Gegen den Kahlschlag – Solidarität den Siemens-Beschäftigten!

Jürgen Roth, Neue Internationale 225, Dezember 17/Januar 18

Weltweit will der Siemens-Konzern 6.900 Stellen in der Gasturbinen- und Antriebstechnik streichen, davon die Hälfte an deutschen Standorten. In dieser Sparte arbeiten dort noch rund 16.000 Menschen in den Werken Mülheim/Ruhr, Berlin, Leipzig, Essen, Duisburg, Erfurt, Offenbach und Görlitz. Die Turbinenwerke in Görlitz und Leipzig sollen ganz geschlossen werden. Das beträfe 920 Arbeitsplätze, in Berlin 870 und in Mülheim 640. Auf der Kippe steht auch der Offenbacher Betrieb. Zusammen mit Erfurt bildet diese Fabrik den Siemens-Bezirk Mitte mit 1.500 Jobs.

Im Laufe des November fanden Proteste mit mehreren tausend TeilnehmerInnen in Leipzig, Erfurt, Görlitz, Offenbach und Berlin statt. Allein am 23. vergangenen Monats versammelten sich 2.500 Protestierende aus allen Standorten vor dem Neuköllner Estrel-Hotel, wo der Siemens-Gesamtbetriebsrat tagte, zu einer eindrucksvollen Kundgebung.

Wirtschaftlicher Hintergrund

Besonders erregt die Beschäftigten, dass die Schließungs- und Entlassungsankündigungen knapp 2 Wochen nach der Bekanntgabe eines Rekordkonzerngewinns von ca. 6 Mrd. Euro erfolgte. Zudem will Siemens ein Viertel seiner Aktienanteile der Medizinsparte an der Frankfurter Börse platzieren. Es wird erwartet, dass der Börsengang ca. 10 Mrd. Euro einbringen wird und damit mindestens den zweitgrößten Gründergewinn (Kapitalisierung von Aktienanteilen) in der Geschichte der BRD nach der Börsennotierung der Telekom 1996.

Begründet wird dies von Siemens-Geschäftsführer Joe Kaeser und seiner Personalchefin Janina Kugel mit Überkapazitäten: die Energiewende verringere die Nachfrage nach Gaskraftwerken, die Industrie ordere zudem immer weniger große Elektromotoren. Eine vernünftige Energie- und Verkehrswende müsste dagegen die Nachfrage auf beiden Sektoren sprunghaft ansteigen lassen, will man den Ausstieg aus Kohle und Verbrennungsmotoren ernsthaft forcieren. Gaskraftwerke lassen sich kurzfristig zu- und abschalten, was für eine Glättung der Stromproduktion angesichts unstet anfallender elektrischer Energie aus Sonnen- und Windkraft die ideale Ergänzung darstellte, solange nicht das Speicherproblem der erneuerbaren Energien gelöst ist.

Empörung

Die Kundgebungen, Demonstrationen und Schweigemärsche erfuhren verbale Zustimmung durch Gewerkschaften, SPD und DIE LINKE, darunter Bodo Ramelow, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und der SPD-Vorsitzende Martin Schulz. Aus dem IG Metall-Funktionärskörper war Kritik an Siemens-Vorstand und -Aufsichtsrat zu hören wie: soziale Kälte, kurzlebige Profitinteressen. Es wurde darauf verwiesen, dass Siemens jüngst das größte Gas- und Dampfturbinenkraftwerk in Ägypten ausgerüstet habe. Die Konzerngeschäfte allein auf dem Energiesektor seien mit 7 Mrd. Euro Hermesbürgschaften (staatliche Exportkreditgarantien) gestützt worden. Ein solcher Kahlschlag nahezu im gleichen Atemzuge mit der Verkündung des Mega-Börsengeschäfts löste nur Kopfschütteln aus. Die zu erwartenden Einnahmen daraus überstiegen außerdem bei weitem die Einsparmöglichkeiten im Turbinen- und Elektromotorengeschäft. Schließlich verstießen die Schließungs- und Kündigungspläne gegen die seit 10 Jahren geltende Vereinbarung zur Standort- und Beschäftigungssicherung.

Dass sich AfD-Rechtsaußen Höcke einige Zeit unbehelligt in den vorderen Reihen der IGM am Erfurter Schweigemarsch beteiligen durfte, wurde noch als schlaue Taktik durch die Bezirksleitung verkauft, um ihn und seine Partei nicht durch Handgreiflichkeiten noch mediale Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen. Was haben Mitglieder einer Landtagsfraktione, die rassistisch gegen andere Lohnabhängig hetzen und sich obendrein im Parlament auf die Seite des Unternehmens gestellt haben, auf einer gewerkschaftlichen Gegendemonstration zu suchen?

Außer Spesen nix gewesen?

Nach Bekanntwerden der Pläne hatten Betriebsrat und IG Metall Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen als tabu bezeichnet, Gespräche darüber abgelehnt und mit Streiks gedroht. Am 30. November erklärten sie sich jedoch zu ergebnisoffenen Gesprächen mit dem Management bereit. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass zeitgleich die SPD ihre „Prinzipien“ gegenüber einer Neuauflage der Großen Koalition mit ähnlichen Worten über Bord warf!

Dies ist ein Stoß in den Rücken der Siemens-Belegschaft und zeigt den Wert der „Kritik“ am Siemens-Kapitalismus der IG Metall-Spitze: moralisches Pfaffengeschwätz, Jammern über die Auswüchse des Kapitalismus bei Unterstützung seines Profitstrebens, magischen Glauben an den Zaubertrank „Beschäftigungs- und Standortsicherung“, Sozialplan statt Streik, Sozialpartnerschaft statt Klassenkampf!

  • Für vollständige Rücknahme der Schließungs- und Entlassungspläne bei Siemens!
  • Vollstreik statt Sozialplanverhandlungen!



Kahlschlag bei Siemens: Kampf allen Entlassungen, Kampf allen Werksschließungen!

Gegenwehr!, Betriebs- und Gewerkschaftsinfo der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Infomail 973, 22. November 2017

Bei Siemens droht der nächste soziale Kahlschlag. 6900 Beschäftigte sollen weltweit entlassen werden, ganze Werke in der Kraftwerks- und Antriebssparte sollen umstrukturiert und geschliffen werden.

Die Werke in Görlitz, Leipzig und Offenbach sollen plattgemacht werden – und mit ihnen rund 1600 Beschäftigte und ganze Regionen. In Berlin und Mülheim stehen über 700 Jobs auf der Kippe, andere Standorte sollen ebenfalls entweder hunderte ArbeiterInnen und Angestellte feuern oder – wie Erfurt – verkauft werden.

Dies ist ein neuer Höhepunkt der permanenten Umstrukturierungen, Verlagerungen und des Personalabbaus bei Siemens, die andere Seite von zunehmender Verdichtung und Flexibilisierung der Arbeit der Beschäftigten.

Rekordgewinn und der Kampf um die höchste Marge

Dabei fährt Siemens zugleich einen Rekordgewinn von 6,5 Milliarden Euro ein. Für das Management und die AktionärInnen Grund zum Feiern – und Grund, die nächsten Pläne zur Erhöhung der Rendite zu verkünden.

Die Beschäftigten, Betriebsräte, die IG Metall können ein Lied von den falschen Versprechungen, „Beschäftigungsgarantien“ und „Investitionszusagen“ geben. Pacta non sunt servanda – Verträge sind nicht einzuhalten – , so lautet offenkundig die Maxime der Siemens-ManagerInnen und -Vorstände.

Hier hilft freilich kein Klagen. Die Bosse des Konzerns haben nun einmal vor allem die Profitmaximierung im Auge. Was den kurzfristigen Verwertungsinteressen im Wege steht, wird abgestoßen oder gestrichen in einem immer härteren, globalen Wettbewerb. Ob die Produkte nützlich sind, ob Knowhow zerstört wird oder die Beschäftigten, ihre Familien und Angehörigen und ganze Regionen dabei auf der Strecke bleiben, ist egal.

Doch es wäre zu kurz gegriffen, die ganze Schuld nur den profitgierigen und an der Industrie, an Produkten und Menschen nicht interessierten Vorständen und ManagerInnen anzulasten. Im Kapitalismus ist die Suche nach dem Höchstprofit, nach immer größeren Renditen der Zweck der Produktion. Damit verfolgen Kaeser und Co. einen Kurs des sozialen Kahlschlags, daher wollen sie selbst nach einem Rekordjahr die Profite weiter nach oben treiben.

In dieser Situation sind IG Metall, Betriebsräte und Vertrauensleute gefordert. Appelle an die „soziale Verantwortung“ der Konzernchefs werden gegen den geplanten Kahlschlag nicht helfen. Auch Hoffung auf „die Politik“ wird die Arbeitsplätze und Werke nicht retten, bringt diese doch gerade eine neue Regierungskoalition auf den Weg, die Siemens und andere noch wettbewerbsfähiger, die Arbeit noch flexibler machen soll. Statt Appellen und routinemäßiger Verwaltung ist jetzt die Grundaufgabe der Gewerkschaft gefordert: Die Einheit innerhalb der Belegschaften und unter den verschiedenen Werken herzustellen! Nur so kann der Vorstand geschlagen werden! Wenn einzelne Beschäftigte, Beschäftigtengruppen und Standorte auf Einzellösungen hoffen, werden nachher alle verlieren.

Streik und Besetzung – die einzige Sprache, die sie verstehen!

Im Kampf gegen Schließungen und Personalabbau können wir – Beschäftigte bei Siemens, GewerkschafterInnen und Arbeitende in anderen Branchen – uns nur auf uns selbst verlassen.

Die Protestaktionen der letzten Tage haben gezeigt, dass die Kolleginnen und Kollegen der verschiedenen Standorte die Schließungen nicht kampflos hinnehmen wollen. In manchen Betrieben getrauen sich ManagerInnen und WerksleiterInnen nicht unter die Belegschaft, weil sie feige sind, aber auch Angst vor der Wut der Beschäftigten haben.

Diese Wut, dieser Zorn muss zu Widerstand werden. Dazu sollen in den Betrieben der gesamten Siemens AG, die von Schließungen und Kürzungen betroffen sind, wie auch in allen andern, Belegschaftsversammlungen einberufen werden, um über Aktionen zu beraten.

Die Demonstrationen und Kundgebungen sollten fortgesetzt werden. Aber Siemens muss vor allem dort getroffen werden, wo es Vorständen, ManagerInnen und AktionärInnen wirklich weh tut, dort wo der Profit geschaffen wird. Auf den Versammlungen muss auch die Frage von Arbeitsniederlegungen, von Streiks und Betriebsbesetzungen diskutiert und in Angriff genommen werden.

Die Forderungen sind dabei klar und einfach: Kampf gegen jeden Personalabbau, gegen jede Entlassung, gegen jede Schließung oder Outsourcing!

Dazu sollten Belegschaftsversammlungen, IG Metall, die Vertrauensleute und die Betriebsrätekonferenz einen Aktionsplan diskutieren und in den Betrieben beschließen, um die Konzernführung zu stoppen – durch einen unbefristeten, konzernweiten Streik! Dieser sollte nicht nur landesweit, sondern auch international koordiniert werden. Dazu sollen in den Betrieben Streikkomitees gewählt werden, die konzernweit, über die Standort- und Landesgrenzen hinaus verbunden werden.

Die Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie und die Abwehrkämpfe gegen Entlassungen und Schließungen in anderen Betrieben (z. B. bei Ledvance, ehemals Osram und Teil von Siemens) sollten mit dem Kampf verknüpft werden.

Die drohende Vernichtung tausender Arbeitsplätze geht uns alle an. Die IG Metall, die DGB-Gewerkschaften und alle Parteien, die vorgeben, die Interessen der Lohnabhängigen zu vertreten, also SPD und Linkspartei, sollten den Kampf und die Aktionen unterstützen.

Um die Bevölkerung und KollegInnen anderer Betriebe einzubeziehen, sollten Solidaritätskomitees für den Abwehrkampf gebildet werden.




Kahlschlag bei Siemens: Eigentumsfrage stellen!

Gegenwehr!, Betriebs- und Gewerkschaftsinfo der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Infomail 973, 22. November 2017

In der laufenden Tarifrunde stellt die IG Metall erstmals seit Jahren die Frage der Arbeitszeitverkürzung – zu Recht.

Wenn die Arbeit immer produktiver und immer intensiver, härter wird, so helfen nur eine deutliche Verkürzung der Arbeitszeit (bei vollem Personal- und Lohnausgleich), das Verbot von Überstunden und ständig prekärerer Arbeitszeitmodelle.

Doch die Jagd nach immer mehr Profit, immer rascheren „Umstrukturierungen“ nach Einschätzung wirklicher oder vermeintlicher Marktentwicklungen ist damit noch nicht beendet. Von einem kapitalistischen Management ist nicht zu erwarten, dass es den Gewinn gerecht oder „weitsichtig“ gemäß den Interessen von Beschäftigten oder gesellschaftlich nützlicher Produktion verwendet.

Daher müssen wir auch die Eigentumsfrage aufwerfen. Wenn die Vorstände und AktionärInnen ständig nur ihren Profit im Auge haben, wenn sie die Existenz Tausender zu vernichten drohen, an deren Ausbeutung sie erst reich geworden sind, so müssen wir die Profitmacherei selbst in Frage stellen. Dazu gibt es nur ein Mittel: die Enteignung von Siemens. Mit Ausnahme von Belegschaftsangehörigen und KleinaktionärInnen sollte kein/e KapitaleignerIn entschädigt werden.

Doch selbst in Staatshand ist natürlich nicht garantiert, dass ein solches Unternehmen nicht Kapitalinteressen bedient. Ein verstaatlichter Betrieb sollte daher unter Kontrolle der Beschäftigten, von gewählten VertreterInnen der Belegschaften fortgeführt, die Geschäftsbücher, Finanzen und Pläne des Unternehmens diesen gegenüber offengelegt werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass niemand entlassen wird und etwaige Veränderungen der Produktion (oder die Entwicklung neuer Produkte) nicht zulasten der Beschäftigten gehen. Darüber hinaus könnte die Produktion so kontrolliert werden, dass sie an den Bedürfnissen der Bevölkerung und nachhaltigem, umweltverträglichem Wirtschaften ausgerichtet ist.

Natürlich würde die Enteignung von Siemens die Frage nach weiteren Enteignungen und einer nicht-kapitalistischen, demokratischen und planwirtschaftlichen Reorganisation der gesamten Wirtschaft aufwerfen. Die KapitalistInnen und die Regierung werden den Teufel von Kommunismus und Planwirtschaft an die Wand malen. Planen muss Siemens (wie jeder Großkonzern) auch schon heute. Aber es plant nur zum Zweck der Profitmaximierung auf unsere Kosten. Eine demokratische, sozialistische Planwirtschaft, die sich an den Bedürfnissen der Menschen und Erhaltung der Umwelt orientiert, wäre da allemal vernünftiger.

 




Kundgebung von 1300 Siemens-Beschäftigten in Berlin: Kampf gegen alle Entlassungen nötig!

Martin Suchanek, Infomail 972, 18. November 2017

Es geht um alles für 6900 Beschäftige bei Siemens. Zum Auftakt des Protestes versammelten sich am 17. November über 1000 ArbeiterInnen und Angestellte vor der Berliner Siemens-Zentrale zu einer Kundgebung der IG Metall.

Von den Kürzungsplänen sind auch Berliner Werke, allen voran das Dynamowerk besonders betroffen. Hier soll die Produktion geschleift werden, 570 Arbeitsplätze sollen wegfallen.

Wie die Kundgebung deutlich zeigte, stehen die Siemens-Beschäftigten keineswegs allein da. In Berlin und bundesweit droht die Vernichtung tausender Industriearbeitsplätze, wie VertreterInnen von Ledvance (ehemals Osram) zu berichten wussten. Deren Berliner Werk soll geschlossen werden. 700 Menschen droht die Arbeitslosigkeit.

Bei der 90-minütigen Kundgebung griffen die VertreterInnen der IG Metall wie z. B. der erste Bevollmächtigte Klaus Abel, Betriebsräte und Vertrauensleute das Management und vor allem den Konzernvorstand um Joe Kaeser scharf an.

Diese würden das Unternehmen ruinieren, Berlin, die umliegende Region und ganz Deutschland industriell kaputtmachen und ihrer „sozialen Verantwortung“ nicht nachkommen. Die Beschäftigten sind über die Führung der ehemaligen „Siemens-Familie“, deren Bande untereinander längst zerschnitten sind, zu Recht empört.

Provokation

Zweifellos: Der drohende Kahlschlag ist eine Provokation. Die Beschäftigten sollen Managementfehler und Veränderungen des Marktes ausbaden. Gerüchte gab es natürlich schon lange, schließlich ist es nicht die erste „Umstrukturierung“, Verlagerung oder Schließung, die droht.

Erfahren haben die Beschäftigten vom geplanten Personalabbau jedoch erst über die Pressekonferenz des Konzernchefs Kaeser. In 2 Jahren sollen die Maßnahmen über die Bühne gegangen sein.

Auf derselben Pressekonferenz verkündete Kaeser auch einen Rekordgewinn von 6,5 Milliarden Euro für das letzte Geschäftsjahr. Die AktionärInnen und KapitaleignerInnen freut es. Der Run um noch mehr Profit und höhere Renditen geht weiter.

Im Turbinengeschäft, so die Siemens-Spitze, haben sich zur Zeit riesige Überkapazitäten aufgebaut. Angeblich könnten Siemens, General Electric und andere ein Vielfaches der Nachfrage bedienen.

Daher will sie, der es eben nicht um „Verantwortung“ und „Zukunftssicherung“, sondern ausschließlich um Profit geht, die Sparte loswerden – industriellen Kahlschlag inbegriffen. Ob das Knowhow der Beschäftigten, deren Zukunft dabei verloren geht, interessiert in der Marktwirtschaft, die auf Profitmaximierung ausgerichtet ist, interessiert die KapitaleignerInnen nicht.

Für die Beschäftigten ist das existenzbedrohend, für die Gesellschaft darüber hinaus auch eine gigantische Verschwendung. Selbst wenn die aktuellen Produkte umgestellt werden müssten, so könnten ArbeiterInnen und IngenieurInnen zweifellos sehr Nützliches z. B. zu einer ökologischen Umrüstung im Energiesektor beitragen.

Darum geht es aber im Kapitalismus schlichtweg nicht. Die Befriedigung von Bedürfnissen ist hier nur ein Mittel zum eigentlichen Zweck – der Jagd nach immer mehr Profit.

Hoffen auf Sozialpartnerschaft und soziale Marktwirtschaft?

Hier liegt der Pferdefuß der Kritik, die von Gewerkschaft, Betriebsräten wie auch den anwesenden PolitikerInnen von SPD, Union und Linkspartei unisono vertreten wurde. Die „Finanz“ hätte die Kontrolle über die Industrie übernommen, daher würde ohne langfristigen Sinn und Verstand gekürzt und rationalisiert. Die Vorschläge von Gewerkschaft und Beschäftigten, Konkurrenzfähigkeit und Arbeitsplätze gleichzeitig zu sichern, würden ignoriert. Der Siemensvorstand wurde pathetisch zu einer Rückkehr zur „Sozialpartnerschaft“ aufgefordert.

Kai Wegner von der CDU tat so, als würden die KoalitionärInnen von Union, Grünen und FDP zur Zeit nicht darum schachern, wie der Standort Deutschland, also die großen Monopole, noch wettbewerbsfähiger werden könnten, wie sie also noch besser aus Kapital mehr Gewinn schöpfen können. Jens Schulze von der SPD drohte Siemens gar, indem er eine Streichung von Subventionen und anderen Fördermaßnahmen in Aussicht stellte – als ob der Berliner Senat nicht wie andere Landesregierungen gerade versucht, den Standort für Investoren besonders attraktiv zu gestalten. Katina Schubert (Linkspartei) forderte schließlich eine Abkehr vom „Turbo-Kapitalismus“ und eine Rückkehr zur „sozialen Marktwirtschaft“.

Diese Hoffung ist zweifellos weit verbreitet – illusorisch bleibt sie jedoch allemal, wie auch die Erfahrung verdeutlicht. Die „Verantwortung“ für den Standort, die Menschen, die Zukunft und alles Mögliche wurde bei so ziemlich allen Protesten, Aktionen, ja selbst Arbeitsniederlegungen der letzten Jahre angemahnt. Geholfen hat es etwa so viel wie das Amen in der Kirche.

Die Beschwörung der „sozialpartnerschaftlichen“ Vergangenheit verklärt nicht nur die alles andere als soziale Geschichte des Siemens-Konzerns. Sie hilft erst recht niemandem, der Entlassungen und Schließungen verhindern will.

Natürlich wird niemand ablehnen, dass sich PolitikerInnen von SPD, Linkspartei oder auch der Union gegen die Pläne des Siemens-Vorstandes wenden. Verlassen sollte sich auf deren warmen Worte allerdings niemand. Das Hoffen auf Union und Merkel, auf Bundesregierung und Senat wird die Betriebe nicht retten. Erst recht nicht die illusorische Hoffnung auf produzierende UnternehmerInnen, die sich dem Finanzkapital entgegenstellen würden – als ob der Zweck der Produktion im Industriebetrieb nicht auch die Profitmaximierung wäre. Von den Parteien, die sich auf die organisierte ArbeiterInnenbewegung stützen, als Linkspartei und SPD, die trotz aller gebrochenen Versprechen und ständigen Paktierens mit dem Kapital immer noch das Vertrauen der Masse der organisierten KollegInnen genießen, müssen diese fordern, für den Kampf gegen Betriebsschließungen und Entlassungen zu mobilisieren. Auf ihre Führung verlassen, dürfen sie sich jedoch ebenso wenig wie auf die der Gewerkschaftsbürokratie.

Worauf bauen?

Es gibt aber auch einen Grund zur wirklichen Zuversicht. Die über 1000 Beschäftigten von Siemens und anderen Betrieben wissen, dass es ums Eingemachte geht. Die Stimmung, die Gesichter, der Applaus bei den Reden drückten alle eine Mischung aus Besorgnis, Wut und Kampfbereitschaft aus. Selten haben die TeilnehmerInnen einer solchen Kundgebung 90 Minuten so aufmerksam zugehört. Der Werksleiter kann sich im Betrieb momentan nur mit Begleitschutz durch Security-SöldnerInnen blicken lassen.

Viele werden sich wohl an den nächsten Aktionen in Berlin beteiligen, so am Montag, dem 20.11., um 12.00 Uhr vor dem Gasturbinenwerk in der Huttenstraße, so am Donnerstag, dem 23.11., um 12.00 Uhr vor dem Hotel Estrel in Berlin-Neukölln, wo eine bundesweite Betriebsrätekonferenz der IG Metall über den weiteren Widerstand beraten wird. Die IG Metall ruft dort zu einer Solidaritätskundgebung auf. Wie Medienberichte zeigen, rumort es nicht nur in Berlin, sondern auch an den anderen Siemens-Standorten,

Die Schlacht ist also noch keinesfalls entschieden. Noch kann der Personabbau, noch können Schließungen und Kahlschlag verhindert werden.

Dazu braucht es aber mehr als Appelle an „die Politik“. Es braucht zweifellos weitere Aktionen, Demonstrationen, Kundgebungen, die in den nächsten Wochen stattfinden werden.

Bei den Reden hat die IG Metall das Ziel der nächsten Wochen deutlich formuliert: Keine Schließungen, keine Verlagerungen, keine Kündigung, kein Arbeitsplatzabbau!

Um diese Ziele zu erreichen und die Konzern-Spitze in die Knie zu zwingen, braucht es aber jene Aktionsformen, die auf der Kundgebung nicht angesprochen wurden: Streiks und Besetzungen!

Diese Fragen müssen jetzt bei den Belegschaftsversammlungen, bei Aktionen, auf der Betriebsrätekonferenz aufgeworfen werden. Die IG Metall sollte zu einem konzernweiten, unbefristeten Streik aufrufen. Betriebe, die vor der Schließung oder Massenentlassungen stehen, sollten besetzt werden. Dazu sollten auf den Belegschaftsversammlungen Streik- und Aktionskomitees gewählt werden. Diese sollten bundesweit und international koordiniert werden. Ziel sollte die entschädigungslose Verstaatlichung des Gesamtkonzerns und sein Weiterbetrieb unter ArbeiterInnenkontrolle sein.

Die drohende Entlassungs- und Schließungswelle bei Siemens und in anderen Unternehmen hat jedoch auch eine weiter über die Gewerkschaft hinausgehende Bedeutung. Daher sollten auch die DGB-Gewerkschaften, Vertrauensleute, die Gewerkschaftslinke und alle linken Organisationen den Abwehrkampf unterstützen und Solidaritätskomitees mit den kämpfenden ArbeiterInnen in Zusammenarbeit mit IG-Metall, Betriebsräten und Vertrauensleuten aufbauen.

Die Tarifrunde der IG Metall muss genutzt werden, um sie mit dem Kampf gegen Entlassungen bei Siemens zu verknüpfen. Alle IG Metall-KollegInnen müssen nicht nur für die Tarifforderungen streiken, sondern Solidarität zeigen: durch Arbeitsniederlegungen und Unterstützungskomitees und –aktionen (gemeinsame Streikposten und Besetzungen) für die berechtigten Forderungen der SiemensianerInnen.