Arbeiter:innen „RE-WOLT“ gegen Wolt

Minerwa Tahir, Infomail 1226, 21. Juni 2023

English translation: https://arbeiterinnenmacht.de/2023/06/21/workers-re-wolt-against-wolt/

Berlin: Fünfzig Wolt-Beschäftigte und Sympathisant:innen versammelten sich am Montag, den 19. Juni 2023, auf dem Platz vor dem Zentrum Kreuzberg am U Kottbusser Tor, um gegen die Nichtzahlung von Löhnen, den Entzug der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und andere arbeitsrechtliche Bestimmungen zu protestieren. Auf ihrem Transparent stand „Wolt schuldet uns Geld und Rechte“, gefolgt von dem Logo der Protestkampagne „ReWolt“ – eine Anspielung auf den Namen des Unternehmens und das Wort „Revolte“.

Kampagne

Der Protest wurde vom Wolt Workers Collective organisiert, einem Netzwerk von Wolt-Beschäftigten in Berlin, die bereits am 13. April dieses Jahres einen Protest organisiert hatten. Der Protest am Montag war die Fortsetzung einer Reihe von Protesten, die die Arbeit„nehmer“:innen organisieren wollen, bis sie ihre Grundrechte erhalten. Die jüngste Protestbewegung in Berlin begann, als einer Flotte von 120 eingewanderten Arbeiter:innen über mehrere Monate hinweg die Bezahlung verweigert wurde, was sich auf mehrere Tausend Euro an unbezahlten Löhnen belief. Sie waren von Wolt über einen Subunternehmer angeheuert worden, der auf den Namen Ali hört und in Neukölln in der Karl-Marx-Straße ein Geschäft für Handyzubehör namens Mobile World betreibt. Bei der letzten Protestaktion fuhren die Arbeiter:innen mit dem Fahrrad vom U Karl-Marx-Straße zur Wolt-Zentrale in Friedrichshain, wo sie der Wolt-Geschäftsführung eine schriftliche Charta mit ihren Forderungen für die nicht gezahlten Löhne übergeben wollten. Mitglieder der Gruppe Arbeiterinnenmacht waren dort anwesend, und wir wurden Zeu:ginnen, wie die Geschäftsführung sich weigerte, auch nur aus ihren Büros zu kommen, um die Charta mit den Forderungen entgegenzunehmen. Als Muhammad, der Anführer des Protests, versuchte, die Charta in den Briefkasten des Unternehmens zu werfen, wurde ihm gesagt, dass Wolt keinen habe.

Was als Kampagne unbezahlter Arbeiter:innen begann, denen unter dem Vorwand der Ausrede eines Subunternehmers der Lohn verweigert wurde, hat sich nun zu einem kollektiven Kampf entwickelt, an dem auch direkt bei Wolt Angestellte beteiligt sind. Gemeinsam fordern sie die ihnen zustehenden Löhne, Sicherheit am Arbeitsplatz, eine Entschädigung, ein Ende des ausbeuterischen und illegalen Systems der Untervergabe von Aufträgen sowie bezahlten Urlaub im Krankheitsfall und andere Rechte. Um ihrer Stimme Gehör zu verschaffen, organisierten sie am Montag eine Protestveranstaltung, bei der eine Reihe von Arbeit¡nehmer“:innen sowie ihre Freund:innen und Sympathisant:innen gegen die Ungerechtigkeiten sprachen, denen sie ausgesetzt sind.

Arbeiter:innen klagen an

„Ich bin ein Student mit Migrationshintergrund und kämpfe darum, hier in Deutschland mit meiner Familie leben zu können“, sagte Muhammad, der Anführer des Protests. „Meine Frau und ich arbeiten in Gelegenheitsjobs, um über die Runden zu kommen. Wolt hat mir drei Monate meines Lohns gestohlen. Und ich bin nicht allein. Wir sind viele Student:innen mit Migrationshintergrund, die sich in der gleichen Situation befinden und von diesem Unternehmen ausgebeutet werden. Weil wir Migrant:innen sind, haben viele Studierende sogar Angst zu protestieren. Ich war achtmal persönlich in der Wolt-Filiale, um meinen Lohn einzufordern. Der Geschäftsführer, den alle nur als Ali von der Mobile World GmbH kennen, weigerte sich jedoch immer wieder und sagte schließlich, dass er von Wolt nicht dafür bezahlt wurde, unseren Lohn zu zahlen. Wenn wir Aufträge pünktlich und mit ehrlichem Einsatz ausgeliefert haben, ist das Mindeste, was wir verdienen, dass wir bezahlt werden! Jede Arbeit hat ihre Würde. Es ist ein Verbrechen, dass Menschen in diesem reichen Land leben und Hungerlöhne erhalten.“

Seine Kollegin Shiwani Sharma, die ebenfalls ihren Lohn nicht erhalten hat, sprach über die Härten, denen diese Arbeiter:innen infolge des Lohndiebstahls ausgesetzt sind. „Ich bin Studentin an einer privaten Universität in Berlin und es ist schon sehr schwierig, mit den Herausforderungen der hohen Miete und Studiengebühren fertigzuwerden“, sagte sie. „Ich bin im Dezember bei Wolt als Fahrerin eingestiegen. Es war eiskalt, aber wir gingen von Tür zu Tür, um die Kund:innen mit Essen zu versorgen. An manchen Tagen hatten wir starke Schmerzen in den Händen, weil das Wetter so kalt war. Die ganze Zeit über saß die Geschäftsführung von Wolt in ihren gut geheizten Büros. Dank unserer harten Arbeit bekommen sie das Geld, um ihre Büros zu heizen, aber dann nehmen sie uns auch noch unseren mageren Lohn ab. Wir verdienen es, bezahlt zu werden! Und wir verdienen zumindest einen Mindestlohn pro Stunde statt der Bezahlung pro Auftrag. Dieses System der auftragsbezogenen Bezahlung muss abgeschafft werden!“

Ein anderer Fahrer indischer Herkunft, Abhay, beschrieb seine Erfahrungen mit Wolt als Achterbahnfahrt. Ihm zufolge arbeiteten diese Arbeiter:innen in den eisigen Monaten Dezember und Januar acht bis zehn Stunden, weil sie dachten, sie würden bezahlt, um ihre Universitätsgebühren und andere Ausgaben bestreiten zu können. „Was bekomme ich nach dieser Arbeit? Wolt hat sich geweigert, mich zu bezahlen. Ich dachte, sie würden mich im nächsten Monat bezahlen. Aber ich habe für November, Dezember und Januar kein Geld bekommen. Die Personalabteilung von Wolt hat sogar schon geleugnet, dass wir ihre Beschäftigten sind. Wir haben alles, um zu beweisen, dass wir für Wolt gearbeitet haben. Wir wollen bezahlt werden.“

Janno, ein Freund der Arbeiter:innen von der Kampagne Welcome United, sagte, dass illegale Geschäftspraktiken wie Lohndiebstahl gestoppt werden müssen. „Viele der Lieferdienste verletzen täglich grundlegende Rechte und Gesetze auf dem Rücken ihrer Fahrer:innen“, sagte er. „Das ist kein Zufall, kein Ausrutscher. Es ist ihr Geschäftsmodell.“

Lieferfahrer:innen von Gorillas, Lieferando und anderen Unternehmen dieser Art waren ebenfalls anwesend, um ihre Argumente gegen prekäre Arbeit vorzubringen. Joey vom Workers Centre, der auch ein Gorillas-Fahrer ist, sprach über die Notlage von Arbeitsmigrant:innen in der deutschen Gig-Economy und stellte sie in den größeren europäischen Kontext des strukturellen Rassismus. Sie verurteilten die Untätigkeit der griechischen Behörden und die europäische Gleichgültigkeit im Allgemeinen gegenüber den pakistanischen, syrischen und anderen Opfern des jüngsten Ertrinkens der Insass:innen eines überfüllten Bootes im Mittelmeer.

Zum Abschluss führte das Theater X einen theatralischen Sketch über die Notlage der betroffenen Zusteller:innen auf.

Kapitalismus und Überausbeutung

Die Krise der Lebenshaltungskosten in Deutschland wird schon jetzt von Tag zu Tag unerträglicher. Schon jetzt ist es für uns Beschäftigte so schwer, mit dem Mindestlohn über die Runden zu kommen. Den Beschäftigten im prekären Sektor wird nun sogar dieser Lohn vorenthalten. Es ist absolut beschämend, dass diese Praxis des Lohndiebstahls in einem so genannten demokratischen Staat wie Deutschland stattfinden kann. Aber es zeigt auch, dass der Staat immer die Interessen der Kapitalist:innenklasse vertritt.

Und deshalb müssen wir uns als Arbeiter:innen zusammenschließen und die Gewerkschaften zu kollektiven Kampforganisationen machen, die uns vertreten, aber wir brauchen auch eine Arbeiter:innenpartei, die uns und unsere Interessen in Wirklichkeit vertritt.

Unser Genosse Martin hielt auf der Demonstration eine bewegende Rede. Er sagte, er sei Mitglied der IG Metall (der größten Industriegewerkschaft in Deutschland und Europa), und auch wenn seine Gewerkschaft einer anderen Branche angehöre, sei es wichtig, dass wir uns als gemeinsam kämpfend verstehen.

„Das ist etwas, was die Gewerkschaften in Deutschland gar nicht oder nicht ausreichend tun. Das ist etwas, was wir in den nächsten Jahren gemeinsam ändern müssen. Euer Ringen, euer Mut, euer Kampf gegen Outsourcing, gegen Leiharbeit, gegen Lohnraub zeigt nicht nur, welche Maßnahmen Wolt und andere kriminelle Kapitalist:innen ergreifen, um ihre Gewinne zu sichern. Es zeigt auch, dass ihr keine Opfer seid und ihr euch wehren könnt, und ihr habt bewiesen, dass ihr euch organisieren könnt und wir uns organisieren können. Deshalb ist es wichtig, dass wir Solidarität und einen gemeinsamen Kampf mit den Gewerkschaften im gleichen Sektor wie der NGG, ver.di und allen anderen fordern, denn der Kampf, den ihr führt, ist nicht nur für euch wichtig, er wird auch für die gesamte Arbeiter:innenklasse wichtig sein. Je mehr sich der prekäre Sektor ausweitet, desto mehr werden die Löhne überall gedrückt! Deshalb ist es nicht nur eine Frage der Solidarität, sondern auch eine Frage des Eigeninteresses aller Arbeiter:innen, diesen Kampf zu unterstützen. Wir müssen unabhängig vom Wetter Lebensmittel kaufen und Miete zahlen, und deshalb müssen wir das System in Frage stellen, das hinter dem Diebstahl eines Lohns steckt, der selbst für die Deckung der Grundbedürfnisse nicht ausreicht. Hunderte Millionen von Migrant:innen, Frauen und die am stärksten benachteiligten und unterdrückten Teile der Arbeiter:innenklasse werden durch die Ausweitung der Gig-Economy in diese Bedingungen getrieben. Wenn wir ein Ende dieses Systems wollen, müssen wir auch das Recht auf die Gewinne in Frage stellen, die Lieferando, Wolt, Flink und all die anderen für sich selbst erzielen. Wenn sie nicht bereit sind, die Löhne pünktlich zu zahlen, wenn sie nicht bereit sind, Löhne zu zahlen, die zum Leben reichen, dann sollten diese Unternehmen entschädigungslos enteignet werden! Wir müssen aus einem System, das auf Ausbeutung, Rassismus, Krieg und Unterdrückung fußt, Geschichte machen!“

Es ist nicht das erste Mal, dass die Frage der Enteignung in Berlin auf die Straße gebracht wird. Im Jahr 2021 war das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ erfolgreich, auch wenn der Gesetzgeber den Willen der Berliner Bevölkerung, die angesichts der Wohnungs- und Mietkrise für die Enteignung der Immobiliengesellschaft Deutsche Wohnen und anderer gestimmt hat, nicht umgesetzt hat. „Wir sind nicht länger bereit, mit unseren überhöhten Mieten die Gewinne der Aktionär:innen zu finanzieren“, heißt es auf deren Website. Die Profite der Unternehmen, die von den Privilegien der Kapitalist:innenklasse durch prekäre Gig-Arbeit profitieren, werden nun zunehmend in Frage gestellt. Auch einige deutsche Schüler:innen waren zu der Demonstration gekommen, um ihre Solidarität mit den unbezahlten eingewanderten Arbeiter:innen zu bekunden. „Die Tatsache, dass das Management nicht bereit ist, euch zu bezahlen, ist eine Frechheit“, sagte Kai, der auch Mitglied der kommunistischen Jugendgruppe Revolution ist. „Als Jugendliche, die sich für unsere Zukunft interessieren, sehen wir die Notwendigkeit, uns mit eurem aktuellen Kampf und mit dem Kampf der ganzen Welt zu vereinen. Heute sind wir Student:innen oder Auszubildende und eines Tages werden wir Arbeiter:innen sein. Euer Kampf jetzt ist auch ein Kampf für unsere Zukunft. Auch wir werden von demselben System unterdrückt, das euch unterdrückt.“ Als er seine Rede beendete, rief die Menge unisono: „Student:innen und Arbeiter:innen, vereinigt euch und kämpft!“

Eine Solidaritätsbotschaft des Sprechers der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) lautete: „Ich drücke meine Solidarität mit eurem Kampf aus. Als jahrzehntelang aktiver Gewerkschafter muss ich sagen, dass es eine Schande ist, dass die Nichtbezahlung von Arbeit„nehmer“:innen in diesem Land wieder möglich ist. Dass das Mindestrecht der Lohnarbeit, dass der Lohn gezahlt wird, nicht respektiert wird! Die Gewerkschaften des DGB, die Parteien, die für sich in Anspruch nehmen, die arbeitenden Menschen zu vertreten, SPD und Linkspartei, müssen dafür kritisiert werden, dass sie die Gesetze für Leiharbeit und Plattformökonomie zulassen, die die Rechte der Arbeiter:innen ausgehöhlt haben. Es ist ihre Pflicht, für die Wiederherstellung dieser Rechte und für die Verteidigung der betroffenen Beschäftigten zu kämpfen.“

Positiv war, dass Ferat Koçak von der Partei DIE LINKE Neukölln unserem Aufruf zur Solidarität gefolgt ist. Da Ferat terminlich verhindert war, bekundete an seiner Stelle Genosse Daniel seine Solidarität. Wir rufen alle linken Kräfte und Gewerkschaften auf, gleichermaßen zu reagieren und diese Bewegung als aktiven Kampf mit aufzubauen. Schließlich liegt es im Eigeninteresse aller Lohnabhängigen, die Ausweitung prekärer Arbeit zu verhindern und gemeinsam für die Durchsetzung von Mindestlöhnen und anderen grundlegenden Arbeitsrechten für alle zu kämpfen! Deshalb rufen wir in einem ersten Schritt alle auf, am 27. Juli zur Gerichtsverhandlung zu erscheinen, damit auch die Gerichte wissen, dass wir zusammenstehen.

Hoch die Internationale Solidarität!




Workers „RE-WOLT“ against Wolt

Minerwa Tahir, Infomail 1226, 21. Juni 2023

Deutsche Übersetzung: https://arbeiterinnenmacht.de/2023/06/21/arbeiterinnen-re-wolt-gegen-wolt/

Berlin: Fifty Wolt workers and sympathisers took to the square in fron of Zentrum Kreuzberg at U Kottbusser Tor on Monday, 19th June 2023, to protest against non-payment of wages, deprivation from paid sickness leave and other labour law provisions. Their banner read “Wolt owes us money and rights” followed by the logo of the protest campaign, called “ReWolt” – a play on the company’s name and the word “revolt”.

The protest was organised by the Wolt Workers Collective, which is a network of Wolt workers in Berlin who had earlier organised a protest on April 13 this year. Monday’s protest was a continuation of the series of protests that workers have planned to organise until they are given their basic rights. The recent protest movement in Berlin began when a fleet of 120 migrant workers were denied payment for several months, amounting to several thousands of euros in unpaid wages. They had been hired by Wolt through a subcontractor who goes by the name Ali and runs a mobile phone accessories shop in Neukölln on Karl Marx Straße by the name Mobile World. At the last protest, workers cycled their way from U Karl Marx Straße to the Wolt headquarters in Friedrichshain where they had intended to deliver a written charter of their demands for the unpaid wages to Wolt management. Members of Gruppe Arbeiterinnenmacht were present there and we witnessed how management refused to even come out of their offices and receive the charter of demands. When Muhammad, the leader of the protest, tried to put the charter in the mailbox of the enterprise, he was told that Wolt did not have a mailbox.

What began as a campaign of unpaid employees being denied wages under the farce of a subcontractor excuse has now evolved and grown into a collective struggle that also involves directly hired employees of Wolt. Together, these workers demand their rightful payment of wages, occupational safety, workers‘ compensation, an end to the super-exploitative and illegal subcontracting system, and paid sickness leave among other rights. To make their voice heard, they organised a protest on Monday, where a number of workers and their friends and sympathisers spoke against the injustices they have been facing.

Workers accuse

“I am a migrant student and struggle to live here in Germany with my family,” said Muhammad, the leader of the protest. “My wife and I work odd jobs to make ends meet. Wolt has stolen three months of my wages. And I am not alone. We are many migrant students facing the same situation at the hands of this company. Because we are migrants, many students are even afraid of protesting. I went to the Wolt store in person eight times to claim my wages. However, the manager, whom everyone only knows as Ali from Mobile World GmbH, repeatedly refused and finally said that he has not been paid by Wolt to pay our wages. When we have delivered orders on time and with honest dedication, the least we deserve is to be paid! All labour has dignity. It is a crime for people to live in this rich nation and receive starving wages.”

His colleague, Shiwani Sharma, who has also not been paid her wages, spoke about the hardships these workers have been facing as a result of the wage theft. “I am a student in a private university in Berlin and it is already very difficult to cope with the challenges of high rent and high tuition fees,” she said. “I joined Wolt as a rider in the month of December. It was freezing cold weather but we would go door to door to deliver food to customers. On some days, we would get severe pain in our hands because the weather was so cold. All the while, the Wolt management sat in their comfortably heated offices. They get the money to heat their offices due to our hard work but then they deprive us of even our meagre wages. We deserve to be paid! And we deserve at least a minimum wage per hour instead of the per order payments. This per order payment system must be abolished!”

Another rider of Indian background, Abhay, described his experience with Wolt as a roller coaster ride. According to him, these workers worked eight to ten hours in the freezing months of December and January, thinking that they might be paid to be able to afford their university fees and other expenses. “What do I get after this work? Wolt denied to pay me. I thought they will pay me next month. But I have not been paid for November, December and January. The HR department of Wolt has even denied before that we are their workers. We have everything to prove that we worked for Wolt. We want to be paid.”

Janno, a friend of the workers from the Welcome United campaign, said that illegal business practices such as wage theft must be stopped. “Many of the delivery services violate basic rights and laws on the backs of their riders on a daily basis,” he said. “It’s not a coincidence. It’s not an accident. It’s their business model.”

Delivery riders from Gorillas, Lieferando, and other such companies were also present to make their case regarding precarious work. Joey from Workers Centre, who is also a Gorillas rider, spoke about the plight of migrant workers in Germany’s gig economy and situated it in the larger European context of structural racism. They condemned Greek authorities’ inaction and European apathy in general towards the Pakistani, Syrian and other victims of the recent drowning of an overcrowded boat in the Mediterranean.

At the end, Theater X performed a theatrical sketch on the plight of affected delivery workers.

Capitalism and superexploitation

Germany’s cost of living crisis is already becoming more and more unbearable with each passing day. It is already so difficult for us workers to make ends meet even on minimum wage. Workers employed in the precarious sector are now deprived of even that wage. It is absolutely shameful that this practice of wage theft can happen in a so-called democratic state like Germany. But what it also shows is that the state is always representative of the interests of the capitalist class. And that is why we as workers have to unite ourselves and make the trade unions collective fighting organisations that represents us but also that we need a workers’ party that in reality represents us and our interests.

Our comrade, Martin, gave a moving speech at the protest. He said he was a member of IG Metall (the largest industrial union in Germany and Europe), and even though his union belongs to a different trade, it is important that we see ourselves as waging a struggle together. “This is something that the trade unions in Germany do not do at all or do not do sufficiently. This is something that we need to change in the next years together. Your struggle, your courage, your fight against outsourcing, against subcontracting, against the robbing of your wages shows not only what kind of measures Wolt and other criminal capitalists are undertaking in order to secure their profits. It also shows that you are not victims and you can fight back and you have proven that you can organise and that we can organise ourselves. Therefore, it is important that we demand solidarity and a common struggle with the trade unions in the same sector like the NGG, Ver.di and all others because the struggle you wage is not only important for you, it will also be important for the whole working class. The more the precarious sector expands, the more it will undercut wages everywhere! This is why it is not just a question of solidarity but rather a question of self-interest of every worker to support this struggle. We have to buy food and pay rent irrespective of the weather and that is why we have to question the system that is behind stealing of a wage that is itself insufficient to pay for basic needs. Hundreds of millions of migrant workers, women and the most disadvantaged and oppressed sections of the working class are driven into these conditions by the expansion of gig economy. If we want an end to this system, we also have to question the right to the profits which Lieferando, Wolt, Flink and all the others are making for themselves. If they are not prepared to pay the wages on time, if they are not prepared to pay wages sufficient for a living, then those companies should be expropriated without compensation! We need to make history out of a system which stands on exploitation, on racism, on war and oppression!”

This is not the first time that the question of expropriation has been raised in the streets of Berlin. In 2021, the Deutsche Wohnen Enteignen (Expropriate Deutsche Wohnen) referendum was successful, even if lawmakers have failed to act on the will of the Berlin population who voted in favour of expropriating the real estate company, Deutsche Wohnen, in light of the housing and rent crisis. “We are no longer willing to finance the profits of the shareholders with our excessive rents!” reads their website. Profits of companies enjoying the privileges offered to the capitalist class through precarious gig work are now increasingly coming under question. Some German school students had also come to the protest to express solidarity with the unpaid migrant workers. “The fact that the management is not willing to pay you is an insolence,” said Kai, who is also a member of communist youth group Revolution. “As youth interested in our future, we see the necessity to unite with your current struggle and with the struggle of all around the world. We are students or trainees today and we will be workers one day. Your struggle now is also a struggle for our future. We are also being oppressed by the same system that oppresses you.” As he ended his speech, the crowd shouted in unison, “Students and workers, unite and fight!”

A solidarity message received from the speaker of the Vernetzung für kämpfersiche Gewerkschaften read: “I express my solidarity with your struggle. As an active trade unionist for many decades, I have to say that it is a shame that the non-payment of workers is possible again in this country. That the minimum right of wage-labour, that the wage is paid, is not respected! The trade unions of the DGB, the parties that claim to represent the working people, SPD and the Left Party, have to be criticised for allowing the laws for temporary work and platform economy that have eroded workers’ rights. It’s their duty to fight for re-establishment of these rights and for the defence of the workers concerned.”

It was positive that Ferat Kocak of Die Linke Neukölln responded to our call for solidarity and sent Comrade Daniel in his stead to express solidarity with the workers. We call upon all left forces and trade unions to respond alike and help build this movement as an active struggle. After all, it is in the self-interest of all workers to prevent the expansion of precarious work and to collectively fight for the application of minimum wage and other basic labour rights on all! Therefore, as a first step, we call on everyone to come to the court hearing on 27 July, so that the courts also know that we stand together.

Hoch die Internationale Solidarität!




Wir sind alle linx: Rechte und staatliche Gewalt gemeinsam stoppen!

Jaqueline Katherina Singh, Infomail 1224, 5. Juni 2023

Am Mittwoch, dem 31. Mai, wurde die Antifaschistin Lina E. zu mehr als 5 Jahren Haft verurteilt. Weitere Angeklagte erhielten mehrjährige Haftstrafen. Das Urteil ist ein Hohn, der Prozess ein politischer Schauprozess. Er soll mahnen und zeigen, wer hier die Oberhand hat und was passiert, wenn man sich gegen die politische Rechte in Deutschland wehrt. Ähnlich rabiat wurde mit den Solidaritätsprotesten verfahren: Die Versammlungsfreiheit wurde einfach mal so eingeschränkt. Hunderte wurden gekesselt und werden nun des schweren Landfriedensbruchs beschuldigt. Handys wurden eingesackt und obendrauf gab’s noch Polizeigewalt und Repression, die nicht für alle kostenlos sein wird.

Die Frage der Selbstjustiz

Unter dem Hashtag #LinaE wurde tausendfach getwittert. Ganz vorne mit dabei: Liberale und Bürgerliche wie Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP, die uns erklären wollen, dass rechte Gewalt ja schlimm ist, die „Selbstjustiz“ von Lina aber gar nicht gehe. Und da sind dann eben solche Urteile gerecht. Dass die Verurteilung wesentlich auf der sog. „Kronzeugenregelung“ basiert, die weniger der „Wahrheitsfindung“ dient, wohl aber Denunziation durch Interessen geleitete und zweifelhafte Aussagen fördert, findet keine Erwähnung. Dass bei der Indizienlage das Prinzip „Im Zweifel für die Angeklagte“ keine große Rolle gespielt hat, wird halt unter den Tisch gekehrt. Im Verfahren reicht es mitunter, eine „weibliche“ Stimme zu haben, um als Täterin identifiziert zu werden.

Doch darüber hinaus stößt etwas auf. Man möchte in die unendlichen Weiten des Internets schreien, dass es alle Buchstaben durcheinanderwirbelt: Wer von Selbstjustiz gegen Faschist:innen redet, aber von rechter Gewalt sowie dem Unwillen des deutschen Staates, diese zu verurteilen, schweigt, sollte einfach mal die Fresse halten.

Was geschah, als der NSU mehr als 10 Menschen ermordet hat? Was war, als vor 2 Jahren der Faschist einen Journalisten angegriffen hat? Was passierte in Hanau? Das war rechte Selbstjustiz und der Spruch im Kopf hallt: „Wo, wo, wo wart ihr in Rostock? Wo, wo, wo wart ihr in Hanau?“

Wer also über Linas Selbstjustiz redet, aber sonst über rechte Gewalt schweigt, der macht klar, dass migrantische Leben weniger wert sind. Macht klar, dass die Wohnungslosen, die angezündet wurden, halt einfach Kollateralschäden sind. Wer glaubt, dass „linke“ Gewalt schlimmer ist als rechte, legitimiert Gewalt und Tod von uns, die wir nicht ins Weltbild der Faschist:innen passen. Und es ist auch irgendwo klar, warum gegen Lina E. gehetzt wird. Denn wer sich gegen rassistische Gewalt wehrt, wehrt sich irgendwann auch gegen die, die der bürgerliche Staat tagtäglich in Form von Abschiebungen, Arbeitsverboten, Racial Profiling und Armut ausübt. Und wo würden wir da nur hinkommen, wenn man aufhören würde, in Hufeisenform zu denken? Man würde sehr schnell zur Erkenntnis gelangen, dass der bürgerliche Staat schlichtweg wenig Interesse hat, rassistische Morde und rechte Gewalt zu bekämpfen – weil er selber Rassismus reproduziert.

Antifa ist Handarbeit: Was braucht es?

Nein, die Perspektive sollte nicht sein, dass wir alle in den Baumarkt rennen und Hämmer kaufen. Sie kann auch nicht darin bestehen, dass für jede weitere Haftstrafe, die im Zusammenhang mit den Tag-X-Protesten verhängt wird, noch mehr Sachschäden verursacht werden. Das hilft nicht gegen die rechte Gewalt und auch nicht gegenüber der Ohnmacht, die viele von uns erleben. Die Wut in Bahnen lenken, heißt, sich aktiv Gedanken zu machen, wie wir eine gesamtgesellschaftliche, eine Klassenperspektive aufwerfen können gegenüber Faschist:innen und staatlicher Gewalt.

Wenn wir schlagkräftig auftreten wollen, dann reicht es nicht nur, wenn diejenigen stellvertretend handeln, die sportlich, kräftig und mutig genug sind, Rechte in ihre Schranken zu weisen. Unsere Aufgabe muss es sein, demokratisch organisierte Selbstverteidigungskomitees aufzubauen, die flächendeckend agieren können. Das ist nur möglich, wenn es mit Rückhalt von breiteren Teilen der Bevölkerung – und das heißt vor allem der Lohnarbeiter:innen – passiert. Denn Einzelaktivist:innen, die machen natürlich einen Unterschied, können aber auf Dauer kein gesellschaftliches Kräftemessen gewinnen. Denn man muss ja nicht nur gegen Rechte, sondern auch gegen den bürgerlichen Staat kämpfen. Und vor allem heißt Antifaschismus und -rassismus, die Ursachen zu bekämpfen, die sie immer wieder hervorbringen.

Deswegen müssen wir uns fragen: Wie kommen wir aus der Situation der Schwäche, wo rechte Positionen spätestens seit 2015 salonfähig sind, heraus? Wie können wir die Debatte umdrehen und aus der Defensive kommen?

Perspektive: 2 Kampagnen, ein Weg

Die Kunst liegt darin, Forderungen aufzustellen, die eine/n aus der Defensive bringen und gleichzeitig unterschiedliche Kämpfe miteinander verbinden. Das bedeutet leider auch, dass man sich anschauen muss, was die aktuelle politische Lage prägt. Ich hätte gerne eine Kampagne für offene Grenzen, Staatsbürger:innenrechte für alle und Selbstverteidigungskomitees, weil dies schon mehr als notwendig ist, als es 2014/2015 war, als die Proteste gegen die Festung Europa und gegen die AfD noch Zehntausende auf die Straße gebracht haben, aber in Chemnitz Menschen von Faschist:innen gejagt wurden. Ich hätte sie gerne, denn ich bin mit den Schulstreiks gegen Rassismus politisiert worden, die in Solidarität mit den Geflüchteten des Oranienplatzes in Berlin oder der Gerhart-Hauptmann-Schule stattfanden. Doch die politische Lage ist vom Rechtsruck geprägt, aber nicht nur durch die zunehmende rechte Gewalt oder innere Militarisierung, sondern die Inflation und den Krieg. Aber was heißt das in der Praxis?

1. Kampf gegen Krise ist ein Kampf für uns alle

Entgegen manch populistischer Ansichten muss, ja darf man Antirassismus nicht aussparen oder gar explizit chauvinistische Hetze betreiben, um Leute für eine Bewegung zu begeistern. Für höhere Löhne, gegen Aufrüstung und Waffenlieferungen – all das geht, ohne bei der AfD fischen gehen zu müssen. Auf der anderen Seite darf man aber auch keine Angst haben und erst gar nicht zu Aktionen gehen, weil ja Rechte da sein könnten. Rechtspopulist:innen und Faschist:innen kann man aus Demos schmeißen und damit klar Stellung beziehen.

Darüber hinaus müssen wir beim Aufbau einer Antikriegs- und -krisenbewegung klar Stellung beziehen: Offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte sollten nicht nur für ukrainische Geflüchtete gelten, sondern für alle, die fliehen müssen. Sei es, weil Kriege Länder verwüsten oder die Inflation die Preise so hoch schießen lässt, dass man sich nichts mehr zu essen kaufen kann, oder seien es andere Gründe zu fliehen. Wir ziehen keine Trennlinie. Auch nicht im Kampf dafür, dass Löhne an die Inflation angepasst werden sollten. Bei Streiks oder sonstigen Protesten gegen die Inflation müssen wir dafür eintreten, dass Geflüchtete in die Gewerkschaft eintreten können, von unseren Kämpfen profitieren – und auch als Aktivist:innen eingebunden werden können. Nur wenn wir so gemeinsame Kämpfe schaffen mit den Beschäftigten, Aktivist:innen und Geflüchteten können wir existierende Vorurteile abbauen. Dabei machen es Klimaaktivist:innen vor, die zu den Beschäftigten in Betriebe gehen und das Gespräch suchen. Denn im Rahmen von solchen Bewegungen können Vollversammlungen an Schulen, Unis und in Betrieben stattfinden, wo wir in Debatten gemeinsam Verbindungen eingehen können.

Darüber hinaus muss die Linke in Deutschland sich einer weiteren Frage annehmen:

2. Gemeinsamer Kampf für demokratische Rechte

Was haben die Letzte Generation, Lina E. und die Palästinaproteste gemeinsam? Sie alle sind einer medialen Hetzkampagne sowie staatlicher Repression ausgesetzt worden. Die sonst so hochgelobten demokratischen Grundrechte wurden eingeschränkt. Man möchte fragen: Und das ist die angebliche Freiheit des Westens, die in Kiew verteidigt wird? Die Freiheit, die Klimaaktivist:innen in Präventivhaft schickt und in der Münchner Innenstadt das Mitführen von Sekundenklebern verbietet? Die Freiheit, die Antifaschist:innen zu 5 Jahren verurteilt, während Mithelfer:innen beim NSU, die mehrere Menschen ermordet haben, weniger bekommen haben? Die Freiheit, die einfach mal Tausend Menschen für rund 11 Stunden kesselt und versucht, politische Äußerungen zu unterbinden?

Da wird klar: Tolle Freiheit, aber definitiv nicht unsere. Denn ob beim Kampf gegen Umweltzerstörung, Faschismus oder die Interessen des deutschen Imperialismus: Sobald die eigene Ansicht nicht mehr deckungsgleich mit der des bürgerlichen Staats ist, kann es für Aktvist:innen unbequem werden. Das bedeutet für die Praxis: Die Verteidigung demokratischer Grundrechte wie das Demonstrations- und Versammlungsrecht – oder im Falle der EVG das zu streiken – wird in Zukunft eine größere und bedeutendere Rolle einnehmen. Und das heißt eben auch, dass man zwar auf Gerichtsurteile warten kann – aber viel Hoffnung sollte nicht reingesteckt werden, sondern vielmehr in den Willen, dass es auch Momente gibt, in denen sich Organisationen zusammenschließen und absprechen müssen, um gewisse Grundrechte praktisch durchzusetzen.

Organisation statt Einzelkampf

Antifaschismus, Antirassismus und Antikapitalismus können nur erfolgreich sein, wenn sie Hand in Hand gehen. Das heißt: Einzelkampagnen sind sinnvoll, um zu versuchen mehr Menschen zu erreichen und die Kräfte für ein Ziel zu bündeln, aber letzten Endes braucht es eine Organisation, die nicht nur unterschiedliche Kampagnen organisiert und dadurch miteinander verbindet, dass man Kampagne X bei Kampagne Y vorstellt und sich dann dafür feiert. Doof in Zeiten der Krise der Linkspartei und der radikalen Linken. Viele, die in den letzten Jahren aktiv gewesen sind, haben eher das Gefühl bekommen, dass alles wegbricht (weil auch alles ein bisschen eingebrochen ist). Statt also zu sagen, dass es weitergehen muss wie bisher (vielleicht mit ein bisschen mehr Methoden wie Mapping oder mit weniger Inhalt, um sich nicht noch mehr zu streiten), braucht es innerhalb der Linken eine politische und inhaltliche Diskussion darüber, was revolutionäre Klassenpolitik, revolutionäres Programm, revolutionäre Organisation heute bedeuten und wie wir sie konzipieren und aufbauen können. Es braucht, Mut neue Wege auszuprobieren, anstatt alte Fehler zu wiederholen. Ansonsten fehlt die Kraft, obige Bewegungen zu schaffen und mehr Teile der Bevölkerung anzusprechen.  Denn sowas fällt nicht vom Himmel oder passiert zur „richtigen Zeit“ von alleine, sondern wird auch durch Organisationen vorangetrieben und aufgebaut. Passiert das nicht, bleiben Wut und Ohnmacht zurück – und ein Staat, der voranschreitet, seine Meinung durchzusetzen, sowie eine Rechte, die immer aggressiver wird. Also lasst uns gemeinsam vorwärtsgehen!




Für ein sozialistisches und demokratisches Palästina!

Arbeiter:innenmacht-Rede, Infomail 1223, 23. Mai 2023

In Berlin wurden in den letzten Wochen alle Veranstaltungen in Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf von der Versammlungsbehörde und den Gerichten verboten oder, wie am 20. Mai, von der Polizei aufgelöst. Unsere Rede konnte daher an diesem Tag nicht vollständig gehalten werden. Wir veröffentlichen sie hier im Wortlaut.

Liebe Genossinnen und Genossen!

Ich stehe hier vor euch als eine kurdische Frau, die den Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit, gegen Unterdrückung, Vertreibung, Landraub und Besetzung genauso kennt, wie ihr.

Uns trennen vielleicht tausende Kilometer, aber egal ob in Rojava oder in Palästina, wir als Kommunist:innen verstehen den Kampf um Freiheit als einen Kampf um die grundlegenden Rechte eines jeden Menschen auf ein Leben in Würde, ein Leben in Freiheit, ein Leben ohne Herrschaft und Unterdrückung.

Und auch wenn wir heute hier sind, um der Vertreibung und Ermordung von Millionen Palästinenser:innen zu gedenken, sind wir vor allem hier, um den Widerstand nicht nur in unseren Herzen weiter aufrecht zu erhalten, sondern um uns die Straßen wieder zurück zu holen. 75 Jahre Nakba heißt 75 Jahre Vertreibung, Mord und Unterdrückung. Im palästinensischen Gedächtnis ist das Jahr 1948 das Jahr der Katastrophe, in welchem innerhalb eines Jahres mehr als 750.000 Palästinenser:innen aus ihrer Heimat entwurzelt und in die Flucht getrieben wurden. Dabei sollte nicht vergessen werden, die Nakba war eine geplante, systematische ethnische Säuberung Palästinas, die nach der UN Teilungsresolution im November 1947 begann und ihren Höhepunkt in den Monaten vor der Staatsgründung Israels hatte. Die Motive für die ethnische Säuberung sind dabei klar, ein jüdischer Staat in welchem Palästinenser:innen nicht wie historisch gesehen in der Mehrheit sondern in der Minderheit oder gar nicht vorhanden sind. Ziel war es, dass ganze Mandatsgebiet Palästinas zum Staat Israel zu machen. Die Massaker, welche in der Nakba an der arabischen Bevölkerung verübt wurden, waren und sind bis heute Staatsräson Israels und laut Aussagen von Politiker:innen wie Menachem Begin, hatten all die Massaker von Deir Yassin bis zur Staatsgründung Israels seine Berechtigung. Ich frage mich: Wie können die Massaker an der einheimischen Bevölkerung je eine Berechtigung haben, und welcher Staat wurde auf diesem blutigen Boden gegründet? Die Auswirkungen dieser Vertreibung sind immens: Etwa die Hälfte der Palästinenser:innen, fast 6 Millionen Menschen, lebt heute in der Diaspora – mehr als 50 % der gesamten palästinensischen Bevölkerung sind Geflüchtete. Und dieser Zustand hat sich bis heute nicht verbessert. Alleine diese Woche sind mehr als 13 Menschen in Gaza ermordet worden, damit sind seit Jahresbeginn mehr als 110 Menschen ums Leben gekommen. Das heißt, dass alle 3-4 Tage ein Mensch in Palästina ums Leben kommt.

Aktuell scheint die Lage in Israel und Palästina zu eskalieren. Zehntausende Israelis gingen gegen die Angriffe der israelischen Regierung gegen die vermeidliche demokratische Verfassung des Landes auf die Straße! Auch wenn bestimmt einige mutige Menschen unter den Demonstrierenden sind, so finden wir Heuchelei und Doppelmoral in ihrer Bezeichnung von „Demokratie“. Denn gegen die Massaker in Dschenin gingen nur einige Hundert auf die Straßen.

Menschen in Israel versuchen eine „Demokratie“ zu retten, die es nie gab! Denn es sind 75 Jahre andauernde, militärische Besatzung, welche die Grundsätze von Demokratie und Freiheit mit Füßen tritt und nie auch nur ein bisschen geachtet hat. Dass die Wut, die Reaktionen und auch der bewaffnete Widerstand der Palästinenser:innen gegen dieses systematische Morden und Vertreiben nicht gleich zu setzen ist mit dem was der israelische Staat verübt, ist für uns eindeutig. Denn die Gewalt der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker:innen kann in keiner Weise mit der Barbarei der militärischen und zivilen Besatzungstruppen gleichgesetzt werden. Und revolutionäre Kommunist:innen müssen im Kampf gegen den rassistischen, israelischen Siedler:innenkolonialstaat an der Seite der palästinensischen Widerstandsbewegung und der arbeitenden Massen stehen, während sie gleichzeitig die Ideologie, Strategie und Taktik der Führung der Bewegung schonungslos kritisieren müssen. Denn egal ob in Gaza unter einer islamischen Führung, im Westjordanland unter der bürokratischen Fatah oder in Israel unter einer reaktionären und konservativen Führung: Keine dieser Führungen hat das Interesse, die Unterdrückten und Arbeiter:innen zu befreien und diesen Kampf zu vereinen. Dies muss Aufgabe von uns sein! Wir müssen uns zusammenschließen und gemeinsam kämpfen, für eine Welt in welcher die Bedürfnisse der Menschen über denen der Reichen und Besitzenden stehen.

Die in Oslo geplante und von den USA, Großbritannien und weiteren Staaten unterstützte „Zwei-Staaten-Lösung“ hat sich als Utopie erwiesen. Israel hat sie nie umgesetzt, sondern unter dem Deckmantel von Oslo den verbleibenden, zusammenhängenden Teil Palästinas mittels neuer Siedlungen weiter zerstückelt. Die einzige Lösung ist ein einheitlicher Staat für Israelis und Palästinenser:innen.

Dies hat jedoch nichts mit einer Vertreibung der jüdischen Bevölkerung zu tun, denn es muss auch in ihrem Interesse sein, in einem Land zu leben in Frieden mit all jenen, die ebenfalls dort wohnen. Es bedeutet aber auch das Rückkehrrecht für alle Palästinenser:innen in ihre Heimat und das Ende eines Staates, der ausschließlich von und für jüdische Israelis regiert wird. Wir glauben, dass nur die Arbeiter:innenklasse beider Nationalitäten und des gesamten Nahen Ostens eine fortschrittliche Lösung herbeiführen kann. Wir treten dafür ein, dass ein multiethnischer Staat ein sozialistischer sein sollte, da nur so die Beendigung der nationalen Unterdrückung mit einer gerechten Reorganisation der Wirtschaft im Interesse aller Lohnabhängigen, Bauern und Bäuerinnen verbunden werden kann. Und um es noch einmal deutlich zu sagen: Der Kampf um ein befreites Palästina wird und muss von der palästinensischen Arbeiter:innenklasse geführt werden! Die israelische Arbeiter:innenklasse muss den Zionismus abweisen und ihn vehement bekämpfen, und kann dann erst einen Kampf Schulter an Schulter mit den Palästinenser:innen führen. Das heißt die Führung einer neuen Intifada liegt in den Händen der unterdrückten Massen Palästinas und der Unterdrückten weltweit! Widerstand gegen Besatzung ist legitim, ob in Palästina, Kurdistan oder in der Ukraine!

  • Für ein sozialistisches und demokratisches Palästina!



Solidarität mit russischen Linken: Gemeinsam gegen die staatliche Repression und Verhaftung von Michail Lobanow!

Jaqueline Katherina Singh, Infomail 1223, 18. Mai 2023

Heute Morgen hat der russische Staat den linken Aktivisten und Gewerkschafter Michail Lobanow in Moskau verhaftet. Bereits in der Vergangenheit hatte er, Mathematikprofessor an der Moscow State Universitiy, Repression erdulden müssen: So wurde er am  am 7. Juni 2022  von der Polizei verhaftet, weil er ein Antikriegstransparent mit der Aufschrift „No War“ trug, und am 24. Juni 2022 wurde er von der russischen Polizei fünfzehn Tage lang festgehalten und zu einer Geldstrafe von 40.000 Rubel (ca. 464 Euro) verurteilt, weil er sich in den sozialen Medien gegen den russischen Einmarsch in die Ukraine im Jahr ausgesprochen hatte.

Diese Verhaftung reiht sich ein in die massive Repression, die seit Beginn des Einmarschs alle trifft, die sich gegen den russischen Angriffskrieg stellen. Laut OVD-Info (1) gab es für das gesamte Jahr 2022 mehr als 21.000 Festnahmen sowie mindestens 370 Angeklagte in Strafverfahren wegen Antikriegsäußerungen und -reden. Mehr als 200.000 Internetressourcen wurden gesperrt und 11 Urteile wegen Staatsverrats verhängt. Darüber hinaus haben Behörden bestätigt, dass bisher 141 Personen wegen Teilnahme an Antikriegsprotesten mittels Gesichtserkennungssystemen (z. B. in der Moskauer U-Bahn) ermittelt wurden.

Mit der massiven Repression hatte das Putin-Regime bisher Erfolg. Die Proteste wurden klein gehalten, große Teile der Bevölkerung eingeschüchtert und wichtige Aktivist:innen für den Widerstand haben mit Repression zu kämpfen oder mussten fliehen. Die Oppositionsgruppen haben in dieser Situation Aufrufe zu öffentlichen Kundgebungen eingestellt, weil sie beim aktuellen Kräfteverhältnis nur zum Verheizen ihrer Anhänger:innen führen würden.

Schluss mit staatlicher Repression!

Eines ist klar: Effektiver als alle Verhandlungen an Tischen der herrschenden Klassen kann eine breite, antikapitalistische Antikriegsbewegung in Russland diesen Krieg beenden. Das weiß auch das Regime Putin selbst, weswegen versucht wird, jede Form des Widerstands und der Kritik direkt zu unterbinden. Deswegen ist es unsere Aufgabe, uns mit den russischen Linken zu solidarisieren, die gegen den Krieg einstehen. Statt alle Bande mit russischen Einrichtungen zu kappen, brauchen wir international eine Solidaritätsbewegung mit den Linken und allen Kräften der Arbeiter:innenbewegung, die sich gegen den Krieg und Putins Regime stellen, sowie eine gemeinsame Debatte über deren Charakter und den nötigen Widerstand. Lasst uns also gemeinsam vorangehen, um den Krieg zu unseren Gunsten zu beenden!

  • Freiheit für Lobanow und alle anderen politischen Gefangenen! Schluss mit staatlicher Repression: für grundlegende demokratische Rechte wie Meinungs- und Pressefreiheit!

  • Für die Niederlage der russischen Aggression! Für den sofortigen Abzug aller russischen Truppen aus der Ukraine!

  • Nein zu allen Sanktionen und zur westlichen NATO-Intervention! Stattdessen Streiks zur Beendigung des Kriegs und für das Ende des Regime Putins!

  • Für die Umwandlung des Krieges in den Kampf um soziale Befreiung unter Führung einer unabhängigen Arbeiter:innenbewegung!

Endnote

(1) OVD-Info ist eine NGO, anlässlich der Proteste nach den Parlamentswahlen 2011 gegründet, und  betreibt eine Website, auf der politisch motivierte Verhaftungen dokumentiert werden. Die Abkürzung OVD leitet sich vom russischen Wort für Polizeistation her.

Mehr zum Krieg um die Ukraine und zur Antikriegsbewegung in Russland auf unserer Homepage

Ukraine: Auf dem Weg zum endlosen Stellungskrieg?

Antikriegsbewegung in Russland

Die verschiedenen Ebenen des Ukrainekriegs




Schweden: Sieg für den Eisenbahner:innenstreik!

Arbetarmakt, Stockholm, Infomail 1222, 6. Mai 2023

Vor der Wahl versprach die Sozialdemokratische Partei in der Region Stockholm, die Abschaffung von Zugbegleiter:innen in Pendler:innenzügen zu stoppen, ein Vorschlag, den sie als „verheerend“ und „moderat gescheitert“ bezeichnete. Nach der Regierungsübernahme hat sie gemeinsam mit der Zentrumspartei und der Grünen Partei und mit Unterstützung der Linkspartei diesen Beschluss umgesetzt.

Aus Protest haben die Lokführer:innen im Nahverkehr in diesem Frühjahr Proteste organisiert, die Zahl der Krankmeldungen wurde erhöht, und am Montag traten sie in einen wilden Streik. In einem Flugblatt, das sich an die Öffentlichkeit wendet, erklären die Lokführer:innen, dass sie seit fast zwei Jahren protestieren, aber alle Einwände ignoriert wurden. Die Forderung ist klar: Zugbegleiter:innen zurück in den Führerstand und zum Sicherheitsdienst!

Ihnen stehen Drohungen mit rechtlichen Schritten seitens der gierigen Kapitalist:innen der Privatbahn MTR entgegen. Außerdem sind sie mit der Passivität der Seko, Gewerkschaft der Beschäftigten im Kommunikations- und Dienstleistungsbereich, und der Heuchelei der politischen Führung konfrontierte. Aber die Lokführer:innen verfügen, wie in den bisherigen zwei Streiktagen deutlich wurde, über etwas viel Wichtigeres und Stärkeres: die massive Unterstützung all derer, die die Pendler:innenzüge in der Region Stockholm nutzen und eine sichere Verkehrssituation wollen.

Am Dienstag, den 2. Mai, besuchten die Genoss:innen von Arbetarmakt die Kundgebung der Streikenden vor dem Stockholmer Hauptbahnhof und verteilten anschließend in der Nähe Plakate zur Unterstützung des Streiks. Wir haben natürlich auch zum Streikfonds der kämpfenden Arbeiter:innen beigetragen der zu diesem Zeitpunkt (2. Mai) erstaunliche 1,3 Millionen SEK gesammelt hat.

Wir fordern alle, die diesen wichtigen Kampf unterstützen, auf, die Kundgebung vor dem Hauptbahnhof zu besuchen, um ihre Unterstützung zum Ausdruck zu bringen, mit Arbeitskolleg:innen, Freund:innen und Gewerkschaftskolleg:innen über den Streik zu sprechen, Geld in den Streikfonds zu spenden und bereit zu sein, den völlig berechtigten Arbeitskampf weiter zu unterstützen. Die Website des Streikkomitees findet Ihr hier: https://vildstrejkpendeln.blogg.se/, und der Streikfonds (organisiert von der Workers‘ Solidarity Association) hat eine Swish-Nummer 123 699 29 52 oder ein Bankkonto 418-6482, auf dem der Vermerk „train host“ steht.

Sicherheit vor Profit! Sieg für den Pendler:innenstreik! #rörintemintågvärd




Weitere Verschärfung der EU-Flüchtlingspolitik droht

Susanne Kühn, Neue Internationale 273, Mai 2023

Der EVP-Chef und CSU-Vize Manfred Weber mimt den Einpeitscher: „Die EU schlafwandelt in eine neue Migrationskrise, obwohl der rasant steigende Migrationsdruck offensichtlich ist“, lässt er Mitte April verlauten.

Damit will er unter anderem der italienischen Regierung Meloni beispringen, als deren Fürsprecher sich Weber seit einiger Zeit hervortut. Anfang Mai hat Italien den Notstand ausgerufen. Eine „Flüchtlingswelle“ soll gestoppt werden.

Weber, Meloni und andere Rechte bzw. Konservative fordern, dass die Außengrenzen der EU noch weiter abgeriegelt werden.

Abschottung und Tote an den Außengrenzen

Dabei erreichten gerade 31.000 Flüchtlinge in den ersten drei Monaten die Küsten Maltas und Italiens. Das stellt zwar eine deutliche Steigerung gegenüber 2022 dar. Aber die Ursache dafür bildet keine „Flüchtlingswelle“, sondern eine Veränderung der Fluchtrouten. Nur wenige Menschen kommen noch über die Türkei, die Balkanroute oder Marokko nach Europa. Mehr als die Hälfte der nach Italien Geflüchteten nimmt die gefährliche Reise über den Seeweg auf sich – trotz der barbarischen Zustände in Tunesien selbst und trotz der lebensgefährlichen Route. Allein 2023 (Stand 12. April) fanden 600 Flüchtende im Mittelmeer den Tod, seit dem Jahr 2014 sind es insgesamt 26.358 Menschen.

Nun wollen Weber und Co. ein weiteres Abkommen mit der tunesischen Regierung, die für die EU die rassistische Drecksarbeit erledigen soll, ähnlich wie die Türkei in ihrem  Abkommen mit der EU.

Diese Forderung steht für eine weitere brutale Barbarisierung des EU-Grenzregimes. Die Hetzkampagne soll den Boden für eine weitere rassistische Abschottung, verschärfte Einsätze von Frontex, Auffanglager an den EU-Außengrenzen, Kriminalisierung von ehrenamtlichen Fluchthelfer:innen sowie verschärftes Vorgehen gegen Flüchtlinge und Asylbewerber:innen in Deutschland und anderen EU-Staaten bereiten.

Dabei plant die EU längst, was Weber vorschlägt. Beim Gipfel im Februar 2023 wurden ein weiteres Mal eine Verstärkung der Grenzkontrollen und die Beschleunigung von Abschiebungen beschlossen. Außerdem müssen zukünftig Ablehnungen von Asylanträgen in einem Land auch in allen anderen anerkannt werden.

Strittig war und ist nur, wie der rassistische Spuk finanziert werden soll: über Haushalte der Staaten, über jenen der EU oder im Rahmen des „Solidaritätsmechanismus“ zwischen den Ländern.

Rassismuskrise

Zu Recht bezeichnet Pro Asyl die sog. „Flüchtlingskrise“ als Rassismuskrise. „Die EU – ein Bund aus 28 Staaten, mit insgesamt 510 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von rund 15 Billionen Euro – ist 2015 nicht wegen einer Million Schutzsuchender in die so genannte Flüchtlingskrise geraten – sondern aufgrund der Fliehkräfte immer weiter um sich greifender nationalistischer und rassistischer Tendenzen. Rassismus und Populismus sind verantwortlich für die aktuelle ‚Flüchtlingskrise’ der EU. Nicht die Flüchtlinge.“

Nur ein kleiner Teil der über 100 Millionen Geflüchteten weltweit schafft es bekanntlich in die EU, deren imperialistische Mitgliedsstaaten jedoch kräftig mitwirken an jenen Verhältnissen, die die Menschen zur Flucht zwingen.

In Deutschland haben 2022 193.000 Menschen einen Asylantrag gestellt. Die oft beschworene Steigerung ergibt sich statistisch einfach daraus, dass während der Pandemie auch die Zahlen der Geflüchteten und Asylbewerber:innen deutlich zurückgingen. Gestiegen ist im letzten Jahr die Anerkennungsquote (auf 72 % bei Erstanträgen) – und das trotz einer extrem rigiden Überprüfung. So erhielten laut Pro Asyl „im Jahr 2022 fast 40.000 zunächst vom BAMF abgelehnte Asylsuchende doch noch einen Schutzstatus, in den meisten Fällen durch eine Gerichtsentscheidung, aber auch, weil das BAMF die ursprüngliche Ablehnung korrigierte. In über der Hälfte dieser Fälle erhielten Menschen aus Afghanistan nachträglich Schutz, weil sie mit ihrer Klage bei Gericht oder einem Folgeasylantrag erfolgreich waren oder das BAMF mit einem Abhilfebescheid den ursprünglichen, falschen Bescheid aufhob.“

So erhalten zur Zeit zwar die meisten Geflüchteten aus Afghanistan und Syrien eine zumindest vorübergehende Anerkennung, Anträge von Menschen aus dem Iran werden hingegen in den meisten Fällen abgelehnt. So viel zum Menschenrechtsland Deutschland.

Allein diese wenigen Zahlen machen deutlich, dass die sog. „Flüchtlingswelle“ eine Erfindung ist, dass es vor allem um die Hetze gegen Geflüchtete und Migrant:innen geht – und darum, den Boden für weitere Gesetzesverschärfungen und eine noch rigidere Abschottungs- und Abschiebepraxis vorzubereiten.

Dieser Entwicklung muss entschieden entgegengetreten werden.

  • Nein zu allen Abschiebungen! Bleiberecht und volle Staatsbürger:innenrechte für alle Geflüchteten und Migrant:innen!

  • Für offene Grenzen! Schluss mit Frontex und allen anderen rassistischen Grenzkontrollen!

  • Schluss mit dem Lagersystem! Aufhebung der Residenzpflicht! Recht auf freie Wahl des Wohnortes und auf Arbeit!



Frankreich: Solidarität mit den Opfern des „Wasserkriegs im Département Deux-Sèvres“!

Redaktion, Infomail 1218, 31. März 2023

Am 25. März demonstrierten 30.000 Gewerkschafter:innen, Linke, Grüne und Umweltaktivist:innen gegen den Bau eines weiteren „Megabassins“ zur Bewässerung landwirtschaftlicher Großbetriebe in Sainte-Soline im westfranzösischen Département Deux-Sèvres.

Der Bau von sog. Megabassins, also riesigen Wasserspeichern, die aus den natürlichen Wasserreservoirs der verschiedenen Regionen gespeist werden, stellt seit rund 15 Jahren die von Behörden, Agrobusiness und Agrarindustrie bevorzugte Antwort auf zunehmende Dürren und ausbleibende Niederschläge dar. So soll die bestehende Produktion im Interesse der Konzerne sichergestellt werden – jedoch auf Kosten des Zugangs zu Trink- und Nutzwasser für die Bevölkerung der Region.

Des ökologisch desaströse Vorhaben bedient kurzfristige Profitinteressen auf Kosten weiterer Umweltzerstörung (siehe Dossier in Labournet: https://www.labournet.de/internationales/frankreich/lebensbedingungen-frankreich/der-wasserkrieg-der-deux-sevres-in-frankreich-kommt-es-bei-protesten-gegen-ein-oeffentlich-finanziertes-bewaesserungsprojekt-zu-dutzenden-verletzten/).

Die Massenproteste verdeutlichen, dass die Regierung Macron an allen Fronten ihre Agenda im Interesse des Kapitals durchsetzt. Wie im Kampf um die Rentenreform lässt sie dafür die Polizei ohne Rücksicht auf Leben und Gesundheit der Protestierenden von der Leine. Mit Wasserwerfern, CS-Gas, Einkreisungsgranaten und Prügelbullen gingen rund 1.500 Cops brutal vor, verletzten 200 Personen, davon 40 schwer. Eine, Genosse S., befindet sich im Koma. Er kämpft um sein Leben. Im Folgenden veröffentlichen wir das Kommuniqué von Genoss:innen des Aktivisten. Wir hoffen auf seine Genesung. Wir solidarisieren uns mit allen, die im Kampf gegen das Megabassin und die Rentenreform gegen die organisierte Staatsgewalt angehen – und den Kampf weiterführen gegen ein barbarisches, menschenverachtendes kapitalistisches System.

Kommuniqué bezüglich S., unserem Genossen, der in Folge der Demonstration in Sainte-Soline in akuter Lebensgefahr schwebt.

Unser Genosse S. wurde an diesem Samstag, den 25. März, im Zuge der Demonstration gegen die »Megabassins« in Sainte-Soline von einer Granate am Kopf getroffen. Die Präfektur verhinderte zunächst wissentlich das Eingreifen von Rettungskräften und den späteren Weitertransport in eine Spezialklinik – trotz seines kritischen Zustands.

Aktuell befindet sich S. auf der neurochirurgischen Intensivstation und schwebt weiterhin in akuter Lebensgefahr.

Der massive Ausbruch der Gewalt seitens der Polizeikräfte gegenüber den Demonstrierenden führte – wie unterschiedlichen Berichten zu entnehmen ist – zu hunderten Verletzten, darunter viele Schwerverletzte.

Die 30.000 Demonstrierenden in Sainte-Soline hatten sich versammelt, um das Bauprojekt der »Megabassins« zu blockieren. Hierbei handelt es sich um ein Projekt des Wasserraubs durch eine Minderheit im Interesse der mörderischen Logik des Profits. In der ausufernden Gewalt durch die bewaffneten Diener:innen des Staates tritt diese Logik deutlich hervor.

Die Polizei verstümmelt und versucht zu morden, um im Angesicht der Mobilisierung gegen die Rentenreform den Aufstand zu verhindern und die Bourgeoisie und ihre Welt zu verteidigen. Nichts davon kann unseren Willen aufhalten, ihre Herrschaft zu beenden. Geht am Dienstag, den 28. März, und an den Folgetagen auf die Straße, unterstützt Streiks und Blockaden.

Für S. und für alle Verletzten und Eingesperrten unserer Bewegungen.

Vive la révolution!

Die Genoss*innen von S.




Wir fordern: Abmahnung von Leonie Lieb muss zurückgenommen werden

Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (vernetzung.org), Infomail 1218, 29. März 2023

Der Münchner Stadtrat plante die Schließung der Geburtshilfestation im Klinikum Neuperlach im Jahr 2024. Das hätte einen Rückschritt für eine wohnortnahe, sichere und qualitativ hochwertige Geburtshilfe im Münchner Osten bedeutet. Die betroffenen Beschäftigen haben deshalb im November 2022 eine Petition für den Erhalt der Abteilung gestartet. Mehr als 22.000 Menschen stimmten ihren Argumenten zu und unterschrieben die Petition. Außerdem organisierten sie eine Kundgebung in Neuperlach, besuchten die Stadtratsparteien, um sie an ihr Anliegen zu erinnern und traten in der Presse auf. Durch diesen öffentlichen Druck konnten sie die Stadtratsfraktionen der SPD und der Grünen dazu bewegen, die Entscheidung über den Erhalt der Station bis 2028 zu verschieben.

In einem Interview mit der Tageszeitung junge Welt sprach Leonie über das Engagement für den Erhalt des Kreißsaals und den Zusammenhang zwischen der drohenden Zusammenlegung des Kreißsaals mit dem Klinikum Harlaching und einem profitorientierten Gesundheitssystem. Die Klinik reagierte darauf mit einer Abmahnung, die sie formal mit einem angeblichen Verstoß gegen eine Dienstanweisung begründete. Wir verstehen die Abmahnung von Leonie als Einschüchterungsversuch gegen das Engagement für den Erhalt der Geburtshilfeabteilung. Wir fordern die Klinikleitung deshalb dazu auf, die Abmahnung zurückzunehmen. Wir rufen insbesondere Betriebsgruppen, Gewerkschaften, Parteien und Verbände dazu auf, sich mit Leonie und dem gesamten Team zu solidarisieren.

Mit der folgenden Unterschrift erkläre ich mich mit einer Veröffentlichung einverstanden.

* Bis zum 23. März haben über 300 Personen die Petition unterzeichnet. Die Unterschriften werden in den kommenden Tagen gesammelt und veröffentlicht.

Auswahl an Unterzeichenenden:

Yasmin Fahimi, DGB-Vorsitzende, IGBCE

Ates Gürpinar, MdB, die LINKE, ver.di / GEW

Stefan Jagl, Fraktionsvorsitzender der Fraktion DIE LINKE/Die PARTEI im Münchner Stadtrat, ver.di

René Arnsburg, Landesbezirksvorstand Berlin-Brandenburg, ver.di

Seija Knorr-Köning, Barmherzige Brüder, ver.di

Inés Heider, Kepler-Schule Berlin-Neukölln, GEW

Rojhat Altuntas, FAKS Giesing, GEW

Yunus Aktas, Vivantes Neukölln Azubi, ver.di

Anika Rzepka, Vivantes Service Gesellschaft, ver.di und KGK

Unterzeichnen:

https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSf4Xt-ZR0cRuqg7hxtdthyfET1Foymxw-1YF_PvyaVrTLyBHw/viewform




#wirfahrenzusammen: Streiks im Leipziger Nahverkehr

Niliam, Infomail 1214, 26. Februar 2023

Zweimal stand der ÖPNV Leipzigs in den letzten Tagen komplett still.

Am Mittwoch dem 22.02. fanden wie auch am Freitag dem 17.02. Warnstreiks statt. Nachdem letzte Woche alle vom TVöD (Tarifvertrag öffentlicher Dienst, unter ihn fällt auch Leipzigs Nahverkehr) betroffenen Beschäftigten streikten, waren es am Mittwoch ausschließlich die Beschäftigten der LVB (Leipziger Verkehrsbetriebe). Der für den Streik gewählte Tag war brisant: trafen doch RB Leipzig und Manchester City im Rahmen eines Champions League Spiels aufeinander. Tausende von Menschen und internationale Gäste waren zu erwarten. Ein erheblicher Reputationsverlust für die Stadt Leipzig war vorauszusehen.

Dies unterstreicht einmal mehr den Kampfeswillen der Beschäftigten, nach ihrer Forderung von 10,5% mehr Lohn, aber mindestens 500€ bei einer Laufzeit von 12 Monaten für die nächste Verhandlungsrunde Ende März. Wir zeigten uns im Rahmen der Kampagne #wirfahrenzusammen u.a. zusammen mit REVOLUTION an Streikposten in der Stadt und auf der Großkundgebung am Freitag mit den Streikenden solidarisch.

Auch wenn es sich nur um eine reine Lohntarifrunde handelt, müssen wir doch klarmachen, dass der Ausbau des ÖPNV dringend für eine Mobilitätswende gebraucht wird.

Während der Nahverkehr oft vernachlässigt, teuer und schlecht ausgebaut ist, wird immer noch auf klimaschädliche Fortbewegungsmittel gesetzt.

Wir fordern massive Investitionen in den Nahverkehr – für die Beschäftigten, für das Klima und für die Fahrgäste! Sachsen ist Schlusslicht, was die Bezahlung der Beschäftigten im ÖPNV angeht!

Urabstimmung für Erzwingungsstreiks jetzt!

Letzten Freitag waren wir bereits ab Streikbeginn um 3 Uhr morgens am Betriebshof Angerbrücke. Mit den Beschäftigten haben wir uns über die schlechten Arbeitsbedingungen sowie die bestehenden Ängste und Sorgen hinsichtlich der stark gestiegenen Verbraucherpreise ausgetauscht und darüber gesprochen, weshalb die Forderung der Tarifrunde das Mindeste ist, auf was sich eingelassen werden sollte. Sie durchzusetzen wird nur möglich, wenn die Verantwortlichen von ver.di schnell dazu getrieben werden, eine Urabstimmung für Erzwingungsstreiks durchzuführen.

Wichtig ist die gemeinsame Organisation im Arbeitskampf – der Klimaschutz steht nicht gegen die Arbeitsplätze, wie uns die Kapitalist:innen oft weis machen wollen. Die Klimabewegung kämpft mit den Beschäftigten für die gleichen Interessen!

Gemeinsam werden wir am 03.03. den globalen Klimastreik in Leipzig unterstützen.

Unsere Solidarität bedeutet auch Fahrgastgespräche zu führen und auf die berechtigten Belange der Streikenden aufmerksam zu machen. Der ÖPNV muss für eine klimaneutrale Zukunft zwingend ausgebaut werden. Mit Plakaten wurde an den Haltestellen darauf aufmerksam gemacht, weshalb die Busse und Bahnen still standen. Mit den Gäst:innen haben wir über die Gründe des Streiks gesprochen und wie berechtigt und wichtig die Unterstützung dieser ist – höhere Löhne dürfen nicht durch Ticketpreise ausgeglichen werden! Im Gegenteil fordern wir einen kostenlosen Nahverkehr, der durch die Besteuerung der Gewinne von VW und Co. finanziert wird.

Am Freitagvormittag kamen rund 2.000 Beschäftigte auf die Kundgebung der Gewerkschaft ver.di. Das Bündnis #wirfahrenzusammen hielt einen Redebeitrag über den gemeinsamen Kampf von Klimaschutz und den Forderungen für den Tarifvertrag. Die Masse zog nach weiteren Redebeiträgen einmal ums Leipziger Rathaus und machte OB Burkhard Jung deutlich klar: „Zusammen geht mehr“ und dass die vergangenen und zukünftigen Reallohnverluste zwingend aufgefangen werden müssen!

Die Arbeitgeberseite hat ein erstes Angebot vorgelegt, welches nicht als solches bezeichnet werden kann. Ihr Vorschlag: Eine Lohnerhöhung von drei Prozent zum 1. Oktober 2023, sowie eine weitere lineare Erhöhung der Entgelte um zwei Prozent zum 1. Juni 2024. Statt eines monatlichen Mindestbetrags mit sozialer Komponente bieten die Arbeitgeber zwei einmalige Inflationsausgleichszahlungen an: 1.500 Euro im Mai 2023 und erneut 1.000 Euro im Januar 2024. Für Nachwuchskräfte sollen die Einmalzahlungen 750 Euro bzw. 500 Euro betragen.

Fallen wir nicht darauf rein! Mit Einmalzahlungen und Verlängerung der Dauer des Tarifvertrages versuchen die Arbeitgeber eine wirkliche Verbesserung vorzutäuschen. Diese bedeuten aber weiterhin Reallohnverluste, welche nicht hinnehmbar sind. Auch wenn ver.di das Angebot sicher nicht annimmt, heißt es wachsam sein! Es wäre nicht das erste Mal, dass sich die Tarifkommission auf einen faulen Kompromiss einlässt.

  • Verkehrswende heißt gute Arbeitsbedingungen für Nahverkehrsarbeiter:innen!

  • Macht Stunk – die ver.di-Verantwortlichen müssen zur Einleitung der Urabstimmung gezwungen werden! Kündigt die Schichtungsklausel!

  • Für einen Streik in den Händen der Beschäftigten: Organisiert Euch selbst im Betrieb, wählt ein Streik- und Aktionskomitee, fordert öffentliche Verhandlungen sowie eine direkte Wähl- und Abwählbarkeit der Tarifkommission!

  • Gewerkschaften und Lohnabhängige in die Offensive!