Erklärung der VKG zur Bilanz der großen Tarifrunden

Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften, 19. Januar 2024, Neue Internationale 280, Februar 2024

Reallohnverlust trotz Kampfkraft und Mobilisierung – Die Lehren für kämpferische Gewerkschafter:innen

Die Tarifergebnisse seit Herbst 22 sind für alle großen Branchen sehr ähnlich. Als Gewerkschafter:innen müssen wir uns fragen, ob das Zufall ist. Wir müssen den Blick über den Tellerrand unserer Branche heben. Wir müssen uns fragen, ob die gewohnte Beurteilung von Tarifergebnissen so noch taugt.

Tarifforderungen orientieren sich immer hauptsächlich an der Inflation, in den Industriegewerkschaften auch an der Produktivitätssteigerung. Das Ergebnis wird daran gemessen, wie viele der Forderungen erfüllt worden sind. Innerhalb der jeweiligen Gewerkschaften geht es immer darum, ob mehr drin gewesen wäre. Von Seiten der kämpferischen Belegschaften und Mitglieder, genauso von der Gewerkschaftslinken gibt es seit Jahrzehnten die wiederkehrende Kritik, dass mehr hätte erreichen werden können, dass die Kampfkraft nicht ausgeschöpft worden sei.

Die übliche Argumentation der Tarifverantwortlichen und der Sekretär:innen war stets, dass nicht genug gekämpft worden sei, entweder von den Kritiker:innen oder von anderen Teilen der Mitgliedschaft oder auch von anderen Teilen des Gewerkschaftsapparates, der nicht so toll ist wie man selber. Letztlich gingen die Debatten immer darum, ob die fehlende Kampfkraft Schuld des Apparats oder der Kolleg:innen war.

Diese Art der Ergebnisdiskussion, die von allen Seiten die Frage der Kampfkraft ins Zentrum stellt, ist uns allen in Fleisch und Blut übergegangen, ja sie war im Grunde ein Teil des Tarifrituals geworden. Nach den letzten Tarifrunden müssen wir uns selbst eingestehen, dass wir als kämpferische Kolleg:innen oder als Gewerkschaftslinke darüber hinausgehen müssen, denn diese Tarifrunden waren einfach etwas anders.

Keine Diskussion der Forderungen …

Es gibt seit Jahren eine Entwicklung in den DGB-Gewerkschaften, dass die Basis aus dem Prozess der Forderungsdiskussion und -aufstellung herausgedrückt wird. Bei der IGM durften zum Beispiel  nur vorgegebene  Forderungsniveaus angekreuzt werden, wobei 8 % das Höchstmögliche war – zu dieser Zeit war das gerade die aktuelle Inflationsrate. Die Zeiten, als einfach jeder Vertrauensleutekörper seine Forderungen auf einer örtlichen Funktionärskonferenz präsentieren und diskutieren konnte, sind lange vorbei.

Beim TV-L wurde diesmal eine neue Qualität erreicht. In GEW und ver.di wurden Diskussionen über die Forderungen zugunsten einer „Befragung“ abgesagt/verhindert (??).  Die dann von der Führung aufgestellte Forderung wurde in dieser Befragung nicht erwähnt, dann aber als „deren Ergebnis“ verkündet.

Eine solche Art von gesteuerter „Diskussion“ erlaubte es der Führung, eine Forderung aufzustellen, die sie offensichtlich von vornherein beabsichtigt hatte. Warum aber haben die Spitzenbürokrat:innen nicht im Vorfeld offen für diese geworben? Die Argumente, mit denen sie diese Forderung rechtfertigten, hätten sie auch schon 2 Monate zuvor in einer demokratischen Debatte innerhalb der Gewerkschaften vorbringen können, nämlich dass der öffentliche Dienst doch eine Gemeinschaft sei, egal ob Bund, Länder oder Kommunen, dass die wirtschaftliche Lage ähnlich, die Inflation vielleicht sogar etwas zurückgegangen sei. Ganz offensichtlich sollte nicht nur genau diese Forderung durchgedrückt, sondern auch eine innergewerkschaftliche Debatte vermieden werden. [i]

Ergebnis abseits der Forderungen …

In den meisten anderen Branchen war das anders. Trotz aller Bemühungen der Führung, die Forderungen niedrig zu halten, hatte es bei Metall und Elektro, bei der Post, der Bahn oder dem TVöD eine lebhafte Debatte gegeben, angeheizt von der Inflation, den fetten Gewinnen in vielen Bereichen und den miesen Abschlüssen in den Jahren davor. Teilweise wurden die Forderungen sogar höher gedrückt. Aber im Rückblick war das vergeblich, denn offensichtlich waren für die Ergebnisse diese Forderungen nicht maßgebend.

Branche Gewerkschaft Laufzeit gefor-dert Laufzeit verein-bart 1. Tab.-Erhöh. nach x Monaten Einmal-zahlungen steuer- +abgabenfrei Tab.-Erhöhung Warnstreik, Streik , usw
Chemische Industrie IG BCE   27 14 1.500+1.500 3,25 %+3,25 % Fehlanzeige
Metall- und Elektroind. IG Metall 12 24 8 1.500+1.500 5,2 %+3 3 % Ca. 900.000 in Warnstreiks
Post Ver.di 12 24 14 In Summe 3.000 4,7 % 85,9 % für Streik in Urabstimmung, kein Streik
TVöD Ver.di 12 24 14 1.240+8*220 200+5,5 %(min 340 Euro) Starke Warnstreiks
Bahn EVG 12 25 9 2.850 200+210 2 halbe Tage Warnstreik Schlichtung 48 % gegen Schlichterspruch
TV-Länder Ver.di, GEW,.. 12 25 12 1.800+10*120 200+5,5 % Durchschnittlich 3 Tage Warnstreiks
Stahlindustrie IG Metall 12 22 14 1.500+10*150 5,5 % 18.000 in Warnstreiks, 30.000 in Tagesstreiks

Es ist nichts Neues, dass die Ergebnisse immer weniger mit den jeweiligen Forderungen vergleichbar sind. Andere Laufzeiten, die Vermengung von Festbeträgen, prozentualer Steigerung, Einmalzahlungen, Besserstellung einzelner Beschäftigtengruppen oder neue Sonderzahlungen wie bei der IGM haben einer Diskussion in der Mitgliedschaft schon die Grundlage weitgehend entzogen, die Ergebnisse mit den Forderungen wirklich zu vergleichen.

Die steuer- und abgabenfreien Einmalzahlungen („Inflationsausgleichsprämie“) als bestimmendes Element für das jeweils erste Jahr der Tariflaufzeit bringen noch eine neue Qualität hinzu: Sie wirken sich für jede/n individuell unterschiedlich aus.

Die Tatsache, dass aber in keiner Tarifrunde diese Einmalzahlungen gefordert oder bei der Forderungsaufstellung diskutiert wurden, obwohl gerade bei den Beschäftigten der Länder ja mit der Übernahme der Forderung von Bund+Kommunen klar war, dass die Übernahme des Ergebnisses angestrebt wird, zeigt noch mal mehr die tiefsitzende Verachtung der Gewerkschaftsführung für innergewerkschaftliche Demokratie.

Kampfkraft spielt offensichtlich keine Rolle

Aber nicht nur die Forderungsaufstellung hatte wenig Einfluss auf die Ergebnisse, auch der Verlauf der jeweiligen Tarifrunde. Ein Überblick über die großen Tarifrunden zeigt, dass sich die Ergebnisse sehr ähnlich sind, der Verlauf der Tarifrunden aber extrem unterschiedlich. Zum Zweiten enthalten alle steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen, meist in Summe von 3.000 Euro, etwas, was in keiner einzigen Tarifforderung auch nur ansatzweise aufgetaucht war. Drittens haben alle mit erheblich längerer Laufzeit als gefordert abgeschlossen.

Die Tarifkämpfe, in denen, für sich betrachtet, die gezeigte und entwickelbare Kampfkraft am wenigsten genutzt wurde, um einen Reallohnverlust zu verhindern, waren Metall- und Elektroindustrie, Post, TVöD, Bahn(EVG) und Stahlindustrie.

Die Tarifrunde TV-L, die erst im Herbst 2023 abgewickelt wurde, war also nicht diejenige, in der die Mobilisierung der Beschäftigten am krassesten einem schlechten Ergebnis gegenüberstand. Der TV-Länder leidet nach wie vor daran, dass die Belegschaften in den Flächenländern schlecht organisiert bzw. verbeamtet sind, im Unterschied zu den Stadtstaaten. Aber aus ihrem ganzen Verlauf wurde klar, dass sie nach dem Willen der Gewerkschaftsführung genau zu diesem Ergebnis führen sollte, das abgeschlossen wurde: Auf die Unterdrückung der Forderungsdiskussion folgte die diktierte Übernahme der Forderung für den TVöD, dann die Übernahme desselben Ergebnisses, bis auf 25 statt 24 Monate Laufzeit.

Mehr Kampfkraft alleine hätte also dieses Ergebnis nicht verbessert, sondern nur schneller erreicht; Mit weniger Kampfkraft wäre vielleicht noch eine Runde Warnstreiks mehr nötig gewesen. Es reicht also nicht, wenn wir weiter über Kampfkraft und ihre Entwicklung reden, ohne zu verstehen, warum und wie dieser offensichtliche Zielkorridor für die Tarifergebnisse zustande kam und welche Konsequenzen wir daraus ziehen müssen.

Konzertierte Aktion

Die Erklärung für den besonderen Verlauf der Tarifrunden finden wir in der Konzertierten Aktion, einem Treffen von Regierung, Arbeit„geber“:innen-Verbänden und Gewerkschaftsspitzen. Von 1967 bis 1977 fanden auf der Basis des „Stabilitätsgesetzes“ regelmäßig entsprechende Treffen statt. Im Sommer 2022 wurde das Modell wieder aus dem Hut gezaubert. Eigentlich hatten diese Treffen keine Regeln, sie sind freiwillig. Aber wer hingeht und selbst Vorschläge macht, macht dann auch beim Gesamtpaket mit. In mehreren Paketen wurden im Sommer und Herbst alle möglichen Entlastungen für die verschiedensten Teile der Bevölkerung vereinbart, die dann z. B. von der Regierung umgesetzt wurden. Was die Kapitalvertreter:innen forderten, kann man sich leicht vorstellen – das, was sie eh ständig und laut für sich reklamieren. Ob sie sich zu irgendwas verpflichteten, bleibt unklar. Auf jeden Fall bekamen sie etwas geschenkt, nämlich die Möglichkeit, jedem/r Beschäftigten 3.000 Euro steuer- und abgabenfrei als Inflationsausgleich zu zahlen – statt diesen die dringend nötigen und von diesen stark eingeforderten Lohn- und Gehaltserhöhungen zuzugestehen.

Die Gewerkschaftsspitzen haben das nicht nur zugelassen, sondern pro-aktiv unterstützt. Es gibt sogar Gerüchte aus der IG BCE, dass diese Idee von Seiten der IG Metall und IG BCE eingebracht worden sei. Auf jeden Fall war das erklärte Ziel der Konzertierten Aktion (K. A.), die „Inflation zu bekämpfen“, was für Kapital und Regierung nie heißt, die Preiserhöhungen zurückzunehmen. Schon gar nicht 2021 – 2022, wo in kurzer Zeit die Preise, vor allem die Verbraucherpreise hochschnellten und das, nachdem die Gewerkschaften schon in der Coronakrise praktisch keine Lohnerhöhungen hatten durchsetzen können.

Dennoch haben sich die Gewerkschaftsspitzen dieser Logik der K. A. unterworfen. Für ein angebliches Gesamtinteresse des Landes wurden ganz offensichtlich durchgehend flächendeckende Reallohnverluste vereinbart. Das ist eine Verschärfung der üblichen Sozialpartner:innenschaft, die sich vor allem in Unterordnung unter bestimmte Branchenbedingungen, unter konjunkturelle Erscheinungen oder unter die Krisen einzelner Betriebe zeigt. Das ist mehr als die gewohnte Zurückhaltung im Kampf, das war die geplante Akzeptanz und Umsetzung eines nationalen Krisenprogramms, das voll zugunsten der herrschenden Klasse geht:

  • Ökonomisch, denn sie konnten ihre Gewinne sichern, z. T. beispielsweise in der Autoindustrie auf neue Rekordhöhen steigern;

  • politisch, weil es eine notwendige Antwort der Klasse auf die verbundenen Angriffe auf sie verhinderte: eine Bewegung gegen die Inflation, die Sozialkürzungen und gegen die Aufrüstung.

Dieses Ausbleiben einer solchen Bewegung ist letztlich der Grund für die massive Rechtswende in der Gesellschaft und auch in großen Teilen der Arbeiter:innenklasse. Statt Konzertierter Aktion hätte es eine von den Gewerkschaften angeführte Bewegung für „Brot, Heizung, Frieden“ geben müssen, um den Namen eines kleinen Versuches in diese Richtung zu benutzen.

Letztlich müssen wir davon ausgehen, dass es für Regierung und Kapital bei der K. A. nicht nur um die Inflation ging, sondern darum, die Gewerkschaften in das Programm einzubinden, Deutschland in der globalen Konkurrenz mit den anderen Großmächten USA, Russland, China usw. neu und aggressiver aufzustellen, aufzurüsten und Kriege vorzubereiten. Ob sie das wollten oder nicht, die Gewerkschaften sind da mit reingezogen worden.

Die Mogelpackung

Das Instrument für dieses Manöver war die steuer- und abgabenfreie Sonderzahlung. Die Regierung hat legalisiert, was normalerweise als Steuerhinterziehung und Sozialversicherungsbetrug schwer bestraft wird. Die Bosse haben sich gefreut. Die Gewerkschaften haben den Deal mitgemacht: Reallohnverzicht und Streikvermeidung für eine Einmalzahlung, die kurzfristig eine Geldklemme löst, aber nicht in tarifliche Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) eingeht, zukünftige Renten mindert, die Finanznot des Gesundheitswesens verschärft und von Menschen, die in der Folge Arbeitslosen-, Eltern- oder Krankengeld beziehen, zu 60 bzw 66 % zurückgezahlt wird.

Die Komplizenschaft der Gewerkschaftsspitzen wird deutlich daran, dass es kein einziges Stück Text gibt, das sich mit den Folgen dieser Zahlung auseinandersetzt.

Unter den halbkritischen Funktionär:innen gibt es schon ein paar kritische Bemerkungen dazu, die aber mit der Aussage, dass diese Zahlung „obendrauf“, also zusätzlich zu einer Tabellenerhöhung okay gewesen wäre, relativiert wurden. Diese Ansicht ist eine bewusste oder unbewusste Verschleierung der Realität. Diese Zahlung war nur für eine bestimmte Zeit zulässig und nur für einen bestimmten politischen Zweck gedacht. Niemand konnte bislang in irgendeiner Tarifrunde herkommen und vollen Ausgleich der Inflation in den Tabellen und dann noch steuerfreie Sonderzahlungen „obendrauf“ verlangen und niemand wird es zukünftig tun können. Die Gewerkschaften konnten auch nicht bei diesen Tarifrunden „obendrauf“ vereinbaren, weil sie dem Gesamtpaket zur Eindämmung der Inflation zugestimmt haben. Die steuer- und abgabenfreie Sonderzahlung ist nicht irgendein materieller/ökonomischer optionaler Baustein, sondern war das Schmierfett für eine politische Weichenstellung für eine noch engere Form der Sozialpartner:innenschaft, der direkten Unterwerfung unter das Kriegs- und Krisenprogramm der deutschen Bourgeoisie.

Unsere Antwort

Wir haben als VKG die Konzertierte Aktion kritisiert, aber wir haben ihre politische Bedeutung unterschätzt. Spätestens in der Metalltarifrunde war klar, wie das Strickmuster aussehen würde, und in dieser Runde haben wir das auch thematisiert. Ab diesem Zeitpunkt hätten wir eine Kampagne über alle Branchen gebraucht unter dem Slogan: Tabelle statt Mogelpackung Einmalzahlung! Absage an die Konzertierte Aktion und ihre Ergebnisse! Verbunden mit einer breiten Aufklärungskampagne über die finanziellen Auswirkungen und Anträgen, Unterschriftensammlungen etc. gegen die Mogelpackung und für die Aufkündigung der Konzertierten Aktion. Wir hätten klarmachen müssen, dass eine erfolgreiche Tarifrunde nur möglich wird, wenn der Rahmen der K. A. durchbrochen wird. Sozialpartner:innenschaft hat einen sehr konkreten Inhalt gehabt und sehr konkrete Form angenommen. Sie war nicht ganz die Dimension der Zustimmung zur Agenda 2010, die uns einen massiven Niedriglohnsektor, Hartz IV/Bürgergeld und eine endlose Zersplitterung der Tariflandschaft beschert hat, aber eine deutliche Steigerung über das übliche Niveau der Konfliktvermeidung und Klassenkollaboration. Wir hätten sie viel konkreter bekämpfen können und müssen.

Das wäre zugleich eine gute Gelegenheit für uns als VKG gewesen, diese Vermittlung der Erfahrungen aus der Chemie- und Metallindustrie für die anderen Branchen zu leisten. Auch wenn das manche Kolleg:innen anfangs schockiert hätte, hätten wir mit der Voraussage, auf welcher Schiene die Niederlagen organisiert werden würden, uns viel Vertrauen einbringen können.

Auch in Zukunft müssen wir uns mit einer Tarifpolitik auseinandersetzen, die nicht nach den Strickmustern des überholten Tarifrituals – mehr Mobi bringt mehr Ergebnis – funktioniert, sondern politisch determiniert wird. Das kann andere konkrete Schritte gehen, aber die Fragen der innergewerkschaftlichen Demokratie und die konkreten Abläufe werden auf jeden Fall eine Rolle spielen.

Wir müssen schon zu Beginn die Erfahrungen aufnehmen und klarstellen:

  • Forderungsaufstellung ohne Vorgaben von oben durch demokratische Debatte unter Kontrolle der Mitglieder, Vertrauensleute und Betriebsgruppen.

  • Demokratische Wahl der Tarifkommissionen. Stimmberechtigung nur für diejenigen, die dem Tarifvertrag unterworfen sind – also nicht für Hauptamtliche.

  • Keine Verschwiegenheits-, sondern Rechenschaftspflicht. Jederzeitige Abwahl durch die Gewerkschaftsmitglieder des entsprechenden Bereiches.

  • Öffentliche Verhandlungen.

  • Beim Auftauchen von Themen, die nicht Bestandteil der beschlossenen Forderungspakete waren, erneute Diskussion von unten nach oben, ob das als Thema überhaupt zugelassen wird.

  • Demokratische Wahl von Aktions- und Streikkomitees.

  • Vollständige Veröffentlichung der Verhandlungsergebnisse vor der Beratung und Urabstimmung.

  • Ersatzlose Kündigung von Schlichtungsvereinbarungen, so vorhanden.

Diese Forderungen zur Demokratisierung der Tarifbewegungen sind nicht alle neu, aber das verschärft undemokratische Vorgehen der Gewerkschaftsführungen rückt sie für die Zukunft mehr ins Zentrum.

Aber entscheidend für den Erfolg in zukünftigen Tarifrunden wird sein, dass die politischen Ziele ge- und erklärt werden müssen. Wir werden niemandem/r Ultimaten stellen und verlangen, dass man gegen den Krieg sein müsse, um in der Tarifrunde richtig kämpfen zu können. Aber wir müssen mit aller Deutlichkeit erklären, dass wir diese Tarifrunden verlieren sollen, damit die Steuerentlastungen und Subventionen für das Kapital und die Aufrüstung der Bundeswehr finanziert werden können.

Wir wenden uns mit dieser Bilanz an alle, die sich mit Ergebnissen und Abläufen der letzten Tarifrunden und dem Geld, der Kampfkraft und der Motivation, die dabei geopfert wurden, nicht zufriedengeben wollen. Diskutiert mit uns, macht mit beim Aufbau einer Vernetzung von kämpferischen Kolleginnen und Kollegen! Nach der Tarifrunde ist vor der Tarifrunde, wir müssen sie vorbereitet angehen!

Anmerkung

[i] Diese rigide Politik bezüglich der Aufstellung der Forderung und der Durchsetzung des Ergebnisses steht bei ver.di durchaus einer offeneren Gestaltung der Tarifrunden gegenüber: Die Einrichtung von „Tarifbotschafter:innen“ und „Arbeitsstreiks“ erlaubt der Basis mehr Gestaltung bei der Durchführung von Aktionen. Das ist an sich positiv und wird auch von vielen Aktivist:innen so wahrgenommen. Aber gerade der krass undemokratische Gesamtrahmen zeigt, dass die Führung hier offensichtlich nur eine Spielwiese für Aktivist:innen und linke Gewerkschaftssekretär:innen aufmachen wollte oder auf Druck von unten aufmachen musste.




TV-Länder: Wo bleibt Plan B?

Martin Suchanek, Infomail 1238, 29. November 2023

Woche für Woche beteiligen sich zehntausende Landesbeschäftigte im Rahmen der Tarifrunde öffentlicher Dienst an den Warnstreiks. Erzieher:innen, Sozialarbeiter:innen, Lehrer:innen, Beschäftigte an den Hochschulen, an Kultur- und Bildungseinrichtungen der Länder, aus der Verwaltung, von Landesklinken, studentische Beschäftigte und viele andere gingen in den letzen Wochen auf die Straße.

In vielen Städten und Regionen widerlegen sie eindrucksvoll die Behauptung, dass die Landesbeschäftigten mobilisierungsschwach und faktisch kampfunfähig wären. Am Stadtstaatenstreik beteiligten sich in Berlin, Hamburg und Bremen am 22. November um die 20.000 Kolleg:innen. Am Bildungsstreiktag, dem 28. November, gingen lt. Gewerkschaften in Leipzig 7.000, in Berlin 6.000 Streikende auf die Straße, bundesweit wohl Zehntausende. Dabei hatten sich schon dem Branchenstreik der Sozial- und Erziehungsdienste, der studentischen und universitären Beschäftigten und anderer am 24. November lt. ver.di 42.000 Gewerkschaftsmitglieder angeschlossen.

Natürlich bedeutet das nicht, dass ein Vollstreik im öffentlichen Dienst nicht auch vor reale Probleme der Mobilisierung gestellt würde, weil in vielen Ländern die gewerkschaftlichen Strukturen schwächer geworden sind. Aber es zeigt auch, dass Zehntausende Beschäftige mobilisierbar sind und es möglich ist, eine über Warnstreiks und Verhandlungen hinausgehende Mobilisierung vorzubereiten, aufzubauen und durchzuziehen. Zumal dann, wenn ver.di, die GEW und die IG BAU auch eine echte Verbindung mit anderen Beschäftigtengruppen und Gewerkschaften suchen würden.

So läge es auf der Hand, wenn ver.di die Warnstreiks und Demonstrationen der Tarifrunden im Handel mit jener der Landesbeschäftigen koordinieren und so schlagkräftiger machen würde. So läge es auf der Hand, den Schulterschluss mit der GDL zu suchen, die derzeit die Urabstimmung durchführt. So läge es auf der Hand, bei ver.di, GEW, IG BAU wie in allen anderen DGB-Gewerkschaften die Mitglieder zu Solidaritätsaktionen und -streiks mit den Beschäftigten aufzurufen. Und so läge es auch auf der Hand, die Mobilisierung in einem gemeinsamen, bundesweiten Warnstreik kulminieren zu lassen, um so allen Beschäftigten ein Gefühl gebündelter Stärke zu vermitteln und deutlich zu machen, dass ein bundesweiter Streik möglich ist.

Und die Gewerkschaftsführungen?

Doch das passt offenkundig nicht zur Streiktaktik der Verhandlungsführung und der Gewerkschaftsspitzen. Diese werden zwar nicht müde zu betonen, dass die Länder bis heute kein Verhandlungsangebot vorgelegt haben. Doch was folgt daraus? Bereiten sie eine Eskalation vor? Was tun sie, wenn die Verhandlungen nicht einmal zu einem „vorzeigbaren Kompromiss“ führen, also zu einem faktischen Ausverkauf, der wie das Ergebnis des TVöD allenfalls schöngeredet werden kann? Und was tun, wenn es angesichts des offenkundigen Fehlens eines Plans B – also von Urabstimmung und Streik – nicht einmal dazu reicht? Warum sollen die sog. Arbeitergeber:innen im öffentlichen Dienst überhaupt Zugeständnisse machen, wenn die Gewerkschaften mit der Urabstimmung nicht einmal drohen?

Bis zum 7. Dezember, der dritten Verhandlungsrunde, werden die Länder wahrscheinlich noch etwas vorlegen. Man muss aber kein/e Prophet:in sein, um vorherzusehen, dass das hinten und vorne nicht reichen wird. Schließlich werden die Verhandlungsführer:innen der Länder nicht müde, das Lied von den leeren Kassen zu singen. Angesichts der aktuellen Haushaltskrise werden sie auch noch darauf verweisen, dass sie ohnedies „sparen“ müssen, also weitere Kürzungen vornehmen, jeder Cent Lohnerhöhung zu weniger Personal führen würde.

Dann reicht es nicht, wenn die Gewerkschaften darauf verweisen, dass bei den Reichen genug Geld da wäre, die Milliardengewinne der Kapitalist:innen nur abgeschöpft werden müssten. Schließlich geht es bei der Tarifrunde nicht um „bessere Argumente“, ein imaginäres, über allen Klassen stehendes „Gemeinwohl“, sondern um gegensätzliche Klasseninteressen. Daher entscheidet nicht der Appell ans „Verständnis“ der Gegenseite, an deren „Vernunft“, sondern die Kampf- und Durchsetzungskraft.

U wie Urabstimmung, S wie Streik

Damit die Forderungen der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst – 10,5 % Entgelterhöhung, mindestens aber 500 Euro, 200 Euro und Übernahme für die Azubis und das alles bei einer Laufzeit von einem Jahr – durchgesetzt werden können, braucht es einen Plan B der Gewerkschaften, genauer einen Plan U wie Urabstimmung und einen Plan S wie Streik. Die GDL, an der es sicher auch viel zu kritisieren gibt, macht zur Zeit vor, wie sich eine Gewerkschaft verhalten sollte, auf deren Forderungen die Gegenseite nicht eingeht. Sie sollte die ganzen Verhandlungsrituale bleiben lassen und den Streik vorbereiten. Und diese Mobilisierung sollte nach einer Urabstimmung auch durchgezogen und nicht wie bei der TVöD-Runde im Rahmen einer Schlichtung geopfert werden.

Daher sollten alle Gewerkschafter:innen bei ver.di, GEW und IG BAU von ihren Funktionär:innen die Durchführung von Mitglieder- und Belegschaftsversammlungen einfordern, wo offen über die weitere Mobilisierung, über die Kampfstrategie, Urabstimmung und Vollstreiks diskutiert und beschlossen wird.

Der Arbeitskampf muss demokratisiert werden. Zur Zeit wird er vollständig von den Gewerkschaftsapparaten und hier an erster Stelle vom ver.di-Apparat kontrolliert. Diese bestimmen die Kampftaktik, die Verhandlungsführung und letztlich auch, welcher Abschluss annehmbar sei.

Wenn wir uns darauf verlassen, wird bei der Tarifrunde allenfalls ein Ergebnis wie beim TVöD rauskommen. Und das ist einfach zu wenig, deckt es doch längst nicht die Preissteigerungen und Einkommensverluste der letzten Jahre und wahrscheinlich auch nicht die Kosten der kommenden. Hinzu droht im öffentlichen Dienst angesichts der Budgetkrise eine weitere Welle von Kürzungen, Personalabbau und Privatisierungen. Auch die müsste jetzt in der Tarifrunde thematisiert und zum Gegenstand der Auseinandersetzung gemacht werden. Doch vor dieser Politisierung scheuen die Gewerkschaftsführungen zurück, weil sie eine direkte Konfrontation mit der Regierung, dem Parlament, Verfassungsgericht und anderen „heiligen“ Kühen fürchten.

Daher sollten nicht nur Mitglieder- und Belegschaftsversammlungen einberufen, sondern auch Streikkomitees gewählt werden. Die bundesweite Streikleitung und die Verhandlungsführung müssen diesen gegenüber rechenschaftspflichtig, durch sie wähl- und abwählbar sein, um einer wirklichen Kontrolle unterzogen zu werden. Statt Geheimverhandlungen brauchen wir öffentliche, transparente Tarifrunden.

Zur Zeit stehen die Beschäftigten der Länder in einer wichtigen Auseinandersetzung. Im Grunde ziehen die Gewerkschaftsspitzen bei dieser Tarifrunde aber nur einmal mehr durch, was sie seit der Pandemie und dem Beginn des Ukrainekrieges immer wieder tun. Sie betreiben Tarifpolitik im Rahmen der Konzertierten Aktion, mittels  sozialpartnerschaftlicher Abkommen zwischen Kapital, Arbeit und Regierung. Die Mobilisierungen verkommen dabei zur Begleitmusik für faule Kompromisse, die vor allem die Konkurrenzfähigkeit des deutschen Kapitals und den Burgfrieden im Rahmen der globalen Konfrontation mit Russland, China und anderen wirtschaftlichen und geostrategischen Rival:innen sichern sollen. Eine solche Politik kann nur auf Kosten der Beschäftigten gehen.

Zur Durchsetzung einer klassenkämpferischen Tarifpolitik braucht es eine Demokratisierung der Gewerkschaften. Diese muss aber Hand in Hand gehen mit dem Aufbau einer klassenkämpferischen politischen Alternative zum bürokratischen,  reformistischen Apparat. Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften stellt dafür einen Ansatz dar. Lasst sie uns gemeinsam aufbauen!




Tarifrunde öffentlicher Dienst der Länder 2023: Wie erfolgreich kämpfen?

Helga Müller, Neue Internationale 278, November 2023

Am 26. Oktober 2023 fand die erste Verhandlungsrunde für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten der Länder im öffentlichen Dienst – davon rund 1,2 Millionen Tarifbeschäftigte und 1,3 Millionen Beamt:innen – statt. Dass die Verhandlungsführung der Länder nicht von einer normalen Tarifrunde ausgeht, hat sie bereits vor Beginn der ersten Verhandlung klar gemacht. Ihre Vertreter:innen faseln von leeren Kassen, für die Forderungen der Kolleg:innen nach 10,5 % bzw. 500 Euro sei kein Geld da. Wie immer seien sie maßlos überzogen.

Gab es in der Tarifrunde von Bund und Kommunen noch eine unerwartet hohe Mobilisierung – sogar höher als in der Tarifrunde von 1992 unter Ägide der ÖTV –, versuchen die Arbeit„geber“:innen jetzt die Gunst der Stunde zu nutzen, um in der Ländertarifrunde einen noch höheren Lohnverlust durchzusetzen als den bei Bund und Kommunen – wohl wissend, dass ver.di und die anderen Gewerkschaften in diesem Bereich über weniger Kampfkraft verfügen als dort.

Kampfansage

Das ist eine Kampfansage an ver.di, GEW und Belegschaften. Sie wollen in dieser Runde einen Einbruch in die Gehaltsstrukturen erreichen. Das ist nichts anderes, als die Kolleg:innen für die Kosten der Milliardenausgaben für die Unterstützung der Unternehmen während der Pandemie und für die Hochrüstung zahlen zu lassen. Dagegen reicht ein Jammern der ver.di-Verhandlungsführerin Christine Behle, dass die Arbeit„geber“:innen der Länder noch nicht verstanden hätten, wie dramatisch die Arbeitssituation der Kolleg:innen ist, nicht. Nein, liebe Christine, die wissen das sehr genau und Du weißt das auch! Sie wollen tatsächlich diese Tarifrunde nutzen, um hier einen größeren Einbruch in das Lohngefüge der Kolleg:innen zu erreichen. Und da hilft kein Hoffen auf die Einsicht bei den Arbeit„geber“:innen. Es geht nicht um „Sachargumente“ im luftleeren Raum, sondern gegensätzliche Klasseninteressen, die auch im öffentlichen Dienst ausgetragen werden.

Die Beschwörung der „Einheit“ aller im öffentlichen Dienst, von Arbeit„geber“:innen und Beschäftigten, hat nie zu einem Erfolg geführt – auch nicht in der letzten Tarifrunde bei Bund und Kommunen mit einer gigantischen Mobilisierung, auf die gestützt ein Durchsetzungsstreik möglich gewesen wäre.

Im Gegenteil, es müssen die Klassenfronten aufgezeigt werden: Wir müssen unsere Existenz – dazu gehören Einkommenserhöhungen, die die Inflation wirklich ausgleichen und die Verluste der letzten Jahre wettmachen –, in einer kollektiven harten Auseinandersetzung mit einer Vollmobilisierung und Massenstreiks durchsetzen!

Das wäre sicherlich auch ein Mittel, um Kolleg:innen, die noch zögern und meinen, man könne den Abschluss des TVöD einfach auf die Tarifrunde der Länder übertragen, davon zu überzeugen, dass konsequente Streiks notwendig sind, um die Forderungen durchzusetzen.

Das Geschwätz von den leeren Kassen

Das Geschwätz von den leeren Kassen muss durchbrochen werden. Der gesellschaftliche Reichtum ist vorhanden: Allein die Automobilindustrie, die am meisten von den Kurzarbeiter:innengeldern und anderen staatlichen Millionensubventionen während der Pandemie profitiert hat, liegt weiterhin auf Gewinnkurs. Im Jahr 2022 erzielten die deutschen Autobauer trotz Krise einen Nettogewinn von 50 Mrd. Euro (Zahlen nach ntv, 5.9.2023). Politische Forderungen wie eine Vermögensabgabe, die Wiedereinführung der Vermögensteuer und vor allem eine progressive Besteuerung von Kapitalgewinnen sind jetzt nötig.

Dies ist umso dringender, weil die Bundesregierung derzeit dabei ist, einen Sparhaushalt durchzusetzen, der 30 Milliarden Einsparungen vor allem im sozialen Bereich vorsieht. Das betrifft auch die Länderhaushalte, die noch weniger abkriegen werden – wie jetzt schon. Gleichzeitig werden die 100 Mrd. an Sondervermögen und jährlichen Ausgaben für den Wehretat von mindestens 2 % des BIP für die Aufrüstung der deutschen Bundeswehr nicht in Frage gestellt. Dieser Sparhaushalt ist nichts anderes als die Umsetzung dessen, dass die Regierungen die Arbeiter:innenklasse – Arbeitende und Arbeitslose – Jugendliche, Rentner:innen und Geflüchtete für die Krise zahlen lassen wollen. Dazu gehört auch das Geschwätz von den angeblich leeren Kassen!

Deswegen ist es dringend notwendig, in dieser Tarifrunde auch diesen politischen Zusammenhang aufzuzeigen und es zu nutzen, um gegen Aufrüstung und Sparhaushalte zu mobilisieren. Die notwendigen Forderungen nach 10,5 % bzw. 500 Euro mehr müssen voll durchgesetzt werden und dies ist nur möglich, wenn eine Perspektive aufgezeigt wird, wer die Verantwortung für Krise und Aufrüstung hat und wer dafür zahlen soll!

Vorbereitung und Mobilisierung

Darauf müssen die Kolleg:innen in den Einrichtungen, Schulen, Krankenhäusern und Betrieben jetzt vorbereitet werden. Dafür ist es essentiell, flächendeckend in den Kampf zu gehen. Ver.di sagt selber immer wieder, dass die Kolleg:innen im öffentlichen Dienst der Länder einen Nachholbedarf haben sowohl gegenüber denen in Bund und Kommunen als auch – und vor allem – gegenüber denen in der Privatwirtschaft.

Dass es möglich ist, auch Kolleg:innen in Bereichen, die bisher nicht so kampfstark waren, in einen unbefristeten Durchsetzungsstreik zu führen, haben die Krankenhausbewegungen für einen Tarifvertrag Entlastung in Berlin und NRW aufgezeigt. Gerade Pflegekräfte galten ja immer als die Belegschaftsteile, die sehr schwer zu Streiks zu bewegen seien, weil sie ihre Patient:innen nicht im Stich lassen wollen. Doch sie haben gezeigt, dass das nicht stimmt.

Dieses Beispiel gilt es, auch im Bereich der Länder aufzugreifen. Sicherlich wurden auch hier Tarifbotschafter:innen bestimmt. Diese müssen aber auch auf ihre Rolle als Träger:innen der Mobilisierung für Streiks und öffentliche Aktionen und vor allem als diejenigen, die auch über die Vorgehensweise zusammen mit den Kolleg:innen in den Dienststellen, Einrichtungen und Betrieben diskutieren und entscheiden, vorbereitet werden. Die Kolleg:innen müssen den Kampf unter ihre Kontrolle bekommen und z. B. auf Streikversammlungen über die Verhandlungen transparent und regelmäßig informiert werden. Vor allem aber brauchen sie die Entscheidung und nicht die Bundestarifkommission, wie der Kampf fortgeführt werden kann. Dafür sind der Aufbau von Streikkomitees, die Delegierte aus den Abteilungen umfassen, die auch jederzeit abwählbar sind, wenn sie ihre Aufgabe nicht erfüllen, sinnvoll und notwendig.

Uns ist bewusst, dass es sehr schwer wird, die Forderungen im öffentlichen Dienst durchzusetzen. Warnstreiks und ein paar Verhandlungsrunden werden nicht ausreichen. Notwendig ist, dass wir unsere gesamte Kampfkraft in die Waagschale werden und so schnell wie möglich die Urabstimmung über einen Vollstreik einleiten. Gegen die mediale Hetze und das Märchen von den leeren Kassen müssen wir gemeinsame Aktionen mit anderen Gewerkschaften und Solidaritätskomitees im Kampf aufbauen. Wenn Geld für Kitas, Schulen, öffentliche Verwaltung angeblich nicht vorhanden ist, dann müssen wir es uns bei den Reichen, Großkonzernen und Banken holen.




TV-L: Richtig kämpfen statt alter Rituale!

Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften Berlin, Flugblatt zur Tarifrunde Länder vom 26. Oktober, Infomail 1235, 30. Oktober 2023

Wir sind mitten drin: Der TV-L und damit verbunden der bundesweite Kampf um den TVStud haben angefangen. Doch bei Bund, Ländern und Kommunen heißt es: „Die öffentlichen Kassen sind leer!” Tarifforderungen der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst werden als „unrealistisch” abgebügelt. Doch während man von „leeren Kassen” redet, stehen für einen Rüstungshaus- halt 71 Milliarden bereit und Industriestrom wird subventioniert, während die Übergewinne der Energieriesen nicht angetastet werden. Geld ist also genug da. Die brennende Frage ist: Wie wird es tabellenwirksam?

Nicht klein reden lassen!

Der ver.di-Vorstand und die Spitzen der anderen Gewerkschaften im Öffentlichen Dienst setzen nicht auf Konfrontation, sondern auf Tarifrundenritual mit Verhandlungen. Zugleich soll dem Vor- gehen ein möglichst demokratischer Anstrich gegeben werden. Daher organisierte ver.di eine Umfrage zu den Forderungen unter den Mitgliedern, deren Fragestellungen jedoch vom Apparat vor- gegeben worden sind.

Statt großer gemeinsamer Mobilisierungen gibt es für jeden Teilbereich eigene Aktionstage – ganz so als ob man vermeiden möchte, dass man auf uns aufmerksam wird. Denn ausbrennen würden wir uns nicht, wenn wir mehrfach auf die Straße gehen. Vielmehr würde das den bisher nicht organisierten und unentschlossenen Kolleg:innen zeigen, dass wir wirklich bereit sind zu kämpfen.

Bei der Umfrage ist das rausgekommen, was die Gewerkschaften auch im TVÖD forderten. Überraschung. Weitergehende Forderungen, wie sie beispielsweise Kolleg:innen der ver.di-Betriebs- gruppe der FU Berlin aufgestellt haben, wurden ignoriert. Wichtig ist vor allem, dass sich der weit hinter den Forderungen zurück- bleibende Abschluss der Kolleg:innen des TVÖD nicht wiederholt. Konkret stehen wir deswegen vor allem für Folgendes ein:

1. Reallohn sichern!

Nach dem heftigen Reallohnverlust der vergangenen Jahre brauchen wir eine kräftige tabellenwirksame Entgelterhöhung, die das ausgleicht und insbesondere die überproportionale Belastung niedrigerer Einkommen durch Inflation, hohe Energiepreise sowie Mieten berücksichtigt. Am 11. Oktober hat die Große Tarifkommission von ver.di die Forderung von 10,5 % bei mindestens 500 Euro aufgestellt.

Wenn die ver.di-Spitze jetzt die gleiche Forderung für den TV-L

aufstellt, wie sie für den TVÖD aufgestellt wurde, kann man davon ausgehen, dass sie auch einen ähnlichen Abschluss anstrebt bzw. damit zufrieden sein wird. Angesichts des schlechteren Organisationsgrades bei den Ländern haben die Bürokrat:innen an der Spitze auch schon ein wohlfeiles Argument, um die Verantwortung für einen noch schlechteren Abschluss abzuwälzen.

2. Tabellenwirksam statt Einmalzahlungen!

Sozialversicherungsfreie Einmalzahlungen als „Ersatzlohn“ („Inflationsausgleichsprämie“) lehnen wir ab, da sie sich auf das Tabellenentgelt nicht auswirken und außerdem die Kolleg:innen benachteiligen, die z.B. über die Hausverträge an den TV-L nur „angedockt“ sind und diese Zahlungen nicht erhalten. Da die Höhe der in Zukunft zu erwartenden Inflation nicht vorherzusagen ist, fordern wir einen automatischen Inflationsausgleich (gleitende Lohnskala), damit der Reallohn mit den steigenden Preisen, die die Beschäftigten in „Echtzeit“ treffen, Schritt halten kann.

Erst recht dürfen wir uns auf keine Zugeständnisse bei der Laufzeit einlassen. 10,5 %/500,-Euro müssen auch wirklich 10,5%/500,- Euro sein. Außerdem bedeutet eine Laufzeit von einem Jahr auch, dass wir rascher auf veränderte Bedingungen reagieren können, ohne dass wir für zwei Jahre oder noch länger wehrlos in der Friedenspflicht hängen.

3. Schluss mit der prekären Beschäftigung Studierender!

Wir unterstützen zugleich die bundesweite TV-Stud-Kampagne für einen Tarifvertrag für die studentischen Beschäftigten an den Hochschulen. In Berlin gibt es zwar schon einen Tarifvertrag, nichtsdestotrotz ist die Lage der studentischen Beschäftigten prekär und sie sind gegenüber TV-L-Beschäftigten benachteiligt. Deshalb fordern wir die Überführung des TV-Stud in den TV-L bzw. TVÖD, um einer Spaltung der Beschäftigten entgegenzuwirken.

Umsetzung erkämpfen!

Wir müssen auch dafür kämpfen, dass die Umsetzung der Forderungen durchgesetzt wird und dass wir nicht wie unsere Kolleg:innen mit TVÖD mit faulen Kompromissen abgespeist werden, die für viele Beschäftigte einen weiteren Reallohnverlust bedeuten.

Dafür ist es notwendig, dass sich die Kolleg:innen, die dafür kämpfen wollen, über die Betriebe, Dienststellen, aber auch über die Bezirke und Länder hinweg enger zusammenschließen. Als Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften wollen wir dafür einen Rahmen bieten, also setzt euch mit uns in Verbindung!

Gleichzeitig müssen die streikenden Kolleg:innen die Möglichkeit erhalten, über Streikmaßnahmen zu diskutieren und zu entscheiden und zwar auf Streikversammlungen, in denen alle zusammengefasst werden. Um dies zu organisieren und damit die Kolleg:innen die Kontrolle über ihren Streik erhalten, ist der Aufbau von Streikkomitees notwendig. Diese sollten z. B. aus demokratisch gewählten Tarifbotschafter:innen der Abteilungen bestehen und auch wieder abgewählt werden können, wenn sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind. Darüber hinaus brauchen die Kolleg:innen die volle Transparenz über die Verhandlungen statt Geheimabsprachen der Bundestarifkommission mit den Arbeit„geber“:innen. Uns ist bewusst, dass es sehr schwer wird, die Forderungen im Öffentlichen Dienst durchzusetzen. Warnstreiks und ein paar Verhandlungsrunden werden nicht ausreichen. Notwendig ist es, dass wir unsere gesamte Kampfkraft in die Waagschale werfen und so schnell wie möglich die Urabstimmung über einen Vollstreik einleiten. Gegen die mediale Hetze und das Märchen von den leeren Kassen müssen wir gemeinsame Aktionen mit anderen Gewerkschaften und Solidaritätskomitees mit dem Kampf aufbauen. Wenn Geld für Kitas, Schulen, öffentliche Verwaltung angeblich nicht vorhanden ist, dann müssen wir es bei den Reichen, bei den großen Konzernen und Banken holen.




An die Vorstände des DGB und seiner Einzelgewerkschaften Israel-Gaza: Nein zu Krieg, Zerstörung und Terror!

Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften, 26. Oktober 2023, zuerst veröffentlicht auf www.vernetzung.org, Infomail 1235, 29. Oktober 2023

Im Folgenden veröffentlichen wir die Erklärung der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften. Auch wenn wir einzelne Formulierungen nicht teilen und für eine klare Unterstützung des palästinensischen Widerstandes eintreten, so halten wir es für einen wichtigen Schritt, dass sich Gewerkschafter:innen klar gegen die Unterstützung der imperialistischen und pro-zionistischen Politik der Bundesregierung und der Vorstände der DGB-Vorstände aussprechen. Vor allem aber halten wir es für wichtig, in den Betrieben und Gewerkschaften gemeinsam für die Meinungs- und Versammlungsfreiheit der Palästina-Solidarität und gegen alle Waffenlieferungen an Israel zu kämpfen.

An die Vorstände des DGB und seiner Einzelgewerkschaften Israel-Gaza: Nein zu Krieg, Zerstörung und Terror!

Wir kritisieren sehr deutlich die einseitigen offiziellen Erklärungen des DGB und der Einzelgewerkschaften der „Solidarität mit Israel“, die keinerlei Kritik am Vorgehen und der Politik des israelischen Staates gegen die palästinensische Bevölkerung und der aktuellen repressiven Politik durch die Bundesregierung enthalten. Aus der Ablehnung des Hamas-Angriffs, den auch wir verurteilen, wird ein Freibrief für die israelische Regierung. Das vernachlässigt wesentliche Ursachen des Krieges in Palästina/Israel.

Die tiefere Ursache für solche Ereignisse und selbst für die Existenz von Organisationen wie der arbeiter*innen- und frauenfeindlichen Hamas liegt in der jahrzehntelangen Besatzung und Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung durch den Staat Israel bzw. die Abriegelung und Belagerung des Gaza Streifens, immer neue Vertreibungen aus Jerusalem und im Westjordanland. Gaza wird zu recht von vielen als „Freiluft-Gefängnis“ bezeichnet. Bei unbewaffneten Protesten gegen die Errichtung der Mauer um dieses Gefängnis wurden über 50 Menschen vom israelischen Militär erschossen, darunter Sanitäter:innen und Journalist:innen. Laut Statistik der UNO wurden in der Zeit von 2008 bis vor den Angriff 308 Israelis und 6407 Palästinenser:innen getötet.

Die Reaktion der Hamas, auf Terror mit Terror zu reagieren, führt zu weiteren Opfern in der Zivilbevölkerung, zur Eskalation und verbaut den Weg, für den wir als Gewerkschafter:innen stehen: Für die Einheit aller Kolleg*innen – egal welcher Nationalität, Religion oder Geschlecht und gegen jede nationale oder rassistische Spaltung!.

Die Reaktion des Staats Israel – die völlige Abschottung des Gaza-Streifens, die Bombardierung und der zu erwartende Einmarsch der israelischen Armee – führt zu erneutem Leid der palästinensischen Bevölkerung, zu tausenden Toten, Vertreibung und der Zerstörung ihrer Lebensgrundlage. Wir fordern ein sofortiges Ende dieser Angriffe und ein Ende der Unterstützung durch die Bundesregierung. Wir sind entsetzt, dass die Bundesregierung sich sogar gegen eine Waffenruhe ausgesprochen hat.

Wir stehen an der Seite der Masse der Bevölkerung auf beiden Seiten, die um ihr Leben, ihre Sicherheit oder ihre Angehörigen bangen. Unsere Gedanken sind bei ihnen.

Wir fordern von unseren Gewerkschaften:

  • Kampf für die Aufhebung aller Verbote und demokratischer Rechte hierzulande, die sich gegen diejenigen richten, die ihre Stimme gegen das Töten der Zivilbevölkerung in Gaza erheben. Für Meinungs- und Versammlungsfreiheit!

  • Gewerkschaftliche Aktionen gegen jede Waffenlieferung!

  • Kampf gegen Antisemitismus und anti-muslimischen Rassismus

  • Offene, demokratische und konstruktive Diskussion in den Gewerkschaften, keine Ausgrenzungen und Diskussionsverbote!

Die Gewerkschaften müssen alle Ansätze für demokratische Massenbewegungen in der Region gegen Krieg, Besatzung, Unterdrückung und Ausbeutung und den Aufbau gewerkschaftlicher Organisationen von Arbeiter*innen und Jugendlichen unterstützen. Diese können, indem sie zusammenkommen, die nationale Spaltung nur von unten und im Kampf für ihre gemeinsamen Interessen überwinden.

Die Welt gerät nicht nur im Nahen Osten in eine immer schlimmer werdende Spirale von Kriegen, Handelskriegen und multipler Krise. Die arbeitende Klasse verliert bei jedem dieser Kriege, egal welche Seite ihre Regierungen unterstützen. Sie braucht daher eine unabhängige Klassenposition in den Konflikten, die die gemeinsamen Interessen der Arbeiter*innen unabhängig von ihrer Nationalität und Religionszugehörigkeit zum Ausdruck bringt. Es ist auch nötig, eine gesellschaftliche Perspektive jenseits des auf Profitmaximierung und Konkurrenz basierenden Kapitalismus zu entwickeln, denn dieser schafft so immer wieder Unterdrückung und Kriege.




TV-L: Die Forderung von 10,5 % und was sie wirklich aussagt

Mattis Molde, Infomail 1233, 14. Oktober 2023

Am 11. Oktober hat die Große Tarifkommission von ver.di die Forderung von 10,5 %, mindestens 500 Euro, aufgestellt. Exakt die gleiche Forderung wie beim TVöD.

Eine echte Diskussion war im Vorfeld nicht zugelassen worden. Auf allen Versammlungen wurden Beiträge zur Höhe der Forderung unterbunden oder gleich gar keine Diskussion vorgesehen. Stattdessen erfolgte eine „Befragung“, in der die Mitglieder jeweils individuell  vorgegebene Fragen beantworten konnten. Keine Diskussion, keine eigenen Vorschläge machen dürfen – das ist „Demokratie“ nach Art der Bürokratie!

Eine solche Art von gesteuerter „Diskussion“ erlaubte es der Führung, eine Forderung aufzustellen, die sie offensichtlich von vorneherein beabsichtigt hatte. Warum aber haben die Spitzenbürokrat:innen nicht im Vorfeld offen für diese geworben? Die Argumente, die sie jetzt vorbringen, hätten auch schon vor 2 Monaten den gleichen Wert gehabt:

  • dass der Öffentliche Dienst doch eine Gemeinschaft sei, egal ob Bund, Länder oder Kommunen,
  • dass die wirtschaftliche Lage ähnlich sei, die Inflation vielleicht sogar etwas zurückgegangen.

Ganz offensichtlich sollte nicht nur eine innergewerkschaftliche Debatte um die soziale Lage, um die Politik der Regierung, die diese mitverursacht hat, um die TVöD-Runde, in der die Gegenseite mal wieder das berüchtigte Schlichtungsabkommen zog – an dem die Bürokratie aber festhält, obwohl es der Gewerkschaft immer nur Nachteile verschafft –, und um einen Abschluss, der ohne richtigen Streik zu einer fetten Niederlage führte, vermieden werden. Statt der geforderten 10,5 %, mindestens aber 500 Euro bei einem Jahr Laufzeit, wurde folgendes vereinbart:

  • Inflationsausgleich von insgesamt 3.000 Euro in Teilzahlungen.
  • 1.240 Euro davon sind bereits in diesem Juni geflossen, weitere 220 Euro dann jeweils in den Monaten von Juli bis Februar 2024.
  • Zum 1. März 2024 sollen die Entgelte in einem ersten Schritt um einen Betrag von 200 Euro angehoben werden.
  • In einem zweiten Schritt soll der dann erhöhte Betrag noch einmal linear um 5,5 Prozent steigen. Die Erhöhung soll allerdings in jedem Fall 340 Euro betragen.
  • Die Laufzeit beträgt 24 Monate.

Dieses Ergebnis war und ist vor allem durch 2-jährige Laufzeit ein herber Reallohnverlust.

Was bedeutet die Forderung konkret?

Wenn man von einer Inflationsrate für 2022 von 8 % und für 2023 von 6 % ausgeht, wie es die ver.di-Oberen z. B. auf der Tarifbotschafter:innen-Versammlung am 11. Oktober getan haben, dann sind das zusammen knapp 14,5 %. Die letzte Tariferhöhung von 2,8 % wurde also komplett aufgefressen, und selbst 10,5 % in 12 Monaten könnten das nicht mehr wettmachen.

Wenn die ver.di-Spitze jetzt die gleiche Forderung für den TV-L aufstellt,  kann man davon ausgehen, dass sie den gleichen oder einen sehr ähnlichen Abschluss anstrebt bzw. damit zufrieden ist. Angesichts des schlechteren Organisationsgrades bei den Ländern haben die Bürokrat:innen an der Spitze auch schon ein wohlfeiles Argument, um die Verantwortung für einen noch schlechteren Abschluss abzuwälzen.

Was bedeutet dieses Vorgehen?

Das antidemokratische Vorgehen der Führung hat eine klare Botschaft: Wir entscheiden, wie die Forderung aussieht, wir entscheiden, ob und wie gekämpft wird, und wir entscheiden, was abgeschlossen wird.

Es bekräftigt die Aussage des TVöD-Tarifkampfes: Ihr könnt die Forderung von unten hochdrücken, ihr könnt Euch und Eure Kolleg:innen besser mobilisieren als die letzen 15 Jahre, wir drücken trotzdem das durch, was wir für richtig halten, was wir mit der Regierung in der Konzertierten Aktion vor einem Jahr abgesprochen haben, und wir werden es schaffen, uns durch „Befragungen“ oder „Voten“ eine Legitimation zu holen.

Es bekräftigt die Gesamtaussage aller großen Tarifauseinandersetzungen des letzten Jahres, dass, egal wie hoch der Organisationsgrad und die Kampfbereitschaft sind, sie schützen nicht davor, in Tarifverhandlungen von der Führung ausverkauft zu werden. Im Verlauf des letzten Jahres haben Chemie, Metall, TVöD, Post und EVG sehr ähnliche Abschlüsse erzielt. Viele Gewerkschaften, aber eine Politik!

Was bedeutet dies für kämpferische Gewerkschafter:innen?

Es darf keinesfalls bedeuten, jetzt auf den Tarifkampf zu verzichten. Das würde gerade den rechten Bürokrat:innen in der Gewerkschaft entgegenkommen. Die verzichten gerne auf kämpferische Leute und stützen sich auf Trägheit und Gehorsam.

Zum Zweiten würde die Gegenseite eine Schwäche der Gewerkschaft sofort ausnutzen, einen noch schlechteren Abschluss durchzudrücken.

Für uns kommt es darauf an, den Kampf für ein gutes Ergebnis damit zu verbinden, die Kolleg:innen in unseren Betrieben zu aktivieren, zur Kritik an der Gewerkschaftsbürokratie anzuregen und diese auch in die Gewerkschaft gemeinsam hineinzutragen. Wir müssen in der Tarifrunde darum kämpfen, dass die Mobilisierung unter Kontrolle der Basis stattfindet, es keinen Abschluss ohne deren Zustimmung geben darf. Wir müssen uns klar vor Augen halten, dass wir nur dann die Forderungen durchsetzen können, wenn wir uns nicht auf Geheimverhandlungen einlassen, sondern möglichst rasch zur Urabstimmung und zu einem flächendeckenden Streik kommen. Natürlich wird das schwer, aber wir müssen dafür nicht nur breit im öffentlichen Dienst mobilisieren, sondern die Auseinandersetzung verbreitern und gemeinsam mit anderen Gewerkschaften führen.

Dazu ist nötig, dass wir uns auf allen Ebenen vernetzen und eine oppositionelle, klassenkämpferische Basisbewegung aufzubauen, so dass wir von kritischen Betriebsgruppen zu einer bundesweiten ver.di-Opposition z. B. im Rahmen der VKG kommen. Nur so können wir die Tricks und Manöver der Bürokratie erkennen und bekämpfen und einen wirklichen Kurswechsel in den Gewerkschaften herbeiführen.




Tarifrunde öffentlicher Dienst der Länder: Für die Durchsetzung eines realen Inflationsausgleichs!

Helga Müller, Neue Internationale 277, Oktober 2023

Am 11. Oktober 2023 entscheidet die Bundestarifkommission von ver.di über die Forderungen für die Tarifrunde im öffentlichen Dienst der Länder. Derzeit läuft die Online-Mitgliederbefragung zu den Forderungen.

Auch einzelne betriebliche Organe wie die ver.di-Betriebsgruppe der FU-Berlin – diese hat eine Petition gestartet – haben ihre Forderungen aufgestellt. Inwieweit diese von der Bundestarifkommission aufgenommen werden, bleibt dabei völlig im Unklaren. In der letzten Tarifrunde im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen konnte aufgrund des Drucks von unten eine höhere Forderung als vom Bundesvorstand beabsichtigt durchgesetzt werden.

Im Unterschied zu den Ländern gibt es vor allem bei den Kommunen eine viel höhere gewerkschaftliche Organisierung und auch viel mehr Erfahrung mit Voll- und Warnstreiks. Aber auch bei den Ländern existieren wichtige Erfahrungen aus Kämpfen und, wie diese aufgebaut werden können, teilweise auch gegen den Willen der Gewerkschaftsverantwortlichen. Insbesondere die Krankenhausbewegungen von Berlin und NRW, die ja zum größten Teil Unikliniken umfassten, zeugen von dieser Erfahrung.

Zusätzlich zu den Länder- kämpfen auch die studentisch Beschäftigten für einen Tarifvertrag (TVStud). Ein solcher wurde bisher nur in Berlin durchgesetzt. Gerade studentische Hilfskräfte müssen unter äußerst prekären Bedingungen arbeiten: befristete Verträge, schlechte Bezahlung, die noch hinter der der Länderbeschäftigten hinterherhinkt, um ihr Studium zu finanzieren. Sinnvoll wäre es, die Forderungen der Studierenden direkt in den Katalog der Tarifrunde Länder aufzunehmen und den bisherigen TVStud zu einem Bestandteil des TV-L zu machen, um die gemeinsame Kampfkraft von studentischen und Länderbeschäftigten zusammenzuführen und damit durchsetzungsfähiger zu werden.

Und der Vorstand?

Auf Mobilisierung und Durchsetzungsstreiks scheint es der Vorstand von ver.di aber nicht anzulegen. Der Bundesvorstand hat bereits drei Verhandlungstermine festgelegt: Der erste findet am 26. Oktober, der zweite am 2./3. November und der dritte – nach der Regie des Bundesvorstands auch letzte Verhandlungstermin – am 7./8. Dezember statt.

In der Zwischenzeit erfolgen in der Regel einzelne Warn- und noch keine Durchsetzungsstreiks. Erst wenn es in der dritten Verhandlungsrunde zu keiner Einigung kommt, dann kann die Bundestarifkommission eine Urabstimmung über unbefristete Streiks durchführen. Aber auch das ist noch keine Garantie, dass es dazu kommt, wie die letzte Tarifrunde zum TVöD gezeigt hat.

Der ver.di-Vorstand und die Spitzen der anderen Gewerkschaften im öffentlichen Dienst setzen nicht auf Konfrontation, sondern auf Tarifrundenritual mit Verhandlungen. Zugleich soll dem Vorgehen ein möglichst demokratischer Anstrich gegeben werden. Daher organisiert ver.di eine Umfrage zu den Forderungen unter den Mitgliedern, deren Fragestellungen jedoch vom Apparat vorgegeben werden. Hinzu kommt, dass die einzelnen Gewerkschafter:innen hier nicht nach einer demokratischen Diskussion z. B. in ihrer Betriebsgruppe abstimmen, sondern individualisiert online ihre Kreuzchen machen müssen. Eine wirkliche Debatte um Forderungen sieht anders aus.

Aber zunächst geht es einmal darum, für Forderungen zu kämpfen, die auch wirklich einen Inflationsausgleich für alle bedeuten. Wir schließen uns hier den meisten Forderungen, die die Kolleg:innen der ver.di-Betriebsgruppe der FU Berlin aufgestellt haben, an. Diese sollten, wie in der Petition vorgeschlagen, von möglichst vielen Betriebsgruppen, Vertrauensleutestrukturen, aber auch ver.di-Ortsvereinen, -Fachgruppen, -Landesfachbereichsvorständen diskutiert, beschlossen und an die Bundestarifkommission und den Bundesvorstand geschickt werden, um einen möglichst hohen Druck auf diese auszuüben:

  • 1.000 Euro für alle!
  • Automatische Anpassung an die Inflation!
  • Überführung TV Stud in TV-L!
  • Übernahme der Azubis in unbefristete Verträge!
  • Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!
  • Laufzeit von einem Jahr – maximal bis Ende 2024!

Politische Rahmenbedingungen

Aber gerade in den Tarifrunden des öffentlichen Dienstes kommt es darauf an, auch den politischen Rahmen, in dem die Verhandlungen stattfinden, mit aufzunehmen: Derzeit laufen die Lesungen zum Bundeshaushalt. Hier hat die Ampelregierung deutlich gemacht, in wessen Interesse sie handelt: Einzig der Rüstungshaushalt soll massiv erhöht werden (100 Milliarden Euro Sondervermögen, in Zukunft sollen mindestens 2 % des BIP für den Rüstungsetat aufgewendet werden). Alle anderen Ressorts müssen sich auf Kürzungen gefasst machen. Insgesamt sollen 30 Milliarden Euro an Kürzungen umgesetzt werden. Gleichzeitig möchte FDP-Finanzminister Lindner die Schuldenbremse wieder in Kraft setzen. Wer dies zahlen soll, ist jetzt schon klar: wir Beschäftigten, ob in der Privatwirtschaft oder beim Land, Bund oder in den Kommunen, die Jugendlichen, Kinder, Rentner:innen, Arbeitslosen, Asylsuchende und Migrant:innen – die Mehrheit der Bevölkerung.

Den Länderbeschäftigten wird vorgehalten, dass kein Geld für höhere Löhne in den Kassen und von daher nicht viel zu erwarten sei.

Aber Geld ist da, vor allem die Energieunternehmen, aber auch die Autoindustrie haben trotz Krise und Pandemie Rekordgewinne erzielt, die abgeschöpft werden müssen durch eine Übergewinnsteuer und eine progressive Erhöhung der Steuerabgaben auf Kapitaleinkommen. Dann wäre genug Geld in den öffentlichen Kassen! Ein Inflationsausgleich ist machbar! Die Kolleginnen und Kollegen können auf eine kräftige Lohnerhöhung nicht verzichten! Zum einen sind die Preise gerade bei den Lebensmitteln, bei der Energie immer noch sehr hoch und zum anderen hat die letzte Tariferhöhung von 2021 nur eine bescheidene Erhöhung von 2,8 % gebracht. Schon von daher brauchen wir in dieser Tarifrunde einen wirklichen Inflationsausgleich! Mit Einmalzahlungen ist das nicht zu machen – was wir brauchen ist eine reale Erhöhung auf die Tariflöhne!

Nicht nur die Forderungen, wie oben vorgeschlagen, müssen gegen den Bundesvorstand durchgesetzt, sondern auch deren Umsetzung erzwungen werden – wie es auch schon die Tarifrunde im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen gezeigt hat. Dafür ist es notwendig, dass sich die Kolleg:innen, die dafür kämpfen wollen, über die Betriebe, Dienststellen, aber auch über die Bezirke und Länder hinweg enger zusammenschließen. Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften und ihre lokalen Strukturen bieten dafür einen Rahmen. Setzt Euch mit diesen in Verbindung!

Gleichzeitig müssen die streikenden Kolleg:innen die Möglichkeit erhalten, über Streikmaßnahmen zu diskutieren und zu entscheiden, und zwar auf Streikversammlungen, in denen alle zusammengefasst werden. Um dies zu organisieren und damit die Kolleg:innen die Kontrolle über ihren Streik erhalten, ist der Aufbau von Streikkomitees, die z. B. aus demokratisch gewählten Tarifbotschafterinnen aus den Abteilungen bestehen sollten, die auch wieder abgewählt werden können, wenn sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind, notwendig. Darüber hinaus brauchen die Kolleg:innen die volle Transparenz über die Verhandlungen statt Geheimabsprachen der Bundestarifkommission mit den öffentlichen Arbeit„geber“:innen.




Schlechte Abschlüsse – nicht mit uns!

Was tun gegen Sozialpartner:innenschaft und Ausverkauf?

Gegenwehr! Betriebs- und Gewerkschaftsinfo der Gruppe Arbeiter:innenmacht, Mai 2023, Infomail 1222, 13. Mai 2023

Die Tarifrunde im öffentlichen Dienst wie schon zuvor die bei Post und Metall haben Hoffnung gemacht. Hoffnung, dass nach Corona und trotz Krieg und Kriegshetze, trotz Krise oder gerade deswegen die Kampfbereitschaft an der Basis wieder steigt. Vor allem im Kampf um den TVöD hat sich gezeigt, dass eine Schicht neuer, junger und kämpferischer Kolleg:innen auf den Plan getreten ist. Es gab zehntausende Neueintritte.

Aber die Abschlüsse haben mehreres gemeinsam: Sie bringen einen massiven Reallohnverlust, das Kampfpotential wurde nicht ausgeschöpft und gerade die aktivsten Kolleg:innen wurden durch die Manöver der Gewerkschaftsspitzen frustiert. Ja, gerade dort, wo ungewohnte Aktionen wie der „Megastreiktag“ von ver.di und EVG das Mobilisierungs- und Machtpotential deutlich gemacht haben, ist der Frust am höchsten.

Wieso haben unsere Gewerkschaften solch nachteiligen Abschlüssen zugestimmt? An den historisch klammen Kassen der Bosse oder des Staates kann es nicht liegen, verzeichnen diese doch trotz Krisen starke Gewinne bzw. hohe Steuereinnahmen. Als klassenkämpferische Gewerkschafter:innen stellen wir uns die Frage, warum die Chancen nicht ergriffen worden sind, wirkliche Siege zu erringen und die Weichen für eine Umkehr des jahrzehntelangen Niedergangs zu stellen. Welche Rolle hat die Gewerkschaftsbürokratie bei diesen Abschlüssen gespielt und welche Lehren sollten wir für kommende Tarifauseinandersetzungen daraus ziehen?

Am Beispiel des öffentlichen Diensts können wir sehen, dass sich unsere Gewerkschafsführungen mit den Arbeit„geber“:innen aus Bund, Ländern und Kommunen auf unsere Kosten auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt haben: zahlreiche Nullmonate, überlange Laufzeit, steuerfreie Einmalzahlungen, obwohl diese lange und vehement als nicht akzeptabel abgelehnt wurden. Offiziell ist der Abschluss zwar nicht unterschrieben und die Gewerkschaftsmitglieder werden noch „befragt“. Dieses Votum ist aber nicht bindend, weder für den Vorstand noch für die Bundestarifkommission. Gleichzeitig findet es in einem Diskussionsklima statt, wo sich herbe Enttäuschung unter den Mitgliedern breitgemacht hat und unsere Führung ihre Positionen und Gesprächshoheit nutzt, um für die Annahme zu werben und den Abschluss als eine „historische Sensation“ darzustellen. Hierbei bedient sie sich auch billiger Rechentricks, um von ihrem Ausverkauf abzulenken.

Inflationsausgleich

Lange wurde uns gesagt, dass wir eine steuerfreie Inflationsausgleichszahlung nicht hinnehmen und nur tabellenwirksame Änderungen annehmen werden. Zwar hören sich für einige Kolleg:innen die 3.000 Euro gut an – vor allem in Verbindung mit der grassierenden, historisch hohen Inflation. Das Ergebnis bringt uns zwar kurzfristig mehr Geld, aber keine Punkte bei der Rente. Es gibt kein Urlaubs- oder Weihnachtsgeld darauf und diese Sonderzahlungen gehen nicht in die Berechnung von Arbeitslosen- und Elterngeld mit ein. Die Arbeit„geber“:innen sparen aber richtig und der Staat zahlt durch Steuerverzicht. Wen werden die daraus resultierenden Sparmaßnahmen treffen? Die Bundeswehr oder uns durch Streichungen von Sozialausgaben?

Konzertierte Aktion

Steuer- und abgabenfreie Lohnzahlungen sind eigentlich gesetzwidrig. Dass sie in den derzeit stattfindenden Tarifrunden überhaupt Anwendung finden können, haben wir den gemeinsamen Gesprächen zwischen Regierung, Gewerkschaften und Arbeit„geber“:innen im Sommer 2022 zu verdanken. Den Spitzen von ver.di, aber auch den restlichen DGB-Gewerkschaften war klar, auf was sie sich bei dieser Konzertierten Aktion eingelassen haben und wo die Haken sind. Sie wussten ebenfalls, dass dies nicht nur zum Spaß vereinbart wurde, sondern ihre Aufgabe darin bestand und besteht, es uns Kolleg:innen zu verkaufen oder zur Not am Ende durchzudrücken.

Warum wurden die Tarifrunden nun ausverkauft?

Ein eindrucksvolleres Bespiel für Sozialpartner:innenschaft kann es eigentlich nicht geben. Anstatt ihrer Mitgliedschaft voll und ganz den Rücken zu stärken und in ihrem Sinne die Verhandlungen zu führen und Tarifauseinandersetzungen mit der vollen Kampfkraft der Kolleg:innen zuzuspitzen, konzentrieren sich die Gewerkschaftsspitzen eher darauf, den „am ehesten machbaren“ Kompromiss herauszuholen. Dieser konzentriert sich dann darauf, was am ehesten für den Staat oder die Unternehmen zu verkraften ist und stellt somit die Interessen der Belegschaften hintenan. Hinzu kommt, dass in der aktuellen angespannten Weltlage eine monatelange Streikauseinandersetzung nicht nur den Arbeit„geber“:innen, sondern auch der Bundesregierung ein Dorn im Auge wäre.

Das heißt: Wie auch bei der Corona-Krise werden wir Beschäftigte nun aufgrund des Krieges mit Krümeln vertröstet. In Zeiten der Inflation, nach Kurzarbeit ist das für viele nicht mehr tragbar. Vor allem zeigt das aber eines: Es reicht nicht, nur kämpferischer zu sein und unsere Streikbereitschaft zu zeigen. Wenn wir nicht wollen, dass unsere Kämpfe mit Kompromissen beendet werden, dann müssen wir grundlegend in den Gewerkschaften selbst etwas ändern.

Dabei ist es zentral zu verstehen, dass es nicht ausreicht, einfach nur die Posten in der Bürokratie mit Träger:innen politisch linker Positionen zu besetzen oder andere Organisierungsmodelle einzusetzen. Denn auch wenn einige kämpferisch rangehen, muss es vielmehr unser Ziel sein, die Bürokratie als System abzuschaffen. Das Problem ist nämlich, dass sie durch ihre Funktion selbst – als Vermittlerin zwischen Lohnarbeit und Kapital – ein Eigeninteresse entwickelt hat, nicht „zu radikal“ aufzutreten. Auf der einen Seite muss das Interesse der Beschäftigten berücksichtigt werden, aber eben nur so weit, wie es den Arbeit„geber“:innen nicht wirklich wehtut. Erfüllt sie diese Rolle nicht, würde sie ihre eigene Lebensgrundlage verlieren. Deswegen ist es wichtig, dafür einzutreten, dass solche Posten zum einen immer rechenschaftspflichtig sind sowie wähl- und abwählbar und niemand mehr verdient als den Durchschnittslohn. Das allein ist keine Garantie für kämpferische Entscheidungen, jedoch bringt es uns Kontrolle darüber, wer beispielsweise Abläufe von Tarifrunden organisiert.

Kündigt die Schlichtungsvereinbarungen!

Einen ersten praktischen Schritt kann eine Kampagne gegen die Schlichtungsvereinbarung setzen. Schließlich müssen wir aus Fehlern lernen, um nicht noch mehr Kolleg:innen zu demotivieren. Denn dass es in der Tarifrunde für den öffentlichen Dienst zu einem Schlichtungsverfahren gekommen ist, ist nicht weiter verwunderlich. Ver.di und der VKA trafen eine Vereinbarung, die eine der beiden Seiten dazu verpflichtet, einer Schlichtung zuzustimmen, wenn es die andere wünscht. Wie schon bei der Konzertierten Aktion spielte diese Vereinbarung in den Köpfen der ver.di-Verhandlungsführer:innen eine Rolle bei ihrer „Taktikfindung“. Gleichzeitig ermöglichte sie ihnen auch, sich rhetorisch bis zur Schlichtung kämpferischer darzustellen, um dann durch die Schlichtung den sozialpartner:innenschaftlichen Kompromiss auszuhandeln.

Weiterhin erfüllte die Schlichtung auch die Funktion, die Mobilisierungen der Kolleg:innen zu bremsen und die Diskussionen aus den Streikversammlungen/-cafés hin in die Schlichtungskommission zu lenken. Anstatt das Schlichtungsabkommen als in Stein gemeißelt anzuerkennen, hätte ver.di das Abkommen fristgerecht für diese Tarifrunde kündigen können. Hierzu wurden auch in unterschiedlichen Städten, z. B. in Berlin, Anträge in Streikversammlungen eingebracht und mit großer Mehrheit angenommen. Auch wenn diese Anträge für die Tarifkommission nicht bindend waren, konnten sie als Gradmesser verwendet werden, um die Stimmung der Kolleg:innen abzubilden sowie Druck auf die Tarifkommission und die ver.di-Führung auszuüben. Des Weiteren hätten die Verhandlungen als gescheitert erklärt werden sollen, um die Urabstimmung für einen unbefristeten Erzwingungsstreik für unsere Forderungen vorzubereiten und diesen auf den Weg zu bringen. Jetzt gilt es, uns zu organisieren und unter anderem dagegen aufzustellen, sodass sich das nicht erneut wiederholt!

Urabstimmung = Erzwingungsstreik?

Eine Urabstimmung wäre also der richtige nächste Schritt für die Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst gewesen. Diesen hätten wir entgegen der Taktik des Vorstands und der Verhandlungsführer:innen von unten durchsetzen müssen. Aber hätte ein positives Ergebnis auch gleichzeitig bedeutet, dass es zu einem Erzwingungsstreik gekommen wäre? Hier lohnt es, auf die Tarifverhandlungen bei der Post zu schauen. Auch hier war die Streikbeteiligung sehr hoch und kämpferisch, die Urabstimmung wurde von der ver.di-Führung eingeleitet, dann aber trotz breiter Zustimmung der Beschäftigten nicht als Mandat für einen Erzwingungsstreik verwendet, sondern ganz in sozialpartner:innenschaftlicher Manier als „Verhandlungsmasse“ angesehen. Es wurde nicht gemäß dem Wunsch der Kolleg:innen gehandelt, sondern nur der „Druck“ auf die Arbeit„geber“:innenseite forciert, um das Angebot zu verbessern. Dass dadurch der Abschluss in keinster Weise besser ausfiel als das letzte Angebot vor der Urabstimmung, störte die ver.di-Führung nicht. Sie verkaufte es dennoch als Gewinn für die Kolleg:innen, die ohne das klare Statement in der Urabstimmung nicht zustande gekommen wäre. Auch hier zeigt sich wieder, dass die Gewerkschaftsführung ihrem Charakter nach in erster Linie auf Kompromisse aus ist und nicht die Interessen der Beschäftigten vertreten kann und möchte. Das macht verständlicherweise wütend! Lasst uns diese Wut nutzen, um nachhaltig was zu verändern. Statt Geheimniskrämerei und Pseudointegration brauchen wir deswegen:

  • Nein zu allen Gesprächen hinter verschlossenen Türen, keine Geheimhaltungspflicht für die Tarifkomissionen! Verhandlungen sollen öffentlich über das Internet übertragen werden!
  • Keine Abschlüsse ohne vorherige Abstimmung unter den Mitgliedern! Rechenschaftspflicht und Wahl der Tarifkommission durch die Basis!
  • Regelmäßige Streikversammlungen in allen Betrieben und Abteilungen! Wähl- und Abwählbarkeit der Streikleitungen durch die Mitglieder!
  • Für den Aufbau einer klassenkämpferischen Basisopposition in den Gewerkschaften! 

Wut im Bauch? Aufbau einer Basisopposition statt Austritt!

Die Forderungen, für die wir mobilisiert wurden und für welche wir neue Kolleg:innen für die Gewerkschaften gewonnen haben, wurden erneut von ver.di nicht ernst genommen. Die Mobilisierungen wurden ausgebremst und die Argumente der Gegenseite übernommen. Es ist völlig verständlich, wenn sich viele nun verraten fühlen und sich ihre Mitgliedschaft nochmal durch den Kopf gehen lassen. Was wir aus diesen Erfahrungen jedoch lernen sollten, ist nicht, dass eine Mitgliedschaft in den Gewerkschaften sinnlos ist. Ganz im Gegenteil, sie zeigen, dass es eine organisierte Opposition gegen die Führungen innerhalb der Gewerkschaften braucht, um sich gemeinsam zu vernetzen und gegen die Argumente von oben zu bewaffnen und zu koordinieren. Dafür arbeiten wir als Gruppe Arbeiter:innenmacht in der „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG)“ mit und rufen alle Kolleg:innen und Strukturen mit dem gleichen Ziel dazu auf, sich daran zu beteiligen. (Werbung für Workshop der VKG auf der Konferenz)

Klassenkämpferische Basisbewegung und politische Alternative

Eine organisierte, antibürokratische Opposition in den Gewerkschaften muss unserer Meinung nach nicht nur, wie oben skizziert, für Arbeiter:innendemokratie und eine konsequente Tarifpolitik kämpfen. Sie muss auch eine politische Alternative zur Sozialpartner:innenschaft und zum Reformismus der Bürokratie verkörpern.

Das heißt, eine klassenkämpferische Opposition braucht ein Programm des Klassenkampfes, das nicht nur gewerkschaftliche und betriebliche Forderungen konsequent vertritt, sondern alle Fragen von Unterdrückung und Ausbeutung wie Krieg, Rassismus, Sexismus, Imperialismus und ökologische Zerstörung thematisiert. Es braucht ein Programm, das über den rein gewerkschaftlichen Rahmen hinausgeht, nicht nur für höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten eintritt, sondern das System der Lohnarbeit, den Kapitalismus selbst in Frage stellt. Das heißt, wir müssen nicht nur den Aufbau eine Opposition in den Gewerkschaften diskutieren, sondern auch die Frage, welche politische Organisation wir brauchen, wie wir eine neue, revolutionären Arbeiter:innenpartei aufbauen können, welche Politik und welches Programm dazu notwendig sind.Mehr Demokratie?

Nach dem Streik ist vor dem Streik? Der TVöD/BK ist fast abgeschlossen und viele Kolleg:innen sind enttäuscht. Statt uns zu ärgern, den Kopf in den Sand zu stecken oder einfach auszutreten, wollen wir uns vernetzen und die Situation nutzen, um nachhaltig was zu verändern! Wenn du also Interesse hast, mit deinen Kolleg:innen die letzten Tarifrunden kritisch auszuwerten, dann komm vorbei! Unser Ziel ist, unsere Erfahrungen zu nutzen und unsere Kolleg:innen, bei denen Tarifverhandlungen direkt vor der Tür stehen, wie bei der EVG, direkt zu unterstützen. Denn die Probleme sind keinesfalls auf ver.di beschränkt, sondern haben System. Wenn wir also was verändern wollen, müssen wir uns zusammenschließen und gemeinsam für die Demokratisierung der Gewerkschaften kämpfen. Wie genau das aussehen kann und welche Initiative wir starten wollen, besprechen wir auf unserem Treffen!




Tarifverhandlungen öffentlicher Dienst: Nein zum Abschluss!

Jaqueline Katherina Singh / Martin Suchanek, Infomail 1221, 24. April 2023

„Das ist eine nachhaltige Steigerung der Einkommen, die beachtlich ist“, lobt der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke die Tarifeinigung zwischen Gewerkschaften und den sog. Arbeitergeber:innen bei Bund und Kommunen über den grünen Klee. Natürlich, so die Spitzen der Gewerkschaften, hätte der Abschluss auch „schmerzliche“ Seiten, doch das gehöre schließlich zu einem Kompromiss.

In den bürgerlichen Medien wird von „der größten Tariferhöhung seit Jahrzehnten im öffentlichen Dienst“ geschrieben und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) spricht von einem „guten und fairen Tarifabschluss“. Doch wir wissen, dass das nicht stimmt. Denn das Ergebnis ist mehr als bescheiden.

Einigung: Was ist drin?

Die Gewerkschaften und die sog. Arbeitgeber:innenverbände haben somit einen Abschluss erzielt, der faktisch dem Ergebnis der Schlichtung gleichkommt:

  • Inflationsausgleich von insgesamt 3.000 Euro in Teilzahlungen.

  • 1.240 Euro davon sollen bereits in diesem Juni fließen, weitere 220 Euro dann jeweils in den Monaten von Juli bis Februar 2024.

  • Zum 1. März 2024 sollen die Entgelte in einem ersten Schritt um einen Betrag von 200 Euro angehoben werden.

  • In einem zweiten Schritt soll der dann erhöhte Betrag noch einmal linear um 5,5 Prozent steigen. Die Erhöhung soll allerdings in jedem Fall 340 Euro betragen.

  • Die Laufzeit soll sich auf 24 Monate erstrecken.

Konkret bedeutet das: 2023 gibt es einer Nullrunde und es wird versucht, das mit einer Einmalzahlung schönzureden, die über Monate verteilt ankommt, Aber das ist nur einer der Kritikpunkte. Das wohl größte Problem stellt die Laufzeit von zwei Jahren dar. Wird die tabellenwirksame Entgelterhöhung darauf berechnet, so entpuppt sich die „beachtliche“ Einkommenssteigerung als Reallohnverlust.

Kurzum: Politisch stellt das Ergebnis einen Ausverkauf dar und eine Niederlage der Gewerkschaften. Das betrifft einerseits das materielle Ergebnis, d. h. vor allem die lange Laufzeit. Vor allem aber wurde eine weitere Chance vertan, mit einer kämpferischen Tarifrunde und einem unbefristeten Streik eine reale Trendwende durchzusetzen. Außerdem hätte die Auseinandersetzung mit der bei der Bahn und anderen Lohnkämpfen verbunden werden können (z. B. an den Flughäfen).

Ironischer Weise hat Frank Werneke durchaus recht, dass selbst dieser Abschluss nur zustande kam, weil Hunderttausende aktiv die Warnstreiks getragen haben,  Zehntausende ver.di und anderen Gewerkschaften beigetreten sind. Aber sowohl in den Diskussionen wie bei den Arbeitsstreiks wurde deutlich: Nach Jahren des Reallohnverlustes und angesichts von Preissteigerungen, die für Grundbedürfnisse wie Wohnen, Lebensmitteln, Energie weit über der Inflationsrate liegen, wollen die Mitglieder nicht nur einen Ausgleich auf dem Konto, sondern sind dafür auch bereit, in einen zähen, langwierigen Kampf zu treten.

Das betrifft vor allem die kämpferischen Sektoren im öffentlichen Dienst – und zwar nicht nur die traditionellen „schweren Bataillone“ wie Stadtreinigung und Nahverkehr, sondern vor allem auch neue Avantgardeschichten wie in den Krankenhäusern, die sich in den letzten Jahren in gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen formiert haben.

Bremsklotz Bürokratie

Diese Entwicklung wird mit dem Abschluss faktisch von der Bürokratie ausgebremst. Eine Streikbewegung hätte nämlich eine weitere Zuspitzung des Klassenkampfes erfordert. Sie hätte zumindest das Potential gehabt, das sozialpartnerschaftliche Tarifritual zu durchbrechen.

Genau das will der sozialdemokratisch dominierte Gewerkschaftsapparat aber nicht. Er zieht einen faulen Kompromiss einer solchen Konfrontation vor. Das ist eine für Revolutionär:innen sicher nicht neue Lehre, die sich aber die kämpferischen Schichten selbst zu eigen machen müssen.

Es reicht daher nicht, den Abschluss zu verdammen. Und es wäre falsch, aus Frust aus den Gewerkschaften auszutreten. Aber es ist unbedingt notwendig, sich klarzumachen, warum die Führung, warum deren Apparat, warum die von ihr kontrollierte Tarifkommission so handeln.

Die reformistische Gewerkschaftsführung und ihre Bürokratie sind nicht einfach bessere oder schlechtere Vertreter:innen der Klasse. Sie hegen ein Eigeninteresse als Vermittler:innen zwischen Belegschaften und Dienstgeber:innen bzw. Unternehmer:innen im ökonomischen Kampf. Sie müssen zwar bis zu einem gewissen Grad auch mobilisieren, um den „Verhandlungspartner:innen“ ihre Stärke zu zeigen – aber sie wollen um fast jeden Preis am sozialpartnerschaftlich regulierten Tarifritual festhalten. Sozialpartnerschaft ist aber nicht nur ein Verhalten, sondern hat einen Inhalt: Die Interessen des deutschen Kapitals und seines Staates im Lande und auch globalen Konflkikten gegen die internationale Konkurrenz zu schützen.

Zur Zeit wollen auch (noch) die Regierung und auch (noch) Spitzen der „Arbeitgeber:innenverbände“ an dieser Partnerschaft festhalten.

Gleichzeitig ist dies jedoch nicht unveränderlich. Denn die Tarifrunde zeigt, dass diese Form der Regulierung des Klassengegensatzes bröckelt, beispielsweise der Unmut bei den Vertreter:innen der Kommunen, die letztlich für eine härtere Gangart des Kapitals insgesamt stehen. Die Absetzbewegung gibt es aber auch bei uns. In den Warn-, Arbeitsstreiks und auch bei den Versammlungen zur Schlichtung wurde eine breite Ablehnung des Ergebnisses durch politisch bewusstere und kämpferischere Schichten sichtbar.

Nein bei der Befragung

Noch vor den Verhandlungen hatte sich die ver.di-Führung verpflichtet, die Mitglieder zum Ergebnis zu befragen. Es geht hier aber nicht um demokratische Entscheidungen. Selbst wenn 100 % mit Nein stimmen würden, wäre die Führung daran nicht gebunden.

Ver.di inszeniert vielmehr ein pseudodemokratisches Stimmungsbild, ein Plebiszit, um sich für den schlechten Abschluss die Legitimation der Mitglieder einzuholen.

Wir brauchen uns hier nichts vorzumachen. Angesichts des medialen Trommelns für den Abschluss und des innerorganisatorischen Informationsmonopols des Apparates ist eine Zustimmung bei der Befragung, die bis zum 14. Mai läuft, faktisch sicher.

Aber alle kritischen und kämpferischen Gewerkschafter:innen sollten die Abstimmung nutzen, um möglichst viele für ein Nein zu gewinnen, denn das Ergebnis wird auch einen Gradmesser für die innergewerkschaftliche Stimmung und bis zu einem gewissen Ausmaß für das Kräfteverhältnis abgeben.

Noch wichtiger als die Abstimmung ist, dass wir die Diskussionen und Versammlungen der nächsten Tage und Wochen nutzen, um das Nein möglichst stark und öffentlich sichtbar zu machen. Dazu braucht es Versammlungen von Streikaktivist:innen, von Betriebsgruppen in den Unternehmen und Abteilungen. Diese sollten nicht nur den Abschluss diskutieren und ihre Kritik artikulieren. Sie sollen auch Beschlüsse fassen, die zum Nein bei der Befragung aufrufen.

Sie sollen außerdem dazu aufrufen, dass Vorstand und Tarifkommission im, wenn auch unwahrscheinlichen, Fall einer Mehrheit gegen den Abschluss an dieses Ergebnis gebunden sein müssen. Sie müssen außerdem dazu aufgefordert werden, in diesem Fall die Urabstimmung einzuleiten und den Kampf für die ursprünglichen Forderungen – also 10,5 % und mindestens 500 Euro für alle bei einem Jahr Laufzeit – einzuleiten.

Solche Beschlüsse sollten öffentlich gemacht werden, um zu verdeutlichen, dass kritische Betriebsgruppen und Versammlungen keine Ausnahmefälle, sondern ganz schön viele sind. Gerade jetzt müssen sich Aktivist:innen dort, wo es noch keine Betriebsgruppen gibt, sich als solche zusammenfinden!

Viele von uns sind enttäuscht. Unsere Perspektive kann aber nicht sein, einfach auszutreten aus Protest. Nein, wir wollen uns praktisch in den Gewerkschaften organisieren und nicht dafür einstehen, dass unsere Kämpfe nicht weiter ausverkauft werden. Also lasst uns gemeinsam zusammenstehen und eine klassenkämpferische Opposition in den Gewerkschaften aufbauen!

Lasst und gemeinsam mit der VKG diesen Protest am Ersten Mai mit Flugblättern, Transparenten, Redebeiträgen und in klassenkämpferischen Blöcken zum Ausdruck bringen! Lasst uns gemeinsam in allen Städten Ortsgruppen der VKG aufbauen!




Schlichterspruch im öffentlichen Dienst – Nein zu einem „Kompromissvorschlag“ mit Haken! Einleitung der Urabstimmung!

Susanne Kühn, Infomail 1220, 17. April 2023

Am 15. April veröffentlichte die Schlichtungskommission ihre Empfehlung für einen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst für Bund und Kommunen. Diese sieht folgende Schritte vor:

  • Einkommensteuerfreie Einmalzahlungen in Höhe von insgesamt 3.000 Euro (Juni 2023: 1.240 Euro, Juli 2023 bis Februar 2024: 220 Euro pro Monat)

  • Ansonsten bis März 2024: Nullrunde

  • Tabellenwirksame Erhöhung erst ab März 2024: 200 Euro 5,5 %, insgesamt mindestens 340 Euro

  • Einmalzahlungen für die Azubis von 620 Euro (Juni 2023) und dann monatlich 110 Euro. Ausbildungsentgelte erhöhen sich um 150 Euro ab März 2024

  • Laufzeit: 24 Monate ab Januar 2023 statt geforderten 12 Monate

Auch wenn der Spruch der Schlichtung nur eine Vorlage für die Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeit„geber“:innenverbänden am 22. April darstellt, so stehen die Zeichen auf Annahme. Der Vorsitzende der Kommission, der Bremer Verwaltungsrechtler Hans-Henning Lühr (SPD), der von den Gewerkschaften vorgeschlagen worden war, ist natürlich voll des Lobes für seine Empfehlung, die er als „fairen Interessenausgleich, für den natürlich auch viel Geld in die Hand genommen werden muss“, anpreist. Auch der von Bund und Kommunen benannte Stellvertreter der Kommission, der ehemalige sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU), hält die Annahme für „verkraftbar“.

Klar ist, dass die Vorsitzenden der Schlichtung und eine nicht näher definierte Mehrheit für die Empfehlung waren. Wer aber wirklich dafür (oder dagegen war), wissen wir nicht sicher. Schließlich gilt die Geheimhaltungspflicht – und an die halten sich die Vertreter:innen der Schlichtung mehr oder minder eisern.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Verhandlungsführerin für den Bund begrüßte jedenfalls die Einigung, was nahelegt, dass zumindest die Vertreter:innen des Bundes dafür sind. Unklar ist, wie es die kommunalen Arbeit„geber“:innen“ sehen, wo weit mehr Hardliner:innen sitzen. Lt. NEUES DEUTSCHLAND vom 17.4.2023, das sich hier auf die Süddeutsche Zeitung beruft, stimmten 24 der 26 Kommissionsmitglieder mit Ausnahme zweier Stimmen aus dem Arbeit„geber“:innenlager für den Vorschlag.

Offen kommuniziert wurde aber nichts. Unklar ist daher, wie die 12 gewerkschaftlichen Vertreter:innen und insbesondere jene von ver.di und GEW abgestimmt haben. Angesichts der neutral bis wohlwollend gehaltenen gewerkschaftlichen Außendarstellung liegt es wohl nicht fern, dass sie dafür stimmten. Aber sicher wissen wir das nicht. Denn die Vertreter:innen der Gewerkschaften verstecken sich hinter einer Verschwiegenheitspflicht, die vor allem eine gegenüber den eigenen Mitgliedern ist. Warum die „eigenen“ Vertreter:innen welches Votum abgaben, was in der Schlichtungskommission besprochen wurde und warum sie der Empfehlung zustimmten oder nicht – darüber wird die Mitgliedschaft erst gar nicht informiert, dazu sind sie den Mitgliedern nicht einmal rechenschaftspflichtig. Mit Demokratie hat diese Mauschelei, die vom Apparat weitgehend auch für die Tarifverhandlungen akzeptiert wird, nichts zu tun!

Diese Verschwiegenheitspflicht ist freilich nicht nur für die sog. Arbeitgeber:innen praktisch, sie nützt auch der Bürokratie und erschwert eine offene Diskussion und Aussprache über den angebotenen Schlichtungsspruch.

Einschätzung des Vorschlags

Und dies ist dringend nötig, weil der Spruch besser erscheint, als viele erwartet hatten – aber auch, weil er eben nur besser erscheint. Gefordert waren 10,5 %, aber mindestens 500 Euro. Ein solches Ergebnis hätte bedeutet, dass bis zu einem Einkommen von 4.762 Euro alle 500 Euro erhalten hätten, für alle darüber hinaus eine starke prozentuale Steigerung eingetreten wäre.

Die Kombination von Sockel (200 Euro) und Prozenten (5,5 %) aus dem Schlichtungsvorschlag ergibt eine kontinuierliche Steigerung über fast alle Gehälter, die dafür nicht so heftig ausfällt. Die Mindesterhöhung 340 Euro kommt nur in der Entgeltgruppe 1 und dem Einstiegsgehalt bei EG 2 und EG 20 zum Tragen. Insgesamt steigen jedoch die mit den geringsten Einkommen vergleichsweise schlecht aus.

Gegenüber der Forderung ist also die Mindesterhöhung niedriger, die hohen Gehälter erhalten eine deutlich geringere Steigerung. Für einen sehr großen Teil der Beschäftigten, alle die derzeit in Vollzeit bis 4.220 Euro erhalten, bedeutet die Schlichtungsempfehlung eine Erhöhung von mindestens 10,5 %. Und auf dessen Zustimmung dürften die Gewerkschaftsvorstände spekulieren.

Zwei Jahre Laufzeit sind ein Jahr zuviel

Der große Haken bei der Empfehlung ist nicht die Kombination von Sockel und prozentualer Steigerung, sondern – einmal mehr – die Laufzeit.

Zwei Jahre bedeuten zwei Jahre Stillhalten, zwei Jahre Friedenspflicht und damit zwei Jahre „Planungssicherheit“ für die sog. Arbeitgeber:innen, die in kritischen Bereichen wie bei den Krankenhäusern die nächsten „Reformen“ über die Bühne bringen wollen.

Zwei Jahre Laufzeit bedeuten zudem auch, dass wir über diesen Zeitraum nicht auf weitere Preissteigerungen und damit verbundene Reallohneinbußen reagieren können.

Zwei Jahre Laufzeit bedeuten, dass die tabellenwirksame Lohnerhöhung unter der Preissteigerung bleiben würde, wenn sie auf ein Jahr umgerechnet wird.

Bezüglich der Inflation sollen die Beschäftigten statt einer vollen Lohnerhöhung mit einer einkommensteuerfreien Prämie von insgesamt 3.000 Euro geködert werden. Das bringt den Beschäftigten kurzfristig mehr Cash, aber keine Punkte bei der Rente. Die Summe hört sich schön an, geht aber nicht in die Tariftabelle ein – und entlastet damit Bund und Kommunen bei der nächsten Tarifrunde.

Nein!

Daher müssen wir die Tarifkommission bei den Versammlungen in den nächsten Tagen deutlich unter Druck setzen und auffordern, den Spruch der Schlichtung abzulehnen und den Kampf für die vollen 10,5 % und 500 Euro Mindesterhöhung bei einer Laufzeit von einem Jahr aufzunehmen. Am Verhandlungstisch wird das auch am 22. April nicht erreichbar sein. Daher sollte die Urabstimmung eingeleitet werden, um möglichst rasch zum Erzwingungsstreik überzugehen.

Die Mobilisierung bei den Warnstreiks mit rund einer halben Million Beteiligten hat gezeigt, dass wir kampffähig sind. Auch einige Zugeständnisse der Schlichtung verdeutlichen, dass die sog. Arbeitgeber:innen unsere Macht fürchten, wenn wir sie denn einsetzen. Daher:

  • Nein zum Schlichtungsergebnis!

  • Wir brauchen einen Erzwingungsstreik! Vorbereitung und Einleitung einer bindenden Urabstimmung!

  • Nein zu allen Gesprächen hinter verschlossenen Türen! Verhandlungen sollen öffentlich über das Internet übertragen werden! Keine Abschlüsse ohne vorherige Abstimmung unter den Mitgliedern! Rechenschaftspflicht und Wahl der Tarifkommission durch die Basis!

  • Regelmäßige Streikversammlungen in allen Betrieben und Abteilungen! Wahl und Abwählbarkeit der Streikleitungen durch die Mitglieder!

  • Wahl und Entsendung von Delegierten zu einer bundesweiten Streikdelegiertenkonferenz, um hier gemeinsam über die nächsten Schritte im Arbeitskampf zu beraten!