, Wem gehört die Stadt? ArbeiterInnenmacht-Broschüre, Mai 2021

Rasante Preissteigerungen am Wohnungsmarkt, stetig wachsende Gewinne privater Immobilienkonzerne, satte Renditen für deren AktionärInnen – seit über einem Jahrzehnt wird auch in Deutschland verstärkt mit der Ware und Kapitalanlage Wohnen spekuliert. Für Millionen MieterInnen bedeutet dieses Monopoly durch steigende Mieten bei stagnierendem oder gar sinkendem Lohnniveau ein Armutsrisiko. Auch Luxussanierung, gezieltes Rausekeln mit Hilfe verschleppter Instandhaltung („Entmietung“) und schlussendlich Zwangsräumung bei Mietschulden, oftmals in die Obdachlosigkeit, sind probate Mittel, um durch die Neuvermietung der auf diese Weise frei gewordenen Wohnungen höhere Einnahmen zu erzielen.

Wie es überhaupt dazu kam, dass Wohnungen als Anlageobjekte für das Finanzkapital in den Fokus rückten, welche politischen Entscheidungen dies nicht nur begünstigt, sondern erst in diesem Ausmaß ermöglicht haben und warum von einer „Finanzialisierung“ des Wohnungsmarktes gesprochen werden muss, wollen wir hier kurz nachzeichnen.

„Sozialer“ Wohnungsbau = bezahlbares Wohnen für alle?

Westdeutschland, soziale Marktwirtschaft, Wohlstand für alle – glaubt man diesem Dogma, muss auch bezahlbares Wohnen für alle ausdrücklich erwünschtes Staatsziel und süße Realität gewesen sein. Auch in der aktuell angespannten Situation auf dem Mietwohnungsmarkt ist die Forderung nach „mehr“ und „schneller“ gebauten Sozialwohnungen allgegenwärtig, auch von Linkspartei und der Interventionistischen Linken (IL). Der „soziale“ Wohnungsbau war jedoch für die ArbeiterInnenklasse zu keiner Zeit eine Errungenschaft auf Dauer.

Ab den 1950er Jahren wurden zehn Millionen Sozialwohnungen, u. a. auch als Dienstwohnungen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst sowie von Staatsbetrieben wie Post und Bahn, gebaut. Auch Unternehmen setzten zu dieser Zeit auf Werkswohnungen. In beiden Fällen, beim Bau von Sozial- wie auch Werkswohnungen, subventionierte der Staat entweder direkt oder durch Verzicht auf Steuereinnahmen indirekt diese Maßnahmen.

Der Bundesgerichtshof hat mehr als einmal geurteilt, dass Immobilienunternehmen eine zeitlich unbegrenzte Sozialbindung selbst bei Vergabe von Krediten oder Bauland durch die öffentliche Hand nicht verpflichtend auferlegt werden darf. Temporäre Sozialbindung ermöglicht für die massenhaft aus selbiger fallenden Wohnungen erst die enormen Anschlussmietpreissteigerungen. Allein zwischen 2016 und 2018 sind pro Jahr knapp 85.000 Wohnungen aus der Preis- und Belegungsbindung gefallen. Alle 6 Minuten wird also eine Wohnung dem „freien Markt“ überlassen. In München sind nicht einmal mehr 10 % der Wohnungen Sozialwohnungen, in Berlin 13 %. Der Anteil der Personen bzw. Haushalte mit Anspruch auf einen Berechtigungsschein für Sozialwohnungen (WBS) liegt in beiden Städten bei um die 50 %. Der sogenannte „soziale“ Wohnungsbau erwies sich bisher also nicht als Lösung auf dem Weg zu ausreichendem und bezahlbarem Wohnraum.

Subvention von Eigentum durch die Hintertür

Gerade im Bereich der Bau- und Wohnungswirtschaft greift der Staat durch eine Vielzahl an Steuervergünstigungen, Abschreibungsmöglichkeiten und Finanzhilfen massiv in das Wirtschaftsgeschehen ein – aus dieser Sicht kann also keine Rede vom „freien Markt“ sein, der der Immobilienlobby bei Mieterhöhungen sonst so heilig ist. Im Jahr 2018 wurde die Immobilienwirtschaft direkt oder indirekt mit etwa 25 Mrd. Euro subventioniert. Abgesehen von der Agrarindustrie ist kaum ein Wirtschaftsbereich dermaßen stark bezuschusst.

Somit spielt der Staat auch beim Bau sogenannter „frei finanzierter“ Wohnungen eine nicht unerhebliche Rolle. Immobilienfirmen leihen sich für Boden und Bau zunächst Geld bei Banken. Durch Vermietung verdienen die Firmen als Eigentümerinnen, zahlen Steuern an den Staat und bedienen zudem die Kredite bei den Banken. Im Gegenzug zur Verschuldung der Firmen gewährt der Staat Steuererleichterungen und Abschreibungsmöglichkeiten und verzichtet somit auf Einnahmen, was auf lange Sicht zugunsten dieser aufgeht, die Banken verdienen allemal gut daran. Zwischen 1980 und 2014 flossen auf diese Weise knapp 100 Mrd. Euro in den Wohnungsbau, davon 80 % für die Bildung von Wohneigentum! Privateigentum wird somit auf Kosten von SteuerzahlerInnen und MieterInnen aufgebaut.

Von der Liberalisierung des Wohnungsmarktes …

Betrachten wir die Situation in den Gebieten der ehemaligen DDR, so waren diese nach der Wiedervereinigung in besonderem Maße von Mietpreissteigerungen betroffen.

In den 1990er Jahren wurden in der DDR mehr als 1,2 Millionen bzw. ein Drittel der ehemals kommunalen oder genossenschaftlichen Wohnungen privatisiert. Das entsprach 20 % des gesamten ostdeutschen Wohnungsbestandes (1). Die DDR hatte seit ihrem Bestehen die Mietpreise auf den Stand von 1936 eingefroren. Die durchschnittliche Mietbelastung lag bei nur drei Prozent des Einkommens. Die Restauration kapitalistischer Eigentumsverhältnisse ebnete den Weg für die Aufhebung der existierenden Mietpreisfestsetzung. Anschließend sorgten politisch verordnete Mietsteigerungen um durchschnittlich (!) 600 % dafür, dass im Osten fortan Mieten auf Westniveau erzielt werden konnten (während die Löhne nie so weit angeglichen wurden). An diesem Beispiel werden die historische Tragweite der vollzogenen Vermögensumverteilung und gewissermaßen auch eine Enteignung der Ostdeutschen deutlich (2).

Für private InvestorInnen bedeutete dieser gänzlich neu zu erschließende Markt paradiesische Zustände für ihre Kapitalanlagen. In der Folge kauften sich in den 1990er Jahren Kapitalbeteiligungsgesellschaften (Private Equity Funds) in großem Stil besonders auf dem ostdeutschen Wohnungsmarkt ein.

Bereits im Laufe der gesamtwirtschaftlichen Welle von Privatisierung und Liberalisierung in den Jahrzehnten seit 1980 überließ der deutsche Staat auch im Westen den Wohnungsbau dem Kapitalmarkt und privaten InvestorInnen. Bundesweit wurde 1990 die Wohnungsgemeinnützigkeit ersatzlos abgeschafft und 2001 die Wohnungsbauförderung faktisch beendet. Hinzu kam die allgemeine Deregulierung der Finanzmärkte, in deren Zug die Koalition aus SPD und Grünen unter Kanzler Schröder zu Beginn des Jahrtausends den Wohnungsmarkt generell für Hedgefonds öffnete. Auch die gesetzlichen Grundlagen sowie Zuständigkeiten wurden in dieser Phase neu geregelt. Bei der Föderalismusreform von 2006 wurde die Wohnraumförderung den Ländern übertragen, wodurch eine vollständige Unterwerfung der Mieten unter Marktmechanismen erfolgte, denn die bisher geltenden Kostenmieten für Sozialwohnungen waren durch Bundesrecht und –gesetzgebung festgelegt, was durch die Neuregelung der Zuständigkeit ausgehebelt wurde. Auch die Mieten für Sozialwohnungen orientieren sich seitdem an den örtlichen Mietspiegeln und somit Marktmieten für Neubauten, was regelmäßige Erhöhungen zulässt.

 … zur Finanzialisierung

Der Begriff „Finanzialisierung“ beschreibt einerseits den Trend zunehmender privater Finanzanlagen im Immobiliensektor, andererseits auch den verstärkten Einfluss des Finanzsektors und seiner Erwartungen auf die Wohnungswirtschaft (3).

Dadurch, dass dauerhaft mehr Wohnungen aus der Sozialbindung fallen, als neue gebaut werden, wird aktuell ein große Anteil an Wohnungen über den „freien Markt“ angeboten und vermietet. Ein weiterer wichtiger Faktor für die Finanzialisierung des Wohnungsmarktes sind die historisch niedrigen Zinsen, mit denen die Zentralbanken (sowohl die amerikanische Federal Reserve als auch die Europäische Zentralbank) billiges Geld bereitstellen.

Diese Ausgangssituation begünstigt den Renditeboom auch auf dem deutschen Immobilien- und Mietmarkt, den wir seit knapp zehn Jahren erleben. Dabei ist bemerkenswert, dass er hierzulande erst einsetzte und richtig Fahrt aufnahm, als die Immobilienpreise in anderen Ländern fast ins Bodenlose fielen. Die globale Wirtschaftskrise ab 2007/2008 ist Folge der Banken- und Finanzkrise, die durch das Platzen der Blase auf dem spekulativ aufgeblähten US-Immobilienmarkt losgetreten wurde. Die zusätzlichen Kapitalströme, die seither in den deutschen Wohnungsmarkt fließen, sind u. a. das Ergebnis mangelnder Renditesteigerungsmöglichkeiten durch Investitionen im produzierenden Sektor infolge der Überakkumulation von Kapital. Angesichts stagnierender Profitraten in Industrie und Gewerbe wird auf sichere Verzinsung und Rentengewinne gesetzt. In diesem Zusammenhang ist wieder vermehrt die Rede von „Betongold“, also Immobilien als „sicherer“ Investitionsmöglichkeit.

Die oben erwähnte Niedrigzinspolitik der Zentralbanken ist zwar ebenfalls eine Reaktion auf die Wirtschaftskrise, fördert ihrerseits aber erst die verstärkten Finanzanlagen im hiesigen Immobilienbereich. Die Systemkrise bildet also den spezifischen Hintergrund für die aberwitzig gestiegenen Immobilienpreise und Mieten.

Finanzindustrielle Wohnungskonzerne statt Wohnungsbaugesellschaften

Bei Investitionen in Immobilien geht es also vorrangig um die Konstruktion global konkurrenzfähiger Finanzanlageprodukte. Diese bilden das Kerngeschäft der neuen finanzindustriellen Wohnungskonzerne wie Vonovia SE, Deutsche Wohnen SE, TAG Immobilien AG oder LEG Immobilien AG. Neben individueller, privater Kleinvermietung, selbst genutztem Wohneigentum sowie staatlichen, genossenschaftlichen und gemeinnützigen WohnungsversorgerInnen bilden die genannten „großen Vier“ („Big 4“) eines der vier Hauptsegmente des deutschen Wohnungsmarkts.

Es handelt sich bei ihnen nicht um klassische Wohnungsbaugesellschaften. Vielmehr bilden diese neu entstandenen finanzindustriellen Konzerne eine Sonderform privater Wohnungsbauunternehmen, weil bei ihnen die Kalküle der Konstruktion und Vermarktung von Finanzanlageprodukten die wohnungswirtschaftlichen Aktivitäten dominieren. Heute gehören ihnen in Deutschland etwa 1,2 Millionen Wohnungen, davon sind rund 750.000 im Besitz der „Big 4“. Sie weisen markante Überschneidungen im Hinblick auf ihre größten AktionärInnen (z. B. BlackRock) auf und sind zudem intern stark verflochten.

Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der vier Konzerne ist ihre strategische Ausrichtung auf die untere und mittlere Preiskategorie und deren „Modernisierung“, also Investitionen in den Bestand: „Kredite werden nicht mehr aufgenommen und gewährt, um Finanzierungslücken bei der Produktion oder Erneuerung von Wohnungen zu schließen. Vielmehr werden Wohnungen erworben, um diese mit Zinsen und Dividenden ,belasten’ zu können. Ziel ist nicht mehr die Tilgung der auf den Wohnungen lastenden Kredite, sondern die Bedienung einer im Grunde endlosen Reihe von Schulden durch das Immobilienvermögen. Diese Schulden bestehen nur noch zum Teil bei externen Banken, sondern überwiegend aus Anleihen und Verbriefungen, die von dem Immobilienkonzern selbst als Wertpapiere ausgegeben werden.“ (4)

Dieses Vorgehen kann als betrügerische, ja räuberische Formation bezeichnet werden. Die finanzindustrielle Unterwerfung hat die sofortige, teilweise nur kurzfristige Erzielung eines „Cashflow“ zur systemisch zwanghaften Voraussetzung: Mietsteigerungen („Modernisierung“, Verdrängung von AltmieterInnen, Wohnungsaufteilung, Nachverdichtung), Kostensenkung (Auslagerung und Zentralisierung des Gebäudemanagements sowie Aufbau eigener Instandhaltungsflotten zum Minimaltarif), Standardisierung der Wohnungsverwaltung (z. B. über anonyme Callcenter), transnationale Expansion, freilich nicht zu vergessen Zusammenarbeit mit dem Staatsapparat in Form von Lobbyismus sind ihre dabei angewandten, teils drastischen Mittel.

Spekulation den Boden entziehen

Dass es dementsprechend nicht vorrangig um langfristige Verwertung von Wohnungsbaukapital in Form von Neubau, sondern um schnelle Rendite und Profit geht, lässt sich leicht durch Zahlen belegen. In Deutschland beruhten 2016 nur 32,4 % der Wohnungsbauaktivitäten auf Neubauten, fast doppelt so viele auf sogenannten Bestandsleistungen. Ein Viertel aller Immobilientransaktionen erfolgte in den sieben größten deutschen Städten (Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart, Düsseldorf). Dabei wohnen dort nur 12 % der deutschen Bevölkerung.

Doch nicht nur in den Metropolen, auch in deren „Speckgürteln“ verschärft sich die Situation. Zusätzlich zu den Mieten für Wohnungen in den Vorstädten haben auch die Bodenpreise massiv angezogen. Seit 2009 bleibt der Quotient aus Kauf- zu Bodenpreis weitgehend konstant. Da die Anzahl der Transaktionen nahezu unverändert blieb, steigen die Baulandpreise in derselben Geschwindigkeit wie die der Gesamtimmobilien. Die Preiszuwächse bei Eigenheim- und Mehrfamilienhäuserbauplätzen sind exorbitant.

Um dies zu unterbinden, bedarf es einer offensiven Bodenpolitik, die Bauland in kommunaler Hand belässt und nur zu bestimmten Konditionen verpachtet. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Frage schon 1967 geurteilt, dass das Allgemeinwohl höher zu gewichten ist als das Eigentumsrecht an Grundstücken: „Die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen. Eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern.“

Kampfperspektive

Bürgerliche Wohnungs- und Bodenreformpolitik richtet sich allenfalls gegen „spekulative Auswüchse“, also nicht gegen das private Grund- und Immobilieneigentum an sich. Unions-Parteien, FDP und AfD springen den ProfiteurInnen der Wohnungsmisere bei und fordern noch mehr Privatisierung und einen noch „freieren“ Markt. Die SPD „bremst“ mit leeren Worten und halbherzigen Maßnahmen, die wie die unwirksame Mietpreisbremse noch zusätzlich verwässert werden.

Wie aber das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Berliner Mietendeckel ebenfalls zeigt, dürfen wir nicht auf eine institutionell bzw. juristisch verordnete Umkehr in all diesen Fragen hoffen. Der Umgang von Verwaltungen und Gerichten mit Volksentscheiden und Bürgerbegehren hat in der Vergangenheit gezeigt, dass die Privatisierungspolitik der vergangenen Jahrzehnte und somit das Dogma eines selbstregelnden Marktes nicht auf dem Rechtsweg abgeschafft und zurückgenommen werden können, da dieser Rechtsweg durch den bürgerlichen Staat führt, der dem Privateigentum verpflichtet ist.

Vielmehr brauchen wir eine Bewegung, die den MieterInnenkampf als Klassenkampf versteht. Und das bedeutet nicht nur die entschädigungslose Enteignung großer Immobilienkonzerne. Es bedeutet in letzter Konsequenz, den Kapitalismus überhaupt als Wurzel exzessiver Profite und Spekulation zu überwinden.

Quellenangaben

(1) Vgl. Wohnungsregulierung zwischen Staatsregulierung und Marktwirtschaft, in: Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V. (isw): Report Nr. 116/117 (2018), S. 13

(2) Gesellschaft zum Schutz der Menschenrechte 1999: Weissbuch. Enteignung der Ostdeutschen. Unfrieden in Deutschland; Dahn, Daniela 1994: Wir bleiben hier oder Wem gehört der Osten? Vom Kampf um die Häuser und Wohnungen in den neuen Bundesländern.

(3) Vgl. Internationale Investoren und börsennotierte Anleger auf dem Wohnungsmarkt, in: Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V. (isw): Report Nr. 116/117 (2018), S. 25

(4) Unger, Knut: Mieterhöhungsmaschinen. Zur Finanzialisierung und Industrialisierung der unternehmerischen Wohnungswirtschaft, in: PROKLA 191, 48. Jahrgang, Nr. 2, Juni 2018, S. 211.




Zum wohnungspolitischen Programm der Interventionistischen Linken (IL): Das Rote Berlin als blinder Fleck

Michael Eff, Wem gehört die Stadt? ArbeiterInnenmacht-Broschüre, Mai 2021

Angesichts der sich zuspitzenden Wohnungsmisere in Berlin hat die IL ein wohnungspolitisches Programm vorgelegt. Der Titel der Broschüre lautet: „Das Rote Berlin (Strategien für eine sozialistische Stadt)“. Ein solches Programm vorgelegt zu haben, das erkennen wir an, ist an sich bereits verdienstvoll. Die Broschüre ist durchaus gut aufgebaut. Es werden, in sprachlich ansprechender Form, weite Themenfelder der Wohnungsfrage abgedeckt, und dabei werden zutreffende Beschreibungen der Berliner Wohnungssituation vorgenommen. Es gibt informative Zusatzinformationen, z. B. über die Geschichte des Berliner Baufilzes, und die wohnungspolitischen Forderungen können wir zu einem großen Teil durchaus unterschreiben.

Auch orientiert man sich an basisdemokratischen Entscheidungsstrukturen (hier der MieterInnen), allerdings, und hier kommt unser erster Einwand, durchgehend nur in einem vorgegebenen gesetzlich-institutionellen Rahmen. Rätestrukturen sehen anders aus und kommen auch anders zustande. Und auch bei der, zunächst durchaus positiv zu sehenden, Ausrichtung auf außerparlamentarische Kämpfe der Betroffenen kommt die Parlamentsfixierung, wie wir später sehen werden, durch die Hintertür wieder herein.

Trotzdem bleibt positiv festzuhalten, dass die IL sich nicht damit begnügt, begründete Forderungen zur Lösung der Wohnungsmisere zu formulieren, sondern das Ganze eingebettet ist in eine strategische Orientierung, nämlich in „Strategien für eine sozialistische Stadt“. Aber spätestens hier, bei der strategischen Orientierung, beginnen auch die Probleme.

Staatstreue

Während die IL in einem Selbstverständnispapier betont, dass ihre Politik „grundsätzlich antagonistisch zum Staat“ stehe, ist die Strategie in der Wohnungsbroschüre der IL durchweg anders ausgerichtet. Der Weg zum Sozialismus führt hier über die Reformierung und Demokratisierung der vorhandenen staatlichen Einrichtungen. (S. 8) Und das alles natürlich durch Gesetze. So fordert man z. B. den Umbau der BImA (Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) zu einer „Vergesellschaftungsagentur“. Oder auch, dass börsennotierte Unternehmen in öffentliches Eigentum „überführt“ werden sollen, und ihre Neubildung soll „durch gesetzliche Regelungen unterbunden werden.“ (S. 20)

Das Ganze atmet den Geist gesetzlich-bürokratischer (die IL würde sagen „demokratischer“) Neuregelungen innerhalb des bestehenden Staates.

Selbst wenn die IL von „Mieter*innen-Räte“ spricht, meint sie damit nicht Organe demokratischer Selbstermächtigung in notwendiger Konfrontation mit dem bürgerlichen Staat und kapitalistischem Eigentum, sondern Formen von Selbstverwaltung innerhalb vorgegebener Institutionen.

So ist es denn auch kein Wunder, dass die IL zufrieden feststellt: „Die meisten dieser Ziele (des rot-rot-grünen Berliner Koalitionsvertrages, d. V.) stimmen ohnehin eins zu eins mit langjährigen Forderungen der stadtpolitischen Bewegung überein.“ (S. 39) Allerdings fehlt ihr im Koalitionsvertrag „die Vision für ein anderes Berlin“ (??) (S. 10). Alles klar?

Die IL fasst ihre Kampfausrichtung für den Sozialismus folgendermaßen zusammen: „…der Charakter des Ganzen (Kampfes, d. V.) muss außerparlamentarisch sein. Dennoch muss mit Parteien diskutiert werden. Parteien sind Teil des Staates, und wenn wir Teilziele umsetzen wollen, müssen sich Parteien und Abgeordnete dafür einsetzen.“ (S. 39)

Hier also, gewissermaßen durch die Hintertür, kommt die Parlamentsfixierung wieder herein, denn der Gesetzgeber ist bei uns das Parlament. Nicht dass es per se illegitim wäre, das Parlament von außen unter Druck zu setzen, um Forderungen durchzusetzen, aber als strategische Orientierung so den Sozialismus erkämpfen zu wollen („Strategien für eine sozialistische Stadt“!!), ist doch reichlich illusorisch.

Auch kommt es einem in diesem Zusammenhang schon merkwürdig vor, dass in einer Broschüre von 43 Seiten die Wohnungsprivatisierungspolitik des rot-roten Senats 2002 bis 2011 in ganzen dreieinhalb Zeilen abgehandelt wird.

Die IL entpuppt sich somit immer mehr, zumindest in wohnungspolitischer Hinsicht, als außerparlamentarischer Arm der Linkspartei.

„Das Rote Wien“ als Leit(d)bild

Vieles an der Wohnungspolitik der österreichischen Sozialdemokratie in den zwanziger Jahren in Wien war, gemessen am übrigen kapitalistischen Europa, sicherlich beeindruckend, aber Wien war keineswegs eine „sozialistische Stadt“, sondern der reformistische Versuch, eingegrenzt auf das Feld der öffentlichen Versorgung (insbes. Wohnen), den Kapitalismus lediglich einzudämmen. Wien war eben keine „sozialistische Insel“ in einem kapitalistischen Land, sondern (bei aller Sympathie für die Wohnungspolitik) eine kapitalistische Hauptstadt eines kapitalistischen Landes!

Und eines zeigt sich an diesem Beispiel ganz klar: Ein wie auch immer geartetes „antikapitalistisches Wohnungsprogramm“ kann nur funktionieren, wenn es eingebettet ist in ein Gesamtprogramm der sozialistischen Revolution bzw. eine Strategie der Machtergreifung und Zerschlagung der bürgerlichen Staatsmacht. Solange die Staatsmacht nicht zerschlagen ist, ist keine einzige Errungenschaft gesichert.

Bei der IL dagegen heißt es: Vergesellschaftung „ gelingt nur durch eine Ausweitung von Ansätzen kollektiver Selbstverwaltung und durch die radikale Demokratisierung der bestehenden (!!!, d. V.) staatlichen Institutionen.“ (S. 8).

Es war aber genau diese reformistische Sichtweise der Sozialdemokratie auf die Gesellschaft, die die Zerschlagung des „Roten Wiens“ ermöglicht hat und die Machtergreifung des „Austrofaschismus“ 1934 nach sich zog.

Diese Schlussfolgerung zieht die IL aber nicht, ihre Kritik bleibt halbherzig und verkürzt.

Bei der IL sieht die Bilanz dieser „reformistisch-antikapitalistischen Kommunalpolitik“ Wiens wie folgt aus: „Das ,Rote Wien‘ war damals und ist heute ein beeindruckendes Symbol, dass auch unter politisch und wirtschaftlich schwierigen Bedingungen die Lösung der Wohnungsfrage möglich ist. Die SDAPÖ kam allerdings über ein konsequentes Umverteilungs- und Wohlfahrtsprogramm nicht hinaus. Die Auswirkungen des zugrunde liegenden Interessensgegensatz der Klassen (!, welche?, d. V.) und der kapitalistischen Produktionsweise insgesamt wurden abgemildert und durch nicht-kapitalistische soziale Infrastruktur ergänzt. Die abwartende Haltung der Sozialdemokratie wurde ihr dabei zum Verhängnis. Dennoch ist bis heute ihr Vermächtnis eine Inspirationsquelle mit internationaler Ausstrahlung.“ (S. 12)

Dass die „abwartende Haltung“ (inwiefern?, womit?) integraler Bestandteil jeder „reformistisch-antikapitalistischen“ Strategie ist, kommt der IL nicht in den Sinn.

Nebenbei, auch die Wohnungspolitik der Sozialdemokratie im Berlin der zwanziger Jahre wird als „Vorgriff auf eine sozialistische Gesellschaft“ (S. 28) gesehen. Aber leider, leider, beklagt die IL: „Vieles ging nicht weit genug, die Aufbrüche wurden 1933/34 (in Berlin und Wien, d. V.) abgebrochen (!!, d. V.).“ (S. 10)

Das Ende der „reformistisch-antikapitalistischen Kommunalpolitik“ in den Katastrophen von 1933 und 1934 theoretisch derartig zu verharmlosen und zu verkürzen, ist kaum zu fassen, ist aber angesichts der eigenen strategischen Ausrichtung nur folgerichtig.

Auf reformistischem Schleichweg zum Sozialismus

Es handelt sich beim IL-Wohnungsprogramm um eine Reformstrategie mit der „Perspektive der Vergesellschaftung. Wohnraum darf keine Ware am Markt sein, sondern Gemeingut in demokratischer Verwaltung.“ (S. 6) Die IL macht aus ihrer gradualistisch-kleinschrittigen (Reform-) Strategie auch gar kein Hehl. Zur Verdeutlichung seien ein paar Aussagen zitiert,

da heißt es z. B.:

„Abschaffung des privaten Wohnungsmarktes… durch eine Reihe von Reformen…Schritt für Schritt“ (S. 7);

„ Ausweitung von Ansätzen kollektiver Selbstverwaltung“ (S. 8);

„…weiter treibende Reformen, die schrittweise den Handlungsspielraum des Immobilienkapitals einschränken, die Spielräume für öffentliches und kollektives Eigentum erweitern“ (S. 12);

 „Daher muss erst mal kräftig Sand ins Getriebe der privaten Immobilienspekulation, bevor (!,d. V.) wir über Rekommunalisierung reden können.“ (S. 19);

„…schrittweise Zurückdrängung von privatem Wohnungseigentum“ (S. 33).

Es wird natürlich auch positiv Bezug auf das Grundgesetz genommen, das ja Enteignung zulässt, die vorgeschriebene Entschädigung wird dabei prinzipiell akzeptiert (S. 34).

Dazwischen, völlig unvermittelt und nicht weiter erklärt, heißt es an einer Stelle: „Die sozialistische Stadt wird nicht konfliktfrei und als reine Reform durchgeführt werden können.“ (S. 34) Aber dann geht’s gleich munter weiter mit den Reformen:

„Demokratisierung“ als „langer Prozess“ und „Nach und nach muss der Aufbau von lokal verankerten Strukturen, die Punkte des Widerstands schaffen…“ (S. 36) Usw. usf., die Liste ist beileibe nicht vollständig.

Zusammengefasst kann man sagen: Die IL hat die Vorstellung/Strategie von einer allmählichen Ausweitung nichtkapitalistischer Freiräume, die sich zunehmend vernetzen, die bestehenden staatlichen Strukturen demokratisieren, alles natürlich „kämpferisch“ und „von unten“, was dann irgendwie (hier gibt es nicht zufällig eine absolute Leerstelle) die „sozialistische Stadt“ (was immer das auch sei) ergeben soll.

Aber: So verläuft Klassenkampf nicht, und so ist er auch noch nie verlaufen. Teilerfolge sind zwar durchaus möglich, sind aber keine sicheren „Stützpunkte“, von denen ausgehend dann „Schritt für Schritt“ eine weitere Ausdehnung erfolgen könnte.

Solange die kapitalistische Staatsmacht besteht, sind Teilerfolge immer gefährdet. Das Hin und Her im Klassenkampf verläuft nie geradlinig – und schon gar nicht immer in eine Richtung. Hier gibt es tiefe Brüche, Erfolge und Rückschläge. Dass man der herrschenden Klasse die Macht stückweise bzw. allmählich entreißen könnte, ist naiv und eine klassische Vorstellung jeder reformistischen Strategie.

Klassenkampf?

Wer kämpft eigentlich? Die Betroffenen natürlich, – die MieterInnen! Richtig, aber niemand ist nur MieterIn, schon gar nicht in der kapitalistischen Gesellschaft. Bei der IL ist etwas dubios die Rede von „Schmieden von breiten Bündnissen“, „breiter Bewegung mit verschiedenen Formen des Widerstands“, „Hineinwirken in die Gesellschaft“, von „Kultur des zivilen Ungehorsams“ etc.

Klassenkampf und ArbeiterInnenklasse gibt es nicht. Gewerkschaften auch nicht. Nun verlangen wir von der IL nicht, dass sie unseren Klassenbegriff teilt, aber etwas genauere Ausführungen darüber, wer aufgrund welcher Stellung in der kapitalistischen Gesellschaft BündnispartnerIn sein kann und wer nicht, und – wenn ja – wie und wohin „Kampfzonen“ über den Wohnungsbereich hinaus ausgeweitet werden können oder auch nicht, das kann man von einer Broschüre, die eine strategische Orientierung bieten will, erwarten.

Hier passt auch ins Bild, dass offensichtlich niemand verschreckt werden soll. Während es an anderer Stelle in einem Selbstverständnispapier bei der IL erfreulich klar heißt, dass die IL „das staatliche Gewaltmonopol bestreitet“, wird in der Broschüre kirchentagskompatibel versichert: „Jede Gewalt gegen Personen verbietet sich daher,…“ (S. 43) Wie man dieses Prinzip, z. B. bei dem Versuch, eine Zwangsräumung zu verhindern, durchhalten will, ist uns schleierhaft.

Auch ist es vermutlich in diesem Zusammenhang kein Zufall, was in der Broschüre fehlt. Z. B. die Forderung nach Beschlagnahme von untergenutztem Wohnraum. Als die Flüchtlingszahlen hoch gingen und die Flüchtlinge in unwürdige Massenquartiere gepfercht wurden, hätte es sich doch angeboten, durch Berlins Villenviertel zu ziehen mit der Forderung „Hier ist Wohnraum genug – Beschlagnahme!“ Man hätte auf diese Weise dem rassistischen Diskurs „Innen gegen Außen“ den revolutionären Diskurs „Oben gegen Unten“ entgegengesetzt. Aber damit lässt sich gegenwärtig natürlich kein „breites Bündnis“ aufbauen.

Nun ist die Wohnungsfrage besonders dafür geeignet, die Klassenfrage auszuklammern, denn ArbeiterInnenklasse und Kleinbürgertum sind beide von der Wohnungsmisere betroffen. Es ist daher kein Zufall und typisch für kleinbürgerliche Bewegungen, in einem Bereich außerhalb der unmittelbaren kapitalistischen Produktionssphäre (Schaffung von Mehrwert) die „soziale Frage“ („Strategien für eine sozialistische Stadt“!!); lösen zu wollen. Darauf hat schon Engels in seiner Schrift „Zur Wohnungsfrage“ hingewiesen.

Die IL bleibt aber auch hier nebulös. Unter „nicht-kapitalistischer Organisation von Wohnen“ kann man sich ja vielleicht noch einiges vorstellen, aber was „nicht-kapitalistische“ Organisation „von Stadt“ sein soll, (S. 8) müsste man schon erklären. Die Arbeitswelt gehört aber offensichtlich nicht dazu.

Überhaupt wird die Wohnungswirtschaft gewissermaßen rein sektoral betrachtet, als ein von der übrigen Gesellschaft streng abgrenzbarer Bereich und auch als eigenständiges Kampffeld. Das hat in gewissen Grenzen auch seine Berechtigung, aber es muss zumindest angedeutet werden, wo diese Grenzen überschritten werden (müssen).

Und es fehlen hier kurze Erklärungen zur polit-ökonomischen Herleitung und Verortung des Wohnungskapitals, z. B. die Punkte: Was ist Miete überhaupt?, Grundrente, Verschmelzung der Wohnungswirtschaft mit Finanz- und Industriekapital, Verhältnis zur Mehrwertproduktion, Aufteilung des Profits, Bedeutung der Miete für die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft, und damit gesamtkapitalistische Interessen an der Wohnungsfrage und dabei die Rolle des Staates etc.

Fazit: Das alles muss man nicht immer, wenn man sich zur Wohnungsfrage äußert, oberlehrerhaft ausbreiten und man kann sich hier auch kurz halten. Aber in einer Broschüre, die den Anspruch stellt, eine strategische Orientierung zu geben, gehören Ausführungen darüber schon dazu.

Ja! Ein revolutionäres Programm!

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Auch RevolutionärInnen haben nichts gegen reformistische Forderungen, aber sie müssen eingebettet sein in ein wohnungspolitisches Programm, das folgende drei Prinzipien berücksichtigt:

1. Ökonomisch-gesellschaftlich muss der Wohnungssektor in den Forderungen ansatzweise überschritten werden (z. B. entschädigungslose Enteignung von Banken, Finanzierungsgesellschaften, der Bauindustrie usw.). Es gibt nämlich kein isoliertes Wohnungskapital, das Kapital insgesamt ist der Feind.

2. Klassenorientierung (z. B. durch Einbeziehung der Gewerkschaften, denn schließlich beeinflussen die Mieten die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft und damit Lohnkämpfe).

3. Organisierung der MieterInnen in räteähnlichen Strukturen und nicht in bürokratisch-gesetzlich vorgegebenen Gremien (was einzelne Verbesserungen in gesetzlichen gegebenen Gremien nicht prinzipiell ausschließt, aber das sollte man nicht als Schritt zum Sozialismus verkaufen). Der bürgerliche Staat ist nicht die freundliche Spielwiese, sondern der Feind.

Fazit

Wenn die IL vertritt, dass der herrschenden Klasse die Macht stückweise, „Schritt für Schritt“ zu nehmen sei, so trägt sie dazu bei, reformistische Illusionen zu wecken und zu verbreiten.

Aber immerhin, dass die IL in ihrer Einleitung zu ihrem Selbstverständnis schreibt: „Wir sagen, was wir tun – und wir tun, was wir sagen.“ (S. 6) ist berechtigt. Ihr Reformismus in der Wohnungsfrage wird offen und ehrlich dargelegt.




Die DWE-Broschüre „Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft“ – Würdigung und Kritik

Tomasz Jaroslaw, Wem gehört die Stadt? ArbeiterInnenmacht-Broschüre, Mai 2021

Im Dezember 2019 hat die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ (DWE) eine Broschüre mit dem Titel „Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft – Lösungen für die Berliner Wohnungskrise“ veröffentlicht. In dieser Publikation werden in den ersten beiden Kapiteln die Begriffe Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft beschrieben, in Kapitel 3 und 4 die Vorteile der Vergesellschaftung von Wohnraum und wird im letzten Kapitel abschließend die angedachte Verwaltungs- und Mitbestimmungsstruktur dargestellt.

1. Aktionseinheit und Freiheit der Kritik

Vorab muss festgestellt werden, dass das Motiv, Grundbegriffe einem breiteren Publikum vorzustellen, verständlich ist. Gleichzeitig ist es schwierig für eine Kampagne, deren gemeinsames Ziel einzig und allein in der erfolgreichen Durchführung eines Volksentscheids zur Vergesellschaftung großer Wohnkonzerne liegt, politische Aussagen zu treffen, die die gesamte Breite der UnterstützerInnen teilt. Daher ist es für politisch breite Aktionseinheiten, wie die Kampagne sie darstellt, empfehlenswert, sich nur auf konkrete praktische Ziele zu verständigen, aber möglichst wenig politisch-programmatische Aussagen zu tätigen, die alle TeilnehmerInnen zu unterstützen verpflichtet sind. Programmatischer und ideologischer Kampf sollte vor allem politischen Gruppen vorbehalten sein.

Bei den internen politischen Diskussionen im Vorfeld zur Broschüre wurden der freien Diskussion und demokratischen Entscheidungen im Plenum Steine in den Weg gelegt. Anfänglich wurde beschlossen, den Broschürenentwurf offen zu diskutieren. Später versuchten Teile der Kampagne (vor allem die Interventionistische Linke; IL), den Entwurfstext der Arbeitsgruppe ohne weitere politische Diskussionen im Plenum zu bestätigen. Dabei wurde jede alternative Meinung scharf angegriffen – darunter Anträge von Mitgliedern der Gruppe ArbeiterInnenmacht, aber auch Kommentare der Akelius-MieterInnenvernetzung. Wer eine breite städtische Partizipation und demokratische Beteiligung bei der Verwaltung vergesellschafteter Wohnungen verspricht, sollte dies zuerst in der Kampagne selbst realisieren, um glaubwürdig zu sein.

Wir unterlagen bei der abschließenden Plenarbesprechung im Januar 2020 mit unseren Änderungsanträgen in den zentralen Punkten. Trotzdem unterstützen wir die Sammelaktion und das Enteignungsziel mit all unseren Kräften, denn wie bei jeder Einheitsfront muss das Motto lauten: Einheit der Aktion, Freiheit der Kritik – Letztere auch an den PartnerInnen der Initiative.

Bei aller Solidarität mit Aktionen und Ziel der DWE halten wir es für notwendig, mit unserer Kritik auf die strategische Schwachstellen der Broschüre aufmerksam zu machen.

2. „Stadtgesellschaft“ oder Klasse?

Die Broschüre trägt insgesamt die politische Handschrift der IL, mit deren wohnungspolitischem Programm, das mehrere Aspekte als das Heftchen der DWE umfasst, wir uns an anderer Stelle unserer Broschüre auseinandersetzen. Durch die gesamte Broschüre wird ohne jede Erläuterung der ominöse Begriff Stadtgesellschaft verwendet.

Mit Stadtgesellschaft soll möglicherweise die Gesamtheit der Berliner Bevölkerung gemeint sein. Hier einen Interessenkonflikt zwischen Wohnenden, Regierenden und den VertreterInnen des Kapitals zu suggerieren, ist erst einmal in der Tendenz begrüßenswert und sachlich gerechtfertigt. In der Tat ist der Hauptgrund für Mietpreissteigerung das internationale, mit dem Finanz- und Bankensektor verbundene Kapital, das durch langfristige Renditeerwartungen Mieten hochtreibt. Der bürgerliche Staat in Form des rot-roten Senats hatte durch die Privatisierung der 2000er Jahre diesen Prozess ermöglicht oder zumindest beschleunigt. Offen bürgerliche Regierungskoalitionen haben noch größeren Schaden in der Mietenpolitik angerichtet. Die Einbeziehung von SenatsvertreterInnen in den Verwaltungsrat ist daher kontraproduktiv. Ebenfalls problematisch und irreführend ist der fehlende Hinweis, dass die sog. Stadtgesellschaft analog zum Volksbegriff aus verschiedenen Klassen mit teilweise abweichenden und auch gegensätzlichen ökonomischen und politischen Interessen besteht. Als ob die besitzende Klasse ihre Interessen und ihre Feindschaft zur Vergesellschaftung einfach mal vergisst, nur weil sie wie alle zur Zivilgesellschaft gehört und DWE das Klasseninteresse der ArbeiterInnen nicht anspricht und die Besitzenden begriffstechnisch wie strukturell einbindet. Diese klassenübergreifende Einheit ist natürlich strategisch auf Sand gebaut.

Eine Einheit im politischen Kampf muss sich in erster Linie aus den Gruppen und Schichten zusammensetzen, die ein gemeinsames objektives Interesse haben. Die Zahl der ArbeiterInnen und lohnabhängigen Mittelschichten reicht zum Sieg des Volksbegehrens. Der Klassenbegriff würde hier für Klarheit sorgen. Das Verhältnis MieterIn–VermieterIn ist zwar kein auf der Ausbeutung von Lohnarbeit in der Produktion beruhendes, sondern die Immobilienkonzerne eigenen sich Monopolrenten an. Doch die überwältigende Mehrheit der Mieterinnen sind ProletarierInnen, die weder Eigentum an Produktionsmitteln, Wohnungen noch Grund und Boden besitzen, was sie deutlich von den Klassen mit großem und kleinem Besitz unterscheidet.

Da MieterInnen meist Lohnabhängige sind und deren Lebenserhaltungskosten tarifliche Erfolge und leichte Lohnsteigerungen auffressen, ist der Kampf für Vergesellschaftung, Gemeinwirtschaft und Demokratisierung über das Wohnungswesen hinauszutreiben, also in alle Bereiche der Wirtschaft. Für dieses Gesamtinteresse der Lohnabhängigen wäre die Integration von VertreterInnen der Gewerkschaften notwendig anstelle der Stadtgesellschaft oder des Senats. Dieser Vorschlag wurde jedoch leider abgelehnt.

Dies ist umso bedauerlicher, weil sich die ArbeiterInnenbewegung mächtige Organisationen geschaffen hat wie die Gewerkschaften, die mittels einheitlicher Aktionen – wirtschaftliche wie politische Streiks, Besetzungen, Mietpreiskontroll- und Mietsteigerungsboykottkomitees – wesentlich mehr Druck aufs Großkapital ausüben können als eine auf Volksabstimmungen fixierte BürgerInneninititative.

So sehr BürgerInnenbewegungen außerparlamentarischen Druck auf Kapital und Staat erzeugen können, so wenig sind sie alleine als Transformationsvehikel zur Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise geeignet. Ohne Einbindung in eine bewusste, revolutionäre Klassenpolitik enden selbst Initiativen oder Bewegungen mit Massenanhang als außerparlamentarische Anhängsel des parlamentarischen Reformismus oder werden – wie im Falle der Grünen – selbst zu einer bürgerlichen Partei.

3. Historische Bezüge: Grundgesetz oder ArbeiterInnenbewegung?

a) Zum Begriff der Vergesellschaftung

In Kapitel 1 wird konstatiert, dass Vergesellschaftung die Wohnungskrise lösen kann. Es sei an dieser Stelle nur kurz erwähnt, dass dieser Begriff historisch unterschiedlich definiert wird. Im marxistischen Kontext beschreibt er eine Situation, wo die Konsumentinnen und Produzentinnen in einer befreiten, sozialistischen Gesellschaft über das erwirtschaftete Gesamtprodukt einschließlich eines Überschussfonds, der nicht in den unmittelbaren Verbrauch eingeht, als Kollektiv verfügen können. Nach Artikel 15 Grundgesetz liegt eine Vergesellschaftung vor, wenn Grund, Boden, Naturschätze oder Produktionsmittel durch Gesetz ihren Eigentumstitel zugunsten der Überführung in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft ändern. Die folgende Verwendung dieses Begriffs erfolgt in einem breiteren Sinn, den auch die bürgerliche Gesellschaft anerkennt.

Die Verwaltung des vergesellschafteten Wohnraums durch ein System von sog. „MieterInnenräten“ und einer demokratisch kontrollierten Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) stellt zweifelsohne einen Fortschritt nicht nur gegenüber der gemeinwohlorientierten Regulierung privaten Eigentums, sondern auch der Überführung in eine städtische Wohnungsgesellschaft nach dem Vorbild der existierenden dar. Auch ist das Festhalten an einem einheitlichen (kollektiven, staatlichen) Gemeineigentum sinnvoller als mögliche Szenarien des Aufteilens der Wohnbestände auf Individualbesitz oder kleinere Besitzgemeinschaften zur Realisierung einer kleindimensionierten Selbstverwaltung. Auch eine Wohnungsgenossenschaft wäre möglich, die gemeinwirtschaftlich arbeitet und eine interne demokratische Verfassung präsentiert.

Die AöR soll via Gesetz eingerichtet werden. Es ist positiv, dass DWE hier Druck auf die Senatsparteien ausüben will. Eine Schwäche ist jedoch, dass wenn die AöR durch ein Gesetz des Abgeordnetenhauses eingerichtet wird, dieses auch von ihm je nach Mehrheitsverhältnissen und Senatszusammensetzung wieder, zu Ungunsten der MieterInnen, reorganisiert werden könnte.

Nach dem aktuellen DWE-Modell sollen die Entschädigungen per Schuldscheine über einen Zeitraum eines halben Jahrhunderts abbezahlt werden. Damit entfällt die Abhängigkeit von Bankkrediten, jedoch nicht von der Kursentwicklung langfristiger Anleihen, und wird deren Verzinsung auch auf die Mieten umgelegt, was einen Negativpunkt darstellt. Wer wird diese kaufen können mit entsprechenden Erwartungen an langfristige Verzinsung? Große VermögensbesitzerInnen wie Banken, Investmentfonds, Versicherungen? Was passiert zudem mit den Überschüssen nach der Entschädigung? Fließen die in den Haushalt, wird der Überschuss in Sozialneubau investiert oder werden die Mieten gesenkt? In jedem Fall muss die Entscheidung durch die MieterInnen getroffen werden und nicht vom Senat oder dem Gesetzgeber. Hier sollten die sog. MieterInnenräte eine entscheidende Rolle spielen.

b) Zum Begriff der „Räte“

Positiv ist die Idee einer gewissen Autonomie einzelner Häuser (Hausplenum) und von MieterInnengremien als Kontrollorganen auf verschiedenen lokalen Ebenen (Siedlung-, Gebiets- und Berliner GesamtmieterInnenrat). Dadurch wird es möglich werden, die Basis einzubeziehen, bessere Ansprechbarkeit der Verwaltungs- und Servicestruktur zu garantieren und gewisse Aufgaben lokal zu entscheiden (Subsidiaritätsprinzip). Nur Aufgaben, die die Gesamtheit betreffen, sollen zentral in der AöR entschieden werden, die durch einen Verwaltungsrat und eine Geschäftsführung geleitet wird. Der GesamtmieterInnenrat setzt hier die VertreterInnen der MieterInnen ein. Zusammen mit den VertreterInnen der Beschäftigten bilden diese eine Mehrheit im Verwaltungsrat. Das ist positiv. Mit den VertreterInnen auch der Stadtgesellschaft, davon zweien des Senats, hat der Verwaltungsrat aber auch einen bürgerlichen Charakter – zusätzlich zu den vollständig bürgerlichen Besitzverhältnissen auf dem gesamten Wohnungssektor und erinnert leicht an einen Staatskapitalismus im Unterschied zu einer wirklichen Vergesellschaftung. Die Anstalt des öffentlichen (!) Rechts ist Staatseigentum.

Zwar werden die Kontrollstrukturen „Räte“ genannt (Siedlungs-, Gebiets-, GesamtmieterInnenrat), jedoch werden diese ohne jederzeitige Abwählbarkeit und Rechenschaftspflicht der gewählten VertreterInnen statt zu Institutionen der direkten oder ArbeiterInnendemokratie auf bürgerlich-repräsentative Organe reduziert. Also statt richtiger Räten werden Miniparlamente vorgeschlagen. Der Begriff des Rates wird nicht aus den Doppelmachtorganen der ArbeiterInnenbewegung der Jahre 1918 bis 1921 abgeleitet oder aus dem ursprünglichen Begriff der Betriebsräte als Organ der Betriebsbelegschaftskontrolle über die Industrie, sondern aus dem Betriebs- bzw. Personalrat als Vertretungs- und Mitbestimmungsorgan des sozialpartnerschaftlichen Betriebsverfassungs- bzw. Personalvertretungsgesetzes der BRD. Die Betriebs- und Personalräte sind hier alles andere als vollständige Interessenorgane der Beschäftigten.

Personal- und Betriebsräte bilden eine der wichtigsten Stützen des Reformismus in der ArbeiterInnenklasse und damit von SPD und Linkspartei. Die politische Handschrift des Verständnisses von Vergesellschaftung und Räten im DWE-Pamphlet liegt mit dem Ankerpunkt Art. 15 Grundgesetz und dem Betriebsverfassungsgesetz eindeutig im Sozialdemokratismus und sperrt sich damit gegenüber einer realen Vergesellschaftung im Sinne einer Kollektivierung und der wirkungsvollen Kontrolle wie in einer Rätedemokratie. Dies sieht man nicht nur am parlamentarischen Verständnis von den Organisationsstrukturen der AöR, sondern v. a., indem der Unterschied zwischen Integration ins System und ArbeiterInnenkontrolle verwischt wird.

Natürlich muss jeder Kampf für direkte Demokratie auf Basis einer gesamtgesellschaftlichen Gemeinwirtschaft (Sozialismus) mit konkreten Auseinandersetzungen beginnen. Und die Kampagne macht hier einen guten Anfang, weil sie auch grundlegende Fragen des Eigentums und der Kontrolle in der öffentlichen Auseinandersetzung aufwirft.

Jedoch muss das strategische Ziel – eine grundlegende, ihrem Wesen nach sozialistische Transformation – in den Rahmen einer Übergangsmethode eingebunden werden, wo tagespolitische Aufgaben verbunden werden mit dem Aufbau von Gegenmachtstrukturen, die von der bürgerlichen Klasse und ihren Institutionen unabhängig agieren und letztlich auf den Bruch mit der Staatsmacht und dem Kapitalismus orientieren. Diese Methode liegt in der Broschüre jedoch nicht vor, sondern der reformistische Ansatz, soziale, klassenübergreifende Zonen zu schaffen, als Teil des bürgerlichen Staates, und den Kapitalismus von innen her zu reformieren. Diese Strategie mag sich zwar aufdrängen, hat historisch jedoch immer versagt.

c) Historie und Perspektive der Gemeinwirtschaft

In Kapitel 2 wird der Begriff der Gemeinwirtschaft historisch skizziert. Es war die Perspektive einer neuen politischen Ordnung und in den Jahren 1918–1919, Mietstreiks, Aufstände, bewaffnete Milizen und die ArbeiterInnen- und SoldatInnenräte, die die Regierenden zu Zugeständnissen bewegt haben. Ein erwähnenswerter Bezugspunkt für DWE wäre der Berliner Mietstreik 1919, wo Arbeitslosenräte Versammlungen mit 200.000 Teilnehmenden durchführten und Forderungen nach Enteignung der HausbesitzerInnen und Mietpreiskontrolle aufgestellt haben. Hier zeigt sich zentral der Klassenkampf als Ursache für Reformen jeder Art (Gesetze, Verfassungen) und nicht die umgekehrte, falsche Sichtweise, das Grundgesetz als Motor für Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft zu betrachten.

Es reicht für die AutorInnen dagegen die reine Existenz eines nie zuvor verwendeten Grundgesetzartikels aus, um eine „lange Tradition“ zwischen Gemeinwirtschaft und Grundgesetz zu konstruieren. In Artikel 14 steht, dass Eigentum verpflichtet und der Allgemeinheit diesen soll. Diese beiden Aussagen haben die besitzende Klasse nie davon abgehalten, ihren Reichtum auf Kosten der Massen zu vermehren, öffentliche Güter und Profite mehr und mehr zu privatisieren und dabei Kosten zu sozialisieren. Der Art. 15, der „Sozialstaats“gedanke in Form der sozialen Marktwirtschaft, ist auf Basis einer breiten antikapitalistischen Stimmung und in Konkurrenz zu einer Forderung nach Elementen einer sozialistischen Wirtschaftsordnung, wie der Verstaatlichung der Grundstoffindustrie, entstanden. Es ist natürlich opportun, sich in der Kampagne rechtlich auf den Artikel 15 GG zu berufen. Man muss jedoch auch gleichzeitig feststellen, dass die historische Alternative von vornherein zu vergesellschafteten, gemeinwirtschaftlichen Wohnbeständen geführt hätte und es damit keinen Boden für die Mietpreisspirale gäbe. Diese Aussagen sind also, diplomatisch ausgedrückt, sehr optimistisch und einseitig und greifen Rechtspraxis und Natur des bürgerlichen Staates inklusive Grundgesetz in keinster Weise an. Ferner fehlt jeder Verweis auf Erfolge, die mittels dieser Paragraphen erreicht wurden. Warum wohl? Die Verstaatlichung des Grund und Bodens sowie der Grundstoffindustrie wurde außer auf dem Gebiet der späteren DDR trotz überwältigender Zustimmung im hessischen Volksentscheid nicht durchgesetzt. Um Flächen für Autostraßen, AKWs und Braunkohletagebaue zu enteignen, hat sich das GG dagegen bestens bewährt. Sprach sich ein Volksentscheid dagegen mit überwältigender Mehrheit gegen die Schließung eines Krankenhauses aus wie in Hamburg, schloss der dortige Senat es trotzdem. Wir erinnern an dieser Stelle auch an die zahlreichen Anläufe für Volksabstimmungen für mehr Klinikpersonal, die von etlichen Landesverfassungsgerichten (Bayern, Hamburg) für unzulässig erklärt wurden.

Im zweiten Kapitel werden die historischen Ursprünge der Gemeinwirtschaft in Form von Genossenschaften und Kooperativen auf sozialistische wie liberale WirtschaftsreformerInnen zurückgeführt. Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts existierten vielfältige Zusammenschlüsse wie Darlehenskassenvereine, Handwerks-, ArbeiterInnen- und Gewerksvereine, Produktions- und Konsumgenossenschaften, von denen heute nur die Raiffeisen- bzw. Volksbanken auf der einen Seite und Gewerkschaften und Wohnungsgenossenschaften auf der anderen Seite überlebt haben.

Zunächst muss man zwischen den kleinbürgerlichen und proletarischen Organisationen unterscheiden. Ständische Gewerks- oder Wohnvereine, die sich um Meister, leitende Angestellte, BeamtInnen und Intellektuelle gruppierten, hatten zwar den Anspruch, ihren Mitgliedern das Leben zu vereinfachen, jedoch bestand nie der, Gesellen und ArbeiterInnen aus dem ausbeuterischen Lohnverhältnis und der Preisdiktatur zu befreien.

Anders stellt sich das mit den proletarischen Organisationen in der Tradition der jungen, teilweise noch revolutionären Sozialdemokratie dar, die den Anspruch auf Umwandlung in eine sozialistische Wirtschaft und proletarische Demokratie aufgriffen. Aber auch die sozialistischen Organisationen haben im 20. Jahrhundert praktisch und politisch den Anspruch aufgegeben, ihr Prinzip der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Gemeinwirtschaft zu verallgemeinern und eine alternative, sozialistische Ökonomie aufzubauen. Dafür wäre der Bruch mit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und den bürgerlichen Institutionen eine Bedingung gewesen. Was passiert, wenn man dies nicht tut, sieht man gerade an den Konsequenzen: zahlreiche Vereinigungen sind zusammengebrochen, der Rest passte sich den ihn umgebenden politischen Institutionen und „wirtschaftlichen Sachzwängen“ an. Von den ArbeiterInnenkooperativen (Neue Heimat, Bank für Gemeinwirtschaft, Konsumgenossenschaften, … ) existiert heute noch genauso viel wie von der sonstigen sozialdemokratischen Gegengesellschaft (Presse, Sport-, Gesangs- und Bildungsvereine) – nämlich nichts! ArbeiterInnengenossenschaften werden entweder Schulen des Sozialismus und integraler Teil einer internationalen demokratischen Planwirtschaft oder sie enden als stinknormale Läden wie andere auch.

Der Apparat der Wohnungsgenossenschaften lässt sich personell und politisch kaum von dem der privaten Konzerne unterscheiden. Die Führung der Wohngenossenschaften wetterte gegen den Mietendeckel und kämpft mit Falschbehauptungen auch gegen DWE und ihre Vergesellschaftungspläne. Damit enthält sie 300.000 BerlinerInnen das vor, was sie ihren Mitgliedern bietet: gewisse Selbstbestimmung, moderate Mieten und kostendeckendes Wirtschaften. Die politische Union zwischen zahlreichen Berliner Wohnungsgenossenschaften und finanzindustriellen Wohnkonzernen wie Deutsche Wohnen, Vonovia und Covivio wird dadurch treffend symbolisiert, dass sie alle in derselben Immobilienlobby Mitglied sind (Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e. V.; BBU).

Hier liegt das Grundproblem der AöR: Entweder deren Verwaltung konstituiert sich als Organisation der MieterInnen, Beschäftigten und ArbeiterInnenklasse, wird ein Motor des Klassenkampfes und schafft es, als Teil einer Massenbewegung zusammen mit Gewerkschaften, oppositionellen Betriebsgruppen, der MieterInnenbewegung, sowie sozialistischen und revolutionären Gruppen den Kapitalismus zu stürzen, oder sie wird dasselbe Schicksal erleiden wie die Prototypen, auf die sie sich beruft. Und der besteht dann nur noch im wirtschaftlichen (siehe Neue Heimat) oder politischen Verfall (siehe SPD und kommunale Wohnungsgenossenschaften). Die aktuelle Strategie der DWE-Mehrheit schließt den Brückenschlag zu einer wirklichen Vergesellschaftung politisch aus. Entweder es wird in einer offenen, geduldigen und demokratischen Auseinandersetzung um Taktik, Strategie und Programm zu neuen demokratischen Mehrheiten und einer politischen Kehrtwende führen, oder der Weg, den die Wohnungsgenossenschaften bereits beschritten haben, wird leider wieder beschritten.

4) Vorteile der Vergesellschaftung

a) Kleinkapitalismus oder Gemeinwirtschaft?

Im Abschnitt „Perspektiven fürs Kleingewerbe“ (Kapitel 3) wird beschrieben, dass kleine Gewerbetreibende ebenfalls von steigenden Mieten und Verdrängung bedroht sind. Diese würden auch von günstigen Mieten durch Vergesellschaftung profitieren und ihre Mehrkosten nicht auf die KonsumentInnen abwälzen. Es existiert jedoch hier kein Automatismus, dass niedrige Kosten sich immer in günstigen Preisen für den/die DurchschnittsarbeiterIn auswirken. Es ist korrekt, das Kleinbürgertum und kleine Gewerbetreibende, die mehrheitlich auch von steigenden Mieten betroffen sind, von der Richtigkeit und dem Nutzen vergesellschafteten Wohnraums zu überzeugen. Was jedoch übersehen wird, ist dass die Hauptadressatin der Vergesellschaftung die ArbeiterInnenklasse ist, die Notwendigkeit der Preiskontrolle als wichtige politische Forderung aus dem Kreis der proletarischen MieterInnenbewegung integriert werden müsste, damit sich die Kostenersparnis in niedrigen Warenpreise niederschlägt und das Ziel von Gemeinwirtschaft nicht in der Stärkung des Kleinkapitalismus endet.

Es wurde von uns ein alternativer Antrag unter dem Titel „Perspektiven für Klein- und Gemeingewerbe“ eingebracht:

„Wo Gewerberäume leer stehen oder Kleingewerbetreibende ihre Unternehmung einstellen, sollen diese ausschließlich durch gemeinnützige Träger und Vereine, gemeinschaftlich und demokratisch organisierte und rein kostenfinanzierte DienstleisterInnen und ProduzentInnen ersetzt werden. Wir nutzen vergesellschafteten Wohnraum vorsätzlich im Interesse und für die Bedürfnisse der Allgemeinheit und streben den systematischen Ausbau gemeinwirtschaftlicher Einheiten an. (…)“

Auch dieser Kompromissvorschlag wurde abgelehnt. Das steht natürlich im Widerspruch zum Titel der Broschüre, wo es gerade um Gemeinwirtschaft und Demokratisierung gehen sollte.

Auch an diesem Punkt halten Broschüre und Initiative eindeutig nicht das, was sie versprechen. Des Weiteren wird die Bereitschaft ersichtlich, das zentrale und strategische Interesse der Kampagne zugunsten der Hinwendung zur (klein)bürgerlichen Mitte und neuer zeitweiliger SymphatisantInnen und TrittbrettfahrerInnen zu opfern. Die Ablehnung dieses Vorschlages, jeder politischer Ansatz, der der ArbeiterInnenklasse gemeinsame strategische Interessen mit anderen Klassen suggeriert, betreiben Augenwischerei und ordnen die politischen Interessen und Perspektiven der große Masse der Bevölkerung einer kleineren Schicht unter. Während Kleingewerbetreibende und Kleinunternehmen Verbündete auf Zeit sein könnten, sind die besitzlosen Lohnabhängigen der strategische Kern für Vergesellschaftung. Auch wenn sich gemeinwirtschaftliche Unternehmungen langfristig im Kapitalismus nicht halten können, würden diese nicht nur ein viel loyaleres und politisches Umfeld bilden, sondern auch die Frage der Wirtschaftsordnung stellen.

b) Neubau

Positiv ist zu bemerken, dass die Broschüre die Frage des Neubaus aufgreift und beantwortet. Im Absatz „Neubau für die wachsende Stadt“ (Kapitel 3) und „Die Bauhütte“ (Kapitel 4) wird festgestellt, dass der Privatsektor wenig und unerschwinglich baut und durch die Vergesellschaftung von Grund und Boden neue Flächen zur Verfügung stünden. Der Bezug auf die gemeinwirtschaftliche Bauhütte der 1920er Jahre ist positiv. Ergänzend müsste man vorschlagen, dass die Bauhütte, ähnlich der AöR, auch einer demokratischen Kontrolle unterliegt und die Sozialbindung von deren Wohneinheiten entweder unbefristet ist oder die Mietpreise durch demokratische Kontrollorgane festgesetzt werden sollen.

c) Spezielle Gruppen

Einen weiteren Vorteil der Vergesellschaftung verkörpert die Forderung, Räume für marginalisierte gesellschaftliche Gruppen (Kitas, Jugendliche, Schutzräume gegen Gewalt, barrierefreies Wohnen, Geflüchtete, Wohnungslose/Verbot von Zwangsräumungen, Kunst- und Kulturschaffende) anzubieten und eine diskriminierungsfreie Vermietung sicherzustellen.

5. Entschädigung ist eine politische Frage

Unser Antrag auf entschädigungslose Enteignung – 1 Euro symbolische Entschädigung, um formal im Rahmen des GG zu bleiben – wurde abgelehnt. Inhaltlich wurde nicht begründet, warum den Immobilienkonzernen die Verwandlung ihres fiktiven Kapitals (Titel auf zu realisierende Gewinne) vergoldet werden soll. Formal könnte man denken, dass eine „gerechte Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten“ (Art. 14 GG) notwendig sei. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel zeigt jedoch eindrücklich, dass im bürgerlichen Rechtssystem auch im einseitigen Interesse entschieden werden kann – leider im Interesse der Immobilienkonzerne. Es zeigt aber auch, dass es nicht um gerechte Abwägung geht, sondern um im Klassenkrieg schlicht und einfach zu siegen.

Die grundsätzliche Anerkennung einer Entschädigung bei Enteignung impliziert logisch auch, dass ein Gewinn aus dem Immobiliengeschäft selbst als grundlegend berechtigt anerkannt,  also das Recht auf Profite im Voraus akzeptiert wird. Daraus folgt logischerweise, dass auch ein Volksentscheid vor die Frage gestellt wird, was es denn zu bieten hat für zu entschädigenden EigentümerInnen.

Mit Beginn des Volksbegehrens, der 2. Stufe im Volksentscheid, präsentierte DWE eine Höhe, die es für angemessen hält. Diese bewegt sich zwischen 7,3 Mrd. und 13,7 Mrd. Euro. Das bedeutet pro Kopf jeden/r EinwohnerIn Berlins eine Steigerung der Landesschuld zwischen 2.000 und 4.000 Euro oder – auf Basis der Staatsschuld vom 31.12.2019 von 14.700 Euro – um ca. 14 bis knapp 27 %.

Die von DWE in Aussicht gestellte Hauhaltsneutralität könnte nur dann gewährleistet werden, wenn die Entschädigung weit unter Marktwert liegt oder es zu einer steuerlichen Umverteilung kommt. Das von DWE favorisierte Faire-Mieten-Modell (FFM) versucht dabei, die Interessen der MieterInnen zum Ausgangspunkt für die Berechnung der Entschädigung zu nehmen, indem nicht die Werte der Immobilien als Berechnungsgrundlage herangezogen werden, sondern leistbare Mieten. Doch selbst die Verwirklichung dieser guten Absicht erfordert letztlich einen politischen Kampf und eine soziale Mobilisierung, um für 300.000 Menschen eine spürbare Entlastung sicherzustellen. Darüber hinaus entkommt auch das FFM einem grundsätzlichen Problem nicht.

Die Anerkennung einer „gerechten“ Entschädigung impliziert nämlich auch, dass diese letztlich über bürgerliche Parlamente und Gerichte ausgehandelt wird. So geht z. B. die amtliche Kostenschätzung unter dem rot-rot-grünen Senat von Kosten zwischen 28,8 und 26 Milliarden Euro aus. Die Immobilienlobby wird hier sicher noch weit höhere Forderungen präsentieren.

In jedem Fall eröffnet sich damit den Kapitalinteressen ein weites Feld für zukünftige Auseinandersetzungen, um eine Enteignung durch extreme Rückzahlungsforderungen für die Steuern zahlenden Lohnabhängigen unattraktiv und teuer zu machen. Damit wollen sie nicht nur maximale Profite sichern, sondern können auch einen Spaltkeil zwischen einen Teil der MieterInnen und die Mehrheit der Klasse treiben. Die einzige Möglichkeit, dem grundsätzlich entgegenzuwirken, besteht darin, die Legitimität von Entschädigungen grundsätzlich zu bestreiten und dafür zu kämpfen, alle Kosten den ProfiteurInnen der Wohnungsmisere aufzuzwingen.

Die entschädigungslose Enteignung – und eine symbolische von einem Euro ist im Grunde nur eine Sonderform davon – zeigt deutlicher und besser, wie wir diesen Kampf führen sollten: Nicht durch Verhandlungen um die Entschädigung, sondern indem wir – wie die Gegenseite – unsere einseitigen Interessen als Basis des politischen Handelns betrachten und unsere Instrumente verwenden, um zu gewinnen oder zumindest das Kräfteverhältnis zu unseren Gunsten zu verschieben. Man sollte neben den Unterschriftensammlungen auch Massenmobilisierung, politische Streiks und Mietboykotte einbeziehen, anstatt die bürgerlichen Kreise (nur) mit vernünftigen oder seriösen Kalkulationen zu überzeugen.

6. Ausblick

Die Broschüre „Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft“ stellt zentrale Modelle einer breiten Öffentlichkeit vor. Es werden dadurch Alternativen zu Privateigentum, Profitwirtschaft und der bürokratischen Führung aufgeworfen. Wichtige politische Instrumente (demokratische Kontrolle, Reprivatisierungsverbot), Schnittpunkte (Bauhütte) und auch die Vorteile für marginalisierte soziale Gruppen (Kinder/Jugendliche, FLINT, Gehinderte, Wohnungslose, Geflüchtete) werden positiver Weise dargestellt.

Auch wenn „rechtssichere“ Gesetzesentwürfe vorteilhaft sind, sieht man jedoch an dem Fokus darauf, dass es mehr darum geht, als „ExpertInnen“ intellektuelle Mittelschichten und die politische „Mitte“ zu überzeugen, anstatt eine Strategie zu entwickeln, die die Interessen der Masse der ArbeiterInnenklasse in den Mittelpunkt stellt. Diese stellt einerseits die deutliche gesellschaftliche Mehrheit und hat andererseits als einzige Klasse ein objektives und strategisches Interesse daran, Vergesellschaftung, Gemeinwirtschaft und Demokratisierung konsequent, also über die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse hinaus durchzusetzen, zu verteidigen und auszuweiten. Die politische Orientierung auf bürgerliche Institutionen (Grundgesetz, Abgeordnetenhaus) wie die der Broschüre und der Kampagne zugrundeliegende politische Programmatik schränken die Weiterentwicklung dieser positiven Ansätze ein.

Anstatt Modelle der direkten Demokratie für die MieterInnenkontrolle vorzuschlagen, werden die sog. MieterInnenräte auf einen Miniparlamentarismus reduziert, politische Zugeständnisse an den Staat (SenatsvertreterInnen), das Kleinbürgertum (Kleingewerbetreibende) und der Bourgeoisie (via Stadtgesellschaft) gemacht. Das gefährdet das Projekt, erhöht die Angriffsfläche für Staat und Kapital, die AöR entweder zu verbürokratisieren (Neue Heimat) oder wie in der Privatwirtschaft zu reorganisieren (Wohnungsgenossenschaften). Die historischen Fehler der sozialdemokratischen Wohnungsgenossenschaften werden in der Broschüre  wiederholt. Entsprechend kann festgestellt werden, dass sie viele gute Ansätze beinhaltet, jedoch am Ende nicht hält, was sie verspricht.

Auch wenn die Broschüre auf halben Weg stehen bleibt, ist die Kampagne zu unterstützen, da sie einen positiven Referenzpunkt einer Mietenpolitik im Interesse von Lohnabhängigen darstellt. Trotz ihrer inneren Widersprüche beinhaltet sie auch ein Potenzial, diese positiv aufzulösen und eine neue MieterInnenbewegung auf eine neue klassenkämpferische Grundlage zu stellen.

Des Weiteren strahlt die Kampagne mit ihren Losungen auf andere Teile der sozialen Bewegungen und Organisationen der ArbeiterInnenklasse (wie Mieterverein, SPD, Linkspartei, Gewerkschaften) aus. Der Kampf um Enteignung, Vergesellschaftung und Kontrolle durch die Beschäftigten und NutzerInnen könnte beispielsweise in Auseinandersetzungen gegen Schließungen und Entlassungen, für den Ausbau des Gesundheitswesens oder für ein ökologisch nachhaltiges Energie- und Verkehrssystem dem Trend der letzten Jahrzehnte entgegentreten, der in Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Schulden bestand. Ja, er könnte ihn sogar umkehren. Wenn wir das Potenzial aufgreifen und weitertreiben wollen, das DWE schon jetzt auch gezeigt hat, müssen wir jedoch auch eine kritische Auseinandersetzung um die Schwächen der Initiative bzw. ihre programmatische und strategische Ausrichtung führen. Zu dieser notwendigen Diskussion wollen wir mit unsere Kritik beitragen.




Vonovia übernimmt Deutsche Wohnen – Enteignung bleibt alternativlos

Jürgen Roth, Infomail 1151, 28. Mai 2021

Am Dienstag, den 25. Mai 2021, herrschte bei der Pressekonferenz im Berliner Roten Rathaus eitel Freude. „Gemeinsam nach vorne blicken“ wollten der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), sein Parteifreund und Finanzsenator, Matthias Kollatz, und die beiden Konzernchefs, Rolf Buch (Vonovia) und Michael Zahn (DW). Einhellig wünschten sich alle Beteiligten ein „Ende der Konfrontation“.

Neuer Anlauf

Zuvor waren Fusionsversuche der beiden Immobilienkonzerne gescheitert. Diesmal anders als bei vorherigen Angeboten waren sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat der DW in die Pläne einbezogen und begrüßten die Übernahme. Eine Grundsatzvereinbarung ist bereits unterzeichnet. Die Kartellbehörden müssen der Fusion vor Ablauf der Annahmefrist des Übernahmeangebots noch zustimmen. Außerdem gibt es den Vorbehalt einer Mindestannahmequote von 50 % aller ausstehenden DW-Aktien. Zuvor waren Vonovias Übernahmeangebote an der mangelnden Bereitschaft der AktionärInnen gescheitert, ihre Aktien anzubieten.

Vonovia, schon jetzt Nummer eins in Europa, will die Nummer zwei auf dem deutschen Wohnungsmarkt schlucken. Dieser Immobilienelefant käme auf einen Börsenwert von 48 Milliarden Euro und verfügte dann über einen Wohnungsbestand von 570.000 Einheiten. Das Angebot von 18 Mrd. Euro spiegele den „inneren Wert“ von DW wider.

Bundesweit käme der gewachsene Superkonzern auf einen Marktanteil von 2,4 %, seine dann rund 150.000 Wohnungen in der Hauptstadt entsprächen 10 %. Die Genehmigung durchs Bundeskartellamt gilt als Formsache.

Versprechen

Die Mieten im Bestand sollen bis 2024 nur um 1 % steigen, anschließend bis 2026 nur um die Inflationsrate. Da versprechen die Konzernchefs mehr, als nach dem Fall des Mietendeckels die landeseigenen Wohnungsgesellschaften halten, deren Bestandsmieten ab Oktober diesen Jahres um bis zu 2 % jährlich angehoben werden dürfen. Allerdings muss dieses Vorhaben nach Einspruch der Grünen und der Linkspartei am 1. Juni wieder im Senat vorgelegt werden.

Zudem plant die Stadt die weitere Übernahme von 20.000 Wohnungen von Vonovia und DW v. a. in sozialen Brennpunkten am Stadtrand (Falkenhagener Feld im Nordwesten, Thermometersiedlung im Süden), aber auch eine vierstellige Zahl in Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg. Bei Letzteren dürfte es sich v. a. um Bestände am Kottbusser Tor handeln, wo die Initiative Kotti & Co aktiv ist, die mit Fug und Recht als Keimzelle des MieterInnenprotests der vergangenen Jahre in Berlin bezeichnet werden kann. Die Rekommunalisierung war ein Wahlkampfversprechen von Linke, SPD und Grünen aus dem Jahr 2016. Damit würden die städtischen Bestände durch Ankauf in 2021 genauso stark zunehmen wie seit Beginn der Legislaturperiode bis Ende 2020. Doch macht dieser den Verlust durch Privatisierungen ab den 1990er Jahren längst nicht wett. Einen Großteil der Verkäufe haben SPD und DIE LINKE/PDS zu verantworten.

Kollatz machte darauf aufmerksam, dass Basis der Käufe der Mietenertragswert sein müsse, nicht der spekulative Verkehrswert. Dann könnten die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften den Erwerb über Kredite finanzieren, die durch Mieteinnahmen getilgt werden könnten. Somit müssten keine Haushaltsgelder fließen. Nimmt man als Preisbasis die 920 Millionen Euro, die 2019 die landeseigene Gewobag für den Erwerb von 6.000 Wohnungen des Immobilienkonzerns Ado aufgewendet hat, käme der geplante Deal auf ca. 3 Mrd. Euro.

Bis Ende 2023 sollen auch betriebsbedingte Kündigungen der Beschäftigten infolge der Übernahme ausgeschlossen werden.

Einwände

Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin der Grünen für die Landtagswahlen 2021, will sich mit Vonovia zusammensetzen, um über Mieterhöhungsstopp, bezahlbaren Neubau und stärker gemeinwohlorientierten Wohnungsmarkt zu reden. Kultursenator und Vizesenatschef Klaus Lederer (Linke) begrüßt die Zugeständnisse der Konzerne, doch diese änderten nichts Grundsätzliches am Geschäftsmodell der börsennotierten Immobilienunternehmen.

Rouzbeh Taheri, einer der SprecherInnen der Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen (DWE), führt die Zugeständnisse auf den Druck des Volksbegehrens zurück. Durch einen Namenswechsel würden sich die BerlinerInnen aber nicht täuschen lassen und das Abkommen als Mogelpackung entlarven. Initiativensprecher Michael Prütz kritisierte, Müller habe sich mit der gemeinsamen Pressekonferenz als „Genosse der Bosse“ präsentiert. Die DWE-Aktivistin Jenny Stupka verwies auf die Vermietungspraktiken Vonovias, insbesondere die überhöhten Nebenkostenabrechnungen durch Tochterfirmen ohne prüffähige Rechnungen.

Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes (DMB) nannte die Konzernankündigungen zu Mietpreisbegrenzungen eine „verbale Flucht nach vorn“ angesichts wachsender MieterInnenproteste und klagte eine bundesweite, wirksame, lückenlose Mietpreisbremse ein. Das Geschäftsmodell ändere sich schließlich nicht. Nach umfassenden Modernisierungen unterlägen Neuvertragsmieten keiner Preisregulierung. Die Zusagen, über gesetzliche Vorgaben hinaus Modernisierungskosten auf max. 2 Euro/m2 zu begrenzen, seien Augenwischerei. Bei Ausgangsmieten bis zu 7 Euro/m2, die viele Vonovia-Bestandswohnungen nicht überschritten, stünde diese Deckelung im Gesetz. Somit könne von einer freiwilligen sozialen Wohltat keine Rede sein.

Der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild, merkt an, dass durch die Refinanzierung des Kaufpreises von 18 Mrd. Euro der Druck auf die Mieten zunähme. Hierin erweist er sich als besserer ökonomischer Realist als die beschwichtigenden Aussagen dazu seitens des Finanzsenators. Der versprochene Zukunfts- und Sozialpakt sei weitgehend „heiße Luft“. Laut Vonovia-Geschäftsbericht lägen die jährlich generierten Mietsteigerungen bei unter 1 %. Durch den großen Anteil am Berliner Wohnungsmarkt würde zudem eine für die Stadtentwicklung problematische Marktmacht herauskristallisiert, zumindest in einzelnen Stadtteilen.

Immobilienbranche sattelt auf, SPD hält die Steigbügel

„Bauen, kaufen, deckeln“, so lautet der SPD-Dreiklang. Diesen Akkord stimmen jetzt auch die Chefs der Branchenriesen an und gerieren sich selbstgefällig. Ein gutes Signal an die BerlinerInnen und an „die Politik“ für eine andere Art der Zusammenarbeit sei das.

Doch dieser Musikantenstadel wird von in die Enge gedrängten AkteurInnen inszeniert. Offenbar hat das DWE-Volksbegehren Wirkung gezeigt, so dass DW unter den Rock des Vonovia-Kolosses flüchten und ein politisch günstiges Geschäft abwickeln will. Gleichwohl ist es übertrieben, damit zu prahlen, man habe „einen Dax-Konzern in die Knie gezwungen“ (Taheri). Schließlich stellt die Übernahme von DW durch Vonovia vor allem eine weitere Stärkung des größten Players auf dem Immobilienmarkt dar und eine dementsprechende weitere Konzentration des Kapitals in einer Hand.

Die Schönrednerin des Deals, die gute, alte Tante SPD, dümpelt derweil tief im Umfragekeller. Ihr Ansehen und ihre Glaubwürdigkeit bei den MieterInnen haben gelitten. Statt den vom Bundesverfassungsgericht abgeschafften Mietendeckel zu verteidigen, kam sie im Einklang mit ihren Koalitionspartnerinnen bisher nicht darüber hinaus, einen Ausgleichsfonds für Mietnachzahlungen infolge des Urteils zu versprechen und auf eine wirksamere Bundesmietpreisbremse zu vertrösten. Als weiterer Trumpf reichen ihr vage soziale Versprechen der Vonovia- und DW-Chefs von Mietpreisstopp, Verkauf von 20.000 Wohneinheiten und, jetzt auch ernsthaft in den Neubau einzusteigen. Dieser als „Sozialpakt“ verkaufte Schmusekurs, das Einläuten eines Endes der bisherigen Konfrontation sollten die MieterInnen nicht täuschen. De facto verbrämt die SPD ihre Zustimmung zur Bildung eines riesigen Betongoldkolosses und damit die Herausbildung eines Megamonopols mit immensem Druck auf den Mietwohnungssektor als Wohltat für die Massen. Das tapfere Sozialschneiderlein ist bei diesem Geschäft aber nur der nützliche Idiot, ein Steigbügelhalter für noch größere Konzernmacht. Sozialwohnungen mit Instandhaltungsrückstand werden an das Land verkauft. Mietzusagen gelten nicht für Neuvermietungen. Dafür soll der Kampf für mehr Gemeinwohlorientierung aufhören? Das ist nicht sozial, sondern Verrat!

  • Kein Vertrauen in die Allianz Vonovia/DW und SPD! Unterschreibt fürs Volksbegehren! Für entschädigungslose Enteignung der Großkonzerne mit über 3.000 Wohnungen beim Volksentscheid! Bildet Mietkontrollkomitees für Mietpreisstopp und Boykott der Mieterhöhungen/-nachzahlungen! Für einen bundesweiten Mietendeckel nach Berliner Vorbild, das es zu verteidigen gilt!



Enteignung, MieterInnenkomitees und ArbeiterInnenkontrolle

Wem gehört die Stadt? ArbeiterInnenmacht-Broschüre, Mai 2021

Dass private VermieterInnen ihr Eigeninteresse verfolgen, ist klar. Aus unserer Erfahrung wissen wir aber auch, dass die Kommunen oder andere staatliche AkteurInnen keineswegs die Interessen der MieterInnen und erst recht nicht der Lohnabhängigen vertreten. In ihren Händen fungieren Wohnungen als staatskapitalistisches Eigentum oder erscheinen für die herrschende Klasse als unnötige Kosten im Staatshaushalt, weshalb sie immer wieder auf Kürzungen der Wohnungsetats oder auf Privatisierungen drängen. Kurzum, der Klassenkampf um die Wohnungsfrage endet nicht mit der Enteignung, er nimmt nur eine andere Form an.

Daher treten wir in allen privaten, staatlichen und auch genossenschaftlichen Wohnungsgesellschaften für die Kontrolle durch gewählte Ausschüsse oder Komitees der MieterInnen ein. Diese müssen volle Einsicht in die Geschäftsunterlagen, Finanzen und Verträge bekommen sowie ein Vetorecht über alle Entscheidungen. Notwendige, größere Erweiterungsinvestitionen oder ökologische Erneuerungen müssen nicht von den MieterInnen bezahlt werden, sondern sollen aus der Besteuerung privater EigentümerInnen oder vom Staat bestritten werden. In oben genannte Ausschüsse oder Komitees müssen neben den MieterInnen auch die Beschäftigen einbezogen werden, die für Instandhaltung, Betreuung, Neubau usw. tätig sind.

Wie bei allen gesamtgesellschaftlich relevanten Bereichen kann sich die Kontrolle über das gesamte System des Wohnens und des Wohnbaus nicht auf MieterInnen und Beschäftigte beschränken. Die Prioritäten für Neubau z. B. müssen von der gesamten Gesellschaft, also der gesamten ArbeiterInnenklasse, vertreten durch ihre Gewerkschaften oder Stadtteilkomitees, gesetzt werden.

Die genauen Formen der Kontrolle werden sich logischerweise im Zuge der Entwicklung verändern. Es versteht sich von selbst, dass die VertreterInnen von MieterInnenvereinen, Gewerkschaften, migrantischen und linken Organisationen und Parteien der ArbeiterInnenbewegung einbezogen werden müssen.

Grundsätzlich muss aber der Kampf um Kontrolle von jenem um bloße Mitbestimmung unterschieden werden, also von Gremien, in denen Staat, Kommunen und private Unternehmen neben den Lohnabhängigen vertreten sind. Dabei kommt allenfalls eine etwas gemilderte bürgerliche Wohnungspolitik heraus, ein mehr oder weniger zufriedenstellender Kompromiss zwischen Lohnabhängigen, Staat und Unternehmen, aber keine Prioritätensetzung im Sinne der Masse der Bevölkerung.

MieterInnenvertretungen und MieterInnenräte, die direkt die Interessen der Masse vertreten, stellen daher Kontrollorgane dar, die Organen der ArbeiterInnenkontrolle in den Betrieben ähneln. Sie können nur in größeren Kämpfen entstehen und verallgemeinert werden und sie müssen sich auf direkt-demokratische Strukturen in den Wohnhäusern und Stadtteilen stützen, auf Versammlungen, von den sie gewählt und denen sie rechenschaftspflichtig sind. Nur durch diese Verankerung an der Basis können sie ihre Unabhängigkeit von Staat und bürgerlichen Institutionen überhaupt erreichen und behaupten. Diese bedeutet aber auch, dass sie – wie die ArbeiterInnenkontrolle in der gesamten Wirtschaft – entweder zum Sprungbrett für eine größere Umwandlung der Eigentumsverhältnisse und der Gesellschaft insgesamt oder wie einst die Betriebsräte inkorporiert oder zerschlagen werden.

In jedem Fall nimmt die Kontrolle durch die MieterInnen und die ArbeiterInnenklasse insgesamt eine zentrale Stellung ein, wenn der Kampf um Verbesserungen und Reformen mit dem strategischen Ziel der Enteignung und dem Sturz des Kapitalismus verbunden werden soll.