Vergesellschaftung von Erziehung

Lina Lorenz (Gruppe Arbeiter:innenmacht, Deutschland), Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10, März 2022

Mama steht am Herd, putzt, macht die Wäsche und versorgt die Kinder. Sie backt den Geburtstagskuchen und tröstet die Kinder, wenn sie traurig sind. Papa geht zur Arbeit und wird als „der Beschützer“ der Familie angesehen. In der Schule werden hauptsächlich literarische Werke gelesen, in denen männlichen Protagonisten den Helden spielen und es fallen Sätze wie „Mädchen können kein Mathe, und quatschen zu viel.“ All das sind Beispiele, die sicherlich viele von uns aus ihrer Erziehung kennen. Schon von klein auf werden uns im Rahmen der Erziehung patriarchale Rollenbilder und bürgerliche Normen eingetrichtert – durch die Familie, in Kita und Schule. Doch was ist Erziehung eigentlich? Welchen Zweck erfüllt sie? Und kann es eine „neutrale“ geben?

Erziehung im Kapitalismus

Erziehung erfüllt in allen Gesellschaftsformationen die Funktion, das Individuum im Sinne der gesellschaftlichen Anforderungen zu formen. Natürlich möchte sich jedes System selbst erhalten und seinen Nachwuchs bestmöglich auf seine Zukunft in ihr vorbereiten, weshalb Erziehung immer im gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden muss. Da dieser von Klassengegensätzen durchzogen ist, kann sie nie unabhängig von den bestehenden Klassenverhältnissen stattfinden. Sie weist immer einen der jeweiligen Gesellschaft entsprechenden Klassencharakter auf. In Abgrenzung zur Erziehung umfasst Bildung einen weniger fremdbestimmten Prozess des Lernens, bei dem es um eine selbstständigere Entwicklung des Individuums geht. Aber auch Bildung kann niemals unabhängig von der gesellschaftlichen Struktur betrachtet werden. Die Gesellschaft beeinflusst, welche Ziele wir mit Bildung verfolgen und welche Mittel uns dafür zur Verfügung stehen.

Im Kapitalismus ist die Bourgeoisie die herrschende Klasse. Sie besitzt die Produktionsmittel und nutzt die Erziehung für ihre Interessen. Oberstes Ziel dabei ist, die Klassenstruktur und damit die Klassenherrschaft aufrechtzuerhalten. Die Produktionsverhältnisse sollen bestehen bleiben und die Klassen immer wieder reproduziert werden. Es braucht also immer neue Kapitalist:innen, die wissen, wie man Arbeitskräfte effizient ausbeutet, um im Konkurrenzkampf bestehen zu können. Andererseits braucht es immer neue Arbeiter:innen, die spezifische Fachkenntnisse besitzen, um den Produktionsprozess am Laufen zu halten.

Eine Aufgabe der Erziehung ist also, die Arbeiter:innenklasse zu bilden. Gleichzeitig soll sie aber auch paralysiert werden. Denn was wäre, wenn sie zur Erkenntnis gelangen würde, dass sie sich nicht weiter ausbeuten lassen muss? Die Produktion und Verbreitung der bürgerlichen Ideologie stellt einen wichtigen Grundpfeiler dar, der verhindern soll, dass sie sich organisiert und für ihre eigenen Interessen eintritt. Nur so kann gewährleistet werden, dass sie sich freiwillig den Produktionsverhältnissen fügt. Erzählungen wie die „vom Tellerwäscher zum Millionär“ suggerieren, dass dem sozialen Aufstieg mit genug Fleiß und Durchhaltevermögen nichts im Wege steht. Sie verschleiern die Klassenstruktur und lassen glauben, dass wir im besten aller möglichen Systeme leben. Daneben werden wir schon als Kinder und Jugendliche zu Unterordnung und Gehorsam erzogen, damit wir uns später als Lohnarbeiter:innen brav den Interessen der Kapitalist:innen fügen. Wir sind es gewohnt, uns den Forderungen der Eltern, von denen wir finanziell abhängig sind, oder der autoritären Lehrer:innen, deren Notengebung über unsere beruflichen Chancen entscheiden, zu beugen. Ein weiteres Mittel zur Disziplinierung stellen Zuwendung und Anerkennung dar, womit wir vor allem dann belohnt werden, wenn wir die an uns gestellten Anforderungen erfüllen.

Wie schafft es die herrschende Klasse, die Erziehung auf diese Weise zu kontrollieren? Hier kommt der Staat ins Spiel. Denn einzelne kapitalistische Unternehmen haben kein Interesse daran, selbst für Erziehung aufzukommen. Diese erscheinen ihnen als unnütze Kosten. Sie erfordern Ressourcen, schaffen aber keinen Mehrwert – also auch keine Profite für das Unternehmen. Daher übernimmt der Staat – dessen Funktion es ist, das bestehende Gesellschaftssystem aufrechtzuerhalten – als ideeller Gesamtkapitalist diese Aufgabe. Er vertritt die Interessen des gesamten Kapitals, indem er Wissen und bürgerliche Ideologie vermittelt. Er führt beispielsweise eine allgemeine Schulpflicht ein und legt Lehrpläne fest. Er bildet pädagogisches Personal aus und betreibt Bildungs- und Erziehungseinrichtungen.

Überwindung des Klassencharakters von Erziehung

Viele Menschen sehen zwar einen Veränderungsbedarf des Erziehungs- und Bildungssystems, hegen allerdings die Illusion, dass hierfür bürgerliche Reformen das Mittel der Wahl darstellen. Reformen können sicherlich ein Werkzeug sein, kleine Veränderungen innerhalb des Gesellschaftssystems zu erreichen. Sie können aber niemals den Klassencharakter – der diesen Problemen zu Grunde liegt – verändern. Denn sie stützen sich auf den bürgerlichen Staat, der kein Interesse daran hat, die Klassenstruktur zu verändern. Reformpädagogische Ansätze beispielsweise zeigen den begrenzten Spielraum von solchen Mitteln auf. Sie ermöglichen ein Lernen ohne autoritäre Erziehung, Konkurrenz und Leistungsorientierung. Allerdings können sie nur pädagogische Inseln schaffen, zu welchen allein eine privilegierte Minderheit Zugang hat. Sie ignorieren die Einbindung der Erziehung in die Klassengesellschaft und stellen sich dieser nicht entgegen, wodurch sie letztendlich den Status quo unterstützen. Systeme wie Montessori oder Waldorfschulen sind dafür ein gutes Beispiel. Zwar schaffen sie die Illusion von einer Pädagogik, die tatsächlich für die Kinder gemacht wird und mit alten, autoritären Lehrmethoden bricht, aber sie individualisieren und isolieren die gesellschaftlichen Probleme der Bildung und Erziehung weiterhin. Es ist also auch kein Wunder, dass mit Rudolf Steiner (dem Begründer der Waldorfschulen) eine starke Abgleitfläche hin zu Esoterik bis zum Faschismus besteht. Ein unwissenschaftlicher Zugang, der es nicht schafft, die Ideologische Ausrichtung der momentanen Erziehung zu durchbrechen, wird immer zu einer Verstetigung des Systems führen und an den eigenen Widersprüchen zerbrechen.

Um die Probleme des Erziehungs- und Bildungssystems an ihrer Wurzel zu packen, darf die pädagogische Sphäre nicht losgelöst vom Rest der Gesellschaft betrachtet werden. Genauso müssen Erziehung und Bildung auch als Einheit verstanden werden, nicht nur als „private“ gegenüber der „gesellschaftlichen“ Aufgabe. Der Kampf um eine sinnvollere Erziehung muss immer mit dem gesamtgesellschaftlichen Kampf gegen die Klassenstruktur verbunden werden. Nur wenn das Klassensystem als Ganzes aufgehoben wird, kann auch der Klassencharakter der Erziehung überwunden werden. Ziel ist daher nicht die Herausbildung des besseren Individuums innerhalb des kapitalistischen Systems durch reformorientierte Erziehungsansätze, sondern die Überwindung dessen durch kollektive revolutionäre Organisierung. Kinder, Jugendliche und lohnabhängige Lehrende dürfen nicht mehr nur als Personen begriffen werden, die besser pädagogisch versorgt werden müssen oder andere besser pädagogisch versorgen sollen. Stattdessen müssen sie als revolutionäre Subjekte verstanden werden, die Akteur:innen im Klassenkampf sind und für ihre Interessen und Forderungen einstehen. Zentral dabei ist, dass sie neben Fragen nach inhaltlicher auch solche nach struktureller Veränderung der Erziehung stellen. Wer bestimmt Inhalt und Rahmen der Erziehung? Wer hat die Kontrolle über relevante Institutionen? Wer trifft Entscheidungen? Wer kontrolliert deren Umsetzung?

Vergesellschaftung von Erziehung auf dem Weg in die klassenlose Gesellschaft

Auch wenn es im Kapitalismus bereits gewisse Tendenzen zur Vergesellschaftung der Erziehung gibt – beispielsweise durch die Errichtung von Kitas, Schulen oder Internaten – werden wesentliche Teile ins Private zurückgedrängt, wo sie nicht entlohnt werden müssen. Erziehung wird immer noch hauptsächlich als private Angelegenheit betrachtet, die im Rahmen der bürgerlichen Familie geleistet werden soll, wo sie in die geschlechtliche Arbeitsteilung eingebettet ist. Erziehung ist wie andere Reproduktionsarbeiten (z. B. Nahrungsversorgung, Pflege etc.) eine der unsichtbaren und unbezahlten Tätigkeiten, die mehrheitlich von Frauen verrichtet wird. Männer dagegen haben einen größeren Anteil an der gesamtgesellschaftlich geleisteten Lohnarbeit.

Um die Struktur dieser Arbeitsteilung aufzubrechen, muss die Forderung nach Vergesellschaftung von Erziehung mit anderen Kämpfen verbunden werden. Nur wenn allen Menschen das Recht auf Arbeit garantiert wird und gleichzeitig jegliche Reproduktionsarbeit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen wird, ist eine Neuaufteilung von Arbeit möglich. Erst dann können sich toxische Strukturen innerhalb von Familien abbauen, deren Grundlage die finanzielle Abhängigkeit von Frauen und Kindern legt.

Erst nach einem revolutionären Bruch und dem beginnenden Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft wird Erziehung durch zunehmende Vergesellschaftung immer weniger den Interessen der wenigen Kapitalist:innen, sondern zunehmend denen der gesamten Gesellschaft folgen. Doch wie kann ermittelt werden, was gesellschaftlich relevant ist? Jugendliche, Pädagog:innen und Gewerkschaften müssen sich in Räten organisieren, um einerseits gesellschaftlich relevante Bildungsinhalte zu ermitteln und andererseits die Umsetzung dieser zu kontrollieren. Generell ist eine stärkere Verknüpfung von Erziehung, Ausbildung und Arbeit wichtig. Die sogenannte „polytechnische Bildung“ in der frühen Sowjetunion umfasste beispielsweise ein Bildungskonzept, indem die Erziehung mit der materiellen Produktion verbunden wurde. Auch die Möglichkeit zu lebenslangem Lernen und der Zugang zu außerschulischen Bildungseinrichtungen fördert Theorie und Praxis als gemeinsamen und wechselseitigen Prozess. So kann gewährleistet werden, dass nicht an den gesellschaftlichen Bedürfnissen vorbei gelernt wird.

Durch die Integration von Lernen und Arbeiten wird das Erziehungs- und Schulsystem, wie wir es kennen, grundlegend in Frage gestellt. Aber erst mit dem gänzlichen Verschwinden der gesellschaftlichen Klassenstruktur kann sich der Charakter der Erziehung vollends ändern. Die gesamte gesellschaftlich relevante Arbeit, einschließlich der Reproduktion, kann auf alle Hände aufgeteilt werden. Die bürgerliche Familie wird überflüssig werden, denn sie wird nicht mehr für die Reproduktion der Arbeitskraft benötigt. Auch die Rolle der Eltern wird sich wandeln, da diese nicht mehr die Hauptverantwortung für die Erziehung tragen müssen. Das bedeutet nicht, dass Eltern nicht auch weiterhin eine Rolle im Leben ihrer Kinder spielen können und sollten. Es steht in dieser anderen Form der Gesellschaft aber erstmal das Kindeswohl an oberster Stelle und es wird nicht mehr nur durch Zufall entschieden, wie die häusliche Erziehung passiert. Grundlegende pädagogische Fähigkeiten werden an alle weitergegeben, die sich um Kinder kümmern und werden gemeinsam gesellschaftlich festgelegt und verändert. Erst mit dem Umbruch in eine klassenlose Gesellschaft kann Erziehung also zu dem werden, was sie sein sollte: eine Aufgabe von allen für alle.




25. November: Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen

Jaqueline Katherina Singh, Infomail 1170, 25. November 2021

Der 25. November ist der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen, der seit 1981 jährlich zur Bekämpfung von Diskriminierung und Gewalt jeder Form gegenüber Frauen und Mädchen abgehalten wird. Ob Femizide, Zwangsheirat, Vergewaltigungen, Zwangsprostitution, häusliche Gewalt oder sexuelle Belästigung – die Liste, wie diese Gewalt aussehen kann, ist unendlich lang. Daraus lässt sich erahnen: Wir haben es mit dem bitteren Alltag unserer Gesellschaft zu tun. Diese Manifestationen von Unterdrückung sind an allen Orten anzutreffen, auch wenn Frauen aus den ärmeren Schichten noch einmal verstärkt betroffen sind. Laut der Hilfsorganisation WHO stellt diese Gewalt gegen Frauen eines der größten Gesundheitsrisiken weltweit und laut UNICEF die häufigste Menschenrechtsverletzung dar.

Auswirkungen der Pandemie

Ob beruflich oder privat, durch die Corona-Pandemie hat sich die Lage von Frauen nochmals massiv verschlechtert. Allgemein gilt: Frauen sind die großen Verliererinnen. Ein Satz, der nicht nur für Deutschland oder Europa, sondern weltweit gilt. Im Zuge der Maßnahmen zur Eindämmung des Virus wurden teilweise ganze Branchen wie die Gastronomie oder andere Dienstleistungsbereiche stark heruntergefahren oder sogar zeitweise ganz geschlossen. Doch diese für den Gesundheitsschutz notwendigen Maßnahmen gingen nicht mit voller sozialer Absicherung der Beschäftigten einher, in vielen Ländern gab es überhaupt keine.

Dies betraf vor allem Frauen, da deren Anteil in diesen Berufen doch überdurchschnittlich hoch ist. In Deutschland beispielsweise beträgt dieser rund 64 %. Laut dem WEF (World Economic Forum; Weltwirtschaftsforum) verdienen Frauen weltweit durchschnittlich nur 68 % dessen, was Männer für dieselbe Arbeit erhalten würden. In den Ländern mit der geringsten Kaufkraftparität sind es sogar nur 40 %. Auch hier hat die Pandemie die Situation für Frauen deutlich verschlechtert. Erste Untersuchungen deuten bereits darauf hin, dass das Lohn- und Gehaltsgefälle sich im Zuge der Pandemie um 5 % vergrößert hat.

Doch insbesondere der Anstieg der Gewalt gegen Frauen innerhalb der Pandemie ist erschreckend.

So nahmen während des ersten Lockdowns mit Ausgangssperren in Frankreich die Fälle häuslicher Gewalt um 30 Prozent zu. In Spanien stiegen sie in den ersten beiden Aprilwochen 2020 bei der  spanischen Hotline für häusliche Gewalt um 47 %. Und in Deutschland?

Hierzulande listet die Statistik des BKA für das vergangene Jahr 2020 148 031 Opfer von Partnerschaftsgewalt auf. Das ist eine Steigerung um 4,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt waren  80,5 Prozent der Betroffenen weiblich und 139 Frauen sind im Zuge der erlebten Partnerschaftsgewalt gestorben. Beim Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ hat die Pandemie deutlichere Spuren hinterlassen als in der Statistik des BKA. Petra Söchting, die Leiterin des Hilfetelefons, spricht von insgesamt 51 400 Beratungen im vergangenen Jahr, 15 Prozent mehr als 2019. Die Zahl der Beratungen speziell zu Gewalt in Partnerschaften sei sogar um 20 Prozent gestiegen. Im ersten Lockdown habe es einen deutlichen Anstieg gegeben, seither lägen die Anfragen auf durchgehend hohem Niveau.

Gleichzeitig muss bewusst sein, dass die Dunkelziffer der erlebten Gewalt höher auszufallen hat. Denn die Lockdowns im Rahmen der Pandemie haben es auch schwerer gemacht, sich an Hilfestellen zu wenden, da die Überwachung und Kontrolle durch die Gewalt ausübenden Partner stärker geworden ist. Insgesamt werfen die Zahlen aber folgende Fragen auf: Woher kommt die Gewalt gegen die Frauen, die so allgegenwärtig ist? Und warum hat sich die Situation mit der Pandemie so drastisch verschlechtert?

Wurzel der Gewalt

Wichtig zu verstehen ist, dass Gewalt gegen Frauen keine Frage der Bildung ist. Wenn dem so wäre, dann würde sie nur in einem gewissen Teil der Gesellschaft zu finden sein und könnte allein durch Aufklärungsarbeit verschwinden. Ebenso wenig weit bringt uns die Erklärung, dass Gewalt gegen Frauen in der „Natur“ von Männern liegt. Wäre dass der Fall, müsste man entweder Männer isolieren – oder die Gewalt hinnehmen. Problematisch an beiden Erklärungsversuchen ist ebenso, dass Gewalt gegen Frauen oftmals als individuelles Problem erscheint. Doch dem ist nicht so.  Gewalt gegen Frauen ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und hat eine reale Basis.

Aus marxistischer Sicht ist eine der Hauptursachen von Frauenunterdrückung die dem Kapitalismus innewohnende Trennung von gesellschaftlicher Produktion und privater Reproduktionsarbeit. Diese schafft neben schlechterer Position für Frauen auf dem Arbeitsmarkt (s. o.) Abhängigkeiten – beispielsweise vom Lebenspartner oder Ehemann. Wesentlich zur Aufrechterhaltung der Unterdrückungsverhältnisse tragen subtil wirkende gesellschaftliche Mechanismen bei wie z. B. geschlechtsspezifische Sozialisierung und damit die Reproduktion stereotyper Verhaltensweisen. Es sind eben keine natürlichen Vorprägungen, die automatisch für geschlechtliche Unterdrückung verantwortlich sind. Physische Gewalt ist dabei „nur“ ein Extrem, die sichtbare Spitze des Eisberges von (Frauen-)Unterdrückung.

Die Gewalt gegen Frauen im Zuge der Pandemie ist dabei aufgrund verschiedener Faktoren gestiegen: Zum einen haben der Jobverlust sowie die sinkenden Einkommen Frauen ökonomisch an die Familie gebunden. Das verstärkt die Abhängig vom Ort, an dem man Gewalt erfährt. Das bindet sie ökonomisch stärker an die Familie, macht sie schutzloser gegenüber häuslicher Gewalt. Zusätzlich steigt die reproduktive Arbeit, die im Haushalt getätigt werden muss, was die Doppelbelastung der Frauen erhöht. Sie werden also unter Bedingungen einer kapitalistischen Krise, die durch die Pandemie verstärkt wird, mehr in die klassische, reaktionäre Geschlechterrolle gedrängt.

Der Kampf gegen Gewalt

Der Kampf gegen Gewalt muss sich daher auch gegen die Ursachen der Unterdrückung wenden. Das heißt, dass wir für die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen sowie die Beendigung der geschlechtlichen Arbeitsteilung kämpfen müssen. Praktisch bedeutet das zum einen, für gleichen Lohn für gleiche Arbeit einzustehen sowie für ein Mindesteinkommen, das an die Inflation angepasst wird. Das beugt der oben beschriebenen ökonomischen Abhängigkeit vor und ermöglicht, dass Frauen sich besser von Gewalttätern trennen zu können sowie weniger von Altersarmut betroffen sind. Gleichzeitig werden damit Hindernisse für die gleiche Teilnahme am gesellschaftlichen und politischen Leben reduziert.

Zum anderen ist eine zentrale Forderung die Vergesellschaftung der Hausarbeit. Diese dient dazu, Frauen aus der Doppelbelastung durch Lohn- und unbezahlte Hausarbeit zu befreien, aber auch die geschlechtliche Arbeitsteilung zu beenden, so dass Hausarbeit nicht mehr unbezahlt im Privaten stattfindet, sondern gesamtgesellschaftlich organisiert wird. Praktische Schritte in diese Richtung wären beispielsweise die Einrichtung von kostenlosen Kantinen und Waschküchen, der flächendeckende Ausbau von Kindergärten mit massiver Aufstockung von Personal. Eine vollständige Vergesellschaftung der Hausarbeit wird im Kapitalismus jedoch nie möglich sein. Dieses Ziel muss daher mit dem Kampf gegen den Kapitalismus selbst verbunden werden.

Daher gilt es, den Kampf gegen Gewalt an Frauen mit sozialen, klassenspezifischen Forderungen und dem für die Vergesellschaftung der Hausarbeit zu verbinden:

  • Organisierte Selbstverteidigung von Frauen gegen sexistische und sexualisierte Übergriffe auch gemeinsam mit anderen unterdrückten Gruppen und der ArbeiterInnenbewegung! Keine Frau darf der Gefahr von Vergewaltigung und Missbrauch ausgeliefert werden!
  • Massiver Ausbau von Schutzräumen und Beratungszentren für Betroffene häuslicher und sexistischer Gewalt und familiärer Unterdrückung, auch für geflüchtete Frauen! Finanzierung dieser Maßnahmen durch den Staat! Selbstverwaltung und Kontrolle über die Schutzräume und Frauenhäuser durch die Betroffenen!
  • Gegen alle kulturellen oder religiösen Praktiken, die das körperliche Selbstbestimmungsrecht von Frauen angreifen!

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Massive Erhöhung der Einkommen und Löhne der Beschäftigten in Care-Berufen, im Einzelhandel und in Niedriglohnsektoren!

  • Ausbau von Kinderbetreuungs-, Jugend- und Bildungseinrichtungen!
  • Kämpfen wir gemeinsam für die Vergesellschaftung der Hausarbeit!



Vergesellschaftung der Hausarbeit

Ella Mertens, REVOLUTION Österreich, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 9

Obwohl Frauen rund 60 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Haus- und Sorgearbeit – Kochen, Putzen, Kinder- und Krankenbetreuung – aufbringen als Männer, werden weder diese Arbeit noch die sie Ausübenden besonders geschätzt. Nicht nur nicht gewürdigt wird die Hausarbeit, sie wird größtenteils nicht einmal als Arbeit wahrgenommen. „Niemand bemerkt sie, es sei denn, sie wird nicht gemacht.“ (Barbara Ehrenreich, 1975)

Dieses Ungleichgewicht in der geschlechtlichen Aufteilung der Hausarbeit geht mit einem Ungleichgewicht in der Aufteilung der bezahlten Arbeit einher: In Deutschland ist rund die Hälfte aller Frauen teilzeitbeschäftigt – unter Müttern ist diese Zahl noch höher. Gleichzeitig arbeiten 88,8 % der Männer ausschließlich in Vollzeit – eventuelle Vaterschaft beeinflusst diese Zahl kaum. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bildet die Grundlage für ein Machtgefälle innerhalb der bürgerlichen Familie: die (Haus-)Frau ist finanziell von ihrem Mann abhängig, während gleichzeitig ein Großteil der Reproduktionsarbeit von ihr verlangt wird.

Die Pandemie hat diese Doppelbelastung nochmal massiv verstärkt. Gleichzeitig gibt es einige Stimmen, die glauben, dass Homeoffice die Situation für Frauen verbessert, da sich diese dann „flexibler“ aussuchen können, wann sie denn die unbezahlte Mehrarbeit erledigen können. An dieser Stelle wollen wir aufzeigen, dass das nur eine Scheinlösung ist und was wirklich hilft, das Problem zu lösen. Doch bevor wir dazu kommen, wollen wir klären, warum es überhaupt diese Form der unbezahlten Arbeit gibt.

Was ist Reproduktionsarbeit?

Der Begriff der Reproduktionsarbeit geht auf Karl Marx zurück und bezeichnet die Wiederherstellung der Arbeitskraft (also die Fähigkeit produktive Arbeit zu verrichten), sowohl im individuellen als auch im gesellschaftlichen Bereich. Es zählen dazu alle Tätigkeiten, die direkt zum Erhalt des menschlichen Lebens dienen (Waschen, Kochen, Pflegen, Erziehen). Sie kann gegen Lohn oder unbezahlt stattfinden. Die Reproduktionsarbeit stellt in der Regel keine produktive Arbeit für das Kapital dar, weil sie meist keinen Mehrwert generiert (obwohl es auch Unternehmen gibt, wo Reproduktionsarbeit einen Profit für das Kapital schafft wie z. B. bei privaten Krankenhauskonzernen). Produktiv bedeutet hier vor allem die Stellung welche die Arbeit zum Kapital hat und keine moralische Wertung.

Auch wenn die Reproduktionsarbeit in bestimmten Entwicklungsphasen (z. B. Expansion nach dem 2. Weltkrieg) selbst Tendenzen zur Vergesellschaftung unterliegt, so verbleiben wesentliche Teile im privaten Haushalt. Gerade in Krisenperioden wird versucht, diese Arbeiten ins Private zurückzudrängen, wo sie nicht entlohnt werden muss. Das trifft besonders die Tätigkeit, die wir tagtäglich zum Überleben brauchen: jene unsichtbare, selbstverständliche Angelegenheit der Hausarbeit, die mehrheitlich von Frauen verrichtet wird.

Die für den Kapitalismus typische Struktur stellt dabei die bürgerliche Kleinfamilie dar. Dabei erfüllt sie unterschiedliche Aufgaben. So dient sie für die Familien der Arbeiter*innenklasse dazu, die Ware Arbeitskraft zu reproduzieren. Gleichzeitig wird dadurch die geschlechtliche Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen reproduziert und an die nächste Generation vermittelt.

Aber was ist mit Kindergärten, Krankenhäusern und Schulen? Ist das nicht widersprüchlich, dass es die gibt, wenn versucht wird, alle Kosten zu sparen? Diese Teile der Care-Arbeit, die gesellschaftlich organisiert werden, resultieren aus Kämpfen der Arbeiter*innenbewegung, verstärkter Nachfrage nach (weiblicher) Lohnarbeit sowie den gestiegenen Anforderungen an die Arbeitskraft. Beispielsweise Schulbildung ist ein Bereich, der (zumindest teilweise) staatlich organisiert wird, u. a. damit die einzelnen Kapitalist*innen nicht die Ausbildungskosten tragen müssen, was einen Konkurrenznachteil gegenüber ihrer Konkurrenz mit sich bringen würde, die ausgebildete Arbeitskräfte einstellt, aber nicht für ihre Ausbildung bezahlt. Deswegen tritt an ihrer Stelle der Staat als ideeller Gesamtkapitalist und trägt die Kosten, welche auch durch Steuern von der Arbeiter*innenklasse eingetrieben werden.

Insgesamt sind diese Care-Bereiche oftmals schlecht bezahlt und unterliegen wie beispielsweise die Arbeit im Krankenhaus dem Druck, profitabel zu wirtschaften. Generell werden Frauen nicht nur in schlechter bezahlter Berufe gedrängt, sondern verdienen auch bei gleicher Arbeit deutlich weniger, was wiederum die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Haushalt der Arbeiter*innenklasse insgesamt reproduziert.

Was tun?

Individuelle Lösungen wie Homeoffice, Putzhilfen, Absprachen mit dem männlichen Partner oder Einbeziehung von Freund*innen mögen vielleicht unmittelbar helfen. Aber sie sind keine gesamtgesellschaftliche Lösung, ja sie können, wenn wir z. B. den überausgebeuteten Sektor weiblicher Haushaltshilfen betrachten, sogar die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung vertiefen.

Oft sind sie nur für jene möglich, die sich des Problems überhaupt bewusst sind und es sich „leisten“  können, weil sie entweder Geld haben, sich von dieser Arbeit freizukaufen oder über ein Umfeld verfügen, das genügend Zeit dafür bietet.  Es gibt auch Feminist*innen, die eine Lösung versucht haben zu finden. Mit ihrem Werk „Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft“ prägten  Mariarosa Dalla Costa und Selma James die Debatte um die Hausarbeit entscheidend. Aus dieser Theorie entstand erstmals 1974 in Italien die Forderung nach Lohn für Hausarbeit. Diese ist allerdings ebenfalls problematisch. Anstatt die Rolle der Hausfrau abzuschaffen und eine neue Verteilung der reproduktiven Arbeit zu bieten, institutionalisiert sie sie und festigt sie somit. Die geschlechtliche Arbeitsteilung  bleibt erhalten und somit kämpft diese Forderung nicht für eine konsequente, langfristig Verbesserung für Frauen. Was also tun? Wenn wir die Doppelbelastung von Frauen beenden wollen, dann müssen wir das Problem an der Wurzel packen: der bürgerlichen Familie.

Wie stellen wir uns das vor?

Das heißt nicht, dass wir als Kommunist*innen die Familie verbieten wollen. In der kapitalistischen Gesellschaft dient, sie wie oben beschrieben, für die Arbeiter*innenklasse als Ort, wo die eigene (und zukünftige) Arbeitskraft reproduziert werden kann. Sie ist trotz all ihrer Widersprüchlichkeit der Raum, in dem man sich auch erholen kann. Statt also individuelle Absprachen zu treffen oder zu hoffen, dass man irgendwann genug Geld verdient, sich Haushaltshilfen zu leisten, macht es Sinn, gesamtgesellschaftliche Lösungen zu finden – also die Reproduktionsarbeit auf alle Hände aufzuteilen.

Dazu braucht man nicht an eine utopische Zukunft in mehreren Jahrzehnten zu denken, um sich eine vergesellschaftete Hausarbeit vorstellen zu können. Bereits 1930 gab es in Wien ein Wohnprojekt, das – zumindest im kleinen Stil – diese Forderungen aufgriff: den Karl-Marx-Hof. In dem Gemeindewohnbau gab es zusätzlich zu Wohnungen mehrere gemeinschaftliche Einrichtungen wie kommunale Waschküchen, Jugendheime und Kinderbetreuungsstellen, die von den Bewohner*innen gemeinsam organisiert und genutzt wurden. Für diese Einrichtungen sprechen gleich mehrere Sachen: Erstens wird die Zeit, die wir individuell in die Reproduktion stecken, gesenkt, die wir dann woanders nutzen können. Zweitens beenden wir damit ebenso die geschlechtliche Arbeitsteilung und damit die Grundlage für die nervigen Geschlechterrollen, in die wir im Kapitalismus gedrängt werden.

Wie ist das realisierbar?

Im Kapitalismus hat das Ganze Grenzen. Schließlich geht’s den Kapitalist*innen nicht darum, dass wir glücklich sind, sondern um ihre Profite. Zwar gibt es Tendenzen, wie beispielsweise in Kriegszeiten, in denen mehr Bereiche der Reproduktion kollektiviert wurden. Dies diente aber nur kurzfristig dazu, mehr Frauen in die Produktion zu ziehen. Nach dem Kriegsende wurde das Ganze wieder geändert und die Frauen entlassen.

Damit es also nach unserem Interesse läuft, müssen wir die Vergesellschaftung der Hausarbeit selber kontrollieren. Konkret heißt das, dass wir alle Kürzungen im Bereich der öffentlichen Reproduktionsarbeit und alle Privatisierungen bekämpfen müssen. Stattdessen müsste ein massiver Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen, des Gesundheitswesens und der Freizeiteinrichtungen erkämpft werden.

Ebenso unterstützen wir im Hier und Jetzt den Kampf für einen Mindestlohn, angepasst an die Inflation für alle Arbeiter*innen. Für alle, die keine Arbeit haben, fordern wir ein Mindesteinkommen in derselben Höhe. Damit kann auch sichergestellt werden, dass niemand aufgrund ökonomischer Abhängigkeit gezwungen ist, bei seiner Familie zu leben, und so Gewalt, Druck oder Mehrarbeit ausgesetzt sein muss.

Auch wenn im Kapitalismus einzelne Verbesserungen erkämpft werden können, erfordert eine konsequente Vergesellschaftung der Hausarbeit die revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft. Warum? Eine Vergesellschaftung der Hausarbeit würde auch bedeuten, dass die Produktion und Reproduktion der Arbeitskraft vergesellschaftet wird, ihr Warencharakter und die Konkurrenz innerhalb der Klasse eingeschränkt würden.

Daher ist die Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit untrennbar mit gesamtgesellschaftlicher Planung und Organisation verbunden. Nur so kann die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in Produktion und Reproduktion dauerhaft durchbrochen werden. Pädagogische und andere versorgende Einrichtungen müssen umstrukturiert und anders geplant werden, und die Neuaufteilung der Hausarbeit muss durch Räte, die die Arbeiter*innen selbst repräsentieren und ihre Beschlüsse umsetzen, in Angriff genommen und abgesichert werden.

Wir müssen also weiter kämpfen und das Ausbeutungssystem des Kapitalismus revolutionär überwinden, um allen Menschen eine freie, selbstbestimmte Zukunft gewährleisten zu können!

Quellen

https://arsfemina.de/rassismus-und-sexismus/vergesellschaftung-der-hausarbeit

http://onesolutionrevolution.de/hausarbeit-und-frauenstreik/

http://onesolutionrevolution.de/frauenstreik-2019-aber-richtig/

https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-unbezahlte-arbeit-frauen-leisten-mehr-3675.htm

https://www.zeitschrift-luxemburg.de/wiedergelesen-die-frauen-und-der-umsturz-der-gesellschaft/

http://www.dasrotewien.at/seite/karl-marx-hof




Frauenunterdrückung und Hausarbeit – Aschenputtels Arbeit

Hannes Hohn, Neue Internationale 151, Juli/August 2010

Der Haushalt ist immer noch Frauensache. Lt. Statistischem Bundesamt wenden Frauen in der BRD etwa 20 Stunden pro Woche für Hausarbeit auf, Männer nur 7.

Alle bedeutenden SozialistInnen haben betont, dass die Hausarbeit ein wesentliches Element der sozialen Unterdrückung der Frau ist. Sie alle forderten daher, dass die Hausarbeit vergesellschaftet werden soll. Das war für sie eine wesentliche Voraussetzung der Befreiung der Frau.

Viele werden sagen: „Was ist so schlimm an Hausarbeit, es gibt ja genug Technik, welche die Arbeit erleichtert.“ Das stimmt natürlich hinsichtlich der Erleichterung vieler häuslicher Arbeiten – allerdings verfügen Milliarden Frauen weltweit auch heute noch nicht über diese Möglichkeiten. Sie verrichten die Hausarbeit oft noch so wie vor hundert Jahren, als z.B. das Wäschewaschen von Hand erfolgte – stundenlang und mindestens einmal die Woche.

In den entwickelteren Ländern hat sich v.a. nach 1945 viel an der Situation von Frauen geändert. Mit dem langen Boom nach 1945 erhöhte sich über einige Jahrzehnte auch der materielle Lebensstandard der Mehrheit der Arbeiterklasse. Die Arbeitslosigkeit sank, Frauen wurden stärker in die Arbeitswelt integriert. Die rechtliche Gleichstellung nahm zu, bestimmte diskriminierende Regelungen (z.B. zur Abtreibung) wurden gelockert oder gar abgeschafft. Der Bildungsstand von Frauen und Männern glich sich immer mehr an.

Doch trotz aller Veränderungen hat sich eines grundsätzlich nicht geändert: Hausarbeit und Kinderbetreuung sind immer noch hauptsächlich Frauensache. Die Doppelbelastung der Frau durch Arbeit und Haushalt/Familie ist geblieben. Außerhalb des „Normalarbeitsverhältnisses“, also z.B. bei der Teilzeitarbeit wird diese „Erleichterung“ mit finanziellen Einbußen und größerer sozialer Unsicherheit erkauft. Daran zeigt sich, dass die Frauenunterdrückung ein spezifischer Teil des allgemeinen gesellschaftlichen Unterdrückungsverhältnisses zwischen Lohnarbeit und Kapital ist. Dieses Verhältnis lässt sich nicht dadurch aufheben, dass der Waschvollautomat den Waschzuber abgelöst hat und Wegwerfwindeln erfunden wurden.

Hausarbeit und Kapitalismus

Die Existenz der „doppelt freien“ LohnarbeiterInnen (rechtlich frei und frei von Produktionsmitteln) brachte es auch mit sich, dass es nun weitgehend unmöglich war, in häuslicher Produktion Güter für den Eigenbedarf herzustellen. Alles, was gebraucht wurde, musste gekauft werden. Der Zwang, seine Arbeitskraft zu verkaufen, um Lohn zu erhalten, war deutlich größer als je zuvor.

Die Hausarbeit trug nun de facto nichts mehr zum Familieneinkommen bei. War es im Feudalismus Frauen noch möglich, ja für die familiäre Reproduktion notwendig, neben der Hausarbeit noch auf dem Feld oder im Stall zu arbeiten, zu Hause zu weben, zu flechten usw. und damit entweder zur Deckung des Familienbedarfs beizutragen oder aber die Produkte zu verkaufen oder zu tauschen, waren im Kapitalismus Arbeiten wie Kinderbetreuung, Putzen und Waschen (im eigenen Haushalt) zwar noch nützlich, hatten noch einen Gebrauchswert, jedoch keinen Tauschwert mehr.

Im Mittelalter war die Hausarbeit von der eigentlichen „Berufs-Arbeit“ des Bauern oder Handwerkers hinsichtlich der Qualifikation nicht wesentlich unterschieden. Im Kapitalismus wurde das radikal anders. Fortschritt fand in der Sphäre der Industrie statt, nicht oder kaum jedoch im Bereich häuslicher Arbeit. Die typischen Arbeiten der Frau waren „entwertet“ – in mehrfacher Hinsicht: sie erzeugten keinen Tauschwert und sie wurden im Vergleich zur Industrie einfache, „primitive“ Arbeiten.

Dadurch, dass die reale Abhängigkeit der Arbeiterklasse von der Lohnarbeit zum Kernproblem ihrer materiellen Existenz wurde, vertiefte sich zugleich auch die (materielle) Abhängigkeit der Frau vom Mann und der faktischen Unterordnung ihres Lebens unter das des Mannes.

Was ist Hausarbeit?

Die Arbeit des Gourmetkochs hat quasi Kunststatus – das häusliche Kochen ist im Grunde dieselbe Arbeit. Sie erfordert Planung, Erfahrung und Phantasie. Trotzdem ist die kochende Hausfrau weit davon entfernt, als „Künstlerin“ zu gelten.

Während die Arbeit von LehrerInnen oder ErzieherInnen als qualifizierte Facharbeit gilt, für die eine langjährige Ausbildung verlangt wird, gilt dasselbe für die häuslich/familiäre Erziehung der eigenen Kinder nicht. Ob die ErzieherInnen selbst erzogen werden, kümmert die bürgerliche Gesellschaft nicht oder nur insofern, als das Jugendamt bei Misshandlung oder Verwahrlosung von Kindern – im Nachhinein – aktiv wird. Doch trotzdem wird kein normaler Mensch bezweifeln, dass die Erziehung von Kindern durch die Eltern eine komplizierte Tätigkeit ist, die viel „soziale Kompetenz“ erfordert.

Hausarbeit ist also keinesfalls nur „primitive“ Arbeit, die vergesellschaftet werden muss, um Frau oder Mann von ihr zu befreien. Selbst einfache Tätigkeiten wie Reinigungs- oder Aufräumarbeiten sind nicht weniger anspruchsvoll oder kreativ als Fließbandarbeit oder die Arbeit eines Finanzbeamten, der jahrzehntelang Zahlenkolonnen kontrolliert. Hausarbeit ist kombinierte Arbeit aus verschiedenen, teils sehr anspruchsvollen, teils sehr einfachen Tätigkeiten.

Die Plackerei und der isolierenden Charakter der Hausarbeit ist v.a. oder überhaupt nur für Frauen aus der Arbeiterklasse oder der unteren Mittelschicht ein Problem. Reichere Frauen hatten schon immer viele Möglichkeiten, unliebsame Arbeiten auf proletarische Frauen abzuwälzen, die als Dienerinnen, Kinderfrauen oder Haushaltshilfen den gutsituierten Frauen ermöglichten, ein angenehmeres Leben zu führen und sich kreativeren Beschäftigungen zu widmen.

Hinsichtlich der Arbeiterklasse hat die Hausarbeit eine andere Funktion. Im Arbeitslohn sind die Reproduktionskosten der Arbeiterklasse, also der Familie samt Kindern etc. enthalten. Der Arbeitslohn des männlichen Arbeiters ist – letztlich unabhängig von der realen Familienform – als Familienlohn gesetzt, woraus sich auch (wenn auch nicht nur) die Hartnäckigkeit der Lohnunterschiede von Mann und Frau erklärt. Im System der Lohnarbeit ist also immer schon der Zwang der Reproduktion der Familien samt ihrer unterdrückerischen Funktionen und der diskriminierten Rolle der Frau mit enthalten. Ein individuellen „Ausbrechen“ daraus, z.B. indem sich die Familie für die Berufstätigkeit der Frau und gegen jene des Mannes entscheidet, wird durch Einkommenseinbußen für den Gesamthaushalt sanktioniert.

Wie die individuellen Mitglieder der Arbeiterklasse die Reproduktion der Familie „gestalten“, überlässt das Kapital auf dieser Grundlage gänzlich den ArbeiterInnen. Wie sie ihren Lohn verwenden, aufteilen etc. liegt außerhalb des eigentlichen Kapitalverhältnisses, wenngleich letztlich der direkte und indirekte Arbeitslohn den durchschnittlichen Verbrauch einer Proletarierfamilie (sprich den Warenkorb an Lebensmitteln, Wohnkosten, Kosten für Regeneration, Bildung, Rente) decken soll.

Im Haushalt finden keine Lohnarbeit, keine Ausbeutung, keine Warenproduktion statt. Die „Produkte“ der Hausarbeit werden aber nicht als Ware vom Mann oder den Kindern oder sonst jemandem gekauft. Sie erscheint als Gratisarbeit (auch wenn zu ihrer Verrichtung natürlich die Reproduktion der Frau, also deren Reproduktionskosten vorausgesetzt sind).

Wenn der Marxismus davon spricht, dass Hausarbeit bzw. die Abwälzung der Hausarbeit auf Frauen unterdrückerisch ist, dann kann sich das offensichtlich nicht auf die Art häuslicher Tätigkeiten an sich beziehen. Auch in einer zukünftigen, befreiten, kommunistischen Gesellschaft werden Menschen Staub fegen, Kinder versorgen oder kochen müssen.

Das Unterdrückerische der Hausarbeit und ihre grundlegende Rolle für die Frauenunterdrückung ergibt sich vielmehr aus den gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen sie stattfindet.

Unterdrückung

Das Unterdrückerische an der Hausarbeit besteht zunächst einfach darin, dass sie meist von Frauen verrichtet wird, wodurch Männer oft einen größeren Freiraum haben, sich um Beruf, Hobby oder Politik zu kümmern.

Die Forderung nach Vergesellschaftung drückt schon einen entscheidenden Nachteil der Hausarbeit aus: dass sie eben nur im privaten Rahmen stattfindet. D.h. Frauen (und natürlich auch Männer) sind  bei dieser Arbeit von der gesellschaftlichen Kooperation und Kommunikation stark abgekoppelt.

Eng damit verbunden ist der Umstand, dass in der privaten Hausarbeit die Dynamik der modernen Industrie mit ihren technischen Errungenschaften, bestimmten Formen von Organisation, Kooperation und Arbeitsteilung nicht vorkommen. So sind Frauen, die nur oder überwiegend häusliche Arbeiten verrichten, von dieser Seite gesellschaftlichen Lebens weitgehend abgeschnitten. Während Männer sich weiterbilden und sich mit Veränderungen in der Arbeitswelt auseinandersetzen müssen, geht ein solcher Druck von der Hausarbeit kaum aus.

„Hausfrauen“ haben auch weniger Kontakt zur Arbeiterklasse – als Kollektiv verstanden und nicht als einzelner Arbeiter in Form des Partners – und zur Arbeiterbewegung.

Das Unterdrückerische an der Hausarbeit liegt in ihrer Isoliertheit: von der Gesellschaft, von der Kommunikation, von moderner Produktion und von der Arbeiterklasse, von ihren Organisationen und Kämpfen. Insofern ist jeder Kampf für die Vergesellschaftung der Hausarbeit auch ein Kampf gegen Unterdrückung und ein Kampf für die Stärkung der Arbeiterbewegung durch die stärkere Einbeziehung von Millionen Proletarierinnen.

Der Kapitalismus kann auf die private Organisation der Hausarbeit letztlich nicht verzichten. Gleichwohl zeigt er selbst Tendenzen zur Vergesellschaftung der Hausarbeit. Mit der Einbeziehung von immer mehr Frauen in die Lohnarbeit ging auch eine Technisierung der Hausarbeit wie eine Ausdehnung staatlicher oder privater Kinderbetreuungs- und Erziehungseinrichtungen einher.

Letztlich bleibt diese Tendenz im Kapitalismus aber immer beschränkt, unvollständig und geht mit einer Doppelbelastung der Frau einher. Warum? Mit der Aufhebung der privaten Hausarbeit würde auch der vorherrschenden Beziehungsform, der bürgerlichen Kleinfamilie samt ihrer repressiven Funktion in der Unterdrückung, Unterordnung der Frau und der Kinder, der Boden entzogen. Daher muss die Familie – auch wenn sie im Kapitalismus selbst oft nicht so „normal“ ist, wie Familienpolitik, Kirche oder Moralapostel glauben machen – gefördert, am Leben erhalten und andere Formen des Zusammenlebens stigmatisiert werden.

Zum anderen würde eine Vergesellschaftung der Hausarbeit aber auch den Warencharakter der Ware Arbeitskraft unterminieren. Was heute an Waren für den Haushalt gekauft, an Energie, Zeitaufwand, Kreativität für Kindererziehung oder Kochen, an Plackerei für Müllentsorgung, Reparaturen usw., verwandt wird, würde als gesellschaftliche Arbeit erscheinen. Es würde nicht mehr auf die „geschickte Haushaltsführung“ der Frau (oder des Mannes) ankommen, ob der Lohn oder Hartz IV reicht, sondern die Kosten würden direkt als gesellschaftliche Kosten erscheinen.

Er wäre eine politische, eine gesellschaftliche Frage und nicht nur eine individuelle. Das zeigt, dass die Forderung nach Vergesellschaft der Hausarbeit eine Übergangsforderung, eine Forderung ist, deren Verwirklichung über den Kapitalismus hinausweist.

Vergesellschaftung oder Verstaatlichung?

In der Linken taucht die Frage der Vergesellschaftung der Hausarbeit, wenn überhaupt, oft als Forderung auf, um das oft ungenügende oder zu teure Angebot an Kinderbetreuungsmöglichkeiten zu verbessern.

In der DDR – und tendenziell in allen stalinistischen Staaten – gab es ein relativ gut ausgebautes System der Kinderbetreuung. Die Einrichtungen waren in aller Regel staatlich. Die Möglichkeiten für Eltern, auf diese Einrichtungen Einfluss zu nehmen, waren allerdings gering. Planung, Konzepte und Kontrollen oblagen staatlichen Stellen und staatlichen „BildungsspezialistInnen“, die meist Frauen waren.

Dieses staatliche Kinderbetreuungsystem war – trotz vieler Vorteile gegenüber dem des Westens – hinsichtlich der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Überwindung der tradierten „Fesselung“ der Frauen an die Kinderbetreuung wesentlich beschränkt. So waren die Beschäftigten in der Betreuung von Vorschul- und Schulkindern fast nur Frauen. Männer stärker mit diesen Aufgaben zu betrauen, wurde nicht ernsthaft versucht oder gefördert. So blieb die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau unangetastet.

Ein zweites, damit zusammenhängendes, Problem war, dass es eine strikte Trennung zwischen staatlicher Kinderbetreuung in Krippe oder Kindergarten und häuslicher Erziehung durch die Eltern gab. Bildung und Erziehung blieben somit – wie in der bürgerlichen Gesellschaft – einerseits Sache von staatlichen SpezialistInnen andererseits rein häuslich-familiäre Privatsache.

Das Beispiel der Kinderbetreuung zeigt sehr augenfällig, dass die „Verstaatlichung“ zwar ein  Schritt zur Lösung des Problems sein kann, für sich genommen aber keineswegs sicherstellt, den borniert-privaten Rahmen von Erziehung wirklich zu überwinden.

Die Betonung der Familie im Stalinismus als „kleinster Zelle der Gesellschaft„ (bezeichnenderweise identisch mit der bürgerlichen Ideologie) sanktionierte die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau zusätzlich und blockierte fast jeden Ansatz zur Überwindung der privatisierten Hauswirtschaft. Die in Ost und West nahezu identische Städte-Architektur, also die Art von Wohnen und Leben – der Plattenbau als „Arbeiterschließfach“ ist eine in Beton gegossene Homage an (klein)bürgerliches Familien-Leben.

Fazit

Die Befreiung der Frau kann nur dadurch erfolgen, dass die Gesellschaft häusliche Tätigkeiten und die Kinderbetreuung gemeinschaftlich – nicht durch einen abgehobenen Staat – erledigt. Voraussetzung dafür ist u.a. eine grundsätzliche Verkürzung der notwendigen Arbeit. Voraussetzung dafür ist letztlich, dass alle Unterdrückungsverhältnisse überwunden werden, dass der Mensch sich selbstbewusst und aktiv um die Gestaltung  der Gesellschaft kümmert. Das alles ist auf der Basis von Privateigentum und Profitstreben unmöglich.

Diesen Befreiungskampf zu führen hat die reformistische Arbeiterbewegung allerdings längst aufgegeben. In den Büros der Gewerkschaftshäuser oder den Vorstandsetagen von SPD und Linkspartei spielt die Hausarbeit als ein zentraler Aspekt der Frauenunterdrückung keine Rolle – und wenn, dann in Form einer „Frauen – und Familienpolitik“, die komplett in den Strukturen der bürgerlicher Gesellschaftlichkeit verharrt.

Im Vergleich dazu sind die praktischen Errungenschaften und Bemühungen der jungen Sowjetunion für die Verbesserung der Lage der Frauen und umso mehr die perspektivischen Debatten, die RevolutionärInnen wie Zetkin oder Kollontai und viele ihrer männlichen Mitstreiter führten, der heutigen frauenpolitischen Kleingeisterei des Reformismus turmhoch überlegen!