PDS, Linkspartei und die Wohnungsfrage: „Rebellisches“ Regieren in Berlin

Susanne Kühn, Neue Internationale 279, Dezember 2023 / Januar 2024

Gern präsentiert sich DIE LINKE als einzige Partei im Berliner Abgeordnetenhaus, die „konsequent“ für die Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. eingetreten wäre. Stolz verweist die Partei darauf, dass sie 2021 zehntausende Unterschriften gesammelt hat und viele ihrer Mitglieder aktiv an der Kampagne teilgenommen haben.

Dieser rosigen Seite der Mietenpolitik der Berliner Linkspartei und ihrer Vorläuferorganisation stehen jedoch zahlreiche dunkle Kapitel gegenüber, die die Grenzen „linker“ Reformpolitik deutlich machen.

Vom Saulus zum Paulus?

Über das unrühmlichste und wohnungspolitisch geradezu kriminelle Kapitel der eigenen Parteigeschichte hüllt DIE LINKE in Berlin gern den Mantel des Schweigens. Unter der rot-roten Landesregierung wurde massiv privatisiert. Von den knapp 400.000 landeseigenen Wohnungen bei Antritt des SPD-PDS-Senats blieben nur ca. 250.000 übrig.

Darüber hinaus wurden in Berlin in dieser Periode auch die Wasserwerke teilprivatisiert und Krankenhäuser an Vivantes, Helios und die Rhön-Kliniken verscherbelt.

Kurz gesagt, die Regierungsrebell:innen um Gregor Gysi und Harald Wolf rührten die Scheiße am Wohnungsmarkt mit an, die die Linkspartei seither beklagt. Gelernt hatte sie aber schon damals nichts aus der Enttäuschung ihrer Wähler:innen. Trotz Stimmenverlusten von beinahe 10 Prozent verblieb DIE LINKE als Juniorpartnerin im Senat unter Klaus Wowereit und werkelte von 2006 – 2011 weiter als treue Vasallin der SPD.

In der Opposition 2011 – 2016 reorganisierte sie sich ein wenig und erzielte 2016 15,6 % (ein Plus von 3,9 % gegenüber 2011). Von 2016 bis 2021 war sie, ebenso wie von 2021 bis zur Nachwahl 2023, Teil des Senats mit SPD und Grünen.

Anders als in den vorherigen Senatsperioden versuchte sich DIE LINKE darin, ihr tristes Regierungsdasein mit „oppositionellen“ Regungen zu verbinden, was noch 2021 dazu führte, dass sie relativ wenig Stimmen verlor. Doch gerade diese Zeit, die die Linkspartei am ehesten als „rebellisches Regieren“ verkaufen möchte, verdient eine genauere Betrachtung.

Gleich 2016 versuchte DIE LINKE mit der Ernennung des linken, antikapitalistischen Gentrifizierungskritikers Andrej Holm zum Staatssekretär unter der Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher, einen Akzent zu setzen. Innerhalb weniger Monate wurde Holm jedoch durch eine reaktionäre Kampagne bürgerlicher Medien, von CDU und FDP sowie unter kräftiger Mithilfe des rechten Flügels von SPD und Grünen zum Rücktritt gezwungen – ein klares Signal, dass die Immobilienlobby und ihr politischer Anhang vor nichts zurückschrecken würden, um jede wohnungspolitische Wende zu verhindern, die sich auch nur im Ansatz gegen ihre Interessen richtet.

Zugleich musste der Senat und damit auch DIE LINKE versuchen, dem wachsenden Druck unzufriedener Mieter:innen und von Protestansätzen Rechnung zu tragen. Hierbei sollte der Mietendeckel helfen, den Lompscher 2019 auf den Weg brachte und der im Januar 2020 vom Abgeordnetenhaus beschlossen wurde. Der durchaus löchrige Deckel sollte die Mietpreissteigerungen für Hunderttausende Mieter:innen begrenzen. Die Bundestagsfraktionen von CDU und FPD klagten gegen diesen Anschlag auf den „freien Markt“. Das Bundesverfassungsgericht gab der Immobilienlobby Recht und kassierte das Berliner Gesetz – mit verheerenden Folgen für rund 1,5 Millionen Mieter:innen, denen  teilweise massive Nachzahlungen, vor allem aber weitere Mieterhöhungen ins Haus standen.

Die beiden Beispiele verdeutlichen das ganze Dilemma der Reformpolitik der Linkspartei, selbst wenn sie, anders als im rot-roten Senat, keine Verschlechterungen, sondern Verbesserungen in Angriff nahm. Unter dem Druck der bürgerlichen Öffentlichkeit knickte sie wie im Falle Holm ein. Kassierte ein Gericht die Reformen, war sie mit ihrem Latein am Ende. Einen Plan B, der über letztlich symbolische Demonstrationen und Proteste gegen die Urteile hinausging, hatte sie nie.

Deutsche Wohnen und Co. enteignen

Das Kassieren des Mietendeckels beflügelte auf seine Art die größte und auf ihrem Höhepunkt auch erfolgreichste von Linken und der Mieter:innenbewegung getragene Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. DIE LINKE unterstützte die Kampagne von Beginn an, auch wenn sie deren massiven Erfolg bei der Volksabstimmung 2021 wie viele andere nicht voraussehen konnte. Am 26. September stimmten 59 % für die Enteignung der großen Immobilienkonzerne in Berlin.

Nicht nur die Wohnungswirtschaft, AfD, CDU und FDP waren wild entschlossen, die Entscheidung der Bevölkerung nicht umzusetzen. Auch die rechte SPD-Führung um Giffey und Geisel wollte den Volksentscheid politisch kippen. Natürlich konnte sie das nicht direkt tun. Daher zauberten Geisel und Giffey eine sog. Expert:innenkommission aus dem Hut, die überprüfen sollte, ob der Volksentscheid umsetzbar und in welches Gesetz er gegebenenfalls zu gießen wäre.

So sollte in einer im Geheimen tagenden Kommission zuerst einmal Zeit gewonnen werden, ohne offen den Mehrheitswillen zu ignorieren. Zweitens erklärten denn Giffey und Geisel auch deutlich, dass selbst ein positives Ergebnis der Kommission längst nicht bindend wäre, sondern der Senat darüber entscheiden müsse. Kurzum, die SPD-Führung machte klar, dass es sich nur um eine Verschleppung handelte und sie ohnedies immer den Volksentscheid blockieren würde.

Dieses Manöver war nicht nur ein Hohn auf jede Demokratie, sondern natürlich ganz im Interesse des Kapitals. Die Grünen spielten gern mit und die SPD machte die Expert:innenkommission zur Bedingung für eine Fortsetzung der rot-grün-roten Koalition.

Und DIE LINKE? Die spielte das schäbige Spiel mit. Sie lief sehenden Auges in die offene Falle, die Giffey und Geisel gestellt hatten. Dass auch die Mehrheit der Kampagne von Deutsche Wohnen und Co. um die Interventionistische Linke das üble Spiel mitgstaltete, diente der Mehrheit der Linkspartei zwar als Entschuldigung für ihre Kapitulation vor der SPD, macht die Sache aber nicht besser.

Ein Mitgliederentscheid sprach sich für die Fortsetzung der Koalition aus. Insgesamt beteiligten sich 4.220 (53,64 %) der 8.016 Parteimitglieder am Entscheid über den Koalitionsvertrag, davon waren 3.926 Stimmen gültig. 2.941, also 74,91 %, votierten für Rot-Grün-Rot, 880 oder 22,4 % stimmten mit Nein, 105 (2,67 %) enthielten sich.

Die Landesparteivorsitzende Katina Schubert und mit ihr die gesamte Senatsriege konnten ihre Freude kaum verbergen. „Das ist ein klarer Auftrag für uns. Das gute Ergebnis ist Rückenwind für die aktuellen und kommenden Herausforderungen,“ erklärte sie und ließ weiter verlauten: „Wir haben angekündigt, den Berlinerinnen und Berlinern die Stadt zurückzugeben.“

In Wirklichkeit halfen sie der Immobilienlobby mit, ihre volle Verfügungsgewalt über ihr Privateigentum zu behalten. Die Expert:innenkommission werkelte über Monate vor sich hin, die Bewegung und die Strukturen von Deutsche Wohnen und Co. schrumpften und brachen mehr und mehr in sich zusammen. Mit der Neuwahl 2023 und der Bildung des CDU/SPD-Senats war der Volksentscheid endgültig erledigt.

Opportunismus und Blindheit

Das Beispiel verdeutlicht das Problem des „rebellischen Regierens“, selbst wenn DIE LINKE eine Bewegung aktiv unterstützt. Letztlich stößt eine solche Bewegung, gerade wenn sie das kapitalistische Privateigentum und seine rechtliche Absicherung, also ein gesellschaftlich wesentliches Verhältnis, berührt, an die Grenzen des bürgerlichen Systems. Das ist unvermeidbar.

Sowohl die Mehrheit der Kampagne Deutsche Wohnen und Co. enteignen als auch DIE LINKE weigerten sich jedoch bewusst, diese Problematik von Beginn an zu thematisieren. Der Opportunismus setzte auf politische Blindheit – und wunderte sich dann, dass er das Offensichtliche nicht vorausgesehen hatte.

Was die Führung der Linkspartei betrifft, so erfüllt diese jedoch auch einen Zweck. Sie sollte jede vorausschauende Diskussion, jede strategische Debatte darüber verhindern, wie die Kampagne erfolgreich weitergeführt werden könnte, auch wenn der Senat sabotiert und DIE LINKE nicht mehr in der Landregierung vertreten ist. Dazu hätten nämlich sowohl die Kampagne wie auch DIE LINKE auf eine Strategie der klassenkämpferischen Mobilisierung, auf den Aufbau von Mieter:innenkomitees, auf Verbindung mit betrieblichen und gewerkschaftlichen Organisationen, auf die Verbreiterung von Miet- und politischen Solidaritätsstreiks orientieren müssen. Genau das wollten aber die Vertreter:innen des „rebellischen Regierens“ nicht, weil sie selbst viel stärker unter den direkten und demokratischen Druck einer solchen Kampagne geraten wären, weil es viel schwerer geworden wäre, 2021 weiter im Senat zu hocken und dafür den Volksentscheid faktisch zu opfern.

Die Lehre aus diesen Kämpfen muss aber gezogen werden. Es ist natürlich grundsätzlich richtig, DIE LINKE wie auch andere reformistische Parteien oder Gewerkschaften zur Unterstützung solcher Kampagnen aufzufordern, ja, wenn möglich, dazu zu zwingen. Aber zugleich braucht sie demokratische Kampfstrukturen und eine offen geführte Diskussion und Entscheidung über die zentralen Fragen zur Umsetzung ihrer Ziele – in diesem Fall der Enteignung – und der dafür notwendigen Kampfmethoden und Strukturen. Natürlich können auch dann Reformist:innen und Opportunist:innen eine Kampagne in die Irre führen, aber bieten sich unter diesen Bedingungen viel günstigere Möglichkeiten für klassenkämpferische Kräfte, ihre Vorschläge, ihre Positionen zu vertreten und im günstigsten Fall die Mehrheit dafür zu gewinnen. Hinzu kommt, dass eine solche Methode erlaubt, dass wir nach einem politischen Ausverkauf durch Reformist:innen und deren Senatsambitionen nicht mit leeren Händen, sondern einer politisch aktiven Kampagne dastehen, die weiter kampffähig ist.




Buchbesprechung: Wohnen im Kapitalismus als Objekt der Rendite

Tomasz Jaroslaw, Neue Internationale 267, September 2022

Im Folgenden wollen wir eine kurze Zusammenfassung des Buchs von Andrej Holm: Objekt der Rendite. Zur Wohnungsfrage und was Engels noch nicht wissen konnte, Dietz Verlag, Berlin 2021, präsentieren. Wir beschränken uns auf die Geschichte des kapitalistischen Wohnungsbaus und seine sich verändernde Ökonomie.

Kapitalistischer Wohnungsbau im 19. Jahrhundert

Die einschneidendsten Änderungen verursachte die industrielle Revolution. Massen von Bauern/Bäuerinnen wurden in die Kohleabbauregionen, Stahlproduktionszentren und die verarbeitende Industrie gezogen. Große Anlagen und neue Städte entstanden und manch alte erlebten eine nie gekannte Bevölkerungsexplosion. Mitte und Ende des 19. Jh. wurden in den europäischen Zentren Wohnraum massenweise (vor allem armer Schichten) vernichtet, Straßen verbreitert und neue Gebäude für bürgerliche oder adlige Schichten gebaut.

Diese vernichtende bourgeoise Wohnraumpolitik nennt Andrej Holm „revanchistisch“. Dagegen gab es mit Proudhon und mittelständischen Wohnvereinen eine kleinbürgerliche Wohnraumpolitik, die den Kleinbesitz eines Reihen- oder Einzelhauses mit Gärten für alle als Lösung propagierte. Der Sozialreformer Gustav Schmoller wies 1890 die deutsche Bourgeoisie darauf hin, dass zwangsweise soziale Revolutionen ausbrechen werden und schlug bessere Wohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen vor. Engels wies jedoch darauf hin, dass unter kapitalistischen Umständen die Bourgeoisie selten oder gar nicht angemessenen Wohnraum zur Verfügung stellt, da dieser als Spekulationsobjekt weit attraktiver ist.

Interessanterweise kann man konstatieren, dass je stärker die Arbeiter:innenbewegung war, sich die katastrophale Wohnsituation leicht abmilderte und die Infrastruktur (Wasserversorgung, Kanalisation) durch Staatsinvestitionen verbesserte, was sich durch die Zahl der Obdachlosen und Schlafgänger zwischen 1850 – 1920 erhärten lässt.

Das 20. Jahrhundert

Die Novemberrevolution belebte die Debatte neu. Es wurde über die Sozialisierung auch von Wohnraum nachgedacht und es gab Mietstreiks 1919. Zwar wurde das nicht erreicht, aber es gab Impulse zur Finanzierung kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungen auf Basis der Besteuerung Privater, die zu ersten massenhaften Wohnungsbauprogrammen führten, die heute den Kernbestand der städtischen Wohnungen ausmachen.

1945 – 1990 wurde die massenhafte Versorgung der Bevölkerung in den Zentren ebenfalls durch kommunale Wohnungsgesellschaften und Baugenossenschaften durchgeführt. Im Rahmen von privatem Wohnungsneubau unter dem Label des Sozialbaus erfolgte hauptsächlich eine doppelte Subventionierung des privaten Sektors: erstens, da die Sozialbindung nach einer gewissen Frist entfiel (damals: 30 Jahre, heute in Berlin: 10 Jahre) und die Mieten zu einem Zeitpunkt, wo die Baukosten der Gebäude bereits refinanziert waren, nicht mehr preisgebunden waren und zweitens, weil die Zuschüsse und Steuererleichterungen einen erheblichen Anteil einnahmen und teilweise größer als die Gesamtkosten waren.

Nach der deutschen Einheit: Berliner Mietenmonopoly

Nach Wegfall der Systemkonkurrenz im Osten wurde die Privatisierung der kommunalen Gesellschaften 1990 durch dem Wegfall der Wohnraumgemeinnützigkeit vorbereitet. Kommunale Träger und Genossenschaften verloren ihre Steuervorteile. Die steuerlichen Mehrkosten wurden auf die Mieter:innen umgelegt. Eine Welle der Mietpreiserhöhung folgte. Bis dahin war der Mietpreisanstieg sehr schwach, halbwegs linear und entsprang aus den leicht steigenden Realkosten inkl. Inflation.

In den 2000er Jahren wurden in Berlin die Wohnraumförderung eingestellt, etwa 250.000 kommunale Wohnungen durch den „rot-roten“ Senat privatisiert und für sehr geringe Beträge an Private verkauft.

2007 platzte eine Immobilienblase auf dem US-Finanzmarkt. Aus dieser nationalen Immobilien-entwickelte sich die globale Finanzkrise. Da die normale Warenproduktion auf Grund des tendenziellen Falls der Profitrate nicht mehr ausreichend Gewinne realisierte, drängte anlagesuchendes Kapital auf andere Märkte. Im Gegensatz zu Investitionen in hochriskante Finanzprodukte wurden langfristige mit gesicherten Gewinnen attraktiver. Die größten Gewinne versprach man sich, wo der Rent-Gap am größten war: zum Kauf stehende ehemalige Werks- und kommunale Wohnungen. Niedrigzinspolitik so wie Deregulierung unter Schröder verstärkten den Trend.

Holm spricht hier ebenfalls von einer revanchistischen Raumvorstellung, die nicht nur in Privatisierung, Auswertung und Gentrifizierung mündete, sondern Zerstörung sozialer Leben, brutale Vertreibung, die marginalisierte Gruppen wie prekäre Arbeiter:innen, Migrant:innen, Wohnungslose am härteten trafen und mit Polizeigewalt durchgesetzt worden sind. Der Prozess, der London in den 1980er und New York in den 1980er und 1990er Jahren heimsuchte, erreichte ab 2000 Berlin und intensivierte sich in der Folgezeit.

In den letzten Jahren gab es ganze Wellen von Zwangsräumungen von Arbeiter:innen, Migrant:innen, linken Hausprojekten und Kneipen, wo ganze Straßenabschnitte unter polizeilichen Belagerungszustand gestellt, Anwohner:innen systematisch schikaniert worden sind.

Finanzorientierte und industrielle Wohnkonzerne

Bis in die 2000er Jahre war der Wohnungs- vom Finanzsektor relativ abgeschlossen. Natürlich wurden Kredite von Banken aufgenommen, um Wohnungen zu kaufen oder zu bauen, und diese mit der Zeit durch die Mieter:innen abgezahlt. Aber weitere Verflechtungen waren selten.

Anfang dieses Jahrtausends begannen Banken und Finanzdienstleister in Deutschland damit, nicht nur Geld für Wohnungsunternehmen zur Verfügung zu stellen, sondern mit diesem Kapital selbst Firmen zu gründen und in eigener Regie zu investieren (z. B. die Gründung von Deutsche Wohnen durch die Deutsche Bank 1998). Diese finanzmarktorientierten Wohnungskonzerne begannen, Kapital in Form von Private Equity Fonds zu sammeln, Wohnungen zu erwerben und diese wie ihre Unternehmensanteile wie moderne Finanzprodukte zu handeln. Diese absorbierten auch, begünstigt durch die Liberalisierung unter Schröder, Kapitale aus Rentenfonds, Versicherungen, mittelgroße Anleger:innen. Vor allem zogen Wohnungen mit einem hohen Rent-Gap dieses private Kapital an.

In den 2000er Jahren kauften diese Unternehmen etwa 230.000 ehemals kommunale Wohnungen auf. Damit wurden sie, die bis dahin einer zumindest geringen öffentlichen Kontrolle unterlagen und ein Gut mit öffentlich-sozialer Zweckbestimmung darstellten und nur geringe Renditen erzielten, systematisch in Finanzprodukte umgewandelt, wo größte Renditen durch große Mietsteigerungen möglich waren und der Finanzmarkt herrschte.

Nach der Finanzkrise 2007 strömte verstärkt auch internationales Kapital auf den deutschen Wohnungsmarkt. Ab 2010 haben finanzorientierte Wohnungskonzerne ihre Interaktion mit Banken und Investor:innen geändert. Wo anfangs Kapital für Unternehmungen zur Verfügung gestellt worden ist und diese Schulden mit den Mieten sukzessive abbezahlt worden sind und in Folge dessen ebenso wie Zinsen sanken, werden diese nicht mehr abbezahlt, sondern stattdessen Geschäftsanteile des Unternehmens an Investor:innen ausgegeben. Dadurch, dass die Schulden nicht bedient werden, steigen diese zusammen mit den Zinsen. Zinsen sind umlagefähig. So steigen die Mieten zusätzlich. Gleichzeitig wird die Bauindustrie für Projekte finanziert, um durch Wertsteigerungen der unmittelbaren Umgebung dortige Mieten anzukurbeln. Diese Bauindustrie verkaufte die Gebäude, erwarb aber gleichzeitig Anteile am kaufenden Unternehmen. Dadurch verschmolzen das in den Gebäuden gebundene Kapital der Wohnungsunternehmen, das Finanzkapital und die Bauindustrie zu dem, was Holm und Unger finanzindustrielles Kapital nennen.

Diese finanzindustriellen Wohnkonzerne zeichnet neben den o. g. Merkmalen weiter aus: Hoher Grad der Automatisierung bei ihren Geschäftsabläufen, aktuelle Werte und Mietsteigerungspotenziale werden ermittelt, damit potenzielle Investitionen, Abrechnungen oft absichtlich fehlerhaft erstellt.

Gleichzeitig werden die Strukturen dezentralisiert und verschachtelt. Wo damals dem/r Mieter:in ein/e Vermieter:in oder eine Firma gegenüberstanden, existiert ein Geflecht von Firmen. Der Vorteil dieser Struktur liegt darin, dass diese Firmen sich für ihre Dienstleistungen hohe Rechnungen ausstellen, diese einerseits auf die Mieter:innen umgelegt werden können und andererseits als hohe Betriebsausgaben in geringere Steuern münden. So ist das sog. „Insourcing“ eine übliche Praxis, die Betriebskosten künstlich in die Höhe zu treiben. Es beschreibt das Ausgliedern ehemals firmeneigener Handwerker:innen und Reinigungskräfte bzw. Gründen von Handwerks- und Reinigungsunternehmen, Beauftragung dieser durch die Hausverwaltung, Ausstellen hoher Rechnungen und deren Umlage auf die Mieter:innen.

Eine Firma tritt auf der untersten vertikalen Ebene als Eigentümerin auf. Auf der mittleren Ebene fallen diese Firmen mit Geschäftsanteilen anderer Eigentümer- oder Holdinggesellschaften zusammen und auf höheren Ebenen ist der Konzern international und branchenübergreifend aufgestellt. Die Gewinne zentralisieren sich früher oder später nach oben in der Eigentümervertikalen und laufen bei Aktionär:innen, Banken oder internationalen Investmentgruppen wie BlackRock zusammen.

Die Mieter:innen zahlen alle Ausgaben inkl. Instandhaltung. Ein weiterer Trick ist hier, nicht instand zu halten und Beschwerden wie erforderliche Mietsenkungen schlicht und ergreifend zu ignorieren, sie stattdessen mit Forderungen, Inkasso- und Gerichtsverfahren zu überziehen. Es wird dadurch gleichzeitig auch versucht, das Gebäude so in der Bausubstanz verkommen zu lassen, bis eine Sanierung notwendig wird. Deren Kosten sind umlagefähig. Sind sie amortisiert, also durch die Miete abbezahlt, wird sie jedoch nicht auf den vorherigen Zustand gesenkt.




Pakistan: Stoppt Vergewaltigung und Folter! Internationale Solidarität mit KlimaaktivistInnen in Karatschi!

Liga für die 5. Internationale, Internationales Sekretariat, 16.12.2021, Infomail 1173, 16. Dezember 2021

Die Liga für die Fünfte Internationale ist zutiefst besorgt über Berichte von Vergewaltigung und Folterung einer Klimaaktivistin in der Nacht vor dem Klimamarsch am 12. Dezember in Karatschi. Wir verurteilen diese Barbarei aufs Schärfste und solidarisieren uns mit den Genossinnen und Genossen, die Tag und Nacht gearbeitet haben, um diesen Marsch zu ermöglichen und seine Forderungen auf die arbeitende Bevölkerung von Karatschi zu konzentrieren.

Unsere pakistanische Sektion, die Revolutionary Socialist Movement (Revolutionär-Sozalistische Bewegung; RSM), ist auch Teil der breiten Koalition, die den People’s Climate March organisiert hat, der sich an der Straße Boat Basin versammelte und zum Bezirk Bilawal Chowrangi lief. Das Bündnis vereint AktivistInnen für Wohn-, Landrechte und Klimawandel, darunter Karachi Bachao Tehreek (Rettungsbewegung Karatschi, ein Zusammenschluss verschiedener linker Organisationen, die sich gegen den Abriss von ArbeiterInnenwohnungen einsetzen), Women’s Democratic Front, Progressive Students’ Federation Karachi, Pakistan Maholiati Tahaffuz Movement, Climate Action Pakistan und 28 weitere Organisationen, wie Pashtun Tahaffuz Movement, Jiye Sindh Students’ Federation, Pakhtun Students’ Federation, Sindh Sujaagi Forum, Baloch Yakjehti Committee, and the Karachi Union of Journalists.

Unter all den verschiedenen Klimamärschen, die in der ganzen Welt organisiert wurden, ist es klar, dass der Marsch in Karatschi von sozialistischen Kräften organisiert wurde, die nicht nur die ökologische Zerstörung kritisierten, sondern auch bereit waren, die Grundursache der Klimakrise, nämlich den Kapitalismus, anzugehen. Die Haupttransparente des Marsches zeigten zwei Hauptpunkte: „Sozialismus oder Barbarei“ und „Systemwechsel statt Klimawandel“.

Die Mobilisierungen für den Marsch konzentrierten sich auf ArbeiterInnenviertel sowie StudentInnen und Jugendliche aus sozial unterdrückten Schichten. In Anbetracht all dieser Faktoren ist es mehr als deutlich, dass die Repression, der die transsexuelle Klimaaktivistin ausgesetzt war, nicht nur eine Taktik darstellte, um sexuelle Gewalt gegen ein Mitglied einer der verletzlichsten und unterdrücktesten geschlechtlichen Minderheiten anzuwenden, sondern auch, um die größere Gemeinschaft der SozialistInnen zu bedrohen, die sich im Kampf für Klimagerechtigkeit engagieren. Wir zollen den Genossinnen und Genossen Anerkennung dafür, dass sie sich weder diesem Druck noch dem der Polizei am Tag des Marsches gebeugt haben.

Laut einer Erklärung der Karachi Bachao Tehreek fand am 11. Dezember eine Sitzung des Organisationskomitees statt, um die Einzelheiten des Marsches festzulegen. „Nach der Sitzung wurde eine unserer Organisatorinnen, eine Transfrau, auf dem Heimweg entführt. Sie wurde gefoltert und vergewaltigt, um Informationen über das Programm des Marsches und seine Reden zu erhalten“, heißt es in der Erklärung.

Weiter heißt es: „Am Tag des Marsches wurden die DemonstrantInnen bei ihrer Ankunft in der Boat Basin von einem starken Polizeiaufgebot empfangen, und der Marsch wurde blockiert und von allen Seiten von Polizeifahrzeugen umgeben. Die DemonstrantInnen durften sich nur Zentimeter für Zentimeter vorwärts bewegen, mit dem ausdrücklichen Ziel, zu verhindern, dass der Marsch an Fahrt gewinnt und das Bilawal Haus erreicht, den Sitz des Vorsitzenden der Regierungspartei in Sindh, einer Partei, die angeblich für Demokratie, verfassungsmäßige Freiheit, Menschen- und Umweltrechte eintritt.

Die eklatante staatliche Repression gegen diesen Klimamarsch ist Teil einer anhaltenden Kampagne der Kriminalisierung und Polizeigewalt, die sich gegen wirtschaftlich und sozial marginalisierte Gruppen richtet, die gegen die Klimagerechtigkeit kämpfen. Von Bahria Town bis Gujjar und Orangi Nullah sind die OrganisatorInnen, die sich gegen Zwangsumsiedlungen und Klimaungerechtigkeit wehren, falschen Terrorismusvorwürfen, illegalen Festnahmen, Verhaftungen, Einschüchterungen und Entführungen ausgesetzt gewesen. All das, weil sie das Recht auf eine nachhaltige, gerechte Stadt einfordern. Als KlimaaktivistInnen sind wir empört über die Verletzung unseres verfassungsmäßigen Rechts auf Protest und Versammlungsfreiheit. Wir fordern im Namen aller beteiligten Organisationen Rechenschaft von der Regierung und der Polizei von Sindh.“

Wir stehen in voller Solidarität mit der Klimabewegung in Karatschi.

  • Beendet die Gewalt gegen Transfrauen!
  • Schluss mit den Schikanen und Übergriffen gegen politische AktivistInnen durch Folter, Vergewaltigung und Einschüchterungstaktiken!
  • Stoppt die gewaltsame Aneignung von Land der ArbeiterInnenklasse in Malir und Gadap Town für den Bau von Megaprojekten wie Bahria Town!
  • Stoppt die Zerstörung der Häuser von Lohnabhängigen in Gujjar Nullah, Orangi Nullah und anderen solchen Vierteln für kapitalistische Unternehmungen!
  • Kontrolle der ArbeiterInnenklasse über die Entwicklung der Stadt!
  • KlimaaktivistInnen in aller Welt sollten ihre Solidarität mit den GenossInnen in Karatschi bekunden und bei den Behörden der pakistanischen Regierung gegen die Brutalität der Polizei protestieren.



Landesparteitag DIE LINKE Berlin: mit gebührender Begleitmusik

Jürgen Roth, Infomail 1167, 21. Oktober 2021

Wenig überraschend hat DIE LINKE Berlin auf ihrem außerordentlichen Landesparteitag am 19.10.2021 mit deutlicher Mehrheit der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen zugestimmt. Das 6-seitige Sondierungspapier, das eine Kommission aus den 3 Parteien vorgelegt hat, stellt damit kein Hindernis für die Fortführung der alten Senatskoalition (R2G) – unter geänderten Kräfteverhältnissen aufgrund des Wahlergebnisses als RGR – mehr dar.

Umstrittene Sondierungsergebnisse

Es blieben im Wesentlichen zwei: die von der scheidenden grünen Verkehrssenatorin forcierte Ausschreibung der S-Bahn und damit ihre Zerschlagung und forcierte Privatisierung sowie der Umgang mit dem Volksentscheid für die Enteignung der großen Immobilienkonzerne mit mehr als 3.000 Wohneinheiten. Innensenator Geisel (SPD) darf es beruhigen, dass das von ihm verlangte neue Landespolizeigesetz von keiner der 3 Parteien mehr infrage gestellt wird.

In der Wohnungsfrage setzte sich im Sondierungspapier die Handschrift der designierten Regierenden Bürgermeisterin, Franziska Giffey, durch. Der Schwerpunkt liegt demnach auf dem Neubau von angestrebten 20.000 Wohnungen pro Jahr. Ein Bündnis für bezahlbaren Neubau mit der renditehungrigen privaten Immobilienlobby soll es also richten. Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, hält das Ziel von 200.000 bezahlbaren Wohnungen bis 2030 für unrealistisch. Für ihn bleibt unklar, wer die denn bauen soll. Dem schließt sich auch der Berliner BUND-Landesgeschäftsführer, Tilmann Heuser, an: „Es ist relativ klar, dass zu den aktuellen Baukosten kein bezahlbarer Wohnraum entstehen kann.“ (NEUES DEUTSCHLAND, 19.10.2021, S. 9)

Wild hält zudem die Einstellung, dass man über den Markt, über die Neubaumenge die Preise im Bestand beeinflussen könne, für problematisch. Linksfraktionsmitglied Katalin Gennburg bemängelt, dass das Verhältnis von einem Prüfauftrag für den klaren Volksentscheid zur reinen Orientierung auf ein Neubaubündnis der Realität und der eingeleiteten stadtpolitischen Wende nicht standhalte.

Gedämpfte Begleitmusik im Saal …

Spitzenkandidat der Linkspartei, Klaus Lederer, hatte im Vorfeld des Parteitags die Einsetzung einer ExpertInnenkommission zur Ausarbeitung eines Enteignungsgesetzes empfohlen. Von der Kontrolle der Umsetzung durch die von der Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen (DWe) mobilisierte Volksentscheidsmehrheit und MieterInnenbasis insbes. in der Frage der Entschädigungshöhe und Betriebsführung der verstaatlichten Wohnungen redet dieser auf den parlamentarischen Kuhhandel fixierte Reformist also erst gar nicht.

Das tut auch die innerparteiliche Opposition um Landesvorstand Moritz Warnke und die 3 Abgeordneten Elif Eralp, Katalin Gennburg und Niklas Schenker leider nicht. Doch immerhin formulierte sie einen Antrag an den Landesparteitag, dass die Verpflichtung zur Vorlage eines vom zukünftigen Senat erstellten Enteignungsgesetzes im Abgeordnetenhaus im Koalitionsvertrag verankert und dies zur zwingenden Voraussetzung gemacht werden soll, um in eine Koalition mit SPD und Grünen einzutreten. Damit steht sie deutlich links von Lederer. Es versprach also, ein lebhafter Parteitag zu werden, auch wenn die AntragstellerInnen grundsätzlich eine Koalition mit einer offen bürgerlichen Partei wie den Grünen für möglich halten.

Natürlich wurde auch diese Opposition im Vorfeld unter Druck gesetzt und die Abstimmung über den Antrag von Warnke und anderen wurde erst abgehandelt, nachdem über die Aufnahme der Koalitionsverhandlungen entschieden worden war. Dies geschah mit einer deutlichen Mehrheit, eine Auszählung der Gegenstimmen und Enthaltungen gab es nicht.

Schließlich wurde der Antrag abgestimmt, die Erstellung eines Enteignungsgesetzes zur Bedingung für eine Koalition zu machen. Er selbst kam jedoch nie zur Abstimmung, weil unter diesem Punkt zuerst ein Ergänzungsantrag der Mehrheit des Landesvorstandes behandelt wurde, der zwar das Ziel eines Enteignungsgesetzes bekräftigte, aber dies nicht zur Bedingung für eine Koalition macht.

Diese Ergänzung, die den Antrag praktisch in sein Gegenteil verkehrte, wurde mit 86 Ja- bei 53 Nein-Stimmen und einer Enthaltung angenommen. Damit war die Opposition geschlagen.

Katina Schubert, die für den Antrag des Parteivorstandes eintrat, stellte die Sache so dar, als ginge es nur um eine taktische Frage, wie das gemeinsame Ziel – die Fortsetzung der Koalition und die Verhinderung einer Ampel – erreicht werden könne.

Hier handelt es sich jedoch keineswegs bloß um ein untergeordnetes Manöver. Vielmehr wird darin deutlich, dass die Linkspartei und besonders deren Führung eine Koalition mit SPD und Grünen, also die Bildung eines linksbürgerlichen Senats, zum Credo „linker“ Politik macht, dem alles andere – auch die Reformsprechen der Linkspartei, auch die Umsetzung einer klaren demokratischen Entscheidung von über einer Million BerlinerInnen – untergeordnet wird.

Der ansonsten gern beschworene Dialog mit den sozialen Bewegungen, als deren parlamentarische Vertretung sich die Linkspartei gern darstellt, fand auf dem außerordentlichen Parteitag daher erst gar nicht statt. Die VertreterInnen von DWe, Gemeingut in BürgerInnenhand (GIB) und die Streikenden der Vivantes-Töchter durften unter dem fadenscheinigen Vorwand des Hygieneschutzes keine Delegation auf den Parteitag entsenden.

… lautstarkes Open-Air-Konzert davor

Das sahen gut 100 AktivistInnen vor dem ND-Gebäude am Franz-Mehring-Platz, in dem die Linksparteidelegierten tagten, anders. Sie rekrutierten sich überwiegend aus DWe, GIB, das u. a. gegen die Zerschlagung der S-Bahn und Schließungen von Krankenhäusern eintritt, und zahlreichen Streikenden aus den Tochterunternehmen des kommunalen Krankenhauskonzerns Vivantes, die sich weiterhin im Ausstand befinden. Letztere nehmen es dem Senat übel, dass er in der abgelaufenen Legislaturperiode sein Versprechen, die Töchter wieder unterst Dach der Landesunternehmensmütter zurückzuführen, nicht wahrmachte, sondern auch als quasi Eigentümervertretung für ihren Kampf um eine demgegenüber bescheidene Forderung nach Angleichung an den TVöD bisher keinen Finger krummgemacht hat.

„TvöD – für alle an der Spree!“, „S-Bahn für alle – jetzt!“ und „Vonovia & Co. enteignen – jetzt!“ waren denn folgerichtig auch die am meisten und lautesten gebrüllten Parolen. Welch herzerfrischender Kontrast zur üblichen Konzentration aufs parlamentarische Gerangel!

Die Mehrheit der Delegierten scheint das kaltgelassen zu haben.

Doch es ist dieses Potenzial, auf dem sich ein zukünftiges Antikrisenbündnis gegen die zu erwartenden Angriffe der nächsten Bundesregierung aufbauen lässt. Die Linken in DIE LINKE werden sich fragen müssen, wie weit sie noch den Niedergang ihrer Partei „kritisch“ begleiten wollen. Den Widerspruch, die Parlamentspartei zu verkörpern, die sich am meisten auf solche sozialen Bewegungen stützt, und letztere stets durch die Politik des vermeintlich kleineren Übels vor den Kopf zu stoßen, können sie nur positiv lösen, indem sie nicht weiter immer giftigere Kröten im Interesse der Parteieinheit schlucken. Sie müssen vielmehr eine einen offenen Kampf gegen die RegierungssozialistInnen führen und dürfen dabei auch vor einem politischen und organisatorischen Bruch nicht weiter zurückschrecken.




KPÖ Wahlsieg in Graz: (K)ein Grund zum Fürchten?

Michael Märzen, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1167, 19. Oktober 2021

Die Gemeinderatswahlen in Graz brachten für viele eine große Überraschung: Die KPÖ ist mit 28,84 % (+ 8,5 %) stärkste Kraft und löst damit die ÖVP mit 25,91 % (- 11,88 %) unter Bürgermeister Siegfried Nagl ab. Nach der schwarz-blauen Koalition folgen nun Sondierungsgespräche über Rot-Rot-Grün. Herrscht ab jetzt in Graz der Kommunismus?

Gründe für den Wahlsieg

Die KPÖ in Graz bildet in Österreich eine Ausnahme. In keiner anderen bedeutenden Gemeinde ist die Kommunistische Partei so stark. Die Wurzeln für diesen Erfolg liegen in den 1990er Jahren, als sich die damals langjährig regierende SPÖ immer unbeliebter machte (mittlerweile bei 9,53 %), während die KPÖ mit einer bodenständigen und ehrlichen Kommunalpolitik punktete. Vor allem ihr unermüdlicher Einsatz für die Ärmsten in der Gesellschaft, ihr Fokus auf die immer brisanter werdende Wohnungsthematik und die Tatsache, dass KPÖ-MandatarInnen nur ein Einkommen in der Höhe eines durchschnittlichen FacharbeiterInnenlohns beziehen und den Rest spenden, haben der Partei Anerkennung gebracht. So konnte sie schon 1998 mit Ernst Kaltenegger als Wohnbaustadtrat einen Sitz in der Grazer Proporzregierung einnehmen.

Aber natürlich gehört zu einer Gewinnerin auch der Beitrag der Verliererin. So hat die ÖVP gezeigt, dass sie keine Lösung für die steigenden Wohnkosten hat, sondern diese nur durch Prestigeprojekte für InvestorInnen steigert, während sie gleichzeitig die Verschuldung hochtreibt.

Linke Aufbruchstimmung

Der Wahlsieg hat natürlich breite Begeisterung in der österreichischen Linken ausgelöst. Tatsächlich eröffnet dieser Wahlerfolg die Möglichkeit, dass linkere Kräfte über Graz hinaus wieder ernster genommen werden und ebenfalls profitieren können. Dazu müsste aber auch die KPÖ Graz tatsächlich ein gutes Beispiel als gestaltende Kraft abgeben, was ihr nur gelingen kann, wenn sie ihre angestrebte Sozialpolitik auf die Macht der organisierten ArbeiterInnenklasse stützen würde. Dazu müsste sie über ihre kommunalpolitische, wohltäterische und elektorale Strategie hinausgehen und eine klassenkämpferische im allgemeinpolitischen Sinn einschlagen.

Neuer alter Reformismus

Hinter der kommunalpolitischen Strategie der KPÖ Graz steht eigentlich ein althergebrachtes Fehlkonzept. Zum einen ist die Orientierung auf das Kommunale und Lokale ein Ausdruck der Schwäche, quasi das, wo man zumindest ein bisschen etwas bewirken kann, wenn auch nichts Entscheidendes. Zum anderen verkörpert die KPÖ Steiermark mehr als die Bundes-KPÖ die stalinistischen Überbleibsel der Partei. Dazu gehörte eigentlich immer schon ein Sich-gut-Stellen mit der österreichischen Bourgeoisie im Interesse der „demokratischen“ österreichischen Nation, was man heute noch an der Offenheit für eine Zusammenarbeit mit der ÖVP sehen kann. An diesem Problem des Sich-Abfindens mit dem kapitalistischen System ändert auch nichts die Selbstbezeichnung von Elke Kahr als Marxistin oder die neue mediale Debatte um Kommunismus, in der man die Selbstdiffamierung des Antikommunismus erblickt.

Den altbekannten Reformismus der KPÖ Graz erkennt man eigentlich schon sehr gut, wenn man sich ihr Wahlprogramm zu Gemüte führt. Schon der Form nach ist es dem gewöhnlicher bürgerlicher Parteien nachempfunden, als Ansammlung von Themenblöcken, in denen allgemeinpolitische Floskeln mit Auflistungen von kleinen Reförmchen gespickt werden. Inhaltlich vermisst man bitter die Analyse der politischen Klassenverhältnisse (inkl. Geschlechterverhätlnisse u. v. a.) in der gegenwärtigen Phase des Kapitalismus, aus der eine konkrete Strategie zur Befreiung der ArbeiterInnenklasse formuliert wird. Das würde eine marxistische Partei auszeichnen. Nun könnte man einwenden, dass es sich hierbei um das Programm für eine Gemeindewahl handelt. Aber selbst wenn man eine ernsthafte linke Kommunalregierung stellen möchte, ist die Machtfrage zumindest perspektivisch aufgeworfen, schon durch den Konflikt, der sich mit der Zwangsgewalt des kapitalistischen Zentralstaates ergeben würde. Und dafür sollte man zumindest erwarten, dass die Kommunalpolitik in einem allgemeineren Kontext behandelt wird. Der Schlüssel läge auch schon im Kleinen darin, die Macht der KapitalistInnen, ihr Vermögen und ihr Eigentum zu konfrontieren und dabei die massenhafte Organisierung der Lohnabhängigen in Stadtteilen und Betrieben voranzutreiben.

Für eine echte neue Linke!

Trotz der offensichtlichen Grenzen der kommunalreformistischen Politik der KPÖ begrüßen wir ihren Wahlerfolg selbstverständlich. Er gibt allen fortschrittlichen AktivistInnen Kraft und Mut und hoffentlich eine bessere Ausgangslage für den Klassenkampf in Österreich. Soll er aber weitere Erfolge nach sich ziehen, dann muss schon jetzt eine Debatte gestartet werden, wie der nächste linke Wahlkampf auf Bundesebene aussehen soll. Wir sprechen uns für eine gemeinsame, klassenkämpferische Wahlkampagne links von SPÖ und Grünen aus. Die akute Regierungskrise aufgrund der Inseratenaffäre um Sebastian Kurz mag zwar überwunden sein, aber die Regierung Schallenberg stellt nur ein Intermezzo zu einem neuen politischen Kräfteverhältnis in Österreich dar.




Protest und Widerstand gegen die Räumung der Köpi-Wagenburg

Jan Hektik, Infomail 1167, 16. Oktober 2021

Giffey und Geisel sind schockiert ob der Gewalt. Gemeint sind damit natürlich nicht die fast 2.000 Bullen, die den Wagenplatz unter Einsatz von Räumpanzern und anderem Gerät räumten, die dutzende DemonstrantInnen und Protestierende seit den Morgenstunden festnahmen und das Räumungurteil am 15. Oktober durchsetzten.

Schließlich handelten diese ja nach den geplatzten Verhandlungen mit der (kommunalen) Wohnungsbaugesellschaft Howoge rechtens, also aufgrund eines Räumungsurteils. Schließlich will sie das Gelände neben der Köpi für ihre Profitinteressen nutzen – und die darauf stehende Wagenburg muss dafür samt allen BewohnerInnen weichen.

Gegen die Umsetzung dieses gerichtlichen Entscheides hatten sich BewohnerInnen und UnterstützerInnen verbarrikadiert oder an Bäumen angekettet. Bereits am frühen Morgen versammelten sich einige hundert Menschen, um dies zu verhindern bzw. dagegen zu demonstrieren.

Eine Verhinderung der Räumung war angesichts der Abriegelung ganzer Straßenzüge um die Köpenicker Straße und des massiven Polizeiaufgebots von 2.000 Einsatzkräften plus Fuhrpark wohl nicht zu erwarten. Die bürgerliche Presse, die Polizei und Leute wie Giffey und Geisel stilisieren jedoch schon das Befestigen von Zäunen, Anketten und das Nicht-Freiwillig-Gehen zum gewaltsamen Angriff. Dabei wird unter den Teppich gekehrt, wie weit mittlerweile die Straftat Widerstand gegen VollstreckungsbeamtInnen gefasst werden kann. So kann die Weigerung wegzugehen bereits eine Straftat darstellen. Gleichzeitig wird dabei natürlich auch unterschlagen, dass es wohl kaum verwunderlich ist, wenn sich Menschen, die mit Räumpanzern, Schlagstöcken und Pfefferspray aus ihrem Zuhause vertrieben werden, dagegen zur Wehr setzen.

In Wirklichkeit werden diese gewaltsam vertrieben und zu Obdachlosen gemacht – in der schönen Welt der Polizei, der Presse und des scheidenden und wohl auch zukünftigen Senats werden diese Verhältnisse aber auf den Kopf gestellt.

Das trifft natürlich auch auf die Solidaritätsdemonstration am Abend des 15. Oktober zu. Gegen 20 Uhr versammelten sich da mehrere tausend Menschen – selbst die Bullen sprachen von 7.000 bis 8.000 – zur wahrscheinlich größten Demonstration der autonomen Szene in Berlin. Die Polizei redete von äußerster Aggressivität. Tatsächlich waren die Menschen natürlich wütend und empört – zu Recht. Angesichts der Brisanz der Situation, in Anbetracht der Größe und des versammelten politischen Spektrums, das über die Szene hinausging, waren die Empörung und der kämperische Charakter der Demonstration wohl nicht verwunderlich.

Die Presse stilisierte jedoch den „Kontrollverlust“ der Polizei gezielt hoch, einen „Kontrollverlust“, der sich darauf beschränkt, nicht alle Sachbeschädigungen verhindert zu haben.

Rolle des Senats

In Wirklichkeit geht der scheidende Senat, getrieben von der Immobilienlobby und ihren Frontleuten im Innensenat, seit Jahren gegen die noch vorhandenen besetzen Häuser systematisch vor. Der Linkspartei, der SPD-Linken und auch den Grünen gefällt das zwar nicht – aber gegen Geisel vorgehen tun sie nicht. Dabei ist diese Räumung nur das neueste Glied in einer Kette von Wegnahmen linker Freiräume durch den rot-rot-grünen Senat. Nach der Liebig34, dem Syndikat, der Meuterei und Potse/Drugstore erkennt selbst ein/e Blinde/r einen systematischen Angriff. Wer dann zusammenhanglos die daraufhin entstehenden Proteste und die Wut als „Angriff auf den Rechtsstaat“ und „blinde Zerstörungswut“ (Geisel) bezeichnet, verdreht die tatsächlichen Verhältnisse auf geradezu widerwärtige Art.

Sicherlich sollte niemand der Illusion anhängen, dass die autonomen Taktiken das Kräfteverhältnis drehen können. Natürlich werden auch zerschlagene Glasscheiben dem Senat wenig anhaben können. Gegen die Angriffe des bürgerlichen Staates können noch so militante Szenedemonstrationen letztlich wenig bis nichts ausrichten.

Die Stilisierung der Proteste, einzelner zerbrochener Scheiben oder gar von Bengalos bei den Demos zum „Gewaltexzess“ hat nicht nur nichts mit der Realität zu tun, sie soll vor allem den Boden für eine weitere Verschärfung von Polizeigesetzen, für noch mehr Überwachung und brutalere Durchsetzung des Rechts der Immobilienhaie bereiten. Gegen diese Hetze und Verleumdung ist Solidarität nötig und angesagt mit allen, die gegen die Räumung Widerstand geleistet haben und weiter leisten werden.

Wer zu den wirklichen Angriffen des Staates schweigt, erledigt letztlich den Job der Wohnungskonzerne, von AfD, FDP und CDU und der ScharfmacherInnen im alten und wohl auch zukünftigen Senat. Während Giffey und Geisel gegen die BesetzerInnen – und damit letztlich gegen alle, die von Räumungen bedroht sind – hetzen, halten Grüne und vor allem auch die Linkspartei die Füße still.

Es ist schon bezeichnend, dass ausgerechnet am 15. Oktober, dem Tag der Räumung der Köpi-Wagenburg, SPD, Grüne und Linkspartei bekanntgaben, gemeinsam in Koalitionsverhandlungen zu treten. Für die MieterInnen und für die HausbesetzerInnen verheißt das nichts Gutes. So sollen die Polizei aufgerüstet und die Videoüberwachung öffentlicher Plätze ausgeweitet werden. Die Enteignung der Immobilienkonzerne soll hingegen auf eine ExpertInnenrunde verwiesen, also auf die lange Bank geschoben werden. Obwohl 57,6 % für die Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. gestimmt haben, will der zukünftige Senat das Mehrheitsvotum weiter ignorieren. So sieht die rot-grün-rote Demokratie aus!

Doch die Tausende, die in Solidarität mit der Köpi-Wagenburg auf die Straße gingen, die in der Enteignungsbewegung aktiv geworden sind und die mehr als eine Million Ja-Stimmen beim Volksentscheid zeigen auch, dass der zukünftige Senat nicht einfach durchregieren wird können. Sie zeigen, dass das Potential für eine Massenbewegung von MieterInnen und BesetzerInnen, die Gewinnung von Hunderttausenden MieterInnen, für die Aktivierung der Mitglieder von MieterInnenvereinen, Gewerkschaften wie auch der Basis der Senatsparteien existiert.

  • Solidarität mit dem Widerstand und allen von Repression Betroffenen!
  • Enteignet die Immobilienhaie!



Volksentscheid: Deutsche Wohnen und Co. enteignen – jetzt!

Tomasz Jaroslaw, Neue Internationale 259, Oktober 2021

Der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ (DWe) war auch in seiner dritten Phase ein voller Erfolg. 56,4 %, in absoluten Zahlen 1.034.709 Wahlberechtigte, stimmten beim Volksentscheid am 26. September mit Ja.

Was wir nun brauchen, ist eine „vierte“ Phase, in der wir den Druck auf das Abgeordnetenhaus bis zur erfolgreichen Umsetzung aufrechterhalten und parallel die MieterInnenbewegung organisieren.

Auf der Wahlparty von DWe versammelten sich am 26. September mehr als 400 Aktive. Auch wenn viele Umfragen auf einen knappen Sieg hindeuteten, waren Spannung und Ungewissheit spürbar, verstärkt durch das Auszählungsdebakel des Landes Berlin und die verheerenden Verluste der Linkspartei, der einzigen, die sich öffentlich hinter den Volksentscheid stellte. Gesteigert wurde all dies noch dadurch, dass das erste Ergebnis, das um 21 Uhr von der Landeswahlleitung gemeldet werden sollte, weiter auf sich warten ließ. Und dann kam es um etwa 21:50 Uhr: Nach Auszählung von etwa 20 Prozent der Wahlkreise zeichnete sich eine klare Mehrheit ab, am Abstimmungssieg gab’s keine Zweifel mehr. Hunderte jubelten, fielen einander in die Arme.

Abstimmungstrends

Mit diesem Ergebnis ist nun der Senat beauftragt, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um große private Immobilienkonzerne auf Grundlage des Artikels 15 Grundgesetz zu vergesellschaften. Dabei spielte das Resultat die Mehrheit nur unzureichend wider, sind doch hunderttausende Berliner MieterInnen aufgrund eines nationalistischen und undemokratischen Wahl- und Referendumrechts ausgeschlossen. Alle, die keinen deutschen Pass haben, durften nicht wählen oder abstimmen, selbst wenn sie jahre- oder jahrzehntelang in der Stadt wohnen. Auch wenn dieser Beschluss im Gegensatz zum Gesetzesvolksentscheid nach Auffassung des Innensenats rechtlich nicht bindend ist, ist der politische Druck aufgrund dieses klaren Ergebnisses enorm. Schließlich hat die Initiative mehr Stimmen hinter sich vereinigt als jede einzelne Partei oder jeder Zweiparteienblock.

Abstimmungsergebnis nach Bezirken

Aus den Stadtteilergebnissen lässt sich annähernd die Klassenzusammensetzung der Abstimmenden ableiten:

Innenbezirke mit einer massiven Mietpreissteigerung von ca. 100 % in den letzten 10 Jahren und klassische ArbeiterInnenbezirke tendierten zur Annahme. Demgegenüber waren die Ergebnisse in bürgerlich-konservativen Bezirken unterdurchschnittlich, in Ostbezirken besser als vergleichbare im Westen. Damit kann man sagen, dass der Fokus des Abstimmungskampfs auf die östlichen Außenbezirke eine Wirkung entfaltete und die ArbeiterInnenklasse und progressive Teile des Kleinbürgertums dazu tendierten, den Volksentscheid zu unterstützen.

Hetze bis zur letzten Minute

Der Erfolg ist umso bemerkenswerter, als er gegen die vielfältigen politisch motivierten Blockadeaktionen (Polizei, Innensenat, Landesmedienanstalt), Halbwahrheiten und Irreführungen (Notwendigkeit zur Entschädigung zum Marktwert, privater Neubau als Alternative) sowie  Falschinformationen (Enteignung von Einzelbesitz und Wohnungsgenossenschaften) des bürgerlichen Staates, von Parteien und Medien, der Immobilienlobby und auch der SPD-Führung und der Wohnungsgenossenschaften errungen wurde.

Dies wurde am Wahlkampf, wo alle Parteien u. a. an Schulen eingeladen worden sind, um sich bei der Wahl darzustellen, DWe aber nicht, sichtbar. Auch hatten die Parteien die Möglichkeit, bei den öffentlichen Fernseh- und Radiosendern Wahlwerbespots kostenfrei zu senden. DWe hatte welche vorbereitet und versuchte, ebenfalls im Sinne der Gleichbehandlung entsprechende „Slots“ zu bekommen. Die Landesrundfunkanstalt hatte dies jedoch untersagt.

Und am Abstimmungstag wurde die Parteinahme gegen das Volksbegehren sehr plastisch symbolisiert, als der rbb „fragende BürgerInnen“ präsentierte – und dabei „zufällig“ nur auf GegnerInnen der Enteignung stieß.

CDU, FDP und AfD haben immer klargemacht, dass für sie, unabhängig vom Ergebnis des Volksentscheids, keine Enteignung in Frage komme. Während sich FDP und CDU als Parteien der Immobilienlobby und EigentumsfanatikerInnen bei ihrer Kernklientel eher profilieren konnten, trug die mieterInnenfeindliche Haltung der AfD wohl auch dazu bei, dass sie in Berlin 6,2 % ihrer Zweitstimmen verlor und zur größten Wahlverliererin wurde.

Kommentare der Senatsparteien

Die bisherigen Senatsparteien hingegen sind gezwungen, auf das Ergebnis Rücksicht zu nehmen, sei es aus Überzeugung oder Opportunismus.

Der Spitzenkandidat der Linkspartei, Klaus Lederer, erwartet die Umsetzung dieses Beschlusses, egal welche Regierung sich konstituiert. Dass sich DIE LINKE als einzige Partei hinter das Volksbegehren gestellt hat, führte sicherlich dazu, dass sie in Berlin weit weniger Stimmen verlor als bei den Bundestagswahlen.

Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin der Grünen, die zuvor eigentlich „gemeinwohlorientierte“ Abmachungen mit den Konzerne bevorzugte und Enteignung nur als letztes Mittel ansah, erklärt die Frage zum Bestandteil von Koalitionsverhandlungen.

Franziska Giffey, Spitzenkandidatin der SPD mit enger Verbindung zur Immobilienwirtschaft, lehnt die Enteignung ab. Vor der Wahl definierte sie dies noch als „rote Linie“. Jetzt verspricht sie, das demokratische Votum „zu respektieren“, damit „verantwortungsvoll“ umzugehen. Sie sagt ferner: „Aber dieser Entwurf muss dann eben auch verfassungsrechtlich geprüft werden“.

Was wird der Senat tun?

Aus diesen Aussagen wird deutlich, dass der überwältigende Sieg des Volksentscheides die bisherigen Regierungsparteien unter Druck setzt. Aber klar ist auch, dass Giffey alles dafür tun wird, eine Umsetzung abzuwehren, indem entweder gerichtlich festgestellt wird, dass diese unverhältnismäßig ist oder KoalitionspartnerInnen ausgesucht werden, mit denen jede Gesetzesinitiative in diese Richtung im Keim erstickt wird. Der schwarze Peter wäre dann bequem an bürgerliche Gerichte oder offen ablehnende bürgerliche Parteien weitergereicht. Die SPD wäre, jedenfalls Giffeys Kalkül zufolge, fein raus und bräuchte selbst nicht eine Millionen WählerInnen zu betrügen.

Giffey hält Rot-Grün-Rot für ein Auslaufmodell. Das Wahlergebnis macht den Bruch mit der bisherigen Koalition aber schwerer als erhofft. Jedoch lässt die Zusammenstellung ihres Sondierungsteams mit VertreterInnen des rechten Parteiflügels darauf schließen, dass eine weitere Koalition mit Grünen und Linken nicht angestrebt wird. Linke und Grüne schlagen vor, R2G fortzusetzen.

Doch viele haben für den Volksentscheid gestimmt in der Hoffnung, dass ein rot-grün-roter Senat diesen Beschluss auch umsetzt. Wir lehnen eine Fortsetzung der Koalition durch die Linkspartei allerdings aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Sollte sie jedoch als einzige Unterstützerin des Volksentscheids in Koalitionsverhandlungen eintreten, so muss von ihr gefordert werden, seine Umsetzung zur Bedingung einer Koalition zu machen. Selbst darauf sollte sich niemand verlassen, schließlich hat die Partei auch in den letzten Jahren die Blockadepolitik der SPD-SenatorInnen gegenüber dem Volksbegehren im Interesse des Koalitionsfriedens geduldet.

Unter Giffey und Saleh wird die Parteirechte in der SPD eher noch forscher agieren. Ihr Ziel ist nach wie vor das Scheitern des Gesetzentwurfs. Daher müssen die Linken und VolksbegehrensunterstützerInnen in der SPD (Jusos, Bezirksverbände Mitte, Neukölln, Charlottenburg-Wilmersdorf) selbst die Sache zuspitzen. Entweder die SPD-Führung bekennt sich zum Volksentscheid oder die Entscheidung muss auf dem Landesparteitag gegen die SPD-Führung ausgefochten werden.

Was ist zu tun?

DWe muss daher weiter massiv Druck auf die Abgeordneten ausüben, ohne Wenn und Aber den Volksentscheid umzusetzen. Zugleich darf es sich darauf keineswegs verlassen. Richtig erklärte Rouzbeh Taheri von DWe dazu: „Wir akzeptieren weder Hinhaltestrategien noch Abfangversuche. Wir kennen alle Tricks“. Und Kalle Kunkel aus dem gleichen Bündnis ergänzt: „Wir lassen nicht locker, bis die Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen umgesetzt ist.“

Natürlich bedeutet die Lage auch, dass eine Reihe von Taktiken erwogen werden muss, wie dieser Druck erhöht werden kann. So kann bei fortgesetzter Blockade und mit der gewonnenen Expertise, wenn nötig, eine weitere Volksinitiative in Form eines verbindlichen Gesetzesvolksentscheids eine mögliche sinnvolle Ergänzung verkörpern. Im Schatten des aktuellen Erfolgs, einer hohen Zustimmung in der Stadt, bestehenden Strukturen sowie einer bereits existierenden kleinen Armee von motivierten AktivistInnen stünden die Chancen gut. Dieser zweite Volksentscheid kann aber nur mit einer organisierenden Perspektive rund um Arbeitskämpfe und Mietboykotts erfolgreich sein.

Diese taktischen, technischen, rechtlichen und organisatorischen Fragen sind aber letztlich zweitrangig. Denn Giffey und Saleh werden mit uns nur reden, weil der Volksentscheid gezeigt hat, dass hinter der Losung der Vergesellschaftung breite Teile der Bevölkerung stehen. Es existiert also eine reale soziale Basis, die in eine Bewegung oder organisierte Macht umgesetzt werden und in der Folge den politischen Führungsanspruch des sozialdemokratischen Spitzenduos untergraben kann. Das zwingt sie dazu, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Sie werden aber alles tun, um die Enteignung zu verhindern.

Klar ist also: Am 26. September haben wir einen wichtigen Teilsieg errungen. Der Kampf muss jetzt weitergeführt, ja zugespitzt werden. Dazu schlagen wir vor:

a) Die Kiezteams sollen ihre Arbeit als Rückgrat der Kampagne fortsetzen, MieterInnen im Stadtteil organisieren und Keime der zukünftigen MieterInnenräte nicht erst per erhofftes Enteignungs- und Vergesellschaftungsgesetz von oben, sondern in der kommenden Phase von unten aufbauen. Diese MieterInnenräte können als Gremien der Vernetzung mit anderen Sektoren (MieterInneninitiativen, -verein, -gewerkschaft und lokalen Gliederungen von Gewerkschaften, UnterstützerInnen aus Linkspartei, SPD usw.) und der Mobilisierung dienen.

b) Die Vernetzung mit Betriebs- und Gewerkschaftskämpfen wird ausgebaut. DWe soll zu Treffen von Betriebsgruppen der einzelnen Gewerkschaften, bei Infoveranstaltungen und Vollversammlungen eingeladen werden, für Vergesellschaftung (in Gestalt von Kommunalisierung) eintreten, um die Grundlage für Massenmobilisierung und politische Streiks vorzubereiten und zu verbreitern, Druck auf Senat, Abgeordnetenhaus, Landes- und Bundesverfassungsgericht zu ermöglichen.

c) In Kooperation mit DWe, MieterInneninitiativen und -vereinen müssen eine Auseinandersetzung zur Umwandlung der Massenorganisationen der Mietenden der Stadt geführt und neue aktive Mitglieder für diese gewonnen werden. Wenn in einem Haus, Straßenzug oder Unternehmen ein ausreichender Organisationsgrad erreicht ist (50  %), sind kollektive Mietboykotte für die Vergesellschaftung durchzuführen. Warum sollten wir den EnteignungskandidatInnen auch nur einen weiteren Cent zahlen?

d) Die gigantische Ausstrahlung von DWe birgt das Potenzial, für einen bundesweiten Mietendeckel zu kämpfen. Wir brauchen daher eine vorzugsweise bundesweite Aktionskonferenz, die sowohl die Perspektive aus dem Resultat des Volksentscheids diskutiert als auch Maßnahmen zum Mietendeckel bestimmt.

Diese Eckpunkte können das Kräfteverhältnis nach dem Volksentscheid weiter zugunsten der Lohnabhängigen und einfachen MieterInnen verschieben. Es ist nicht nur notwendig, den Druck aufrechtzuerhalten, sondern die BefürworterInnen zu einer Massenkraft in Richtung Kampf-, Veto- und Kontrollorgane zu organisieren. Mit diesen neuen Kampfmitteln und Organisationen ist es möglich, die Kommunalisierung konsequent umzusetzen – auch gegen den Senat.




Berliner Immobilienkegeln: Vonovia und Heimstaden – die neuen großen Player

Jürgen Roth, Infomail 1165, 3. Oktober 2021

Ene, mene, muh – und raus bist du!

Die Konzentration auf dem Berliner Wohnungsmarkt nimmt Fahrt auf. Diesmal dürfen Deutsche Wohnen (DW) und Akelius ihre Plätze räumen. Ende Mai berichteten wir über die geplante Übernahme von DWs Berliner Wohnungsbestand durch Vonovia. Der Deal sollte mit einem Verkauf von 15.000 Wohneinheiten an landeseigene Immobiliengesellschaften verkettet werden und wurde in stolzer Eintracht mit dem Regierenden Bürgermeister Müller und Finanzsenator Kollatz vor der Presse verkündet.

Doch wir waren in puncto Übernahme zu voreilig, jedenfalls etwas. Vonovia, Europas größter Wohnungskonzern, scheiterte im Frühjahr noch überraschend am 2. Anlauf zur Erlangung der Aktien- und Stimmenmehrheit bei der Nr. 2 auf dem deutschen Immobilienmarkt. Am 24.9.2021 gelang jetzt aber im 3. Versuch die DW-Übernahme, teilte der Bochumer Branchenriese mit. Er übernimmt die 115.000 DW-Wohnungen in der Hauptstadt, damit den dortigen größten in Privathand befindlichen Bestand. Als zuvor zweitgrößter Eigentümer mit 43.000 Wohnungen verfügt er jetzt über 143.000 Mietobjekte.

Bezüglich des Deals mit den beiden Senatsgranden waren wir nicht zu voreilig: 15.000 Wohnungen des DW-Portfolios wurden für 2,46 Mrd. Euro an Landesunternehmen verhökert, macht pro Einheit 164.000 Euro. Damit liegt der Kaufpreis auf Höhe der vom scheidenden Senat ehedem kalkulierten Entschädigungssumme für den Fall der Enteignung infolge des Volksentscheidergebnisses, die rein zufällig dem Marktwert entspricht. Für 143.000 Einheiten würde das ca. 22,5 Mrd. Euro ausmachen. Vorauseilenden Gehorsam nennt man das.

Die neue Nr. 2 in der Hauptstadt

In der Wahlnacht drehte sich das Roulette ein zweites Mal. Der skandinavische Konzern Akelius zieht sich komplett aus der Spreemetropole zurück und vertickt bis Ende diesen Jahres seinen Bestand von 14.000 Wohnungen an Heimstaden, das bisher rund 5.500 hält, die erst vergangenes Jahr in einem Megadeal erworben wurden. Akelius war durch aggressive Luxussanierungen berüchtigt, die zu Mietpreisen bis zu 40 Euro pro m² führten. Zudem hat der Konzern einen erheblichen Teil seiner Bestände aufgeteilt und letztes Jahr als Eigentum zu Preisen bis über 10.000 Euro/m2 zum Verkauf angeboten. Angesichts der befürchteten zunehmenden Regulierung waren der Abschied des Konzerns aus Berlin und die Umstrukturierung seiner deutschen Bestände von InsiderInnen schon länger vermutet worden, was seine ChefInnen bis Juni 2021 aber bestritten.

Die gemeinsame Erklärung der MieterInnenvernetzung beider Konzerne aus Berlin und Hamburg, wo Heimstaden von Akelius 3.600 Wohnungen übernimmt und erstmals Fuß fasst, mutmaßt, der Zeitpunkt der Übernahme sei geschickt gewählt. Die politisch Verantwortlichen seien schließlich auf mehreren Ebenen mit Regierungsneubildung befasst – und die kann sich lange hinziehen.

Der international agierende Finanzkonzern Heimstaden rückt damit zum Immobilienhai Nr. 2 in der Hauptstadt auf mit knapp 20.000 Einheiten.

Schöne Grüße aus Norwegen!

Der skandinavische Hai gibt sich betont mieterInnenfreundlich. Deutschlandchefin Caroline Oelmann textet in einem „Offenen Brief“ an die BewohnerInnen der Akeliushäuser, Servicequalität, Erreichbarkeit und Kundenzufriedenheit stünden bei ihnen an erster Stelle. Hinter diesem wie bei der Zahnpastareklame verbreiteten strahlend weißen Lächeln verbirgt sich das gar nicht so freundliche Konzerntreiben in seiner Heimat.

In Oslo wurde das Vorkaufsrecht der Kommune zu umgehen versucht. Der Polizei in Norwegens Metropole bot man Häuser als Übungsgelände für Drogenspürhunde an. In Berlin mussten Senat, Bezirke und MieterInnenbewgung große Anstrengungen unternehmen, um den Konzern zur Unterzeichnung von Abwendungsvereinbarungen für das 2020 erworbene Paket zu zwingen. Die Vernetzung der MieterInnen aus Berlin und Hamburg fordert im Falle Heimstadens die sofortige Umsetzung des Auftrags aus dem Volksentscheid und fürchtet in den bereits aufgeteilten Gebäuden den Weiterverkauf von Wohnungen an einzelne AnlegerInnen.

Das Beispiel zeigt uns, wie berechtigt das „& Co.“ im Namen der Kampagne für das jüngste Mietenreferendum platziert war. Mag sich nach der Übernahme von DW auch der Name vor dem Kürzel ändern müssen, so bleibt das Ziel – die Enteignung sämtlicher Immobilienhaie genauso aktuell. Verdrängung ist manchmal nicht nur Schicksal vieler MieterInnen. Lassen wir die Kugel aus der erfolgreichen Kampagne mit Schwung weiter rollen – bis alle Kegel – möglichst entschädigungslos – gepurzelt sind! Gut Holz!




Deutsche Wohnen und Co. Enteignen: Ja zum Volksentscheid, Ja zur Enteignung!

Tomasz Jaroslaw/Veronika Schulz, Neue Internationale 258, September 2021

Mit ca. 250.000 gültigen Unterschriften hat die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ (DWE) im Juni das historisch beste Ergebnis für ein Berliner Volksbegehren eingefahren. Dieses wäre ohne Tausende Aktive und die großen BündnispartnerInnen wie die Linkspartei, die Gewerkschaften und den Mieterverein nicht möglich gewesen. Umfragen deuten darauf hin, dass die Zustimmung zur Vergesellschaftung großer privater und gewinnorientierter Wohnkonzerne nicht nur mit linken politischen Meinungen korreliert, sondern auch mit niedrigen Einkommen. Das alles zeigt einen enormen Zuspruch und auch eine gewisse Verankerung in der ArbeiterInnenklasse.

Damit wird am 26. September nicht nur über die Zusammensetzung von Bundestag, Abgeordnetenhaus und Bezirksvertretungen entschieden, sondern auch über den Volksentscheid zur Vergesellschaftung. Auch wenn ein Sieg an der Wahlurne rechtlich nicht bindend wäre, würde dieser nach Jahrzehnten der Privatisierung und des Generalangriffs auf soziale Standards ein starkes Signal in die richtige Richtung senden und einen gewissen Druck auf den nächsten Senat (Berliner Landesregierung) ausüben, insbesondere auf Grüne, SPD und Linkspartei, deren Parteibasis und WählerInnen gewisse Sympathien für das Mittel der Vergesellschaftung hegen.

DIE LINKE, Grüne und SPD: Versprechen und Taten

Jedoch wäre mit einem erfolgreichen Volksentscheid der Kampf keineswegs vorbei: Ungeachtet der positiven Verlautbarungen bei den Grünen sind diese eine offen bürgerliche Partei, die Vergesellschaftung offiziell nur als „letztes Mittel“ anwenden will, es praktisch jedoch eher vermeiden möchte. So favorisieren sie Sanktionen für „schlechte“ VermieterInnen bei Beibehaltung des privaten Eigentums und markwirtschaftlicher Dogmen. Die SPD wiederum hat sich auf ihrem Berliner Landesparteitag 2019 für Gespräche mit DWE, aber gegen eine praktische Umsetzung der Vergesellschaftung ausgesprochen. Entsprechend versuchte sie es stattdessen mit anderen Optionen wie „Bauen, Kaufen, Deckeln“. Dass diese Konzepte zu teuer waren oder allesamt gescheitert sind, sei nur am Rande erwähnt. SPD und Grüne orientieren ingesamt auf zeitlich begrenzte, „gemeinwohlorientierte“, freiwillige Abmachungen mit privaten Immobilienkonzernen, beispielsweise den kurzlebigen und bereits gegenstandslosen „Zukunfts- und Sozialpakt“ mit dem Vonovia-Konzern oder einen bundesweiten Mietendeckel.

SPD und Grüne vertreten freilich eine sehr verwässerte Vorstellung von einem Mietendeckel, der eher einem Mietensieb entspricht. Außerdem sind sie allzeit bereit, in möglichen Koalitionsverhandlungen mit der konservativen CDU und/oder der marktliberalen FDP diese ohnehin unzureichenden Forderungen weiter aufzuweichen oder ganz über Bord zu werfen. Zu guter Letzt kann bezweifelt werden, wie energisch SPD und Grüne trotz aller Versprechungen derartige Projekte bundesweit durchsetzen werden, ohne dass eine starke, bundesweit agierende mietenpolitische Bewegung beide Parteien politisch herausfordert und derart unter Druck setzt, wie es DWE in Berlin getan hat.

Dass die SPD-Führung um Müller und Giffey gegen Vergesellschaftung eintritt, hat diese mehrfach betont. Zuspruch erhalten solche Aussagen nicht nur von der Immobilienlobby, sondern auch von CDU, FDP und AfD. Damit plagiiert Giffey neben Teilen ihrer Abschlussarbeit auch neoliberale Mietenpolitik. Wenn man bedenkt, dass die meisten SPD-WählerInnen und ihre Mitgliederbasis für Vergesellschaftung votieren und das Ziel von DWE politisch nichts weiter als klassischer Reformismus ist, dann stellen sich Giffey und Müller damit nicht nur den Interessen der Berliner MieterInnen und Lohnabhängigen entgegen, sondern auch der Mehrheit ihrer eigenen Partei.

Die SPD-Linke und die Linkspartei müssen in der nächsten Koalitionsverhandlung ein Vergesellschaftungs- und AöR-Gesetz (AöR: Anstalt des öffentlichen Rechts als Verwaltung des Gemeineigentums), das sich nach den Vorgaben von DWE richtet, als Bedingung definieren. Wenn Müller und Giffey sagen, das ginge nicht mit ihnen, müssen die WählerInnen und MieterInnen sagen: Sehr gerne!

Die Linkspartei ist hier zu zaghaft. Sie muss klarstellen, dass sie sich voll und ganz hinter die Vergesellschaftung stellt. Die Gewerkschaften unterstützen DWE zwar politisch, aber bis jetzt war das nicht verbunden mit der Aktivierung und Mobilisierung ihrer Basis, um weiter Druck auszuüben. Hoffnung machen hingegen beispielhafte Kooperationen mit der Krankenhausbewegung. Denn eines ist klar: Nicht nur Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Viele mittlerweile privatisierte Bereiche der Daseinsvorsorge, wie z. B. auch der Gesundheitsbereich, müssen rekommunalisiert und von NutzerInnen und Beschäftigten demokratisch kontrolliert, verwaltet und so ansatzweise der Markt- und Profitlogik entzogen werden.

Nach dem Volksentscheid ist vor dem Kampf

Wird das Volksbegehren erfolgreich sein, ist der Kampf für Vergesellschaftung nicht beendet, sondern fängt gerade erst an. Es ist zu erwarten, dass die Hetzkampagne gegen Vergesellschaftung weiter Fahrt aufnehmen wird. Seit Beginn der Kampagne arbeitet die Gegenseite bereits mit Falschbehauptungen (siehe Infokasten).

Und auch jeder Senat wird versuchen, sich der Verantwortung und dem Wählerwillen je nach Parteikonstellation in unterschiedlichen Ausprägungen zu entziehen. Daher wird es in erster Linie wichtig sein, nicht (nur) mit dem Senat über ein entsprechendes Gesetz zu verhandeln, sondern vor allem durch eine Vielzahl von Maßnahmen Druck auf diesen zu erzeugen. Dazu gehört die Forderung, dass Vergesellschaftung für die Linkspartei Koalitionsbedingung sein muss. Dazu gehört, die Parteilinke von Grünen und SPD gegen ihre Parteiführung und ihre VertreterInnen im Senat zu stärken und entsprechende Bezirks- und Landesparteitagsbeschlüsse herbeizuführen. Dazu gehört, die MieterInnenbewegung und den Mieterverein für eine Massenmobilisierung und Mietboykotte aufzubauen und zu stärken. Dazu gehört, die Gewerkschaften für politische Streiks zu gewinnen.

Denn ein Erfolg der Kampagne hätte nicht nur praktische Vorteile für etwa 300.000 MieterInnen in Berlin. Das politische Signal selbst wäre in Berlin und weit darüber hinaus von weitaus größerer Relevanz. Er wäre nicht nur ein Schlag gegen das Finanzkapital, sondern stellte eine Ermutigung für Enteignungen und Wiederverstaatlichung z. B. im Gesundheits- und Transportwesen und in der Energiewirtschaft dar.

Der Ausschluss von Menschen ohne deutschen Pass von der Abstimmung und die Medienhoheit des Kapitals mit dementsprechend wirksamer Demagogie verfälschen zudem das wahre Kräfteverhältnis, das in einem bürgerlich-demokratischem Verfahren wie dem Volksentscheid nicht zum Ausdruck kommen kann.

Wie weiter?

Allein, aber nicht nur aus diesem Grund muss der Kampf auch nach einer gewonnenen Volksabstimmung weitergeführt werden. Er braucht eine Umwandlung der Kampagne, deren Aufbau in den Wohnvierteln, Betrieben, an Schulen und Unis und den Kampf um ArbeiterInnen- und MieterInnenkontrolle über den Wohnraum. Dabei müssen wir für die vollständige Enteignung der großen privaten Immobilienkonzerne eintreten, um eine so gering wie mögliche Entschädigungszahlung herauszuholen und die Kontrolle über Sanierungen, Neubau und Mietpreise diesen Komitees und den Organisationen der ArbeiterInnenbewegung wie den Gewerkschaften anzuvertrauen. Mietboykotts, Mietendeckel und politische Solidaritätsstreiks durch die Gewerkschaften können im ersten Schritt Druck auf die zukünftige Landesregierung ausüben, ein entsprechendes Enteignungs- und Mietengesetz umzusetzen. Schließlich brauchen wir eine Ausweitung, eine bundesweite MieterInnenbewegung für die Lösung der Probleme im Wohnungssektor und Enteignung.

Für eine bundesweite MieterInnenbewegung, gestützt auf die Massenorganisationen der ArbeiterInnenbewegung! Treten wir im ersten Schritt für eine bundesweite mietenpolitische Aktionskonferenz ein, die Vorschläge zur Behebung der Wohnungskrise diskutiert und einen Aktionsplan zu deren Bekämpfung und ihrem eigenen Aufbau, ihrer eigenen Organisationsstruktur beschließt!

Dafür schlagen wir folgende Forderungen vor:

  • Entschädigungslose Enteignung der großen Immobilienkonzerne unter ArbeiterInnen- und MieterInnenkontrolle! Offenlegung ihrer Bilanzen unter Hinzuziehung von ExpertInnen, die das Vertrauen der MieterInnen- und ArbeiterInnenbewegung besitzen!
  • Mietpreisbindung/Mietendeckel, kontrolliert durch MieterInnen und Gewerkschaften!
  • Weg mit Rassismus und Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt: Kontrolle und Offenlegung der Wohnungsvergabe!
  • Soziales Wohnungsbau- und -sanierungsprogramm unter Berücksichtigung ökologischer Aspekte (Baumaterial, Nutzung von Solarenergie, vernünftige Wärmedämmung statt Styroporplatten, Aufhebung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land, Infrastruktur) unter ArbeiterInnen- und MieterInnenkontrolle im Zusammenhang mit einer Transformation von Enteignung (Verstaatlichung) in eine wirkliche, umfassende Vergesellschaftung, in der Gesellschaftseigentum keine Insel inmitten eines Wohnungsmarktmeeres bleibt!

Holen wir uns ehemaliges Gemeineigentum zurück, um es kostendeckend und gemeinnützig zu bewirtschaften! Am 26. September für die Enteignung großer Immobilienkonzerne stimmen!




Archiv: Das Siedlungs-, Bau- und Wohnungsprogramm der Kommunistischen Partei Deutschlands (1922)

Programm-Entwurf der KPD (1), Infomail 1158, 5. August 2021

1. Die Grundlage aller Kommunalpolitik ist die Ansiedlung von Menschen. Im kapitalistischen Zeitalter vollzieht sich die Siedlung planlos; im wesentlichen folgt sie den Zufallsbedürfnissen der Industrie; sie nimmt keine Rücksicht auf die natürlichen Siedlungsmöglichkeiten, auf industrielle Standortsökonomie, keine Rücksicht auf Sicherstellung der Ernährung, auf Tauschmöglichkeit, Hygiene, Verkehr, keine Rücksicht auf den proletarischen Menschen.

In der kommunistischen Wirtschaft wird die Industrie von ihrem Zufallsstandort gelöst, nach natürlichen Standorten umgepflanzt und gegliedert, und die Siedlung der Menschen zu der Industrie  in eine planmäßige Beziehung gebracht, die sowohl den Notwendigkeiten der industriellen und agrarischen Produktion wie den verkehrstechnischen, hygienischen und ästhetischen Erfordernissen gerecht wird. In der kommunistischen Wirtschaft entscheidet über jede Siedlungsfrage ausschließlich das Interesse der werktätigen Menschen.

Da die Frage des natürlichen industriellen Standorts nicht im Grenzrahmen der kapitalistischen Staatengebilde gelöst werden kann, wird sich die endgültige Planregelung der menschlichen Siedlung erst in der internationalen kommunistischen Weltwirtschaft vollziehen.

2. Innerhalb der planlos erstandenen kapitalistischen Siedlungsorte wird planlos gebaut. Erst in den letzten Jahrzehnten vor dem Weltkriege entstand eine Wissenschaft vom Städtebau, wurde der Städtebau durch Vorschriften der Bebauungspläne, der Baupolizei, der Veranstaltungsgesetze usw. in einigen Städten planmäßig geregelt, ansatzweise sogar in interlokalem Umfange, doch diente diese Regelung fast restlos den Interessen des behaglichen Wohnens der Bourgeoisie; selbst diese Ansätze zur Planmäßigkeit sind mit dem Zusammenbruch des kapitalistischen Systems durch den Weltkrieg fast restlos zunichte gemacht.

Die kommunistische Gemeinde macht sich alle Erkenntnisse der Städtebauwissenschaft zu eigen, verwendet sie aber ausschließlich im Interesse des Proletariats, insbesondere in Abkehr vom Massenmietkasernenbau zur Gartenstadtsiedlung, in der Anlage von Spiel- und Erholungsplätzen für Arbeiter und Arbeiterkinder, und ordnet ihre Baupläne sorgsam den allgemeinen interlokalen Siedlungsplänen unter.

3. Innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft und der kapitalistischen Siedlung ist die Beschaffung des Baugrunds und die Erstellung von Wohnungen der privaten Willkür als Geschäft überlassen. Der Kapitalist betreibt den Hausbau und das Vermieten von Wohnungen wie eine Schnapsfabrik  und eine Destille, den Grundstückshandel wie einen Handel mit Aktien oder Altmetall. Bringt der Hausbau und das Vermieten von Wohnungen nicht den genügenden Profit, so wird das Geld in anderen Geschäften angelegt, der Bau von Häusern eingestellt, die obdachlose Familie dem Elend überlassen. Der Bodenwucher hat seine Grenzen.

In der kommunistischen Gemeinde ist der Wohnungsbau kein Geschäft, sondern eine  Aufgabe der Gemeinwirtschaft. Die Zahl der Häuser und Wohnungen ergibt sich lediglich aus dem Bedarf  der Menschen und den technischen Möglichkeiten. Bodenspekulation ist in der kommunistischen Gesellschaft nicht möglich.

4. Schon im kapitalistischen Staat der Vorkriegszeit lebte das Proletariat in bitterster Wohnungsnot. Nur kam es ihm nicht sonderlich zum Bewusstsein. Während die reichen Bourgeois in luxuriösen Villen mit Parks, Autogaragen und allem „Komfort“ ein Leben in Luxus führen konnten, während selbst das Kleinbürgertum in bescheidenen Räumen sein behagliches Spießbürgeridyll zu leben vermochte, hauste das Proletariat in seinen elenden Höhlen der Keller- und Dachgeschosse, der Hinterhäuser, der Massenmietkasernen, der Landarbeiterställe,  bis zu 15 Personen, Männer, Frauen, Kinder, Tuberkulöse, Schlafgänger, Prostituierte, Sterbende, Gebärende in einem Raume, auf einem Strohsack, oft ohne Luft, ohne Licht – fiel es jeder Seuche und dauernd der Tuberkulose zum Opfer.

5. Seit dem Weltkriege hat sich die Lage des Proletariats dahin verschlechtert,  dass Hunderttausende nicht einmal mehr diese Elendshöhlen haben. Die Militärgewalt verbot das Bauen, wenn es nicht militärischen Zwecken diente, die Zivilgewalt glaubte die Frontsoldaten damit beruhigen zu können, dass sie daheim die Mieten niedrig hielt: die Folge war, dass so gut wie keine neuen Wohnungen erstellt wurden. Weil auch die „Demokratie“ die Niedrighaltung der Mieten als Beruhigungsmittel nicht entbehren konnte, legte der Kapitalist auch nach der Revolution kein Geld im Miethausbau an. Versuche, mit Reichs-, Staats-, Gemeindegeld Wohnungen zu erstellen, blieben belanglos, weil der kapitalistische Staat seien Einnahmen zur Erfüllung  der Reparationsverpflichtungen und zur Niederhaltung der infolge der Erfüllungspolitik in Hunger und Verzweiflung geratenen Proletariermassen durch Militär, Schupo, Justiz und Polizei verbrauchte.

Die Wohnungsnot wuchs aber nicht nur durch den Ausfall von Neubauten bei gleichzeitiger starker Vermehrung der Familienzahl, sondern auch durch den baulichen  und hygienischen Verfall der vorhandenen Wohnungen. Der Hausbesitzer stellte die Reparaturen ein.

Das Ergebnis dieser Entwicklung sind die furchtbaren Erscheinungen in fast allen Städten und Dörfern: den Proletariern fallen die Wohnungen über dem Kopfe zusammen, die Tuberkulose fordert Woche um Woche größere Opfer, mehr und mehr gehen Obdachlose freiwillig ins Gefängnis, noch häufiger mit ihren Kindern in letzter Verzweiflung in die Fluten oder vor den geöffneten Gasschlauch. Vor den Wohnungsämtern aber stauen sich Tausende auf Tausende und heischen immer energischer, immer drohender Obdach.

6. In dieser gefährlichen Situation kam der kapitalistische Staat auf den Ausweg, den er schon bei der Bezahlung von Militär, Schupo, Polizei und Justiz gegangen war: die Kosten der Mörder und Mordmaschinen vom Opfer selbst tragen zu lassen. Die ruchlose Politik des 10prozentigen Lohnabzugs und der indirekten Massensteuern bei nahezu völliger tatsächlicher Steuerfreiheit der Besitzenden wurde wiederholt. In zwei großen Gesetzen wälzte der kapitalistische Staat die  gesamten Lasten der Wohnungserstellung auf die schwachen Schultern der Proletarier: durch das Reichsmietengesetz wurden die Kosten aller Wiedereinstandsetzung der zerfallenen Häuser sowie aller künftigen Reparaturen restlos den Mietern auferlegt; durch das Gesetz einer Abgabe zur Förderung des Wohnungsbaus (Mietsteuergesetz) aber auch die Kosten der Erbauung aller neuen Wohnhäuser.

7. Die Wohnungsnot lässt sich mit Reichsmietengesetz und Mietsteuergesetz jedoch nicht beseitigen. Der Mieter ist völlig außerstande, die ungeheure Milliardenlast der Wiederherstellung der alten und der Erbauung der neuen Wohnungen zu ertragen.

Die Notlage der Mieter ist umso schlimmer, als in Deutschland schon die Miete im Frieden für das Quadratmeter Wohnfläche umso höher war, je kleiner die Wohnung und der Wohnraum, je ärmer und kinderreicher der Mieter. Da sowohl das Reichsmietengesetz wie auch die Reichswohnungsbauabgabe den Mietern die Steuerlast in Anteilszuschlägen zur Friedensmiete auferlegt, bedeuten beide Gesetze eine besonders furchtbare Belastung gerade der kinderreichen Proletarierfamilien.

In allen Ländern und Gemeinden haben die Kommunisten gegen die Versuche, aufgrund dieser Gesetze den Mietern Lasten aufzubürden, den schärfsten Kampf zu führen, in dem sie von den in immer tiefere Not und Verzweiflung geratenden proletarischen Mietermassen von Monat zu Monat  kräftigere Unterstützung finden werden.

8. Wird durch diesen Kampf auch der Ausweg einer Abwälzung aller Lasten auf die Mieter ungangbar, so verbleibt im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung überhaupt kein Weg mehr zum Bau von ausreichenden Wohnungen, zur Behebung der Wohnungsnot. Immer mehr wird diese Erkenntnis steigen; immer mehr auch die Erkenntnis, dass die Wohnungsnot erst in der sozialistisch-kommunistischen Gemeinschaft behoben werden kann. Die Wohnungsnot wird selber so eine der Haupttriebkräfte zum Sturz der kapitalistischen und der Herbeiführung der  sozialistisch-kommunistischen Wirtschaftsordnung.

9. Im kapitalistischen Staat kann aber wohl eine Milderung der Wohnungsnot erkämpft werden.  Doch auch dieser Kampf ist nicht in den Parlamenten auszufechten, sondern erfordert die Anteilnahme der gesamten proletarischen und halbproletarischen Mietermassen, die sich gegen das Hausagrariertum und seinen Schirmherrn, den kapitalistischen Staat, in Bewegung setzen müssen. Auch der Kampf um Milderungen der Wohnungsnot im kapitalistischen Staat kann nur in einen Kampf zur Zertrümmerung des kapitalistischen Staates ausmünden.

In diesem Kampfe sind die Forderungen der Kommunisten folgende:

A. Wohnungsstatistik.

1. Die statistischen Ämter des Reiches, der Länder, der Kommunalverbände und Kommunen haben sorgfältige Kataster der vorhandenen Wohnungen und des Wohnungsbedarfs mit besonderer Rücksichtnahme auf Rauminhalt und Familiengröße einzurichten.

2. Daneben haben die statistischen Ämter der Kommunen und Kommunalverbände zunächst laufend wohnungsstatistische Untersuchungen insbesondere über die Preisgestaltung der Grundstücke und Häuser, über das Verhältnis zwischen Einkommen und Miete, über die Beschaffenheit der Wohnungseinrichtungen, über das Verhältnis zwischen Wohnungslage, Krankheit und Sterblichkeit anzustellen und zu veröffentlichen.

B. Beschlagnahme der vorhandenen Wohnungen.

1. Das Recht des Vermietens und Mietens von Wohnungen, Eigenhäusern und möblierten Zimmern wird der Privatwirtschaft entzogen und der Gemeinwirtschaft überantwortet.

2. In jeder Gemeinde wird ein Gemeindebeauftragter mit der Durchführung der Gemeinwirtschaft des Wohnungswesens betraut, in allen größeren Gemeinden werden zu diesem Zweck Wohnungsämter eingerichtet.

3. Den Wohnungsämtern werden Wohnungsnachweise eingegliedert.

4. Alle privaten Wohnungsnachweise und Wohnungstauschbüros werden geschlossen.

5. Keine Wohnung darf ohne den gemeindlichen Wohnungsnachweis vermietet, getauscht oder sonstwie veräußert oder bezogen werden. Eigenhäuser und möblierte Zimmer sind dabei den Mietwohnungen gleichzustellen.

6. Die Wohnungsnachweise der Gemeinden werden nach Wirtschaftsgebieten zu einem Gebietswohnungsnachweis mit Meldeaustausch aufgegliedert, die Gebietswohnungsnachweise zu einem Reichswohnungsnachweis zusammengefasst.

7. Der Wohnungsnachweis ist unentgeltlich. Soweit noch Gebühren erhoben werden, sind sie nach Einkommen und Familienstärke unter Freilassung der kleinen Einkommen zu staffeln.

8. Die Verwaltung der Wohnungsämter wird in die Hände von Beamten gelegt, welche von den Mieterorganisationen gewählt werden.

9. Die Wohnungsämter haben nicht wie bisher nur überschüssige Räumlichkeiten zu beschlagnahmen, sondern grundsätzlich sämtliche Mieter nach Maßgabe der Familienstärke und der  wirtschaftlichen Notwendigkeiten umzusiedeln, dergestalt, daß die kinderreichen Familien in die  Großvillen, die Kleinfamilien (auch die wohlhabenderen) in die Mietskasernenkleinwohnungen   umgesiedelt werden. Als Hauptgrundsatz bei der Umsiedlung gilt: große Wohnungen für die kinderreichen Familien, kleine Wohnungen für kinderarme und kinderlose Mieter. Die Kosten der  Umsiedlung tragen die Gemeinden.

10. Solange der Hausbesitz noch nicht enteignet ist, ist die Miete im Gemeindebezirk zwangsweise nach Kinderzahl und Einkommen abzustufen, dergestalt, daß die Familien mit mehreren Kindern und geringerem Einkommen geringere Miete zu zahlen haben, ohne Rücksicht auf die Zahl der ihnen zugewiesenen Räume. Soweit durch höhere Mieten der Familien mit geringerer Kinderzahl und höherem Einkommen ein Ausgleich des so entstandenen Mietausfalles  nicht erreicht werden kann, geht die Differenz zu Lasten der Gemeinde. Die Verrechnung und Verteilung des Ausgleichs auf die einzelnen Hausbesitzer erfolgt durch das Wohnungsamt.

11. Solange die Forderung der Umsiedlung sich noch nicht durchsetzen lässt, werden die Wohnungen kontigentiert. Wieviel Räume dabei den einzelnen Familien in den Großwohnungen verbleiben, richtet sich nach den örtlichen Verhältnissen. Für die Großstadt kann dabei  etwa folgendes Schema Richtlinie sein:

Eine Familie ohne Kinder behält Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und Zubehör und je nach Tätigkeit des Ehemannes oder der Ehefrau noch ein Arbeitszimmer. Für je zwei Kinder unter 10 Jahren oder für zwei gleichgeschlechtliche Kinder über 10 Jahren oder je ein Kind über 10 Jahren bei verschiedenen Geschlechtern wird ein weiteres Schlafzimmer zugestanden. Für Hauspersonal ist ein besonderes Zimmer im Wohngeschoss zu belassen, jedoch zu kontrollieren, ob dieses Zimmer auch tatsächlich dem Hauspersonal zur Verfügung steht. Für mehr als einen Dienstboten werden nur in ganz besonderen Ausnahmefällen (besondere Krankheitsverhältnisse) Räume genehmigt.

12. Die überschüssigen Räume sind den Wohnungssuchenden zur Verfügung zu stellen, die in einer Dringlichkeitsliste aufgeordnet werden.

13. Die Aufstellung der Dringlichkeitsliste obliegt den Mieterorganisationen oder den Ausschüssen der Wohnungslosen; zumindest haben die Mieterorganisationen an der Aufteilung und Kontrolle der Dringlichkeitsliste mitzuwirken. Die bisherige Bevorzugung entlassener Heeresangehöriger, aus Oberschlesien usw. vertriebener Chauvinisten usw. wird sofort beseitigt.   Entscheidend für die Höhe in der Dringlichkeitsliste muss vielmehr sein: Dauer der Wohnungslosigkeit und Zahl der Kinder, ferner Schwangerschaft und Krankheit. Schwerkriegsbeschädigte sind zu bevorzugen.

14. Die überschüssigen Räume sind zu Notwohnungen auszubauen. Diese müssen mindestens Kochgelegenheit, Wasserentnahme und Abort enthalten, in Ausnahmefällen ist Abortbenutzung mit einer zweiten Familie zulässig. Die Kosten des Ausbaues der Notwohnungen trägt die Gemeinde,  welche sie je nach den örtlichen Verhältnissen und der Vermögenslage des Hausbesitzers auf diesen ganz oder teilweise abwälzen kann. Die Mieten der Notwohnungen sind nach Einkommen und Kinderzahl abzustufen.

15. Der Ausbau von Kellerräumen zu Notwohnungen ist strikt zu verwerfen; ebenso der Ausbau von Dachgeschossen, Bodenkammern und ähnlichen Räumen, sofern die so entstandenen Wohnräume nicht massive Wände erhalten und gegen die Hitze und Kälteeinflüsse des Daches unbedingt geschützt sind.

16. Die privaten Neubauten, ebenso die Gebäude des Reichs, der Länder und der Kommunalverbände sind in das Beschlagnahmerecht der Gemeinden einzubeziehen.

17. Alle Anträge der Großwohnungsbesitzer auf Befreiung von der Wohnungsbeschlagnahme  durch freiwillige Hergabe von Geld oder durch anderweitige Wohnungserstellung sind abzulehnen.   Wo aus technischen Gründen Großwohnungen nicht aufgeteilt werden können und die Umsiedlung noch nicht durchführbar ist, sind in die überzähligen Räume solcher Großwohnungen Einzelmieter (Untermieter) einzuquartieren.

18. Neben den Großwohnungen müssen in erster Linie für Wohnzwecke beschlagnahmt werden:  alle Kasernen, Klöster und Schlösser (soweit nicht höhere Kunstzwecke gefährdet sind), ehemalige Lazarette usw. Weiter sind alle Bars, Kabaretts, Animierkneipen, Likörstuben, Bordelle und ähnliche Vergnügungsstätten zu schließen und zu Wohnungen umzubauen, soweit das technisch unzweckmäßig ist, jedoch mindestens mit solchen Geschäfts- und Gewerbebetrieben zu belegen, die ihrerseits Wohnräumen Platz machen können. Schulen dürfen dagegen nicht zu Wohnräumen ausgebaut werden.

19. Gebäude wie Kasernen usw., die nur schwierig zu Kleinwohnungen aufgeteilt werden können,  sind nach Möglichkeit  zu Asylen, Ledigenheimen, Zentralküchenhäusern usw. umzubauen.

20. Der Umbau von Wohnungen zu Gewerbezwecken oder die Benutzung von Wohnungen zu gewerblicher Tätigkeit, welche die bisherige Wohnmöglichkeit ausschließt, wird verboten.

21. Die unhygienischen Viertel der großen Städte (Altstadt) sind zu sanieren. Bis zur Durchführung der Sanierung sind auch in diesen älteren schon bebauten Stadtteilen so zahlreich  wie möglich Grünflächen, Kinderspielplätze und Sandbecken anzulegen.

22. Alle Wohnungen sind einer strengen Wohnungsaufsicht zu unterstellen.

23. Vorhandene Kellerwohnungen sind zu beseitigen.

24. Räume, in denen Lebensmittel verarbeitet werden, dürfen nicht als Schlafräume benutzt werden.

25. Überall ist für ausreichende Belüftung und Belichtung zu sorgen, die Zahl der Abortanlagen zu vermehren, die Kanalisation mit Spülklosetts aufs Schnellste zu fördern.

26. Das Schlafstellenunwesen ist durch Einquartierung von Einzelmietern in überschüssige Einzelzimmer der Großwohnungen zu beseitigen.

27. In allen Städten sind aus den Reihen der Baugenossenschaften, der Bauarbeiter usw. Arbeiter und Arbeiterinnen in größerer Zahl zu Wohnungsaufsichtsbeamten und Wohnungspflegerinnen auszubilden und mit der Aufsicht über die vorhandenen Wohnungen zu beauftragen. In den ländlichen Gemeinden sind neben den Vertretern ländlicher Wohnungsbaugenossenschaften insbesondere Beauftragte der Landarbeiterorganisationen mit der Wohnungsaufsicht zu betrauen.

28. Die Wohnungsaufsicht wird den Wohnungsämtern eingegliedert.

29. Die Wohnungsaufsichtsinstanzen erhalten das Recht der Anordnung von Um- und Neubauten zu Lasten des Hausbesitzers.

30. In den Arbeitermassenquartieren auf dem Lande ist unbedingt für getrennte Wohnmöglichkeit der einzelnen Familien und für Schaffung menschenwürdiger Wohnverhältnisse Sorge zu tragen.

31. Die Wohnungsämter sind in ihrem Gesamtaufgabenkomplex interlokal zu Gebietswohnungsämtern zusammenzufassen, die ihrerseits zu einem Reichswohnungsamt aufgegliedert werden. Aufgaben der Gebietswohnämter sind:

31.1. Interlokale Umsiedlung nach wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten, z.B. von Altersrentnern, nicht an bestimmte Orte gebundenen Erwerbstätigen usw. aus Orten mit großer Wohnungsnot in abseitige Gemeinden mit geringerer Wohnungsnot, in bisherige Landhausgemeinden, Kurorte, Badeorte usw.

31.2. Beschlagnahme und Ausbau von ländlichen Schlössern, Klöstern, Kurhäusern, Hotels, Landsitzen, Villen usw. zu Zwecken der Aufnahme von Kinderheimen, Pflegeheimen, Blindenanstalten usw., die jetzt in Städten untergebracht sind und nach der Umsiedlung  hrerseits in den Städten für Wohnungsgelegenheit Raum schaffen können.

C. Beschaffung neuer Wohnungen.

1. Die gesamte Neubautätigkeit wird in Gemeinwirtschaft überführt. Träger der Gemeinwirtschaft können sowohl Reich, Länder und Gemeinden wie auch Bau- und Produktivgenossenschaften sozialen Charakters sein. Die Gemeinwirtschaft hat bei den Urstoffen für die Bautätigkeit zu beginnen. In erster Linie sind daher zu vergesellschaften: Steinbrüche, Ziegeleien, Zement- und Glasfabriken, Kohlen- und Eisenindustrie, Forsten, Sägewerke und der Baumaterialienhandel. Zumindest ist ein Verbot des Stilllegens, des Abbruchs oder der Produktionsbeschränkung in diesen Gewerken sofort zu erwirken.

2. Der zur Siedlung benötigte Grund und Boden wird zugunsten der gemeinwirtschaftlichen Siedlung kostenlos enteignet. Bis zur Durchführung der Enteignung haben die Gemeinden einen möglichst umfangreichen gemeindeeignen Grundbesitz durch Kauf zu erwerben. Jeden Verkauf gemeindlichen Grundbesitzes an Private, Betriebe, Handelsgesellschaften usw. lehnen die Kommunisten ab. Grundstücksaustausch mit Privaten usw. ist zulässig, Grundstücksverpachtung jedoch nur, wenn die Gemeinde am Erträgnis des auf dem Grundstücke anzulegenden Betriebes ausreichend prozentual beteiligt wird. Wegen Erbpacht s.n.I. Nr. 26.

3. Die Bautätigkeit selbst wird ebenfalls der privaten Willkür entzogen und nach städtebaulichen, volkswirtschaftlichen, hygienischen und verkehrstechnischen Gesichtspunkten gemeindeweise konzentriert. Träger dieser Aufgabe sind die gemeindlichen Bauämter. Wo Baubetriebe für einzelne Gemeinden unrationell sind, schließen sich mehrere Gemeinden zum Betrieb eines gemeinwirtschaftlichen Bauunternehmens zusammen.

4. Reich, Staat und Kommunen haben möglichst hohe Summen für die Neubautätigkeit zur Verfügung zu stellen. An private Bauunternehmer sowie für private Werkswohnungen dürfen jedoch Zuschüsse in keiner Form gewährt werden.

5. Kasernen- und Kirchenbauten sind abzulehnen.

6. Die Neubauten sind dem gegenwärtigen Stande des Baumaterials anzupassen; sie dürfen aber in keiner Weise den sozialhygienisch und ästhetisch notwendigen städtebaulichen Gesichtspunkten , insbesondere dem allmählichen Übergang vom Massenmietskasernenbau zur Gartenstadtsiedlung entgegenstehen.

7. In kleineren Gemeinden und großstädtischen Außenvierteln ist für ausreichende Stallung zu sorgen.

8. Die bestehenden Bauvorschriften sind auf das technisch und hygienisch Notwendige zu mildern. Ausreichende Besonnung, Straßenbreite und Raumhöhe sind jedoch unumgänglich.  Wellblechbaracken und ähnliche primitive Bauten sind für Wohnzwecke abzulehnen.

9. Die Wohnfläche der einzelnen Wohnung soll möglichst nie weniger als 70 bis 80 qm betragen. Die vielfach üblichen Zwergwohnungen („Vogelkäfige“) sind zu verwerfen.

10. Wo im bebauten Gelände zwischen Hochhäusern Baulücken klaffen, können diese durch Hochhäuser ausgefüllt werden; höhere als dreigeschossige Häuser sind jedoch auch in diesen Fällen nicht zu genehmigen.

11. Außerhalb des bereits bebauten Geländes sind stets nur freistehende Einzelhäuser oder Häuser  in Reihenflachbau zu bewilligen.

12. Neue Wohnungssiedlungen sind möglichst an der Herkunftsseite, industrielle Neuanlagen, ebenso Schlachthöfe, Müllabfuhrhaufen, Klärbecken usw. möglichst an der Abzugsseite der vorherrschenden Winde anzulegen, so dass die Wohngebiete von der industriellen Rauch- und  Geruchsbelästigung möglichst verschont bleiben. Soweit angängig sind alle industriellen Anlagen in besonderen von den Wohngebieten abgetrennten Industrievierteln zusammenzufassen.

13. Alle Neusiedlungen sind zu kanalisieren und mit Gas und Elektrizität zu versorgen, die Entwicklung zur Zentralbewirtschaftung (Zentralküchen, Zentrallesezimmern usw.) zu fördern. Voraussetzung dafür ist die Beseitigung der jetzigen völlig planlosen und willkürlichen Zersplitterung der Neusiedlungen und die Einordnung sämtlicher Neusiedlungen in eine streng planmäßige lokale und interlokale Bebauung.

14. Soweit planmäßige Siedlungstätigkeit auf Hemmungen durch Orts- und Kreisgrenzen stößt, sind Umgemeindungen, Eingemeindungen, Siedlungsverbände usw. zu Zwecken einheitlicherer Bautätigkeit schnellstens zu erwirken.

15. Das Reich, mindestens die Länder und Provinzen, haben einheitliche Versuchsbauten nach neuen Bauweisen auszuführen, damit den einzelnen Gemeinden die jetzigen kostspieligen Versuche  beim Erproben neuer Bauweisen erspart bleiben. Die Baubestandteile sind zu normalisieren und typisieren. Für die einzelnen Landesteile sind bodenständige Einheitsbauweisen und Einheitsbaupläne aufzustellen.

16. Alle Straßenbaukosten sowie die Kosten der Leitungen für Elektrizität, Gas und Wasser zu den Siedlungen trägt die Gemeinde. Die Verkehrsstraßen sind zu hoher Leistungsfähigkeit auszubauen, die Wohnstraßen weit mehr als bisher zu vereinfachen.

17. Bei allen Neubauten ist ist für genügende Freifläche und Gartenanlage, für Spiel- und Erholungsplätze, Sand- und Planschbecken der Arbeiter- und Arbeiterkinder Raum zu schaffen.

18. Die Aufteilung von Stadtwäldern oder Teilen von Stadtwäldern zur Anlage von bourgeoisen Villenkolonien ist abzulehnen, die Anlage von Spiel- und Erholungsplätzen, Unterkunftsräumen, alkoholfreien Wirtschaften und Milchschankhäuschen in den Stadtwäldern dagegen zu fördern. Aus Spazierparks für Müßiggänger sind die Waldungen zu Volksparks umzugestalten, die den freien Aufenthalt, das Lagern und Spielen außerhalb der Wege ermöglichen.

19. Wälder, Parks, Friedhöfe, Wiesen und Gartenanlagen sind durch breite Grünstraßen miteinander zu verbinden, rings um die Siedlungen zusammenhängende Grüngürtel zu belassen, Seen, Teiche, Fluss- und Kanalläufe in die Grünanlagen einzubeziehen. Wo irgend angängig, sind öffentliche Luft- und Wasserbäder einzuschalten. Die Ufer der Wasserflächen dürfen nicht besiedelt oder an Privateigentümer verpachtet werden.

20. Die Anlage von Plätzen, Straßenerweiterungen, künstlerischen Raum- und Straßenfluchtwirkungen ist Sorgfalt zu widmen.

21. Die Arbeitersiedlungen als ganzes sind ihres jetzigen leblosen Aussehens zu entkleiden und städtebaulich zu reizvoller Gesamtwirkung zusammenzufassen.

22. Die Ausgestaltung des Verkehrswesens ist besondere Sorgfalt zu widmen durch Anlagen von Straßen, Hoch- und Untergrundbahnen sowie durch Ausgestaltung des Eisenbahnwesens in Hinsicht auf möglichst schnelle Verbindung zwischen Arbeits- und Wohnstätte. Aus hygienischen, technischen und wirtschaftlichen Gründen sind alle Dampfbahnen zu elektrifizieren.

23. Die Beförderung zwischen Arbeits- und Wohnstätte muss grundsätzlich unentgeltlich erfolgen. Wo diese Forderung nicht durchführbar ist, sind als Mindestanforderungen zu erwirken: unentgeltliche Beförderung der Arbeitslosen vom und zum Arbeitsnachweis, erhebliche Preisermäßigungen für Arbeiter, Angestellte, Beamte, Schulkinder, Fortbildungsschüler,  Besucher von Mütter- und Säuglingsberatungsstellen, Außensiedler und Laubenkolonisten.

24. Die Kommunen und Kommunalverbände haben bei allen Bauämtern Auskunftsstellen für Siedler einzurichten.

25. Sämtliche Bauarbeiten sind in Eigenregie auszuführen. Der private Bauunternehmer ist bei allen Bauarbeiten auszuschalten.

26. Die Veräußerung von Bauten an Private ist verboten. Die gemeinnützig erbauten Wohnungen bleiben im Eigentum des Reichs, der Länder, der Gemeinden oder Baugenossenschaften. Ausnahmsweise, z.B. an Genossenschaften der Arbeiter, Beamten und Kleinbauern kann Erbpacht zugestanden werden. Die völlige Überlassung der Bautätigkeit und Bauten an Genossenschaften ist unzulässig, weil dadurch oft die ärmsten, kinderreichsten Proletarierfamilien, die nicht imstande  sind, die Genossenschaftsbeiträge aufzubringen, ohne Wohnung bleiben.

27. Den Baugenossenschaften sind die Zuschüsse stets in voller Höhe der Überteuerung auszuzahlen. Reich, Staat und Gemeinde haben ihnen zinslose Baugelder zur Verfügung zu stellen. Die Baupläne sind ihnen von den städtischen Bauämtern oder den Bauberatungsstellen der Länder und Provinzen unentgeltlich zu liefern.

28. Die Verwaltung aller erstellten Neubauten obliegt den Mieterausschüssen (Mieterräten).

29. Aus Mitteln des Reiches, der Länder und der Gemeinden sind allen Unbemittelten Möbel,  und sonstige Hausgerätschaften zur Wohnungseinrichtung unentgeltlich zu liefern. Soweit sich dieses nicht erreichen läßt, ist zu fordern, dass Reich, Staat, Kommunalverbände und Kommunen Möbel und Hausgerätschaften nach Normaltypen herstellen oder doch aufkaufen und diese Minderbemittelten zu ermäßigten Preisen übereignen.

30. Aller unbebaute Grundbesitz einschließlich der Pferderennbahnen ist acker- oder gartenmäßig zu bestellen. Soweit die Bestellung nicht durch die Gemeindeverwaltung selber erfolgt, ist der Grundbesitz an Vereinigungen von Laubenkolonisten, Baugenossenschaften und ähnliche proletarische Organisationen pachtweise zur Bestellung zu überlassen. Sollen die bestellten Grundstücke bebaut werden, so sind die Pächter mindestens ein Jahr zuvor davon zu benachrichtigen und zu kündigen. Soweit irgend möglich, ist ihnen rechtzeitig anderes Pachtland zur Verfügung zu stellen. Die Pachtpreise sind nach Einkommen und Kinderzahl der Pächter zu staffeln und soweit wie möglich in Naturalform zu entrichten. Erwerbslose bleiben von der Pacht befreit. Die Straßenbahnen, Hoch- und Vorortbahnen haben den Kleinpächtern Tarifermäßigungen zu gewähren.

31. Die Kommunisten haben die Pächterorganisationen zu fördern und in ihnen wie in den Mieterorganisationen (s. Absatz in D.) zu wirken.

D. Mieterschutz

1. Der wirksamste Mieterschutz ist die völlige Enteignung des Haus- und Grundbesitzes und die Überführung der Eigentums- und Besitzrechte auf Reich, Staat, Gemeinde unter Mitbestimmungsrecht und Selbstverwaltungsrecht der Mieterorganisationen und Mieter. Soweit diese Forderung noch nicht durchführbar ist, muss wenigstens der Grund und Boden in Gemeineigentum überführt werden. Die Enteignung des Grund und Bodens erfolgt erfolgt ohne Entschädigung. Bei der Enteignung der Gebäude ist jedoch allen Minderbemittelten eine Entschädigung zu gewähren.

2. Bis zur Durchführung der Enteignung ist darauf hinzuwirken, daß der Häuserhandel verboten und die Gesetzgebung zugunsten der Mieter und Pächter ausgebaut wird. Die gesamte Mieterschutzgesetzgebung ist dabei zu vereinheitlichen. Die Pachten sowie das Mieten möblierter Zimmer und die Hauswirtverträge sind in die Mieterschutzgesetzgebung einzubeziehen.

3. Für die Mieteinigungsämter ist insbesondere zu fordern: Wahl der Beisitzer durch die Mieterorganisationen; Verbot der Veränderung jeglicher Miet- oder Pachtverhältnisse zuungunsten der Mieter oder Pächter ohne Genehmigung des Mieteinigungsamtes; Verbot jeglicher Räumungsvollstreckung ohne Genehmigung des Mieteinigungsamtes und ohne ausreichende Bereitstellung anderer Unterkunftsmöglichkeiten.

4. Die kommunistischen Beisitzer der Mieteinigungsämter haben stets die Interessen der unter der allgemeinen Wohnungsnot und unter den Verhältnissen des besonderen Streitfalles am meisten Leidenden wahrzunehmen, nach Maßgabe des kommunistischen Siedlungs-, Bau- und Wohnungsprogrammes stets den Schwachen gegen den Kapitalkräftigen zu schützen.

5. Sämtlicher Reparaturarbeiten werden unter städtischer Regie zu Lasten der Hausbesitzer oder, soweit diese Minderbemittelte sind, zu Lasten der Gemeinde ausgeführt. Die Reparaturen erfolgen lediglich nach Zweckmäßigkeit und nach den Wünschen der Mieter unter Begutachtung der städtischen Bauämter.

6. Die im Reichsmietengesetz vorgesehenen Zuschläge für Reparaturen zugunsten der Hausbesitzer sind abzulehnen.

7. Die Gemeinden haben die Mieten in ihren eigenen Häusern nicht nach der Zahl und Größe der Räume, sondern nach der Kinderzahl und dem Einkommen der Mieter zu staffeln, dergestalt, daß die Familien mit größerer Kinderzahl und kleineren Einkommen die kleineren Mieten zu zahlen haben.

8. Die Gemeinden und Mieteinigungsämter dürfen keinerlei Anträgen der Hausbesitzer auf Erhöhung der Mieten über die Friedensmiete hinaus oder auf Neufestsetzung der Friedensmiete über den tatsächlichen Stand der Friedensmiete hinaus ihre Zustimmung erteilen.

9. Die Gemeinden haben alle Anträge auf Sonderberechnung öffentlicher Steuern, Gebühren und Beiträge, von Abgaben, Versicherungen, Hypothekenzinsteigerungen sowie von Verwaltungskosten  der Hausbesitzer für ihre Mieter abzulehnen.

10. Die Kommunisten dürfen nur dann für einen von irgendwelcher Seite eingebrachten niedrigeren Zuschlagsantrag stimmen, wenn vorher ihre Anträge auf Ablehnung jeglichen Zuschlages und jeglicher Sonderberechnung abgelehnt sind und höhere Zuschläge nur durch ihre Zustimmung zum niedrigeren Zuschlage verhindert werden können.

11. Durch Reichsgesetzgebung ist zu bestimmen, dass die Verwaltung der Häuser den Hausbesitzern genommen und Mieterausschüssen (Mieterräten) des einzelnen Hauses oder der einzelnen Häuserblöcke übertragen wird.

12. Auch über die gesetzlichen Rechte der Mieterschutzbestimmungen hinaus haben die Mieter einzelner Häuser oder Häuserblocks von sich aus Mieterräte zu bilden und diesen Mieterräten möglichst weitgehende Rechte gegenüber dem Hauseigentümer zu erkämpfen. Die Kommunisten in den Gemeindeverwaltungen haben diese Kämpfe in jeder Hinsicht (Übertragung von Befugnissen, Zuziehung zu einschlägigen Tagesordnungspunkten usw.) zu unterstützen.

13. Möglichst oft rufen die Mieterräte die Hausbewohner zu „Hausversammlungen“ zusammen. Die Kommunisten haben sich in den Hausversammlungen das Vertrauen der Mitbewohner zu erwerben und für das kommunistische Wohnungs- und Allgemeinprogramm zu wirken.

14. Dem Schutz der Untermieter und Schlafgänger gegen Mietwucher haben die Kommunisten in den Gemeindeverwaltungen, Mietseinigungsämtern und Mieterorganisationen besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

E. Mieterorganisation

1. Eine wesentliche Förderung kann den Forderungen der KPD zur Wohnungsfrage durch die Mieterorganisationen zuteil werden.

2. Überall, wo bei Behörden, Schiedsinstanzen usw. Wohnungsfragen und Mieterfragen behandelt werden, haben unsere Genossen zu beantragen, dass Vertreter der Mieterorganisationen neben den von der Behörde bestimmten mit entscheidender Stimme zugezogen werden.

3. Die örtlichen Parteivorstände haben der Mieterbewegung besondere Aufmerksamkeit zu widmen und einen oder mehrere besondere Beauftragte für die Arbeit der Kommunisten in der Mieterbewegung zu bestimmen.

4. Es ist nicht Aufgabe der örtlichen Parteileitung, etwa alle Mitglieder der KPD zum Eintritt in die Mieterorganisationen zu veranlassen; es ist nur erforderlich, dass die für dieses Gebiet besonders interessierten Genossen zum Eintritt in die Mieterorganisationen angehalten werden, daß diese in ihnen geschlossene und zielklare Fraktionen bilden, dass diese Fraktionen in engster Fühlung mit der Parteiorganisation vorgehen, dass überall die kommunistischen Forderungen vertreten und zur Anerkennung gebracht werden, dass also nicht durch einfache Abstimmungsmehrheit, sondern durch den Wert der programmatischen Forderungen und praktischen Bestätigung ihrer Mitglieder in den Mieterorganisationen die kommunistische Partei die Mieterorganisationen entscheidend beeinflusst.

5. Die als Mieterräte sowie die in den Mieteinigungs- und Wohnungsämtern tätigen Genossen sdin zum Eintritt in eine Mieterorganisation verpflichtet.

6. Bestimmte Mieterorganisationen werden von den Kommunisten nicht bevorzugt. Die Kommunisten treten vielmehr in alle Mieterorganisationen ein. In diesen sorgen sie in organisatorischer Hinsicht für einen möglichst schnellen Zusammenschluss aller bestehenden Mieterorganisationen sowohl örtlich wie auch in den Bezirken und im ganzen Reich mit dem Ziele, einer einzigen einheitlichen großen Mieterorganisation, die sich einheitlich nach Wirtschaftsbezirken und Ortsgruppen gliedert.

7. Neugründungen von Mieterorganisationen, auch von „reingewerkschaftlichen“, neben den bestehenden Organisationen, werden von den Kommunisten bekämpft. Kommen solche Neugründungen trotzdem zustande, treten die Kommunisten in sie ein und arbeiten in ihnen für eine Verschmelzung mit den bestehenden Verbänden.

8. Zu Kongressen, Verbandstagen usw. der Mieterverbände sind überall Kommunisten in Vorschlag zu bringen. Auf die Verbandspresse ist entscheidender Einfluss zu erstreben.

9. Die Fraktionen der verschiedenen Mieterorganisationen eines Ortes treten von Zeit zu Zeit zu gemeinsamen Besprechungen zusammen, um ein einheitliches Vorgehen in den Einzelfragen zu gewährleisten und ihre Erfahrungen auszutauschen.

10. Die Organisation der Fraktionen ist bezirksweise und darüber hinaus länderweise und schließlich für das ganze Reich aufzugliedern. Die Zentrale der Partei beruft zu gegebener Zeit einen Reichskongress der kommunistischen Mieterfraktionen.

11. Die Hauptaufgabe der Kommunisten in den Mieterorganisationen beruht in der Verbreitung der Erkenntnis, dass eine Lösung der Wohnungsfrage im rahmen des kapitalistischen Staates unmöglich, sondern nur nach Maßgabe der kommunistischen Forderungen in der sozialistisch-kommunistischen Gesellschaft durchführbar ist, und die aufgrund dieser Erkenntnis vollziehende Einreihung der Mieterschaft in die Kampffront des revolutionären Proletariats.

Endnote

(1) Dieser Text wurde veröffentlicht in „Die Internationale, Zeitschrift für Theorie und Praxis des Marxismus“, Jahrgang 4, Heft 18, 20. April 1922, herausgegeben von der Zentrale der KPD. Reprint: Verlag Neue Kritik, Frankfurt/Main 1971