US-Gericht in Louisville entscheidet: Schwarze Leben spielen keine Rolle

Dave Stockton, Infomail 1119, 27. September 2020

In der vergangenen Woche brachen erneut landesweit Proteste gegen Polizei-Rassismus in den USA aus. Es geht erneut gegen das diskriminierende Unrechtsjustizsystem der Vereinigten Staaten, nachdem bekannt wurde, dass eine Grand Jury es abgelehnt hatte, drei Zivilpolizisten wegen der Erschießung und Tötung von Breonna Taylor, einer zum Zeitpunkt des Mordes sechsundzwanzigjährigen afroamerikanischen Notfallsanitäterin, in ihrem eigenen Haus anzuklagen.

Nachdem die Beamten in den frühen Morgenstunden des 13. März 2020 ohne Vorwarnung in ihre Wohnung in Louisville, Kentucky, eingedrungen waren, feuerten sie mehr als zwanzig Schüsse ab, von denen sieben Breonna Taylor trafen und von denen einer sie tödlich verletzte. Nur einer der Polizeioffiziere wurde wegen „mutwilliger Gefährdung ersten Grades“ angeklagt, weil er rücksichtslos Schüsse in das Apartment abgegeben hatte, die in benachbarte Wohnungen eingedrungen waren. Selbst diese Anklage wurde erst vier Monate nach der Tötung erhoben, schlicht und einfach nur als Tarnung, um eine Anklage wegen Mordes gegen die Beamten zu vermeiden.

Taylor lag mit ihrem Freund Kenneth Walker im Bett, als die Polizei ohne Vorwarnung die Tür zu ihrer Wohnung aufbrach. Walker eröffnete mit seiner rechtmäßig gehaltenen Schusswaffe das Feuer auf die Eindringlinge und verwundete einen der AngreiferInnen leicht. Walker, der selbst im Kugelhagel verwundet wurde, wurde sofort angeklagt und befindet sich seit dem Vorfall in Haft. Den Polizeibeamten wurden lediglich neue Aufgaben zugewiesen. In einem ekelerregenden Versuch, das Opfer zu beschmutzen, versuchte die Polizei erfolglos, Breonna mit dem Drogengebrauch eines ehemaligen Freundes in Verbindung zu bringen. In der Wohnung wurden keine Drogen gefunden.

Mord und Repression

Wieder einmal haben wir ein unverschämtes Beispiel für die völlige Straffreiheit von PolizistInnen, wenn es darum geht, Schwarze „in Ausübung ihrer Pflicht“ zu töten. Es hat den Anschein, dass kaum eine Polizeitötung aufgenommen worden ist, da findet schon eine andere statt. Kein Wunder, dass sie sich wie eine Besatzungsarmee verhalten, einer der Beteiligten hatte seinen KollegInnen sogar getwittert, dass sie „Krieger“ seien. Viele KommentatorInnen haben darauf hingewiesen, dass sich diese „KriegerInnenmentalität“ seitdem Irakkrieg noch weiter verbreitet hat. Seitdem haben viele Polizeidienststellen schwer gepanzerte Fahrzeuge und andere militärische Kriegswaffen gekauft.

Die mutwillige Ermordung von Breonna Taylor, gefolgt von der von George Floyd, die auf Video festgehalten wurde, löste eine Welle von Demonstrationen aus, die sich weltweit ausbreitete. Louisville selbst war seit der Ermordung von Breonna 119 Tage lang Zeugin von Protesten. In zunehmendem Maße hat die Polizei Tränengas und Pfefferkugeln auf diese Menschenmengen abgefeuert.

Am Tag der Weigerung der Grand Jury, Anklage zu erheben, liefen die BereitschaftspolizistInnen in die Menge der friedlichen DemonstrantInnen hinein und provozierten schließlich das, was sie dann als Aufruhr bezeichnen konnten. Über Nacht erlitten zwei PolizistInnen Schusswunden, und noch vor dem Urteil rief der Gouverneur von Kentucky, Andy Beshear, ein Demokrat, in Louisville den Ausnahmezustand aus. Am Tag selbst mobilisierte er die Nationalgarde des Staates.

Donald Trump hat die Polizei wiederholt für die Gewalt gelobt, die sie gegen friedliche DemonstrantInnen – die er als „InlandsterroristInnen“ bezeichnet hat – entfesselt hat. Er hat seine rechtsextremen AnhängerInnen gegen DemonstrantInnen aufgehetzt, und in Denver, Colorado, fuhr eine/r mit einem Auto durch eine Demonstration, die gegen die Entscheidung der Grand Jury protestierte.

Die Polizei hat während der Proteste regelmäßig schwer bewaffnete rechte Milizengruppen auf den Straßen patrouillieren lassen und sich sogar mit ihnen vergeschwistert. Als am 25. August in Kenosha, Wisconsin, zwei unbewaffnete Demonstranten von einem solchen rechten Milizionär getötet wurden, nahm Trump den Täter in Schutz und meinte, dass dieser sich nur verteidigt habe. Dies ist eindeutig Teil seiner Strategie, die Wahl am 3. November in einer Atmosphäre hoher sozialer Spannungen, einschließlich physischer Konflikte, abzuhalten, in der Hoffnung, dass seine Kampagne für „Recht und Ordnung“ die kläglichen Misserfolge seiner Präsidentschaft vertuschen wird.

Die Aktionen der DemokratInnen, selbst dort, wo sie im Amt sind, wie in Kentucky, zeigen, wie wenig diese zweite Partei der KapitalistInnen als Schutz für Schwarze und People of Color, die große Zahl von AntirassistInnen oder für die ArbeiterInnenklasse geeignet ist. Deshalb sollte man sich nicht in dem Glauben zurückhalten, dass dies Biden zum Sieg verhelfen wird.

Ganz im Gegenteil! Es sollte kein Zurückschrecken bei den Demonstrationen oder bei den Kämpfen der ArbeiterInnen für Arbeitsplätze und Gerechtigkeit in der Coronavirus-Krise geben! Keine Zurückhaltung bei den Aufrufen, die KillerpolizistInnen aus den Gemeinden zu vertreiben, die Polizeigewerkschaften aus den Gewerkschaftsverbänden herauszuschmeißen und ganz sicher keine Zurückhaltung bei der Organisierung der Selbstverteidigung. Jedes Anzeichen einer Schwächung des Massenwiderstandes wird nur Trumps ultrareaktionäre Bewegung und ihre faschistischen Ränder ermutigen, ganz zu schweigen von den Polizeiabteilungen, von denen viele bereits mit ihnen sympathisieren.

Trump hat praktisch damit gedroht, dass er das Urteil der WählerInnen nicht akzeptieren wird, wenn die Wahl im November gegen ihn ausfallen wird. Er hat seine AnhängerInnen der weißen RassistInnen dazu angestachelt, sich zu wehren, wenn er verliert. Das mag nur Trump-Geschrei sein, aber wenn die Ergebnisse von RepublikanerInnen in von ihnen kontrollierten Bundesstaaten oder im Obersten Gerichtshof angefochten oder behindert werden können, dann ist alles möglich. Die sicherste, ja die einzige Möglichkeit, dieses Szenario zu verhindern, besteht darin, die Massenbewegung zu stärken, damit sie direkt eingreifen kann, um ihm Einhalt zu gebieten bzw. ihn aus dem Amt zu jagen, sollte er versuchen an diesem festzuhalten.




USA: Schüsse von Kenosha zeigen die Notwendigkeit zur Selbstverteidigung

Dave Stockton, Infomail 1116, 2. September 2020

In Kenosha, Wisconsin, wurde am Sonntag, dem 23. August, um 17.00 Uhr Jacob Blake beim Einsteigen in sein Auto von einem Polizeibeamten, Rusten Sheskey, sieben Mal in den Rücken geschossen. Blakes drei Kinder saßen auf dem Rücksitz des Wagens und wurden ZeugInnen des schrecklichen Ereignisses. Wie durch ein Wunder überlebte er, doch die Schüsse durchtrennten sein Rückenmark und zertrümmerten Wirbel. Black ist von der Taille abwärts gelähmt, wahrscheinlich lebenslang.

Als ob dies noch nicht genug wäre, haben ihn die BeamtInnen, nachdem er in kritischem Zustand ins Krankenhaus gebracht wurde und immer noch um sein Leben kämpfte, mit Handschellen an sein Bett gefesselt, obwohl er keines Verbrechens angeklagt worden war. Der mutmaßliche Täter hingegen wurde bei vollem Gehalt suspendiert und noch nicht angeklagt. Die übliche Straflosigkeit, die KillerpolizistInnen genießen, könnte sich durchaus wiederholen.

Wie bei der Ermordung von George Floyd am 25. Mai signalisiert die Polizei von Kenosha hiermit, dass sie die Stadt ohne jeglichen Respekt vor der rechtlichen Gleichheit der BürgerInnen, insbesondere von Schwarzen und People of Colour, regiert. Nichts, so scheint es, wird diese „legalisierten“ Lynchmorde aufhalten können.

Republikaner und Demokraten

Natürlich löste dies im Zusammenhang mit der neu belebten Bewegung „Black Lives Matter“ seit der Ermordung Floyds mehrere Nächte militanter Straßenproteste aus, in denen Fahrzeuge und das Bezirksgerichtsgebäude von Kenosha in Brand gesteckt wurden. Die Polizei begegnete den DemonstrantInnen mit Tränengas und Gasgrananten. Wie üblich prangerten die VertreterInnen der Republikanischen Partei die Gewalt der Protestierenden an, nicht aber die der Polizei, während die Mitglieder der Demokratischen Partei und die älteren „offiziellen“ Spitzen der Gemeinde zum „Frieden“ aufriefen. Wie kann es angesichts eines solch eklatanten Beispiels von Ungerechtigkeit Frieden geben?

Der demokratische Bürgermeister John Martin Antaramian zeigte, auf wessen Seite er wirklich steht, und forderte die schwer bewaffnete Bereitschaftspolizei mit mehreren großen gepanzerten so genannten Bearcat-Polizeifahrzeugen an, die mit Long Range Acoustic Devices, d. h. ohrenbetäubenden Sirenen, ausgestattet waren und Gummigeschosse abfeuerten.

Der demokratische Gouverneur von Wisconsin, Tony Evers, entsandte die Nationalgarde des Bundesstaates Wisconsin, rief den Ausnahmezustand aus und begrüßte sogar das Angebot von US-Präsident Trump, Bundespolizei in die Stadt zu entsenden. Dies geschah trotz Trumps wiederholter Verleumdungen demokratischer Bundesstaaten und Städte wegen der Unruhen, die durch die Killer-Polizei allein provoziert wurden. Darüber hinaus hat der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden rückgratlos die „Gewalt auf der rechten und linken Seite“ verurteilt. All dies ist ein weiterer Beweis für die Nutzlosigkeit dieser zweiten Partei der Wall Street für die Unterdrückten und die ArbeiterInnenklasse.

Rassismus, Milizen und Polizei

Als sich die Nachricht von dem Aufstand verbreitete, mobilisierten schwer bewaffnete weiße RassistInnen, die Kenosha-Milizen und die „Stolzen Jungs“, auf die Straßen der Stadt und fungierten de facto als Polizeihilfstruppen. Es gibt Videoaufnahmen von PolizistInnen, die freundliche Gespräche mit ihnen führen und ihnen Wasser anbieten, wobei ein/e PolizistIn über einen Lautsprecher sagt: „Wir schätzen euch Jungs, das tun wir wirklich“.

Einer der Miliz-SympathisantInnen, der 17-jährige Kyle Rittenhouse, erschoss zwei Demonstranten, Anthony Huber, 26, und Joseph Rosenbaum, 36, beide unbewaffnet, und verwundete einen dritten, Gaige Grosskreutz, einen freiwilligen Straßenmediziner. Rittenhouse wurde von PolizeibeamtInnen mit seinem um die Brust geschlungenen AR-15-Sturmgewehr vom Tatort unbehelligt weggelassen. Er wurde erst später, meilenweit entfernt in seinem Heimatort Antioch, Illinois, festgenommen.

Sofort eilten prominente Trump-AnhängerInnen zu seiner Verteidigung. Paul Gosar, ein republikanisches Mitglied des US-Repräsentantenhauses aus Arizona, twitterte: „100 % gerechtfertigte Selbstverteidigung. Versuchen Sie nicht, einem Mann eine Waffe wegzunehmen, oder Sie müssen die Konsequenzen tragen“ und schloss mit der Drohung: „Die Kriminellen hier: Die Kommunalverwaltung von Kenosha, die Nacht für Nacht die Unruhen, Brände und Plünderungen zulässt. Bewaffnete BürgerInnen, die sich selbst verteidigen, werden das Vakuum füllen“.

Trumps Wahlkampf und rechte Propaganda

In einem Fox-News-Fernsehinterview in der Nacht der Schüsse auf Blake erklärte der US-Justizminister William Barr, dass einige der VertreterInnen der Demokratischen Partei, die ihn vor zwei Wochen bei einer Kongressanhörung befragten, RevolutionärInnen seien, die den amerikanischen Kapitalismus zu stürzen suchen und mit TerroristInnen im Bunde stehen.

Am Tag vor den Morden in Kenosha erschien ein Ehepaar aus St. Louis, Missouri, das einen friedlichen „Black Lives Matter“-Protest bedroht hatte, der an ihrer Villa vorbeizog, mit einem Video-Redebeitrag auf dem republikanischen Nationalkongress und unterstützte Trumps Botschaft, dass die BLM-Proteste eine Bedrohung der amerikanischen Lebensweise sind, gegen die sie sich mit automatischen Waffen in der Hand verteidigen müssen. Dann, nach den Morden, postete Fox News-Moderator Tucker Carlson auf Twitter: „Wie schockiert sind wir, dass 17-Jährige mit Gewehren beschlossen, die Ordnung aufrechtzuerhalten, als niemand sonst es tat?“

Trump konzentriert seine Kampagne zunehmend auf die Behauptung, dass Amerika vor einer finsteren, weit linken Verschwörung steht, für die Joe Biden und Kamala Harris nur Marionetten sind. In einem Interview für Fox News behauptete er, dass Flugzeugladungen von gewalttätigen „Black Lives Matter“-DemonstrantInnen durch das Land geflogen würden, bezahlt von einer Clique reicher Leute, „Leute, von denen Sie noch nie etwas gehört haben. Menschen, die in den dunklen Schatten stehen“ und dass „es Menschen sind, die die Straßen kontrollieren“.

Trump wiederholt eine Kampagne, die von QAnon, einer bizarren rechtsgerichteten Website über Verschwörungstheorien, geführt wird. Er hat auch die gleiche rassistische „Geburts“-Lüge verbreitet, die er gegen Obama unterstützte, nämlich dass Kamala Harris nicht in den USA geboren sei. Es scheint, dass er sich zu solchem Schmutz herablassen wird, um seine erzreaktionäre Basis zu motivieren und mobilisieren.

Es stimmt, in „normalen“ Zeiten, d. h. in Zeiten kapitalistischer Stabilität, wären solche Ideen als Hirngespinste von Verrückten am Rande des Wahnsinns abgetan worden. Aber jetzt, wo die USA nicht nur am Beginn eines großen wirtschaftlichen Einbruchs, einer Klimakatastrophe und inmitten der SARS-CoV-2-Pandemie stehen, die von der Trump-Regierung so kriminell schlecht gemanagt wurde, sondern auch vor dem Handelskrieg, den sie mit dem kapitalistischen China angezettelt haben, erscheinen selbst solche Ideen einer verrückt gewordenen Mittelschicht vernünftig.

Trump hat effektiv angedeutet, dass er diese „Strategie der Spannung“ mit Hilfe der Polizei und seiner rechtsextremen Hilfskräfte bis zur Wahl aufrechterhalten wird. Wenn er verliert, wird er sich weigern, das Ergebnis anzuerkennen, und erklären, es sei festgelegt worden. Sieg oder Niederlage, amerikanische ArbeiterInnen, Schwarze, People of Colour, FeministInnen, LGBTIAQ-AktivistInnen stehen vor einem seit vielen Jahren nicht erlebten Konflikt, den Keimen eines amerikanischen Faschismus.

Trump ging auf Twitter und behauptete, er habe mit dem demokratischen Gouverneur von Wisconsin, Tony Evers, gesprochen und würde „die Bundespolizei und die Nationalgarde … zur Wiederherstellung von GESETZ und ORDNUNG“ schicken! Er fügte hinzu, dass er am 2. September Kenosha besuchen werde, um dies zu überwachen. Und um seine Provokation noch zu verstärken, hat er Rittenhouse verteidigt und unverschämter Weise geschrieben, dass die Doppelmorde in Notwehr geschahen. „Ich vermute, er war in sehr großen Schwierigkeiten … er wäre wahrscheinlich getötet worden.“

Es ist zu hoffen, dass AntirassistInnen, AntifaschistInnen und rassistisch Unterdrückte von nah und fern, die sich angemessen gegen FaschistInnen und PolizistInnen schützen, ihm einen gebührenden Empfang bereiten.

What next?

Dies alles unterstreicht schließlich die dringende Notwendigkeit für die an den Bewegungen beteiligten fortschrittlichen Kräfte, ihre eigene, von den DemokratInnen unabhängige Partei aufzubauen. Es muss eine Partei sein, die nicht nur für den Wahlkampf, sondern auch auf den Straßen, in den Gemeinden und an den Arbeitsplätzen aktiv ist. Es muss eine Partei sein, deren militante Speerspitze die weißen RassistInnen und FaschistInnen dorthin zurückdrängen kann, von wo aus Trump sie herbeigerufen hat.

In der gegenwärtigen politischen Krise, die seit den 1960er und 1970er Jahren beispiellos ist, müssen wir sagen:

  • Haltet die landesweiten Demonstrationen gegen Polizeimorde und Trump und seine rassistischen UnterstützerInnen aufrecht!
  • Polizei weg von den Straßen unserer Städte – keine Finanzierung der Repression!
  • Alle Killer-PolizistInnen vor Gericht bringen: Ihre Straflosigkeit muss ein Ende haben!
  • Selbstverteidigung ist kein Vergehen – die Unterdrückten haben das Recht, Waffen zu tragen! Aufbau von Selbstverteidigungsorganen zum Schutz vor Angriffe weißer RassistInnen und der Killer-Cops!
  • Baut eine Einheitsfront des Widerstands auf, einschließlich der organisierten ArbeiterInnenschaft, und schafft die Grundlage für eine unabhängige ArbeiterInnenpartei mit einem sozialistischen Programm!



Krise, Pandemie und die drohende Flut der Corona-LeugnerInnen

Martin Suchanek, Infomail 1116, 1. September 2020

Die zweite Welle der Corona-LeugnerInnen, von Querdenken 711 über die AfD, diverse rechte und rechtsradikale Vereinigungen bis zu ReichsbürgerInnen, Identitärer Bewegung und offenen FaschistInnen droht, zu einer regelrechten Flut zu werden.

An die 40.000 versammelten sich am 29. August in Berlin.  Gegenüber dem 1. August verdoppelte sich die Zahl der TeilnehmerInnen.

Zweifellos stiegen der Einfluss und die Mobilisierungskraft der extremen Rechten. Das wurde nicht nur bei der Erstürmung der Treppe zum Parlament durch hunderte ReichsbürgerInnen deutlich, sondern war auch für die 1.000 bis 2.000  Linken sichtbar, die gegen den reaktionären Spuk protestierten. Vor der russischen Botschaft und auf der Straße Unter den Linden waren zahlreiche Reichskriegs- sowie russische und US-amerikanische Fahnen sichtbar – allesamt ein getreues Kennzeichen der Demokratie, die sie in der Herrschaft Trumps, Putins und im Deutschen Reich offenbar als veritable Alternativen zur „Merkel-Diktatur“ erblicken.

Hinter dem ganzen Gerede von Demokratie, Grundrechten, dem Ruf nach einer verfassunggebenden Versammlung steckt der Aufschrei nach einer autoritären, plebiszitären „Ordnung“, die deutschen (Klein-)BürgerInnen wieder Sicherheit und „Freiheit“ garantieren soll.

Zweifellos verstehen die unterschiedlichen Kräfte in der Bewegung darunter Verschiedenes. Ihr einigendes Band bildet aber nicht nur die Ablehnung aller Corona-Maßnahmen der Regierung, die Leugnung der realen Gefahr, die die Pandemie für die Gesundheit von Millionen und Abermillionen bedeutet, und die Forderung nach Aufhebung aller (!) Maßnahmen des Hygieneschutzes.

Dabei lässt sich schon allein daran der wirkliche, reaktionäre Charakter der Mobilisierung erkennen, der auch nicht verschwinden würde, wenn kein/e einzige/r Rechtsextreme/r bei den Aktionen dabei gewesen wäre. Die Forderung von Querdenken 711, diversen VerschwörungstheoretikerInnen, ImpfgegnerInnen und „SkeptikerInnen“ läuft schließlich auf nichts weniger hinaus als die Aufhebung jedes Gesundheitsschutzes – faktisch auf ein Todesurteil für Zehntausende. Dass dabei auch noch einige Verwirrte aus der sog. Friedensbewegung mitlaufen, macht die Sache nicht besser.

Nazis und Rechtsradikale

Zweifellos sind die meisten der rund 40.000 TeilnehmerInnen der Kundgebung und erst die sehr viel zahlreicheren AnhängerInnen im ganzen Land keine Nazis und haben wohl auch nicht vor, sich in nächster Zeit einer faschistischen oder offen rechtsradikalen Gruppierung wie dem Dritten Weg, der NPD, den ReichsbürgerInnen oder der Identitären Bewegung anzuschließen. Mit der rechtspopulistischen AfD, die mittlerweile voll auf den Zug der Bewegung  aufgesprungen ist, verhält es sich wahrscheinlich anders. Sie sieht durchaus zu Recht die Chance, nicht nur Mitglieder, sondern auch WählerInnen in großer Zahl zu gewinnen.

Die verschiedene rechtsradikalen bis faschistischen Gruppierungen versuchen sich, als entschlossenster Teil der Bewegung, als deren völkischer, militanter, faschistischer Arm zu präsentieren und damit auch die vorhandene reale Wut und Existenzangst der Massen anzusprechen. Sie sind, das wurde am 29. August einmal mehr deutlich, anerkannte Bündnispartnerinnen der OrganisatorInnen um Querdenken 711. Auch von der großen Masse der Demonstrierenden werden sie nicht bloß „geduldet“, sondern als BündnispartnerInnen gegen die Regierung und deren „Corona-Diktatur“ begriffen. Daher ficht sie der Vorwurf nicht an, dass sie mit Nazis marschieren würden. Sie wissen das ohnehin, nehmen es billigend in Kauf und  glauben wahrscheinlich sogar, die Rechtsextremen für ihre Zwecke ausnutzen zu können.

Damit bilden die Aktionen zweifellos einen fruchtbaren Nährboden für die extreme Rechte, auch wenn sie zur Zeit noch weit davon entfernt ist, sie politisch zu dominieren, und die Masse der TeilnehmerInnen von anderen Kräften mobilisiert wird. Wie stark die faschistischen und halbfaschistischen Kräfte schon sind, offenbarte der 29. August nicht nur bei der medial spektakulären Erstürmung der Treppe des Parlaments durch ReichsbürgerInnen. Insgesamt waren mehrere Tausend Nazis, Rechtsradikale und deren Umfeld am Start, sie machten mindestens 10, vielleicht sogar 20 % der TeilnehmerInnen aus.

Rechtspopulismus

Dass die Masse der TeilnehmerInnen selbst nicht faschistisch ist, stellt aber nicht nur deshalb keinen Grund zu Beruhigung dar. Der von Regierung, bürgerlichen Medien, aber auch vielen linken Gruppierungen und Gegenmobilisierungen vorgetragene Hauptkritikpunkt, dass sich Michael  Ballweg und Querdenken 711 von Rechtsradikalen, Nazis, ReichsbürgerInnen, der QAnon-Sekte und anderen „instrumentalisieren“ ließen, greift viel zu kurz. Die von Ballweg gegründete „Bewegung“ gegen die Corona-Politik, Querdenken 711, gerät dabei nämlich aus dem Blick, als bestünde das Problem nur darin, dass auch Nazis und Rechtsradikale mitlaufen.

Es liegt aber gerade darin, dass in den letzten Monaten vor allem eine neue, gefährliche rechtspopulistische Bewegung entstanden ist. Ursprünglich vor allem gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung gerichtet, fordert sie jetzt ein Ende des „Merkel-Regimes“ und ihrer „Diktatur“. Ballwegs Bewegung sucht dabei nicht nur die Kooperation mit AfD und noch rechteren Kräften wie der Identitären Bewegung oder mit Figuren wie Ken Jebsen, sondern trifft sich auch schon Mal mit Max Otte von der Werteunion.

Querdenken 711 reiht sich unter die rechtspopulistischen Kräfte ein, die in den letzten Jahren in vielen Ländern entstanden sind. Irrationale, wissenschaftsfeindliche Kritik an der Corona-Gefahr und den Maßnahmen zum Gesundheitsschutz verknüpft sie mit einer demagogischen Kritik an der „Elite“, die die „ehrlich arbeitenden“ Menschen, also vor allem die fleißigen (Klein-)UnternehmerInnen in den Ruin treiben würde. Die Corona-Maßnahmen entpuppen sich so als Teil einer Verschwörung von Bill Gates, Angela Merkel, dem „Mainstream“ der VirologInnen …, die die Wirtschaft in ihrem Interesse mit unlauteren, verschwörerischen Mitteln ummodeln wollen und zudem die Welt mit der Corona-Diktatur überziehen.

Dabei greifen sie zwar reale Probleme wie die Ausschaltung demokratischer Rechte und den drohenden Ruin der „hart Arbeitenden“ auf, worunter Gewerbetreibende, KapitalistInnen (außer Menschen wie z. B. Bill Gates) und auch Lohnabhängige verstanden werden. Schuld an der Krise sind nicht Rezession und Marktwirtschaft, sondern deren Einschränkung aufgrund der Pandemie, die Schließung von Unternehmen, Schulen, öffentlicher Einrichtungen im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung.

Der Ruf nach Freiheit und Demokratie nimmt freilich einen eigentümlichen Charakter an. Nicht die realen Angriffe auf die „Demokratie“, z. B. die Entrechtung  von MigrantInnen, die Abriegelung der EU-Außengrenzen, die Einschränkungen des Streik- und Demonstrationsrechts werden kritisiert, sondern der „Maskenzwang“ beim Einkaufen und in öffentlichen Verkehrsmitteln. Fallen sollen vor allem die Einschränkungen des Geschäftslebens wie Abstandsregeln und Hygienevorschriften in Gastronomie und Geschäften, an Schulen und in der Arbeitswelt.

Wo der Ruf nach „Freiheit“ konkret wird, entpuppt er sich als solcher nach rücksichtsloser Verfolgung der Geschäftsinteressen der Kleinunternehmen, der WarenproduzentInnen. Dafür wird die Gesundheitsgefährdung anderer Menschen, von KundInnen und Beschäftigten billigend in Kauf genommen. Die Corona-Leugung wird so zum zentralen Bestandteil einer Politik des ungebremsten Egoismus, der Freiheit der/s PrivateigentümerIn.

Zulauf

Ist auch ziemlich alles an den Argumenten und Vorbehalten zu Corona falsch, verkehrt, ja geradezu gemeingefährlich, erhebt sich doch die Frage, warum eine solche Politik, eine solche Bewegung Massenzulauf erhält – und zwar nicht nur von Nazis und Rechtsradikalen, sondern aus dem KleinbürgerInnentum, den Mittelschichten, von UnternehmerInnen wie auch politisch rückständigen und frustrierten ArbeiterInnen.

Der Grund dafür ist einfach. Die Existenzangst des KleinbürgerInnentums, kleiner UnternehmerInnen und erst recht der Masse der Bevölkerung ist real. Die gegenwärtige kapitalistische Krise zeitigt schon jetzt verheerende Auswirkungen – und dabei sind diese zum Teil noch „sozial“ abgefedert.

Natürlich werden sie letztlich nicht die KleinunternehmerInnen und des KleinbürgerInnentum an heftigsten treffen, sondern die ArbeiterInnenklasse in Form von drohenden Massenentlassungen, die proletarischen Frauen, MigrantInnen und Geflüchtete oder prekär Beschäftigte.

Doch große Teile des Proletariats wurden schon lange vor der Krise, im Grunde seit den Hartz-Gesetzen und Agenda 2010, nach unten gedrückt. Auf diese Menschen beziehen sich Ballweg und Querdenken auch nicht wirklich, für sie gibt es in den ganzen Reden keine konkreten Forderungen. Einen Bezug auf den Kampf gegen Entlassungen, die Forderung nach entschädigungsloser Verstaatlichung von Unternehmen, die mit Entlassungen drohen, das Eintreten für armutssichere Renten, Arbeitslosenunterstützung oder einen Mindestlohn von 13,50 Euro/Stunde wird man bei den QuerdenkerInnen vergeblich suchen. Erst recht findet sich nichts zum Gesundheitsschutz von Beschäftigten oder durch Corona besonders gefährdeter Menschen. Solche Maßnahmen erscheinen vielmehr als Teil einer „Diktatur“, die den Menschen schaden würden, weil sie „die Wirtschaft“ einschränken.

Sinn macht diese menschenverachtende Rücksichtslosigkeit, die sich ohne Corona-Leugnung nicht rechtfertigen ließe, jedoch vom Standpunkt der/s einzelnen UnternehmerIn. Da sie/er aufgrund von Maßnahmen des Hygieneschutzes ihren/seinen Geschäften nicht oder nur eingeschränkt nachgehen kann, müssen diese weg. Mit dieser Forderung versucht sie/er, auch die/den politisch rückständige/n Lohnabhängige/n ins Boot zu holen, die/der dann auch wieder arbeiten „dürfe“.

Im letzten Jahrzehnt und besonders in der aktuellen Krise sorgt sich ein wichtiger Teil des Kleinbürgertums nicht nur um seine Existenz, er verliert auch zunehmend Vertrauen in „seine“ Parteien, in das etablierte politische System. Dies zeigte sich schon in der sog. Flüchtlingskrise. Auch die Massenmigration wurde zu einer Verschwörung der „Elite“, zur versuchten Umvolkung stilisiert, ganz wie die sog. Klima-SektikerInnen bei Umweltschutz und ökologischem Umbau ihren Ruin fürchten. Die Corona-LeugnerInnen stellen eine weitere Form dieser Absetzbewegung dar, die zu einem nochmaligen Erstarken des Rechtspopulismus – und in seinem Fahrwasser auch des Faschismus – zu führen droht.

Der Rechtspopulismus rekrutiert seine AnhängerInnen vornehmlich unter jenen Klassen und Schichten, die über Jahrzehnte Stützen der Nachkriegsordnung, der bundesrepublikanischen Demokratie waren. Querdenken 711 könnte in Verbindung mit der AfD und all ihren Flügeln zu einer weiteren Belebung und Verbreiterung dieser reaktionären kleinbürgerlichen Kraft in Bewegungs- wie in Parteiform beitragen. Ihr Ziel ist, wie bei ähnlichen Formationen in den USA, Lateinamerika oder anderen europäischen Ländern, die „radikale“ Umwandlung des bestehenden Systems, also die Stärkung seiner autoritären, repressiven, bonapartistischen und antidemokratischen Elemente. Nationalismus, Rassismus sowie ein reaktionärer völkischer, rassistischer und antisemitischer Diskurs bilden den notwendigen Kitt, um die gegensätzlichen sozialen Gruppierungen zusammenzuhalten, die der Populismus zu vereinen sucht. Das „Volk“, die imaginäre Einheit aller Klassen, muss beschworen werden, um einer autoritären Herrschaft des Kapitals den Weg zu bereiten.

Dies ist wiederum ein Grund, warum faschistische oder halbfaschistische Bewegungen an Gruppierungen wie Querdenken 711 leicht anknüpfen können. Der Rechtspopulismus stellt somit eine doppelte Gefahr dar. Einerseits die drohende Umgestaltung der politischen Verhältnisse im Sinne der herrschenden Klasse, die sich dabei auf eine reaktionäre Volksbewegung gegen die Linke und die ArbeiterInnenklasse stützt. Andererseits bereitet er auch den Boden für eine noch radikalere, faschistische Krisenlösung vor, sollte sich die autoritäre, bonapartistische Umgestaltung der Verhältnisse als unzureichend oder unmöglich erweisen.

Wie den Kampf führen?

Die Bedrohung durch den Rechtspopulismus darf daher keineswegs unterschätzt werden. Um ihn erfolgreich zu führen, reichen freilich nicht Aufklärung oder antirassistische oder antifaschistische Gegenmobilisierung.

Der Rechtspopulismus zieht seine Kraft letztlich aus den krisenhaften Verwerfungen der Gesellschaft, aus dem realen oder drohenden Ruin ganzer Schichten. Er kann daher nur gestoppt werden, wenn ihm dieser Nährboden entzogen wird. Das wiederum erfordert, dass die ArbeiterInnenklasse als gesellschaftliche Kraft, als Alternative zur herrschenden Klasse und ihrer Regierung in Erscheinung tritt.

Doch genau hier liegt ein entscheidendes Problem. Die Gewerkschaftsführungen, die Spitzen der Konzernbetriebsräte, die reformistischen Parteien SPD und Linkspartei treten als Regierungsgehilfen, bessere KrisenverwalterInnen, Sozial- und StandortpartnerInnen des Großkapitals oder – wie bei der Linkspartei – allenfalls als linke BeraterInnen der Regierung in Erscheinung.

Das ermöglicht es erst dem Rechtspopulismus, als scheinbar radikale Opposition in Erscheinung zu treten. In der tiefsten Krise des Kapitalismus vertritt er eine Politik, die die Regierung anprangert, die eine radikale Veränderung, den Kampf gegen die „Elite“ und die „Diktatur“ verspricht. Er trifft damit trotz seiner reaktionären Forderungen und trotz seines Irrationalismus ein reales gesellschaftliches Bedürfnis nach Veränderung. Er spricht auf reaktionäre Weise an, dass das System selbst das Problem darstellt.

Die Regierung, aber auch die Führungen der ArbeiterInnenbewegung vertreten demgegenüber den Status quo. Der Berliner Innensenator und rechte Sozialdemokrat Geisel würde am liebsten alle Demonstrationen verbieten, die sich gegen das bürgerliche System und den Kapitalismus richten bzw. die Symbole dieser Ordnung „beschmutzen“. Mit dem versuchten Verbot der Demonstration der Corona-GegnerInnen scheiterte er zwar vor den Gerichten, aber die nächste Einschränkung demokratischer Rechte wird schon vorbereitet.

Diese richtet sich natürlich sicher nicht nur gegen Nazis oder Rechte, sie wird, wie immer in solchen Fällen, auch gegen die Linke und die ArbeiterInnenklasse verwendet werden. Mit derselben Begründung, mit der die Berliner Versammlungsbehörde die Corona-Demos verbieten lassen wollte, kann natürlich auch jede Blockade gegen die Räumung von Wohnungen, jede kämpferische Massendemonstration illegalisiert werden. Dass Geisel und erst recht die staatliche Bürokratie und der Polizeiapparat genau das auch vorhaben, haben sie schon hinlänglich bewiesen – in Berlin jüngst bei der Räumung der linken Kiezkneipe Syndikat.

Im Kampf gegen Rechtspopulismus und Faschismus dürfen wir uns daher nicht auf den Staat oder auf Verbote verlassen, die sich letztlich ebenso gegen die Linke und die ArbeiterInnenklasse richten werden. Wir müssen selbst mobilisieren. Dass gegen den schaurigen Aufmarsch der Corona-LeugnerInnen am 29. August nur 1.000 – 2.000 Menschen demonstrierten, dass nicht nur die Gewerkschaften und alle Massenorganisationen bis auf einzelne Ausnahmen fehlten, sondern auch große Teil der „radikalen“ Linken mit Abwesenheit glänzten, ist eine Schande. Der 29. August muss ein Weckruf, ein Alarmsignal an alle sein.

Der Aufmarsch der 40.000 sollte deutlich machen, dass wir nicht länger auf die reformistischen und gewerkschaftlichen Apparate warten dürfen, um eine Bewegung gegen die Abwälzung der Kosten von Krise und Pandemie aufzubauen. Der Kampf gegen den Rechtspopulismus wird nicht allein bei Gegenmobilisierungen entschieden. Wir müssen daran gehen, eine Bewegung aufzubauen, die eine klassenkämpferische Alternative zur Politik der Krisenverwaltung im Konzerninteresse verdeutlicht.

Sie muss natürlich versuchen, die Gewerkschaften und reformistischen Apparate zum Kampf zu zwingen. Auch deshalb ist es nötig, die Initiative zu ergreifen, um mit Demonstrationen und Aktionen sichtbar zu werden, Tarifkämpfe, antirassistische und antifaschistische Mobilisierungen und die Umweltbewegung zu unterstützen, um überhaupt die nötige Kraft zu entfalten, um die großen Organisationen zur Mobilisierung zu zwingen.

Eine Antikrisenbewegung kann so zu einer Alternative für den Kampf in den Betrieben, Büros, an Schulen und im Stadtteil werden. Es ist Zeit aufzuwachen, ansonsten wird es ein noch böseres Erwachen geben.




Kein Vergessen! Beteiligt Euch an den Demonstrationen im Gedenken an die Ermordeten von Hanau!

Aufruf von Gruppe ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION

Gerade sechs Monate liegen die rassistischen Morde vom 19. Februar  zurück. Die Erinnerung an den barbarischen Anschlag eines rechtsextremen, völkischen und neo-nazistischen Terroristen erschüttert bis heute.

Wie viele andere AntirassistInnen und AntifaschistInnen rufen wir zur Teilnahme an den Aktionen am 19. August und an der bundesweiten Demonstration am 22. August in Hanau auf. Wir wollen damit den Familien, den Angehörigen und FreundInnen der Getöteten unsere Anteilnahme, unser Mitgefühl zeigen, sie in ihrem Schmerz, ihrer Wut, ihrer Verzweiflung nicht alleine lassen. Wir wollen damit ein Zeichen der Solidarität mit allen Opfern rassistischer und faschistischer Anschläge, Angriffe und Morde setzen, ein Zeichen der Solidarität mit allen Abgeschobenen, mit den Opfern der mörderischen EU-Grenzpolitik sowie allen Formen staatlicher und institutioneller rassistischer Gewalt, Diskriminierung und Unterdrückung.

Damit aus Wut und Trauer, Zorn und Angst Widerstand gegen den rassistischen Terror und Rechtsextremismus wird, müssen wir uns bemühen, die Ursachen, die sozialen Wurzeln der barbarischen Morde zu verstehen.

Rechtsruck

Der Todesschütze von Hanau war darauf aus, möglichst viele migrantische Menschen zu töten. 9 riss er in den Tod. Über seine Motive besteht kein Zweifel. Seine Bekennerschreiben und Videos lesen sich wie Manifeste neo-faschistischer und völkischer Barbarei, sind Aufrufe zum Pogrom, zur Vernichtung „bestimmter Völker“! War sein Hass auch mit obskuren Verschwörungstheorien verbunden, so richtete er sich vor allem gegen MigrantInnen aus der Türkei und arabischen Ländern.

Er reiht sich damit in eine ganze Serie erschreckender rassistischer Morde und Anschläge der letzten 30 Jahre ein. Seit 1990 sind Untersuchungen der Amadeu Antonio Stiftung zufolge über 200 Menschen Opfer rechter, rassistischer und faschistischer Gewalt geworden. Menschen, die aus der Türkei und arabischen Ländern stammen oder als MuslimInnen wahrgenommen werden, stehen besonders stark im Visier dieser Angriffe, die von Schlägertrupps bis zu organisierten terroristischen Zellen wie NSU reichen.

Die Zunahme rechter Anschläge wie die Bildung terroristischer Gruppierungen, Zellen und Netzwerke stellt den zugespitzten Ausdruck eines internationalen wie bundesdeutschen Rechtsrucks dar. Dieser umfasst den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien wie der AfD, faschistischer Organisationen wie der „Identitären Bewegung“ und klandestiner Terroreinheiten. Tobias R., der Killer von Hanau, erinnert unmittelbar an den Attentäter von Christchurch oder an den norwegischen Massenmörder Breivik.

Rassistischer Wahn

Die faschistischen, neo-faschistischen, aber auch zahlreiche rechtspopulistische Organisationen stellen ein irrationales völkisches Wahngebilde zunehmend ins Zentrum  ihrer Ideologie, eine Mischung aus Verschwörungstheorie, Rassismus, Antisemitismus und allen möglichen Formen reaktionären Gedankenguts wie z. B. des Antifeminismus. So bizarr und wirklichkeitsfremd, ja die Realität auf den Kopf stellend diese Ergüsse auch wirken (und sind), knüpfen sie doch an die Vorstellungswelt eines viel breiteren rechten Spektrums an, das bis tief in bürgerliche und kleinbürgerlich-reaktionäre Schichten  reicht (und natürlich auch unter politisch rückständigen ArbeiterInnen Gehör finden kann.

Und diese Gefahr sollten wir nicht unterschätzen. Der zunehmende individuelle Terrorismus auf Seiten der Rechten signalisiert einen grundsätzlichen Stimmungsumschwung unter weiten Teilen des KleinbürgerInnentums und der Mittelschichten (samt demoralisierter ArbeiterInnen). Das drückt sich auch in der Herkunft vieler AttentäterInnen aus. Tobias R. war, den Informationen der Medien zufolge, ein „gebildeter Mensch“, veröffentlichte seine Gesinnung auf Deutsch und Englisch, studierte Betriebswirtschaftslehre.

Viele andere rechte TerroristInnen entpuppten sich als Menschen mit klassischen kleinbürgerlichen Karrieren, besonders häufig im Polizei- und Sicherheitsapparat. Über alle jeweiligen biographischen Besonderheiten hinweg verdeutlicht die Gemeinsamkeit der sozialen Herkunft, dass sich die gegenwärtige Krise im KleinbürgerInnentum, in den Mittelschichten ideologisch nicht nur als Angst vor Deklassierung, sondern auch als zunehmendes Misstrauen und Ablehnung gegenüber der traditionellen bürgerlichen Führung und dem Staat manifestiert. Es bedarf eines rechten Aufstandes, einer Pseudorevolution, der Entlarvung von „Verschwörungen, eines Pogroms an den „fremden Rassen“ und „VolksverräterInnen“, was im individuellen terroristischen Akt, im Mord an möglichst vielen schon exemplarisch vorgeführt wird.

Wie bekämpfen?

Wie der Mord am Regierungspräsidenten Lübcke gezeigt hat, kann sich der rechte Terrorismus auch gegen RepräsentantInnen des bürgerlichen Staats und Parlamentarismus richten. Die Masse seiner Opfer findet er jedoch – und darin gleicht er dem Terror faschistischer Massenbewegungen – unter der ArbeiterInnenklasse, MigrantInnen, rassistisch Unterdrückten, linken AktivistInnen oder dem Subproletariat (z. B. Obdachlose). Darüber hinaus drückt sich die reaktionäre Radikalität dieser Form des Terrorismus auch darin aus, dass ihre Anschläge den eigenen Tod mit einkalkulieren, ihn als ein Fanal inszenieren.

So wichtig es daher ist, rechte terroristische Zellen und EinzeltäterInnen schon im Vorfeld zu stoppen, so zeigt die Erfahrung jedoch auch zweierlei: Erstens können wir uns dabei – wie im Kampf gegen den Faschismus insgesamt – nicht auf den bürgerlichen Staat und seine Polizei verlassen. Auch die Forderung nach verschärfter Repression und Überwachung geht dabei nicht nur ins Leere, sondern letztlich in eine falsche Richtung, weil sie einem bürgerlichen, repressiven, rassistischen Staatsapparat mehr Machtmittel in die Hand gibt, die in der Regel gegen uns eingesetzt werden.

Zweitens können aber auch der Selbstschutz, der Aufbau von Selbstverteidigungseinheiten, antifaschistische Recherche – so wichtig sie im Einzelnen auch sind – gegen klandestine Terrorzellen oder Individuen nur begrenzt Schutz bieten.

Das Hauptgewicht des Kampfes muss daher auf dem gegen die gesellschaftlichen Wurzeln liegen, und zwar nicht nur, indem der Kapitalismus als Ursache von Faschismus, zunehmender Reaktion, Rechtsruck, Krise identifiziert und benannt wird. Es kommt vor allem darauf an, dass die ArbeiterInnenklasse als jene soziale Kraft in Erscheinung tritt, die einen fortschrittlichen Ausweg aus der aktuellen gesellschaftlichen Krise zu weisen vermag. Der Zustrom zur AfD, die Mobilisierungskraft von Corona-LeugnerInnen und VerschwörungstheoretikerInnen, also der gesellschaftliche Rechtsruck und Irrationalismus, stellen keine unvermeidliche, automatische Reaktion auf eine Krisensituation dar.

Dass der Rechtspopulismus zu einer Massenkraft geworden ist und in seinem Schlepptau auch faschistische Organisationen und Terrorismus verstärkt ihr Unwesen treiben, resultiert auch, ja vor allem daher, dass sich die reformistische ArbeiterInnenbewegung nicht als anti-kapitalistische Kraft, sondern als bessere Systemverwalterin zu profilieren versucht. SPD und die Gewerkschaften machen auf Bundesebene der Großen Koalition die Mauer und üben den nationalen Schulterschluss mit dem Kapital. Die Linkspartei, wie immer hoffnungsfroh, setzt abwechselnd auf die „Einheit der DemokratInnen“ (bis hin zu CDU und FDP, wenn es gegen die AfD geht) und auf eine „Reformkoalition“ mit SPD und Grünen.

In Wirklichkeit frustrieren die Spitzen von SPD, Gewerkschaften und auch der Linkspartei mit ihrer Politik der Klassenzusammenarbeit nicht nur die eigene Basis, diese stößt auch jene Lohnabhängigen, die sie in den letzten Jahren verloren haben, weiter ab. Die größte ökonomische Krise seit fast einem Jahrhundert, die sich vor unseren Augen entfaltet, wird nicht durch die „gemeinsamen Anstrengungen“ aller Klassen, nicht durch eine imaginäre „gerechte Verteilung“ der Kosten der Krise überwunden werden können. Das ist auf Grundlage des Kapitalismus, von Marktwirtschaft und Privateigentum an Produktionsmitteln, unmöglich.

Faschismus, Rassismus und Rechtspopulismus können geschlagen werden. Aber dazu braucht es einen politischen Kurswechsel, ein Programm, eine Strategie, die die Mobilisierung gegen diese Kräfte als Teil des Klassenkampfes versteht. Nur so kann dem Rechtsruck sein Nährboden entzogen werden. Nicht Einheit über alle Klassengrenzen hinweg, sondern Einheit der ArbeiterInnenbewegung, der Linken, der MigrantInnen gegen rechten Terror, Populismus und Rechtsruck ist das Gebot der Stunde.

Lasst uns unsere Wut, Trauer, Zorn und Solidarität in den nächsten Tagen auf die Straße tragen! Schaffen wir eine breite Aktionseinheit der ArbeiterInnenbewegung, der Linken, der migrantischen, antirassistischen und antifaschistischen Organisationen! Lasst uns den Kampf gegen Rassismus und Faschismus mit dem Aufbau einer Anti-Krisenbewegung verbinden!

Bundesweite Aktionen und Demonstration

Gedenken am 19. August: Übersicht über Demonstrationen, Kundgebungen, Aktionen: Initiative 19. Februar Hanau

Samstag, 22. August 2020, 13.00, Kurt-Schumacher Platz: Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung, Konsequenzen. Bundesweite Demonstration in Hanau




Selbstverteidigung ist kein Verbrechen! Solidarität mit der #blacklivesmatter-Rebellion!

Jaqueline Katherina Singh/Martin Suchanek, Infomail 1106, 10. Juni 2020

George Floyd wurde am Morgen des 25. Mai 2020 von dem Polizeibeamten Derek Chauvin aus Minneapolis auf brutale und feige Weise auf einer öffentlichen Straße vor den Augen von PassantInnen ermordet. Eine/r von ihnen hat das Ganze auf Video aufgenommen, das Millionen Menschen gesehen haben. Es hat zwei Wochen lang Massendemonstrationen nicht nur in den USA, sondern weltweit ausgelöst. Diese thematisieren nicht nur die Unterdrückung von AfroamerikanerInnen, sondern auch ähnliche rassistische Polizeitötungen auf allen Kontinenten  und fordern ein Ende dieser Barbarei und der den MörderInnen gewährten Straffreiheit.

Polizeigewalt als systematischer Teil der Unterdrückung

Der Mord an George Floyd war kein Einzelfall. Vom 1. Januar 2015 bis zum 27. Mai wurden nach offiziellen Zahlen 5.338 Menschen von Cops getötet. Afro-AmerikanerInnen sind davon extrem betroffen. Ihr Anteil an den Getöteten beträgt 23,5 %, in absoluten Zahlen 1.252 Menschen, während der an der Bevölkerung nur 13 % beträgt. Das entspricht 29 Toten je einer Million Menschen dieser Bevölkerungsgruppe. Zum Vergleich: Unter weißen AmerikanerInnen sind es nur zwölf Tote je einer Million Menschen.

Es ist 3-mal wahrscheinlicher, dass schwarze Männer von der Polizei erschossen werden als weiße, auch bei schwarzen Frauen ist sie doppelt so hoch wie bei weißen.

Allein diese Zahlen verdeutlichen den systematischen Charakter des Rassismus, besonders im US-Staats- und Repressionsapparat.

Millionen Afro-AmerikanerInnen werden täglich systematisch unterdrückt – und das seit faktisch 400 Jahren. Dies nimmt verschiedene Formen an, wie z. B. die Sklaverei der  PlantagenarbeiterInnen. Nach dem Bürgerkrieg und der Abschaffung der Sklaverei wurde das sogenannte Jim-Crow-System in den Staaten der ehemaligen Konföderation etabliert, d. h. Entzug des Wahlrechts, der Rechtsgleichheit und Einführung der institutionellen Rassentrennung. Selbst diejenigen, die auf der Suche nach Arbeit und auf der Flucht vor Jim Crow in den Norden zogen, sahen sich immer noch mit Pogromen und später mit der Ghettoisierung konfrontiert. Obwohl dies zum Teil als Folge der Massenmobilisierung der Bürgerrechtsbewegung beseitigt wurde, bleibt ein Großteil des unheilvollen Erbes bestehen, auch weil ein Teil der Führung der Bewegung einen strategischen Block mit der Demokratischen Partei einging, die dieser wiederum eine Juniorrolle in der herrschenden Klasse der USA zugestand – auf Kosten der großen Masse der schwarzen Bevölkerung.

Die Kriminalisierung der Jugend und junger Erwachsener bildet seit mehreren Jahrzehnten eine zentrale Achse der rassistischen Unterdrückung, die z. B. Michelle Alexander 2010 in dem gleichnamigen Buch treffend als „The New Jim Crow“ analysiert hat. Sie zeigt darin, dass die Kriminalisierungen durch Polizei, Gerichte und das US-Gefängnissystem zentrale Institutionen zur Reproduktion des Rassismus darstellen, die z. B. durch den sog. „War on drugs“ (Anti-Drogen-„Krieg“) legitimiert werden. So werden Schwarze 14-mal (!) so oft wie Weiße zu Gefängnisstrafen verurteilt (https://www.tagesspiegel.de/politik/arbeit-bildung-gesundheit-justiz-wo-schwarze-buerger-in-den-usa-benachteiligt-sind/25881654.html). Auch die Strafen für Drogenbesitz sind auf Kriminalisierung der Jugend gewissermaßen zugeschnitten. So beträgt schon für geringere Mengen an leichten Drogen (z. B. 5 Gramm Gras) in einigen Bundesstaaten das Strafmaß bis zu 5 Jahren (!) Gefängnis.

Die gezielte Kriminalisierung von Schwarzen trägt entscheidend dazu bei, dass die USA mit 2.121.600 Menschen das Land mit der höchsten Anzahl von Inhaftierten auf der Welt sind (Stand 18. Mai 2020). Der Anteil von Schwarzen oder Hispanics an den Gefangenen ist etwa dreimal so hoch wie jener von Weißen. Sträfling oder Ex-Sträfling zu sein, kommt also einem Ausschluss und einer Marginalisierung vom öffentlichen und sozialen Leben gleich.

Soziale Ungleichheit

Das drückt sich auch im ganzen Leben aus. Afro-AmerikanerInnen stellen einen überdurchschnittlich großen Teil der schlecht bezahlten, überausgebeuteten Schichten der ArbeiterInnenklasse. Sie stellen einen größeren Teil der Arbeitslosen und der Working Poor, also der beschäftigten Armen, die kaum genug zum Überleben verdienen. Haushalte von schwarzen Familien besitzen im Durchschnitt ein Zehntel des Vermögens oder der Rücklagen von weißen (Diese und folgende Zahlen: https://www.tagesspiegel.de/politik/arbeit-bildung-gesundheit-justiz-wo-schwarze-buerger-in-den-usa-benachteiligt-sind/25881654.html). Ein Drittel aller US-AmerikanerInnen hat einen Hochschulabschluss absolviert, aber nur 23 % der Schwarzen.

Sie sind weit größeren Gesundheitsrisiken ausgesetzt, weil sie oft von jeder Krankenversicherung ausgeschlossen sind. So ist auch ihr Risiko, an Corona zu sterben, weit größer als das der weißen Bevölkerung. Von den über 100.000 Corona-Toten sind rund 70 % (!) Menschen mit schwarzer Hautfarbe.

Das neue Jim-Crow-System reproduziert die Unterdrückung und ist für Hunderttausende im wahrsten Sinn des Wortes tödlich. Es erklärt auch, warum alle Kampagnen zur Reform der Polizeiarbeit nichts gebracht haben. Der eigentliche Zweck der Polizei, aber auch der Justiz und Gefängnisse besteht nicht nur darin, die kapitalistischen Verhältnisse im Allgemeinen, sondern auch ein zentrales Element der rassistischen Unterdrückung zu reproduzieren. Daher auch der tief sitzende Rassismus im Polizei- und Sicherheitsapparat, der durch Anreize – beispielsweise Prämien und Zuschläge für hohe Anzahl von Festnahmen schwarzer möglicher Krimineller – befördert wird. Um Bestrafung muss ein/e weiße/r BullIn nicht fürchten, rund 1 % aller Tötungen durch US-Polizei gelangen überhaupt zu einer Anklage (https://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/polizeigewalt-in-den-usa-sind-reformen-moeglich-16797903.html).

Seit Jahren wird – nicht zuletzt auch unter dem Vorwand des „war on drugs“ – der US-Polizeiapparat massiv aufgerüstet, was praktisch eine Militarisierung etlicher Teile gleichkommt. Selbst das einer kritischen Haltung zum US-Staatsapparat unverdächtige FBI veröffentlichte schon vor Jahren Warnungen, dass Rechte/White Supremacists in diesen Strukturen aktiv werben. Initiativen, die z. B. Facebook-Gruppen verglichen, recherchierten 2006 14.000 Fälle von Menschen, die in rechten Gruppen und in der Polizei aktiv sind).

Und es ist natürlich auch kein Wunder, dass viele Polizeieinheiten ein Tummelplatz für Rechtsradikale, AnhängerInnen der Ideologie der White Supremacy (weiße Vorherrschaft) und von Trump sind wie z. B. der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft von Minneapolis. Überhaupt bildet die sog. „Polizeigewerkschaft“ nichts anders als eine Lobbygruppe des Rassismus und der Unterdrückung. Sie muss aus der US-Gewerkschaftsbewegung ausgeschlossen, verjagt werden.

Die Rebellion

George Floyd war also nicht nur kein Einzelfall. Er war eines von tausenden Opfern eines Systems, einer von Millionen. Diesmal war aber eines anders. Als Reaktion auf den Mord entwickelte sich eine Massenbewegung nicht nur in Minneapolis, sondern in den ganzen USA mit Demonstrationen, Blockaden, Aufständen – eine regelrechte Rebellion. Wie bei allen großen geschichtlichen Bewegungen – und als solche betrachten wir diese – lässt sich nicht wirklich feststellen, wer sie genau auslöste, welcher Funke genau das Feuer entflammte, die Erfahrung mit Unterdrückung zu Empörung, Widerstand, einer Massenbewegung werden ließ. Sicherlich haben das Beispiel und die AktivistInnen der BLM bei der Initiierung vieler Aktionen eine Rolle gespielt, aber die Massenreaktion erfolgte oft wirklich spontan.

Zweifellos spielten die laufende und weiter drohende soziale Verelendung, Massenarbeitslosigkeit, Armut infolge von Krise eine wesentliche Rolle. Seit Ausbruch von Corona haben sich in den USA 41 Millionen Menschen offiziell als arbeitslos registrieren lassen. Jene, die erst gar nicht zum Arbeitsamt gingen, werden auf weitere 7,5 Millionen geschätzt. Die Arbeitslosigkeit wird für den Mai 2020 auf rund 20 % geschätzt (offizielle Zahlen werden erst im Laufe des Juni veröffentlicht). Schwarze und Hispanics sind überdurchschnittlich stark von dieser Entwicklung betroffen, aber natürlich trifft das die ArbeiterInnenklasse insgesamt in Dimensionen wie seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre nicht mehr. In jedem Fall können wir festhalten, dass die Systemkrise des Kapitalismus selbst eine Auslöserin der Proteste und Aktionen bildete.

Zweitens entstand mit Black Lives Matter in den letzten Jahren eine Massenbewegung, die in vielen Punkten an die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre anknüpft, einschließlich deren linken Flügels wie Malcolm X und der Black Panther Party. Black Lives Matter entstand aus Massenprotesten, nachdem 2013 der aus einer rechten Bürgerwehr stammende Mörder von Trayvon Martin und 2014 ein Polizist vom Mord an Michael Brown Jr. in Ferguson, Missouri, freigesprochen worden waren.

Auch wenn viele SprecherInnen der heterogenen Bewegung politisch als linksliberal, reformistisch oder radikaldemokratisch betrachtet werden können, was sich z. B. in der Unterstützung von Warren und Sanders bei den Vorwahlen der Demokratischen Partei 2020 zeigte, so entstand sie aus einer tiefen Unzufriedenheit mit ewig versprochenen Reformprozessen und auch mit einem Teil der in die Demokratische Partei integrierten RepräsentantInnen der Schwarzen (wie z. B. Jesse Jackson). Die bestenfalls ernüchternden Erfahrungen und enttäuschten Reformhoffnungen unter Obama bildeten einen weiteren wichtigen Ausgangspunkt für das Entstehen der Bewegung.

Mit der Wahl Trumps verschärft sich der offene Rassismus der führenden VertreterInnen des US-Imperialismus, nimmt direkt provokatorische Formen wie in Charlottesville 2017 an, als die 32-jährige Antifaschistin Heather Heyer von einem Rechten getötet und 19 andere zum Teil schwer verletzt wurden. In den letzten Jahren erleben wir einen weiteren Anstieg von Hassverbrechen (Hate crimes). Unter Trump und dem von ihm repräsentierten Teil des US-Kapitals, Kleinbürgertums und rückständiger, reaktionärer, weißer ArbeiterInnen war Schluss mit der demokratischen Fassade des rassistischen Staatsapparats.

Wichtig für das Verständnis der aktuellen Bewegung ist jedoch, dass unter dem Banner von Black Lives Matter eine heterogene und lose Massenbewegung entstand, die den Unterdrückten landesweit einen Ausdruck, eine Stimme gab, als Mittel zur Selbstermächtigung, zur Steigerung des eigenen Selbstbewusstseins diente.

Spontanität und Bewegung

Es greift daher viel zu kurz, die aktuelle Massenbewegung bloß als Ausdruck der Verzweiflung, der Not usw. zu begreifen. Damit bestreiten wir natürlich nicht, dass es viele verzweifelte, mit dem Rücken zur Wand stehende Menschen gibt. Das ergibt sich schon allein aus der Arbeitslosigkeit und der weiter wütenden Pandemie. Aber in den letzten Jahren sind auch eine Verbindung und ein Bewusstsein von kollektiver Unterdrückung und Zusammenhalt entstanden, die in der Losung „Black Lives Matter“ einen gemeinsamen Ausdruck finden. Jede/r zählt, kein Opfer der Bullen darf vergessen werden. Dieses Aufstehen für die eigene Würde, diese Form der Selbstermächtigung ist eng mit einer Bewegung verknüpft. Nur so können sich die Unterdrückten als Subjekt, als gesellschaftliche Kraft, als AkteurIn konstituieren.

Wir haben zwar mit einer Rebellion zu tun, die viele spontane Züge trägt, allerdings mit einer, die an die Kämpfe und Erfahrungen der letzten Jahre anknüpft, auch deren Fortsetzung darstellt. Sie baut insbesondere auf der Lehre auf, dass es notwendig ist, eine Massenkraft, eine Bewegung aufzubauen. Das drückt sich auch bei der realen Rebellion der letzten zwei Wochen aus.

Nach dem Mord an George Floyd verbreitete sich diese wie ein Lauffeuer nicht nur in Minneapolis und St. Paul, sondern über das ganze Land. In fast allen großen Städten kam es zu Massendemonstrationen, Besetzungen, auch zu Konfrontationen mit der Polizei, zum Erstürmen von Polizeistationen und auch zu Plünderungen. Wir müssen uns aber klar sein, dass letztere nach allen ernst zu nehmenden Berichten nur einen untergeordneten Aspekt darstellen, manche sicher auch auf das Konto von ProvokateurInnen gehen mögen. Wir wissen aber auch, dass bei solchen Rebellionen, Aufständen oder Emeuten der Unterdrückten Plünderungen von Märkten oder Läden immer wieder vorkommen und Teil solcher Bewegungen bilden. Wir haben keinen Grund, diese hier zu verurteilen oder uns eine Rebellion ohne solche Aktionen herbeizuwünschen. Sie wird im realen Leben nicht stattfinden. Wir sollten vielmehr auf die gespielte Empörung des Establishments, der Rechten oder von „demokratischen“ Pseudo-UnterstützerInnen frei nach Brecht antworten: Was ist schon das Plündern eines Supermarktes, was ist schon ein Bankraub gegen die Gründung einer Supermarktkette oder die Gründung einer Bank? Oder auf die USA bezogen: Was ist schon der Diebstahl für den täglichen Bedarf verglichen mit der Versklavung, Erniedrigung und Ausbeutung der Schwarzen oder allgemeiner, der US-amerikanischen Lohnabhängigen durch Banken, Konzerne, Finanzinstitutionen und SpekulantInnen wie Trump?

Was ist der spontane Ausbruch der Unterdrückten verglichen mit dem Wissen, dass du, egal wohin du auf dieser Welt auch gehst, aufgrund deiner Hautfarbe immer unterdrückst wirst, schlechtere Ausgangsbedingungen hast und es wahrscheinlicher ist, dass du stirbst? Rassismus gegenüber Schwarzen stellt schließlich längst nicht nur ein US-amerikanisches Phänomen dar, sondern ist auch eine brutale Realität in allen Ländern wie Deutschland, Frankreich usw. Die Unterdrückung in den imperialistischen und auch vielen halb-kolonialen Ländern geht dabei Hand in Hand mit der jahrhundertelangen kolonialen und imperialistischen Ausbeutung Afrikas einher.

Doch zurück zur Bewegung. Sie verbreitete sich rasch und hielt sich bis heute, also fast 2 Wochen, trotz massiver Repression, Ausgangssperren in dutzenden Städten, trotz Einsatzes der Nationalgarde durch etliche GouverneurInnen, trotz der Verhaftung tausender Protestierender.

Die Bewegung umfasst auf der Straße Hunderttausende in hunderten Städten und Orten; sie schließt neben der schwarzen Community auch viele Menschen aller ethnischen Gruppen, darunter viele Jugendliche, ein, erfährt aber auch eine große Sympathie seitens der ArbeiterInnenklasse. Trump und die Rechten versuchen, die Bewegung als gekaufte Antifa, als weiße, von Georges Soros versorgte Wohlstandskids zu diffamieren. Der aberwitzige Schwachsinn verrät freilich, was Trump durchaus nicht zu Unrecht fürchtet: dass sich die Bewegung mit der US-amerikanischen Linken und der ArbeiterInnenklasse verbindet. Und diese Möglichkeit besteht. Schon während der Corona-Gefahr und aufgrund der Krise demonstrierten in den USA schließlich nicht nur wild gewordene KleinbürgerInnen und Rechte für die Freiheit, ihre und anderer Menschen Gesundheit zu ruinieren. Es gab auch eine beachtliche Welle von Streiks und Aktionen im Gesundheitswesen, oft gegen die verantwortungslose Politik der Öffnung oder gegen das Ausbleiben von Mitteln zur Gesundheitsvorsorge. People of Color spielten unter diesen Lohnabhängigen eine wichtige Rolle.

Nicht minder wichtig ist die Solidarisierung von BasisgewerkschafterInnen und Gliederungen, von Locals – hier in etwa Ortskartelle –, die sich mit der Bewegung solidarisierten. So erklärten u. a. die BusfahrerInnen in Minneapolis und New York, dass sie sich weigern, Polizeieinheiten oder Gefangene zu transportieren. So heißt es in einer Erklärung von VertreterInnen der Verkehrsgewerkschaft Amalgamated Transit Union Local 1005, die 2.500 Beschäftigte des öffentlichen Nahverkehrs in den Partnerstädten Minneapolis und Saint Paul vertritt:

„ATU-Mitglieder leben täglich mit ähnlichen Ängsten. ATU-Mitglieder sind täglich mit Rassismus konfrontiert. Unsere Mitglieder leben und arbeiten in Stadtvierteln, in denen solche Aktionen stattfinden, und wo dies geschah, wird es nun weltweit mit Schrecken beobachtet“, heißt es in einer Pressemitteilung des Local.

„Übergriffe auf FahrerInnen haben in einigen Fällen dazu geführt, dass ATU-Mitglieder bei der Ausübung ihrer Arbeit ermordet wurden“, sagte die Gewerkschaft. „Bei der ATU haben wir deshalb eine Losung: ‚NICHT MEHR‘. Wir sagen: ‚NICHT MEHR‘ zur Auslöschung eines schwarzen Lebens durch die Hände der Polizei. NICHT EINS MEHR! GERECHTIGKEIT FÜR GEORGE FLOYD!“.

Dieses und andere Beispiele der ArbeiterInnensolidarität zeigen, dass auch viele Lohnabhängige begreifen, welche Bedeutung die Bewegung hat.

Auch wichtige Gruppierungen der US-Linken wie die DSA (Democratic Socialists of America; Demokratische SozialistInnen Amerikas) und das Magazin Jacobin haben sich solidarisiert und linke, in vielem unterstützenswerte Statements veröffentlicht. Sie haben bisher jede Distanzierung von den „PlündererInnen“, also jedes durchsichtige Spaltungsmanöver abgelehnt. Viele AktivistInnen der DSA wie generell der US-Linken und auch unsere GenossInnen von Workers Power in den USA beteiligen sich an den Demonstrationen und Aktionen.

Auch die Welle internationaler Solidarität zeigt, dass Millionen erkennen, dass diese Rebellion, die Massenbewegung in den USA nicht nur für eine gerechte, bedingungslos unterstützenswerte Sache kämpft, sondern dass sie auch zu einem Game-Changer in den USA werden kann, zum Fanal für eine antirassistische, linke, klassenkämpferische Alternative zum Rechtsruck und zu Trump.

Die Bedeutung der Bewegung liegt gerade darin, dass sie eine linke Zuspitzung der Verhältnisse im Land darstellt – und dass es umgekehrt die Krise des US-Kapitalismus ist, die die Chance eröffnet, dass sich Befreiungskampf der rassistisch Unterdrückten und die ArbeiterInnenklasse verbinden.

Hauptelemente der Krise

Wir wollen daher kurz die Hauptelemente der aktuellen Krise in den USA skizzieren, weil diese auch verdeutlicht, vor welchen politischen Herausforderungen und Aufgaben die Bewegung, die ArbeiterInnenklasse, RevolutionärInnen stehen.

1. Die USA-Ökonomie und die Weltwirtschaft befinden sich in einer tiefen Wirtschafts- und Gesundheitskrise. Die US-Wirtschaft schrumpft massiv. Selbst Bürgerliche sagen einen Rückgang das BIP um 5 % oder mehr für 2020 voraus; über 40 Millionen wurden schon arbeitslos, über 100.000 sind an der Pandemie gestorben, eine zweite Welle droht, international droht die USA wirtschaftlich gegenüber China zurückzufallen. Außer der Rettung des eigenen Kapitals durch Milliarden-Geschenke und aggressiven Nationalismus gibt es keinen Plan.

2. Die herrschende Klasse selbst ist gespalten. Trump repräsentiert nur einen Minderheitsflügel des US-Kapitals, stützt sich auf Teile des Polizeiapparates, auf die reaktionärsten Kräfte und eine zunehmend aggressivere kleinbürgerliche Bewegung, die sich von einer rechts-populistischen durchaus zu einer faschistischen entwickeln kann. Er versucht auch, seine eigenen diktatorischen Vollmachten auszubauen. Er setzt auf eine Strategie der Eskalation und Niederschlagung der Bewegung. Rassismus bildet ein wesentliches Bindeglied seiner Gefolgschaft, das zentrale Mittel, um deklassierte ArbeiterInnen und KleinbürgerInnen hinter einer ultraliberalen Wirtschaftspolitik und aggressiven Außenpolitik zu versammeln.

Ihm steht ein größerer Teil des Kapitals gegenüber, dem Trump „zu weit“ geht, der aber auch kein klares eigenes Programm vorweisen kann, auf Biden und die DemokratInnen eher mangels Alternative denn aus Überzeugung hofft. Auch die Institutionen des Staatsapparates sind gespalten. So drohte Trump damit, das Militär gegen die Bewegung einzusetzen, um „Ruhe und Ordnung“ herzustellen. Der Generalstab der US-Armee zeigt sich reserviert, selbst sein Verteidigungsminister lehnt den Einsatz ab. Der ehemalige Verteidigungsminister und General Mattis kritisierte Trump offen und warf ihm vor, das Land zu spalten, sich nicht einmal Mühe zu geben, so zu tun, als würde er es einen wollen. Hieraus geht deutlich hervor, dass nicht nur wichtige Gruppen des US-Kapitals, sondern auch des Staatsapparates vermeiden wollen, die Armee gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen, dass diese eher darauf hoffen, die Bewegung durch kleinere Zugeständnisse zu befrieden. Es ist schwer vorauszusagen, welche Kraft sich in welchem  Tempo durchsetzt.

In jedem Fall muss aber in Rechnung gestellt werden, dass das weiße KleinbürgerInnentum selbst nach rechts geht, das Vertrauen in die „alten“ Parteiführungen verloren hat und auch in die Institutionen des US-Imperialismus.

Nicht nur die Ökonomie der USA und das Gesundheitssystem, auch die „Demokratie“, das politische Herrschaftssystem befindet sich in einer tiefen Legitimationskrise. Kurzum, die Herrschenden können nicht mehr so herrschen wie bisher, auch wenn unklar ist, wohin die Reise gehen soll.

Eine unmittelbare Gefahr besteht sicher weiter darin, dass Trump – allen Vorbehalten der „Demokratie“ zum Trotz – die Bewegung mit Repression, mit Nationalgarde und evtl. gar Teilen der Armee niederschlägt und erstickt, um ihr eine präventive Niederlage zuzufügen. Auch wenn dies angesichts einer Mobilisierung, die noch immer anhält und eher breiter und größer wird, sicherlich auch vom Standpunkt der herrschenden Klasse als unratsam, ja verrückt erscheinen mag, so sollte doch niemand unterschätzen, dass der Populismus Trumps durchaus zu solchen, brutalen Abenteuern führen kann.

Die grundlegenden Probleme des US-Imperialismus würde das zwar nicht lösen, wohl aber könnte es das Kräfteverhältnis kurzfristig und auch zu den Wahlen zu seinen Gunsten verschieben. Auch wenn er hier mit einer weiteren Eskalation spielten sollte und selbst viele RepublikanerInnen dies vermeiden wollen, so darf eine solche Entwicklung nicht ausgeschlossen werden. Unter den Bedingungen einer wachsenden Massenbewegung und einer wachsenden antirassistischen Massenstimmung würde ein solcher Versuch der gewaltsamen Unterdrückung jedoch wahrscheinlich eine revolutionäre Situation schaffen. Unterdrückung ist im Allgemeinen erfolgreich, wenn sie in den letzten Phasen einer Bewegung eingesetzt wird, die keine großen Errungenschaften erzielt hat, an ihre Grenze gestoßen, gespalten und schwach wird.

3. In jedem Fall enthalten die objektive Lage, die Spaltung in der herrschenden Klasse, die Krise der „Demokratie“ wichtige Schlüsselmomente einer revolutionären Situation oder Lage, wie sie Trotzki z. B. in den Schriften zu Deutschland am Beginn der 1930er Jahre (z. B. in „Die Wendung der Komintern und die Lage in Deutschland„) oder in den Schriften zu Frankreich Mitte der 1930er Jahre skizzierte. Das Zurückbleiben des subjektiven Faktors, das Fehlen einer revolutionären Führung bedeuten jedoch nicht nur eine großes Plus für die Herrschenden, sondern auch, dass die Lage insgesamt einen vorrevolutionären Charakter angenommen hat. Ob sich eine revolutionäre Situation in der kommenden Periode entwickelt, kann ebenso wie deren Zeitpunkt und Dauer nicht im Voraus bestimmt werden, sondern hängt wesentlich von der Entwicklung der Klassenkämpfe und der Rebellion selbst ab. In jedem Fall kann aber eine solche Zuspitzung grundsätzlich nur revolutionär oder konterrevolutionär gelöst werden.

Die „Black Lives Matter “-Bewegung und die Massenaktionen in den gesamten USA verdeutlichen, dass sich vor dem Hintergrund der tiefsten wirtschaftlichen, sozialen und institutionellen Krise eine Bewegung bildet, die eine Alternative zu Trump, zu den RepublikanerInnen, aber auch zur Demokratischen Partei darstellen kann.

Aktionsprogramm

Es kommt daher darauf an, diese Bewegung selbst zu stärken und mit der ArbeiterInnenklasse zu verbinden. Dazu benötigt sie ein Aktionsprogramm und Kampforgane gegen den institutionellen Rassismus, gegen die Krise und die Pandemie um folgende Schlüsselforderungen:

  • Nein zur Unterdrückung der Bewegung! Freilassung aller Gefangenen, Aufhebung der Ausgangssperren, Rückzug der Polizei und Nationalgarde aus den Wohnvierteln der Unterdrückten, kein Einsatz der Armee!
  • Gerechtigkeit für George Floyd und alle Opfer der Polizeirepression! Rassistische Killer-Cops sollen vor Geschworenen zur Rechenschaft gezogen werden, die die Gemeinschaften, die unter ihrem Rassismus leiden, wirklich widerspiegeln. Selbst wenn die vier für seine Ermordung verantwortlichen Polizisten angeklagt und verurteilt werden, kann die Gerechtigkeit für so viele Opfer der Polizei nicht den bürgerlichen, rassistischen Gerichten überlassen werden. Sie müssen vielmehr vor von den Unterdrückten und der ArbeiterInnenklasse gewählte Volkstribunale gestellt werden.
  • Die ArbeiterInnenklasse muss sich in der Aktion mit der Bewegung solidarisieren, wie es z. B. TransportarbeiterInnen getan haben. Gegen den Crackdown der Bewegung und einen drohenden Einsatz der Armee muss mit einem politischen Massenstreik bis hin zum Generalstreik geantwortet werden. Wir müssen dies von den Einzelgewerkschaften wie den LehrerInnengewerkschaften (NEA), den Dienstleistungsgewerkschaften (SEIU), den AutomobilarbeiterInnengewerkschaften (UAW), den Teamstern usw. sowie den AFL-CIO- und „Change to Win“-Verbänden einfordern. Wir dürfen auch nicht die große Zahl von Beschäftigten in der so genannten Gig-Economy vergessen, von denen sich viele über ArbeiterInnenzentren, den Kampf um 15 US-Dollar Mindestlohn und Ad-hoc-OrganisatorInnen inoffizieller Streiks in Lagerhäusern und Walmart-Läden organisiert haben.
  • Die Idee und Forderung des Generalstreiks muss jetzt in der Klasse verbreitet, der Kampf vorbereitet werden und zwar nicht nur wegen der drohenden Repression, sondern auch um zentrale antirassistische Ziele der Bewegung durchzusetzen und den Kampf gegen die soziale Katastrophe zu führen. Von den Führungen der großen Gewerkschaften muss die Unterstützung eingefordert werden, aber ohne sich auf diese zu verlassen.
  • Zur Organisierung der Bewegung und deren Führung braucht es Aktionskomitees in allen Wohnvierteln, die auf Massenversammlungen gewählt, diesen verantwortlich und von ihnen wieder abwählbar sind. Dasselbe braucht es auf betrieblicher Ebene, insbesondere zur Vorbereitung und Durchführung von Streiks. Betriebsdelegierte sollten auf lokaler, landes- und bundesweiter Ebene zu einer Kampfführung zusammengefasst werden.
  • Gegen die Repression braucht es Selbstverteidigungseinheiten der rassistisch Unterdrückten und der ArbeiterInnenklasse, die von der Bewegung und ihren Strukturen kontrolliert werden. Wir unterstützen alle Forderungen wie „Ausgabenstreichungen“ oder „Auflösung“ der Polizei, die die Fähigkeit behindern, die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten niederzuhalten. Aber wir sind uns bewusst, dass sie als zentrales Element des Staates nur durch seinen Sturz vollständig beseitigt werden kann.
  • Gegen Krise und Pandemie braucht es ein Sofortprogramm. Zur Fortführung lebensnotwendiger Arbeit und Reorganisation der Produktion und Dienstleistungen gemäß den Gesundheitsbedürfnissen bedarf es eines demokratisches Plans unter ArbeiterInnenkontrolle.
  • Statt Geschenken an die Großkonzerne, Banken und Finanzfonds braucht es deren Enteignung. Freie, kostenlose Gesundheitsvorsorge für alle! Aufteilung der Arbeit auf alle Hände und Köpfe! Für einen die Existenz sichernden Mindestlohn und ein Mindesteinkommen in dieser Höhe für alle Arbeitslosen, Studierenden, Kranken und RentnerInnen!
  • Ein solches Programm, ja schon ein politischer Generalstreik gegen einen Crackdown u. a. von Trump würden notwendigerweise die Machtfrage aufwerfen. Das vorrevolutionäre Potential würde die Notwendigkeit einer revolutionären Lösung als Aufgabe stellen, der Machtergreifung durch eine ArbeiterInnenregierung, die sich auf die Macht- und Kampforgane eines solchen Generalstreiks stützt.

Ob, in welchem Tempo es zu einer solchen Entwicklung kommt, ob die Bewegung repressiv niedergeschlagen oder durch die Integrationspolitikerinnen der Demokratischen Partei zumindest vorläufig reintegriert werden kann, hängt wesentlich von 2 Faktoren ab:

Erstens, vom Klassenkampf selbst, von der Strategie, die verschiedene Kräfte, also auch die Bourgeoisie wählen. So kann es z. B. durchaus passieren, dass größere Teile des US-Kapitals versuchen, Trump loszuwerden – sei es bei den Wahlen oder davor – weil sie selbst die unvermeidlichen Risiken seiner Politik nicht eingehen wollen. Diese könnten versuchen, die Bewegung durch Zugeständnisse und auch durch Integration von bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Kräften aus dieser zu befrieden.

Zweitens – und das ist der für uns entscheidende Faktor – kommt es darauf an, ob die US-ArbeiterInnenklasse in dieser Situation der Lösung ihrer eigenen Führungskrise näher kommt, ob es gelingt, eine ArbeiterInnenpartei aufzubauen, die eine wirkliche Alternative zu RepublikanerInnen und DemokratInnen darstellt, die den US-Staat nicht bloß verbessern, sondern zerschlagen und durch einen Rätestaat der ArbeiterInnen und Unterdrückten ersetzen will.

Revolutionäre Führung

Das größte Hindernis, das dieser Entwicklung im Wege steht, ist die Tatsache, dass die ArbeiterInnenklasse nach wie vor an die zweite (liberalere, aber völlig kapitalistische) Partei der Bourgeoisie gebunden ist, ebenso wie „demokratische SozialistInnen“ wie Bernie Sanders und „the Squad“, Alexandria Ocasio-Cortez, Ilhan Omar, Ayanna Pressley und Rashida Tlaib. Das Gleiche gilt für die „Demokratischen SozialistInnen Amerikas“ (DSA), die diesbezüglich eine widersprüchliche Politik betreiben, so tun, als könnte man gleichzeitig in- und außerhalb der Demokratischen Partei stehen. Ihre Rechtfertigung, dass der „Realismus“ der Wahlen eine Entschuldigung wäre, dass die oben genannten Figuren, rechte DemokratInnen wie Joe Biden als „kleineres Übel“ unterstützen, kommt letztlich einer politischen Unterordnung unter die Demokratische Partei und damit unter die Bourgeoisie gleich. In den militanteren neuen ArbeiterInnenorganisationen und den Locals von LehrerInnen, TransportarbeiterInnen hingegen wächst die Stimmung gegen die Unterordnung der großen Gewerkschaftsföderationen unter die DemokratInnen.

Die gegenwärtige Krise zeigt die dringende Notwendigkeit einer Partei des Klassen- und antirassistischen Kampfes, einer revolutionären Partei. Massenhaft antirassistische und antikapitalistische Kräfte existieren und wachsen heute in den USA, aber um den Sieg zu erringen, müssen sie die richtigen Ziele, die richtige Taktik, kurz gesagt, die richtige Strategie finden. Nur eine Partei kann den Weg weisen.

Die Linksentwicklung der DSA, die Rebellion, die ArbeiterInnenkämpfe und das offen antirassistische Auftreten von Basisstrukturen in den Gewerkschaften verdeutlichen, dass es das Potential für eine solche Partei heute gibt. Es muss daher jetzt, in der kommenden Periode aufgegriffen werden. Eine solche Partei mag nicht eine von Beginn an vollständig revolutionäre sein, aber RevolutionärInnen müssen von Anfang an in ihren Reihen darum kämpfen, dass sich ein revolutionärer Flügel bildet, dass dieser für ein revolutionäres Aktionsprogramm eintritt und versucht, die Mehrheit für eine sozialistische Revolution in den USA zu gewinnen.

Weltwelt stellen sich für InternationalistInnen vor allem zwei zentrale Aufgaben:

1. All jene unterstützen, die auf den Straßen kämpfen! D. h. Solidarität mit der Bewegung zu organisieren, die Demonstrationen und Aktionen von Black-Lives-Matter zu unterstützen, über die Kämpfe der Bewegung in den USA zu informieren, Diffamierungen durch Medien und bürgerliche Kräfte entgegenzutreten und zugleich den Klassenkampf gegen die Rechte, gegen Regierung und Kapital entschlossen zu führen.

2. All jene unterstützen, die eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei und eine neue Internationale aufbauen wollen, die dafür in der DSA, in der antirassistischen Bewegung und in der ArbeiterInnenklasse kämpfen!




Rebellion in Minneapolis (USA) – Selbstverteidigung ist kein Verbrechen!

Dave Stockton, Neue Internationale 247, Juni 2020

Die Proteste in der Stadt Minneapolis entwickeln sich zu einer Rebellion, die mittlerweile eine Reihe von Städten in den USA ergriffen hat. Die Massendemonstrationen, die ursprünglich die Verhaftung und Verurteilung der Mörder von George Floyd forderten, gipfelten bald in der nächsten Brandstiftung eins Polizeireviers, dem die dafür verantwortlichen Beamten angehörten. Nach tagelangen Protesten wurde der weiße Polizist Chauvin schließlich wegen Mordes dritten Grades und Totschlags angeklagt. Die Familie hat dies zu Recht abgelehnt und eine Anklage wegen Mordes ersten Grades gefordert.

Aus Solidarität mit den DemonstrantInnen unterzeichneten gewerkschaftlich organisierte BusfahrerInnen in Minneapolis eine Petition und weigerten sich, PolizeibeamtInnen zu transportieren und verhaftete DemonstrantInnen ins Gefängnis zu verbringen. VertreterInnen der Verkehrsgewerkschaft Amalgamated Transit Union Local 1005, die 2.500 Beschäftigte des öffentlichen Nahverkehrs in den Partnerstädten Minneapolis und Saint Paul vertritt, erklärten:

„ATU-Mitglieder leben täglich mit ähnlichen Ängsten. ATU-Mitglieder sind täglich mit Rassismus konfrontiert. Unsere Mitglieder leben und arbeiten in Stadtvierteln, in denen solche Aktionen stattfinden, und wo dies geschah, wird es nun weltweit mit Schrecken beobachtet“, heißt es in einer Pressemitteilung des Local (Ortskartell).

„Übergriffe auf FahrerInnen haben in einigen Fällen dazu geführt, dass ATU-Mitglieder bei der Ausübung ihrer Arbeit ermordet wurden“, sagte die Gewerkschaft. „Bei der ATU haben wir deshalb eine Losung: ‚NICHT MEHR‘. Wir sagen: ‚NICHT MEHR‘ zur Auslöschung eines schwarzen Lebens durch die Hände der Polizei. NICHT EINS MEHR! GERECHTIGKEIT FÜR GEORGE FLOYD!“.

Mehr als 400 Gewerkschaftsmitglieder, darunter Postangestellte, KrankenpflegerInnen, LehrerInnen und Hotelangestellte aus Minneapolis, haben unterschrieben und in der Facebook-Gruppe „Union Members for #JusticeForGeorgeFloyd“ gepostet. Dort stieß der Aufruf auf ein breites, positives Echo anderer Gewerkschaftsmitglieder.

Minneapolis ist eine Stadt mit einer starken organisierten Gewerkschaftsbewegung, und andere GewerkschafterInnen haben Floyds Ermordung verurteilt und sich den Protesten angeschlossen. LehrerInnen und LagerarbeiterInnen bei Amazon in der Gegend haben ebenfalls Erklärungen herausgegeben, in denen sie die Tötung als einen Akt des Rassismus verurteilen.

Obwohl Minneapolis einen demokratischen Bürgermeister, Jacob Frey, hat, der die Tötung sofort verurteilt und verlangt hat, dass der Mörder angeklagt wird, agieren die Polizei von Minneapolis und die Minneapolis-Polizei„gewerkschaft“ nach ihren eigenen Gesetzen, wobei der Polizeichef als ein weißer Rassist und Trump-Anhänger angesehen wird. Sie verdeutlichen wie tief offener Rassismus in das Funktionieren des US-amerikanischen Repressionsapparats eingebettet ist.

Die Antwort der Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter ist ein gutes Beispiel für die notwendige Solidarität zwischen der organisierten ArbeiterInnenklasse und der schwarzen Gemeinde, die regelmäßig von rassistischen Bullen verfolgt wird, in einer Atmosphäre, die von Trump und seinen AnhängerInnen mit weißem Rassismus überladen ist.

Organisierter Widerstand

Die organisierte ArbeiterInnenklasse im Allgemeinen wie auch die afrikanisch-, lateinamerikanisch- und asiatisch-stämmigen AmerikanerInnen, ja alle anderen unterdrückten Minderheiten werden in ihrer Schusslinie stehen. Sie dürfen aber auch keine der Parteien und FührerInnen des „Antitrump“-Establishments der Demokratischen Partei unterstützen.

Die aktuelle Situation macht vielmehr deutlich, wie wichtig es ist, die Losung „Selbstverteidigung ist kein Verbrechen“ in die praktische Realität umzusetzen, solange RassistInnen in Uniform oder in Zivil glauben, dass sie damit durchkommen werden, wenn sie unschuldige Opfer wie George Floyd ungestraft ermorden. Es liegt auf der Hand, dass sich GewerkschafterInnen und People of Colour dringend organisieren und ihr verfassungsmäßiges Recht, Waffen zu tragen, nutzen müssen, um dies nicht den RassistInnen und den faschistischen „Milizen“ und den Killer-Cops zu überlassen. Der Aufbau organisierter Selbstverteidigungsstrukturen muss Hand in Hand mit dem einer antirassistischen und antikapitalistischen Massenbewegung gehen, die den Kampf auf der Straße, in den Betrieben, in den Stadtteilen mit dem für eine sozialistische Revolution verbindet.

Bei ihrem Kampf brauchen die rassistisch Unterdrückten auch dringend internationale Solidarität, wie sie sich schon bei vielen Solidaritätskundgebungen zeigte. Wir müssen deutlich machen, dass ihnen die ArbeiterInnenklasse, ja alle fortschrittlichen Kräfte der Welt hinter ihren kämpfenden Schwestern und Brüdern in den USA steht.




Mord an George Floyd: Der nicht so nette Bundesstaat Minnesota

Jamie Kruger, Neue Internationale 247, Juni 2020

Als der Polizeioffizier Derek Chauvin auf einer Straße in Minneapolis am vergangenen Montag auf George Floyds Hals kniete, fühlte es sich wahrscheinlich wie Routine für den weißen Mann an, der auf eine lange Vorgeschichte von Missbrauch und exzessiver Gewalt zurückblickt. Und in gewissem Sinn war es das: AfroamerikanerInnen in den USA leiden täglich unter rassistischen Aktionen. Für seine Komplizen, Tou Thao, Thomas Lane und J. Alexander Kueng, schien gleichfalls alles normal, da sie für die Deckung des Missbrauchs sorgten und darauf achteten, dass keine Unbeteiligten im Weg standen.

George Floyd bettelte um Luft, um atmen zu können, aber das rassistische System, das unmenschliche PolizeibeamtInnen züchtet, gestand ihm nicht einmal dies menschliche Grundbedürfnis zu. Er wurde kaltblütig getötet. Die Ermordung von AfroamerikanerInnen durch weiße PolizistInnen geschieht auch routinemäßig. Man denke an Eric Garner, Michael Brown, Breonna Taylor und so viele andere über die Jahre. Doch dieses Mal ist etwas anders. Die Rebellion, die in den benachbarten Städten Minneapolis und St. Paul begann und jetzt das ganze Land überzieht, ist beispiellos in der jüngeren Geschichte.

Die Anfänge der Revolte

Am Montag, dem 25. Mai, wurde die Polizei zu einem örtlichen Tante-Emma-Laden an der Chicago Avenue in Süd-Minneapolis wegen eines Verdachts auf Verbreitung von Falschgeld gerufen. Als die Polizeibeamten eintrafen, fanden sie George Floyd in einem Auto in der Nähe sitzend. Es ist wenig bekannt, was die Festnahme auslöste, aber die Polizei behauptete später, er habe sich ihr widersetzt, weshalb sie ihn mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden niederhielten, während Derek Chauvin mit seinem ganzen Körpergewicht mehr als 8 Minuten lang auf Floyds Hals kniete und zwei weitere Polizeibeamte seinen Körper festhielten.

Nicht beunruhigt über Floyds Flehen um Luft und Umstehende, die ebenfalls darum baten, ihn Atem schöpfen zu lassen, hat Chauvin nicht einmal seinen Würgegriff gelockert, nachdem Floyd nicht mehr ansprechbar war und schlaff wurde. Er wurde für tot erklärt, nachdem SanitäterInnen ihn ins Krankenhaus gebracht hatten. Andere, inoffizielle Berichte besagen jedoch, dass Floyd bereits am Tatort nicht reagierte und ohne Puls war. Nachdem das grauenhafte Videomaterial kursierte, das die Darstellung der Polizei bestritt, begannen sich Menschen in der Nähe des Ladens zu versammeln und die Menge schwoll bald an und forderte Gerechtigkeit.

Mit einer bisher nicht gekannten Geschwindigkeit wurden die vier Polizeibeamten aus Minneapolis vom Dienst suspendiert und das FBI wurde zu Ermittlungen hinzugezogen. Der Druck, der von der Menge und aufgeladenen Militanz der Gegenwehr ausging, war der unmittelbare Entlassungsgrund für Chauvin und seine Komplizen. Doch zur Überraschung der lokalen und staatlichen Verwaltung hat dies nicht die Gemüter der Protestierenden besänftigt. Die Menschen setzten vielmehr ihre Proteste, die sie am Montagabend nach Floyds Ermordung begonnen hatten, mit wachsend kämpferischer Haltung fort. Sie gipfelten in den frühen Stunden des Donnerstagabend und Freitagmorgen (28. /29. Mai), als sie zum 3. Polizeibezirk marschierten, wo die Polizeioffiziere stationiert waren, und das Gebäude bis auf die Grundmauern niederbrannten. Unterdessen wurde Chauvin in Gewahrsam genommen und am 29. Mai angeklagt.

Auch wenn der öffentliche Druck zunahm, dauerte es dennoch bis zum 29. Mai für Michael O. Freeman, Bezirksstaatsanwalt von Hennepin, um die Verhaftung von Derek Chauvin wegen Mordes dritten Grades und Totschlags anzuordnen und Anklage zu erheben. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Zeilen wurde keine Anklage gegen die drei Dienstgrade erhoben, die Chauvin bei der Tötung von Floyd unterstützt hatten.

Polizeibrutalität und rassistisches Profiling sind in den Zwillingsstädten nichts Neues. Sie sind genauso weit verbreitet und seit langem etabliert wie in anderen Großstädten in den gesamten USA.

Polizeiterror in Minneapolis

Die Polizei von Minneapolis ist historisch bekannt für ihre Unterstützung  weißer Vorherrschaft und übermäßige Gewalt. Die Vereinigung der Polizei („Gewerkschaft“), stellvertretend für die über 800 PolizeibeamtInnen des städtischen Polizeidepartements, der PolizeibeamtInnenverband von Minneapolis, wird von Lt. Bob Kroll geführt. Dieser ist als freimütiger Trump-Anhänger bekannt, der in der Vergangenheit von dem derzeitigen Polizeichef Medaria Arradondo wegen Tragens eines „White Power“-Buttons an einer Motorradjacke angeklagt wurde. Kroll glaubt stark an die Politik der „zerbrochenen Fenster“, unter der farbige Gemeinden unverhältnismäßig zu leiden haben. Dieser tief verwurzelte und systematische Rassismus darf gedeihen, weil das politische und rechtliche System es zulässt und verzeiht. So haben beispielsweise nur 1 % der Beschwerden gegen PolizeibeamtInnen seit 2012 zu Disziplinarmaßnahmen geführt.

Die rassistischen Ungleichheiten in Minneapolis gehören zu den schlimmsten in den USA. Neben der Rassentrennung sind die AfroamerikanerInnen in Minnesota von Ungleichbehandlung im Bildungs- und Gesundheitswesen schwer betroffen. Die Gesundheitskrise innerhalb der Gemeinschaften der People of Color wird dadurch verschärft, dass die aktuelle Covid-19-Pandemie sie unverhältnismäßig stark trifft: viele arbeiten an vorderster Linie, an schlecht bezahlten Arbeitsplätzen, viele andere haben zusätzlich zu bereits bestehenden Gesundheitsproblemen und unzureichender Krankenversicherung auch noch Kündigungen erhalten.

Diese jüngste Tötung eines unbewaffneten Afroamerikaners hat den Funken für einen Aufstand, der in einer langen Geschichte rassistischer Ungleichheiten in Minnesota und insbesondere in Minneapolis wurzelt, entzündet. Der Staat hält das Image vom „netten Minnesota“ hoch und behauptet, gastfreundlich und offen zu sein. Er hat jedoch in seiner Geschichte fortwährend farbige Menschen systematisch unterdrückt. Weiße BewohnerInnen der Partnerstädte betrachten sich selbst als progressiv und integrativ, aber dennoch wurden traditionell schwarze Viertel im Stadtzentrum geräumt, um Platz für Autobahnen zu schaffen und historisch als gefährlich zu betreten geltende Stadteilteile sind nach wie vor unterversorgt. Die Mehrheit der schwarzen und braunen Bevölkerung in Minneapolis lebt immer noch in rassistisch segregierten Gebieten.

Die zugrundeliegenden Kräfte der Unterdrückung lieferten den Antrieb für diese andauernde Rebellion. Die Menschen auf den Straßen fordern, dass die anderen drei Polizeioffiziere angeklagt und verhaftet werden und dass die Tötung unbewaffneter AfroamerikanerInnen ein Ende hat. Nachdem die Proteste zunahmen und die Zusammenstöße mit der örtlichen Polizei eskalierten, wurden Gebäude in Brand gesteckt und es kam zu umfangreichen Plünderungen. In einer Machtdemonstration führte Gouverneur Tim Walz, ein Demokrat, eine noch nie dagewesene Anzahl von NationalgardistInnen heran, um den Aufstand niederzuschlagen, und ordnete eine Ausgangssperre von 20.00 Uhr bis 6.00 Uhr am Pfingstwochenende an. Außerdem wurde der öffentliche Nahverkehr eingestellt, was für die Armen und die ArbeiterInnenklasse in den Zwillingsstädten noch mehr Probleme mit sich brachte.

Immer mehr Menschen in einer wachsenden Zahl von Städten beteiligen sich an der Rebellion gegen ein offen rassistisches System. Die Gewalt, mit denen das politische System versucht, sie zu zermalmen, zeigt die dringende Notwendigkeit für eine politische und soziale Revolution. Die Menschen auf den Straßen beginnen zu erkennen, dass dieses System unmenschlich ist und bekämpft werden kann. Es ist zu hoffen, dass die Massen sich nicht mit erhabenen Reformversprechen für die Zukunft, die wir immer wieder gehört haben, abspeisen lassen.

Den Zorn organisieren und das System bekämpfen

Wir müssen den Zorn organisieren! Wir müssen Strukturen im Hier und Jetzt aufbauen, und das wird letztlich das gesamte kapitalistische System in Frage stellen. Wir brauchen ein Tribunal der Unterdrückten, um gegen das verkommene System anzugehen, das im Wesentlichen auf Unterdrückung beruht – der Farbigen, Frauen und LGBTIAQ-Gemeinschaften sowie Armen und der arbeitenden Klasse. Wir müssen Selbstverteidigungskräfte aufbauen, um uns vor dem repressiven Staat und seinen SchergInnen zu schützen, auch gegen faschistische und weiße nationalistische Kräfte, die versucht haben, die Demonstrationen zu infiltrieren, und Bibliotheken, Postämter und lokale kleinbürgerliche Unternehmen in der Nachbarschaft attackierten. Diese Strukturen müssen in den Wohnbezirken der rassistisch Unterdrücken, unter den People of Colour, in der ArbeiterInnenklasse und den Gewerkschaften verankert sein, wenn wir erfolgreich sein wollen in diesem Kampf.

Wenn in dieser anhaltenden Krise des kapitalistischen Systems etwas für die Menschen geschieht, dann nur wegen der und durch die Menschen selbst. Wir werden keine Antworten finden in schwarzen PolizeichefInnen, DistriktanwältInnen, die den Polizeiterror decken, GouverneurInnen der Demokratischen Partei und BürgermeisterInnen oder republikanischen PräsidentInnen, noch wird dies durch Wahlen geschehen. All diese „Abhilfemaßnahmen“ wurden jahrzehntelang versucht und haben noch immer nicht die Ermordung schwarzer BürgerInnen durch die Leute gestoppt, die sie angeblich „schützen und ihnen dienen“ sollten. Nicht einmal die Erhöhung der Zahl der schwarzen und einer Minderheit angehörenden PolizistInnen wird alles ändern, denn PolizistIn zu sein, ist eine Funktion für das System, nicht eine Identität, die sich auf diese Funktion auswirken kann oder auf dieses System.

Dies ist eine sich entwickelnde Situation, von der wir erwarten, dass wir sie weiter in den nächsten Wochen und Monaten analysieren und kommentieren, aber eines ist sicher, selbst zu diesem frühen Zeitpunkt des Kampfes: Es muss sich alles ändern oder nichts wird sich ändern.




Corona-Gefahr und Zunahme häuslicher Gewalt – wie bekämpfen wir sie?

Jonathan Frühling, Neue Internationale 245, April 2020

Oft wird behauptet, die bürgerliche Familie sei ein Ort der Geborgenheit, des Schutzes und der engsten Solidarität in der Gesellschaft. Doch hinter dieser trügerischen Fassade verbirgt sich eine hässliche Fratze, für viele Kinder und Frauen oft tägliche Realität. Um sich des Ausmaßes häuslicher Gewalt bewusst zu werden, müssen wir nicht in die Ferne blicken, auf Länder wie Indien oder Kolumbien.

Selbst die Berichte der Bundesregierung belegen, dass in
Deutschland 40 Prozent aller Frauen seit ihrem sechzehnten Lebensjahr physische
und/oder sexuelle Gewalt erleben mussten. Jeder vierten Frau wird dieses
Verbrechen von ihrem eigenen (Ex-)Partner angetan. Alleine in Deutschland
betrifft das jedes Jahr ca. 115.000. Diese Gewalt passiert überwiegend bei den
Opfern zuhause. Der eigene Wohnraum stellt also oft keinen Schutzraum für
Frauen und Kinder, sondern für den Täter dar, indem Unterdrückung und
Gewaltverbrechen vor der Öffentlichkeit verborgen bleiben.

Drohende Zunahme

Während der Corona-Krise sind die Menschen fast
ausschließlich zuhause, haben keinen körperlichen Ausgleich und sind oftmals
frustriert, weil sie in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken. Der reale
Druck auf die Masse der Bevölkerung nimmt zu, wie auch die soziale Isolierung.

Zudem haben viele Betriebe sowie Bildungs- und
Betreuungseinrichtungen ihre Türen momentan geschlossen, was die Situation
weiter verschärft. Das erhöht das Potential für häusliche Gewalt drastisch.
Auch der vermehrte Alkoholkonsum steigert das Aggressionspotential.

Selbst bürgerlich-konservative Zeitungen, wie die Bild oder die FAZ, sehen sich in dieser Situation genötigt, über das Thema zu berichten. Wie real eine drohende Zunahme von Gewalt gegen Frauen ist, belegen auch die Erfahrungen Chinas in den letzten Monaten. Laut einer Pekinger Frauenrechtsorganisation war die Zahl von Frauen, die sich während der verordneten Quarantäne an Hilfsorganisationen gewandt haben, dreimal so hoch wie sonst). Ähnliche Zahlen sind bereits aus Spanien, Italien und Südkorea bekannt und deshalb auch für Deutschland und andere Länder zu erwarten.

Welchen Problemen sehen sich Frauen und Kinder momentan
ausgesetzt?

Besonders oft sind Frauen von physischer Gewalt betroffen. Einige Frauen suchen jedoch auch Hilfe, weil sie bevorstehende physische Angriffe von Familienmitgliedern befürchten. Ein großes Problem ist darüber hinaus Kontrolle und Stalking über das Internet.

Die immer noch existierende geschlechtsspezifische
Arbeitsteilung in der Familie sieht vor, dass die Frau den größten Teil der
Reproduktionsarbeit leisten muss. Dazu gehören die Betreuung und Erziehung der
Kinder, Kochen, Putzen und Waschen. Durch die Corona-Krise fällt noch mehr
dieser Arbeiten in den privaten Bereich, da fast ausschließlich in der eigenen
Wohnung gegessen wird und die Kinder und Jugendlichen zuhause bleiben müssen.
Die Schließung von Bildungs- und Betreuungseinrichtungen hat außerdem dafür
gesorgt, dass weibliche Beschäftige aus ihren Jobs gedrängt werden, um zuhause
auf die Kinder aufzupassen. GeringverdienerInnen müssen mit noch weniger Geld
über die Runden kommen.

Zudem werden viele Frauen bei der Reproduktionsarbeit
verstärkt kontrolliert und zurechtgewiesen, wenn ihre Partner ebenfalls
überwiegend zuhause sind. Zusätzlich steigt für Frauen der Leidensdruck, weil
sie aufgrund der Krise keine Bekannten treffen können, die ihnen sonst Beistand
leisten würden.

Für Kinder und Jugendliche tun sich ähnliche Probleme auf.
Sie sehen sich den ganzen Tag mit ihren Eltern konfrontiert, deren Regime sie
sich unterordnen müssen. Es fehlt ihnen jeglicher Ausgleich, wie Schule,
sportliche Aktivitäten oder das Treffen von Gleichaltrigen in der Freizeit.
Auch sie sind vermehrt körperlicher Gewalt und Unterdrückung ausgesetzt, was
sich massiv auf ihre körperliche und psychische Verfassung auswirkt.

Inanspruchnahme von Hilfe?

Ein großes Problem ist auch, dass die betroffenen Frauen
während strikter Ausgangsbeschränkungen kaum Hilfsangebote in Anspruch nehmen
können. In Italien sind nämlich z. B. nur die Wege zur Arbeit, zum
Supermarkt oder zum/r Arzt/Ärztin erlaubt. Zudem ist es für die Frauen
schwieriger, eine Beratungsstelle aufzusuchen, wenn der Täter die ganze Zeit
zuhause ist und Bescheid weiß, wie lange die Frau das Haus verlässt.

Frauenhäuser und Beratungsstellen stellen sich vor allem für
die Zeit nach der Corona-Krise auf einen stark erhöhten Andrang ein. Allerdings
sind die Frauenhäuser schon zu „normalen“ Zeiten total überlaufen. Laut der
Istanbuler-Konvention, die die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zum
Kampf gegen Gewalt gegen Frauen verpflichtet und die Deutschland im Oktober
2017 ratifiziert hat, müssten hierzulande 21.400 Betten in Frauenhäusern
bereitstehen. Die geforderten Maßnahmen wurden jedoch nie auch nur ansatzweise
umgesetzt. 

Momentan sind es aber gerade mal 6.800! Deshalb ist es
gängige Praxis, dass Frauen zu ihren gewalttätigen Partnern zurückgeschickt
werden. Auch eine angemessene psychische Betreuung findet unter diesen
Umständen zumeist nicht statt. Im Zug der Corona-Krise wird der Mangel auch
noch dadurch verschärft, dass das Personal nicht überall in voller Besetzung
zur Arbeit erscheint.

Gründe für Gewalt

Allerdings ist der Anstieg von häuslicher Gewalt, wenn
Menschen vermehrt Zeit auf engem Raum verbringen, kein unbekanntes Phänomen.
Die meisten Menschen kennen zumindest den alljährlichen Familienstreit während
der angeblich so besinnlichen Weihnachtszeit. Auch die extremen Formen der
häuslichen Gewalt nehmen während dieser Zeit nachweislich zu.

Die tiefere Ursache der häuslichen Gewalt ist in der
systematischen Unterdrückung der Frauen in der Klassengesellschaft zu suchen.

Im Kapitalismus ist die Trennung von gesellschaftlicher
Produktion und privater Hausarbeit dabei grundlegend – jedenfalls was die Lage
der proletarischen Frauen betrifft. Die Reproduktionsarbeit wird zu großen
Teilen privat verrichtet. Die ungleiche Entlohnung von Arbeiterinnen verglichen
mit Arbeitern manifestiert sich im Gender Pay Gap und damit größerer
finanzieller Abhängigkeit.

Die bürgerliche Familie sowie die geschlechtsspezifische
Sozialisierung sind ebenfalls Mechanismen, um das Unterdrückungsverhältnis
aufrechtzuerhalten und auch im Bewusstsein von Mann und Frau zu reproduzieren.
Obwohl gesellschaftlich, erscheinen sie als „natürlich“. Physische Gewalt, mit
der Frauen eingeschüchtert und gefügig gemacht werden, gehört untrennbar zu
diesem Verhältnis, es stellt dessen gewalttätigen Ausdruck dar.

Forderungen und Perspektive des Kampfes

Der Ausbau von Frauenhäusern und Beratungsstellen ist längst
überfällig und sollte nun das Gebot der Stunde sein. Das schließt auch mit ein,
die Technik und das Personal für eine Ausweitung der telefonischen Beratung zur
Verfügung zu stellen. Damit schnell Erfolge erzielt werden können, sollte
Leerstand, wie z. B. auch nicht ausgelastete Hotels oder Luxusvillen,
requiriert und für diese Zwecke genutzt werden. Frauenhäuser und
Beratungsstellen müssen zudem sofort in die Liste systemrelevanter Berufe
aufgenommen werden – und zwar international.

Das neoliberale Dogma der heutigen Zeit hat den Druck auf
Frauen schon vor der Corona-Krise massiv verschärft. In Deutschland gibt es
z. B. nicht genügend Kita-Plätze, weil der soziale Bereich systematisch
vernachlässigt wird. Auch die Ausweitung des Billiglohnsektors, wie z. B.
die flächendeckende Einführung von Minijobs, hat die ökonomische Situation von
Frauen weiter verschlechtert und deren Doppelbelastung durch Beruf und
Hausarbeit verschärft. Deshalb muss auch für politische Forderungen eingetreten
werden. Gleiches Geld für gleichwertige Arbeit ist dabei natürlich essenziell.
Flächendeckende Kitas und Betreuung nach der Schule würden es Frauen leichter
machen, sich von ihren Männern zu trennen und als Alleinerziehende zu leben.
Mindestlohn, höheres Arbeitslosengeld und günstigerer Wohnraum sind deshalb
auch wichtig.

Um diese Forderungen an den Staat durchzusetzen, darf es
aber nicht bei Appellen bleiben. Wir müssen schon selbst aktiv werden und eine
Bewegung aufbauen, die diese Ziele auch durchsetzen kann.

Ein wichtiger Aspekt wird dabei auch die Bildung von
Schutzstrukturen sein, die vor allem von lohnabhängigen Frauen gebildet werden
und von der ArbeiterInnenbewegung – von Gewerkschaften, linken Parteien und
Organisationen – initiiert und unterstützt werden sollen. Dies wäre ein wichtiger
Schritt, um entschieden gegen gewalttätige Männer vorgehen zu können.
Solidarische Männer sollen solche Initiativen natürlich unterstützen. Auf eine
Polizei, die Hilferufe von Frauen bekanntermaßen ignoriert, ist nämlich kein
Verlass.

An dem hier behandelten Thema zeigt sich auch, wie wichtig
es ist, dass die Lohnabhängigen für entschiedene Maßnahmen gegen die
Corona-Krise eintreten und dabei eigene Kontrollorgane zur Umsetzung und
Überwachung dieser Forderungen schaffen. Denn nur, wenn die Bevölkerungsmehrheit
diese kontrolliert, kann dafür gesorgt werden, dass die getroffenen Maßnahmen
uns Lohnabhängigen zugutekommen.

Die Regierung verfolgt dagegen vor allem das Ziel, mit ihrem
600 Milliarden Euro (!) schweren Rettungsschirm die Liquiditätsprobleme der
Unternehmen zu lösen. Das zeigt sich z. B. auch daran, dass nur ein
kleiner Teil dieses Geldes für einen Ausbau des Gesundheitssystems eingesetzt
werden soll. Zudem wäre eine politische Beteiligung nur logisch, da das Geld
letztlich aus unseren Steuerzahlungen stammt bzw. die Kredite mit unseren
Steuern zurückbezahlt werden müssen. Aber wie immer bleibt die deutsche
„Demokratie“ nur eine Farce. Wir müssen uns deshalb aktiv dafür einsetzen, dass
der  Corona-Rettungsschirm nicht
Großkonzernen, sondern z. B. von Gewalt betroffenen Frauen zugutekommt.

Letztlich lässt sich das Patriarchat und damit die Gewalt
gegen Frauen aber nur überwinden, wenn die Reproduktions- und Sorgearbeit
vergesellschaftet und von beiden Geschlechtern gleichermaßen erledigt wird. Der
Kapitalismus jedoch profitiert davon, wenn diese gesellschaftlich sehr wichtige
Aufgabe von Frauen privat und vereinzelt innerhalb der bürgerlichen
(Klein-)Familie verrichtet wird. Ihre Überwindung und Ersetzung durch eine
höhere gesellschaftliche Organisation des Zusammenlebens muss deshalb Hand in
Hand mit einer Überwindung des Kapitalismus gehen. Das würde auch dazu führen,
dass Frauen sich gleichermaßen wie Männer auf ihre berufliche Laufbahn
fokussieren können. Dafür brauchen wir eine sozialistische, proletarische
Frauenbewegung als Teil einer antikapitalistischen Bewegung.

Notruf

Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ (Rund um die Uhr, anonym, in 18 Sprachen): 08000 116 016

Hilfetelefon „Sexueller Missbrauch“ (montags, mittwochs und
freitags von 9 bis 14 Uhr sowie dienstags und donnerstags von 15 bis 20 Uhr): 0800
22 55 530




El Paso: Weiße Rassisten töten erneut

Dave Stockton, Infomail 1065, 22. August 2019

Am 3. August wurden 22 Menschen getötet und 24 verletzt, als der 21-jährige
weiße Rassist Patrick Crusius einen Walmart-Laden in El Paso ins Visier nahm,
der bei KäuferInnen mit mexikanischem Hintergrund beliebt ist. Wie Brenton
Tarrant, der 51 Menschen bei dem Angriff auf die Moschee von Christchurch
(Neuseeland) erschossen hat, veröffentlichte Crusius ein Manifest auf der
rechtsextremen Hasswebsite 8chan (Infinitychan), das sich gegen die so genannte
„hispanische Invasion in Texas“ und die „kulturelle und ethnische Ersetzung“
der Weißen richtete.

Unter den Opfern waren Jordan Anchondo, die beim Einkaufen von Schulsachen
getötet wurde, und ihr Mann Andre, der bei einem vergeblichen Versuch getötet
wurde, seine Frau zu schützen, die wiederum ihr neugeborenes Baby abschirmte.
Auch ältere Menschen wurden nicht verschont. Raul und Maria Flores, beide 77,
die sich vor zwei Jahrzehnten nach El Paso in den Ruhestand zurückgezogen haben,
und der 90-jährige Luis Alfonso Juarez wurden während des Amoklaufs ebenfalls
ermordet.

Der mutwillige Mord an diesen unschuldigen Menschen, entmenschlicht von der
Politik ihres Mörders, zeigt, dass in Donald Trumps Amerika Menschen mit
lateinamerikanischen Wurzeln neben schwarzen und jüdischen AmerikanerInnen auf
die Hassliste der extremen Rechten mit aufgenommen wurden. In einem Land, das zu
einem großen Teil aus MigrantInnen besteht, taten sich die hässlichen Kräfte
des Faschismus an der Einwanderung gütlich, die von skrupellosen DemagogInnen
im Weißen Haus ausgenutzt wurde.

Trumps Hass-Kampagne

Trumps offener Hass auf MexikanerInnen und MigrantInnen aus Lateinamerika
ist dreist und wird auf einer Endlosschleife wiederholt. Während seiner
Präsidentschaftskampagne sagte er: „Wenn Mexiko seine Leute schickt, schicken
sie nicht die Besten…. Sie bringen Drogen, sie bringen Verbrechen. Sie sind
VergewaltigerInnen und einige, nehme ich an, sind gute Menschen.“

Vor weniger als zwei Monaten hat er getwittert: „Das Problem ist, dass
Mexiko die Vereinigten Staaten ,missbraucht‘, es nimmt, aber nie gibt. So ist
es seit Jahrzehnten. Entweder sie stoppen die Invasion unseres Landes durch
DrogenhändlerInnen, Kartelle, MenschenhändlerInnen… KojotInnen und illegale
EinwanderInnen, was sie sehr leicht tun können, oder unsere vielen Unternehmen
und Arbeitsplätze, denen es dummerweise erlaubt wurde, südlich der Grenze umzuziehen,
werden durch Steuern wieder in die Vereinigten Staaten zurückgebracht. Amerika
hat genug davon gehabt!“

Die Repräsentantenhausabgeordnete für den 14. Kongresswahlbezirk von New
York, Alexandria Ocasio-Cortez, brachte es auf den Punkt, als sie erklärte: „Der
Präsident ist direkt verantwortlich für das, was in El Paso passiert ist.“

Sie hat Recht.

Diese Provokationen, die zusammen mit seinen sexistischen Angriffen
gegenüber Politikerinnen ein zentrales Element seiner ersten Kampagne verkörperten,
sollen seine AnhängerInnen für seine zweite Wahlperiode begeistern. Diese
rassistische Aufstachelung gegen MexikanerInnen und Flüchtlinge, die „in die
USA eindringen“, ist eine direkte Ursache für die schreckliche Gewalt, die von
Einzelpersonen ausgeübt wird, die sie als Lizenz nehmen, ihre privaten
Beschwerden und Komplexe, real oder imaginär, gegen Minderheiten zu verströmen.
Und Trump hat kein bisschen dagegen. Für diesen Präsidenten sind die Opfer der „Baum
des Lebens“-Synagoge, von El Paso, Charlottesville und andere nur
Kollateralschäden.

Rassistische ICE-Razzien

Der staatlich sanktionierte Rassismus der Trump-Administration zeigte sich
bei der Razzia, die am 7. August in Mississippi auf
Geflügelverarbeitungsanlagen rund um Jackson und Canton zielte.

Dies war die größte jemals durchgeführte Razzia in einem einzigen Staat
durch „Immigration and Customs Enforcement“ (ICE; Zoll- und
Einwanderungsbehörde). 680 ArbeiterInnen mit überwiegend mexikanischem
Hintergrund wurden bei einer Razzia von einer Armee von 600 schwer bewaffneten
ICE-AgentInnen festgenommen.

Dutzende ihrer verängstigten und verstörten Kinder, einige von ihnen
Kleinkinder, mussten von Fremden von der Schule abgeholt und in Notunterkünfte
gebracht werden. Seitdem wurden 300 ArbeiterInnen entlassen. ICE-Außenstellen
im ganzen Land wurden angewiesen, mindestens zwei Standorte in ihren Regionen
als potenzielle Ziele für solche Razzien zu identifizieren. Darüber hinaus,
sagte Trump, dass Überfälle wie die in Mississippi ein „sehr gutes Abschreckungsmittel“
für MigrantInnen ohne Papiere seien.

Kampf gegen Trump und Rassismus

Trumps Antwort während seines zynischen Besuchs in El Paso, wo sich die
überlebenden Opfer natürlich weigerten, ihn zu sehen, war, das
antirassistische, Antifa-Netzwerk ebenso wie Killer wie Crusius zu
beschuldigen. Dies entspricht seinen Bemerkungen zu Charlottesville, wo er die
Verurteilung des faschistischen Mordes an der Aktivistin Heather Heyer ablehnte
und wahnsinniger Weise behauptete, dass die Unite the Right- und antifaschistische
Demonstrationen „beide gute Menschen enthielten“.

Während Trump selbst kein Faschist ist, ist er glücklich, die extreme
Rechte, einschließlich echter FaschistInnen, zu nutzen, um seine populistische
Basis aufzubauen. Indem er zum Beispiel bei seinen Kundgebungen in
rassistischen Zurufen schwelgt. Auf seine Frage, was mit den MexikanerInnen
geschehen soll, die sich an der texanischen Grenze versammeln, kommentierte er
nur grinsend die zurückkommende Antwort: „Erschießt sie“!

Trump ist ein klassischer rassistischer US-Populist, der bereit ist,
Latinos, schwarze Jugendliche, Muslime und Frauen anzugreifen, die es
beispielsweise wagen, seine Frauenfeindlichkeit zu kritisieren. Diese Angriffe
sind wesentliche Bestandteile seiner permanenten Stimmungsmache. Und der „respektable“
Flügel der Republikanischen Partei ist bereit, sich dieser Stimmungsmache
anzuschließen, vielleicht mit ein wenig Kritik an seinen schlimmsten Exzessen,
aber meist mit Schweigen. Wenn Trump 2020 scheitert, könnte die von ihm
erzeugte „Bewegung“ wirklich böse, ja sogar faschistisch werden.

Die Netzwerke von überwiegend jungen und weißen AntifaschistInnen, die
gemeinhin als Antifa bekannt sind, sowie linke bewaffnete Gruppen zeigen, dass
einige Menschen bereit sind, die FaschistInnen herauszufordern, wenn sie
versuchen, die Straßen zu betreten. Offensichtlich können sie wenig tun, um die
massenmörderische Angriffe von „EinzeltäterInnen“ zu stoppen. Aber wie Boston
gezeigt hat, kann, wenn sie zusammen mit der Black Lives Matter-Bewegung mobilisieren
und sich die Gewerkschafts- und die DSA-Ortsgruppen ihnen anschließen, der
Anstieg rechter Kräfte demoralisiert und gestoppt werden.

Schließlich besteht die Aufgabe von RevolutionärInnen darin, die
Selbstverteidigung all jener zu organisieren, die angegriffen werden, sei es
von den FaschistInnen oder von der Polizei und den Anti-EinwandererInnen-Einheiten.
Die ArbeiterInnenbewegung sollte die Führung übernehmen, wenn es darum geht, sich
gegen die rassistischen „Jagden nach Illegalen“ durch ICE-Horden zu stellen,
indem sie massenhaft gewerkschaftliche Organisierung vorantreibt in den Staaten
mit „Recht auf Arbeit“ (Zwang in prekäre Jobs) und unter den MigrantInnen.

Die Koordination eines landesweiten Kampfes, der ArbeiterInnenaktivistInnen
sowie antirassistische und Frauenbewegungen zusammenfasst, wäre ein erster
Schritt zum Aufbau einer unabhängigen ArbeiterInnenpartei, die den Widerstand
auf der Grundlage eines gemeinsamen Programms für ArbeiterInnenmacht und
Sozialismus vereinen kann.

  • Niemand ist illegal: gleiche BürgerInnenrechte für alle!
  • Auflösung der ICE-Einheiten!
  • Selbstverteidigung gegen rassistische Überfälle und Abschiebungen



CDU-Politiker Lübcke erschossen – FaschistInnen morden, der Staat schaut zu

Tobi Hansen, Infomail 1060, 2. Juli 2019

Der Mord an
Walter Lübcke, dem CDU-Regierungspräsidenten von Kassel, im Juni schlägt
derzeit hohe Wellen. Selbst CSU-Innenminister Seehofer spricht von einer
„wachsenden“ Gefahr durch den Rechtsextremismus. Sogar in der Union finden kritische
Diskussionen statt, vor allem über die Rolle ehemaliger Parteimitglieder.

Als
Regierungspräsident des Regierungsbezirks Kassel (Nordhessen) hatte sich Lübcke
dem rechten Mob in den Bürgerinformationsveranstaltungen 2015 entgegengestellt
und diesen empfohlen, doch Deutschland zu verlassen, wenn sie die
Flüchtlingspolitik von Merkel nicht teilen würden.

Der
Videomitschnitt von der Versammlung wurde massiv zur rassistischen Hetze genutzt,
auch von der damaligen Menschenrechtsbeauftragten und Mitglied der hessischen
CDU, Steinbach. Sicherlich setzte Lübcke auch jegliche Abschiebepolitik sowie
den staatlichen Rassismus als Technokrat um, doch beschwor dieser 2015 noch die
Werte des Humanismus bei der Aufnahme der Geflüchteten, vertrat die
„Willkommenskultur“, trat deutlich gegen FaschistInnen auf und zog sich so
deren Hass zu.

Dass dies in der
Union mit dem Aufstieg der AfD und deren Neuausrichtung als
rassistisch-nationalistische „Alternative“ zu den Konservativen tiefe Risse
erzeugt hat, beweist nicht nur Steinbachs Hetze via „soziale Medien“, sondern
auch ein aktuelles Zitat aus der Bundestagsfraktion der AfD:

„Der Massenzustrom nach der illegalen
Grenzöffnung mit seinen vielen Morden und Vergewaltigungen ist notwendiges
Glied in der Ursachenkette, die zum Tod von Walter Lübcke führte“. (MdB Martin
Hohmann aus Fulda, zitiert nach „quer“, https://www.facebook.com/103687920727/posts/10155964850485728/)

Dass Hohmann 2003
als CDU-Abgeordneter bei der Holocaust-Gedenkveranstaltung des Bundestages die
„jüdisch-bolschewistische“ Weltverschwörung neu auftischte, läutete damals das
Ende seiner CDU-Karriere ein. Heute rechtfertigt er den politischen Mord am
ehemaligen Parteikollegen. Dass er als Folge der „illegalen“ Grenzöffnung
relativiert und legitimiert wird, offenbart auch das Rechtsverständnis der AfD,
die damit faschistischem Terror Tür und Tor öffnet.

Natürlich enthält
die aktuelle Diskussion und Aufregung auch einen irrealen Eindruck – schließlich
findet „politischer Mord“ andauernd statt. So fand und findet die große
Mehrzahl der über 200 Toten, die seit 1990 dem „Rechtsextremismus“ zugerechnet
werden, längst nicht die Aufmerksamkeit wie Lübcke. Erst recht trifft das auf
die Opfer imperialistischer Politik, darunter die Toten im Mittelmeer, an den
„Grenzen“ oder im Bürgerkrieg im Jemen zu.

Tathergang und
Verbindungen zu Combat 18

Trotzdem sollte
niemand unterschätzen, dass die Hinrichtung eines hochrangigen regionalen Regierungsbeamten
und Technokraten nach dem Volksfest zu Wolfhagen-Istha durch einen
faschistischen Täter das Ausmaß des „Rechtsrucks“ der letzten Jahre wie auch
die Militarisierung der faschistischen Szene verdeutlicht. Zwischen Bundeswehr,
Polizei, verschiedenen „Diensten“ und der militanten Nazi-Szene gab es immer
Verbindungen. Netzwerke dieser Kameraden durchziehen die Geschichte der BRD.
Jetzt setzt die Gruppierung „Combat 18“ die Liste der Wehrsportgruppen, der NSU
und der ReichsbürgerInnen fort. NRW-Innenminister Herbert Reul (derjenige, der
den toten Journalisten im Hambacher Forst mit auf dem Gewissen hat) bestätigt
die „Echtheit“ einer Videosequenz von „Combat 18“. Die Gruppierung gilt wie der
NSU als Teil des „Blood and Honour“-Netzwerks in Europa, welches nach US-Vorbild
eine militante faschistische Struktur aufbaut. Bei verschiedenen NSU-Untersuchungsausschüssen
wurde bekannt, dass ein V-Mann des Verfassungsschutzes dafür hauptverantwortlich
tätig war/ist.

Nach dem
Geständnis von Stephan E. wird in der Öffentlichkeit die Frage diskutiert, ob
hinter dem Mordanschlag eine terroristische Organisierung oder ein „verwirrter“
Einzeltäter stünde. Diese Fragestellung verbleibt jedoch an der Oberfläche und
lenkt von den eigentlichen Verhältnissen ab. Wie auch der Kassler linken Szene schon
lange bekannt, war Stephan E. jahrzehntelang in der neofaschistischen Szene
organisiert und führend tätig. Zusammen mit Kamerad Mike S., der weiter
unbehelligt von den Behörden agiert, baute er JN- und NPD-Gruppen auf Grundlage
des Konzepts der „freie Szene/Kräfte“ auf. Gewalt gegenüber Linken, persönliche
Bedrohungen, Körperverletzung – seine Akte beim Verfassungsschutz war
umfangreich, bis sie geschreddert wurde. Es ist daher nicht entscheidend, wo der
Täter bei seiner Tat „organisiert“ war und ob eine Entscheidung von „Combat 18“
den Mord herbeigeführt hat. Wichtig ist, dass es eine bewaffnete faschistische
Szene gibt, die von den inneren Diensten im Vergleich mit Linksextremismus und
Islamismus allenfalls nachlässig beobachtet, wenn nicht von Teilen geradezu
gefördert wurde. Diese Gruppierungen sind offenkundig in der Lage, Attentate
durchzuführen, und planen diese auch. Sie „verwirrten EinzeltäterInnen“
zuzuschreiben, verharmlost die Sache nur.

Stephan E. hat seinem
Opfer auf der Hausterrasse aufgelauert und dann mit Pistole am Kopf
„hingerichtet“. Tagelang wurde nichts getan, dann eingestanden, dass die
Spurensicherung wohl geschlampt hätte. Schließlich wurde öffentlich, dass es seit
2015 viele Morddrohungen gegen Lübcke gab und wo möglicherweise der Täter zu
finden ist.

Alle
gerechtfertigten Forderungen nach Aufklärung etc. treffen bereits auf die
Realität des hessischen Landeskriminalamts. Dabei hatte schon im Fall der
Anwältin Seda Basay-Yildiz „bewiesen“, dass dort faschistische Netzwerke
organisiert sind. Erst vor kurzem drangen neue Drohungen an die Öffentlichkeit.
Es ist äußerst zweifelhaft, wie die „Aufklärung“ durch das LKA funktionieren
soll.

Die CDU Hessen,
die lange Zeit den „Spitznamen Stahlhelm“ innehatte, rühmte sich unter ihrem
langjährigen Vorsitzenden Dregger (wie später auch unter Koch), dass sie klar
national-konservativ verortbar sei – auch das gehört zu den hessischen
Besonderheiten.

Als sich der
ehemalige Kandidat für den CDU-Vorsitz Merz neulich um die Gewaltorgane des deutschen
Staates Sorgen machte, dass die Union diese an die AfD verlieren würde, hätte
man vielleicht auch diskutieren sollen, wie viel „Combat 18“ eigentlich schon
im hessischen LKA steckt und was dieses so umtreibt.

Kein Vertrauen
in den Staat! – Selbstschutz organisieren!

Ein gutes
Zeichen war eine Demonstration von über 2.000 Menschen in Kassel gegen rechte
Gewalt. Dass die örtliche CDU dieser Demo fernblieb, ist nicht überraschend. Sie
will nicht mit „der Antifa“ auf die Straße gehen, obwohl wahrscheinlich die
Positionen der realen Kassler „Antifa“ gar nicht so weit mit jenen der
Konservativen auseinander liegen, z. B. was Rüstungsexporte nach Israel
angeht. Nein, die CDU wollte eben nicht mit Linkspartei, SPD und Gewerkschaften
auf die Straße gehen, schließlich wähnt man sich politisch im anderen „Lager“.
Dem wollen wir nicht widersprechen.

Wichtiger als
diese Frage ist, was für die Kassler Linke und organisierte ArbeiterInnenschaft
der Region daraus folgt?

Wenn es gelingt,
gemeinsame Bündnisstrukturen aufzubauen, die Informationen (Personen, Gruppen,
Treffpunkte sind bekannt) und Aktion verbinden, wäre dies ein wichtiger Schritt
gegen Rechtsruck und faschistische Gewalt. Dies wäre eine wichtige
antifaschistische Aufgabe im Gegensatz zu Verleumdungen, wie sie von Gruppen
der dortigen „antideutschen“ Antifa nur zu gerne verbreitet werden
(einschließlich gewalttätiger Drohungen gegen InternationalistInnen).

Der Fall Lübcke
zeigt auf, dass es den FaschistInnen möglich ist, RepräsentantInnen des Staates
zu erschießen. Dann sollte der antifaschistischen Linken und der
ArbeiterInnenbewegung auch klar sein, dass dies auch gegenüber uns möglich ist.
Die BewohnerInnen Kassels, die MigrantInnen, die relativ große
IndustriearbeiterInnenschaft, die Studierenden und SchülerInnen können sich
gegen faschistische MörderInnen wehren, dafür sorgen, dass diese „ihre“
Treffpunkte und „Szeneorte“ verlieren, wenn sie gemeinsam aktiv werden.

Angesicht des
Mordes an Lübcke geben sich jetzt auch bürgerliche PolitikerInnen umtriebig.

Da scheint sogar
ein Verbot von „Combat 18“ möglich zu sein. Doch das sollte niemanden
beruhigen. Erstens mag dies auch dazu dienen, die Spuren der eigenen V-Leute zu
verwischen, die den Laden womöglich selbst (mit)aufgebaut haben. Daher sollte  die Offenlegung aller Akten, aller
Aktivitäten von V-Leuten gefordert werden, so dass sie nicht wie beim NSU auf
120 Jahre weggeschlossen sind. Für den Mordfall sollten z. B. folgende
Forderungen erhoben werden:

  • Veröffentlichung aller noch vorhandene Akten zu faschistischen Kreisen in Nordhessen!
  • Rückzug aller V-Leute aus der faschistischen Szene! Stopp jeder Quersubventionierung von Nazis durch den Verfassungsschutz!
  • Auflösung aller inneren Dienste, ihrer Unterabteilungen – Offenlegung von deren Aktivitäten, einschließlich ihre Verbindungen zu Nazi-Netzwerken!
  • Öffentliche Untersuchung durch einen Ausschuss aus Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, von MigrantInnen und antifaschistischen Gruppierungen!