Die EU – das nächste Corona-Opfer?

Markus Lehner, Neue Internationale 246, Mai 2020

Seit Beginn der Corona-Krise schien es so, als seien die EU-Regularien nur noch Schall und Rauch: Grenzschließungen, Verschuldung für Rettungspakete, Unternehmensstützungen, Beschaffung von medizinischen Gütern und Schutzkleidung etc. – alles wurde rein nach Gutdünken der einzelnen Staaten durchgeführt, ohne die EU-Institutionen auch nur zu fragen, und oft in Konkurrenz zueinander. Dies trifft allerdings nicht zu auf eine Einrichtung mit Adresse in Frankfurt: die Europäische Zentralbank (EZB).

Widersprüche und Gemeinsamkeiten

Als im März neben dem Zusammenbruch der Gesundheitssysteme auch der allgemeine Finanzcrash drohte, griff die EZB in Kooperation mit der US-Zentralbank durch Billionen schwere Stützungskäufe von Staats- und Unternehmensanleihen sofort ein. Schneller noch als in der Euro-Krise von 2010-12 verhinderte die EZB so die Ausweitung der Krise zu einem Währungs- und Finanzdesaster im Euroraum. Was immer die politischen Maßnahmen derzeit an Auseinanderdriften in Europa anzeigen – die gemeinsame Währungspolitik (auch die Nicht-Euro-Länder der EU sind praktisch an die EZB gefesselt) und ihre Wirkungsweise in der Krise weisen auf das Weiterbestehen des Zwangs zum Zusammenwirken hin.

Diese Widersprüchlichkeit kommt nicht zuletzt in dem immer heftiger werdenden Gerangel um die Bewältigung der kommenden Wirtschaftskrise im EU-Raum zum Ausdruck. Allein in der Euro-Zone wird dieses Jahr mit einem Einbruch von über 10 % des BIP gegenüber dem Vorjahr gerechnet. So unterschiedlich die Länder auch betroffen sind – man denke nur an die katastrophale Lage in Spanien und Italien mit monatelangem Lockdown -, so sehr trifft der wirtschaftliche Einbruch alle EU-Staaten. Was Absatzmärkte, Produktionsketten, Dienstleistungen, Investitionsbewegungen betrifft, sind auch die großen „nordischen“ Kapitale stark von einem Wiederanlaufen aller EU-Ökonomien abhängig.

Italien gehört neben Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Schweden zu den Ländern mit den größten Vermögen und Kapitalen in der EU. Insbesondere Norditalien ist Endpunkt vieler Produktionsketten und Sitz großer Dienstleistungs- und Bankenkonzerne. Letzteres gilt auch für Spanien. Beide Länder wiesen schon vor der Krise enorme Verschuldungsprobleme auf. Italien allein sitzt auf einem Schuldenberg von 2,5 Billionen Euro mit einer 135 %-Staatsverschuldungsquote gemessen am BIP. Auch Spanien steht mit 97 % am oberen Ende der Verschuldung. Das Stocken der Produktion in den Zentren und das Ausbleiben von Geldflüssen von ArbeitsmigrantInnen trifft aber auch die osteuropäischen EU-Ökonomien schwer, wie auch viele andere Länder den enormen Rückgang des Tourismus (wahrscheinlich für das ganze Jahr) fühlen werden (z. B. Griechenland). Während alle diese Länder gerade ihre Corona-Sonderpolitik betreiben, rufen sie gleichzeitig nach den ökonomischen Rettungsringen der EU. Wie ist dieser Widerspruch zu erklären?

Nationalstaaten, internationale Kooperation und Imperialismus

Friedrich Engels bemerkte in „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ (MEW 19, S. 189-228), dass die Widersprüche von vergesellschaftender Tendenz und privater Aneignung (die sich auch in einer immer stärker werdenden Konzentration und Internationalisierung der Kapitale ausdrücken) speziell in Krisenzeiten dem kapitalistischen Staat eine spezielle Rolle zuteilen: „Und der moderne Staat ist wieder nur die Organisation, welche sich die bürgerliche Gesellschaft gibt, um die allgemeinen äußeren Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise aufrechtzuerhalten“ (MEW 19, S. 222) und agiert so als „ideeller Gesamtkapitalist“.

Längst ist das Kapital der ursprünglichen Form dieses ideellen Gesamtkapitalisten, der Form des Nationalstaates, entwachsen. Gleichzeitig hat es sich aufgrund der ungleichen ökonomischen Entwicklung als unmöglich erwiesen, über die Nationalstaaten hinausgehende staatliche Vereinigungen hervorzubringen, die über Teilaspekte und -kompromisse hinausgehen. In der Ära des Monopol- und Finanzkapitals ist die einzige übernationale Form der Regelung der gemeinsamen weltweiten „allgemeinen äußeren Bedingungen“ der Imperialismus: die weltweite Dominanz einiger großer Kapital- und Militärmächte, die mal mehr miteinander kooperieren, mal mehr gegeneinander konkurrieren.

In der Globalisierungsperiode ist die Konkurrenz zwischen den großen Kapitalen um Marktanteile und politische Kontrolle über wichtige Regionen enorm angestiegen – nicht zuletzt aufgrund des Auftretens neuer Mächte wie China und Russland, aber auch durch die Risse in der US-Hegemonie. Das EU-Projekt ist gerade in dieser Situation als Bündnis großer europäischer Kapitalinteressen entstanden, die ansonsten in der Weltmarkt- und Weltmachtkonkurrenz unterzugehen drohten. Die EU-Verträge dienten der Schaffung eines geschützten Wirtschaftsraumes, der einheitliche Handels- und Investitionsbedingungen, insbesondere für die großen Kapitale schaffen sollte. Insofern ist die EU ein Bündnis imperialistischer Staaten, das auch seine eigene halbkoloniale Peripherie teilweise mit einbezieht. Mit den „Freizügigkeitsregelungen“ und der gemeinsamen Währungspolitik wurden dabei inzwischen tatsächlich die Profitabilitätsbedingungen stark angeglichen. Die Verflechtungen der Märkte für Waren und Dienstleistungen wie auch der Produktionsprozesse sind daher so weit gediehen, dass selbst Britannien mit all seinen Sonderwegen mit dem Brexit enorme Probleme mit der Entflechtung hat.

Zerstrittenheit über die Krisenlasten

Andererseits gehört zum EU-Kompromiss, dass die wichtigen Einzelstaaten auf einer Eigenständigkeit in wichtigen Politikfeldern bestanden: nicht nur in der Sicherheits-, sondern auch in der Wirtschafts- und Fiskalpolitik. Nicht nur in internationalen Konflikten oder in der Migrationsfrage ist die EU daher zutiefst handlungsunfähig und zerstritten. Insbesondere in wirtschaftlichen Krisenzeiten bricht der Widerspruch von gemeinsamem Wirtschafts- und Währungsraum auf der einen Seite und der Frage von Haushaltspolitik und Schuldenmanagement auf der anderen Seite mit großer Schärfe aus. Schon in der letzten Euro-Krise mussten sich hochverschuldete Euro-Länder zu immer schlechteren Zinsen und Kreditbedingungen refinanzieren, während die „Nordländer“ das Geld auf den Kapitalmärkten quasi nachgeschmissen bekamen. Schon damals wurde der Vorschlag gemeinsamer europäischer Anleihen als Ausgleichsmechanismus dafür abgelehnt.

Die FinanzministerInnen Deutschlands, der Niederlande und anderer „Sparländer“ gerierten sich als KämpferInnen gegen eine „Transferunion“, in der angeblich „reformunwillige“ Südländer (insbesondere Griechenland) von den Ländern mit „ordentlicher Finanzpolitik“ ausgehalten würden. Wie heute auch waren aber die Südländer nicht selbstverschuldet in die Krise geraten. Die Finanzmarktderegulierungen (auch der EU) hatten ihnen in der Finanzkrise eine Bankenkrise beschert, an der auch die großen „Nord“-Kapitale stark beteiligt waren. Die schließlich beschlossenen „Rettungspakete“ waren dann eine Transformation dieser Bankenkrise in eine Staatsschuldenkrise, an der diese Länder bis heute leiden. Denn der Hauptmechanismus, der ESM („Europäischer Stabilisierungsmechanismus“) verband die Refinanzierung dieser Schulden mit enormen Auflagen, was Einsparungen, Steuerpolitik, „Rentenreformen“ und Ausverkauf von bisher geschützten Bereichen betraf.

Es ist daher kein Wunder, dass mit der jetzigen schweren Krise der Streit um Euroanleihen, umbenannt in „Coronabonds“, neu ausgebrochen ist. Unter Führung von Frankreich wurde diesmal der Konflikt mit den Sparmeisterländern mit harten Bandagen geführt. Immerhin geht es nicht nur um einen ökonomischen Konflikt. Inzwischen sitzen den meisten Regierungen euroskeptische PopulistInnen im Nacken, die jede Gelegenheit von „Diktaten aus Brüssel“ dazu nutzen, ihre Art von Pseudo-Opposition zu betreiben. Insbesondere in Italien war Salvini, als er noch in der Regierung war, ein Meister darin, sich als Anti-Brüssel-Held zu inszenieren – womit er mit dem Gewicht der italienischen Ökonomie weitaus mehr Aussichten hatte als die Tsipras-Regierung mit Griechenland zuvor. Die jetzige Regierung Conte steht angesichts der Schwere der Krise und der harschen Reaktion der Nordländer nun unter dem Druck einer starken EU-Ablehnung in der Bevölkerung, die Salvini wieder an die Regierung bringen könnte. Macron und die französische Bourgeoisie brauchen nach dem Brexit Länder wie Italien und Spanien unbedingt als Gegengewicht zur deutschen Vorherrschaft – und streben sowieso eine weitergehende Fiskalunion an.

Auch die wackelige niederländische Regierung unter dem „liberalen“ Premier Rutte steht unter starkem Druck der eurokritischen RechtspopulistInnen vor den Wahlen nächstes Jahr. Als Führungskraft der „Hansegruppe“ (nordeuropäische Länder, die sich als „liberale“ MusterschülerInnen sehen) fiel es daher Anfang April dem niederländischen Finanzminister Hoekstra zu, den Gegenspieler zu Macron/Conte/Sánchez zu spielen. Nach der Telefonkonferenz vom 9. April, auf der Hoekstra 36 Stunden lang jegliche Form von Eurobonds ablehnte, verkündeten einige EU-PolitikerInnen schon das mögliche Ende der EU. Portugals Ministerpräsident erwog sogar den Ausschluss der Niederlande aus der Euro-Gruppe.

Zwei Lager vor dem Hintergrund einer neuen Euro-Krise

Dabei waren die realen Positionen scheinbar gar nicht so weit auseinander. Die Notfallfonds der Europäischen Investitionsbank (EIB) für angeschlagene Unternehmen von 200 Milliarden und der EU-Kommission von 100 Milliarden für KurzarbeiterInnengeld („Sure“) waren unumstritten. Es ging letztlich darum, dass sich alle Staaten bis zu 2 % ihres BIP für ihre unmittelbaren Finanznöte in der Corona-Krise über den ESM ausleihen können sollten. Hoekstra wollte dem nur zustimmen, wenn damit auch die altbekannten Auflagen des ESM, was „Reformpolitik“ betrifft, unterschrieben würden – also die Haushaltspolitik der betroffenen Länder praktisch unter Kontrolle der EU-SparkommissarInnen gestellt würde.

Angesichts der Situation in Italien konnte dies nur als ungeheure Provokation aufgefasst werden, die den Gipfel insgesamt zum Platzen brachte. Dies führte die EU damit tatsächlich an den Rand einer schweren Krise. Für was wäre sie noch zu gebrauchen, wenn sie nicht eines ihrer zentralen Mitglieder vor dem finanziellen und politischen Kollaps bewahren kann, andererseits aber das rechts-autoritäre Orbán-Regime problemlos weiterfinanziert wird, weil es sich an die finanzpolitischen Regeln hält?

Damit kam es am 23. April zu einer weiteren „Entscheidungsschlacht“ per Videoschaltung. Als typischer weiterer EU-Kompromiss erschien nunmehr eine Art europäischer Marshallplan, ein Corona-Wiederaufbauprogramm finanziert aus dem EU-Haushalt. Da es sich dabei um ein Programm in der Größenordnung von 1 bis 1,5 Billionen Euro handelt, ist das natürlich nichts, was direkt aus dem Haushalt finanziert, – sondern nur über Kapitalaufnahme auf „den Märkten“ aufgebracht werden kann. Natürlich handelt es sich daher (wie schon bei den Maßnahmen der EZB) eigentlich wieder um eine Form der Gemeinschaftsschulden, nur, dass anders als bei den Eurobonds nicht die Einzelstaaten, sondern die EU als Ganzes in die Haftung ginge. Ironischerweise würde so die EU tatsächlich ein großer Player auf dem Gebiet der Fiskalpolitik werden (bisher ist die Agrarpolitik der größte Haushaltsbereich).

Damit ist klar, dass der alte Konflikt in neuer Form auftreten musste: um die Bedingungen des Zugangs zum Wiederaufbaufonds. Angesichts der schon vor der Krise verzweifelten Schuldenlage verlangt die Macron/Conte/Sánchez-Front, dass die Mittel als Zuwendungen („Investitionen“) fließen, während Hoekstra/Scholz darauf bestehen, dass es um Kredite (also weitere Verschuldung) geht. Auch diesbezüglich waren die Fronten so verhärtet, dass es weiterhin keine Einigung gibt. Nunmehr soll die EU-Kommission einen Kompromiss mit einem Mix aus Investitionen und Krediten finden.

Schreckgespenst EU-Kapitalismus …

Die Lösung der Zwickmühle zwischen Verschuldung, Rettung von Betrieben und langfristiger Neuausrichtung von Industrien ist natürlich schwer, wenn man von der „Unantastbarkeit“ des Privateigentums ausgeht – dieses also nur durch den Bankrott enteignet. Für SozialistInnen ist die Antwort einfacher: Streichung aller Schulden, EU-weite Verstaatlichung maroder Betriebe unter ArbeiterInnenkontrolle und Entwicklung eines Planes zur sozial und ökologisch gerechten Umgestaltung der europäischen Industrien.

Angesichts der Dimension der zu erwartenden Krise ist diese Verschärfung der Widersprüche in der EU eine Vorbereitung auf Heftigeres. Einerseits wirken die ökonomischen Zwänge zum Erhalt der Wirtschafts- und Währungsunion weiterhin dahin, dass das EU-Schiff durch immer neue Kompromisse auf stürmischer See zusammengeflickt wird. Dabei kann die EU während der Krise sogar zu weiteren Schritten Richtung Fiskalunion stolpern. Genauso möglich ist aber auch, dass sich der politische Streit und der weitere Aufstieg des Anti-EU-Populismus zu einer Zerfallskrise der EU aufschaukeln.

Für SozialistInnen ist klar, dass die EU insgesamt ein imperialistisches Projekt vor allem im Interesse der großen EU-Kapitale ist. Auch die jetzigen „Rettungspakete“ werden aus den Kapitalzuflüssen nicht zuletzt auch aufgrund der Weltmarktstellung der EU und des Euro finanziert. Leidtragende gerade in Krisenzeiten sind damit vor allem halbkoloniale Regionen – und denjenigen, die dann logischerweise aufgrund der angerichteten Situation zur Flucht gezwungen sind, wird dann auch noch das „demokratische“ EU-Grenzregime der „Festung Europa“ entgegengehalten. Diese EU verteidigen wir in keiner Weise – sie muss überwunden werden!

Andererseits ist die Rückkehr zur Nationalstaatlichkeit ein Rückschritt und keine Alternative. Die erreichte Europäisierung der Produktivkraftentwicklung, die übernationalen Verbindungen auf vielen Ebenen, die kulturellen Vereinigungstendenzen – all das sind auch tatsächliche Fortschritte, die nicht auf dem Altar von Nationalismus, Protektionismus und wahrscheinlich auch neuem Militarismus geopfert werden sollten. Daher muss die kriselnde EU nicht durch ein Weniger, sondern durch ein Mehr an Europa ersetzt werden – etwas wozu die europäischen Bourgeoisien mit ihrer kleinlichen Krämerpolitik nicht in der Lage sind.

… oder Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa?

Trotzki fasste dies schon nach dem Ersten Weltkrieg so zusammen: „Eine mehr oder weniger vollständige wirtschaftliche Vereinigung Europas von oben durch eine Übereinkunft der kapitalistischen Regierungen ist eine Utopie. Weiter als zu Teilkompromissen und zu halben Maßnahmen kann auf diesem Wege die Sache niemals gedeihen. Umso mehr wird eine wirtschaftliche Vereinigung Europas, welche sowohl für die Produzenten als auch die Konsumenten und für die kulturelle Entwicklung überhaupt von großem Vorteil wäre, zu einer revolutionären Aufgabe des europäischen Proletariats in seinem Kampf gegen den imperialistischen Protektionismus und dessen Werkzeug, den Militarismus“ (Trotzki, Friedensprogramm). Die Vereinigten Staaten von Europa werden also erst als ein sozialistisches Projekt Wirklichkeit werden!




Europäisches Aktionsprogramm

Die Krise der Europäischen Union, Liga für die Fünfte Internationale, Kapitel 9, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, April 2019

Gegen Arbeitslosigkeit
und prekäre Beschäftigung

  • Für Massenstreiks bis hin zu Generalstreiks, um zu verhindern, dass Unternehmen und Regierungen uns den Preis für ihre Krise durch Massenentlassungen zahlen lassen.
  • Gegen alle Ausgliederungen und das Verdrängen von Vollzeitstellen durch Subunternehmen und Leiharbeit. Keine Lohnkürzung durch Kurzarbeit oder erzwungene Teilzeit!
  • Für ein massives Sofortprogramm gesellschaftlich nützlicher öffentlicher Arbeiten zur Schaffung von Vollbeschäftigung, Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Infrastruktur und zur Wiederherstellung einer lebenswerten Umwelt. Die EinwohnerInnen der ArbeiterInnenbezirke, die mit akutem Mangel an sozialem Wohnraum, mit baufälligem Wohnungsbestand, heruntergekommenen Schulen, Mangel an Kindergärten, Arztpraxen und Kliniken konfrontiert sind, sollen eine Liste ihrer sozialen Forderungen erstellen, die ein solches Programm erfüllen soll.
  • Die öffentlichen Arbeiten sollen Teil eines demokratisch entwickelten Produktionsplans unter ArbeiterInnenkontrolle sein. Die Pläne sollten von den Beschäftigten dieser Sektoren zusammen mit denen der Bau-, Rohstoff- und Zulieferindustrie ausgearbeitet werden. Demokratisch gewählte GewerkschaftsvertreterInnen sollten für die Aufnahme von Arbeitslosen oder SchulabgängerInnen in das Programm verantwortlich sein und gemeinsam einen existenzsichernden Lohn durchsetzen. Die Kosten müssen die Banken und Unternehmen, die die Krise verursacht haben, tragen. Das Programm muss durch eine massive Steuererhöhung auf Einkommen und Vermögen der Reichen finanziert werden.
  • In Betrieben, in denen die Bosse versuchen, einen Teil der Belegschaft zu entlassen, fordern wir eine gleitende Skala der Arbeitszeit (Verkürzung der Arbeitsdauer, angepasst an das Ziel Vollbeschäftigung): Die Arbeit soll auf alle aufgeteilt werden, ohne Lohnausfall.

Die Unternehmen nutzen
die Krise, um die Reallöhne zu senken und die prekären Arbeitsbedingungen
auszuweiten. Millionen wurden bereits in Armut und Unsicherheit getrieben, was
unsere kollektive Stärke untergrub. Davon werden in der nächsten Krise mehr
Menschen bedroht sein. Wir fordern:

  • Ein von der ArbeiterInnenbewegung jeweils national festgelegter Mindestlohn auf einem Niveau, das die LohnempfängerInnen vor Armut schützt und das über der europäischen Mindestlohngrenze liegt.
  • Eine gleitende Lohnskala (fortlaufende Anpassung an die Preise) zum Schutz des Lohns vor Inflation.
  • Die Gewerkschaften müssen einen grenzüberschreitenden Kampf beginnen, um das Lohnniveau in allen Ländern auf höherem Niveau anzugleichen. Das ist die Antwort der ArbeiterInnenklasse auf den „Wettlauf nach unten“: ein Wettlauf nach oben, der auf internationaler Solidarität basiert, und nicht Versuche, „ausländische“ Werktätige zu vertreiben oder StaatsbürgerInnen gegenüber MigrantInnen zu privilegieren.
  • Für eine 30-Stunden- und eine 4-Tage-Woche jetzt, als gesetzlich vorgeschriebenes Maximum ohne Lohnausfall.
  • Gegen alle Zwangsarbeitssysteme für Arbeitslose oder Regeln, nach denen niedrigere Löhne gezahlt werden können und die einen geringeren Rechtsschutz für dort Angestellte bieten. Echte Jobs für Arbeitslose, nicht Arbeitsmodelle, die arm machen.
  • Alle Beschäftigten in Leiharbeit, erzwungener Teilzeit, Werksverträgen und auslernende Auszubildende sollen einen unbefristeten Vertrag zu vollen Tarifbedingungen erhalten.
  • Für die Verstaatlichung bankrotter Unternehmen statt staatlicher Rettungsaktionen. Anstelle der Billionen-Euro-Beihilfen für Banken und Unternehmen sollten die Banken, die Großkonzerne und alle Unternehmen, die Entlassungen ankündigen, ohne Entschädigung und unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlicht werden.

Vom heutigen Kampf der
Frauen bis zur vollständigen Befreiung

Das Patriarchat und die
Dominanz der Männer im politischen, wirtschaftlichen, familiären und privaten
Leben macht Männer, einschließlich derjenigen der ausgebeuteten Klassen, zu
Begünstigten und Agenten der Frauenunterdrückung. Männlicher Sexismus ist
jedoch gleichzeitig den Interessen der Männer der ArbeiterInnenklasse
abträglich und behindert den täglichen Klassenkampf und das Ziel des
Sozialismus. Es kann keinen Sozialismus ohne Frauenbefreiung geben.

Zugleich wird nur die
Abschaffung des Kapitalismus, der letzten Form der Klassengesellschaft, die
Frauen endlich befreien. Diese gemeinsame Aufgabe ist die der gesamten
ArbeiterInnenklasse und all jener, die sich aus anderen Klassen für ihre Sache
einsetzen. Deshalb können wir den Ausschluss von Frauen, auch durch Passivität
und Ignoranz, von jedem Aspekt des Klassenkampfes nicht tolerieren. Heute
müssen und können wir, als Frauen und Männer gemeinsam, Millionen Menschen im
Kampf gegen die vielen Formen der Frauenunterdrückung, in Staat, Wirtschaft und
in den Organisationen der ArbeiterInnenklasse mobilisieren.

In den letzten zehn
Jahren haben die Regierungen den Bankiers riesige Subventionen verschafft und
dann massive Kürzungen bei den sozialen Leitungen vorgenommen. Diese trafen die
Arbeiterinnen doppelt hart: erstens als Mehrheit der Beschäftigten in Bildung
und Erziehung von Kindern,  in der
Betreuung von Kleinkindern, Kranken und Älteren; zweitens in der Familie, wo
sie die unbezahlte Arbeit der Betreuung von Menschen übernehmen müssen, deren
Pflege der Staat aufgegeben hat.

Millionen von Frauen in
Europa wird nach wie vor die Möglichkeit einer gut bezahlten Lohnarbeit
verwehrt. Diejenigen, die in die Arbeitswelt eintreten können, werden oft in
die am schlechtesten bezahlten Berufe gezwungen und leiden weiterhin unter
Diskriminierung bei der Bezahlung, wobei sie oft wesentlich weniger für genau
die gleiche Arbeit verdienen als Männer. Arbeitsunterbrechungen durch
Schwangerschaften und Kinderbetreuung in den ersten Jahren werden genutzt, um
Löhne, Gehälter und Renten von Frauen zu drücken.

In jeder Rezession und
Krise erhöhen Armut und die Verzweiflung über Massenarbeitslosigkeit den
körperlichen und geistigen Missbrauch von Frauen, einschließlich Vergewaltigung
und häuslicher Gewalt. Auch hier sind die Mittel zur Bewältigung dieser
Probleme, wie z. B. Frauenhäuser, Opfer von Sparmaßnahmen geworden. Aber mit
zunehmender Unterdrückung wächst auch der Widerstand der Frauen. Die
#Me-Too-Bewegung in den USA verbreitete sich weltweit, auch in Europa, und
machte das allgegenwärtige Ausmaß der sexuellen Belästigung deutlich, unter der
Frauen am Arbeitsplatz und im öffentlichen Leben leiden. Wichtige Teile der
vermeintlich revolutionären Linken haben sich als davon nicht immun erwiesen,
bei all ihren Bekundungen zur Unterstützung des Feminismus und der Frauenbefreiung.

Frauen der
ArbeiterInnenklasse sind nicht nur mit einer Verschlechterung ihrer
Lebensbedingungen konfrontiert, sondern auch mit einer Propagandaoffensive der
Rechten, die verkünden, dass der Platz einer „Frau im Haus“ sei. Dies geht Hand
in Hand mit Maßnahmen zur Einschränkung der reproduktiven Rechte von Frauen. In
einigen Staaten der Europäischen Union, wie Polen, wo die Kirche noch immer
einen enormen Einfluss auf Bildung und Gesundheit hat, sind Abtreibungen für
die überwiegende Mehrheit der Frauen schwierig bis unmöglich.

Der erdrutschartige Sieg
des irischen Referendums (zur Abtreibung) im Mai 2018 und Polens „Schwarzer
Montag“, die Mobilisierungen von Frauen im Jahr 2016, zeigen jedoch, dass
Massenkampagnen sich der tief verwurzelten Macht der Kirchen und anderer
ReaktionärInnen widersetzen und sie sogar brechen können.

Die Wahl von Donald
Trump, berüchtigt wegen seiner Frauenfeindlichkeit und seiner Übergriffe, und
Jair Bolsonaro zum Präsident Brasiliens hat ReaktionärInnen in ganz Europa ermutigt.
Die Welle des Massenwiderstandes in Nord- und Südamerika hat jedoch die Idee
und Praxis gleichzeitiger globaler Mobilisierungen wie den Internationalen
Frauenstreik gefördert.

  • Verteidigt das Recht der Frauen auf Arbeit!
  • Verteidigung der sozialen Leistungen gegen Kürzungen in Kindergärten und bei der Kinderbetreuung und Kampf gegen die Schließung von Zufluchtsorten vor Vergewaltigung und häuslicher Gewalt. Für eine angemessene Unterstützung für die Pflege älterer und gebrechlicher Menschen im Haushalt!
  • Wiederverstaatlichung privatisierter Dienstleistungen, einschließlich kostenloser Kinderbetreuung, Zugang zu Gesundheit und Bildung für alle unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Für volle Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen, mit erhöhtem Mutterschafts- (oder Vaterschafts-) Urlaub ohne Verlust von Lohnerhöhungen oder Rentenansprüchen!
  • In jedem europäischen Land fordern wir den uneingeschränkten Zugang aller Frauen zu freier Empfängnisverhütung und Abtreibung auf Verlangen. Der Ausschluss des Einflusses der Kirche auf diese Sphären bleibt in vielen Ländern eine wesentliche demokratische Forderung, ebenso wie die kollektive Kontrolle über die Einrichtungen zur Geburtenkontrolle durch ihre Nutzerinnen und die ArbeiterInnenorganisationen.
  • Verteidigung, Wiederherstellung und Ausbau der Sozialdienste und -leistungen, keine Rückkehr in die häusliche Isolation!
  • Für eine Massenmobilisierung unter dem Motto: Die Frauen werden für die soziale Krise des Kapitalismus nicht bezahlen!
  • Eine radikale Veränderung der Art und Weise, wie das Polizei- und Justizsystem mit Opfern von Vergewaltigung und häuslicher Gewalt umgeht, bei der nicht die Betroffenen vor Gericht stehen, sondern die Täter.
  • Eine Kampagne, um die Anstachelung von Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen zu stoppen. Öffentliches Anprangern von allen Formen der Erniedrigung, die von der Millionärspresse oder den Social- und Online-Medien kommen.
  • Ausweitung der Frauenausschüsse in den Gewerkschaften und Parteien der ArbeiterInnenklasse sowie Stärkung derer Rechte. Durchsetzung der gleichberechtigten Beteiligung von Frauen an der Führung. Bekämpfung sexistischer Praktiken und jedes Missbrauchs.
  • Unser Ziel, untrennbar mit dem Sturz der kapitalistischen Herrschaft verbunden, ist die vollständige Vergesellschaftung von Kinderbetreuung und Hausarbeit, die volle Gleichstellung der Geschlechter und das Absterben auch der letzten Spuren des Patriarchats.

Jugendliche an der Spitze
der Kämpfe

Die Wurzel der
Unterdrückung der Jugend liegt in der Familie. In der bürgerlichen Familie ist
das Kind fast völlig rechtlos und dem Diktat der Eltern unterworfen, eine
Situation, die die Beziehungen zwischen Kindern und Eltern vergiftet.
Jugendliche, die ihre eigenen persönlichen und sexuellen Beziehungen aufbauen,
ihre eigenen Interessen verfolgen und irgendwann ihr eigenes Leben gestalten
wollen, müssen die Autorität von Eltern, Schule und Polizei in Frage stellen.

Infolgedessen stehen
junge Menschen an vorderster Front im Kampf um die Freiheit, und die ersten Jahrzehnte
des neuen Jahrtausends haben viele eindrucksvolle Beispiele dafür erlebt. Sie
bildeten die Massenbasis der antikapitalistischen und Antikriegsbewegungen in
den frühen 2000er Jahren. Der Selbstmord eines jungen tunesischen
Straßenhändlers, der gegen Erpressung und Schikanen der Polizei protestierte,
löste 2010/2011 eine Revolution aus, die den autoritären Führer des Landes
vertrieb und den Arabischen Frühling in Ägypten, Libyen, Jemen, Bahrain und
Syrien einleitete. Mit Hilfe der so genannten sozialen Medien organisierten
Jugendliche eine Welle von Straßenmobilisierungen und Platzbesetzungen, die
sich auf Europa und Nordamerika ausbreitete.

Die Besetzung des
Tahrir-Platzes in Kairo wurde von 2010 bis 2015 von den Indignados in Spanien
und in Italien, Portugal und Griechenland kopiert. Im Jahr 2010 motivierten
Kürzungen in der Bildung als Teil der neoliberalen kapitalistischen
Sparmaßnahmen Universitäts- und CollegestudentInnen, das Parlament in
Großbritannien zu belagern. In vielen Generalstreiks standen junge Menschen an
vorderster Front, um sich den Sparpaketen zu widersetzen, die in der Spitze
dazu führten, dass die Jugendarbeitslosigkeit fast 50 Prozent betrug.

Im Jahr 2018
organisierten junge PalästinenserInnen den Rückkehrmarsch in Gaza, bei dem 200
unbewaffnete DemonstrantInnen von israelischen ScharfschützInnen erschossen
wurden. Schulstreiks, die von der 16-jährigen schwedischen Klimaaktivistin
Greta Thunberg initiiert wurden, lösten 2019 in Deutschland und Großbritannien
direkte Massenaktionen und eine sich weltweit ausbreitende Bewegung aus. Im
Jahr 2019 kam es auch zu Massendemonstrationen junger Menschen in Algerien, die
die 20-jährige Herrschaft von Abd al-Aziz Bouteflika beendeten, gefolgt von
einem Massenaufstand im Sudan, bei dem sich junge Menschen, Frauen und
GewerkschafterInnen zusammenschlossen, um das Ende des gesamten
militärisch-bürokratischen Regimes zu fordern.

Fast ein Jahrzehnt nach
der großen Krise ist die Arbeitslosigkeit, trotz der anhaltenden
wirtschaftlichen Erholung, für die 15- bis 24-Jährigen hoch: in Griechenland
39,9 Prozent, in Italien 32,2 Prozent, in Spanien 34,4 Prozent und  in Frankreich 20,8 Prozent.

Die Mehrheit der
Erwerbstätigen ist in prekären Arbeitsverhältnissen tätig, mit befristeten
Verträgen, Null-Stunden oder erzwungenen Teilzeitverträgen, und mit einem
deutlich schwächeren rechtlichen Schutz als andere Beschäftigte. Firmen wie
Amazon, Deliveroo und Uber beuten junge ArbeiterInnen übermäßig aus. Staatliche
Ausbildungsprogramme zahlen Hungerlöhne und garantieren am Ende keinen
Arbeitsplatz. Auf der Straße werden junge Menschen von der Polizei aufgegriffen
und belästigt.

In den Schulen werden die
Ungleichheiten und Machtstrukturen der Gesellschaft reproduziert und
gerechtfertigt, denn dieses „Lernen fürs Leben“ bedeutet im Kapitalismus,
jungen Menschen das Recht auf Teilnahme an der Entscheidungsfindung zu
verweigern und sie einer willkürlichen Disziplin zu unterwerfen.

Wir sind gegen jede
religiöse oder private Kontrolle des Schulwesens und kämpfen für eine säkulare,
staatlich finanzierte Bildung. Die Lehrpläne sollen von den LehrerInnen, Eltern
und SchülerInnen selbst festgelegt und die Schulen demokratisch verwaltet
werden. Junge Frauen müssen Zugang zur Geburtenkontrolle und das Recht haben,
unerwünschte Schwangerschaften abzubrechen. Wir brauchen Jugend-, Sport-
und  Kulturzentren und den Zugang
zu angemessenen Wohnungen, die vom Staat finanziert werden und unter der
demokratischen Kontrolle der NutzerInnen und der dort beschäftigten
ArbeiterInnen stehen.

  • Kostenlose Bildung für alle, Stipendium, Abschaffung der Studierendendarlehen für einheimische und ausländische Studierende.
  • Ein Ende jeder Trennung und Diskriminierung in der Schule aufgrund von Geschlecht, Rasse oder Religion! Nein zu religiösen Schulen! Für Bildung, keine Indoktrination!
  • Verstaatlichung aller Privatschulen ohne Entschädigung, werft die ProfiteurInnen raus!
  • Demokratisierung der Schulen, Hochschulen und Universitäten unter Beteiligung von SchülerInnen-, Studierenden-, Eltern-, LehrerInnen- und Hilfskräftekomitees zur Planung von Bildung und Verwaltung! Für SchülerInnen- und Studierendengewerkschaften in Schulen und Hochschulen!
  • Sozialzentren für junge Menschen unter der demokratischen Kontrolle derjenigen, die sie nutzen und in ihnen arbeiten!
  • Für einen Lebensunterhalt, Verpflegung und Unterkunft für alle SchülerInnen und Studierenden.

Die demokratischen Rechte
junger Menschen müssen gestärkt werden, mit dem Recht, mit 16 oder früher zu
wählen, wenn sie arbeiten. Diejenigen, die alt genug sind, um zu arbeiten, sind
alt genug, um zu wählen! Keine Zwangsrekrutierung junger Menschen in
kapitalistische Armeen, aber die Ausbildung im Umgang mit Waffen soll für alle
zugänglich sein.

  • Nulltoleranz gegenüber Kindes-, sexuellem oder körperlichem Missbrauch, harte Strafen für Prügel und Grausamkeiten! Abschaffung der Gesetze gegen einvernehmlichen Sex zwischen jungen Menschen!
  • Sexualaufklärung im Kampf gegen Frauenfeindlichkeit, Lesben-/Schwulenhass und Transphobie!
  • Volle StaatsbürgerInnenschaftsrechte mit 16 Jahren, einschließlich des Wahlrechts!
  • Für das Recht auf Arbeit! Schafft Arbeitsplätze, indem die Stunden verkürzt werden, mit vollem Lohnausgleich!

Wo immer reformistische
ParlamentarierInnen oder GewerkschaftsfunktionärInnen es für notwendig halten,
junge Menschen zu organisieren, in angegliederten Jugendorganisationen oder
-bewegungen, versuchen sie immer zu verhindern, dass sie ihre eigenen
Forderungen äußern. Aufgrund der spezifischen Situation der Jugendlichen und
des Charakters ihrer Unterdrückung wird eine wirklich revolutionäre Partei die
Jugendorganisation niemals als untergeordnete Jugend-Abteilung unter der
Vormundschaft erwachsener „FührerInnen“ behandeln. Stattdessen muss sie sich
für die organisatorische und politische Unabhängigkeit der Jugendbewegung
einsetzen, die in der Lage ist, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, ihre
eigene Tätigkeit zu bestimmen, über ihre eigene Politik zu diskutieren und
entscheiden und gegebenenfalls die „erwachsene“ Partei zu kritisieren, die
wiederum das Recht hat, sie zu kritisieren. Nur so können junge Menschen sowohl
aus ihren Fehlern als auch aus ihren Erfolgen lernen.

Kämpfe für Umwelt,
Ressourcen, Nahrung und Klima!

Der Kapitalismus selbst
hat jene Sitation geschafffen, die zu einer globalen Umweltkatastrophe zu
führen droht. Die Wiederbelebung der akuten inter-imperialistischen Rivalität,
der verschärfte Wettbewerb und die 
Handelskriege machen praktisch unmöglich, dass die kapitalistischen
Staaten in der aktuellen Periode die Gefahr einer globalen Klimakatastrophe
angehen oder gar lösen können. Um unsere natürliche Umwelt vor Verschmutzung,
Überschwemmungen, Waldbränden, Wüstenbildung, Hungersnöten und dem Verlust der
biologischen Vielfalt zu schützen, muss die Produktion von der Geißel des
Profits und der Anarchie des Marktes befreit werden. An ihrer Stelle muss eine
nachhaltige Produktion von Energie, Nahrung, Rohstoffen und Verkehr auf
lokaler, regionaler und internationaler Ebene geplant werden.

Ohne schnelles und
entschlossenes Handeln wird der Klimawandel die Reproduktion der Menschheit
selbst gefährden. Während sich die europäischen herrschenden Klassen als „grün“
präsentieren und empört sind über Trump und seinen Ausstieg aus den „Pariser
Klimaabkommen“, wollen sie selbst nur, dass andere für ihr Versagen bei der
Bewältigung der aktuellen Krise bezahlen. Sie verteidigen nicht die Umwelt und
die Zukunft der Menschheit, sondern die Gewinne der Großindustrie, der Monopole
im Automobil-, Öl-, Transport- und Energiesektor. Während sie gegenüber den von
Katastrophen, Überschwemmungen, Wüsten und Wasserknappheit bedrohten
halbkolonialen Ländern Lippenbekenntnisse ablegen, wollen sie eigentlich die
Kosten des Klimawandels auf die Armen, die ausgebeuteten Länder, die
Bauern-/Bäuerinnenschaft und die ArbeiterInnenklasse abwälzen.

Gleichzeitig beginnen
Millionen von Menschen zu erkennen, dass wir einen Systemwechsel brauchen, um
den Klimawandel zu stoppen. Die grünen, bürgerlichen, kleinbürgerlichen
und  reformistischen FührerInnen der
Bewegung verstehen jedoch nicht den Charakter des Systems, des Kapitalismus,
und damit des Mittels, ihn zu stürzen, den Klassenkampf. Um die Umweltfrage
anzugehen, sind sofortige und entschlossene Maßnahmen auf nationaler,
europäischer und globaler Ebene erforderlich.

  • Schnellstmöglicher, geplanter Ausstieg aus nuklearen und fossilen Brennstoffen in der Energieerzeugung; für massive Investitionen in erneuerbare Energien, um die Probleme der Energiespeicherung zu lösen!
  • Für massive Investitionen in ein öffentliches Verkehrssystem auf europäischer Ebene, um den Individualverkehr zu ersetzen und gleichzeitig die Verkehrssysteme in den Gemeinden, in der Stadt und auf dem Land, auf nationaler und europäischer Ebene zu erhalten und zu verbessern!
  • Verstaatlichung ohne Entschädigung aller großen Monopole im Energie- und Verkehrssektor. Verstaatlichung der Forschung und ihre Neuausrichtung auf die Bedürfnisse der Massen und eine nachhaltige Umwelt!
  • Ein Investitionsplan für die Umweltreparatur, Energieeinsparung in Wohnen und Produktion.
  • Lasst die KapitalistInnen für den ökologischen Wandel bezahlen! Keine „grünen“ indirekten Massensteuern, sondern eine massive Besteuerung von Gewinnen und Vermögen!

Verteidigt
gewerkschaftliche, bürgerliche und demokratische Rechte

Der Kampf gegen den
Terrorismus wurde als Vorwand benutzt, um unsere demokratischen Rechte
anzugreifen, einschließlich einer längeren Untersuchungs- oder Schutzhaft von
Verdächtigen („GefährderInnen“) ohne Beistand von AnwältInnen oder Erscheinen vor
HaftrichterInnen. Die polizeiliche Überwachung der Bevölkerung unter dem
Vorwand der Sicherheit wurde enorm verstärkt, da alle Formen der Kommunikation
jetzt offen für Spionage sind. Das Recht auf Versammlungs- und
Demonstrationsfreiheit wurde eingeschränkt, und die Polizeikräfte haben neue
Gesetze erhalten, um gegen protestierende ArbeiterInnen und migrantische
Bevölkerungsgruppen vorzugehen.

  • Aufhebung aller so genannten Anti-Terror-Gesetze und polizeilichen Befugnisse, um die rechtlichen Aktivitäten der BürgerInnen zu überwachen.
  • Keine Inhaftierung ohne Prozess.
  • In den meisten europäischen Ländern leiden die Gewerkschaften unter schweren rechtlichen Fesseln, die den Widerstand der ArbeiterInnen behindern. Schwerfällige Abstimmungssysteme, Abkühlungsfristen oder Zwangsschlichtungen verzögern eine sofortige Reaktion auf Arbeitsplatzabbau oder Massenentlassungen. Politische Streiks, d. h. Streiks gegen die Regierungspolitik, sind in den meisten Ländern verboten, und in Italien und Frankreich droht die Einführung von Streikverboten in „wesentlichen Diensten“.
  • Aufhebung aller Gesetze, die das Streik- und Organisationsrecht einschränken. Für das Streikrecht.
  • Gesetzlich durchsetzbares Recht auf Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft: für die sofortige Wiedereingliederung und Entschädigung von ArbeiterInnen, die wegen der Ausübung dieses Rechts entlassen wurden.

Kampf dem Rassismus und Faschismus!

Das Wachstum der
Massenarbeitslosigkeit und der Verzicht auf Widerstand führen zu rassistischer
Sündenböckensuche in Gestalt von Minderheiten und zur Zunahme des Faschismus.
Gegen das Wachstum der rassistischen Rechten und der FaschistInnen! Kämpfen wir
für:

  • Aufhebung aller Beschränkungen des Rechts der ArbeiterInnen, sich auf der Suche nach Arbeit durch Europa zu bewegen! Gegen alle Einreisekontrollen. Nieder mit dem Schengener Abkommen, mit Frontex und der EU-Polizei im Mittelmeerraum! Annullierung des Abkommens mit der Türkei, das Flüchtlinge davon abhalten soll, nach Europa zu kommen! Für volle StaatsbürgerInnenrechte für, einschließlich der gleichen Berechtigung auf Arbeit, des gleichen Aufenthaltsrechts, des gleichen Zugangs zu Sozialleistungen, der Gesundheitsversorgung, der Bildung, der vollen politischen Rechte, einschließlich des Wahlrechts! Für offene Grenzen: für das uneingeschränkte Recht auf politisches Asyl und auf Arbeit!
  • Massenaktionen, um die Verbreitung der Hass-Propaganda von FaschistInnen und rassistischen PopulistInnen zu unterbinden, und zur Bekämpfung und Beendigung gewalttätiger Angriffe auf MigrantInnen und ethnische Minderheiten. Die ArbeiterInnenbewegung sollte alle unterstützen, die sich gegen Pogrome, rassistische und faschistische Gewalt verteidigen, und die Führung bei der Organisation einer ArbeiterInnen- und Volksverteidigungsmiliz übernehmen. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die Polizeikräfte und Justizsysteme des kapitalistischen Staates dies tun, denn ihre oberste Priorität ist die Verteidigung der Klasseninteressen der Herrschenden.
  • Obwohl der Faschismus heute wächst, indem er sich als „respektable“ demokratische Partei ausgibt, greift er in vielen Ländern immer noch zu Straßenmärschen und gewalttätigen Provokationen, um MigrantInnen, Roma, Muslima/e, nationale Minderheiten, schwarze und asiatische Gemeinschaften und Juden/Jüdinnen einzuschüchtern. Dies sind zudem auch vorbereitende Manöver, um der KapitalistInnenklasse seine Fähigkeit zum Bürgerkrieg gegen die organisierte ArbeiterInnenklasse, seinen Nutzen beim Streikbruch und Einschüchtern der Linken zu zeigen, genau wie Mussolinis Schwarzhemden und die Nazi-SA in den 1920er und 30er Jahren. Das oberste Ziel des Faschismus ist die Atomisierung der ArbeiterInnenbewegung. Wir müssen jetzt für eine massenhaft vereinte Aktion der ArbeiterInnenklasse kämpfen, um die faschistischen Organisationen zu zerschlagen, bevor sie dazu umgekehrt in der Lage sind.
  • Gleichzeitig senden wir den Massen – entlassenen ArbeiterInnen, der Jugend ohne Arbeit, den Familien ohne Sozialwohnung – eine Botschaft des Kampfes, die sich nicht gegen Sündenböcke richtet, sondern gegen die wahren UrheberInnen ihrer Entbehrungen, die KapitalistInnen. Wir antworten auf die konterrevolutionäre Verzweiflung von Rassismus und Faschismus mit der revolutionären Hoffnung auf den Kampf für den Sozialismus.
  • Für gleiche Rechte bei der Verwendung von Sprachen: keine obligatorischen Amtssprachen. MigrantInnenkinder sollten, wo immer möglich, ihre Muttersprache in den Schulen verwenden und die Sprache des Gastlandes erlernen können. Der Unterricht in Schulen und Universitäten sollte in den Sprachen der in der Region lebenden Menschen erfolgen; ebenso sollten sie in den öffentlichen Institutionen ihre Sprache verwenden können. Für eine massive Einstellung von LehrerInnen und ArbeiterInnen im öffentlichen Dienst mit Migrationshintergrund und mit entsprechenden Sprachkenntnissen, um dies zu ermöglichen.
  • Für die Integration von MigrantInnen in die ArbeiterInnenbewegung, sowohl in Gewerkschaften als auch in politische Parteien, auf der Grundlage der Gleichberechtigung und in Kampagnen gegen ihre Unterdrückung und Ausbeutung. Für die Schaffung einer gemeinsamen Kampfkultur, die auf Internationalismus, Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse und Solidarität beruht.

Nein zu einem
imperialistischen Superstaat!

Das Ende der Hegemonie
der Vereinigten Staaten als Weltwirtschaftsmacht sowie ihre Entschlossenheit,
keine echten Herausforderungen ihrer absoluten militärischen Dominanz durch
China und Russland zu dulden, hat zu einer zunehmenden Rivalität zwischen
Amerika, der Europäischen Union, Russland und China geführt. Die europäischen
ArbeiterInnen, die sich zwar gegen die von den USA geführten Aktionen wie die
Invasion und Besetzung Afghanistans und des Irak, ihre begrenzten
Interventionen in Syrien oder ihre Drohungen gegen den Iran stellen, dürfen
nicht in einen europäischen Patriotismus hineingezogen werden, in das Projekt
des Aufbaus eines vereinten europäischen imperialistischen Staates, mit seiner
eigenen Armee und seinem eigenen Projekt der Dominanz von Einflussbereichen in
der ganzen Welt.

Die Propaganda der EU
behauptet, dass eine solche neue europäische Supermacht eine friedlichere,
demokratischere oder „sozialere“ Weltmacht wäre als ihre RivalInnen. Das ist
eine völlige Täuschung, die SozialdemokratInnen, Labour, die Linksparteien und
die Gewerkschaften gemeinsam mit den Bossen verbreitet haben.

Ein europäischer
Superstaat wäre eine imperialistische Macht, die das Ziel der europäischen
KapitalistInnen zur Neuaufteilung der Märkte und Ressourcen der Welt verfolgt.
Eine solche Neuaufteilung mag mit einem verschärften Wettbewerb um den Handel
und gegenseitigen Vorwürfen des „Protektionismus“ beginnen, aber das zwanzigste
Jahrhundert hat gezeigt, wie dies endet – in ungemein zerstörerischen
Weltkriegen. Wir müssen unsere Ablehnung dieser schrecklichen Perspektive jetzt
beginnen, indem wir uns gegen die Schaffung einer Militärmacht der Europäischen
Union aussprechen, auch wenn sie bisher nur in embryonaler Form existiert.
Aktuell gibt es die unter dem NATO-Dach nach Afghanistan entsandten
Streitkräfte und die verschiedenen „humanitären Kräfte“, die für Interventionen
in Afrika aufgestellt wurden.

Die ArbeiterInnenbewegung
sollte sich ihnen allen widersetzen. Aber wir sollten uns auch gegen die
Ausweitung „unserer“ nationalen Streitkräfte und gegen die Rekrutierung von
Jugendlichen an Schulen wenden, unter denen, die eine allgemeine und berufliche
Bildung, Vollzeitarbeit suchen oder einfach nur die „Welt sehen wollen“. Kurz
gesagt, allen, denen diese Ziele im Alltag des Kapitalismus missgönnt werden.
Wir fordern den sofortigen Abzug aller im Ausland stationierten Streitkräfte
und aller Ausgaben für die imperialistischen Streitkräfte. Wir wiederholen den
alten sozialistischen Slogan, der immer noch ein Leitfaden dafür ist, wie man
auf Forderungen zur Verteidigung des kapitalistischen Vaterlandes reagieren
kann: keinen Cent, keine Person für die Verteidigung dieses Systems.

Wir unterstützen den
Widerstandskampf der Völker auf der ganzen Welt gegen die europäischen
Besatzungstruppen, zum Beispiel in Afghanistan und im Tschad. Die Niederlage
der EU-Truppen in diesen Ländern wäre ein Sieg für die ArbeiterInnen und
Volksmassen der Welt, ein Schlag gegen den Imperialismus. Wir fordern den
sofortigen Rückzug aller europäischen Truppen und die Schließung der
Militärbasen aller europäischen Mächte in Übersee.

  • Rückzug aller europäischen Streitkräfte aus Afghanistan und aus Mali zurück – Nato auflösen!

Transformation der
Wirtschaft

Die Berge von „toxischen“
Schulden, die von MilliardärInnen angesammelt wurden, dürfen nicht den
SteuerzahlerInnen der ArbeiterInnenklasse aufgehalst werden. Die Unternehmen,
die in Produktion und Verteilung operieren oder nützliche Dienstleistungen
erbringen, deren EigentümerInnen sie in den Ruin getrieben haben, müssen durch
die entschädigungslose Übernahme in Staatseigentum „gerettet“ werden. Ihre
Bilanzen müssen veröffentlicht, das Geschäftsgeheimnis gegenüber ArbeiterInnen
und VerbraucherInnen abgeschafft und die Buchführung, Bilanzen und
Unternehmenspläne vollständig offengelegt werden.

  • Nein zu den Bankenrettungsaktionen. Nein zu Rettungsaktionen der Industriemonopole auf der Grundlage von Rationalisierungen und Schließungen. Übernehmt alle Banken ohne Entschädigung und verschmelzt sie zu einer einzigen Staatsbank! Anstelle von Subventionen für Unternehmen fordern wir die entschädigungslose Enteignung der Großindustrie, der Kommunikationssysteme und der Medien, der industriellen Landwirtschaft und der Einzelhandelskonzerne. Die Rentenfonds der KleinsparerInnen und ArbeiterInnen sollten durch Staatsanleihen oder die Konsolidierung zu einem sicheren, lebensfähigen Einkommen über das staatliche Rentensystem gesichert werden.
  • Für einen europaweiten Produktionsplan, der auf einem System integrierter Pläne auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene basiert. Alles sollte demokratisch von ArbeiterInnen und VerbraucherInnen ausgearbeitet und beschlossen und unter der Leitung der ArbeiterInnen in Produktion und Vertrieb umgesetzt werden.
  • Ein Ende der geschäftlichen und bürokratischen Geheimhaltung. Die Banken hielten ihre dubiosen Geschäfte im Dunkeln und ruinierten viele ihrer KundInnen und KleinsparerInnen, aber dann ließen sie uns den Preis für die Rettungsaktion zahlen. Öffnet die Konten und die Bilanzen der Banken, Unternehmen, des Staates und der EU-BürokratInnen zur Einsichtnahme durch die ArbeiterInnen und die Öffentlichkeit!

Eine Planwirtschaft
könnte systematisch die Ungleichheiten in ganz Europa beseitigen, Ressourcen
und Reichtum transferieren, um das Niveau der Länder im Osten zu erhöhen, die
sich über Jahrzehnte in der Unterentwicklung befanden, und so den Boden
untergraben, auf dem Nationalismus und Reaktion gedeihen können.

Nein zur
imperialistischen EU! Für Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa!

Selbst wenn die heutige
Europäische Union in der Lage wäre, große Schritte in Richtung eines föderalen
imperialistischen Superstaates zu verwirklichen, wäre dies kein Gewinn für die
ArbeiterInnen und Unterdrückten innerhalb Europas, geschweige denn für unsere
Klassenschwestern und -brüder außerhalb der Mauern der „Festung
Europa“.

Daher sollten sich die
Bewegungen der ArbeiterInnenklassen des Kontinents gegen die Europäische Union
als eine Vereinigung stellen, die versucht, den deutschen und französischen
Imperialismus in ihrem wirtschaftlichen Wettbewerb und ihrer militärischen
Schlagkraft gegenüber anderen imperialistischen Mächten, den USA, China,
Russland, Japan zu stärken – und somit und ihre Fähigkeit, die ArbeiterInnen
der ganzen Welt auszubeuten.

Wir stehen zu den Worten
des Kommunistischen Manifests, dass die ArbeiterInnenklasse kein Vaterland  hat und, wie wir hinzufügen können,
auch keinen Kontinent. Die Politik unserer Klasse muss konsequent international
ausgerichtet sein, auf weltweiter Ebene, sonst wird sie nichts anderes sein als
ein Werkzeug verschiedener Flügel ihrer AusbeuterInnen.

Gleichzeitig müssen wir
die Argumente jener „Anti-EuropäerInnen“ ablehnen, die sich aus
fremdenfeindlichen und nationalistischen Gründen gegen die EU stellen. Diese
Kräfte und ihre sozialchauvinistische Politik, die sich in den Gewerkschaften
und reformistischen Parteien widerspiegelt, stellen eine Sackgasse für die
ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten dar. Sie zielen darauf ab, unsere
Bewegung nach nationalen und rassischen Gesichtspunkten zu spalten und uns
„unseren“ nationalen HerrscherInnen unterzuordnen.

Obwohl wir für die
Verteidigung dieser wenigen fortschrittlichen Errungenschaften kämpfen, die
sich aus dem EU-Prozess ergeben haben, z. B. die Abschaffung der
Grenzkontrollen innerhalb der EU, sind wir gegen ihre Strukturen und ihre
Wirtschaftsagenda, die nun dazu genutzt werden, frühere Sozialreformen und in
früheren Perioden erworbene Arbeitsrechte abzubauen. Wir sind auch gegen die
Behinderung des Rechts auf Selbstbestimmung von Völkern wie den KatalanInnen
und IrInnen durch die EU gemeinsam mit den nationalen Regierungen. Für uns sind
die Grenzen der bestehenden Staaten nicht heilig und über den demokratischen
Wünschen der Nationen.

  • Nieder mit dem EU-Parlament, der EU-Kommission, dem Europäischen Gerichtshof! Abbau der europäischen Superstaatsstrukturen!
  • Nein zur Lissabon-Agenda und zum Bologna-Prozess, nein zu allem Neoliberalismus und der Mentalität des Dumpingwettlaufs der Europäischen Union!
  • Für die Wahl einer souveränen Europäischen verfassunggebenden Versammlung durch alle, die über 16 Jahre alt sind und ihren ständigen Wohnsitz in den teilnehmenden Staaten haben. Der EuGH und alle anderen Gerichte sollten durch gewählte Organe ersetzt werden.

Heute sollten wir für
Folgendes kämpfen.

  • Ein sofortiges Ende der Sparpolitik auf dem gesamten Kontinent und ein Kampf, um die Macht in die Hände von Regierungen der Werktätigen zu bringen. Der nächsten bevorstehenden kapitalistischen Krise darf nicht mit Sparpolitik, sondern muss mit der Sozialisierung aller Unternehmen begegnet werden, die Entlassungen verkünden oder Konkurs anmelden.
  • Gemeinsame Maßnahmen gegen Rationalisierung, Werksschließungen und Arbeitsplatzverluste, die von den großen Automobil- und Zulieferfabriken in ganz Europa geplant sind, darunter Ford, Jaguar Land Rover, Michelin und andere. Ziel ist es, die Automobil-, Bus- und Nutzfahrzeugindustrie zu sozialisieren und ihre Transformation auf einer umweltverträglichen Basis zu beginnen.
  • Wir brauchen mehr als die zaghaften Versprechen von Labour im Vereinigten Königreich, die InhaberInnen von Eisenbahnlizenzunternehmen nach Ablauf ihrer Verträge wieder zu verstaatlichen oder dafür Entschädigungen an GroßaktionärInnen zu zahlen! Kampf für ein verstaatlichtes paneuropäisches Eisenbahnnetz!
  • Sozialisiert die riesigen Stromkonzerne Enel, EDF, EON, Siemens, RWE, deren ArbeiterInnen einen massiven Wechsel von fossilen Brennstoffen und Kernspaltungsenergie zu erneuerbaren Energien planen können!
  • Erhöhung der Löhne und Verbesserung der Sozialsysteme des gesamten Kontinents auf das Niveau der besten Beispiele und Praktiken als Beginn einer weiteren Verbesserung!
  • Aufhebung des Vertrags von Lissabon und aller neoliberalen Politiken, die die Erhaltung und Ausweitung des öffentlichen Eigentums an Industrien, Verkehr, Sozialdiensten und Versorgungseinrichtungen behindern! Ersatz der „Entsenderichtlinie“ und der Urteile des Europäischen Gerichtshofs in den Fällen Laval, Viking und Rueffert (Angriff auf das Streikrecht und europaweite Nivellierung der industriellen Beziehungen) nicht, um „ausländische“ Beschäftigte auszuschließen, sondern um sicherzustellen, dass sie für die gleichen Löhne, den gleichen Zugang zu sozialen Dienstleistungen und mit den gleichen gewerkschaftlichen Rechten beschäftigt sind wie Beschäftigte in den Aufnahmeländern!
  • Der Euro muss unter die Kontrolle eines europaweiten, von den Arbeitenden kontrollierten staatlichen Bankensystems gebracht werden, das dabei HSBC, BNP Paribas, Deutsche Bank, Santander usw. vergesellschaftet. Dieses System wäre eine wesentliche Grundlage für die Schaffung eines europaweiten Planungssystems, dessen Ziele wären:
  • i)     Entwicklung sozialer Gleichheit durch Anhebung der Bildungs-, Sozial- und Beschäftigungsniveaus sowie durch Überwindung der nationalen und regionalen Ungleichheiten, die die europäischen Staaten plagen. Beseitigung der Ungleichheiten zwischen Stadt und Land!
  • ii)    Bekämpfung der globalen Erwärmung und Wiederherstellung der Umwelt, die durch die gedankenlose Plünderung der Natur durch das Kapital verwüstet wird!
  • (iii) Um dies zu erreichen, bedarf es der Kontrolle durch die Bankangestellten, als Voraussetzung für die demokratische Verwaltung durch die Werktätigen.
  • Brecht die Mauern der Festung Europa und  reißt die Stacheldrahtzäune  zwischen den Staaten nieder! Öffnet die Grenzen für Flüchtlinge und Arbeitssuchende! Volle StaatsbürgerInnenschaft und soziale Rechte für diejenigen, die bleiben wollen!
  • Rückzug der europäischen Streitkräfte aus den von ihnen besetzten Ländern in Asien und Afrika! Unterstützung des Widerstandskampfs der Völker auf der ganzen Welt gegen den Imperialismus. Wir fordern die sofortige Schließung der Militärbasen aller europäischen Mächte in Übersee und die Auflösung der NATO. Keinen Cent für die Verteidigung kapitalistischer Vaterländer. Ersetzung der stehenden Armeen durch Milizen der Werktätigen.
  • Die Organisationen, die wir brauchen, um uns heute gegen Sparmaßnahmen und Kürzungen zu wehren, können morgen zu den Instrumenten unserer Herrschaft werden. Gemeinsame Komitees und branchenübergreifende Koordinationen von ArbeiterInnen und Jugendlichen in jeder Stadt und Gemeinde, die mit Selbstverteidigungsgruppen gegen Angriffe der Polizei und der FaschistInnen verbunden sind, können zu mächtigen Räten aus ArbeiterInnendelegierten werden, die in der Lage sind, die Gesellschaft zu regieren, wie es die Sowjets im revolutionären Russland 1917 taten. Die organisierte Selbstverteidigung, die die ArbeiterInnen und Jugendlichen gegen polizeiliche Repression und faschistische Angriffe aufbauen müssen, kann zum Instrument werden, um den kapitalistischen Staat zu bekämpfen und zu überwinden.
  • Nur ArbeiterInnenregierungen, die auf den Organisationen der Klasse basieren, können die Macht der KapitalistInnen brechen und systematisch ihr Eigentum übernehmen und eine sozialistische Planwirtschaft aufbauen.

ArbeiterInnenregierungen und die europäische Revolution

Ein vereinter
Klassenkampf in Europa oder in bedeutenden Ländern wird schnell die Frage nach
der politischen Macht aufwerfen, die Frage, welche Klasse in einem bestimmten
Land oder auf dem Kontinent insgesamt herrscht. Die derzeitige Krise Europas
kann nicht auf nationaler Ebene gelöst werden. Jede wichtige Frage wird die
Notwendigkeit einer Transformation des gesamten Kontinents aufwerfen.

Eine sozialistische
Föderation in Europa, die „Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa“,
sind die Lösung für die drängenden Probleme künftiger Generationen. Wenn wir Rechtsruck,
Rassismus, Nationalismus und Faschismus bekämpfen wollen, brauchen wir eine
internationalistische und antikapitalistische Alternative zur derzeitigen EU.

Jede große politische
Krise in der EU, ihre langfristige Stagnation und eine bevorstehende Wirtschaftskrise
betreffen die ArbeiterInnenklasse des gesamten Kontinents ebenso wie die
Kleinbauern/-bäuerinnen und die untere Mittelschicht. Die Angriffe seitens der
KapitalistInnen und bürgerlichen Regierungen wiederum erzeugen große soziale
Widerstandsbewegungen und weisen auf die Notwendigkeit einer gemeinsamen
Gegenwehr hin.

Natürlich entwickeln sich
solche Kämpfe ungleichmäßig, und vorrevolutionäre oder revolutionäre
Situationen werden nicht in allen Ländern gleichzeitig auftreten. Daher muss
der Kampf für eine sozialistische Revolution in Europa Hand in Hand gehen mit
dem für den Sturz des Kapitalismus und die Schaffung von ArbeiterInnen- und
BäuernInnenregierungen, wo immer sich dazu die Möglichkeit ergibt.

So wie der Slogan für die
Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa einen Übergangscharakter trägt,
so auch die Forderung nach ArbeiterInnenregierungen oder Regierungen der
ArbeiterInnen und  BäuerInnen in
einzelnen Ländern. Unter solchen Regierungen verstehen wir nicht „linke“
sozialdemokratische oder Labour-Regierungen, geschweige denn solche in
Koalition mit den offenen bürgerlichen Parteien, wie die Syriza-ANEL-Regierung
in Griechenland. Sie haben nicht wirklich mit der KapitalistInnenklasse
gebrochen und operieren immer noch in der Zwangsjacke der bürgerlichen
Staatsmaschine. Wir fordern sie auf, diesen Bruch zu vollziehen. Unter
Bedingungen des massenhaften Widerstands gegen Sparmaßnahmen und Kürzungen des
Sozialwesens oder einer neuen Rezession werden sie vor der Wahl stehen, ob sie
wie Syriza kapitulieren oder den Weg gehen wollen, echte
ArbeiterInnenregierungen zu werden, indem sie die ArbeiterInnenklasse zu
Millionen mobilisieren. Unser Ziel muss es sein, sie zu verpflichten, ihre
AnhängerInnen aus der ArbeiterInnenklasse nicht zu verraten, sondern den
letztgenannten Weg einzuschlagen.

Um solche Regierungen
dazu zu bringen, echte Schritte in Richtung einer sozialistischen
Transformation zu unternehmen, sie zu Übergangsregierungen in Richtung der
demokratischen Herrschaft der ArbeiterInnenklasse, also der Diktatur des
Proletariats, zu gestalten, müssen sie unwiderruflich mit den bürgerlichen
Parteien brechen, echte Schritte unternehmen, um großes Kapital unter
ArbeiterInnenkontrolle zu enteignen und einen ArbeiterInnenplan zur Reorganisation
der Wirtschaft zu entwerfen. Und sie dürfen ihre Macht nicht auf die
bürokratischen und repressiven Institutionen des bürgerlichen Staatsapparates,
des Militärs, der Polizei, der Spezialeinheiten und der Verwaltungsbürokratien
stützen, sondern auf die ArbeiterInnen- und BäuerInnenräte und die bewaffnete
ArbeiterInnenklasse.

Solche Regierungen
könnten nicht nur als wichtiges Mittel für einen revolutionären Umsturz in
einem Land dienen. Sie müssen von der gesamten europäischen ArbeiterInnenklasse
gegen die unvermeidlichen konterrevolutionären Machenschaften der nationalen
Bourgeoisie, der europäischen oder anderer imperialistischer Mächte verteidigt
werden. Letztendlich werden sie nur überleben und ihr volles revolutionäres
Potenzial ausschöpfen können, wenn sie nicht nur die Macht „ihrer“ nationalen
KapitalistInnenklasse brechen, sondern auch darauf abzielen, die Revolution auf
dem europäischen Kontinent zu verbreiten und die Grundlage für Vereinigte
Sozialistische Staaten von Europa zu schaffen. Für eine solche Übergangszeit,
einen revolutionären Kampf auf dem gesamten Kontinent, bleibt ein europäisches
Aktionsprogramm, das demokratische, soziale und Übergangsforderungen
kombiniert, uneingeschränkt gültig.

Darüber hinaus muss ein
sozialistisches Europa seine Beziehungen zu den umliegenden Regionen der Welt
auf Solidarität, Gleichheit und Internationalismus gründen. Dann könnten die
Ursachen für Migration durch Armut, Kriege, Klimawandel wirklich verändert
werden. Das kann keine kapitalistische EU. Ein sozialistisches Europa kann die
Rechte der MigrantInnen umsetzen, ihnen volle BürgerInnenrechte garantieren und
den Rechtsruck, die Bedrohung durch Rassismus, beenden. Ein sozialistisches
Europa würde die Massenarbeitslosigkeit beenden, gleiche und gerechte Lebensbedingungen
schaffen, die Bourgeoisie enteignen und die in Europa geschaffenen menschlichen
Fähigkeiten und materiellen Reichtümer sinnvoll nutzen. Ein solches Europa
müsste auf einer demokratischen Planwirtschaft beruhen, die die Mittel für eine
echte Bewältigung der Umwelt- und Klimaprobleme bereitstellt.

All dies ist viel
„realistischer“, als zu hoffen, dass die heutige EU einfach reformiert werden
könnte oder der Klassenkampf in einzelnen „unabhängigen“ Ländern zu einem
Sozialismus führen könnte.

Wie wir gezeigt haben,
können die bestehenden Massenparteien der ArbeiterInnenklasse – seien es
traditionelle reformistische, neue „linke“ populistische Parteien wie Podemos
oder La France Insoumise oder solche, die zwischen Reform und Revolution
schwanken, keine Antwort auf die dringenden Fragen der Zukunft geben.

Nur neue revolutionäre
ArbeiterInnenparteien und eine neue revolutionäre Internationale können eine
solche Perspektive bieten und dem Kampf eine Führung geben. Unsere
internationale Strömung, die Liga für die Fünfte Internationale, kämpft für ein
solches Programm des internationalen Klassenkampfes, für einen revolutionären
Marxismus des 21. Jahrhunderts, für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von
Europa.




Vorwort – Wohin treibt Europa?

Redaktion, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Die Krise der Europäischen Union, der britische Brexit, der wachsende Rechtspopulismus und Rassismus auf dem Kontinent verdeutlichen – in Europa, vor allem in der EU und Eurozone, treten die grundlegenden Widersprüche unserer Periode deutlicher hervor als in anderen imperialistischen Staaten oder Zentren.

Kein Wunder! Die EU selbst ist von tiefen inneren Gegensätzen durchzogen. Es wurde zwar ein Binnenmarkt geschaffen. Aber, anders als die USA, China oder selbst Japan und Russland ist die Union kein einheitlicher Staat.

Mit der größer gewordenen Dominanz Deutschlands traten auch die Gegensätze während der Krise deutlicher hervor – und daran droht die EU zu zerbrechen.

Sicher weint kein/e Linke/r einem imperialistischen „Einigungsprojekt“ eine Träne nach. Zugleich sollte aber auch niemand vergessen: Der Zerfall der EU in einzelne „unabhängige“ Nationalstaaten, der Austritt aus der Union oder der Eurozone stellt auf der Basis des kapitalistischen Staates eine reaktionäre Antwort auf die Krise dar. Die Erweiterung der Produktivkräfte, ein größerer Wirtschaftsraum, engere, übernationale ökonomische Verbindungen, vereinheitlichtere Kommunikations- und Verkehrssysteme, größere Freizügigkeit der Arbeitskraft stellen einen Fortschritt dar, auch wenn sie unter der Ägide des Finanzkapitals „von oben“ durchgeführt wurden. Mit dem Zerfall der EU in einzelne Nationalstaaten werden auch die Grenzen zwischen den ArbeiterInnenklassen Europas wieder errichtet, wird die rassistische Abschottung weiter verstärkt. Darum waren und sind die Auswirkungen des Brexit reaktionär.

Die Krise der EU verdeutlicht aber auch eines. Die Kapitalistenklassen und die imperialistischen Staaten sind nicht fähig, den Kontinent zu einen. Es sind ihre eigenen Klasseninteressen, die einer Einigung im Wege stehen oder ihr allenfalls die Form der zeitweiligen Unterordnung anderer geben können. Als Alternative zur imperialistischen Einigung droht die Zersplitterung des Kontinents, die die Beherrschung der „schwächeren“ Staaten durch die tradierten europäischen oder außereuropäischen Mächte nicht aufheben, sondern ihr allenfalls eine andere Form geben wird. Die „nationale Unabhängigkeit“ einer vom Weltmarkt getrennten „eigenständigen“ Entwicklung ist eine reaktionäre Fiktion, in der imperialistischen Epoche eine Utopie.

Die einzig fortschrittliche Alternative zur Vereinigung des Kontinents unter der Herrschaft der Finanzkapitale Deutschlands, Frankreichs und ihrer Juniorpartner ist die Schaffung Vereinigter Sozialistischer Staaten von Europa.

Nur die ArbeiterInnenklasse vermag Europa zu einen. Dazu braucht sie jedoch eine politische Zielsetzung, eine Strategie, ein Programm und auch eine internationale, revolutionäre Partei. Diese Themen bilden den Rahmen dieser Ausgabe des „Revolutionären Marxismus“.

Wir eröffnen sie mit drei Resolutionen, die der Kongress unserer internationalen Strömung, der Liga für die Fünfte Internationale, im Frühjahr 2016 verabschiedet hat.

Der erste Text „Internationale politisch-ökonomische Perspektiven“ ist eine umfangreiche, wenn auch thesenartige Darstellung der Weltlage.

Darauf folgen die „Abschlusserklärung des Kongresses“ und die Resolution „Die Krise der Europäischen Union und die Aufgaben der ArbeiterInnenklasse“.

Seit dem Kongress der Liga sind nur wenige Monate vergangen. Seither haben sich in vielen Regionen die politischen Ereignisse überstürzt. Das ist selbst ein Zeichen dafür, dass wir in einer historischen Krisenperiode, einer Phase des Umbruchs leben, die durch tiefe Krise des Gesamtsystems und durch den Kampf um eine Neuaufteilung der Welt gekennzeichnet ist. Eine solche Krise hat auch zur Folge, dass sich politische Veränderungen viel rascher vollziehen.

Auch wenn die Resolutionen des Kongresses mittlerweile durch eine ganze Reihe von politischen Entwicklungen ergänzt werden könnten, so haben diese umgekehrt die grundlegende Einschätzung vom März 2016 bestätigt.

Die Resolution zu Europa steht in diesem „Revolutionären Marxismus“ am Ende der Kongresstexte, weil sie auch den Übergang zu einem thematischen Schwerpunkt dieser Ausgabe bildet. Im Artikel „EU-Krise und die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa“ beschäftigt sich Tobi Hansen mit den inneren Widersprüchen der kapitalistischen Vereinigung Europas und legt dar, warum es notwendig ist, an die Losung Trotzkis und der frühen Kommunistischen Internationale anzuknüpfen.

Im Anschluss veröffentlichen wir eine Resolution des Internationalen Sekretariats der Liga für die Fünfte Internationale „Das Referendum über den Brexit und seine Nachwirkungen“ und die Polemik „Varoufakis rettet Europa“, die die sozial-demokratischen Rezepte des ehemaligen Finanzministers aufs Korn nimmt.

Darauf folgen zwei Texte, die sich mit dem zunehmenden Rassismus in Europa, seinen Ursachen und der Politik der ArbeiterInnenbewegung und Linken beschäftigen. Anne Moll und Martin Suchanek widmen sich dem Thema „Imperialismus, Rassismus und die deutsche Linke“ und unterziehen dabei die Strategie unterschiedlicher Strömungen einer Kritik. Darauf folgt die Resolution „Internationale Solidarität statt Nationalismus und Festung Europa“, die Arbeiter*innen*standpunkt und Gruppe ArbeiterInnenmacht im März 2016 gemeinsam verabschiedet haben und deren grundsätzliche politische Ausrichtung weiter aktuell ist.

Die Zerrüttung der Verhältnisse geht auch an den „tradierten“ politischen Organisationen nicht vorbei. Michael Märzen widmet sich ihnen und ihren Ursachen in einem Diskussionsbeitrag „Der Niedergang der SPÖ“. Im abschließenden Kapitel stellt er dar, welche Aufgaben sich daraus ergeben. Über die Tiefe und Signifikanz der SPÖ-Krise und die Bedeutung und Möglichkeiten des „Aufbruchs“ besteht allerdings im AST noch Diskussionsbedarf.

Die letzten beiden Artikelkomplexe beziehen sich auf die „radikale Linke“ in Deutschland und international. Wilhelm Schulz bilanziert in „Bilanz und Lehren eines Umgruppierungsprojekts“ die Geschichte, die Möglichkeiten und das Scheitern der „Neuen antikapitalistischen Organisation“ (NaO). Sein Beitrag wird durch Tobi Hansens Replik auf die NaO-Bilanzen von „Lila Wolken“, isl und RSB sowie ihrer Antworten auf die Dokumentierung der Auflösungserklärung der NaO abgerundet.

Schließlich veröffentlichen wir eine ausführliche Kritik der „Fracción Trotskista“ (FT), die in Deutschland durch RIO vertreten wird. Ihren Anspruch, den „orthodoxen Trotzkismus“ zu repräsentieren, vermag sie nicht einzulösen. Stattdessen tritt ihr workeristischer Maximalismus zutage.

Die beiden letzten Themenkomplexe – NaO und FT – mögen auf den ersten Blick den „großen Themen“ wie Krise der EU, Rassismus fern erscheinen. Manche mögen sie als „Kleingruppengezänk“ oder „innerlinke“ Debatte abtun. Wir halten eine solche Herangehensweise für oberflächlich. Wenn die Schwäche der „radikalen Linken“ überwunden werden soll, so muss die „radikale Linke“ nicht nur praktisch wirksamer werden, sie muss auch und vor allem theoretisch, programmatisch, taktisch, also in ihrem Verständnis des Marxismus aufrüsten, also die inhaltliche Auseinandersetzung forcieren.




Die Krise der Europäischen Union und die Aufgaben der ArbeiterInnenklasse

10. Kongress der Liga für die Fünfte Internationale, März 16, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Die Europäische Union sieht sich mit der größten Krise ihrer gesamten Geschichte konfrontiert. Zu Beginn dieses Jahrhunderts setzte sie sich das Ziel, die dynamischste Ökonomie der Welt zu werden. Die Verträge von Lissabon und die Europäische Verfassung sollten die ökonomische, soziale und politische Vereinheitlichung des Kontinents vorantreiben.

Dies hätte vervollständigt, was der französische und deutsche Imperialismus nach dem Fall der Berliner Mauer erreichen wollten: die Osterweiterung der EU und die Einführung des Euro, also die Etablierung einer Europäischen Union, die unter ihrer Führung und Hegemonie eine ernsthafte Herausforderung der USA und anderer Kontrahenten im Wettstreit um weltweiten Einfluss darstellt.

Anstelle dessen wurde die EU nach der Finanzkrise von 2007/2008 und der nachfolgenden weltweiten Rezession selbst zum Zentrum der weltweiten Unruhen. Dem deutschen Imperialismus war es möglich, den schwächeren Staaten der Union, besonders jenen in Süd-Europa, die Kosten der Krise aufzuzwingen. Das gesamte Euro-System wurde zu einem Mechanismus, der die Ungleichheit zwischen den Mitgliedsländern vergrößerte. Die südeuropäische „Schuldenkrise“ erlaubte es dem deutschen Imperialismus und seinen engeren Verbündeten, Griechenland in ein EU-Protektorat zu verwandeln und Ländern wie Italien, Spanien und Portugal ihrePolitik aufzuzwingen.

Die Krise demonstrierte aber auch die Schwäche der EU und ihrer dominierenden Kraft. Die angewandte Politik zur Rettung der Monopole und des Finanzkapitals in den europäischen Kernländern, sowie die Austeritätspolitik, die nicht nur Südeuropa, sondern auch Frankreich aufgedrückt wurde, werden die inneren Spannungen erhöhen.

Die so genannte „Flüchtlingskrise“, also die kurzlebige Möglichkeit von Menschen, vor Krieg und Armut zu fliehen und Schutz in Europa zu suchen, hat die wachsenden inneren Widersprüche der EU hervorgehoben und eindeutig gezeigt, dass die EU weit davon entfernt ist, ein Supra-Staat zu sein. Die Flüchtlingskrise hat auch klar gemacht, dass Deutschland zwar die eindeutig stärkste, dominierende imperialistische Macht der EU ist, deren Fähigkeit zur Durchsetzung ihrer Politik in der EU als Ganzes aber begrenzt ist.

Während der Deal mit der Türkei von der deutschen Regierung und Angela Merkel als Sieg ihrer Position dargestellt wird, zeigt er eigentlich die Möglichkeit der kleineren Länder, die Lösung zu blockieren, die Deutschland und andere zentrale Akteure der EU durchsetzen wollten.

Außerdem zeigten die Krisen in der Ukraine und im Nahen Osten, dass die EU keine einheitliche und aktive außenpolitische Rolle nach den Vorstellungen besonders Deutschlands einnehmen kann. In der Ukraine war es den USA möglich, den innerstaatlichen Konflikt zu nutzen, um einen „neuen Kalten Krieg“ zu beginnen und somit ihre europäischen Verbündeten, allen voran Deutschland, vorerst zur Beendigung ihrer strategischen Partnerschaft mit Russland zu zwingen. Im Mittleren Osten hingegen nimmt Russland im Syrien-Konflikt eine Schlüsselposition ein.

Nun, da der Austritt Großbritanniens durch den Brexit möglich ist, zieht eine weitere Krise am Horizont der EU herauf. Während eine funktionierende deutsch-französische Partnerschaft vor einigen Jahren froh gewesen wäre, den britischen Imperialismus als pro-amerikanisches Hindernis los zu werden, würde Großbritanniens Austritt heute von europäischem Finanzkapital und entscheidenden imperialistischen Regierungen als Katastrophe gewertet werden.

Risse innerhalb der Staaten und der herrschenden Klassen

Die Europäische Union und der Euro werden die heutigen Herausforderungen wohl „überleben“. Aber es ist klar, dass die angehäuften Krisen, Hindernisse und Niederlagen, sowie der andauernde Rückfall der EU und seiner führenden Mächte hinter die USA und China insbesondere die herrschenden Klassen und die bürgerlichen Führungen in Deutschland, England und Frankreich zu einer Neuausrichtung ihrer europäischen und globalen Strategien zwingen.

Die Beziehungen zwischen diesen drei imperialistischen Mächten sind der Schlüssel zu der Frage, ob und wie eine kapitalistische Einigung Europas fortschreiten kann. Zur Zeit Kohls und Mitterrands oder Schröders und Chiracs war die deutsch-französische Partnerschaft der Motor Europas, der mit gleichen Zielen als Kern der EU diente. Heute ist diese Partnerschaft in der Klemme, während Großbritannien seine Position gegenüber den USA und der EU neu justiert.

Das bedeutet, dass wir nicht nur einen Kampf zwischen Nationalstaaten und herrschenden Klassen um die Zukunft Europas miterleben, sondern auch einen Kampf innerhalb der herrschenden Klassen und zwischen verschiedenen Fraktionen des Kapitals über ihre zukünftige Ausrichtung. In der derzeitigen Krisenperiode, in ihrem Kampf um die Neuordnung Europas und die Neuaufteilung der Welt, stehen die Kapitalisten einer politischen Krise gegenüber, einer Krise ihrer historischen Strategien.

Letzten Endes spiegelt dies die Unfähigkeit der Bourgeoisie wider, Europa zu einigen. Die EU und der Euro selbst resultieren aus der Entwicklung der Produktivkräfte über nationale Grenzen hinaus. Natürlich klammern sich wichtige Fraktionen des Kapitals und imperialistischer Strategen (und große Teile der Eliten schwächerer, semi-kolonialer Staaten) an die EU. Sie sind sich sehr bewusst, dass ein Zusammenbruch der Eurozone oder der Union ihre Position auf dem Weltmarkt wahrscheinlich schwächen würde.

Zur gleichen Zeit drohen die nationalen Interessen der herrschenden Klassen und die Widersprüche zwischen den zentralen imperialistischen Mächten Europa erneut auseinanderzureißen. Im Kapitalismus kann eine größere Vereinigung nur durch die Unterordnung der semi-kolonialen Staaten in Europa und der EU gelingen, durch eine dynamischere Intervention auf dem Weltmarkt und immer offenere politische und militärische Interventionen im Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Am wichtigsten aber: Dies kann aber nur durch die Dominanz einer imperialistische Bourgeoisie über die anderen historischen Mächte geschehen; es ist also der Antagonismus zwischen diesen Mächten, Deutschland, Großbritannien und Frankreich, der das eigentliche Hindernis für eine organische, andauernde Vereinigung Europas darstellt.

Für die deutschen Kapitalisten, aber auch für jede andere imperialistische Bourgeoisie ist es klar, dass die EU, das Europäische Parlament und die europäischen Institutionen im Allgemeinen nicht zu einem „größeren Deutschland“ führen werden – trotz der ökonomischen Dominanz des Landes. Sie hören die Uhren ticken, weil die Widersprüche innerhalb der EU sie immer weiter hinter die USA und China zurückfallen lassen. Also ist eine „neue Strategie“ vonnöten. Das könnte ein entschlossener Vorstoß des deutschen Imperialismus sein, mit dem seine ökonomische Rolle zu politischer und militärischer Dominanz führte. Aber wie wir an der Politik der Europäischen Zentralbank und der Finanzmacht Großbritanniens sehen können, ist selbst Deutschlands ökonomische Dominanz bei weitem nicht absolut.

Deshalb ist eine Periode der Neuausrichtung zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannies und deren Versuch einer gewissen Restrukturierung der EU wahrscheinlicher – auch wenn deren endgültige Form sowie die Beziehungen zu den USA, China und Russland unklar bleiben und nicht ohne zukünftige Krisen und Konfrontationen zu etablieren sein werden.

Die vermehrten imperialistischen Interventionen Frankreichs in seinen historischen Einflussgebieten – mit Bodentruppen in Mali und der Zentralafrikanischen Republik, dem Bombardement in Syrien und klandestinen Einsätzen in Libyen – sind sicherlich ein Zeichen für diese Periode der Neuausrichtung. Sie zeigen auch ein neues Bewusstsein der französischen Bourgeoisie, dass eine weiterführende und wiedererstarkende Dominanz in dem Rest seiner Kolonien für seine zukünftige Rolle als Imperialmacht wichtig sein könnte.

Im Rahmen der EU, aber auch in Bezug auf „die großen Drei“, können wir weitere Interventionen im „nahen Umfeld“ erwarten. Der Deal der EU mit der Türkei, der die europäischen Grenzen abschotten soll, spiegelt auch Deutschlands Ambitionen wider, eine Rolle bei der Neuaufteilung des Mittleren Ostens zu spielen. Allein die Politik gegenüber Russland, der wichtigsten europäischen Macht außerhalb der EU, wird eine Quelle andauernder Auseinandersetzungen sein. Vielleicht noch wichtiger ist, dass Deutschland und England ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu China stärken und damit möglicherweise den Grundstein für eine zukünftig engere politische Zusammenarbeit legen – eine Entwicklung, welche die USA mit Sorge beobachten.

Ungeachtet der Details sind die Aussichten für die nächsten Jahre klar: es wird eine Intensivierung der europäischen Krise, größere Instabilität in Europa und eine Zuspitzung der Widersprüche zwischen und innerhalb der einzelnen Staaten geben.

Die Krise des „Projekts Europa“, die anhaltenden Austeritätsprogramme und das Bestreben Deutschlands, den Kontinent politisch und ökonomisch zu dominieren, führen zur Zunahme von Sektoren der herrschenden Klassen, die nationalistische Lösungen vorschlagen und von Kleinbürger- und Mittelschichten unterstützt werden.

In vielen Ländern erleben wir ein Anwachsen nationalistischer, rechtspopulistischer, rassistischer oder sogar faschistischer Kräfte. Einige fordern die „soziale Zerstörung“ der EU demagogisch heraus; andere, wie die rechten Parteien, die in Osteuropa regieren, oder die AfD in Deutschland, halten an einer ultra-neoliberalen Sozialpolitik fest. Sie wollen keinen einzigen Cent abdrücken, weder an Flüchtlinge noch an die Länder Südeuropas, die durch das europäische Kapital gedemütigt wurden. Andere, wie der Front National (FN) in Frankreich, präsentieren sich auf demagogische Weise als Verteidiger „des französischen Arbeiters“. Rassismus gegen MigrantInnen – und gegen Muslime/a im Besonderen – ist ein verbindendes Motiv all dieser Parteien. Es ist klar, dass eine Reihe dieser Parteien und Bewegungen zu Werkzeugen für schärfere Angriffe nicht nur auf MigrantInnen in Europa, sondern auch auf die ArbeiterInnenklasse als Ganze werden mögen, um sie die Kosten kommender globaler Wirtschaftskrisen zahlen zu lassen.

Die derzeitige politische Krise der EU wird wegen der anhaltenden Stagnation auf dem Kontinent, der wachsenden Ungleichheit und einer heraufziehenden Rezession noch akuter werden. Deutschland und einige Länder, die an dessen Konjunktur angebunden sind, konnten ihre Position in der EU/Eurozone stärken – sie taten dies aber auf Kosten eines anhaltenden sozialen und ökonomischen Abstiegs der Länder Süd- und Osteuropas. Die osteuropäischen Regime und die baltischen Staaten handeln indessen als buckelnde Anhänger des Neoliberalismus. Weil ihre EinwohnerInnen die sozialen Verwüstungen der kapitalistischen Restauration erleben mussten, fordern sie, dass niemand vor seinem Niedergang „gerettet“ werden muss.

Auch wenn der britische und deutsche Imperialismus Teile ihrer industriellen und finanziellen Stärke erhalten konnten, wurde von allen historischen Mächten der französische Imperialismus (ganz zu schweigen von Italien und Spanien) am härtesten von der ökonomischen Krise der EU getroffen. Über Jahrzehnte handelten die französischen Regierungen als gleichrangige, wenn auch weniger dynamische Partnerinnen Deutschlands. Jetzt aber wird es schwer für die französische Regierung, diese Gleichrangigkeit auch nur zu behaupten und dies ihrer Bevölkerung zu verkaufen. Sie will den französischen ArbeiterInnen jetzt ein Ääquivalent der deutschen „Agenda 2010“ aufdrücken, um verlorenen Boden wiedergutzumachen. Sollte dieses Programm durchgebracht werden, wäre das sicherlich eine strategische Niederlage der französischen ArbeiterInnenklasse. Ob es dem französischen Kapitalismus Aufwind verschaffen könnte, ist zumindest zweifelhaft.

Die derzeitige Krise hat auch gezeigt, dass die „Werte“ der Europäischen Union und die Pläne für ein soziales Europa, die in den 1990er Jahren ein Kennzeichen der Sektionen der europäischen Sozialdemokratie und selbst der Christ-Demokraten waren, längst geopfert wurden. Während der Flüchtlingskrise wurde jeder Appell Merkels, Junckers oder Schulz’ im Namen dieser europäischen Werte an andere europäische Politiker mit blanker Verachtung entgegnet. Das enthüllte nicht nur die Grenzen der deutschen Macht, sondern auch die ideologische Krise der Europäischen Union.

Das Ausmaß der politischen Krise wird durch die wirtschaftliche Krise weiter betont. In den letzten Jahren hat sie Süd-Europa getroffen und hat zu massiven Erschütterungen und Widerstand geführt. Jetzt erreicht sie auch die europäischen Kernländer, Deutschland, England, Frankreich – wenn auch auf unterschiedliche Weise. Die kommenden ökonomischen Turbulenzen werden eine europäische Krise einleiten und synchronisieren.

Es ist klar, dass die Spaltung der europäischen Regierungen und die sich entfaltenden Widersprüche zwischen den herrschenden Klassen einen gemeinsamen Gegenangriff der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten erlaubt hätten. Anstelle dessen funktionierten die Gewerkschaftsbürokratien, die reformistischen Massenparteien sozialdemokratischer und stalinistischer Tradition als Stabilisatoren  der bürgerlichen Herrschaft.

Es ist nicht überraschend, dass nun, im Gegensatz zur Zeit nach der Krise 2007/2008, reaktionäre, nationalistische und rassistische Kräfte von der Krise profitieren. Dies ist ein Resultat wichtiger Niederlagen in der vergangenen Periode und des Niedergangs der klassischen ArbeiterInnenbewegung, der Erosion des Gewerkschaftertums und der Repräsentation der ArbeiterInnen, sowie der Parteien, die historisch und organisch auf der ArbeiterInnenklasse aufbauen.

Daher tritt die ArbeiterInnenklasse in einer geschwächten Position und als europäische Kraft beinahe paralysiert in die kommende Periode ein. In Griechenland finden natürlich noch anhaltende Abwehrkämpfe gegen die Rentenreform statt, aber sie werden vor dem Hintergrund einer strategischen Niederlage geführt, welche die griechische ArbeiterInnenklasse im Oxi-Verrat und der Installation der zweiten Syriza-ANEL-Regierung erlitten hat.

Rechtsruck des Reformismus

Dies war der Höhepunkt einer Reihe von Vertrauensbrüchen der Führung der ArbeiterInnenklasse in Europa. Nicht, weil die Syriza-Führung schlimmer ist, als die Reformisten anderer Länder, sondern weil ihr Aufstieg und die vorrevolutionäre Situation, die sie geschaffen hatte, die Frage nach einer ArbeiterInnenregierung und der revolutionären Lösung der Krise aufwarf. Die Niederlage hatte massive reaktionäre Konsequenzen, nicht nur in Griechenland, sondern für die ArbeiterInnenbewegung des gesamten Kontinents.

Diese Niederlage bedeutet dennoch nicht, dass weitere Klassenkämpfe in der kommenden Periode auszuschließen sind. In Frankreich zum Beispiel sind nach den Wahlen 2017 weitere Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse zu erwarten, was eine Welle von Widerstandsbewegungen auslösen könnte. Dies ist heute mit der weiter anwachsenden Bewegung gegen das neue Arbeitsgesetz (Gesetz El Khomri) bereits teilweise der Fall, die eine Möglichkeit gemeinsamen Widerstands der Jugend und der ArbeiterInnenbewegung bietet. Zur gleichen Zeit könnten Verrat und Sabotage der reformistischen Führungen Selbstvertrauen und Kampfkraft der ArbeiterInnenbewegung erneut unterminieren, wenn keine revolutionäre Alternative auftaucht.

Während der Krisenperiode erfuhren die bürokratische kontrollierten Gewerkschaften und reformistischen, sozialdemokratischen Massenparteien im allgemeinen einen Verfall und eine Bewegung nach rechts. Selbst dort, wo sie versprachen, die herrschenden Klassen herauszufordern,  kapitulierten sie vor ihr und richteten sich gegen ihre eigene ArbeiterInnenbasis – wie im Fall Hollandes in Frankreich.

Im Allgemeinen suchten die reformistischen Führungen in der derzeitigen Krise nach Allianzen mit „ihren Regierungen“ und „ihrer Bourgeoisie“. In allen wichtigen politischen Punkt verweigerten sie es, Widerstand zu leisten. Angesichts zunehmender imperialistischer Interventionen und wachsender Militarisierung blieben sie bestenfalls schweigsam, während die meisten von ihnen die Interventionen der NATO und „ihrer Regierungen“ im Nahen Osten, Afrika und der Ukraine unterstützten. Eine Minderheit von ihnen erhob pazifistische Bedenken, aber Massenmobilisierungen blieben aus. Tatsächlich unterstützten die ArbeiterInnenbewegung und ihre Organisationen im Fall des „Kriegs gegen den Terrorismus“ sogar Angriffe auf demokratische Rechte, spielten gemeinsam die Karte des anti-muslimischen Rassismus, arbeiteten mit „ihren“ herrschenden Klassen zusammen und unterstützten sogar die Verhängung des Ausnahmezustands wie in Frankreich. In der Flüchtlingskrise gingen sie nicht in Solidarität mit allen Migranten und Geflüchteten auf die Straße, um die Mauern der Festung Europa niederzureißen, sondern unterstützten entweder Merkel und ihre Politik der kontrollierten Immigration oder trieben selbst die Grenzschließungen voran, wie die österreichische Regierung.

Diese sozialchauvinistische Politik hat die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten weiter gespalten; die Geflüchteten, migrantischen ArbeiterInnen und Jugendlichen sind ihre ersten Opfer und sie wird zu weiteren Spaltungen der arbeitenden Massen in ganz Europa führen. Es gab eine massive Wendung zugunsten nationalistischer Lösungen, die das Schicksal der ArbeiterInnen an das des nationalen Kapitals fesseln und welche die deutschen, britischen, französischen, schwedischen oder österreichischen Regierungen als geringeres Übel als die „weit entfernten“ Bürokraten in Brüssel bezeichnen.

Die Wahl Jeremy Corbyns in der britischen Labour Party war eine Ausnahme in dieser Entwicklung, als Hunderttausende dem rechten Flügel der Partei und der Parlamentsfraktion eine herbe Niederlage beibrachten. Aber auch dies wird ohne einen entschiedenen Bruch mit dem rechten Flügel der Partei, der britischen Bourgeoisie und der Überwindung des bürokratischen Parteiapparats nur ein temporärer Sieg sein. Während dies eine schwierige Aufgabe ist, muss es die Pflicht von RevolutionärInnen sein, diesem Kampf ohne Zögern beizutreten. Sie müssen sich mit Corbyns Unterstützern gegen den rechten Parteiflügel vereinigen, alle Konzessionen an letzteren ablehnen und gleichzeitig die Grenzen von Corbyns Strategie und Programm eines (linken) Reformismus aufzeigen. Der Verrat von Syriza, die Rechtsentwicklung der populistischen Partei Podemos und die Politik der Linken Parteien in Europa im Allgemeinen zeigen, dass Reformismus und Keynesianismus am Ende unfähig sind, der ArbeiterInnenklasse in Europa und andernorts Lösungen zu präsentieren. Ihr wichtigster Slogan war der eines „sozialen, demokratischen, ökologischen, feministischen, antirassistischen …“ Europas; mit anderen Worten, eine reformierte Europäische Union, die auf einer „sozialen Marktwirtschaft“ basiert und vermutlich die Herrschaft des Finanzkapitals erhalten würde.

Der Bankrott dieser Politik wurde in den letzten Jahren millionenfach aufgezeigt. Nur eine schrumpfende Zahl von Reformisten oder erratischen Marxisten wollen dieses Programm wiederbeleben und einem toten Körper neues Leben einhauchen.

Ironischerweise sucht der reformistische Mainstream sein Heil bei einer anderen Leiche, die vor einiger Zeit schon begraben wurde: dem unabhängigen Nationalstaat. Wenn die Reform einer kapitalistischen EU nicht funktioniert, warum sollten wir nicht „unseren Staat“ wiedererobern? Obwohl Revolutionäre das Recht einer jeden Nation verteidigen, die EU zu verlassen (ohne deshalb dazu aufrufen); und sie anerkennen, dass die EU nicht reformiert werden kann, lehnen sie die reaktionäre und utopische Idee ab, dass die Rückkehr zu vielen „unabhängigen“, kapitalistischen Nationalstaaten, mit ihren „unabhängigen“ Währungen und Banken, ihren Grenzkontrollen und der Abschaffung der Bewegungsfreiheit auf dem gesamten Kontinent eine Lösung ist. Alle diese Maßnahmen sind durch und durch rekationär und würden vereinten Aktionen zwischen den ArbeiterInnenschaften und Unterdrückten ganz Europas weitere Hindernisse entgegenstellen.

Revolutionäre müssen dieser reaktionären Antwort auf die kapitalistische EU gemeinsamen Kampf für demokratische und soziale Rechte auf dem gesamten Kontinent, die Öffnung der Grenzen, die Abschaffung der Austeritätsverträge, gegen Krieg und imperialistische Intervention entgegensetzen. Sie müssen zu gemeinsamen und europaweiten Aktionen aufrufen, um von den Gewerkschaften und den Massenparteien der ArbeiterInnenklasse zu fordern, dass sie mir „ihrer“ Bourgeoisie brechen und ihre Millionen von Mitgliedern zu solchen Auseinandersetzungen mobilisieren.

Wenn diese einmal Massencharakter in Form von Massenstreiks und Besetzungen angenommen haben, werden sie die Machtfrage zurück auf die Agenda bringen. Sie werden erneut, wie in Griechenland bis Mitte 2015, die Frage nach einer ArbeiterInnenregierung aufwerfen, also Regierungen, die mit der herrschenden Klasse brechen, die Notfallprogramme für die ArbeiterInnenklasse, die Bauern und die Armen einführen; ein Programm, um der herrschenden Klasse die Kontrolle über Finanz- und Industriekapital aus den Händen zu nehmen, es unter Kontrolle der ArbeiterInnen zu enteignen und mit einem demokratischen Programm, um die Bedürfnisse der ArbeiterInnen und Armen zu erfüllen. Der Klassenkampf in Griechenland hat gezeigt, dass dies nur auf Grundlage kämpfender Organisationen möglich ist – mit Räten und Aktions-Komitees -, welche die ArbeiterInnen und unterdrückten Massen vereinigen, gegen die herrschende Klasse mobilisieren und die Macht im Staat in eigene Hände nehmen können. Er hat demonstriert, dass ein revolutionärer Verlauf der Dinge unmöglich ist ohne die Gründung von ArbeiterInnenmilizen und die Gründung von SoldatInnenkomitees in der Armee, um den bürgerlichen Repressionsapparat zu zerbrechen.Nur einer ArbeiterInnenregierung, die auf solchen Organen basiert, wird es möglich sein, die konterrevolutionären Angriffe der Bourgeoisie, ihrer Staatsorgane und imperialistischen Verbündeten abzuwehren.

Die Geschichte hat gezeigt, dass ein solches Programm nicht in einem Land allein eingeführt werden kann. Selbst die mächtigste europäische Wirtschaft, Deutschland, geriete ins Chaos und machte Einbußen, wenn die Verbindungen zu ihren europäischen Nachbarn durchtrennt würden. Die ArbeiterInnenklasse Europas hat kein Interesse daran, den Kontinent in ein Mosaik kleinerer und größerer kapitalistischer Staaten zu verwandeln. Im Gegenteil, die Klasse als Ganze und jede ArbeiterInnenregierung, die in einem Land entstehen könnte, muss dafür kämpfen, den gesamten Kontinent ökonomisch und politisch zu reorganisieren. Dies kann nur durch die Vereinigung des Kontinents unter der Herrschaft der ArbeiterInnen geschehen, durch den Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa und ihre Gründung.

Eine Partei für den Kampf um ein sozialistisches Europa

Die Reformisten haben den Kampf für den Sozialismus längst aufgegeben. Sie oszillieren zwischen bürgerlichen, „pan-europäischen“ Utopien und dem Weg „nationaler Reform“. Aber welche Alternative hat die radikale, anti-kapitalistische Linke aufgezeigt? Keine. Während die Reformisten den verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse und ihrer Politik hinterherkriechen, kriecht die radikale Linke den Reformisten hinterher. Sie unterscheiden sich hauptsächlich darin, wem sie folgen.

Eine lange Zeit folgten große Teile der „extremen Linken“, besonders die Sektionen der Vierten Internationale, den Advokaten eines „sozialen Europas“. Dies korrespondiert mit ihrer Unterstützung einer „breiten linken Partei“, die alle Strömungen der ArbeiterInnenbewegung in einem Zustand friedlicher Koexistenz auf Grundlage eines reformistischen Programms vereinigen soll.

Da sich immer mehr Fraktionen der europäischen linken Parteien und populistischer Kräfte hiervon verabschiedet haben, propagieren einige Gruppen der radikalen Linken nun den Austritt aus der EU.

Während die Reformisten behaupten, dass dies die Realisierung eines reformistischen Programms auf Grundlage einer Reihe keynesianischer Maßnahmen vereinfachen würde, behaupten zunehmend Teile der „radikalen Linken“, dies sei der einfachere „Weg zum Sozialismus“. Für sie ist Kapitalismus kein internationales System, sondern eine Summe von Nationalstaaten und Internationalismus die Summe nationaler Klassenkämpfe. Letztendlich sind dies neuzeitliche Imitationen der stalinistischen Utopie vom „Sozialismus in einem Land“.

In zwei Themen unterscheiden sich die Advokaten des „sozialen Europas“ und die des EU-Austritts weit weniger, als sie zuzugeben bereit sind. Beide folgen einem reformistischen Programm und beide argumentieren gewöhnlich zweitens, dass der Kampf für ein revolutionäres Programm der Machtergreifung und für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa nicht „auf der Tagesordnung“ steht. Selbst dort, wo sie es nicht offen ablehnen, bezeichnen sie den Kampf für ein sozialistisches Europa für eine Aufgabe der mehr oder weniger fernen Zukunft. Sie behaupten, dass nur ein Programm zur Reform der EU oder der Kampf für bessere Zustände auf nationaler Ebene „realistisch“ sei. Beide Wege führen letztlich ins Nirgendwo.

Wenn die ArbeiterInnenklasse Europas verhindern will, dass sich der Kontinent in eine Ansammlung krisengeschüttelter Staaten aufteilt, die zunehmend verzweifelt jedes Mittel anwenden werden, um Dominanz zu erlangen – wie dies bereits zwei Weltkriege hervorgebracht hat -, dann muss sie sich auf ein Programm für die Vereinigung des Kontinents auf der Grundlage von ArbeiterInnenmacht und öffentlichem Besitz der Produktionsmittel unter Kontrolle der ArbeiterInnen und einem demokratischen Plan stellen.

Hierfür benötigt die ArbeiterInnenklasse neue politische Organisationen, neue revolutionäre Parteien in jedem Land und eine neue, fünfte, Internationale. Im vergangenen Jahrzehnt haben die europäische ArbeiterInnenklasse, die Jugend und Linke wertvolle Zeit verloren. Das kapitalistische Europa ist in der Krise und die Herrschenden bereiten einen Alptraum an Reaktion vor, wie wir an den EU-Außengrenzen, am Erstarken der politischen Rechten, den imperialistischen Interventionen in Afrika und im Nahen Osten, den sozialen Verheerungen in Ost- und Südeuropa sowie den heraufziehenden sozialen und politischen Angriffen sehen können.

Deshalb rufen wir alle RevolutionärInnen und AntikapitalistInnen in Europa dazu auf, sich gemeinsam an die Aufgabe zu machen, ein Aktionsprogramm für die sozialistische Transformation Europas zu entwerfen! Schließt euch uns bei dieser Aufgabe an!




EU-Krise und die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa

Tobi Hansen, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Vorwort

Die EU ist in der Krise. Nicht erst seit gestern und sie wird nicht morgen beendet sein. Sie stellt nicht nur die AkteurInnen der herrschenden Klassen der EU-Länder vor große Probleme und zeigt die Begrenztheit der Fähigkeiten eines Cameron oder Johnson genauso auf wie die einer Merkel oder eines Hollande.

Sie stellt auch erhebliche Anforderungen an die antikapitalistischen und sozialistischen AktivistInnen und ihre Organisationen und Strukturen. Deshalb haben wir als Gruppe ArbeiterInnenmacht uns diesem Thema immer wieder gewidmet, sei es anlässlich der Austeritätspolitik, der Griechenlandkrise oder aktuell anlässlich der Situation der Geflüchteten in Europa.

Die EU ist kein gleicher Verbund freier Länder, sondern ein imperialistisches Projekt. Dieses Projekt in seiner Gesamtheit erlebt eine tiefe politische und ökonomische Krise. Ihre Tiefe ist nicht allein bedingt durch ökonomische Faktoren. Die Zuspitzung der politischen Krise birgt die Möglichkeit des kompletten Scheiterns des Projekts EU.

Die Häufung der Krisenhaftigkeit ist Produkt der imperialistischen Epoche selbst. Seit der Weltwirtschaftskrise 2007/08 trifft die Zuspitzung der imperialistischen Konkurrenz besonders das Projekt EU. Eine massive Austeritätspolitik wurde hier durchgesetzt, der deutsche Imperialismus unterwirft sich ökonomisch den Binnenmarkt und Währungsraum, dies trifft auf den Widerstand der ArbeiterInnenklasse, aber auch auf den Widerstand der unterworfenen europäischen Kapitalfraktionen und Nationen.

Die EU ist ein einmaliges Experiment der imperialistischen Epoche. Verschiedene nationale Bourgeoisien und deren Kapitalfraktionen agieren in einem gemeinsamen Markt, in einem transnationalen staatlichen Rahmen der EU-Bürokratie. Diese nationalen Bourgeoisien stehen dann auch in der ökonomischen Krise seit 2007/08 stärker in Konkurrenz zueinander. In der Krise verschärft sich der Verteilungskampf innerhalb dieser Gesamtkapitale und zwischen ihnen. Es gibt immer weniger Spielraum für eine „geordnete“ Konkurrenz, für einen „stabilen“ Kapitalismus oder andere demokratische und/oder soziale Illusionen, welche mit dem Kapitalismus zusammenhängen.

Dies ist auch die materielle Basis, auf der Nationalismus und Rassismus wachsen, die jede imperialistische Krise begleiten und auch heute in der EU wieder ein Massenphänomen darstellen.

Wenn also reformistische Kräfte wieder mal einen besseren oder stabileren Kapitalismus einfordern oder vorschlagen, wie Krisen zu vermeiden wären, so betreiben sie bewusste Täuschung. Stabilität im Kapitalismus und/oder in der EU, heißt nämlich nichts anderes als Stabilität, ausgehend von der Herrschaft eines Imperialismus, welcher allen anderen seine Profitbedingungen, Produktionsverhältnisse und seine Politik aufdrückt. Dies war im globalen Maßstab lange Zeit die Aufgabe der USA. Mit der EU versuchten sich Deutschland, Frankreich, und etwas weniger aktiv Großbritannien in dieser Rolle.

Besonders der deutsche Imperialismus hat sich als ökonomische Ordnungsmacht in der EU, speziell im Euro-Raum gestärkt. Die Marktmacht des deutschen Industrie- und Handelskapitals hat die europäischen Konkurrenten in die zweite und dritte Reihe eingeordnet. Im Gegensatz zu vorherigen imperialistischen Versuchen des deutschen Kapitals Europa unterzuordnen, muss aber diesmal eine „Kooperation“ mit anderen nationalen Gesamtkapitalen gesucht werden.

Dies geschieht durch ein Bündnis mit dem französischen Imperialismus, welcher an zweiter Stelle profitiert, allerdings ökonomisch gegenüber dem deutschen Imperialismus zurückgefallen ist, speziell seit dem gemeinsamen Euro-Währungsraum und derzeit unter Hollande gezwungen ist „deutsche“ Sozialangriffe auf die französischen Beschäftigten durchzuführen, um gegenüber dem deutschen Kapital wieder konkurrenzfähiger zu sein. Mit diesen Führungsmächten konkurrieren weitere imperialistische Kapitale wie die von Großbritannien, Italien, Niederlande, Spanien, Belgien, Österreich und die skandinavischen Staaten – allein diese Ansammlung verdeutlicht die inneren Schwierigkeiten und Konkurrenzen in der EU. Dazu kommen die direkt ökonomisch unterworfenen halbkolonialen Staaten Osteuropas, an denen alle westeuropäischen Imperialisten ihre Anteile haben und verwerten wollen, wie auch ein zum EU-Protektorat erniedrigtes Griechenland, dessen Kapital jede Sauerei gegen die ArbeiterInnenklasse zwar mitmacht, dessen Nationalstaat aber das schwächste Glied in der EU-Kette geworden ist.

Diese „Schwierigkeiten“ des kapitalistischen Europa haben es historisch schon zweimal zum inner-imperialistischen Schlachtfeld Nr. 1 werden lassen. An diesen Voraussetzungen hat sich nichts geändert, daher muss die ArbeiterInnenbewegung Antworten auf Krise, Nationalismus und Krieg liefern.

Unter KommunistInnen der Komintern bis Mitte der 20ziger Jahre war die Losung „Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa“ die Lösung. Sie wird heute noch von vereinzelten trotzkoiden Strömungen aufrechterhalten. Wir wollen in diesem Artikel die Aktualität dieser Taktik herausarbeiten, ihre Bedeutung für eine revolutionäre Politik gegen eine imperialistische EU in den Kontext der historischen Erkenntnisse stellen.

Europa als Schlachtfeld des Imperialismus

Wir wollen keine längeren historischen Darlegungen hier machen, die Entwicklung von imperialistischen Weltkriegen ist eigene Artikel wert (siehe z. B. http://www.arbeitermacht.de/rm/rm46/ersterweltkrieg.htm).

Europa ist der Kontinent der alten kapitalistischen Mächte, auf dem sich die kapitalistische Wirtschaftsordnung erstmals durchgesetzt hat. Dies führte zu einer Vielfalt von Nationalstaaten und nationalen Kapitalgruppen. Es ist Folge dieser Entwicklung bzw. des Übergangs von der spätfeudalen zur bürgerlichen Ordnung, dass in Europa verschiedene kapitalistische Mächte groß wurden bzw. sich als imperialistische Mächte etablieren konnten. Das britische Weltreich, der kontinentale Aufstieg Frankreichs, die Handelsmacht Niederlande, der Aufstieg der Industriemacht Deutschlands, dazu die imperialistischen Ambitionen von Italien, Belgien und Spanien – die Etablierung des Kapitalismus in Europa prägt bis heute diese bunte Zusammenstellung von nationalen Bourgeoisien, Kapitalfraktionen und Staaten.

Auf dieser Grundlage konnten und mussten zwei Weltkriege auf diesem Kontinent ausbrechen. Zuviele imperialistische Akteure auf einem vergleichsweise kleinen Kontinent, die nationale Zersplitterung inklusive offener ethnischer Konflikte und fehlender nationaler Selbstbestimmung waren die Voraussetzung für die Kriegstreiberei der herrschenden Klasse. In Europa entwickelten sich in den verschiedenen Krisenperioden des Kapitalismus immer wieder starke nationalistische, rassistische und/oder antisemitische politische Strömungen, welche von Kapital und Kleinbürgertum getragen wurden, aber immer wieder auch auf die ArbeiterInnenklasse übergriffen. Bezahlen für den Krieg der Herrschenden aber mussten immer die Arbeitenden, die dafür in den Tod geschickt wurden. Die Lösung der imperialistischen Konkurrenz und Krise wurde von den kriegführenden herrschenden Klassen meist durch die militärische Niederwerfung und Besatzung der Konkurrenten bzw. des halbkolonialen Umlands gesucht. So drängten die europäischen imperialistischen Akteure, getrieben vom entwickelten Finanzkapital auf die Weltmärkte und Kontinente, unterwarfen sie sich und entwickelten Theorien von der Überlegenheit der „eigenen“ Rasse oder eines „Volks ohne Raum“.

Das ist die Grundlage für die historische zweimalige Zuspitzung der Gegensätze in Europa und für die Krisenhaftigkeit des heutigen Europa mit der Gefahr eines Zerbrechens der EU.

Am innerimperialistischen Hauptkonflikt sind heute im Vergleich zu den beiden Weltkriegen nicht mehr Europa oder einzelne seiner Staaten zentrale beteiligt. Die Vorstellung eines bewaffneten Konflikts zwischen den Hauptmächten Deutschland, Frankreich und Großbritannien um die Zukunft der EU ist kein aktuelles Szenario, wenn auch dies zukünftig nicht ausgeschlossen werden sollte.

Der Hauptgegensatz der heutigen zwischenimperialistischen Konkurrenz liegt auf beiden Seiten des Pazifik. Die Frage, welche Macht letztlich die Ordnungsmacht im ökonomisch aufstrebenden Asien wird bzw. bleibt, ist die Kernfrage der kommenden Periode. Hier treffen die USA, China, Japan, Russland, Südkorea aufeinander, aufstrebende Mächte und Märkte wie Indien, Indonesien, Thailand und Vietnam betreten die Bühne und auch Australien ist involviert. Der „Hauptwiderspruch“, nicht nur dieser Region, sondern auch der globalen imperialistischen „Ordnung“ liegt zwischen der bisherigen Führungsmacht USA und dem aufstrebenden Konkurrenten China.

In Europa gelten aber weiterhin die imperialistischen Gegensätze und wir treten jetzt in eine Periode ein, in der sie wieder offener auftreten und zu Destabilisierung und Krise führen. Der russische Revolutionär Leo Trotzki schrieb 1923 zur damaligen Krise in Europa, was auch für die aktuelle Lage als Ansatzpunkt dienen kann:

„Die treibende Kraft an diesem Kriege waren kapitalistische Produktivkräfte, die über den Rahmen der europäischen Nationalstaaten hinausgewachsen sind. Deutschland stellte sich die Aufgabe, Europa zu „organisieren“, d. h. den europäischen Kontinent unter seiner Leitung wirtschaftlich zu vereinigen, um später den eigentlichen Kampf mit England um die Weltherrschaft zu beginnen. Frankreich machte sich zur Aufgabe, Deutschland zu zersplittern. Die geringe Bevölkerung Frankreichs, ihr vorwiegend agrarischer Charakter und der Konservatismus seiner Wirtschaftsformen machen es der französischen Bourgeoisie unmöglich, an das Problem – Europa zu organisieren – auch nur heranzutreten, dessen Lösungsversuch dem mit der Kriegsmaschine der Hohenzollern ausgerüsteten deutschen Kapitalismus das Rückgrat gebrochen hat.“ (1)

Die Hauptfrage „Wer organisiert Europa?“ haben Deutschland und Frankreich mit der Einführung gemeinsamer Währung und einheitlichen Binnenmarktes zu beantworten versucht, Großbritannien bleibt Co-Macht mit eigener Währung. Die EU ist vor allem für den deutschen Imperialismus Sprungbrett seiner globalen Ambitionen. Die Produktivkräfte des deutschen Imperialismus beherrschen den europäischen Markt, speziell den Euro-Raum. Gemeinsam mit dem französischen Imperialismus wurde die EU-Bürokratie aufgebaut und in den letzten Jahren der Schuldenkrise ein Austeritätsregime für ganz Europa installiert. Es gab und gibt massive Sozialangriffe auf die ArbeiterInnenklasse, die Kosten der Krise wurden verlagert auf die Klasse, Millionen wurden in die Arbeitslosigkeit geschickt wie auch Millionen von Beschäftigungsverhältnissen weiter prekarisiert und pauperisiert wurden. Die Finanzierung der jeweiligen Staatshaushalte ist in dieser EU abhängig von der Kreditvergabe der EZB wie auch teilweise des IWF – in der Krise organisierte vor allem der deutsche Imperialismus die EU nach seinen Verwertungsinteressen. In der Politik der EZB finden wir allerdings auch die gegensätzlichen Interessen der unterschiedlichen nationalen Bourgeoisien. Die Finanzierung der Staatsanleihen via EZB seit Beginn 2015, die mit monatlich 80 Mrd. Euro unterstützt werden, waren nicht im Interesse des deutschen Imperialismus. Hier konnten sich die „vereinigten“ Interessen der anderen imperialistischen Staaten und Kapitale durchsetzen, welche die EZB zur Finanzierung aller Staatsanleihen und Finanzmärkte heranziehen wollen.

Diese Krise führt einerseits zu einem generalisierten Angriff auf die sozialen Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse, wie seit der letzten Wirtschaftskrise in den 1930iger Jahren nicht mehr erlebt, aber zum anderen auch zu einer offeneren Dominanz des deutschen Imperialismus als je nach dem Ende des 2. Weltkriegs.

Je offener Krise und Herrschaftsanspruch des deutschen Imperialismus auftreten, desto offener gelangt auch die Konkurrenz zu den anderen imperialistischen Mächten zu Tage und desto stärker müssen diese sich des deutschen Imperialismus erwehren, um ihre ureigensten imperialistischen Interessen zu bewahren und durchzusetzen.

Hier trifft die ungleichzeitige und kombinierte Entwicklung des Kapitalismus und seiner Klassenkräfte zu. Die aktuelle EU ist Spiegelbild dieser Gesetzmäßigkeit.

Nationalismus und Rassismus im Schatten der Krise

Im Rahmen der sog.  „Flüchtlingskrise“ konnten wir feststellen wie z. B. Österreich auf der „Westbalkankonferenz“ den Nicht-EU-Staat Mazedonien als neuen Grenzposten installiert und dadurch wieder Ordnungsmacht auf dem Balkan spielt – die Republik Österreich überträgt faktisch die ungarische Grenzpolitik auf den ganzen Balkan.

Überhaupt ist der Balkan, wie auch Südosteuropa, wieder Sinnbild des Versuchs der Einflussnahme verschiedener imperialistischer Mächte auf diese Region. Die EU ist bemüht nach Slowenien und Kroatien auch den Rest des ehemaligen Jugoslawien ökonomisch einzugliedern, ebenso wie die „privilegierten“ Partnerschaften mit der Ukraine und Georgien bspw. aufzeigen, dass sie weitere ehemalige Republiken der UdSSR als ökonomisch unterworfene Peripherie in ihr Herrschaftsgebiet aufnehmen will. Schwieriger gestaltet sich das Verhältnis zur aufstrebenden Halbkolonie Türkei, die derzeit vehement Regionalmachtansprüche stellt. Durch den schmutzigen und rassistischen Flüchtlingsdeal mit der EU, welcher sie jetzt als „Schleuserstaat“ installiert, nimmt sie indirekt Einfluss auf die europäische Politik und versucht ihren Einfluss auf dem Balkan zu erhöhen und mittels der EU ihre Rolle als Mittelmeer -und Regionalmacht zu stärken.

Das EU-Protektorat Griechenland ist weiterhin das schwächste Glied der europäischen Kette. Das Spar- und Kürzungsregime unter Tsipras ruiniert die griechische Volkswirtschaft, lässt die griechische Regierung offen für russischen Einfluss werden, wie auch der russische Imperialismus „traditionell“ zu Bulgarien und Serbien gute Beziehungen pflegt und als Konkurrent gegenüber der EU auftritt. Die Regierungskrise in Montenegro, der aktuelle Rechtsschwenk der kroatischen Regierung, die offen nationalistisch-rassistische Politik Ungarns: der Balkan ist derzeit nicht allein „Transitzone“ der Flüchtlinge, sondern auch Spiegel der Instabilität der EU.

Im Zuge der Wirtschaftskrise wuchsen die rechtspopulistischen, nationalistischen, rassistischen und offen faschistischen Kräfte in der gesamten EU. Die EU-Dekrete und EZB/IWF-Kahlschlagspolitik trieben Millionen in die Armut und bereiteten den Boden für die verschiedenen rechten Parteien und Bewegungen. Der soziale Angriff auf die lohnabhängigen Mittelschichten, die verstärkte Konkurrenz innerhalb der kleinbürgerlichen Schichten, die „Proletarisierung“ verschiedener kleinbürgerlicher Berufsgruppen sind Voraussetzung für ihre politische Radikalisierung. In allen Fällen gab es auch vor der „Flüchtlingskrise“ rassistische Ausfälle, meistens gegenüber „dem Islam“, aber auch gegen Südeuropäer oder sog. „Wirtschaftsflüchtlinge“.

Mit der „Flüchtlingskrise“ hat sich diese Situation weiter verschärft, die rechten Akteure betreiben offen soziale Hetze gegen die Flüchtlinge, versuchen die einheimische Bevölkerung gegen diese in Stellung zu bringen.

Der Verteilungskampf spitzt sich zu während der Krise, hier ist auch das Potenzial für rassistische und nationalistische Hetze vorhanden. Das Kapital kennt nur eine Krisenlösung, nämlich die möglichst hohe Entwertung und Entrechtung der Ware Arbeitskraft wie auch die Vernichtung und Zerschlagung von Produktionsmitteln und Kapazitäten der Konkurrenz. Daher sind Nationalismus und Rassismus zwei ideologische Mittel des Kapitals und der kleinbürgerlichen Schichten, diesen Kampf gegen die Arbeitsbedingungen des Proletariats aufzunehmen und es zugleich für die Kriege des Kapitals einzuspannen.

Der Rückzug aus der EU ist die Option der „geschlagenen“ imperialistischen Mächte bzw. derjenigen, die der deutsch-französischen Übermacht immer weniger entgegenzusetzen haben. Auf der anderen Seite ist speziell das deutsche Großkapital an einer weiteren Vertiefung der EU interessiert. Vertiefung heißt hier nichts anderes als weitergehende Unterwerfung. Wiederum andere Kapitalfraktionen der imperialistischen Staaten sind abhängig von der und angewiesen auf die EU. Diese stellen die besten Verbündeten des deutschen Imperialismus.

Eine andere Lösung kann dieses System nicht bieten, zu einer anderen Politik ist diese Ordnung nicht in der Lage, in dieser Hinsicht können wir von historischen Wiederholungen sprechen, die imperialistische Krise und Zuspitzung trifft ein drittes Mal Europa.

ArbeiterInnenklasse, politische Führung und die Frage der Taktik

In solchen Krisen haben die traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung zweimal historisch versagt und konnten nicht verhindern, dass die Ausgebeuteten auf den Schlachtfeldern der Ausbeuter geopfert wurden. Während des 1. Weltkrieges konnte aber eine Partei der ArbeiterInnenbewegung in Europa den imperialistischen Krieg zum Krieg gegen den Imperialismus wenden. Im Jahr 2017 können wir 100 Jahre Oktoberrevolution feiern. Die Bolschewiki führten die Revolution gegen Zarentum, Krieg und Kapital an. Damit setzten sie auch eine neue Entwicklung in der ArbeiterInnenbewegung in Gang, die Bildung von kommunistischen Parteien und Kommunistischer Internationale. In dieser Phase entwickelten die Komintern und ihre Parteien eine Reihe von Taktiken, Analysen und Strategien im Kampf gegen den Imperialismus und die bürgerliche Führung innerhalb der ArbeiterInnenbewegung, gegen die reformistischen und sozialchauvinistischen Organisationen der 2. Internationale. Europa war der Kontinent, auf dem die meisten revolutionären Hoffnungen dieser Zeit ruhten. Hier war die ArbeiterInnenklasse stark organisiert, waren kommunistische Massenparteien aktiv und traten die Widersprüche der imperialistischen Krise und der bürgerlichen ArbeiterInnenpolitik offen zu Tage. Der Faschismus bestieg ebenfalls die politische Bühne, die „Alternativen“ trafen quasi offen aufeinander: entweder sozialistische Lösung und Revolution für Europa oder „Neuauflage“ des 1. Weltkrieges, diesmal mit den Faschisten als führender Kraft!

Die Taktiken und Methoden der frühen Komintern sollten die bürgerlichen Akteure in der ArbeiterInnenbewegung herausfordern und letztlich Teile der Klasse für eine revolutionäre Politik gewinnen, auch hier sind die objektiven Aufgaben heute ähnlich gestellt, allerdings ohne Massenparteien der KommunistInnen. Aber die Taktik der ArbeiterInneneinheitsfront, der ArbeiterInnen- (und Ba(e)uerInnenregierung) und die Losung „Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa“ behalten in der Krisenperiode des Imperialismus ihre Aktualität.

Die Aktualität der Parole „Vereinigte Staaten von Europa“

So hieß ein bedeutender Text von Trotzki aus dem Jahre 1923 zur Frage der Perspektive der europäischen Revolution. Den Titel könnten wir heute uneingeschränkt übernehmen, ist doch die Fragestellung und politische Perspektive heute in vieler Hinsicht noch augenscheinlicher als damals. Gemeinsam haben die Jahre 1923 und 2016, dass die imperialistische Entwicklung Europas die arbeitenden Klassen ausbeutet, in Konkurrenz zueinander setzt, Armut und Verwahrlosung breiter Teile der Klassen organisiert und nicht fähig ist, diesem Kontinent eine fortschrittliche soziale und ökonomische Perspektive zu bieten. Deutliche Unterschiede müssen natürlich auch festgestellt werden, da 1923 die Kriegsgefahr ganz aktuell brodelte, die Ruhrbesetzung durch französische und belgische Truppen, welche damit die Reparationsforderungen Frankreichs untermauerten, die Wiederholung eines europäischen Kriegen ganz konkret androhte. Heute droht kein innereuropäischer Krieg direkt, sondern der Zerfall der EU.

Die Losung „Vereinigte Staaten von Europa“ wie auch die der „Balkanföderation“, die die 2. Internationale 1910 aufgestellt hat, beziehen sich konkret auf die Überwindung des Nationalstaates als Perspektive, die dem wohl berühmtesten Satz der revolutionären ArbeiterInnenbewegung, „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“ Ausdruck geben soll. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass diese Losungen in der Zeit unmittelbar vor dem ersten imperialistischen Krieg aufkamen. So zeigten die Balkankriege, dass die imperialistischen Großmächte (Österreich-Ungarn, Deutsches Reich, Russland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Osmanisches Reich) sie nutzen, um ihren Einfluss zu stärken, die Staaten Griechenland, Serbien, Bulgarien und Rumänien ständigen Konflikten ausgesetzt waren, die quasi die Blaupause für den direkten Krieg der Großmächte abgaben. Zur Überwindung des Einflusses der Großmächte, welche mit ihren willigen nationalen Verbündeten Südosteuropa in den Krieg führten, entwickelte die 2. Internationale die Losung der „Vereinigten Balkanföderation“, welche alle nationalen und kulturellen Eigenheiten integrieren sollte, damit diese, obwohl in der Hand des Kapitals, nicht erneut für Nationalismus und Krieg verwendet werden konnten.

Wenn wir heute die EU betrachten, dann kommen wir an der dominanten Rolle des deutschen Imperialismus nicht vorbei, ist die EU in ihrer Entstehung und mit ihrer „EG“-Vorgeschichte doch vor allem ein kombiniertes Projekt des deutschen und des französischen Imperialismus. Zu dieser Möglichkeit einer europäischen Ordnung von „oben“ schrieb Trotzki bereits 1915 in dem Text „Das Friedensprogramm“:

„Unter diesen Bedingungen ist ein einigermaßen vollständiger wirtschaftlicher Zusammenschluss Europas von oben herab, durch Verständigung zwischen kapitalistischen Regierungen eine Utopie. Weiter als zu Teilkompromissen und halben Maßnahmen kann hier die Sache niemals kommen. Daher wird eine wirtschaftliche Vereinigung Europas, welche sowohl für die Produzenten wie für die Konsumenten und für die kulturelle Entwicklung überhaupt von größtem Vorteil ist, zu einer revolutionären Aufgabe des europäischen Proletariats in seinem Kampf gegen den imperialistischen Protektionismus und dessen Waffe, den Militarismus.“ (2)

Zu diesem Zusammenhang noch folgendes Zitat:

„Auf dem europäischen Markt aber schließt jede Erweiterung des englischen Absatzes eine Verringerung des deutschen und französischen in sich, und umgekehrt. Das letztere kommt immer häufiger vor: der Export Deutschlands und Frankreichs schlägt dem Export Großbritanniens tiefe Wunden. Der europäische Markt erweitert sich nicht. Innerhalb bestimmter Grenzen vollziehen sich Verschiebungen in der einen oder anderen Richtung.“ (3)

Zur Bestimmung von Europa:

„Europa ist kein geographischer Terminus, sondern ein wirtschaftlicher, der, zumal unter den gegenwärtigen Nachkriegsverhältnissen etwas weit konkreteres ist, als der Terminus Weltmarkt. Wenn wir schon lange gewohnt sind, die Notwendigkeit einer Föderation der Balkanhalbinsel einzusehen, so wird es allmählich an der Zeit, auch das balkanisierte Europa im selben Lichte zu sehen.“ (4)

Diese Ausgangslage der Zitate beschreibt treffend die aktuelle Verfasstheit der EU. Die heutige EU ist ein „imperialistisches“ Projekt von oben und zwar der vorherrschenden deutschen und französischen Kapitale, von denen sich die „übrigen“ Gesamtkapitale Vorteile versprachen. Schließlich sind alle imperialistischen Akteure daran interessiert, die EU für ihre Ambitionen auf dem Weltmarkt zu nutzen und gegen die Interessen und Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse einzusetzen.

Wir haben Anführungszeichen gesetzt, da hier oft ein Hauptmissverständnis in der aktuellen Analyse der EU vorliegt. Es gibt keinen geeinten EU-Imperialismus, wie es auch keine europäische Bourgeoisie gibt, daher bleibt die EU weiterhin ein Projekt verschiedener imperialistischer Akteure und Interessen. Selbst das deutsche und französische Großkapital, welche in vielen Bereichen stärker fusionierten im letzten Jahrzehnt (Raum- und Luftfahrt, Rüstung, Pharma) ist kein geeintes, sondern durchzogen von tiefer Konkurrenz und dem deutschen Versuch sich das französische Großkapital unterzuordnen. Als der Mischkonzern Alstom 2014 zum Verkauf stand, war natürlich der deutsche Monopolist Siemens erster Bieter, sicherlich mit dem Ziel diesen noch vorhandenen europäischen Konkurrenten auszuschlachten. Auf Intervention der französischen Regierung wurde aber dann der US-Konkurrent General Electric als „weißer Ritter“ gefeiert, welcher dann Anteile von Alstom übernahm.

Die imperialistischen Kapitalverbände haben „Teilkompromisse“ und viele „halbe Maßnahmen“ durchgeführt, um zumindest ihre Interessen gegenüber der ArbeiterInnenklasse in Europa festzulegen. Dabei mussten sie eine europäische Ordnung installieren, die in vielen Bereichen den nationalen Rahmen des Kapitalismus sprengt und andeutet wie denn eine „wirtschaftliche Vereinigung“ aussehen könnte, welche real zum Vorteil der Produzenten und Konsumenten dienlich wäre.

Die aktuelle Verfasstheit der EU

Ökonomisch ist die EU an der „Agenda von Lissabon“ gescheitert. Die USA konnten nicht als Wirtschaftsraum und Markt Nr. 1 abgelöst werden. Die Weltwirtschaftskrise seit 2007/08 hatte der EU einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nach 15 Jahren der Euro-Einführung befinden sich große Teile in der Stagnation und haben Jahre der Rezession hinter sich. Unter der Dominanz der imperialistischen Kapitalverbände haben sich weite Teile Osteuropas und Südeuropas als Halbkolonien in der EU manifestiert. Die Lage Griechenlands als de facto Protektorat von EU, EZB und IWF zeigt das tiefe Gefälle innerhalb des Binnenmarktes. Dies ist die Folge der „freien“ Konkurrenz bzw. des unbeschränkten Marktzugangs der imperialistischen Kapitale. Die Tatsache, dass das deutsche Industrie- und Handelskapital überall in Konkurrenz zu den anderen nationalen Bourgeoisien treten konnte, ebenso das britische, französische und italienische Kreditkapital überall Investitionen und Kredite steuerten, im Binnenmarkt wüten konnten, ist die Erklärung für die tiefe ökonomische und soziale Krise der EU. Die Formelkompromisse dieser herrschenden Kapitalverbände wurden auf dem Rücken der europäischen ArbeiterInnenklasse ausgetragen, wie auch eine wirtschaftliche Vereinigung Europas nur unter der Konkurrenz jener vonstatten geht und somit wenig Vorteile für Produzenten (ArbeiterInnen) und Konsumenten brachte, aber für die vorherrschenden nationalen Bourgeoisien mehr Profite und Marktanteile.

So konnte der deutsche Imperialismus den europäischen Markt lange Zeit ohne militärische Knute unterwerfen, wie im 1. und 2. Weltkrieg versucht. Diese „friedliche“ Unterwerfung des Binnenmarktes hat aber nicht zu einer Angleichung oder Befriedung der Gegensätze im Lager des Kapitals geführt – im Gegenteil, hier wachsen die Unterschiede und Spannungen an, als Folge einer Ordnung von „oben“.

Jedes nationale Gesamtkapital und dessen Fraktionen können soviel „EU“ mittragen, wie es ihren Interessen nützt. So unterstützt auch die griechische Bourgeoisie jede Maßnahme der „Troika“, weil sie damit tiefe einschneidende Angriffe auf die griechische ArbeiterInnenklasse durchführen kann, die zuvor oft vom griechischen Proletariat zurückgeschlagen wurden. Ähnliches lässt sich von allen anderen Bourgeoisien sagen. So ist die Austeritätspolitik seit der Schuldenkrise ein stetiger „Tanz auf der Rasierklinge“ geworden, welchen der deutsche Imperialismus mit Bravour erledigte, hatte dieser doch mit der „Agenda 2010“, der Schaffung eines großen Niedriglohnsektors schon entscheidende Angriffe auf die deutsche ArbeiterInnenklasse bewerkstelligt. Die anderen Kapitalfraktionen, wie aktuell die französische, stellt diese aber vor massiven Herausforderungen, wie die Auseinandersetzungen um das Arbeitsgesetz El Khomris beweisen.

Die stetige Konkurrenz und die damit einhergehende weitere Konzentration und Monopolisierung zu Gunsten der imperialistischen Akteure bewirkt aber auch, dass die Ambitionen und Interessen der übrigen Bourgeoisien immer weiter geschmälert werden, diese nur noch in Abhängigkeit von und direkter ökonomischer Unterwerfung unter eine dieser imperialistischen Bourgeoisien ihre Existenz als Vasallenbourgeoisie weiterführen können. Auch die Ambitionen einiger imperialistischer Fraktionen werden geschmälert (Italien, Spanien). Die britische Bourgeoisie ist derzeit darüber gespalten, auf welchem Weg die eigenen Ambitionen besser bewerkstelligt werden können: als Teil der EU oder eben nicht.

EU nach außen

Sichtbar wird dieses aktuelle „Auseinanderdriften“ der herrschenden Kapitalverbände gerade im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Deren Mangel ist ein Hauptwiderspruch innerhalb der „Ordnung von oben“ in der EU. Zwar gibt es gemeinsame Rüstungsvorhaben wie den „Eurofighter“ und militärische Zusammenarbeit einzelner Staaten im Rahmen der WEU. Allerdings ist die EU 2016 weit davon entfernt, als ein gemeinsamer imperialistischer Block aufzutreten, mit gemeinsamen Sicherheitsinteressen und vor allem einer gemeinsamen Strategie. Deutlich wird dies z. B. im Konflikt mit Russland um die Ukraine. Während Deutschland strukturell an einem Ausgleich mit Russland interessiert ist, derzeit durch Außenminister Steinmeier sogar NATO-Manöver an der EU-Ostgrenze als „Säbelrasseln“ kritisieren lässt, sind Großbritannien und viele osteuropäische Staaten treue Gefolgsleute der US-Politik gegenüber Russland. Hier sehen wir deutlich, was zu einer politischen Vereinigung der EU fehlt und dass es eben kein gemeinsames imperialistisches Agieren der EU geben kann, solange weiterhin Nationalstaaten mit nationalen Kapitalinteressen innerhalb der EU ihre Politik betreiben wollen. Dies konnte die EU auch samt ihrer Bürokratie eben nicht überwinden, dies würde nur durch eine direkte Unterwerfung der Nationalstaaten geschehen.

In der aktuellen „Brexit“-Debatte sahen sich konservative deutsche EU-Parlamentarier auch genötigt, mal wieder offensiver die Idee und Forderung nach einer europäischen Armee aufzustellen. Diesmal mit der offensichtlichsten aller möglichen Begründungen, da könnte man ja Geld sparen, schließlich bräuchten dann die einzelnen Staaten keine eigenen Armeen mehr. Diese Pseudoargumente verdecken natürlich die eigentlichen Interessen des deutschen Imperialismus, welcher eine Armee unter EU-Kontrolle, d. h. v. a. unter eigener, aufbauen will. Dies würde zwangsläufig das alleinige Kommando Frankreichs über seine Atombomben und Flugzeugträger in Frage stellen wie auch die NATO herausfordern. Auch in diesem Bereich zeigt sich die gesamte Widersprüchlichkeit des EU-Projekts. Sicherlich hat speziell Frankreich Erfahrungen damit, sich nicht unter das militärische Kommando der NATO einzuordnen. Auf der anderen Seite wäre aber der Verlust des Oberbefehls über die Atombomben ein herber Schlag für den französischen Imperialismus und seine globalen Ambitionen. So könnte Deutschland mit einer möglichen französischen Präsidentin Le Pen sicher vortrefflich Unterstützung gegen die US-Dominanz innerhalb der NATO gewinnen, bei der Aufstellung einer EU-Armee müssten dann aber schon alle Stäbe in Paris sitzen, damit der Front National dies überhaupt in Erwägung zöge. Die Außen- und Sicherheitspolitik bzw. der Militarismus der verschiedenen imperialistischen Staaten haben innere Grenzen, die nicht aufgegeben werden können in einem EU Projekt.

Ebenso ist die USA als NATO-Führungsmacht ein ganz „natürliches“ Hindernis innerhalb der westlichen imperialistischen Wirklichkeit. Ohne die NATO und vor allem ohne den US-Militarismus ist jegliche kriegerische Intervention des Westens eigentlich zum Scheitern verurteilt, speziell der deutsche Imperialismus ist auf die militärischen „Partner“ USA, Großbritannien oder Frankreich angewiesen. Die Lage in Libyen ist ein Beispiel für fehlenden EU-Militarismus und -Imperialismus. Wurde die sogenannte „Übergangsregierung“ zwar aus willigen Exilpolitikern von der EU zusammengewürfelt, so scheitert die Amtsübernahme doch ganz konkret an der militärischen Situation. Derzeit sichern zwei Fregatten der EU die Regierung im Hafen von Misrata. Diese EU kann nicht als „Ordnungsmacht“ auftreten, zumindest nicht in dem Maße wie die USA in Afghanistan und Irak. Dies aber wäre mitentscheidend dafür, ob die EU ein geeinter imperialistischer Block wird.

Der Einfluss der USA als NATO-Führungsmacht bedroht ganz klar die Ambitionen des deutschen und französischen Imperialismus in der EU. Hier gibt es stets eine „offene Flanke“, welche die USA zur Untermauerung ihres Führungsanspruchs nutzt. Dies ist auch das Mittel der USA, um die konkurrierenden europäischen imperialistischen Bourgeoisien unter Kontrolle zu halten bzw. strategisch auch in der kommenden Periode an sich zu binden – zum US Militarismus gibt es derzeit keine Alternative innerhalb des westlichen „Blocks“.

EU nach außen heißt aber auch „Assoziierungsabkommen“ mit Staaten der Peripherie, heißt ökonomische Expansion. Wie am Beispiel Ukraine, Georgiens oder Serbiens sichtbar, ist die EU weiterhin interessiert weitere Märkte zu unterwerfen und dort die Markthoheit zu erlangen. Dort handelt dann sie etwas wie ein „Superstaat“, indem sie einfach die gebündelten Interessen der Großkapitalfraktionen umsetzt. Hier gehören der Balkan, die Staaten der ehemaligen UdSSR, aber auch der sog. Mittelmeerraum (inkl. Nordafrika, Naher und Mittlerer Osten) zu den „Zielmärkten“ der EU. Hier treten dann die „europäischen“ Bourgeoisien in den direkten Konkurrenzkampf mit den USA, China und Russland.

Die Funktion der EU-Bürokratie

Als eine der wichtigsten Anforderungen an einen gemeinsamen Wirtschaftsraum beschreibt L. Trotzki in seinen Texten die Überwindung der Zollschranken, welche Europa spalten und ihrerseits nur eine Schutzfunktion des jeweiligen nationalen Kapitals darstellen. In dieser Hinsicht wie auch der Verwaltung einer europäischen Wirtschaft zeigt sich inwieweit der Kapitalismus die nationalen Grenzen sprengt, weil er nicht mehr im nationalen Rahmen funktionieren kann. Die Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes, welcher bislang in der europäischen Geschichte meist ein Produkt des Krieges war, wie das Zollbündnis im 1. Weltkrieg (Deutsches Reich, Österreich-Ungarn und Osmanisches Reich), ist objektiv im Interesse der ArbeiterInnenklasse Europas, aber freilich nicht unter den aktuellen Bedingungen. Bei der Gestaltung des Binnenmarktes und den Anforderungen an Produktion, Distribution, Konsumtion und Reproduktion handelte die EU allein im Interesse der exportierenden Kapitalfraktionen.

So ist es natürlich sinnvoll in einem gemeinsamen Markt bestimmte Vorschriften und Gemeinsamkeiten für Transport, Logistik und Buchhaltung zu entwickeln. Diese Funktionen der EU-Bürokratie weisen darauf hin, dass eine gemeinsame Planung und Verwaltung nötig ist und diese sogar gegen nationale Kapitale durchgesetzt werden muss, um den gemeinsamen Wirtschaftsraum zu strukturieren.

Wenn wir uns kurz eine nichtkapitalistische, sozialistische Wirtschaftsordnung für diesen Kontinent vorstellen wollen, dann wäre klar, dass diese auch gemeinsame Regelungen, Vorschriften und Vereinbarungen bräuchte. Das bekannte Beispiel der Normung europäischer Gurken, welches von kleinbürgerlichen und Konservativen stets als Beispiel der „Überregulierung“ benannt wird, macht natürlich volkswirtschaftlich Sinn, wenn wir wollen, dass eine vergleichbare Menge Gurken in allen Transportkisten des Kontinents vorhanden ist, welches der Planbarkeit natürlich hilft. Dies gilt natürlich auch für die Angleichung und Verknüpfung der europäischen Logistik-, Transport- und Produktionsketten: zu was das Großkapital in seinen Konzernen gezwungen ist, macht natürlich auch Sinn für jede Form einer sozialistischen Planwirtschaft.

Was eine Verwaltung Europas, die nach Bedürfnissen und Erfordernissen einer Planwirtschaft agieren würde, zusätzlich machen müsste, ist darstellbar an der anarchischen Ordnung der kapitalistischen Produktion. Die europäischen Bourgeoisien verteilen die Produktionsketten nach ihren Maßstäben, d. h. nach Profitrate, niedrigen Löhnen und Steuerlast und einer im Verhältnis dazu hohen Produktivität (z. B. Verlagerungen in die Slowakei, nach Estland). Dies führt zu einer Konzentration der Industrieproduktion in Europa wie auf der anderen Seite zu einem Kahlschlag (Großbritannien, Portugal). Für eine sozialistische Planwirtschaft würde dieses kaum Sinn machen. Dort müssten eine europäische „Verwaltung der Dinge“ bzw. ein europäischer ArbeiterInnenrat sicher andere Maßstäbe zur Verteilung der Produktion, Forschung und Dienstleistung anlegen. So macht es auch volkswirtschaftlich wenig Sinn, dass z. B. Maschinenbau, Pharmazeutika, Automobilindustrie, Luft- und Raumfahrt, IT, Chemie  u. a. so konzentriert werden, dass diese in einigen europäischen Wirtschaftsräumen kaum vorkommen. Das wäre dann die epochale Weiterentwicklung einer europäischen Planung, wenn Produktion, Dienstleistung und Distribution nach den Erfordernissen der arbeitenden Klasse geordnet und verteilt werden und eben nicht nach den Profiterwartungen der Kapitalplaner.

Natürlich ist die derzeitige Bürokratie ein Konstrukt der kombinierten Kapitalinteressen, speziell der deutschen, französischen und, wenn es um Ausnahmen geht, der britischen – wie auch die anderen imperialistischen Kapitalinteressen aus Italien, Spanien, den Niederlanden, Belgien, Österreich und den skandinavischen Staaten berücksichtigt werden müssen.

Dementsprechend ist jede objektiv fortschrittliche Errungenschaft der EU nur ein „Nebenprodukt“ bzw. aus dem Zwang zur Überwindung einiger Aspekte der Nationalstaaten und Nationalwirtschaft entstanden. Die Bewegungsfreiheit des europäischen Proletariats ist ein Beispiel dafür wie auch das „offene“ Grenzregime innerhalb Europas eine Folge dieser Zwänge ist.

Natürlich wollen die nationalen Bourgeoisien das Proletariat gegeneinander ausspielen, möglichst viel Konkurrenz und Lohndumping herbeiführen und benutzen dafür die EU-Bürokratie und die sog. „Freizügigkeit“. Wie es aber bei Gesellschaftssystemen so ist, hat dies auch weitergehende Implikationen. Das europäische Proletariat kann in der Lage sein ein gemeinsames Bewusstsein zu entwickeln, kann gegen die „EU der Bosse“ ein „Europa der ArbeiterInnen“ propagieren, kann gegen die Kapitalistenklasse auf diesem Kontinent gemeinsam vorgehen. Die europaweite Ausbeutung zwingt sogar Teile der Gewerkschaftsbürokratie für europaweite Regelungen, Rechte und Schutzklauseln einzutreten, da das europäische Proletariat nämlich gegenüber den europäischen Bourgeoisien auch eigene Rechte und Forderungen braucht und sei es nur zum Schutz der im nationalen Rahmen erkämpften Rechte.

Der Kapitalismus herrscht seit langem in Europa und hat diesen ökonomischen Raum gebildet und dessen Produktivkräfte soweit entwickelt, wie es unter ihm nur möglich war. Doch diese Nationalstaaten wurden zu eng für den Kapitalismus in seiner imperialistischen Epoche.

Zum Verhältnis von Staat, Nation und Wirtschaft schrieb Trotzki im Juli 1915:

„Der Staat ist seinem Wesen nach ein ökonomisches System, er wird gezwungen sein, sich an die Bedürfnisse der wirtschaftlichen Entwicklung anzupassen. Die Stelle des separaten Nationalstaates wird zwangsläufig eine ausgedehnte demokratische Föderation fortgeschrittener Staaten einnehmen müssen, die darauf beruht, dass jegliche Zollschranken beseitigt sind. Die nationale Gemeinschaft, die aus den Bedürfnissen der kulturellen Entwicklung resultiert, wird dadurch nicht nur nicht aufgelöst, sondern im Gegenteil: Nur auf der Basis einer republikanischen Föderation fortgeschrittener Länder wird sie ihre Vollendung finden können. Die dafür erforderlichen Bedingungen setzen voraus, dass die Schranken der Nation von den Schranken der Wirtschaft befreit werden und umgekehrt. Die Wirtschaft schließt sich auf dem ausgedehnten Raum der Vereinigten Staaten von Europa zusammen und bildet das Kernstück der Weltwirtschaft. Als politische Form kommt nur eine republikanische Föderation in Frage, in deren flexiblem und elastischem Rahmen jede Nation mit größtmöglicher Freiheit ihre kulturellen Potenzen entfalten kann.“ (5)

Im Gegensatz zur rein nationalstaatlichen Ordnung ist auch eine kapitalistische, bürgerlich-demokratisch ausgerichtete Föderation eine fortschrittliche Entwicklung. Dies wird oft von Kritikern der EU vergessen, welche sich gerne an der Oberfläche aufhalten, die EU für jede Schandtat der imperialistischen Kapitale verantwortlich machen und bspw. von rechter Warte aus dann vom „EU-Superstaat“ fabulieren, der ihnen die „heilige Nation“ nimmt. Speziell von den „linken“ EU-Gegnern wird dabei Ursache und Wirkung durcheinander gebracht. Um es deutlich zu sagen: weder EU-Parlament noch -Kommission oder andere EU-Institutionen sind die Ursache für Austeritätspolitik oder rassistisches Grenzregime, sondern Handlanger, Befehlsempfänger der vorherrschenden Bourgeoisien und Regierungen.

Die EU ist somit kein eigenständiger imperialistischer Akteur, es gibt in dieser Form keinen „EU-Imperialismus“, sondern nur eine Bündelung national-imperialistischer Schnittmengen beim Aufbau transnationaler bürokratischer Strukturen, welche auch nur eine gewisse politische Souveränität und Führung mit beinhalten. Daher sind auch alle Vermutungen à la „Superstaat“ grundfalsch, wie sie gerne von den „linken“ Kritikern der EU ins Feld geführt werden. Hier herrscht eben kein „Ultraimperialismus“, wie ihn Kautsky für die Zeit nach dem 1. Weltkrieg erhoffte. Nach dieser Theorie sollte die Monopolisierung des Kapitals die Widersprüche und Konkurrenz friedlich überwinden können. Ebenso kam bei Kautsky dem Staat eine besondere Bedeutung zu, da die Monopole in der Krise auf den Staat angewiesen sind, konnte der Staat in der Krise die Monopole unter Kontrolle bringen und letztlich in Staatsunternehmen umwandeln. So versuchte die 2. Internationale die imperialistische Konkurrenz, Zuspitzung und eben auch den Krieg wegzutheoretisieren. Die Realität der EU heute sieht genau anders aus. Im Gegensatz dazu glauben die „linken“ EU-GegnerInnen, dass es einen EU-Imperialismus gibt, geben damit aber Kautskys revisionistischer Ultraimperialismustheorie recht, gegen die Lenin ebenso nachdrücklich wie methodisch gewettert hatte. Nur: was bei Kautsky ein frommer Wunsch war, nehmen sie als dessen negativ besetzte Verwirklichung. Am methodischen gemeinsamen Boden ändert das nichts!

Die nationale Trennung der Bourgeoisien bleibt erhalten, auch wenn diese z. B. gemeinsame Konzerne à la Airbus oder Royal Dutch Shell besitzen. In der EU gelten weiterhin die Gesetze der imperialistischen Epoche, welche auch in der Monopolbildung eben nicht die Konkurrenz abschwächen, sondern auf globale Ebene heben, verstärken und zuspitzen.

Es ist das „Besondere“ an der kapitalistischen EU, dass hier eben mehrere Tendenzen gleichzeitig wirken: Zuspitzung und Verschärfung der Konkurrenz in der imperialistischen Epoche; der Versuch politischer Vereinheitlichung/Bürokratisierung durch vorherrschende Bourgeoisien; Verschärfung von Krise und Spaltung.

In der Hinsicht unterscheidet sich die EU eben von jeder x-beliebigen Freihandelszone. Hier wurde eine „politische“ Verwaltung zur Bündelung und Umsetzung der imperialistischen Interessen aufgebaut. Die EU ist ein halbfertiges Gebilde mit dem Problem, dass es unter kapitalistischen Bedingungen eben nicht zu „Ende“ gebaut werden kann. Unter kapitalistischen Bedingungen gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder die EU zerbricht entlang nationaler Grenzen inklusive einer möglicher verschiedener neuer Blockbildungen in Europa oder aber die deutsch-französische Vorherrschaft wird weiter vertieft, welche in sich aber auch den möglichen Bruch zwischen Deutschland und Frankreich beinhalten könnte. Ein vereintes Europa im Interesse der Produzenten, Konsumenten und MigrantInnen fertig zu bauen, dies kann nur die ArbeiterInnenklasse, dies kann nur durch eine sozialistische Umgestaltung erfolgen, eben durch den Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

Daher ist ein Kampf gegen die kapitalistische EU und deren Bürokratie stets ein Kampf zur Zerschlagung dieser bürgerlichen (Halb-) Staatlichkeit und muss zusammengehen mit dem Kampf für eine europäische Rätedemokratie auf den Trümmern des gescheiterten kapitalistischen Projektes des Europa des Kapitals. Nur auf dieser Ebene kann die ArbeiterInnenbewegung eine Antwort auf das Scheitern der aktuellen EU geben.

Die Aktualität der Parole für die Sozialistischen Staaten von Europa 2016

Die Herleitung dieser Parole ist geknüpft an die Zuspitzung der imperialistischen Krise und was diese für Auswirkungen auf Europa hatte und zukünftig haben kann. Die kapitalistische EU zeigt den Übergangscharakter der imperialistischen Epoche deutlich auf, in der eine revolutionäre Politik gefordert ist, dies zum Ausgangspunkt ihrer Taktiken und Rückschlüsse zu machen. Von daher muss ein europäischer Klassenkampf eben diesen Kampf gegen die Ansammlung der europäischen Bourgeoisien in der EU zum Ausgangspunkt seiner Politik machen. Dies ist die Methode eines Programms von Übergangsforderungen, welches die Diktatur des Proletariats zum Ziel hat. Um nicht mehr oder weniger geht es dabei!

Die aktuelle Krise der EU verschärft diese Notwendigkeit nochmals, jetzt liegen die Alternativen klar auf den Tisch.

Bei Rosa Luxemburg hieß das: „Sozialismus oder Barbarei“. Diese Alternative stellt sich auch für die kommende Periode der EU. Verschiedene Schichten des Kapitals und besonders des Kleinbürgertums orientieren ihre Krisenlösung auf die Verwendung des Nationalismus, des Rassismus und wenn nötig des offenen Faschismus. Es ist letztlich die „Logik“ der kapitalistischen Konkurrenz, welche mit neuen ideologischen Gewändern den Angriff auf die ArbeiterInnenklasse forciert, mit Blut, Boden und Rasse die Ware Arbeitskraft in den „Sklavenstatus“ drücken und unliebsame Konkurrenz ausschalten will.

Für eine antikapitalistische und sozialistische ArbeiterInnenpolitik muss aber die Krise Ausgangspunkt ihrer Taktik sein, um eben die Ansammlung der Bourgeoisien angreifen zu können, bevor diese sich in eine neue Blockbildung zurückziehen. Für die Bourgeoisien ist dieser Rückzug kein größeres Problem an sich, für das europäische Proletariat kann aber eine historische Chance verstreichen.

„Es ist kein Zufall, daß die Parole der Vereinigten Sowjetstaaten von Europa trotz aller Vorurteile gerade im Jahre 1923 angenommen wurde, als man den Ausbruch der Revolution in Deutschland erwartete, und als die Frage der gegenseitigen Beziehungen zwischen den Staaten Europas brennend wurde. Jede neue Verschärfung der europäischen, oder noch mehr, der Weltkrise, die stark genug sein wird, um die politischen Grundprobleme auf die Oberfläche zu bringen, wird unbedingt die Empfänglichkeit für die Parole der Vereinigten Sowjetstaaten von Europa steigern. Darum ist es grundfalsch, daß man diese Parole, ohne sie abzulehnen, im Programm verschweigt und sie irgendwo in Reserve hält – so für alle Fälle. Doch in grundsätzlichen Fragen der Politik darf es keine Reserve geben.“ (6)

Welche „Reserven“ die aktuellen sozialistischen, selbsternannten revolutionären Strömungen haben, gilt es am Beispiel des „Brexit“ genauer nachzuvollziehen. Hier wollen noch den Zusammenhang zur sog. „Flüchtlingskrise“, dem europäischen Grenzregime darstellen. Die „offenen“ Grenzen, welche zuvorderst für Waren, Dienstleistungen und Investitionen geschaffen wurden, waren seit Herbst 2015 Beispiel für den Übergangscharakter der EU, der aktuellen Periode/Situation und die Möglichkeiten einer revolutionären Politik in diesem Zusammenhang. Nicht allein das zusammengebrochene Grenzregime der EU hätte großes Potential einer revolutionären Politik, nein, auch die soziale Frage dahinter war eine sehr gute Vorlage für eine konsequente antirassistische und sozialistische Taktik und Politik.

Wer für die Geflüchteten aufkommt, unter welchen Bedingungen diese später hier bleiben und arbeiten sollen, hätte direkt die Frage nach den europäischen Sozialstandards aufgeworfen wie auch nach der Aufteilung der Arbeit auf alle Hände und Köpfe und deren Bezahlung.

Wenn eine „radikale“ Linke solche Fragen nicht beantworten will bzw. sich vor der sozialen Frage scheut, dann kann das Proletariat auch nicht für den Antirassismus gewonnen werden. Dafür braucht es mehr als „humanistische“ Beweggründe. Diese bringen nämlich dem deutschen Niedriglöhner nichts, daher brauchen wir eine Klassenantwort auf eine Klassenfrage.

Als die Geflüchteten den illusorischen Charakter eines offenen Grenzregimes deutlich machten, war dies optimale Ausgangsbasis für ein Programm der ArbeiterInnenklasse für die Geflüchteten in Europa. Dann wäre es und ist es weiterhin entscheidend, die sozialen Fragen im Sinne des europäischen Proletariats zu beantworten.

Die Fragen der Löhne, des Kampfes gegen jeden neuen Niedriglohnsektor, der mit den Geflüchteten aufgemacht werden soll (in Deutschland Arbeitsplätze/Integration), für die Heranziehung der Bourgeoisie für die Kosten von Unterbringung, Förderung und Integration, für eine „Integration“ in die europäische ArbeiterInnenklasse stehen im Vordergrund. Dieser Kampf muss in Europa zentral geführt werden, gegen die verschiedenen nationalen Abschottungsstrategien, gegen „Westbalkan“-Konferenzen unter Führung Österreichs, die ungarische Politik durchsetzen und gegen eine EU, die unter Merkels Führung einen schmutzigen Deal mit der Türkei unternimmt. Während EU und EZB gar nicht mehr wissen, wie viel gedrucktes Geld in die Finanzmärkte gepumpt werden muss, aktuell der italienische Finanzsektor wohl kurz vorm Zusammenbruch steht, müsste eine europäische ArbeiterInnenbewegung eben für die Geflüchteten und deren Unterstützung und Integration die Finanzmittel dort einfordern. Hier, im europäischen Rahmen wäre auch der Kampf für die Beibehaltung der inneren offenen und Beseitigung der äußeren Grenzen, für die Bewegungsfreiheit der Geflüchteten und für ihre vollen staatsbürgerlichen Rechte zu führen.

Stattdessen unternimmt z. B. der deutsche Staat alles, um neue Konkurrenz zu schaffen. Während der Hartz-IV-Arbeitslose den 1-Euro-Job bekommt, wenn die Linkspartei mitregiert, sogar 1,50 Euro pro Stunde, wird diese Zwangsarbeit für den Geflüchteten zu einem 80-Cent-Job und zu einem Abschiebegrund, sollte er diesen ablehnen oder nicht befriedigend erfüllen. Der offiziöse Reformismus blinkt derzeit auch teilweise nach rechts, etwa wenn Wagenknecht von der Linkspartei populistisch und rassistisch agiert („Wer sein Gastrecht verwirkt, muss abgeschoben werden“) oder SPD Chef Gabriel vor den diesjährigen Landtagswahlen einfällt, dass doch was für die armen Deutschen getan werden müsste.

Genau hier müsste aber eine revolutionäre Politik ansetzen, in den Organisationen der ArbeiterInnenklasse für Solidarität mit den Geflüchteten eintreten, die über Spenden für „Welcome“-Initiativen hinausgeht und eine reale, praktische Politik als Klassensolidarität propagiert und einfordert. In dem Zusammenhang wäre auch der Kampf gegen das Grenzregime der britischen Insel zu führen, welches zu katastrophalen Zuständen auf der anderen Seite des Ärmelkanals führt. Dies würde dann in einer bürgerlich-demokratischen Föderation eher passieren und gäbe der ArbeiterInnenbewegung die Möglichkeit zusammen mit den Geflüchteten den aufkommenden rassistischen und nationalistischen Bewegungen des Bürgertums eine starke proletarische Antwort zu geben.

Doch anstelle eine solche Politik zu propagieren, fanden wir beim britischen Referendum auch linke Stimmen, die einen Zerfall der EU vorziehen, statt für ein sozialistisches Programm gemäß ihres Übergangscharakter einzutreten, lieber dem Populismus gegen Brüssel folgen und dabei den rechtspopulistischen Kampagnen und Akteuren noch einen „linken“ Beigeschmack verliehen haben.

Der „Brexit“ – die reaktionäre Antwort des Kapitals

Die Entscheidung für den „Brexit“ in Großbritannien ist ein Sinnbild der imperialistischen wie auch der strukturellen Krise der EU. Sicherlich ist das Ausscheiden Großbritanniens ein herber Schlag für die Ambitionen der EU, vor allem für die des deutschen und französischen Imperialismus. Es geht die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU, eine der beiden europäischen Atommächte, eine der Führungsmächte, allerdings diejenige, die sich stets mit allen Mitteln gegen die politische Vertiefung bzw. Führung wehrte. Dies ist eine Niederlage für die EU, dies steht außer Zweifel. Allerdings existierte schon vorher eine strukturelle Krise, davon ist der „Brexit“ nur ein Ausdruck. Anzunehmen, dass die EU nur durch den „Brexit“ in eine Krise geraten wäre und deswegen dieser auch aus linker Sicht zu rechtfertigen ist, ist eine gefährliche Illusion.

Die führenden Teile des „Leave“-Lagers waren die enttäuschten und radikalisierten Schichten des britischen (speziell englischen) Kleinbürgertums, welche bei den Tories starken Einfluss gewonnen  und somit Ex-Premier Cameron zur Volksabstimmung gezwungen hatten. So war der neue Außenminister Johnson der Chefagitator der „Brexit“-Kampagne, welche ebenfalls von UKIP und Britain First, also den Rechtspopulisten und Rassisten. stark unterstützt bzw. getragen wurde.

Diese Kräfte versprachen den „Verlierern“ der EU, also den kleinbürgerlichen Schichten, denen die Konkurrenz sozialen Abstieg beschert hat, wie auch den großen Teilen der britischen ArbeiterInnenklasse, welche durch Immobilienkrise, Deindustrialisierung und massive Sozialkürzungen ebenso einen sozialen Abstieg erlebt hatten: „Alles wird besser, wenn Großbritannien den Exit wählt!“. Slogans à la „Make Britain great again“ wurden gepaart mit rassistischer Propaganda gegen die ArbeitsmigrantInnen und Geflüchteten. Hier setzte die „Brexit“ Kampagne ein klassisches Beispiel von rassistischer Spaltung mit sozialen Versprechen, wie so oft in Zeiten einer tiefen imperialistischen Krise. Versprochen wurde, dass die Gelder für die EU nun in das Gesundheitssystem NHS umgeleitet werden, wenn Großbritannien erst mal raus ist, wieder mehr Geld für die Briten da wäre. Es war auch nicht verwunderlich, dass nach Jahren und Jahrzehnten des Abstiegs bestimmter sozialer Schichten solche Versprechen gut ankamen. Schon am Tag nach dem Referendum bemühte sich Farage (UKIP) diese „Missverständnisse“ auszuräumen. Dieselben politischen Kreise, die eher für eine Zerschlagung und Privatisierung des NHS stehen, waren zumindest nach dem Referendum „ehrlicher“ als zuvor.

Nach dem Referendum stieg die Zahl der rassistisch motivierten Straftaten enorm an. Die britischen Nazis von BNP und EDL (British National Party, English Defence League), welche sich bei Britain First tummeln, träumen von Massenabschiebungen und Deportationslagern, vor allem für die osteuropäischen (speziell polnische) ArbeitsmigrantInnen. Was diese Rassisten nicht verstehen werden und wozu sie jetzt auch noch keine Macht haben, ist, dass die britische Bourgeoisie, das Großkapital ein enormes Interesse an den ArbeitsmigrantInnen hat. Eine Massenabschiebung wäre ein massives ökonomisches Problem für Großbritannien und würde auch andere besser bezahlte Arbeitsplätze gefährden.

Dementsprechend wird die eilig zusammengewürfelte neue Tory-Regierung unter Ministerpräsidentin May versuchen, diese Vorteile des EU-Binnenmarkts für das britische Kapital zu retten, wie auch klar sein dürfte, dass Einschnitte, Kürzungen und mögliche Sanktionen seitens der EU zuallererst von der ArbeiterInnenklasse Großbritanniens getragen werden müssen. Für das britische Großkapital war die EU eine ihrer letzten verbliebenen Basen, um ihre globalen Ambitionen auszuüben. Sicherlich ist das britische Finanzkapital seit den Tagen des Commonwealth global aufgestellt, besonders durch die enge Verknüpfung mit dem US-Imperialismus. Um aber 2016 die eigenen imperialistischen Ambitionen aufrechtzuerhalten, ist die EU und sind vor allem die osteuropäischen und skandinavischen Märkte von entscheidender Bedeutung. Allerdings spielt die EU auch eine zwiespältige Rolle für die weitere Entwicklung des britischen Imperialismus. Je tiefer und dichter die ökonomische Vorherrschaft des deutschen Imperialismus sich auswirkt, je stärker die deutsch-französische Vorherrschaft in der EU-Bürokratie wird, desto mehr gefährdet dies die Pfründe des britischen Imperialismus.

Es gehört auch zu den „Treppenwitzen“ der aktuellen Periode, dass ein Sieg der Rechtspopulisten und Konservativen den Bestand des Vereinigten Königreichs selbst massiv gefährdet. Die schottische Regionalregierung kündigte ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum an, mit dem Ziel dann als eigenständiges Schottland in der EU zu bleiben. Dies gilt auch für ein mögliches Referendum in Nordirland über eine „Wiedervereinigung“ der irischen Insel. Diese Auswirkungen des „Brexit“ stellen die neue Regierung wie auch den britischen Imperialismus insgesamt vor hohe Herausforderungen.

Unter diesen Bedingungen der zugespitzten inneren Krise der herrschenden Partei der britischen Bourgeoisie wie auch des britischen Imperialismus gegenüber der EU darf die ArbeiterInnenklasse Großbritanniens sich nicht zum Anhängsel dieses Konfliktes und der Krise machen. Den Riss innerhalb der britischen Bourgeoisie, zwischen dem Großkapital und dem Kleinbürgertum, welche sehr unterschiedlich die EU brauchen, davon profitieren bzw. durch die gesteigerte Konkurrenz in den Ruin getrieben werden, muss das Proletariat für eine eigenständige Politik nutzen. Für eine Politik, welche auf den europäischen Klassenkampf setzt, sich gemeinsam mit den ArbeitsmigrantInnen und Geflüchteten solidarisiert und für diesen gemeinsamen Kampf eintritt gegen die nationale Bourgeoisie wie auch deren europäische Kompagnons. Dafür haben die linken Unterstützer des „Brexit“ reichlich wenig getan außer ein sehr kurzfristiges, populistisches und illusorisches Verständnis vom „Brexit“ zu propagieren.

Das linke Verständnis von „Brexit“ und der EU

Teile der linken „Brexit“-Befürworter wie die SWP (Socialist Workers Party/ in Deutschland: marx21) oder die SP (Socialist Party/ in Deutschland: SAV), beide hierzulande in der Linkspartei aktiv, sahen den „Brexit“ als Auslöser einer-EU Krise, welche von linker Seite zu unterstützen wäre, wie auch der Ausgang nun als „Sieg“ oder Möglichkeit für die Linke verklärt wird.

In tiefer marxistischer Einsicht stellten diese fest, dass diese EU eine des Kapitals sei und tun fast so, als wäre dies nicht seit Beginn der EU/EG völlig klar gewesen. Besonders die deutsche SAV, welche sich mit ihrem letzten Statement (7) bemüht zu erklären, dass die Behauptungen des Reformismus (so ist das in der deutschen Linkspartei), die EU sei ein Friedensprojekt und vom Internationalismus geprägt, nicht stimmen.

Diese Erkenntnis sagt noch relativ wenig darüber aus, wie denn mit dieser kapitalistischen EU umzugehen ist.

Hierzu ein Zitat aus einem Artikel der SAV:

„Aber die Frage, wie die Linke es mit der EU hält, ist von größter Bedeutung. Um zu verhindern, dass die berechtigte Anti-EU-Stimmung auch in anderen Ländern von rechtspopulistischen und rassistischen Kräften ausgenutzt werden kann, muss die Linke eine klare und unzweideutige Haltung gegen die EU der Banken und Konzerne einnehmen. In einigen Linksparteien hat ein solcher Diskussionsprozess begonnen. So hat zum Beispiel der portugiesische Linksblock, der in der Vergangenheit eine eher unkritische Haltung zur EU einnahm, sich nun deutlich gegen die EU ausgesprochen. Eine Ablehnung der EU muss aber einhergehen mit dem Aufzeigen einer positiven Alternative jenseits von kapitalistischer EU und kapitalistischem Nationalstaat – einem Europa der Arbeiterinnen und Arbeiter, einer freiwilligen sozialistischen Föderation der europäischen Staaten“ (8).

Die Frage, wie denn eine sozialistische, antikapitalistische Linke für ein sozialistisches Europa kämpft, wird hier mit dem „Aufzeigen einer positiven Alternative“ beantwortet. Dies ist doch bei allem beschworenen Marxismus eine eher dünne Suppe, schließlich müsste doch die Frage lauten wie die kapitalistische EU zerschlagen werden kann, damit ein „Europa der ArbeiterInnen“-Realität entstehen kann. Richtigerweise wird zum Charakter der EU festgehalten:

„Wie zum Beispiel der ‚Lexit‘-Aufruf zurecht sagt, ist die EU „kein neutrales Spielfeld“. Sie ist kein Gefäß, das mit unterschiedlichem Inhalt gefüllt werden kann. Sie ist ein Vertragswerk kapitalistischer Staaten und bringt die Interessen der herrschenden Klassen dieser Staaten zum Ausdruck. Sie ist ein Club der Bosse und Bänker (und ihrer politischen VertreterInnen) – und das war sie schon immer.“ (9)

Nun ist aber die Frage, was denn gegen diese EU getan werden muss? Genau wie der kapitalistische Nationalstaat kann sie eben auch nicht einfach reformiert werden. (Was nicht ausschließen darf für Reformen im Sinne der ArbeiterInnenklasse zu kämpfen.) Nach der Methode von SAV und SWP soll zuerst die kapitalistische EU zerfallen, damit dann als Alternative das „Europa von unten“ aufgebaut werden kann. In früheren Artikeln wurden sogar bessere Kampfmöglichkeiten für die Linke Europas durch den „Brexit“ beschworen. (10)

Hier wäre es hilfreich zumindest einmal zu erwähnen, was die ArbeiterInnenklasse denn gegen diese EU machen soll, warum für ein Europa der ArbeiterInnen die Zerschlagung dieser kapitalistischen EU die Voraussetzung sein muss.

Bei aller gerechtfertigten Darstellung und Polemik gegen die EU, der Auflistung ihrer kapitalfreundlichen Politik (große Überraschung…) wird in diesem „linken“ „Brexit“-Lager eine entscheidende Kategorie stets vergessen: Die EU ist Produkt der imperialistischen Epoche, der materiellen Zwänge, denen die nationalen gesellschaftlichen Gesamtkapitale wie deren einzelne Fraktionen unterworfen sind. Sie waren und sind gezwungen, den Nationalstaat zu überwinden, einen gemeinsamen Markt aufzubauen, Zollschranken niederzureißen, ja selbst das innereuropäische Grenzregime aufzulösen. Die Zwänge der imperialistischen Epoche waren stets die Bedingung dafür, dass in methodisch-analytisch glanzvolleren Zeiten der ArbeiterInnenbewegung die TheoretikerInnen von einer unmittelbar bevorstehenden nächsten gesellschaftlichen Stufe überhaupt sprechen konnten, auf der der Sozialismus bereits an die Tür klopft und „nur“ die imperialistischen Hindernisse beseitigt werden müssen, um der Entfaltung aller Produktivkräfte einen Dienst zu tun, sprich das Kapital, die besitzende Klasse zu stürzen und aus dem Europa der vorherrschenden imperialistischen Kapitale ein Europa der ArbeiterInnen zu machen. Die klassische Imperialismustheorie v. a. Lenins fasste diese Epoche als höchstes und letztes Stadium des Kapitalismus, als Übergangsregime zum Sozialismus. In ihr stellte sich die Alternative „Sozialismus oder Barbarei“ als aktuelle!

Diese Entwicklung der Produktivkräfte der imperialistischen Epoche lässt sich eben nicht zurückdrehen, diese stößt immer mehr an die Grenzen der „Nationalökonomie“, reißt deren Grenzen und Gebilde nieder, die Aufgabe des Proletariats ist es, darauf eine internationalistische Antwort zu geben, diese Entwicklung sich selbst zu Nutzen zu machen – dann kann die Parole „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“ eine politische Richtschnur werden.

Diese Kategorie der Einschätzung der aktuellen Epoche und was denn die europäischen Bourgeoisien als „Krisenlösung“ parat haben und vor allem, wie eine sozialistische revolutionäre Alternative aussieht, fehlt bei den „Lexit“-Befürwortern, stattdessen verklären sie im Nachgang die aktuelle Auseinandersetzung in der Labour Party als positives Produkt des „Brexit“.

„Meine These ist: Das Zusammenbringen aller linken Kräfte (innerhalb und außerhalb von Labour) durch Corbyn und eine offensive Kampagne für Neuwahlen und für eine Labour Party mit klarem Anti-Austeritäts-Programm, könnte Corbyn zum Sieger des Machtkampfes innerhalb von Labour und zu Großbritanniens nächstem Premierminister machen. Das wäre ein Horrorszenario für den britischen und EU-Kapitalismus – und eine potenzielle Wirkung des ‚Brexit‘. Auch die Gewerkschaftsführungen könnten dafür sorgen, dass sich der Wind dreht.“ (11)

Genosse Stanicic von der SAV erklärt nun, dass der Putschversuch der Mehrheit der Parlamentsfraktion von Labour eine potenzielle Wirkung des „Brexit“ gewesen ist, während in alten Artikeln noch Corbyn kritisiert wurde, nicht entschieden das „Brexit“-Lager anzuführen. (12) Aber gute zentristische Schule ist es, die Realität den eigenen Taktiken anzugleichen. Ein Machtkampf in der Labour Party war unausweichlich, das haben die letzten Monate seit Corbyns Wahl deutlich gezeigt. Es war allein die Frage, wann und aus welchem Vorwand heraus der rechte Flügel in die Offensive geht, sei es nun der „Brexit“ oder „Trident“ (atomare Bewaffnung der U-Boot-Flotte).  Innerhalb und außerhalb ist dabei auch eine wichtige Kategorie für den CWI (Committee for a Workers‘ International): während sie in Deutschland in der Linkspartei auf den Massenaufschwung warten und bis dahin mit Posten und Einfluss in dem Jugendverband und etwas Parteivorstand zufrieden sind, reicht es in Großbritannien außerhalb der Massen der Labour Party zu agieren und in der Allianz aus einigen sozialistischen Gruppierungen und Gewerkschaften namens TUSC zu werkeln.

Anti-Euro als internationalistische Alternative zur Rettung der Demokratie?

Als neueste Initiative der EU/Euro-GegnerInnen wurde ein „’Lexit‘-Netzwerk“ organisiert, welches von führenden linken ReformistInnen und ZentristInnen gegründet wurde, u. a. aus der Linkspartei (De Masi, Höger), der Syriza-Abspaltung Laiki Enotita mit Lapavitsas, Soziologen à la Streeck und Attac-Aktivisten wie Wahl. Sie stellen fest, ähnlich der SAV und SWP, dass die EU kein „neutrales Spielfeld“ sei und deswegen die Linke vor allem eine Alternative zur Währung entwickeln müsste. Dies deckt sich mit Vorschlägen aus Griechenland mit dem „freiwilligen Grexit “ als Lösung aller Probleme, aber auch mit der EU-Gegnerschaft eines Oskar Lafontaine.

Als Aufrufüberschrift wurde das äußerst zwiespältige „Demokratie und Souveränität statt neoliberaler Integration und gescheitertem Euro-System“ gewählt.

Wie schon bei der „Grexit“-Diskussion ist diese Anti-EU-Perspektive eine sehr kurzfristige und schürt die Illusion, als sei mit der Abschaffung des Euro schon irgendein Kapitalismus geschlagen worden in Europa, werden die Erscheinungsform und die Ursache bewusst durcheinander gebracht.

Sicherlich ist die Währung ein Mittel im Kapitalismus, um überhaupt Handel, Investitionen und Subventionen zu tätigen und natürlich ist es für einen Wirtschaftsraum sinnvoll ein einheitliches Wertmaß anzugeben, das wäre auch bei jeder anderen Wirtschaftsform der Fall. Problematisch werden diese Begründungen, wenn der Währung, der äußeren Erscheinungsform alle „Sauereien“ des Kapitalismus zugeschoben werden, ohne die Grundfragen dieser Ordnung, den Besitz an Produktionsmitteln, die Verfügungsgewalt und die Profit-Aneignung erwähnt zu haben.

Dazu das „Lexit“-Netzwerk:

„Politisch zwingt der Euro seine Mitglieder in einen verschärften Wettbewerb, in dem jedes Land seine wirtschaftliche Position nur durch politische Maßnahmen gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit und zugunsten des internationalen Kapitals verbessern kann. So schafft er eine Abwärtsspirale, die Löhne, Renten, Sozialleistungen, öffentliche Beschäftigung, öffentliche Investitionen etc. nach unten drückt“ (13).

Mit einer solchen Argumentation könnten wir auch für die Abschaffung des Binnenmarktes sein, schließlich zwingt dieser auch den teilnehmenden Unternehmen/Volkswirtschaften den gemeinsamen Wettbewerb auf. Interessant ist auch das Verhältnis zwischen Bevölkerungsmehrheit und dem internationalen Kapital (ebenso wie die Rolle des nationalen Kapitals), und dass „erst“ der Euro die Länder (14) zwingt Politik für das Kapital zu machen. Welch mangelhaftes Verständnis hier vom globalen Kapitalismus dargestellt wird ist schon erstaunlich. Im Umkehrschluss würde dies die schlimmste Form von reformistischer Verkürzung mit sich bringen, eine nationalbornierte Sicht auf die Dinge wie die Globalisierung sei Schuld an der steigenden Konkurrenz und Ausbeutung und deswegen verweigern wir uns ihr und preisen den Nationalstaat bzw. den Rückzug auf dessen Währung als Fortschritt.

Wir können an dieser Stelle nicht alle Einzelheiten der Imperialismustheorie darstellen und gehen sogar davon aus, dass einige der UnterzeichnerInnen diese sogar kennen. Aber die Entwicklung des Kapitalismus führt dazu, dass die Bourgeoisien international gegeneinander in Konkurrenz treten, diese die „Weltarena“ erobern wollen und sich „Kapitalblöcke“ bilden, die sehr wohl mehr „Macht“ konzentrieren als manch Land mit seiner Regierung zusammen. Lenin, sogar schon Hilferding (der den Unterzeichnern sicherlich näher stehen würde), beschrieben die Konzentration und Monopolisierung als Voraussetzung für die Entstehung der Kartelle und Trusts (Hilferding) und als international agierendes Finanzkapital (Lenin), welches eben zur Aufgabe hat, die Interessen des Kapitals gegen die „Bevölkerungsmehrheit“ durchzusetzen und alle Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse anzugreifen – das ist Kapitalismus auf höchster Stufe, diese imperialistische Epoche prägt derzeit alle gesellschaftlichen Beziehungen.

In dieser Epoche ist auch herzlich egal, in welcher Recheneinheit das Kapital agiert. Ein EU-Austritt bzw. Anti-Euro-Kampagne ändern gar nix am Imperialismus und den Interessen des Kapitals wie auch dessen Auswirkungen auf Staaten und Bevölkerungsmehrheiten.

Während dieses Netzwerk (15) also den rechtspopulistischen Anti-EU-Kampagnen eine Alternative entgegenstellen will, versucht es „halbherzig“ eines von deren Versprechen für sich zu reklamieren, nämlich die Souveränität. Es ist die alte Mär, speziell der nationalkonservativen „Kapitalismuskritik“, dass die Souveränität des Nationalstaats vor der „unsichtbaren“ Macht der Märkte zu schützen sei. Hier wurde immer Tür und Tor für jede ach so verkürzte und antisemitische Kapitalismuskritik geöffnet, dies wollen wir dem Netzwerk nicht unterstellen.

Was ist denn heute Souveränität? Ist der Staatsbürger souverän, wie es manche Verfassung oder Grundgesetz ausmalen – sind die Nationalstaaten souverän, wie es die nationalistischen Flügel gerne einfordern, für wen gilt die Souveränität denn eigentlich?

Souverän im Sinne von Eigenständigkeit und Unabhängigkeit, dies gilt im bürgerlichen Regime vor allem für die herrschende Klasse (16), für den Nationalstaat bzw. dessen Institutionen sollte dies vor allem gegenüber dem Feudalsystem gelten, gegenüber dem Kapital ist dies nicht möglich, ist doch der Nationalstaat ein „Produkt“ des Kapitals. Für welche Bestandteile eine eigenständige, souveräne Politik wünschenswert wäre, wird auch erwähnt:

„Letztlich reflektiert die Idee eines demokratischen, föderalen europäischen Bundesstaates auch nicht die ungleichen Kräfteverhältnisse zwischen den Mitgliedern. Gerade vor diesem Hintergrund wäre eine starke europäische Zivilgesellschaft erforderlich. Aber die gibt es nicht. Und sie kann auch nicht mal eben von oben eingesetzt werden“ (17).

Jetzt sind bei den Unterzeichnern viele dabei, die vielleicht beim Begriff „Zivilgesellschaft“ an die ArbeiterInnenklasse Europas denken mögen, es ist aber ebenso bezeichnend diese nicht zu benennen und stattdessen das „Trojanische Pferd“ der „neutralen“ Klassenzusammensetzung zu bringen. Sehr sicher wäre es eben die Aufgabe dieser europäischen Linksparteien, Gewerkschaften und vielleicht auch manch Akademikers und/oder NGO, eben etwas für eine „starke europäische Zivilgesellschaft“ zu tun und sei es auch „nur“ für die lohnabhängigen Teile davon, ein Programm gegen ein Europa des Kapitals zu entwickeln. Stattdessen wird konstatiert, dass es dort Schwächen gibt. Man spricht erst gar nicht von den möglicherweise vorhandenen gemeinsamen Interessen der lohnabhängigen Beschäftigten und Mittelschichten in Europa bzw. davon, von was für einer Politik diese wirklich profitieren würden. Anstelle dessen wird die Gemeinschaftswährung als Haupthindernis wahrgenommen!

Dieser methodische und programmatische Mangel lässt sich am griechischen Beispiel wahrscheinlich mit dem „Horizont“ erklären, den die Verfasser zur Änderung der Politik in der EU gemein haben:

„Wie die Ereignisse in Griechenland im Sommer 2015 deutlich gezeigt haben, ist die Governance-Struktur der Eurozone nicht offen für politische Maßnahmen, die dem ausdrücklichen Mehrheitswillen der Menschen folgen, sofern dieser der neoliberalen Agenda zuwider läuft. Als die Syriza-Regierung, gestärkt durch das OXI-Referendum, versuchte ihr Programm umzusetzen, hat die EZB ihre finanziellen Waffen genutzt, um die Regierung zur Kapitulation und zur Unterzeichnung eines weiteren Memorandums zu zwingen.“ (18)

Sieh mal einer an, die EZB verfügt über finanzielle Waffen und die setzt sie sogar gegen einen Nationalstaat ein, so eine Sauerei aber auch – das eigentlich Beschämende daran ist, dass die Autoren so tun, als wäre das erst 2015 passiert. Das Technokratenregime von Papademos, der 2011 die PASOK-Alleinregierung (19) ersetzte, oder auch die Regierung Monti in Italien, die den eher unbeliebten Berlusconi ablöste, dies war bereits die geballte Macht der EU-Bürokratie (inkl. EZB) und vor allem des dahinter stehenden deutschen und französischen Imperialismus.

Wenn wir uns die Begrifflichkeiten „Governance“-Struktur und Mehrheitswillen anschauen, merken wir, dass hier Grundlagen eines sozialistischen, gar marxistischen Staatsverständnisses weitgehend verschüttet sind.

Anhand des griechischen Beispiels werden wir dahingehend auch uns die Taktiken und Methoden aus der kommunistischen Bewegung vor Augen führen, welche diese gegenüber und für (bürgerliche) ArbeiterInnenregierungen entwickelt hat, eben dass eine sozialistische, klassenkämpferische Bewegung auch für eine „Governance“-Struktur eintritt, in der eine „Offenheit“ erkämpft werden kann, nämlich mit dem Ziel dem Willen der Mehrheit, der lohnabhängigen Klasse den einzig adäquaten Ausdruck zu verleihen: der Diktatur des Proletariats!

Welches Verhältnis zu den Führungen der Klasse?

Revolutionäre Politik zeichnet sich nicht durch abstrakte Worthülsen aus wie der Feststellung, welche Partei/Regierung oder Gewerkschaftsführung denn reformistisch ist bzw. eh nur die ArbeiterInnenbewegung verraten wird, sondern dadurch, dass Taktiken und Forderungen gegenüber diesen Formationen verwendet werden, um letztlich deren Einfluss auf die Klasse brechen zu können, um zu o. a. Ziel der Klassenherrschaft zu gelangen.

Die Notwendigkeit eben diese anzuwenden wird besonders in der kapitalistischen Krise im imperialistischen Zeitalter deutlich.

Als Syriza sich anschickte nicht nur griechische Wahlen zu gewinnen, sondern auch die Regierung zu stellen, gab es auf reformistisch-zentristischer Seite schon Gewissheit darüber, dass damit dem europäischen Austeritätsregime eine entscheidende Niederlage zugefügt wäre, wie auf der zentristisch-passiv-sektiererischen Seite schon klar schien, dass Syriza eh nur verrät und man sich gar nicht zu ihr verhalten muss.

Beide Seiten sollten durch die Realität gelernt haben, dass es eben nicht so einfach reicht, nur die vorgefertigten Gewissheiten zu haben, sondern vor allem eine taktisch-methodische Herangehensweise nötig ist.

Syriza war vor allem eine Partei gegen die Spardiktate und gegen das Versagen der etablierten Parteien der griechischen ArbeiterInnenbewegung. Dadurch konnte sie sich zur führenden Kraft der ArbeiterInnenklasse und der lohnabhängigen Mittelschichten aufschwingen und deswegen glaubten nicht nur viele in Griechenland, dass Syriza eine Offensive gegen die EU und die deutsch-französische Vorherrschaft angehen könne. Sinnbildlich dafür ein Zitat aus einem Interview von Tsipras und dem Hobbylinken und Philosophen Zizek:

„Was wir brauchen, ist ein europäischer Frühling des Widerstandes – vergleichbar dem arabischen Frühling, um die Verhältnisse zu verändern. Wenn Syriza gewinnt, dann wird Europa nicht mehr so sein, wie es zuvor war.“ (20)

Klar ist, dass jegliches Handeln der Syriza/ANEL-Regierung nicht dazu geeignet war, um nur einen Hauch von Arabischem Frühling aufkommen zu lassen. Stattdessen hofften Tsipras und Varoufakis die europäischen Regierungen, speziell Frankreich und Italien, für eine lockerere Finanzpolitik zu gewinnen, ihnen etwas Keynesianismus, bzw. „Marshallplan“-Politik abzuringen. Sinnbildlich für das Resultat dieser Bemühungen bleiben die Verhandlungen mit Minister Schäuble, welcher deutlich die Interessen des deutschen Imperialismus vertrat.

Es war das Betteln einer reformistischen Partei mit Massenunterstützung gegenüber dem deutschen Imperialismus und der EU-Bürokratie – ein aussichtsloses Unterfangen, vor allem wenn es nicht mit europäischen Mobilisierungen der ArbeiterInnenklasse gegen Spar- und Troikadiktate verbunden ist und die Regierung nicht über den bürgerlich-nationalkapitalistischen Rahmen hinaus agieren will. Was heißt das für eine revolutionäre Politik? Sollte die griechische ArbeiterInnenklasse nicht Syriza wählen, sollte sie keine Forderungen an diese stellen, soll der Charakter einer Partei zur Passivität auch der selbsternannten RevolutionärInnen führen, wie es ihnen die griechische stalinistisch-nationalreformistische KKE so erbarmungslos vorexerzierte?

Für KommunistInnen wurde darauf schon früh in der Geschichte der Komintern eine Antwort gegeben, nämlich wie diese sich zu Arbeiterregierungen stellen soll, warum und wieso es entscheidend ist, diesen Parteien und Regierungen gegenüber eine richtige Taktik zu verfolgen, auch und gerade wenn die kommunistischen Akteure eben nicht Teil einer solchen Regierung sind. Die erste Syriza/ANEL-Regierung war eine Koalition aus einer reformistischen ArbeiterInnenpartei mit einer offen bürgerlichen-rechtspopulistischen Kraft in einer Situation, wo die ArbeiterInnenbewegung entweder weiter auf dem Weg zur Revolution marschieren musste oder eine Niederlage erleiden musste, die einer Konterrevolution gleichkommt. Dies war keine „normale“ Koalition aus einer bürgerlichen ArbeiterInnenpartei mit offen bürgerlichen Kräften, sondern eine Volksfrontregierung. Diese Form der Regierung ist eben ein möglicher Ausdruck der tiefen Krise des bürgerlichen Systems. Wenn diese Parteien eingebunden sind in Koalitionen mit bürgerlichen Parteien, hat die Bourgeoisie stets eine Option diese Regierung zu kontrollieren oder wie im Falle von ANEL dieser Partei das Verteidigungsministerium zu verantworten. Dies lässt die Kontrolle beim Militär, welches in Griechenland schon einmal erfolgreich putschte.

Für eine Taktik den reformistischen und bürgerlichen ArbeiterInnenparteien gegenüber reicht es aber nicht auf deren Rückständigkeit zu verweisen, sondern vielmehr deren Gefolgschaft eine Taktik zum Bruch mit den bürgerlichen Führern aufzuzeigen und diese in die Klasse zu tragen.

Was ist also nötig zu tun gegenüber jeder möglicherweise noch kommenden Regierung, die verspricht sich für die Interessen der „kleinen Leute“ einzusetzen, wie z. B. auch die Regierung Hollande mal startete, warum und wieso brauchen wir Forderungen um überhaupt eingreifen zu können?

Trotzki hatte eine solche Taktik mal sehr anschaulich am Beispiel der britischen Labour-Minderheitsregierung 1923 beschrieben:

„Jetzt fragen wir: Wie wird es weitergehen? Wie wird sich die ‚Arbeiter’regierung in Zukunft verhalten? Wenn sie auch nicht die Mehrheit im Parlament hat, heißt das doch keineswegs, daß ihre Lage aussichtslos wäre. Es gibt einen Ausweg, man muß nur entschlossen sein, ihn zu finden. Stellen sie sich einmal vor, MacDonald würde sagen: Zu unserer Schande thront bisher über der Demokratie eine gewisse allerdurchlauchigste Familie, die wir nicht brauchen. Und wenn er dann hinzufügte, daß alle Titelerben der Räuber und Blutsauger im House of Lords und in anderen staatlichen Institutionen sitzen und daß man einen Besen nehmen solle, um sie hinauszufegen, würden dann nicht die Herzen der englischen Arbeiter vor Freude höher schlagen? Und wenn er dann noch hinzufügte: Nehmen wir ihnen das Land, die Gruben, die Eisenbahnen; nationalisieren wir die Banken – und in den englischen Banken kann man ja mehr finden als bei uns. Wenn er sagte: Mit den Mitteln, die durch Abschaffung der Monarchie und des House of Lords frei werden, wollen wir Arbeiterwohnungen bauen. Damit würde er gewaltigen Enthusiasmus hervorrufen. In England gehören drei Viertel der Bevölkerung zur Arbeiterklasse. Es ist ein proletarisches Land. Da gibt es zwar eine Handvoll landbesitzender Lords und Kapitalisten, die mächtig und sehr reich sind, aber das ist nur eine Handvoll. Wenn MacDonald in das Parlament ginge, sein Programm vorlegte, mit der Faust ein wenig auf den Tisch hiebe und sagte: ‚Entweder ihr nehmt das Programm an, oder ich jage euch auseinander‘ (er sollte das höflicher sagen, als ich es hier tue), wenn er das machte, dann würde man England in zwei Wochen nicht wiedererkennen. MacDonald bekäme bei den Wahlen eine erdrückende Mehrheit. Die englische Arbeiterklasse würde die Schale des Konservatismus, mit der man sie ummantelt hat, sprengen, sie würde ihren sklavischen Respekt vor den Gesetzen der Bourgeoisie, vor den besitzenden Klassen, vor der Kirche und vor der Monarchie verlieren.“ (21)

Diese Klarheit in der Taktik wie auch der Perspektive gegenüber den bürgerlichen ArbeiterInnenparteien und deren Führungen ist heute spärlich gesät. Von der Gruppe ArbeiterInnenmacht haben wir diese Taktik gegenüber Syriza und gemeinsam mit der NaO Berlin auch gegenüber der griechischen Regierung angewendet. Dies bleibt auch Orientierung für jede künftige Regierung, die, gestützt auf ArbeiterInnenparteien unterschiedlichster Couleur, in den nächsten Jahren antreten könnte.

Gerade der Mangel an revolutionären Massenparteien bewirkt nämlich auch die Langlebigkeit der reformistischen Kräfte bzw. deren Wiederauferstehung in der aktuellen scharfen Krise der EU. Deswegen ist die Taktik der ArbeiterInnenregierung – wenn auch nicht identisch damit – nur im Zusammenhang mit der Taktik gegenüber reformistischen und bürgerlichen Arbeiterparteien zu verstehen, um dadurch die wiederauferstandenen reformistischen und kleinbürgerlichen Illusionen in der ArbeiterInnenklasse herauszufordern.

Daher ist es entscheidend den Zusammenhang dieser angeführten Taktiken in der imperialistischen Epoche zu sehen. Gerade weil heutzutage keine Komintern existiert, es keine kommunistische Massenparteien in Europa gibt, müssen wir intensiver die Taktiken und Losungen auf den Reformismus und die bürgerlichen ArbeiterInnenparteien beziehen bzw. in die anstehende Periode hinüberretten. Dies gilt ebenso für neue politische Formationen, die im Verlauf der Krise aufkommen werden, wie z. B. Syriza in Griechenland, aber auch Podemos im spanischen Staat oder die HDP in der Türkei – für eine revolutionäre Politik brauchen wir Taktiken gegenüber diesen Parteien.

Wie die Komintern eine solche Taktik diskutierte und was dort unter ArbeiterInnenregierung verstanden wurde, veranschaulicht dieses Zitat:

„Die vorrangigen Aufgaben einer Arbeiterregierung müssen die Bewaffnung des Proletariats, die Entwaffnung der bürgerlichen und konterrevolutionären Organisationen, die Einführung der Arbeiterkontrolle über die Produktion, die Umverteilung der überwiegenden Steuerlast auf die Reichen und die gewaltsame Zerschlagung des Widerstands der konterrevolutionären Bourgeoisie sein. Eine solche Arbeiterregierung ist nur möglich, wenn sie sich aus dem Kampf der Massen heraus erhebt und von kampffähigen Arbeiterorganen gestützt wird, die von den am meisten unterdrückten Schichten der Arbeiterklasse geschaffen worden sind.“ (22)

Wie auch folgendes:

„In der gegebenen Niedergangsperiode des Kapitalismus, wo die wichtigste Aufgabe darin besteht, die Mehrheit des Proletariats für die proletarische Revolution zu gewinnen, können aber auch diese Regierungen objektiv dazu beitragen, den Zersetzungsprozess der bürgerlichen Gewalt zu beschleunigen.

Die Kommunisten sind bereit, auch mit jenen Arbeitern zu marschieren, die die Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats noch nicht erkannt haben, mit sozialdemokratischen, christlichen, parteilosen, syndikalistischen usw. Die Kommunisten sind also auch bereit, unter gewissen Garantien eine nichtkommunistische Arbeiterregierung zu unterstützen. Die Kommunisten erklären aber der Arbeiterschaft unter allen Umständen offen, dass nur die Diktatur des Proletariats der Arbeiterklasse die wirkliche Befreiung sichert.“ (23)

Dies sollte, bei aller Berücksichtigung des aktuellen Klassenkampfes in den betreffenden Staaten, eine Richtschnur für den Umgang mit, aber auch die Taktik und die Aufstellung von Forderungen eben an diese/n Parteien und Regierungen ergeben.

Die Langlebigkeit des Reformismus und Sozialchauvinismus

Die Parteien der 2. Internationale (ja, die gibt’s noch), die Parteien der Sozialdemokratie zeigen eine äußerst lange Haltbarkeit, ihre Funktion als bürgerliche ArbeiterInnenpartei erlaubt es ihnen. Nach dem 1. Weltkrieg mussten die KommunistInnen der Komintern manch zu optimistischen Mitstreiter bremsen, welcher schon den Abgesang auf diese Parteien einübte und Taktiken, geschweige denn zeitweilige Bündnisse mit ihnen als Anpassung und vor allem als unnötig erachtete. Diese Parteien konnten sich in der ArbeiterInnenklasse erneuern, d. h. ihre politische und soziale Verankerung wiederaufbauen, sobald das nationale Kapital wieder „restauriert“ war und wiederum einen bürgerlichen Agenten (so deutlich wurde damals ausgesprochen) in der ArbeiterInnenklasse brauchen konnte.

Auch heute sind diese Parteien in ihrer verschiedenen Couleur, mal linksreformistisch, mal offen sozialchauvinistisch eine herrschende Kraft in der europäischen ArbeiterInnenklasse. Mal reicht es zur Regierungsbeteiligung, speziell in den „alten“ EG-Staaten, mal gibt es ein neues reformistisches Projekt mit altem Programm, meistens werden auch die etablierten Gewerkschaften mitgeführt bzw. wird gemeinsam mit der Gewerkschaftsbürokratie die Klasse politisch irregeführt und für die eigenen Interessen geopfert.

Daher ist dies auch ein erster Ansatzpunkt zur Entwicklung einer revolutionären Theorie und Praxis für dieses Europa der Krise, des aufbrechenden Nationalismus und Rassismus – wie können wir diese Kräfte herausfordern und letztlich ihre Hegemonie über die Lohnabhängigen brechen, wie sieht der Gegenentwurf zum kapitalistischen Europa aus?

Die bürgerlichen Arbeiterparteien, eine SPD aus Deutschland, eine PS aus Frankreich oder eine Labour Party aus Großbritannien bspw. waren Mitverwalter und Mitorganisatoren der Wirtschaftskrise. Mit ihrer Politik trugen sie entscheidend dazu bei, dass es kaum europäische Aktionen der Gewerkschaften gegen Krise und Sparpakete gab, schlossen sie erneut den Burgfrieden mit dem nationalen Kapital. Aus diesen Reihen, kombiniert mit ehemaligen stalinistisch-reformistischen Kräften, war auch der neue Stern Syriza in Griechenland geboren, was aufzeigte, dass gerade in der Krise auch reformistische Rezepte wieder greifen können. Hier kamen nochmals alle reformistischen Illusionen in die EU zum Tragen. SPD und PS hielten treu ihrem Kapital die Stange gegen die griechische ArbeiterInnenklasse.

Plötzlich sollte Kapitalismus wieder für „die Menschen“ da sein, Finanzminister Varoufakis wollte die EU-Volkswirtschaft mittels Investitionen retten, etwas „New Deal“-Politik für Europa schwebte den griechischen Vertretern vor, damit wollten sie eine EU gestalten, die auch gerecht gehen könnte, wenn es politisch nur gewollt sei.

Genau darin lag dann aber auch die Täuschung der griechischen ArbeiterInnenklasse wie auch aller in Europa, welche zumindest den formalen Widerstand der Syriza/ANEL-Regierung gegen das Austeritätsregime der EU unterstützen wollten.

Es ist in der imperialistischen Krise eben keine Frage des „guten Willens“ oder einer gerechten Politik, sondern der Angriff durch das Kapital dessen einzige Option. Dies nicht verstanden zu haben bzw. immer wieder an die Reformierbarkeit des Systems zu appellieren, zeigt den trügerischen, verräterischen Charakter der bürgerlichen ArbeiterInnenparteien, des Reformismus auf. Wobei der klassische Reformismus immer propagierte, über den parlamentarischen Weg eine Art von Sozialismus einführen zu wollen. Die meisten heutigen bürgerliche ArbeiterInnenparteien nutzen dies höchstens als Folklore zum 1. Mai, bleiben aber auch in ihren vorgeblichen Zielen klar auf dem Boden der bürgerlichen Demokratie, in der Varoufakis jetzt auch etwas angeblich Höheres sieht als eine Klassenherrschaft. Nach dem August 1914 überschritten alle sozialdemokratischen Parteien jedoch den Rubikon der Konterrevolution, aus dem opportunistischen Possibilismus wurde konterrevolutionärer Sozialimperialismus – unabhängig von mehr oder weniger rhetorisch-„sozialistischen“ Versatzstücken in ihren Programmen und Reden!

Eine mögliche Neuauflage reformistischer Regierungen muss von revolutionärer Taktik stets auf ihren „wahren“ Gehalt geprüft werden, also eine Syriza- oder mögliche Podemos-Regierung in Spanien – dazu sind die Taktiken der ArbeiterInnenregierung wie die Losung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa die wesentlichen Voraussetzungen für eine revolutionäre Politik 2016, in dieser Periode der sich verschärfenden imperialistischen Krise.

Welches Programm gegen die kapitalistische EU?

Wir werden uns jetzt der Frage zuwenden, wie denn ganz praktisch ein Abwehrkampf gegen eine zunehmend nationalistische, rassistische und sowieso kapitalistische EU, für ein „Europa von unten“ aufgenommen werden soll. Schließlich müssen alle Losungen mit „Leben“ gefüllt werden, zu teilweise leeren Abstraktionen neigt die radikale Linke ebenso wie auch auf der anderen Seite dieser Medaille reines Abnicken der gewerkschaftlichen und meist reformistischen Forderungen von einem Großteil der „Linken“ praktiziert wird, ohne diesen Horizont nur ansatzweise zu überschreiten.

Wie schon erwähnt, müssen sich auch sozialpartnerschaftlich orientierte Gewerkschaften, wahrscheinlich öfter als ihnen lieb ist, mit der Spaltung der EU nach Löhnen, Arbeitsschutzbestimmungen, Arbeitsmigrationsrechten und allgemein mit den Standards der Ausbeutung der Ware Arbeitskraft beschäftigen. Meistens führte dies zu Regelungen, die der Sozialpartnerschaft entsprachen, nämlich der „Schutz“ der „einheimischen“ ArbeiterInnenklasse stand im Vordergrund, wie z. B. bei den Bestimmungen für osteuropäische ArbeiterInnen und deren Einschränkung der sog. „Freizügigkeit“, welche natürlich von der Kapitalseite ausgenutzt wird, um die Löhne und Bestimmungen auf das niedrigste Niveau in Europa zu drücken.

Das Gleiche gilt auch für alle Arten von Mindestlöhnen und Tariflöhnen, nach denen dann ArbeitsmigrantInnen in der EU bezahlt werden, wobei dort die meisten Bestimmungen eigentlich dazu dienten, um diese zu unterlaufen, geltendes Recht bzw. gültige Vorschriften zu brechen und somit die europäische ArbeiterInnenklasse in einem ruinösen Wettlauf nach unten zu spalten. In dem Zusammenhang ist auch das „Troika“-Regime gegenüber Griechenland zu verstehen. Hier wurden möglicherweise alle Schandtaten gegen die Rechte und Errungenschaften der griechischen ArbeiterInnenklasse durchgezogen, sicherlich eine „Blaupause“ für die Wünsche der europäischen Bourgeoisien.

Dies und noch manches mehr dürfte auch den Gewerkschaftsführungen, den Apparaten der „Mitbestimmung“ aufgefallen sein. Allein sie taten äußerst wenig, um sich gegen diesen „Wettlauf“ nach unten zu wehren bzw. auch nur die europäische ArbeiterInnenklasse in eine „Verteidigungsposition“ zu bringen.

Es ist bezeichnend, dass während der Rezession und der folgenden Schuldenkrise die europäischen Gewerkschaften bemerkenswert still blieben. Allein der Generalstreik im November 2011 auf der iberischen Halbinsel (14N) führte zu Solidaritätsaktionen der anderen europäischen Gewerkschaften. Dies war der einzige Aktionstag, der diesen Namen zumindest ansatzweise verdient hatte. Wir können hier nicht alle Gründe für das „Warum“ ausbreiten, jedoch sollte mitgenommen werden, dass europäische Aktionen ein wichtiger Schritt für die ArbeiterInnenklasse Europas darstellen, nicht allein um ihrer selbst willen, sondern auch zur Herausbildung einer europäischen Solidarität und eines europäischen Klassenbewusstseins.

Dies ist kaum von den sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftsführungen, speziell in den imperialistischen Staaten, „von sich heraus“ zu erwarten. Dies muss aber eine taktische Notwendigkeit gegenüber diesem „Reformismus“ in allen seinen Schattierungen für die „revolutionäre“ Linke bedeuten. Die etablierten Führungen, sowohl in den Parteien wie den Gewerkschaften, der aktuellen ArbeiterInnenbewegung werden und „können“ eine Spaltung Europas mitgestalten, solange sich ihre bürokratischen Standortinteressen mit einer nationalen imperialistischen „Alternative“ zur EU decken könnten oder, was historisch der Fall war, bis sie an dieser Entwicklung zugrunde gehen und das Kapital gegen sie vorgeht. Diese Führungen haben bislang aufgrund ihres nationalen Standortbewusstseins, aber vor allem auch in der Verschärfung der Krise, nicht „europäisch“, nicht als kampffähige auf diesem Kontinent agiert. Von gewerkschaftlicher Seite, von den Aktionen der Klasse her blieben es nationale Abwehrkämpfe, welche allerdings alle gegen das „Diktat“ der Märkte und besonders gegen die Sparpolitik der EU letztlich verloren haben.

Seien es die über 20 Generalstreiks in Griechenland, welche auch 2016 gegen die zweite Syriza/ANEL-Regierung in eine Runde gehen, seien es die aktuellen Massenkämpfe in Frankreich gegen das El Khomri-Gesetz oder die Generalstreiks in Spanien (wie auch die Indignados-Bewegung), in Belgien gegen eine neoliberale Regierung oder Italien, wo der „Sozialdemokrat“ Renzi die Politik der EU-Marionette Monti fortsetzt – es gab viele große Proteste und Bewegungen gegen die Spardiktatur in Europa. Aber nirgends fanden sie aufgrund der sozialpartnerschaftlichen Führung den „Weg“ nach Europa – keine Abwehrkämpfe wurden europäisch vereinheitlicht. Der europäische Generalstreik ist ein unbekanntes Wesen in der ArbeiterInnenbewegung wie auch die Idee, auf diese Angriffe, auf dieses Diktat des Kapitals in Europa eine programmatische, eine politische Antwort zu geben.

Worum geht es?

Ganze Volkswirtschaften werden in ihrer Profitabilität miteinander in Konkurrenz gesetzt: wie viele Jahre kann die Ware Arbeitskraft welchen Mehrwert fürs Kapital erschaffen, mit welchen Steuern ist zu rechnen, welche sonstigen möglichen Reproduktionserfordernisse müsste das Kapital bezahlen und vor allem, wo geht’s denn billiger – dieses Diktat wirkt seit 2001 und verstärkte sich durch die Krise seit 2008. Derzeit werden in Europa viele massive Angriffe auf Arbeitsrechte, Beschäftigungsverhältnisse und Löhne gefahren, wie gleichzeitig neue „flexible Arbeitsformen“ eingeführt und ausprobiert werden, wie die sog. „Zero hour contracts“. (24)

Während das Kapital in Europa auch die aktuellen Handelsabkommen CETA (mit Kanada) und das bekanntere TTIP (mit den USA) für eine weitere „Deregulierung“ und Entrechtung des Arbeitsmarktes nutzen wird, hat die ArbeiterInnenbewegung auf der anderen Seite noch nicht mal eine Vorstellung darüber, was denn ein gemeinsames Programm bzw. länderübergreifende Forderungen sein könnten.

Wie hoch soll denn  z. B. ein europäisches Renteneintrittsalter, wie lang die europäische Wochenarbeitszeit, ein europäischer Mindesturlaub, wie hoch ein europäischer Mindestlohn, was für Schutz – und Arbeitsrechte gelten für die europäischen ArbeiterInnen, was für Ansprüche sollen Arbeitslose und RenterInnen gegenüber den Sozialkassen haben, welche Rechte und Übernahmebestimmungen gelten für die Auszubildenden, welche Mindeststandards gelten für Arbeitsverträge, Versicherungsbeiträge und Höchstarbeitszeit und zu welchen Bedingungen sollen eigentlich die Geflüchteten in Europa arbeiten und leben dürfen? Auf all das hat die ArbeiterInnenbewegung keine Antworten. Stattdessen werden nationale Abwehrkämpfe verloren und danach die Sauereien des Kapitals mitverhandelt bzw. mitgetragen. Dies ist Folge der kurzsichtigen, sozialpartnerschaftlichen Politik der Führungen. Dem muss ein europäischer Internationalismus, ein europäisches Abwehrprogramm gegen die Krise und Konkurrenz entgegengestellt werden. Das ist der Schlüssel für einen europäischen Klassenkampf.

Und es ist letztlich die Aufgabe aller sich als SozialistInnen, AntikapitalistInnen oder gar RevolutionärInnen bezeichnenden Akteure, dafür in den Gewerkschaften einzutreten und dies von den bürgerlichen und reformistischen ArbeiterInnenparteien zu fordern.

Dann wäre es sicherlich eher möglich, eine europäische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich zu fordern wie auch einheitliche Standards für die sozialen Rechte der Klasse festzulegen. Doch dafür brauchen wir die Perspektive eines sozialistischen Europa, in dem die Rechte und Forderungen der ArbeiterInnenklasse zur Geltung kommen.

Hier kommt dann der Charakter und die Methode des Übergangsprogramm zum Tragen. So ist es möglich aus den Abwehrkämpfen gegen die Krise und Sparpolitik eine „Brücke“ zur „Ermächtigung“ der ArbeiterInnenklasse zu schlagen, indem z. B. ein europäischer Abwehrkampf mit Forderungen für die europäische Klasse geführt wird, welcher sie dann in die Lage versetzen kann, gegen den gemeinsamen Feind, gebündelt in dieser EU, vorzugehen. Hier und jetzt besteht die Möglichkeit, den „versammelten“ europäischen Bourgeoisien einen mächtigen, vielleicht auch entscheidenden Schlag zu versetzen, des Erwachens eines europäischen Klassenbewusstseins, welches dann das Proletariat Europas vereinigen kann mit den Geflüchteten, um sich dem aufkeimenden Rassismus und Nationalismus entgegenzustellen und dadurch der ältesten Forderung des kommunistischen Manifests „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“ zumindest kontinental Leben einzuhauchen.

Schließen wollen wir hier zwei historische Zitate anführen, die nichts von ihrer Aktualität verloren haben, wie sie auch gleichzeitig die Perspektive für den programmatischen und politischen Kampf in dieser Periode weisen können:

„Die IV. Internationale verwirft nicht die Forderungen des alten ‚Minimal‘-Programms, soweit sie noch einige Lebenskraft bewahrt haben. Sie verteidigt unermüdlich die demokratischen Rechte der Arbeiter und ihre sozialen Errungenschaften. Aber sie führt diese Tagesarbeit aus im Rahmen einer richtigen, aktuellen, d. h. revolutionären Perspektive. In dem Maße wie die alten partiellen ‚Minimal‘-Forderungen der Massen auf die zerstörerischen und erniedrigenden Tendenzen des verfallenden Kapitalismus stoßen – und das geschieht auf Schritt und Tritt – stellt die IV. Internationale ein System von Übergangsforderungen auf, dessen Sinn es ist, sich immer offener und entschlossener gegen die Grundlagen der bürgerlichen Herrschaft selbst zu richten. Das alte ‚Minimalprogramm‘ wird ständig überholt vom Übergangsprogramm, dessen Aufgabe darin besteht, die Massen systematisch für die proletarische Revolution zu mobilisieren.“ (25)

„Doch in grundsätzlichen Fragen der Politik darf es keine Reserve geben.“ (26)

In den Fragen des europäischen Klassenkampfes, wie wir welche Forderungen aufstellen, ist die heutige „Linke“ und ArbeiterInnenbewegung scheinbar weit weg von der Klarheit der Programmatik, die historische RevolutionärInnen entwickelt haben. Allerdings gilt es auch heute – es darf keine „Reserve“ geben! Es geht nicht allein darum, ob „eine andere Welt möglich ist“ oder auch ein „soziales Europa“, es geht darum mit welchen Mitteln, Forderungen und Methoden wir für einen europäischen Klassenkampf heute eintreten, wie wir revolutionäre Parteien der Klasse aufbauen, welche real in der Lage sind die ArbeiterInnenklasse in den Kampf gegen Imperialismus und Krise zu führen.

Dann kann es eine andere Perspektive für Europa geben, kein Hinabsinken in Rassismus, Nationalismus und Faschismus, wie es diese Teile des Kapitals und der bürgerlichen Marionetten schon parat haben, sondern einen geeinten europäischen Kampf für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Entrechtung, für einen Bolschewismus im 21. Jahrhundert.

Endnoten

(1) Leo Trotzki: Über die Aktualität der Parole „Vereinigte Staaten von Europa“, in: Europa und Amerika, Berlin (Verlag Neuer Kurs), 1972, S. 92

(2) Leo Trotzki: Das Friedensprogramm 1915/16/17, Kapitel 4: Vereinigte Staaten von Europa – zuerst veröffentlicht 1915/16 als Artikelserie in: „Nasche Slowo“ www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1915/xx/frieden.htm  

(3) Leo Trotzki: Der europäische Kapitalismus in der Sackgasse – in: Europa und Amerika, Berlin, 1972 (Verlag Neuer Kurs), S. 77

(4) Leo Trotzki: Über die Aktualität der Parole „Vereinigte Staaten von Europa“, in: Europa und Amerika, Berlin (Verlag Neuer Kurs), 1972, S. 94

(5) Leo Trotzki: 1915 – Europa im Krieg/ Hauptfragen und erste Ergebnisse des Krieges, in: Nasche Slowo Nr. 130 und 135, Essen, 1998, S. 237/238, Arbeiterpresse Verlag

(6) Leo Trotzki: Leo Trotzki: Die Parole der Vereinigten Sowjetstaaten von Europa, in: Die 3. Internationale nach Lenin, (Schluss des Kapitels), Dortmund, 1977, Verlag Wolfgang Dröge, 1977, S. 79.

(7) https://www.sozialismus.info/2016/07/brexit-revisited/

(8) Ebda., am Ende

(9) Siehe https://www.sozialismus.info/2016/07/brexit-revisited/

(10) Dazu mehr im Artikel http://www.arbeitermacht.de/ni/ni211/brexit.htm

(11) Siehe Artikel unter 8

(12) www.sozialismus.info/2016/06/brexit-ist-ein-grund-zur-freude/

(13) Siehe  http://lexit-network.org/aufruf

(14) Wahrscheinlich zufällig existierende nationale Einheiten….

(15) Sind vor allem Europäische Linkspartei, Gewerkschaften und Akademiker – wenn wir eines brauchen, dann mehr Netzwerke

(16) Das Netzwerk spricht gerne von Ländern oder Land. Da halten wir uns doch lieber an die konkreten historischen Kategorien

(17) Siehe Endnote 12

(18) Siehe Endnote 19

(19) Finanzminister Venizelos spaltete die Fraktion und Regierung, nachdem Papandreou eine Volksabstimmung ankündigte.

(20) Tsipras und Zizek, 15. Mai 2013 – The Role of the european Left – http://www.youtube.com/watch?v=aUh96oXYt18

(21) Leo Trotzki: Auf dem Weg zur europäischen Revolution, in: Schriften Band 3.1, Hamburg, 1997, Verlag Rasch und Röhring, Seite 331/332

(22) Nach Degras: The Communist International, London, 1971, S. 426 – ebenso Thesen zu Reformismus und Wahltaktik der Gruppe ArbeiterInnenmacht, S . 37

(23) Thesen zur Taktik (Die Arbeiterregierung), in: Die Kommunistische Internationale, 3. und 4. Weltkongreß, Dortmund, 1978

(24) Hierbei wird die Flexibilität auf die Spitze getrieben: Die ArbeiterInnen haben keine feste Stundenzahl, stattdessen sind sie de facto andauernd auf Abruf. Vorreiter hierbei ist Großbritannien, aber auch in Italien und Deutschland gibt es speziell im Einzelhandel und Dienstleistungssektor ähnliche Beschäftigungsverhältnisse.

(25) www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1938/uebergang/ ueberg1.htm#mup

(26) Leo Trotzki: Die Parole der Vereinigten Sowjetstaaten von Europa, in: Die 3. Internationale nach Lenin, (Schluss des Kapitels), Dortmund, 1977, Verlag Wolfgang Dröge, 1977.

Anhang: Die Debatte zu den Vereinigten Staaten von Europa und der Versuch, Lenin und Luxemburg gegen diese Losung zu stellen

In der Vorbereitung des 6. Weltkongresses der Komintern 1928 wurde die Parole der „Vereinigten Staaten von Europa“ als Losung für die revolutionäre Perspektive des Kontinents gestrichen. Dies war Folge der „neuen“ Theorie vom „Sozialismus in einem Land“, welche von Bucharin und Stalin, den damals führenden Köpfen der Komintern und vor allem der KPR(B), in den Umlauf gebracht wurde.

War es damals vor allem ein Schwenk zum bürokratischen Zentrismus in seiner ultra-linken Form, welcher die Komintern vom methodischen Boden des Internationalismus wegführte, so missbrauchen heute zentristische Organisationen wie marx21 Lenin und Luxemburg als Gegner eines friedlichen, pazifistischen Europa (1), um den revolutionären Gehalt dieser Losung vergessen zu machen.

Es gehört zu den Taschenspielertricks von marx21, den revolutionären Flügel der damaligen Sozialdemokratie als Gegner der Losung „Vereinigte Staaten von Europa“ aufzuführen, gerade wenn diese Losung mit einem kapitalistisch geeinten Europa verwechselt wird. Diese Parole, wie auch die dahinter stehende Methodik und Programmatik, waren nie dazu geeignet, eine reformistische Illusion in Europa zu erzeugen bzw. diese zu verteidigen. Natürlich sollte heute eine revolutionäre Politik und Taktik solche Illusionen auf das Schärfste bekämpfen, wie z. B. in der deutschen Linkspartei, in der marx21 aktiv ist, oder bei den Gewerkschaftsführungen Europas. Der Kampf gegen diese Illusionen, welche hauptsächlich auf dem Konzept von Sozialpartnerschaft und Klassenkollaboration aufbauen, bedeutet aber noch keine Richtschnur dafür, wie heute mit der EU umzugehen ist.

Natürlich kann ein kapitalistisches Europa, geführt von imperialistischen nationalen Bourgeoisien, keinen Fortschritt für die ArbeiterInnenklasse darstellen, wie es auch bedeutet, dass ein verschärfter Angriff auf die ArbeiterInnenklasse durch diese EU vonstattengeht. Es stellt sich jedoch die Frage, wie wir zu einem „Europa von unten“ kommen, welches auch die „Lexit“-Strömungen gerne „aufbauen“ möchten. Durch einen Zerfall der EU in neue konkurrierende Blöcke, durch ein Ende der Gemeinschaftswährung, wie es die besonders Kurzsichtigen argumentieren, wohl nicht.

„Seit jeher galt in der Sozialdemokratie der Klassenkampf und die internationale Solidarität des Proletariats als oberster Grundsatz. In diesem Grundsatz wurzelt die ganze politische und wirtschaftliche Macht der Arbeiterklasse, in ihm wurzelt auch ihre künftige Befreiung, der Sieg des Sozialismus. Zwei Nationalitäten gibt es in Wirklichkeit in jedem Lande: die der Ausbeuter und die der Ausgebeuteten. Der eigene deutsche Kapitalist ist dem deutschen Proletarier Feind, der fremde Proletarier hingegen, ob Franzose, Engländer oder Russe, ist sein Bruder.“ (2)

Der hier geäußerte Internationalismus Luxemburgs ist beispielhaft dafür, was heute in der sozialistischen Linken fehlt. Eine Klarheit in der Agitation, eine Benennung der berühmten Rosse und Reiter. Im Internationalismus wurzelt das ganze politische und wirtschaftliche Programm der proletarischen Klasse. Auf die heutige EU angewandt, bedeutet dies eben, in diesem Wirtschaftsraum einen europäischen Klassenkampf zu entfachen, der dann die Macht dieser europäischen ArbeiterInnenklasse aufzeigen kann, nämlich gegen die Austeritätspolitik, gegen Rassismus und Nationalismus und für eine soziale Offensive dieser Klasse. Ein Europa „von unten“ müsste sich dabei nicht sonderlich lange mit den Illusionen der reformistischen und kleinbürgerlichen Akteure aufhalten, sondern stattdessen für eine europäische antikapitalistische und antirassistische Offensive eintreten. Das geht ohne Lexit, ohne Euro-Gegnerschaft, dazu braucht es einen Fokus auf eine unabhängige Klassenpolitik, wie sie für Luxemburg, Lenin und Trotzki immer im Vordergrund stand.

Marx21 versucht jedoch die Haltung Luxemburgs so darzustellen, als würde sie der Parole Trotzkis und der Komintern widersprechen. Auch wenn sich marx21 manchmal auf seine „trotzkistischen“ Wurzeln beruft, so findet sich in ihren zentralen Artikeln zu Europa kein Wort, kein Zitat, geschweige denn ein Text von Trotzki. Das ist reichlich bezeichnend. Wenn sich ein revolutionärer Akteur mit dem europäischen Kontinent und dessen Fragen des Klassenkampfes intensiv beschäftigt hat, dann war es wahrscheinlich Trotzki zu seinen Lebzeiten.

In der Diskussion in der stalinisierten Komintern wurde schon damals Lenin als „Kronzeuge“ gegen die Losung „Vereinigte Sowjetstaaten von Europa“ benannt. Trotzki schreibt dazu zunächst:

„Vereinigte Staaten von Europa – das wäre vor allem die einzig denkbare Form der Diktatur des europäischen Proletariats.“(3)

Und weiter: „Doch auch bei einer solchen Stellungnahme sah Lenin in der damaligen Periode eine Gefahr. Bei dem Fehlen jeder Erfahrung einer proletarischen Diktatur in einem einzelnen Lande und bei der theoretischen Unklarheit, die in dieser Frage sogar auf dem linken Flügel der damaligen Sozialdemokratie herrschte, konnte die Parole der Vereinigten Staaten von Europa die Vorstellung erwecken, als ob die Revolution gleichzeitig zum mindesten auf dem ganzen Kontinent Europa ausbrechen müsste. Gerade vor dieser Gefahr hatte Lenin gewarnt. Doch in dieser Frage gab es zwischen Lenin und mir nicht einmal den Schatten einer Meinungsverschiedenheit.“ (4)

Ähnlich wie Luxemburg gehörte Lenin zu den entschiedensten KämpferInnen für den Internationalismus, sah die Aufgabe der Komintern vor allem und ausschließlich in der Ausbreitung der Revolution. Versuchte Luxemburg die Erfahrungen der russischen Revolution von 1905 in die 2. Internationale zu tragen oder bei der Massenstreikdebatte ein wirksames Vorgehen der Sozialdemokratie gegen den drohenden imperialistischen Krieg anzumahnen, so war Lenin stets davon überzeugt, dass die Revolution sich ausbreiten müsse, wenn sie nicht zugrunde gehen sollte.

Dies führt Trotzki in seinem Text „Die Parole der vereinigten Sowjetstaaten von Europa“ (5) aus, indem er Lenin zu Wort kommen lässt: „Es war uns klar, dass ohne die Unterstützung der internationalen Weltrevolution der Sieg der proletarischen Revolution unmöglich ist. Schon vor der Revolution und auch nachher dachten wir: Entweder sofort, oder zumindest sehr rasch, wird die Revolution in den übrigen Ländern kommen, in den kapitalistisch entwickelteren Ländern, oder aber wir müssen zugrunde gehen. Trotz dieses Bewusstseins taten wir alles, um das Sowjetsystem unter allen Umständen und um jeden Preis aufrechtzuerhalten; denn wir wussten, dass wir nicht nur für uns, sondern auch für die internationale Revolution arbeiten.“ (6)

Von diesem Kurs rückte die Komintern ab, ein nationalbornierter Zentrismus breitete sich aus, welcher nicht nur den Sozialismus in einem Land aufbauen wollte, sondern gleichzeitig die revolutionäre Politik, Methode und Taktik begrub, wofür die Bolschewiki und die Komintern der ersten 4. Kongresse bis 1922 gestanden und gekämpft hatten.

Heute geht es darum, sich diese Tradition, diese Methodik wieder anzueignen. Die Debatte rund um die Vereinigten Sowjetstaaten bzw. Sozialistischen Staaten von Europa zeigt deren brennende Aktualität, zeigt auf, welche Analyse, Methodik und Taktik heute gegenüber dieser kapitalistischen EU angewendet sollten.

Endnoten

(1) https://www.marx21.de/eu-debatte-vorwaerts-und-doch-vergessen/

(2) https://www.marx21.de/eu-debatte-vorwaerts-und-doch-vergessen/

(3) „Die Parole der vereinigten Sowjetstaaten von Europa“, in: „Die 3. Internationale nach Lenin“, Berlin (Intarlit), 1977,  S. 74

(4) Ebd.

(5) Ebd., S. 76

(6) Lenin, Werke, Band 32, S. 501 – 519, hier S. 503




Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa! – Europäisches Aktionsprogramm gegen die Krise

Liga für die Fünfte Internationale, Revolutionärer Marxismus 41, Februar 2010

Im Folgenden veröffentlichen wir ein Aktionsprogramm gegen die Krise, das die Liga für die Fünfte Internationale (L5I) im Juli 2009 publiziert hat. Wir schrieben dieses Aktionsprogramm angesichts der Tatsache, dass die etablierten Führungen der Arbeiterbewegung trotz der dramatischen Folgen der Wirtschaftskrise keine ernsthaften Schritte zur Organisierung des Abwehrkampfes unternahmen und dies bis heute nicht tun. Der Arbeiterbewegung fehlen daher die politischen Antworten und die notwendigen Strategien und Taktiken, um die Offensive der herrschenden Klasse stoppen und umkehren zu können. Um die Arbeiterbewegung mit einer solchen politischen Perspektive auszustatten, hat die LFI das folgende Aktionsprogramm ausgearbeitet. Aufgrund der fortgesetzten Offensive der Kapitalisten und der nach wie vor bestehenden Führungskrise in der Arbeiterbewegung hat das Programm nichts von seiner Gültigkeit eingebüßt.

Die Redaktion, Februar 2010

Eine tödliche Plage breitet sich in ganz Europa aus – diese Plage heißt Massenarbeitslosigkeit. Sie bringt die fürchterliche Angst mit sich, den Lebensunterhalt, das Zuhause oder die Rente zu verlieren. Wie kann das gestoppt werden? Wie können die ArbeiterInnen zurückschlagen?

Laut offiziellen Angaben gibt es bereits 14 Millionen Arbeitslose in den 27 EU-Mitgliedsstaaten (Quelle: Eurostat). Schätzungen zufolge liegt die Dunkelziffer sogar bei 20,8 Millionen. Und die Zahlen steigen in halsbrecherischem Tempo.

In der EU stieg die Arbeitslosigkeit von 6,8% im Januar 2009 auf 8,6% im April. In der Euro-Zone stieg sie sogar von 7,3% im Vorjahr auf 9,2%. In Spanien, dem bisher am stärksten betroffenen Land, sind erschütternde 18,1% arbeitslos: fast ein Fünftel!

Besonders stark sind Jugendliche betroffen. Sogar vor der Rezession waren die unter 25jährigen in unsicheren Jobs mit niedrigem Lohn und sehr schlechten Arbeitsbedingungen konzentriert. Nun verlieren täglich Tausende von ihnen den Arbeitsplatz. Tausende andere schaffen es nicht einmal, eine erste Beschäftigung zu bekommen, wenn sie die Schule verlassen. Offiziell sind 18,5% der unter 25jährigen arbeitslos.

Die Kapitalisten und die Regierungen, die sie unterstützen, fordern nun von den ArbeiterInnen, dass sie freiwillig kündigen, Kurzarbeit für niedrigere Löhne leisten, monatelang unbezahlten Urlaub nehmen, Lohnkürzungen akzeptieren oder in den extremsten Fällen umsonst arbeiten! Warum verlangen sie diese Opfer? Sie beteuern, es würde „unsere“ Konzerne, „unsere“ Industrien und „unsere“ nationale Wirtschaft retten. So wird von den ArbeiterInnen verlangt, für eine Wirtschaftskrise zu zahlen, die wir nicht verursacht haben.

Die Unternehmer versprechen uns, dass diese Opfer voll zurückgezahlt werden, wenn die Rezession vorbei ist. Sie lügen! Wenn der Aufschwung da ist, werden sie behaupten, dass die Konkurrenz anderer Kapitalisten, z.B. aus Asien, es ihnen unmöglich machen würde, zu den alten Löhnen und Personalbeständen zurückzukehren. Die Millionen durch die Krise verlorenen Jobs sind für immer verloren sein, sie werden bleibenden Schaden an Kommunen und Haushalten auf der ganzen Welt anrichten.

Schwache Führung

In jedem europäischen Land kapituliert die etablierte Führung der Arbeiterklasse vor den Forderungen des Kapitals. Indem sie dessen Argument, wonach „wir alle“ für die Krise bezahlen müssten, akzeptieren, bereiten sich die GewerkschaftsführerInnen und die sozialdemokratischen Parteien darauf vor, die von den ArbeiterInnen hart erkämpften Rechte aufzugeben. Sie handeln Verträge aus, die Arbeitsplätze und Konzerne, die kurz vorm Bankrott stehen, retten sollen und auf „freiwilligen“ Kündigungen, Lohnkürzungen, reduzierten Pensionen, flexiblen Arbeitszeiten, schlechteren Arbeitsbedingungen, Urlaubskürzungen und der Ersetzung von permanenten und regulierten Arbeitsplätzen durch unsichere Teilzeit- und Leiharbeitsverhältnisse basieren.

In vielen Ländern betraf die erste Angriffswelle hauptsächlich den privaten Sektor; zuerst den Finanzsektor 2008, dann 2009 den Einzelhandel (Karstadt, Woolworth) und die verarbeitende Industrie (Vauxhall, Continental).

In anderen Ländern, wie Deutschland, in denen der Kern der ArbeiterInnenklasse immer noch in der verarbeitenden Industrie beschäftigt ist, konnten die schlimmsten Entlassungen durch Kurzarbeit und durch das staatliche Aufkommen für einen Teil der Löhne vermieden werden.

Aber auch das ist nur eine Gnadenfrist; wenn sie endet, wird das zu einer weiteren Kündigungs- und Schließungswelle führen. Zur selben Zeit diskutiert die Politik über eine Kürzung der öffentlichen Ausgaben, da sie durch ihre Banken- und Konzernrettungsaktionen nun historisch hohe Budgetdefizite verzeichnen. Eine der nächsten Angriffswellen wird also die Beschäftigten im öffentlichen Sektor betreffen.

Politiker und Massenmedien werden mit dem Finger auf LehrerInnen, KrankenpflegerInnen, Staatsbedienstete, SozialarbeiterInnen und bei den öffentlichen Verkehrsmitteln Beschäftigte zeigen und verlangen, dass „die genauso“ ihr Opfer zu bringen hätten. „Seht euch die Zugeständnisse, die eure Kollegen im privaten Sektor machen an“, werden sie sagen, „wo ist eure Solidarität?“

Wir müssen die Bosse zwingen, den Preis ihrer Krise selbst zu bezahlen!

Die ArbeiterInnenbewegung muss diese zynischen Aufrufe zur „Solidarität“ entschieden ablehnen. Natürlich brauchen wir Solidarität, aber das bedeutet, uns gemeinsam gegen die Angriffe zu wehren – nicht deren Folgen „gerecht“ unter uns aufzuteilen. Wir brauchen eine Solidarität des Widerstands.

In den großen europäischen Streiks und Demonstrationen des letzten Jahres, v.a. in Frankreich und Griechenland, erhoben ArbeiterInnen und Jugendliche eine Forderung: „Wir zahlen nicht für eure Krise“. Solche Streiks, Demonstrationen, Besetzungen und Blockaden können die Kapitalisten und ihre Regierungen zwingen, ihre Angriffe zu stoppen und rückgängig zu machen.

Doch wer soll nun für die Krise bezahlen? Wir sagen: die Kapitalisten selbst! Um eine Bewegung zu bilden, die fähig ist, sie dazu zu zwingen, müssen wir unsere Massenaktionen in ganz Europa vereinen.

Wir müssen Anti-Krisen-Komitees in Städten, Dörfern und Bezirken in allen Ländern Europas gründen, um den Widerstand gegen die Folgen der Krise koordinieren zu können. Sie sollten Delegierte von allen Organisationen, die gegen die Krise kämpfen, anziehen: VertreterInnen der Gewerkschaften, lokaler SchülerInnen- und StudentInnenkampagnen, Arbeitsloser, aller organisierten und aller bisher unorganisierten Schichten.

Angesichts der rapiden Zunahme der Arbeitslosigkeit brauchen wir eine Massenbewegung der Arbeitslosen – die von demokratisch gewählten RepräsentantInnen der Arbeitslosen selbst geführt wird. Die Gewerkschaften sollten die Arbeitslosenbewegung finanziell unterstützen.

Wie schon in früheren Wirtschaftskrisen werden die Arbeitslosen in großer Zahl auf die Straße gehen müssen, um die soziale Misere der Arbeitslosigkeit für alle sichtbar und hörbar zu machen. Sie müssen Arbeit oder volle finanzielle Entschädigung, Weiterbildung, bezahlten Urlaub und kostenlose Krankenversicherung fordern. Wer soll das finanzieren – die Unternehmen und die Superreichen!

Die üppigen Ausgaben der parasitären Millionäre, die Unsummen für Waffen und Kriege verschwenden, sind perfekte Ziele für Protestaktionen der Arbeitslosen. So können wir die Irrationalität und Grausamkeit des kapitalistischen Systems vor Millionen Menschen bloßstellen. Massenbewegungen der Arbeitslosen müssen sich mit den Arbeitskämpfen der ArbeiterInnen solidarisieren, um so zu zeigen, dass sie sich nicht als Streikbrecher benutzen lassen: Sie müssen im Gegenteil Schulter an Schulter mit den Beschäftigten kämpfen, denn nichts und niemand kann die vereinte ArbeiterInnenklasse besiegen.

• Nein zu allen Kündigungen und Arbeitsplatzkürzungen!

• Für Besetzungen, Streiks und Demonstrationen, um Arbeitsplätze und Lebensgrundlagen zu sichern!

Die Welle von Betriebsbesetzungen in Frankreich, Großbritannien und Irland, richteten sich gegen die Schließung der Fabriken. Sie zeigen den richtigen Weg. Betriebsbesetzungen können den Verkauf des Unternehmens verhindern, die Unternehmensführung zwingen, alle Geschäftsbücher offenzulegen und anderen ArbeiterInnen als gutes Beispiel dienen.

Immer wenn ArbeiterInnen Besetzungsaktionen durchführen, muss auch die gesamte lokale Arbeiterbewegung, die Jugend und die Arbeitslosenbewegung mobilisiert werden, um sich an den Besetzungen und Blockaden zu beteiligen. Sonst können Unternehmensführung und Polizei den Betrieb leichter wieder zurückerobern. Besetzte Betriebe sollten zu Festungen des Widerstands und zur Inspiration für die gesamte arbeitende Klasse werden.

Einzelne Besetzungen können zu großen Besetzungswellen anwachsen, wie das in Frankreich und Italien 1968/69 geschah. Wie wir damals gesehen haben, können solche Aktionen größere Zugeständnisse von den Bossen und dem Staat erzwingen, als es normale „friedliche“ Verhandlungen oder auf einzelne Berufssparten beschränkte Streiks je könnten.

Aber eine Massenbewegung, die Besetzungen durchführt, eröffnet noch weitere Perspektiven. Sie wirft die Frage auf: Wer soll die Industrie kontrollieren, die Unternehmer oder die ArbeiterInnen? Sie eröffnet die Perspektive eines Kampfes für die Macht der ArbeiterInnen über die ganze Gesellschaft, für eine geplante Wirtschaft, die dazu da ist, die Bedürfnisse der Menschheit und nicht die Gier Einzelner zu befriedigen. Mit anderen Worten, es geht um die Beendigung des kapitalistischen Wirtschaftssystems mit seinen Krisen, seiner Arbeitslosigkeit und Ausbeutung.

Die Aufstände der Jugendlichen in Griechenland im Dezember 2008 und die Generalstreiks in Frankreich 2009 haben den Kampfwillen der Massen bewiesen. Aber was hat diese ersten Wellen des Widerstands davon abgehalten, noch weiter zu gehen? Es waren die Führungen der Gewerkschaften und der traditionellen reformistischen Parteien, welche die Ausweitung des Klassenkampfes verhindert haben.

Deswegen brauchen wir Anti-Krisen-Komitees, die den Kampf von unten organisieren können – mit der etablierten Führung wo möglich, ohne sie, wo nötig. Wir müssen der Führung der Gewerkschaft innerhalb der Gewerkschaft den Kampf ansagen. Wir müssen dafür kämpfen, dass die Gewerkschaften ihren Kurs ändern und Organisationen wirklichen Widerstands, Instrumente zur Mobilisierung von Millionen gegen die Offensive der herrschenden Klasse werden!

Die Gewerkschaftsführer und ihre Verbündeten, die reformistischen, sozialdemokratischen Parteien und die offiziellen „kommunistischen“ Parteien werden alles in ihrer Macht stehende tun, um das zu verhindern. Die einzige Möglichkeit, sie zu stoppen, ist ein kombinierter Aufruf: die offizielle Führung zum Kampf aufzufordern und zugleich an ihre Millionen von Basismitgliedern zu appellieren, den Kampf wenn nötig auch ohne die Unterstützung der Führung aufzunehmen.

Eine klassenkämpferische Basisbewegung in den Gewerkschaften und Betrieben kann sicherstellen, dass die GewerkschaftsführerInnen nicht mehr als den durchschnittlichen Lohn ihrer Basismitglieder verdienen und jederzeit abwählbar sind. Sie kann dafür eintreten, passive FunktionärInnen durch KämpferInnen zu ersetzen. Sie kann sich mit anderen Gewerkschaften verbinden, um Aktionen zu setzen und sich zu solidarisieren.

Gegen Arbeitslosigkeit

l • Für Massenstreiks – bis zum Generalstreik – um zu verhindern, dass Unternehmer und Regierung uns für die Krise bezahlen lassen, indem sie uns entlassen!

l • Gegen die Prekarisierung von Vollzeit-Arbeitsplätzen! Keine Teilzeitjobs für niedrigere Entlohnung!

l • Für ein massives Beschäftigungsprogramm, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, gesellschaftlich nützliche öffentliche Dienste anzubieten, die ökonomische und soziale Infrastruktur zu entwickeln und die Umwelt zu entlasten. Arbeitergemeinden, die akuten Mangel an Wohnräumen, Krippen, Kindergärten, Arztpraxen und Krankenhäusern oder nur baufällige Wohnungen oder Schulen zu Verfügung haben, sollten eine Überprüfung der sozialen Bedürfnisse vornehmen!

• Diese öffentlichen Arbeiten sollten im Rahmen einer demokratisch geplanten Produktion unter ArbeiterInnenkontrolle stattfinden. Die Pläne sollten von den ArbeiterInnen der jeweiligen Branche entworfen werden, gemeinsam mit den im Baugewerbe, der Werkstofftechnik und dem Transport tätigen ArbeiterInnen. Demokratisch gewählte GewerkschaftvertreterInnen sollten die Verantwortung dafür übernehmen, Arbeitslose oder SchulabgängerInnen zu integrieren und einen kollektiven Lohn festzusetzen. Dieses Programm muss durch massiv erhöhte Steuern für die Reichen finanziert werden (auf ihre Einkommen und auf ihren angesammelten Reichtum).

• In Betrieben, in denen Kurzarbeit geleistet wird oder die Bosse versuchen, Teile der Belegschaft zu entlassen, fordern wir eine gleitende Skala der Arbeitsstunden: Die Arbeit soll auf alle Arbeitsfähigen ohne Lohnkürzungen aufgeteilt werden, so dass Arbeitslose wieder eine Arbeit bekommen.

Die Unternehmer benutzen die Krise, um Reallöhne zu kürzen und vermehrt prekäre Arbeitsverhältnisse zu schaffen.

Um die Arbeit“geber“ davon abzuhalten, Millionen Menschen in Armut und Unsicherheit zu stürzen, und um unsere kollektive Kraft zu stärken, fordern wir:

• Für einen Minimallohn, der hoch genug ist, um die ArbeiterInnen vor Armut zu schützen und von der jeweiligen nationalen Arbeiterbewegung festgesetzt wird!

• Für eine gleitende Lohnskala, um die Löhne vor Inflation zu schützen! Für proletarische Preisüberwachungskommitees, um die Preiserhöhungen großer Super-marktketten aufzudecken und zu bekämpfen!

• Die Gewerkschaften müssen einen Kampf um Lohnerhöhungen über Landesgrenzen hinweg ins Leben rufen, um das Lohnniveau der ärmeren Länder an das der reicheren anzupassen. Das ist die Antwort der ArbeiterInnenklasse im Sinne internationaler Solidarität! Nein zur imperialistischen Politik der „Angleichung nach unten“, der Abschiebung von „ausländischen“ ArbeiterInnen oder der Bevorzugung von StaatsbürgerInnen gegenüber MigrantInnen!

• Für eine Arbeitszeit von höchstens 35 Stunden in der Woche bei 5 Arbeitstagen ohne Lohnverluste in ganz Europa!

• Gegen alle Modelle der Zwangsarbeit für Arbeitslose, um soziale Hilfe zu bekommen, oder Modelle mit geringerer Bezahlung und rechtlichen Schutz! Echte Jobs für die Arbeitslosen!

• Unbefristete Arbeitsverträge mit voller gewerkschaftlicher Vertretung für alle prekär Beschäftigten!

• Für eine Verstaatlichung der Betriebe, die bankrott gehen, statt staatlich regulierter Rettungsaktionen für die Bosse! Statt Billionen Euro für ihre Rettung auszugeben, sollten all jene Banken und Konzerne, die Entlassungen ankündigen, ohne jegliche Entschädigung, unter Arbeiterkontrolle verstaatlicht werden!

Der Anstieg der Massenarbeitslosigkeit und das Scheitern der Bewegung, dagegen anzukämpfen, führen zu vermehrtem Rassismus und Faschismus

Gegen das Anwachsen der rechtsradikalen und faschistischen Szene kämpfen wir für:

• Aufhebung aller Beschränkungen für ArbeiterInnen, sich in ganz Europa niederzulassen und dort zu arbeiten! Aufhebung aller Immigrationskontrollen! Nieder mit dem Schengener Abkommen! Volle Rechte für MigrantInnen, einschließlich gleicher Arbeitsrechte, Aufenthaltsbewilligungen, Sozialleistungen, Krankenversiche-rung, Bildung, volle politische Rechte, einschließlich dem Recht zu wählen! Für offene Grenzen! Für das uneingeschränkte Recht auf politisches Asyl!

• Massenaktionen gegen die Verbreitung faschistischer Propaganda und gewalttätige Übergriffe auf MigrantInnen und Angehörige ethnischer Minderheiten! Die Arbeiterbewegung sollte Gemeinschaften, die sich selbst gegen Pogrome und rassistische Übergriffe schützen, unterstützen und selbst eine antifaschistische Abwehrfront organisieren! Obwohl die faschistische Szene heutzutage v.a. versucht, sich als „respektable“ demokratische Partei zu profilieren, wird sie letztlich wieder auf Aufmärsche und gewalttätige Provokationen gegen MigrantInnen, Roma, Muslime, nationale Minderheiten, Farbige und Juden/Jüdinnen zurückgreifen. Sie werden sogar noch weiter gehen und ihren historischen Feind, die organisierte Arbeiterklasse, angreifen, indem sie den Bossen ihre Dienste als Streikbrecher und Einschüchterer anbieten, wie die Schwarzhemden und Nazis in den 20er und 30er Jahren. Das höchste Ziel der Faschisten ist die Zerstörung der ArbeiterInnenbewegung. Wir müssen jetzt für eine Massenaktion der vereinten ArbeiterInnen auftreten, um faschistische Organisationen zu zerschlagen!

• Gleichzeitig erklären wir den Massen: Entlassene ArbeiterInnen, arbeitslose Jugendliche – führt den den Kampf nicht gegen irgendwelche Sündenböcke, sondern gegen den tatsächlichen Grund der Krise, die Kapitalisten! Wir beantworten die konterrevolutionäre Verzweiflung des Faschismus mit der revolutionären Hoffnung des Kampfes für den Sozialismus!

• Für Gleichberechtigung der Sprachen! Für das Recht von MigrantInnen, ihre Muttersprache zu benutzen! Unterricht in Schulen und Universitäten und öffentliche Dienstleistungen sollten in den meistgesprochenen Sprachen des Ortes angeboten werden! Für eine massive Neueinstellung von LehrerInnen und von im Öffentlichen Dienst Beschäftigten mit migrantischem Hintergrund und entsprechenden Sprachkenntnissen! Gleichzeitig sind wir für Investitionen in Fortbildungsprogramme, die MigrantInnen dabei unterstützen, die traditionelle Sprache des Landes in dem sie wohnen, zu lernen!

• Für die auf gleichen Rechten basierende Integration migrantischer ArbeiterInnen und ihrer Familien in die ArbeiterInnenbewegung – in Gewerkschaften wie in politischen Parteien! Für die Schaffung einer allgemeinen Kultur des Kampfes, der sich auf Internantionalismus, Unabhängigkeit der arbeitenden Klasse und Solidarität stützt!

Frauen dürfen nicht für die Krise bezahlen!

Millionen Frauen in Europa wird die Möglichkeit verweigert, außerhalb des Haushalts zu arbeiten. Millionen Frauen sind gezwungen, in sehr schlecht bezahlten Berufen tätig zu sein oder bekommen aufgrund fehlender Regelungen für die gleiche Arbeit weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen. In jeder größeren Wirtschaftskrise, in der die Arbeitslosigkeit Massenausmaße erreicht, propagieren reaktionäre Kräfte verstärkt, dass der Platz einer Frau hinter dem Herd sei.

Ebenso versuchen reaktionäre Kräfte v.a. in Zeiten der Krise, das Recht der Frauen auf Schwangerschaftsabbruch zu verweigern. In einigen EU-Staaten, wie z.B. Irland oder Polen, wo die Kirche immer noch enormen Einfluss auf Bildung und Gesundheitswesen hat, ist es für die Mehrheit der Frauen noch immer praktisch unmöglich, eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Die Trennung dieser grundlegenden Dienste von der Kirche ist eine wesentliche demokratische Forderung.

• Wir müssen das Recht der Frauen auf Arbeit verteidigen!

• Verteidigung unserer sozialen Leistungen gegen alle Angriffe!

• Gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Männer und Frauen!

• Für das Recht auf kostenlose Verhütungsmittel und das Recht auf Abtreibung in jedem europäischen Land!

Die Regierungen, die mit riesigen Ausgaben für die Banken konfrontiert sind, planen massive Einsparungen bei den Sozialleistungen. Sie lassen uns alle, v.a. aber die Frauen, für die Krise bezahlen. In den Bereichen Bildung, Kindererziehung und Pflege arbeiten v.a. Frauen. Ihnen droht durch solche Sparmaßnahmen der Verlust des Arbeitsplatzes, was die Kindererziehung und Pflege kranker und alter Menschen auf unbezahlte Frauen im isolierten Familienkreis zurückwirft.

Die sich vertiefende soziale Krise, die Armut und der Stress, die durch die Massenarbeitslosigkeit hervorgerufen werden, schlägt sich auch in der physischen und mentalen Verfassung der Menschen wieder – die Aggressionen steigen, Frauen werden immer öfter geschlagen oder vergewaltigt.

• Verteidigt die Sozialleistungen! Nein zu einer Rückkehr zur Isolation im Haushalt, für Massenmobilisierungen unter dem Slogan: Die Frauen werden nicht für eure Krise zahlen!

Gewerkschaftliche und demokratische Rechte

Die Ausrufung des „Krieges gegen den Terror“ nach dem 9.11.2001 wurde benutzt, um demokratischen Rechte einzuschränken. Z.B. wurden die Haftstrafen verlängert oder vermehrt Verdächtige verhört, ohne dass sie einen Anwalt bekommen hätten. Die polizeiliche Überwachung der Bevölkerung wurde unter dem Vorwand der Sicherheit enorm erhöht, alle Kommunikationsmittel wurden zur Überwachung freigegeben. Das Versammlungs- und Demonstrationsrecht wurde geschmälert, die Polizei benutzt diese neuen Gesetze, um protestierende ArbeiterInnen (insbesondere MigrantInnen) zu schikanieren.

• Weg mit allen „Anti-Terror-Gesetzen“, die es der Polizei ermöglichen, legale Aktivi-täten der Bevölkerung auszuspionieren! Freilassung aller ohne Verfahren Inhaftieren!

In den meisten Ländern sind die Gewerkschaften wie schwere Eisenketten, die den Widerstand der ArbeiterInnen in Krisenzeiten behindern. Ihre komplizierten Abstimmungsmethoden, Bedenkfristen und verpflichtende Sachverständigen-Verfahren verzögern die Antwort auf Betriebsschließungen oder Massenentlassun-gen, wohingegen die Unternehmer in ihren Aktionen nur selten eingeschränkt sind. Politische Streiks – d.h. Streiks gegen die Angriffe der Regierung auf unsere Rechte – sind in den meisten Ländern verboten. In Frankreich und Italien wird sogar diskutiert, Streiks in „wichtigen Sektoren“, wie z.B. bei den öffentlichen Verkehrsmitteln zu verbieten.

• Für die Abschaffung aller Gesetze, die das Recht zu streiken und sich zu organisieren einschränken! Für das Recht jeder Arbeiterin und jedes Arbeiters, einer Gewerkschaft beizutreten, einschließlich Wiedereinstellung und Entschädigung aller ArbeiterInnen, die entlassen worden sind, weil sie von diesem Recht Gebrauch machen wollten!

Nein zu einem imperialistischen Superstaat! Rückzug aller europäischen Truppen aus Afghanistan! Auflösung der NATO!

Die Tatsache, dass die USA ihre wirtschaftliche Vorherrschaft nach und nach verlieren, und dass die bisher unangefochtene Stellung des Dollars als Weltwährung immer öfter in Frage gestellt wird, verweist auf die wachsende Rivalität zwischen den USA und der EU, aber auch neuen Mächten, v.a. China. Die ArbeiterInnen in Europa, die gegen die Invasion und Besatzung der USA im Irak oder ihre Drohungen gegen den Iran sind, dürfen nicht in eine Art europäischen Patriotismus verfallen und das Projekt des Aufbaus eines geeinten imperialistischen Staates mit eigener Armee und Einflussgebieten um den ganzen Erdball, unterstützen.

Die Propaganda der EU versichert, dass diese neue europäische Supermacht eine friedliche oder gar „soziale“ Weltmacht werden würde. Das ist eine Lüge, die auch von den sozialdemokratischen und offiziellen „kommunistischen“ Parteien verbreitet wird.

Ein europäischer Superstaat wäre eine imperialistische Macht, die die Pläne der europäischen Kapitalisten für die Neuaufteilung der Märkte und Ressourcen verfolgen würde. Eine solche Neuaufteilung kann als verschärfter Wettbewerb im Handel und mit „Protektionismus“ beginnen. Das 20. Jahrhundert hat uns bereits gezeigt, wie so etwas endet: in immens zerstörerischen Kriegen. Wir müssen unseren Widerstand gegen diese fürchterliche Perspektive jetzt beginnen – indem wir uns der Gründung einer europäischen Militärmacht widersetzen, auch wenn sie sich jetzt erst in einem Anfangsstadium befindet. Realer sind die von der NATO nach Afghanistan geschickten Truppen und die diversen „humanitären Truppen“, die nach Afrika geschickt worden sind. Die ArbeiterInnenbewegung muss sie alle ablehnen. Wir müssen auch den Ausbau „unserer“ nationalen Truppen ablehnen und Kampagnen gegen die Rekrutierung Arbeitsloser führen. Wir müssen den sofortigen Rückzug aller in Übersee stationierten Truppen und die Einstellung aller Zahlungen an imperialistische Militärmächte fordern: Keinen Cent, keinen Menschen für die Verteidigung des kapitalistischen Systems!

Umwandlung der Wirtschaft

Die von den Millionären angehäuften Schuldenberge dürfen nicht aus den Steuern der ArbeiterInnen bezahlt werden. Die Betriebe, die sich mit Produktion, Transport oder sinnvollen Dienstleistungen beschäftigen und von ihren Besitzern in den Bankrott geführt wurden, müssen „gerettet“ werden, indem sie ohne Entschädigung für die Besitzer verstaatlicht werden! Ihre Buchführungen müssen veröffentlicht und die Verschwörung des Geschäftsgeheimnisses gegen ArbeiterInnen und KonsumentInnen aufgedeckt werden!

• Nein zu den Bankenrettungsaktionen! Nein zur Rettung industrieller Monopole, die auf Rationalisierungen und Schließungen basieren! Übernahme aller Banken ohne Entschädigung und ihre Vereinigung zu einer einzigen Staatsbank! Statt Subventionen für KapitalistInnen fordern wir die entschädigungslose Enteignung aller großen Industrien, Kommunikationsmittel und Medien, großen Farmen und Einzelhandelsketten! Die Ersparnisse, Einlagen und Rentenfonds von Kleinsparern oder ArbeiterInnen sollten durch eine Staatsbürgschaft oder durch sichere, ausreichende staatliche Pensionen gesichert werden.

• Für einen europaweiten Produktionsplan, der auf einem System basiert, in das nationale, regionale und lokale Pläne integriert sind. Alles sollte demokratisch entworfen und von ArbeiterInnen und KonsumentInnen entschieden werden! Produktion und Verteilung unter ArbeiterInnenkontrolle!

• Schluss mit dem Geschäftsgeheimnis und bürokratischer Geheimniskrämerei! Die Banken haben ihre finsteren Machenschaften vor uns geheimgehalten und dadurch viele Kunden und Kleinsparer ruiniert. Nun sollen wir den Preis für ihre Rettung zahlen. Öffnung der Daten der Banken und Konzerne, des Staates und der EU-Bürokratie für eine Inspektion der ArbeiterInnen und der Öffentlichkeit!

Eine Planwirtschaft würde systematisch Ungleichheiten in Europa ausgleichen, indem sie Resourcen und Reichtum verteilt, um den Standard der östlichen Länder, die über Jahrzehnte unterdrückt wurden, an das der westlichen anzupassen und somit Nationalismus und Reaktion den Nährboden zu entziehen.

Nein zur kapitalistischen EU!  Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!

Die arbeitende Klasse hat kein Vaterland – sie existiert international, daher muss auch ihre Klassenpolitik internationalistisch sein. Die ArbeiterInnenbewegung muss die EU als eine Institution ablehnen, die versucht, einen neuen imperialistischen Superstaat aufzubauen, um den deutschen und französischen Imperialismus und ihre Fähigkeit, die Welt auszubeuten, zu stärken.

Zugleich müssen wir die Argumente all jener bekämpfen, die die EU aus fremdenfeindlichen oder nationalistischen Gründen ablehnen. Diese Kräfte und ihre sozial-chauvinistische Politik, die auf Unterstützung in den sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften stößt, sind eine Sackgasse für die ArbeiterInnenklasse und alle Unterdrückten. Sie versuchen, unsere Bewegung entlang nationaler und rassistischer Linien zu spalten und uns „unseren“ nationalen Bossen unterzuordnen. Obwohl wir dafür kämpfen, die wenigen fortschrittlichen Veränderungen, die mit dem EU-Prozess eingetreten sind, zu verteidigen (z.B. die Abschaffung der Grenzkontrollen in der EU), sind wir restlos gegen die EU-Strukturen und ihre Wirtschaftspläne.

Wir unterstützen den Widerstand der Völker in der ganzen Welt gegen europäische Besatzungsmächte (z.B. in Afghanistan oder im Tschad). Der Sieg über die EU-Truppen in diesen Ländern wäre ein Sieg für die gesamte arbeitende Klasse, ein Schlag gegen den Imperialismus. Für den sofortigen Rückzug aller EU-Truppen und die Schließung all ihrer Militärbasen in Übersee!

• Nieder mit dem EU-Parlament, der EU-Kommission und dem europäischen Gerichtshof! Reißt die Strukturen des europäischen Superstaats nieder!

• Nein zu Viking-Laval, der Lissabon-Agenda, dem Bologna-Prozess und dem Neoliberalismus der EU!

• Für die Wahl einer souveränen europäischen konstituierenden Versammlung aller permanent in der EU wohnhaften über 16 und Bewohner anderer Länder, falls sie daran teilzunehmen wünschen!

Die politische und ökonomische Krise, die über Europa und die Welt hinwegfegt, wird weithin als eine Krise des Kapitalismus verstanden – der Banken, Finanzinstitutionen und Aktiengesellschaften, die unser Leben besitzen und kontrollieren. Aber was ist die Alternative?

Um ArbeiterInnen davor zu schützen, Opfer aufeinander folgender Wirtschaftskrisen zu sein, um zu verhindern, dass Arbeitslose und ruinierte KleinbürgerInnen in eine solche Verzweiflung stürzen, dass sie zu Werkzeugen der faschistischen und rassistischen Demagogen werden, ist es notwendig, Millionen Menschen für die einzige Alternative zum Kapitalismus zu gewinnen – den Sozialismus. Das ist eine Gesellschaft, in der die Wirtschaft demokratisch geplant wird, in welcher es kein Privateigentum an Produktionsmitteln gibt, wo die Produktion nicht für Profite, sondern für Bedürfnisse da ist, in welcher Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Zyklen und Rezessionen der Vergangenheit angehören, in welcher die Teilung der Gesellschaft in eine ausbeutende und eine ausgebeutete Klasse überwunden ist.

Es ist nicht genug, gegen den „Neoliberalismus“ zu sein – der kapitalistischen Politik der letzten zwei Jahrzehnte, die auf Profitmaximierung durch Privatisierungen und Deregulierung beruht. Heute sind die Kapitalisten durch die Finanzkrise gezwungen, der ganzen Gesellschaft – insbesondere der arbeitenden Klasse – ihre Verluste aufzubürden. Sie haben das durch die Umkehrung ihrer „neoliberalen“ Politik gemacht, indem sie staatliche Interventionen benutzten, um ihr System zu retten. Durch ihre Versuche, ihre Verluste auf andere Staaten abzuladen, schüren sie Nationalismus und Hass auf die rivalisierenden Staaten. Es ist notwendig, nicht nur den Neoliberalismus, sondern den Kapitalismus an sich abzulehnen. Um heutzutage konsequente(r) AntikapitalistIn zu sein, muss man für die einzige Alternative zum Kapitalismus kämpfen: den Sozialismus!

Ist ein sozialistisches Europa möglich? Europa ist weder ein einzelner Staat, noch hat es eine geeinte Wirtschaft. Es hat keine vereinte europaweite Arbeiterbewegung. Aber es ist bereits viel mehr als einige zusammengewürfelte Staaten und Wirtschaften. Es gibt große Uneinheitlichkeit, aber auch Verbundenheit – es gibt Konzerne mit Produktionsketten, die aus Zweigen in verschiedenen Ländern bestehen, wie z.B. GM Europe, Siemens oder Fiat. Die Staaten, die den Euro benutzen, haben der europäischen Zentralbank bereits viel Kontrolle über ihre Wirtschaft abgetreten.

Natürlich wollen wir nicht zu isolierten Staaten und Wirtschaften zurückkehren – das würde den Handel und die Produktivkräfte nur noch mehr zum Einsturz bringen und zu einer noch größeren Not als die, unter der wir jetzt leiden, führen. Die Antwort lautet: Vorwärts in Richtung einer vergesellschafteten, geplanten, europäischen Wirtschaft! Das bedeutet, den KapitalistInnen und ihren PolitikerInnen die Macht aus den Händen zu reißen, und die Revolution, die zweifellos in einem Land beginnen wird, auf dem ganzen Kontinent zu verbreiten.

Es geht darum, den Widerstand gegen die Krise mit dem Kampf der ArbeiterInnen, die Macht in ihre eigenen Hände zu nehmen, zu verbinden. Die Organisationen, die wir heute gründen müssen, um effektiv Widerstand gegen die Massenarbeitslosigkeit zu leisten, können morgen schon die Instrumente unserer Herrschaft werden. Die Aktionskommitees gegen die Krise und die sektorübergreifenden Koordinationen von ArbeiterInnen und Jugendlichen, die wir in jeder Stadt und jedem Ort gründen müssen, können zu großen Räten der Delegierten der ArbeiterInnen werden, mit der Fähigkeit, die Gesellschaft zu regieren, wie es die Sowjets im revolutionären Russland 1917 gemacht haben. Die organisierte Selbstverteidigung, die die ArbeiterInnen und Jugendlichen brauchen, um sich gegen Polizeirepression zu verteidigen, können zum Instrument für die Zerschlagung des kapitalistischen Staates werden. Eine auf die ArbeiterInnenorganisationen aufbauende ArbeiterInnenregierung kann die Macht der KapitalistInnen durchbrechen, systematisch ihr Privateigentum in gesellschaftliches Eigentum überführen und eine sozialistische Planwirtschaft aufbauen.

Neue antikapitalistische Arbeiterparteien

Um sicherzugehen, dass dies geschieht, müssen wir die fortschrittlichsten und entschlossensten Teile der ArbeiterInnen – die Avantgarde der arbeitenden Klasse – darauf vorbereiten und sie auf einem europäischen Niveau für den revolutionären Kampf vereinen. Die Solidarität mit anderen Ländern, die gerade führend im Klassenkampf stehen, steigert auch immer die Kampfbereitschaft der anderen ArbeiterInnen. Wir brauchen neue antikapitalistische ArbeiterInnenparteien in jedem Land, die sich zu einer 5. Internationale vereinen.

Diese Parteien müssen Parteien des Klassenkampfs und nicht des Klassenkompromisses sein. Sie dürfen niemals Teil einer kapitalistischen Regierung werden und versuchen, den kapitalistischen Staat zu regieren, so wie es Rifundazione Comunista in Italien, die deutsche Linkspartei u.a. getan haben.

Wenn die neuen antikapitalistischen ArbeiterInnenparteien Wahlkampf betreiben, dann dürfen sie das nie mit der Absicht tun, die arbeitende Klasse mit reformistischen Wundermitteln hinters Licht zu führen oder die Mittelschicht mit einer pro-kapitalistischen Politik für sich zu gewinnen, sondern um Millionen von Menschen für ein revolutionär-sozialistisches Programm zu gewinnen. Revolutionäre ArbeiterkandidatInnen, die nur das Durchschnittsgehalt eines Facharbeiters verdienen und der Partei rechenschaftspflichtig sind, würden dafür kämpfen, Millionen von Menschen für ein revolutionäres Programm zu gewinnen um die Macht der Kapitalisten zu sprengen.

Es wird in den ersten Stadien der sozialistischen Umwälzung notwendig sein, diese damit zu verbinden, die Macht der europäischen Banken und Handelsgesellschaften in weiten Teilen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zu brechen. Eine ArbeiterInnenregierung in Europa würde die Massen der „3. Welt“ dazu auffordern, die lokalen Operationen der europäischen multinationalen Konzerne in die eigene Hand zu nehmen. Sie würde die Schulden der halbkolonialen Länder bei europäischen Banken und Regierungen streichen. Gemeinsam mit den Organisationen der ArbeiterInnenklasse, der Bauernschaft und der indigenen Völker dieser Kontinente würden wir ein globales Programm für nachhaltige Entwicklung entwerfen, das nicht nur die Umwelt schützen, sondern auch den Schaden, der in zwei Jahrhunderten blinder kapitalistischer Ausbeutung angerichtet wurde, reparieren und eine harmonische Zukunft für die ganze Menschheit sichern würde.

Ein sozialistisches Europa wäre ein Bollwerk der Solidarität und Unterstützung für die halbkolonialen Länder; es wäre ein aktiver Gegner jeglicher imperialistischer Abenteuer.

Kann das oben angeführte Programm im Rahmen des Kapitalismus umgesetzt werden? Nein! Sicher kann die eine oder andere Forderung den Kapitalisten als „Nebenprodukt“ des Klassenkampfs abgerungen werden. Doch Kapitalisten und Regierung werden mit allen Mitteln versuchen, ihre Profite und ihre Macht zu verteidigen. Das ist der Grund, warum die Bourgeoisie versucht, alle von der arbeitenden Klasse nach dem 2. Weltkrieg erkämpften Errungenschaften wieder rückgängig zu machen. Das ist der Grund, warum wir die Kapitalisten enteignen, ihre Staatsmacht zerbrechen, ihnen ihren Besitz und ihre Kontrolle entziehen, ihren Widerstand unterdrücken müssen. In Jahrzehnten systematischer Planwirtschaft können wir dann endlich die Trennung zwischen den Klassen aufheben, so dass eine Rückkehr zum Kapitalismus weder angestrebt noch möglich ist.

Da die Plage der kapitalistischen Krise Europa wieder einmal mit Schatten der Vergangenheit quält – mit dem Alptraum von Massenarbeitslosigkeit, Rassismus und Krieg – muss auch die Alternative wieder zum bewussten Ziel der Massen werden: Die Vereinten Sozialistischen Staaten von Europa als Teil einer sozialistischen Welt.




EU in der Krise – Soziales oder sozialistisches Europa?

Michael Pröbsting/Martin Suchanek, Revolutionärer Marxismus 35, Juli 2005

Das NON zur EU-Verfassung ist Ausdruck der Krise des Formierungsprozesses eines europäischen imperialistischen Blocks und hat diese zugleich vertieft. Das NON war ein schwerer politischer Rückschlag für die europäischen Bourgeoisien – vor allem für das französische und deutsche Kapital, die treibenden Kräfte hinter dem Vereinigungsprojekt.

Hinter dem NON stehen eine Reihe, miteinander verwobener krisenhafter Prozesse und bislang nicht überwundener innerer Widersprüche des Vereinigungsprozesses.

Ökonomische Krise

Die meisten kontinentaleuropäischen Ökonomien – insbesondere die deutsche – befinden sich seit Jahren in einer stagnativen Periode. Selbst die „Aufschwungsphasen“ der Konjunktur sind durch geringes Wachstum, Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung gekennzeichnet So betrug das jährliche durchschnittliche Wirtschaftswachstum in der Eurozone 2001 1,6%, 2002 0,9%, 2003 0,5% und 2004 1,8%. Für 2005 wird ein BIP-Wachstum in den Euro-Ländern von 1,5% prognostiziert.

Hinter dieser Krise steckt ein strukturelles Problem der kapitalistischen Weltwirtschaft – die Überakkumulation von Kapital und langfristig fallende Profitraten.

Dies sind notwendige, aus dem Akkumulationsprozess des Kapitals selbst hervortretende innere Widersprüche. Vermittelt über die Konkurrenz sind die großen Kapitale zu einer ständigen Umwälzung ihrer eigenen technischen Grundlagen, zu Rationalisierungen, Steigerung von Produktivität usw. gezwungen. Damit steigt aber auch der Anteil, der von den Unternehmen für Maschinen, Rohstoffe usw. aufgewandt werden muss im Verhältnis zu den Aufwendungen für Arbeitskräfte.

Da jedoch nur die lebendige Arbeit Mehrwert für das Kapital schafft und damit Quelle des Profits ist, sinkt die Profitrate für das Kapital in seiner Gesamtheit.

Natürlich sind auch in solchen Perioden die größeren Kapitale in der Lage, ihre Profite zu steigern – weil sie als fortgeschrittenere Kapitale, aufgrund von Monopolstellungen oder der Ausplünderung der „Dritten Welt“ in der Lage sind, sich Extraprofite anzueignen.

Dieser Prozess ist im kapitalistischen System angelegt. Es hilft daher nichts, sich eine „Marktwirtschaft“ ohne Akkumulation, Zentralisation, verschärfte Konkurrenz usw. vorzustellen. Innerhalb des Kapitalismus ist eine solche Entwicklung unvermeidlich – und sie führt notwendig zu Krisen, die im Rahmen dieses Systems nur durch eine Erhöhung der Ausbeutungsrate, Kapitalvernichtung und Neuaufteilung der Weltmärkte unter den großen Kapitalen und imperialistischen Nationen gelöst werden kann.

Vor diesem Hintergrund zeichnen sich ohne Zweifel wichtige Neuformierungsprozesse des europäischen Monopolkapitals und die Schaffung deutsch-französische geprägter Unternehmen oder Allianzen ab.

Die Formierung eines europäischen Kapitals und Imperialismus, der den USA als führende Weltmacht Paroli bieten kann, ist und bleibt daher das strategische Ziele der deutschen und französischen Kapitalistenklassen und ihrer politischen Exekutiven.

Die Bedeutung der EU-Verfassung

Aber das NON in Frankreich hat deutlich gemacht, wie weit diese Bourgeoisien noch davon entfernt sind.

Auch wenn die Annahme oder Ablehnung der Verfassung an vielen realen Aktionen der EU, an deren sozialen und politischen Zielen nichts ändert, so sollten die Referenden in Frankreich und anderen Ländern dazu dienen, der Verfassung die höheren Weihen des „Volkswillens“ zu  verpassen.

Die Verfassung hätte ein bestimmtes, vorläufiges Stadium der imperialistischen Vereinigung kodifiziert. Ganz sicher wäre aber auch sie – man denke nur an die eher bizarren Entscheidungsstrukturen – nur eine vorläufiges Endprodukt gewesen.

Vorläufig vor allem, weil hinter der Verfassung immer auch das Problem steht, dass die EU aus lange etablierten imperialistischen Mächten besteht, die jeweils auch spezifische, schwer vereinbare Interessen haben. Während sich die deutsche und französische Bourgeoisie dem imperialistischen Vereinigungsprojekt verschrieben haben, versucht die britische Kapitalistenklasse als Juniorpartner der USA zwischen Vereinigten Staaten und EU zu manövrieren.

Angriff

Die ökonomische Krise und die europaweiten massiven Angriffe auf die Lohnabhängigen haben aber auch zu einer massiven Unzufriedenheit und einer Legitimitätskrise bürgerlicher Politik und des gesamten EU-Projekts geführt.

Gerade in Frankreich zeigt sich sehr deutlich, dass die Masse der Bevölkerung und hier vor allem die ArbeiterInnen, Angestellten und Erwerbslosen die EU-Verfassung als einen politischen Ausdruck der Angriffe auf das Bildungswesen, auf soziale Rechte, auf die 35-Stunden-Woche usw. betrachteten.

Die Massenstreiks vom Frühjahr 2005 hatten die Regierung Chirac/Raffarin in die Defensive gebracht und entscheidend zu einem Stimmungsumschwung gegen die EU-Verfassung beigetragen.

Auch wenn in anderen europäischen Ländern keine derartig beeindruckenden Kämpfe stattfanden, keine Massenbewegung gegen die Verfassung mit rund 1000 lokalen Komitees zu Aufklärung und  Mobilisierung der Bevölkerung existieren – so ist doch die Krise der Legitimität der EU allgemein.

Gleichzeitig steckt die Lissabon-Agenda selbst in der Krise. Ihr zufolge sollte die EU bis 2010 zur stärksten und dynamischsten wirtschaftlichen Macht auf der Erde werden. Davon ist sie heute genauso weit entfernt wie vor fünf Jahren.

Auch wenn Millionen Lohnabhängige, SchülerInnen, Studierende, RentnerInnen in den letzten Jahren massive Verschlechterungen ihrer Lebensbedingungen hinnehmen mussten – vom Standpunkt ihrer eigenen Zielsetzungen in der globalen Konkurrenz ist das für das europäische Kapital zu wenig.

Hinzu kommt, dass die Formierung eines europäischen Monopolkapitals eine aktive staatliche Intervention erfordert, die bisher v.a. von Frankreich und Deutschland kommt.

Schließlich zeigt das NON zur Verfassung aber auch, dass eine Art „europäisches Nationalbewusstsein“ bislang nicht existiert. Um einen europäischen imperialistischen Block zu formieren, muss aber auch eine vereinheitlichende Ideologie geschaffen werden, welche Mittelschichten, Kleinbürgertum und privilegierte Teile der Arbeiterklasse an das Projekt eines europäischen imperialistischen Blocks bindet.

Auswirkungen

Der Generalangriff auf die Lohnabhängigen wird in ganz Europa mit unverminderter, ja größerer Schärfe fortgeführt. Auch wenn es in einzelnen Ländern zu kurzfristigen taktischen Rückzügen der herrschenden Klasse aufgrund von Massenmobilisierungen kommen sollte, so nur, um bald noch heftigere Angriffe zu starten.

Ebenso werden die imperialistische Besatzungspolitik im Irak, am Balkan, in Afghanistan sowie die nationale und rassistische Unterdrückung in der EU bzw. an deren Außengrenzen fortgesetzt werden.

Die herrschenden Klassen werden bewusst einen neuen Anlauf zur Formierung eines imperialistischen Blocks nehmen. Auch wenn der genaue Modus (z.B. verstärktes Drängen auf ein „Kerneuropa“) offen ist, kann allgemein folgendes gesagt werden: Ähnlich wie bei bisherigen Krisen des kapitalistischen Vereinigungsprojektes (z.B. Krise des Wechselkurssystems 1992/93, auf die Maastricht und Einführung des Euro folgten) werden wir es auch hier nicht einfach mir einer Wiederholung des Verfassungsprojekts, sondern mit dem Versuch einer qualitativ weitergehenden Vereinheitlichung zu tun haben.

Dieses Geflecht an Widersprüchen und politischen Dynamiken stellt die klassenbewussten ArbeiterInnen und Jugendlichen Europas vor folgende Situation: Einerseits ist die europäische Bourgeoisie gezwungen, ihre schweren Angriffe fortzusetzen und andererseits ist diese fortgesetzte Offensive mit einem Aufschwung der Klassenkämpfe und einer verminderten politische Legitimität des imperialistischen EU-Projektes in den Augen der Unterdrückten konfrontiert. Daraus folgt ein enormes Politisierungspotential und eine gesellschaftliche Sprengkraft für die kommende Periode.

Die europäische Bourgeoisie bzw. die einzelnen Fraktionen können nur voranschreiten, indem sie den bestehenden, bisherigen Status quo der politischen Machtausübung in der EU über Bord werfen und ihre ideologische Rechtfertigung ändern. Bleibt die EU geeint und bleibt sie dabei, die EU-Verfassung oder ein ähnliches Projekt durchzupeitschen, nimmt sie massiven Widerstand der Massen und Risse im eigenen Lager in Kauf.

Macht sie einen Schritt zurück und unterlässt es, die Schritte der ökonomischen Integration durch entsprechende Maßnahmen auf der Ebene der politischen Integration zu begleiten, droht das Projekt der Herausbildung eines einheitlichen europäischen Blocks zu scheitern. Möglich ist auch der Weg, Teile der EU-Verfassung „durchzumogeln“ und ohne Referenden umzusetzen. Doch auch dieser Weg ist ohne ernsthafte öffentlich ausgetragene Konflikte innerhalb der Bourgeoisie und ohne Widerstand der Arbeiterklasse und der Jugend unwahrscheinlich.

Zerfällt die EU in zwei oder mehrere Blöcke – sagen wir einem unter deutsch-französischer Führung und einem pro-amerikanischen – wird dies mit Sicherheit zu enormen Spannungen innerhalb der Bourgeoisie führen und ebenso den Widerstand unter der Arbeiterklasse und der Jugend hervorrufen. In den kommenden Jahren sind daher in Europa massive politische Umbrüche und heftige Klassenkämpfe wahrscheinlich.

Die Legitimitätskrise der EU aufgrund der massiven Angriffe geht auch mit einer, vor allem in Westeuropa zu beobachtenden, Absetzbewegung der Arbeiterklasse von ihren „traditionellen“ Parteien – der Sozialdemokratie – einher. Auch wenn diese ArbeiterInnen und Angestellten nicht mit der reformistischen Ideologie an sich gebrochen haben, so stellt ihr Bruch eine massive Erschütterung lange etablierter Kontrollinstrumente über die Arbeiterklasse dar.

Neue Linke?

In vielen Ländern hat das auch zur Bildung neuer politischer Formationen geführt bzw. zur Schaffung europaweiter Allianzen. In Britannien zeigt sich das in der populistischen Wahlpartei RESPECT, in Deutschland in der Linkspartei.

Vor allem aber bildet sich in Frankreich und in vielen anderen europäischen Ländern um die „Europäische Linkspartei“, attac, Teile der Gewerkschaftsbewegung, Vertreter der Sozialforen sowie „revolutionärer“ Linker (LCR in Frankreich, VS in Europa) eine Bewegung für eine politische Alternative zum „neoliberalen Europa“ heraus.

Zweifellos bietet die Mobilisierung in Frankreich, bieten die „Komitees für das Nein“ eine große Chance, die Initiative in einem europaweiten Abwehrkampf gegen den Generalangriff zu ergreifen, dem Europa des Kapitals eine wirkliche politische Alternative – ein sozialistisches Europa – entgegenzusetzen. Sie bietet die Chance zur Formierung neuer Arbeiterparteien, in denen KommunistInnen und Anti-KapitalistInnen für eine revolutionäre, internationalistische Programmatik eintreten würden.

Die Pariser Versammlung

Eine ganz andere, diesem Ziele direkt entgegen gesetzte Stoßrichtung verfolgen jedoch die führenden politischen Kräfte der französischen NON-Kampagne. Für den 24. und 25. Juni traten in Paris auf Einladung der französischen Unterzeichner des „Aufrufs der 200“ rund 300 VertreterInnen europäischer linker Parteien, von Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Kampagnen zusammen. Rund die Hälfte kam aus Frankreich, die andere Hälfte aus 19 europäischen Ländern.

Aus der Europäischen Linkspartei waren neben der KPF die italienische Rifondazione Comunista, die PDS aus Deutschland, die griechische Partei Synaspismos stark vertreten. Auch die KKE (Griechische Kommunistische Partei) tauchte kurz auf. Von der europäischen „antikapitalistischen Linken“ war neben der LCR auch die DKP anwesend.

Von den Gewerkschaften Europas waren aus Frankreich die CGT, G 10 Solidaires, SUD vertreten, aus Italien CGIL und Cobas, aus Deutschland auch die IG Metall sowie die mazedonische Metallergewerkschaft. Attac wurde neben einer starken französischen Delegation von VertreterInnen aus mehreren europäischen Ländern repräsentiert.

Die Versammlung beschloss im „Konsens“, d.h. mit der überwältigen Mehrheit der anwesenden reformistischen Parteien, Gewerkschaften, attac und anderer Linker die Erklärung „Ein neues Zeitalter kann in Europa beginnen“.

Diese Erklärung beinhaltet eine knappe Zusammenfassung der politischen Ziele und Stoßrichtung eines sich formierenden, europäischen „neuen“ Reformismus: Der Grundgedanke besteht darin, dem „neoliberalen“ Europa ein „soziales, demokratisches, friedliches, feministisches, ökologisches, solidarisches Europa“ entgegenzustellen.

Bewusst findet sich kein Wort über den imperialistischen Charakter des gegenwärtigen Europa. Nicht der Kapitalismus, nicht eine bestimmte Produktionsweise und Gesellschaftsordnung, sondern nur eine „falsche“, neoliberale Politik wird als das eigentliche Problem hingestellt.

Als Subjekt der Mobilisierung sieht man nicht die Arbeiterklasse – überhaupt kommen Klassen im Text ebenso wenig wie Kapitalismus und Imperialismus vor – sondern „die Bürger“, „das Volk“, kurz eine Allianz verschiedener Klassen. So heißt es in dem von verschwommenen Phrasen triefenden Text: „Gemeinsam wollen wir eine breite bürgerliche Bewegung auf europäischer Ebene ins Leben rufen, um in Solidarität mit allen Völkern der Erde eine politische und soziale Dynamik von der örtlichen bis zur europäischen Ebene für eine anderes Europa zu entfalten“.

Das „andere Europa“ soll ein Europa mit anderer, „gerechter“ Verteilung des Reichtums sein. Das Monopol der Kapitalistenklasse an den Produktionsmitteln und der imperialistische Charakter des bestehenden Europa werden in keiner Weise angetastet.

Vielmehr ist der Forderungskatalog eine Mischung altbekannter keynesianischer Rezepte, die mit versteckten protektionistischen Phrasen zum Schutz europäischer Nahrungsmittelproduktion garniert werden („ein europäisches Handeln zugunsten der Nahrungsmittelhoheit als ein Grundrecht der Völker“).

Besonders deutlich wird das in der internationalen Politik. Statt sich auf eine gemeinsame Mobilisierung gegen Aufrüstung, Besetzung des Iraks, Afghanistans usw. zu verständigen, wird davon schwadroniert, die „Logik des Krieges und der Militarisierung der Europäischen Union abzulehnen, ein Europa zu schaffen, das zugunsten einer anderen Welt handelt.“

Solche Phrasen sind nichts als reaktionäre pazifistische Floskeln, die erstens zu nichts verpflichten (anders als z.B. eine Aktion gegen die Besetzung des Irak) und zweitens unterstellen, dass eine kapitalistische EU anders als imperialistisch sein und handeln könnte.

Wer wirklich ein Europa schaffen will, das zugunsten einer anderen Welt handelt, muss für ein sozialistisches Europa kämpfen, muss offen die Notwendigkeit einer europäischen Revolution, der Machtergreifung der Arbeiterklasse und der Schaffung Vereinigter Sozialistischer Staaten von Europa aussprechen.

Niemand sollte sich irgendwelchen pazifistischen Illusionen hingeben: Europa hat nur dann eine sozialistische Zukunft, wenn der Kapitalismus durch eine europaweite proletarische Revolution zerstört wird. Eine solche Revolution ist weder ein Gesetzesantrag, noch kommt sie durch friedlichen Druck auf der Straße zustande. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer Kette von scharfen, revolutionären Klassenkämpfen, bewaffneten Aufständen und der erfolgreichen politischen Machtergreifung der Arbeiterklasse. Das bewusste Ausstreuen von bzw. im Unklaren lassen über Illusionen in einen parlamentarischen, durch bloßes Druck ausüben auf die Herrschenden, friedlichen Weg zum Sozialismus ist nichts anderes als schädliches, gefährliches Treiben der Reformisten und ihrer zentristischen Helfershelfer.

Doch für die neuen europäischen ReformistInnen geht es nicht um den Klassenkampf gegen den weiter laufenden Generalangriff, sondern um eine Kampagne für einen „alternativen Verfassungsentwurf“.

Nachdem in Frankreich Hunderttausende gegen die Angriffe der Regierung gestreikt haben, Millionen über die Komitees mobilisiert wurden, schlägt die Pariser Versammlung keine Vertiefung und Erweiterung des Abwehrkampfes, keine Schaffung einer europäischen Koordinierung aus Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, sozialistischen, kommunistischen Organisationen vor – sondern „eine Petition (…), die eine grundlegende Änderung der europäischen Politik“ von Chirac, Schröder/Merkel und Blair fordert.

Diese Strategie soll, ausgehend von Paris, auch dem Europäischen Sozialforum verpasst werden. Sie wäre für die sozialen Bewegungen in Europa, für die Arbeiterkämpfe, für den Widerstand gegen Sozialraub, Entlassungen, Krieg und Rassismus fatal.

Diese Strategie entspricht den politischen Zielen und Bedürfnisse des „linken“ Flügels der Arbeiterbürokratie und eines Teils der Mittelschichten. Nachdem einem Teil der Gewerkschaftsapparate die „alte SP“ verloren ging, Teile der Sozialdemokratie mit den offen neoliberalen Angriffen ihrer Parteien unzufrieden sind, bemühen sich diese Strömungen und Formationen wie RC, KPF, PDS/WASG darum, nach links gehende ArbeiterInnen mit alten, im Grunde sozialdemokratischen Rezepten zu integrieren.

Dabei geht es ihnen nicht nur darum, die Ziele der Bewegung in das Korsett eines rein reformistischen Programms zu zwängen, sondern auch eine weitere Klassenmobilisierung zu hintertreiben.

Kein Wunder, denn viele dieser Helden eines „sozialen“ Europas bereiten sich auf die Regierungsbeteiligung in den Nationalstaaten des bestehenden Europas vor. In nächster Zukunft wird das vor allem auf die italienische Rifondazione zutreffen, die Teil des klassenübergreifenden, volksfrontartigen Olivenbaum-Bündnisses ist, dessen Spitzenmann der ehemalige EU-Kommissionspräsident Prodi ist, der für den Verfassungsentwurf und die Lissabon-Agenda mitverantwortlich war!

Hier zeigt sich auch, dass in der politischen Realität das Gezeter gegen das „neoliberale Europa“ oder die „Amerikanisierung“ des Kontinents nur als politische Rechtfertigung zum Eintritt in bürgerliche Regierungen dient, die vorgeblich ein anderes politisches „Modell“ vertreten würden.

Während solche politischen Konzepte durchaus in der politischen Tradition von KPF und anderen reformistischen Parteien stehen, spielen Organisationen wie die LCR eine besonders beschämende und schädliche Rolle, weil sie nicht gegen die reformistische Orientierung ankämpfen, sondern diese selbst euphorisch mittragen.

Die Aufgaben von RevolutionärInnen bestehen jedoch darin, der Strategie der ReformistInnen auf verschiedenen Ebenen entgegenzutreten:

• Der Notwendigkeit eines europaweiten, koordinierten Abwehrkampfes

• Die Einigung Europas durch die Arbeiterklasse, also die Losung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa

• Die Notwendigkeit neuer Arbeiterparteien und einer neuen, Fünften Internationale.

Europaweiter Abwehrkampf

Die Notwendigkeit eines europaweiten, koordinierten Abwehrkampfes gegen den fortgesetzten Generalangriff von EU, europäischen Kapitalisten und nationalen Regierungen; eines koordinierten Abwehrkampfes gegen die rassistische Spaltung in Europa, gegen die „Festung Europa“ wie gegen die imperialistische Aufrüstung und Besatzungspolitik ergibt sich zwingend aus den aktuellen und zu erwartenden Angriffen des Kapitals.

Wir dafür ein, dass eine europaweite Koordinierung für den Abwehrkampf auf allen Ebenen geschaffen wird. Diese Forderung richtet sich an alle Organisationen der Arbeiterbewegung, Parteien, die gegen Krieg und Neo-Liberalismus zu kämpfen vorgeben usw., alle Gruppierungen der Anti-Globalisierungsbewegung, die Anti-Kriegsbewegung, Immigrantenorganisationen, Jugendorganisationen, Schüler- und Studentenvertretungen, Antifa-Gruppen.

Zur Koordinierung dieser Aktionen treten wir für den Aufbau von Akionskomitees, Sozialforen- und Bündnissen auf allen Ebenen – lokal, regional, landesweit ein.

Diese Forderung muss auf den kommenden europäischen, nationalen wie lokalen Treffen, bei Sozialforen wie jenem vom 21.-24. Juli in Erfurt offensiv vertreten werden. Die reformistischen Führungen müssen dazu aufgefordert werden, einen solchen Abwehrkampf zu unterstützen und praktische Schritte zur Etablierung einer solchen Koordinierung zu schaffen.

Zweifellos wird die Möglichkeit, sie dazu zu zwingen, von der Mobilisierung der Basis, von der Militanz der AktivistInnen entscheidend abhängen. In jedem Fall kann und soll sie dazu dienen, die Notwendigkeit eigener Mobilisierungsstrukturen zu verdeutlichen.

Die Versammlung der Sozialen Bewegungen beim Sozialforum in Athen im Jahr 2006 müsste daher auch in den Mittelpunkt des Europäischen Sozialforums rücken, um dort verbindliche, gemeinsame Aktionen zu vereinbaren.

Abwehrkampf gegen die sozialen Angriffe!

Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und Armut treffen Millionen und Abermillionen in Ost- und Westeuropa. Als vereinheitlichenden Schlüsselforderungen im Abwehrkampf schlagen wir vor:

• Europaweite Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!

• Ein Mindestlohn, der von der Arbeiterbewegung des jeweiligen Landes festgelegt wird.

• Kampf gegen Privatisierung des Öffentlichen Dienstes und Massenlassungen!

• Für eine Programm gesellschaftliche nützlicher öffentliche Arbeiten unter Kontrolle der Beschäftigen, Arbeitslosen und KonsumentInnen!

• Progressive Besteuerung der Unternehmen und der Reichen zur Finanzierung diese Maßnahmen.

Der europaweite Aktionstag gegen die geplante Dienstleistungsrichtlinie der EU (auch als Bolkestein-Richtlinie bekannt) am 15.Oktober sollte als erster Schritt zur gemeinsamen koordinierten Aktion genutzt werden – für Massendemonstrationen und Streiks in allen größeren europäischen Städten! Das wäre auch ein Ausgangspunkt für europaweite politische Massenstreiks bis hin zum Generalstreik gegen die Angriffe des Kapitals und der EU-Kommission.

Kampf dem Rassismus!

Die Spaltung der Arbeiterklasse und der Unterdrückten entlang nationaler und ethnischer Linien ist ein zentrales Problem für einen gemeinsamen Abwehrkampf. Bewusst werden die Spaltungslinien durch die EU und die nationalen Bourgeoisien und Regierungen vertieft. ArbeiterInnen aus Osteuropa und aus den halb-kolonialen Ländern außerhalb der EU werden aus dem westlichen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, institutionalisiert als Beschäftigte zweiter Klasse behandelt oder in die Illegalität gedrängt, wo sie als Billiglöhner zu miesesten Bedingungen schuften müssen.

In der EU werden nationalen und ethnischen Minderheiten wie den Basken oder den Roma ihre demokratischen Rechte verwehrt. Moslemische, türkische oder arabische MigrantInnen sind systematische Hetze und Unterdrückung ausgesetzt. Faschistische und rassistische Kräfte verbreiten das Gift des Anti-Semitismus.

Dagegen kämpfen wir für:

• Gleiche und volle soziale und politische Recht, für alle, die in Europa leben.

• Wir kämpfen gegen alle Einreisekontrollen.

• Für Selbstverteidungsorganisationen der rassistische oder national Unterdrückten gegen faschistische oder rassistische Angriffe auf!

• Weg mit allen reaktionären „Antiterrorgesetzen“!

Gegen Krieg und Besatzung!

Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sind offene oder verdeckte Unterstützer der Besetzung des Irak und der US-Kriegsdrohungen gegen andere „Schurkenstaaten“.

• Für den sofortigen Rückzug aller Truppen aus dem Irak!

• Wir unterstützen den legitimen Befreiungskampf des irakischen Widerstandes gegen die Besatzer und den Widerstand der PalästinenserInnen.

Die EU-Staaten sind nicht nur passive Unterstützer der USA. Bosnien, Kosovo, Mazedonien sind praktisch Kolonien der EU. Deutschland führt die Besatzung Afghanistans mit an, Frankreich interveniert regelmäßig in Afrika.

• Nein zu allen EU-Intervention – egal ob unter US-Führung, EU oder UN-Flagge.

• Abzug aller im Ausland stationierten Truppen!

Eine Bewegung gegen den Krieg darf sich dabei nicht auf symbolische Aktionen beschränken. Um die Kriegstreiber der imperialistischen EU zu stoppen und erfolgreich zu bekämpfen, sind Massenaktionen und Streiks notwendig, um die Kriegsmaschinerie und die Nachschublinien zu blockieren.

Die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa

Die Alternative zur EU-Verfassung eines imperialistischen Europas ist weder die reaktionäre Rückkehr zum „unabhängigen“ Nationalstaat und die Wiedereinführung von DM, Franc und anderer nationaler Währungen, noch die eines „sozialen“, in Wirklichkeit sozialchauvinistischen Europa.

Die kapitalistische Vereinigung Europa, die Herausbildung europäischer Monopole und Unternehmensallianzen kann nicht bekämpft werden, indem man den reaktionären und utopischen Versuch unternimmt, das Rad der geschichtlichen Entwicklung zurückzudrehen.

Vielmehr geht es darum, die Formierung eines europäischen Imperialismus und europäischer Monopole zu bekämpfen, indem die Arbeiterklasse selbst eine politische Antwort auf das Problem europäischer Einigung auf allen Ebenen gibt. Das bedeutet den Kampf für eine Verfassungsgebende Versammlung, um die Empörung über den un-demokratischen Charakter der kapitalistischen Einigung zu bündeln, vor allem aber den Kampf für Vereinigte Sozialistische Staaten, die für die Weltrevolution kämpfen.

Die Frage der EU-Verfassung ist eine demokratische Frage. Es geht dabei um die Verfasstheit einer zukünftigen Föderation. Bislang hat die herrschende Klasse das über eine undemokratische oder plebiszitäre Weise zu tun versucht.

Auch alle zukünftigen Versuche der herrschenden Klasse werden einen ähnlichen Charakter haben, ja aufgrund der inneren Gegensätze der nationalen Kapitalistenklassen haben müssen. Die Frage der Verfassung und der Demokratie kann und muss unter diesen Umständen zu einem Mittel der Mobilisierung der Massen gegen die herrschenden Klassen gemacht werden – nicht indem eine „andere“ bürgerliche Verfassung im luftleeren Raum reformistischer Tagträume entworfen wird, sondern indem eine konsequente demokratische Form des Vereinigungsprozesses eingefordert wird – eine Konstituierende Versammlung, von allen EinwohnerInnen der EU wie der Staaten, die einem Vereinigten Europa beitreten wollen, gewählt wird.

Eine solche Losung hat einen revolutionär-demokratischen Charakter, wenn sie als Mittel der Mobilisierung betrachtet wird, als Mittel, die bürgerlich-demokratischen Hoffnungen und Illusionen gegen die Herrschenden zu bündeln.

Keineswegs muss oder soll die Einberufung einer solchen Versammlung als notwendiger Schritt vor einer sozialen Revolution, vor der Machtergreifung der Arbeiterklasse oder gar als die Lösung der Frage verstanden werden, wie ein zukünftiges Europa gestaltet sein soll.

Sie muss vielmehr als Mittel zur Mobilisierung verstanden werden und als demokratische Forderung, die wahrscheinlich erst nach einer sozialen Revolution verwirklicht werden kann (ähnlich wie die Forderung der Konstituante in der russischen Revolution 1917 in der Mobilisierung der Massen lag und nicht darin, dass vor der Machteroberung durch die Sowjets stattgefunden hätte).

Sollte – wieder erwarten – eine Verfassungsgebende Versammlung vor eine sozialen Revolution einberufen werden, so wäre das nur durch den massiven Druck der Massen möglich und eine solche Versammlung der Kampf darum würden automatisch zum Austragungsort des Kampfes zwischen verschiedenen sozialen Perspektiven, jener des Kapitals und jener der Arbeiterklasse werden müssen.

Die fortschrittlichen Potenzen internationaler Produktion können nur in einer zukünftigen, sozialistischen Gesellschaft wirklich realisiert und gemäß den Bedürfnissen der Menschen entwickelt werden. Daher setzen wir der kapitalistischen EU die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa entgegen, die für die Weltrevolution kämpfen.

Wir treten bewusst für ein sozialistisches Europa ein und lehnen die Losung eines „sozialen Europas“ ab. Diese Formel lässt – bestenfalls – offen, welche Klasse in einem solchen Europa herrschen soll. Doch wer das offen lässt, belässt es im Grunde nur dabei, dass jene, die heute herrschen, auch zukünftig herrschen. Das „soziale“ Europa läuft also auf nichts anderes als auf ein sozialdemokratisches, das heißt bürgerliches und imperialistisches Europa hinaus.

Einem solchen Europa können KommunistInnen, können RevolutionärInnen nie ihre Zustimmung geben! Ein solches Europa wäre nur „sozial“ für eine mehr oder weniger große Minderheit der Mittelschichten und besser gestellten ArbeiterInnen, die auf Kosten der Masse der Lohnabhängigen in der EU und den Milliarden auf der Welt einen „Sozialkompromiss“ mit den Herrschenden aushandeln würden. Ein soziales Europa wäre ein sozialchauvinistisches Europa!

Die Formel des „sozialen“ Europa dient aber als Deckmantel für Reformisten und Gewerkschaftsführer, die den europäischen Imperialismus und Kapitalismus nicht in Frage stellen wollen. Statt das imperialistische Europa beim Namen zu nennen und dagegen zu kämpfen, wollen sie es mit sozialer, ökologischer und sonstiger Tünche streichen. Damit wird natürlich kein Kapitalist, kein bürgerlicher Ideologe getäuscht – wohl aber werden die Ausgebeuteten über den Charakter der EU und des Kapitalismus in die Irre geführt.

Ein kapitalistisches Europa ist imperialistisch oder gar nicht. Es kann nicht „sozial“, „ökologisch“, „friedlich“ oder gar „anti-rassistisch“ sein. Ein solches imperialistisches Staatsgebilde kann ebenso wenig wie der deutsche Staat wegreformiert werden. Es muss zerschlagen und durch die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa ersetzt werden.

Diese würden die Voraussetzungen schaffen für eine ausgewogene Reorganisation der europäischen und Weltwirtschaft auf Grundlage demokratischer Planung.

Zentrale Probleme wie die Massenarbeitslosigkeit können nur auf dieser Grundlage wirklich gelöst werden. Nur auf dieser Grundlage wäre auch die Überwindung langjähriger nationaler und rassistischer Unterdrückung möglich. Ein sozialistisches Europa würde z.B. das Selbstbestimmungsrecht der Basken verwirklichen, es würde die Möglichkeiten einer Überwindung des nationalen Haders am Balkan schaffen, indem es einerseits den verschiedenen Nationen ihr Selbstbestimmungsrecht, andererseits die Möglichkeiten eines freiwilligen Zusammenschlusses schaffen würde, ohne dass die Profitinteressen der imperialistischen Kapitale wie der nationalen Bourgeoisien dazwischenkommen.

Dazu muss die Macht des europäischen Imperialismus und des Kapitals durch eine europaweite proletarische Revolution gebrochen und durch die Räteherrschaft der Arbeiterklasse ersetzt werden!

Dem Streben der Bourgeoisie, Europa unter ihrem Diktat zu einen, halten wir die Worte des marxistischen Revolutionärs Leo Trotzki entgegen

In der Person der Opposition (der trotzkistischen Opposition, d. Red.) erklärt die Avantgarde des europäischen Proletariats seinen gegenwärtigen Herrschern: Um Europa zu vereinigen, ist es zu aller erst notwendig, die Macht euren Händen zu entreißen. Wir werden das machen. Wir werden Europa vereinigen. Wir werden es gegen die feindliche kapitalistische Welt vereinigen. Wir werden es in eine machtvollen Exerzierplatz des militanten Sozialismus verwandeln. Wir werden es zu einem Eckpfeiler der Sozialistischen Weltföderation machen.“ (Leon Trotsky: Disarmament and The United States of Europe, October 4, 1929)

Neue, Fünfte Internationale

Eine revolutionäre Perspektive ist unmöglich durchzusetzen, ohne eine revolutionäre, kommunistische Partei.

Eine solche Partei kann jedoch nicht einfach proklamiert werden, noch wird sie durch das lineare Wachstum kleiner kämpfender Propagandagruppen entstehen. Dazu ist es notwendig, aktiv in den Ablösungsprozess einer Vorhutschicht der Arbeiterklasse von der Sozialdemokratie, die wachsende Unzufriedenheit von GewerkschafterInnen und kämpfenden ArbeiterInnen, in die Mobilisierungen der Jugend aktiv einzugreifen. Aktiv eingreifen, heißt dabei vor allem mit einer Perspektive, mit einem Programm, einer Strategie von Übergangsforderungen und einer politischen Taktik zu intervenieren.

Auf ihre Art versuchen die PDS, WASG, KPF, RC, attac, der linke Flügel mancher „traditioneller“ Sozialdemokratie (SPÖ) eine politische Antwort auf dieses „Vakuum“ zu geben und die Radikalisierung der Basis einzufangen und zur Formierung eines „europäischen“ Reformismus zu nutzen.

Einem solchen Projekt loser „Vernetzung“ national-staatlich orientierter Parteien, deren wichtigstes politisches Ziel nach wie vor die Teilnahme an nationalen, bürgerlichen Regierungen ist, stellen wir die Losung einer neuen Internationale entgegen, die sich nicht als Pressuregroup für wiedergekäute, reformistische und sozialchauvinistische Konzepte, sondern als proletarische Kampforganisation gegen Imperialismus und Kapitalismus und für die sozialistische Weltrevolution versteht.

In Deutschland, Frankreich und Britannien bedeutet das, für den Aufbau neuer Arbeiterparteien der Klasse, die nicht Spielball reformistischer Apparate und populistischer Demagogen, sondern Kampfmittel der ArbeiterInnen, der Jugend, der sozialen Bewegungen im Kampf gegen den Kapitalismus sind, einzutreten.

In Ländern wie Italien bedeutet es für den Bruch „linker“ reformistischer Parteien wie RC mit allen Koalitionen mit bürgerlichen Parteien zu kämpfen.

In allen Fällen ist eine solche Taktik dazu da, dass sich RevolutionärInnen in der Aktion, in der politischen Auseinandersetzung mit jenen reformistischen ArbeiterInnen und Jugendlichen zusammenschließen können, die zwar die Notwendigkeit des Kampfes gegen die sozialen und politischen Angriffe, aber noch nicht die Notwendigkeit des Sturzes des Kapitalismus anerkannt haben.

Eine solche Taktik – egal ob die Beteiligung an einer sich neu-formierenden Partei oder die Arbeit in einer bestehenden reformistischen Partei wie RC – muss daher immer mit einem einhergehen: dem offen Kampf für ein revolutionäres Aktionsprogramms.