Nahost: US-Präsident Bidens Besuch bei zwei Paria-Staaten

Dave Stockton, Infomail 1193, 21. Juli 2022

US-Präsident Joe Biden hat seine viertägige Reise in den Nahen Osten mit wenig vorzuweisen außer einem weiter beschmutzten Ruf als Verfechter der Menschenrechte.

Die beiden von ihm besuchten Staaten, Israel und Saudi-Arabien, sind nach wie vor von entscheidender Bedeutung für die fortgesetzte Hegemonie der USA über die Region, eine Vorherrschaft, die durch die Ereignisse des letzten Jahrzehnts zwar erschüttert, aber nicht gestürzt wurde. Die Störfaktoren waren nicht nur die Nachbeben des Arabischen Frühlings in Libyen, Sudan und Syrien und die Feindseligkeit von Staaten wie Iran, sondern auch der Trotz von US-Verbündeten wie der Türkei und Saudi-Arabien.

Saudi-Arabien

Der schwindende Einfluss Amerikas wurde in seinem zweiten Zielland, Saudi-Arabien, unter seinem streitbaren Kronprinzen Mohammed bin Salman deutlich sichtbar. Er hat die unabhängige Rolle des Königreichs in der Region gestärkt und führt im Jemen einen blutigen Krieg gegen die Huthis, die vom Iran unterstützt werden. Intern hat er zwar kosmetische Reformen durchgeführt, wie z. B. die Zulassung von Frauen zum Autofahren, aber seine Gegner:innen eingesperrt, darunter auch genau jene Frauenaktivistin, die sich für diese Reformen eingesetzt hat.

Besonders rachsüchtig war er gegenüber Journalist:innen, die ihn kritisierten. Der für Amerika ungeheuerlichste Fall war der von Jamal Khashoggi, einem Kolumnisten der Washington Post und amerikanisch-saudischen Staatsbürger mit Wohnsitz in Virginia. Als scharfer Kritiker des Kronprinzen wurde er in das Konsulat des Königreichs in Istanbul gelockt, brutal ermordet und sein zerstückelter Körper entsorgt.

Während seiner Präsidentschaftskampagne 2020 versprach Biden, das repressive Königreich in einen weltweiten „Paria“ zu verwandeln, falls Khashoggis Mörder:innen nicht vor Gericht gestellt würden. Das ist aussichtslos. Vor einem Jahr kamen die US-Geheimdienste zu dem Schluss, dass es bin Salman selbst war, der die Operation „zur Entführung oder Tötung“ des Journalisten genehmigt hatte.

Jetzt hat sich Biden von einem strengen Kritiker im Wahlkampf, der um liberale Wähler:innen wirbt, die sich um die Menschenrechte sorgen, in einen hartgesottenen „Realisten“ für internationale Beziehungen verwandelt. Obwohl er behauptet, er habe bin Salman bezüglich seiner Verantwortung für die Ermordung des Journalisten angesprochen, hat er mit ihm öffentlich seine Freundschaft bekundet. Dies unterstreicht, dass seine wahren Prioritäten darin bestanden, das Ansehen Amerikas im Nahen Osten zu stärken und die Saudis zu drängen, die Ölproduktion zu erhöhen, um die Weltwirtschaft vor den eskalierenden Treibstoffpreisen zu retten. Es scheint, dass seine Ergebnisse in beiden Punkten vernachlässigbar waren.

Israel

Ein weiterer Beweis dafür, dass für diesen Präsidenten Machtpolitik jedes Mal über Ethik geht, ist seine Reaktion auf den Tod einer anderen Journalistin, Shireen Abu Akleh, deren Mörder:innen Biden nicht beim Namen nennt, weil sie Israelis sind. Die bekannte Al-Jazeera-Journalistin, eine Palästinenserin und US-Bürgerin, wurde von einem israelischen Scharfschützen in den Kopf geschossen, während sie über Razzien im Flüchtlingslager Dschenin berichtete, bei denen mehrere Demonstrant:innen getötet wurden. Biden weigerte sich, ihre Familie auf seiner Reise zu treffen, lud sie jedoch nach Washington ein und vermied es so, sich mit seinen israelischen Gastgeber:innen anzulegen.

Der Grund für das Schweigen des US-Präsidenten wurde in dem Moment deutlich, als er auf dem Ben-Gurion-Flughafen landete und vom israelischen Interimspremierminister Jair Lapid begrüßt wurde. Biden rief aus: „Man muss kein Jude sein, um Zionist zu sein. Die Verbindung zwischen dem israelischen und dem amerikanischen Volk ist tief verwurzelt“. Lapid ließ sich nicht lumpen und lobte ihn als „großen Zionisten“. „Ihre Beziehung zu Israel war immer persönlich“, sagte er und nannte den Präsidenten „einen der besten Freunde, die Israel je hatte“. Beide Männer haben in diesem Punkt Recht.

Die jüngste Frucht von Bidens Zionismus bildete eine „Jerusalemer Erklärung“, die er und der israelische vorläufige Premierminister unterzeichneten. Damit wird die mit dem Ex-Präsidenten Obama unterschriebene 38-Milliarden-Dollar-Vereinbarung über die „Verteidigung“ Israels erweitert. Die palästinensische Frage wurde im Haupttext der Erklärung nicht erwähnt, sondern nur in einem Kodizill (Zusatzverfügung), in dem „die langjährige und konsequente Unterstützung der USA für eine Zwei-Staaten-Lösung“ bekräftigt wird, die, wie ein hochrangiger US-Beamter betonte, nicht von Israel unterzeichnet wurde.

In der Erklärung heißt es auch, dass sich beide Seiten verpflichten, dem Iran niemals zu erlauben, eine Atomwaffe zu erhalten. Lapid nutzte die Gelegenheit, um anschließend zu betonen, dass Israel nicht beipflichte, dass dies mit diplomatischen Mitteln erreicht werden könne. Mit anderen Worten: Er bekräftigte das „Recht“ Israels, die iranischen Atomanlagen anzugreifen. Die beiden Staatsoberhäupter werden ihre Unterstützung für das „Abraham-Abkommen“ der Ära Trump zum Ausdruck bringen, das 2020 zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain unterzeichnet wurde.

Obwohl Biden kurz mit Mahmud Abbas, dem Leiter der Palästinensischen Autonomiebehörde (PNA), zusammentraf, zeigen seine Prioritäten, dass die Verfolgung der auf unbestimmte Zeit verschobenen „Zweistaatenlösung“ weit unten auf der Liste steht und weit hinter der Stärkung der Beziehungen zu ihren Unterdrücker:innen. Unter Trump wurden die US-Beiträge, die einen großen Teil des PNA-Budgets ausmachen, gekürzt, um Mahmud Abbas unter Druck zu setzen, sich dem „ultimativen Deal“ anzuschließen, den Trumps Schwiegersohn Jared Kushner mit dem damaligen israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu ausgehandelt hatte. Biden hat diese Zahlungen wiederaufgenommen, um sicherzustellen, dass die PNA ihr feindlich gesonnene Organisationen wie den Islamischen Dschihad unter Kontrolle halten kann.

Ein Teil von Trumps Vermächtnis, das Biden immer noch verfolgt, besteht darin, weitere arabische Staaten dazu zu bewegen, Israel anzuerkennen und jegliche aktive Unterstützung für die palästinensische Sache einzustellen. Trumps Pläne sahen die Schaffung einer israelfreundlichen Achse in der Region vor, zu der auch die saudische, jordanische und emiratische Monarchie gehören. Hinzu kommt die ägyptische Militärdiktatur, die von einer enormen gemeinsamen Rente aus den USA und Saudi-Arabien lebt und Tausende von politischen Gefangenen in ihren Gefängnissen hält, die gefoltert und misshandelt werden, ohne dass Washington sich beschwert.

In der Zwischenzeit ist Israel entschlossen, die Palästinenser:innen durch wiederholte Terroranschläge der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) in einem Zustand der apartheidähnlichen Trennung und wirtschaftlichen Verelendung zu halten. Sieben Millionen der insgesamt 14 Millionen Palästinenser:innen leben als Exilant:innen in den umliegenden Staaten der Region. Die Zahl derjenigen, die noch innerhalb der Grenzen von Palästina von 1948 leben, entspricht in etwa der der jüdischen Bürger:innen Israels.

Die Tatsache, dass die Palästinenser:innen in den von Israel kontrollierten Gebieten über weitaus weniger politische Rechte und wirtschaftlichen Wohlstand verfügen, ihnen aber das Recht auf Selbstbestimmung verweigert wird, ist ein unwiderlegbarer Beweis dafür, dass Israel ein rassistischer Siedler:innenstaat ist, der versucht, die Palästinenser:innen als Nation auszulöschen. Dieses Projekt kann nur durch mörderische Gewalt aufrechterhalten werden, wie die Äußerungen von Israels letztem Ministerpräsidenten Naftali Bennett zeigen, der als liberaler als Netanjahu gilt, aber 2013 sagen konnte: „Ich habe in meinem Leben viele Araber:innen getötet – und damit habe ich kein Problem“.

Der Widerstand von Dschenin

Eine wichtige Quelle des anhaltenden Widerstands befindet sich in Dschenin im Westjordanland, wo Shireen Abu Akleh ermordet wurde. In den letzten Monaten hat Israel eine Welle von Razzien im gesamten Westjordanland durchgeführt und damit Zusammenstöße mit militanten Palästinenser:innen ausgelöst, bei denen mindestens 25 Menschen getötet wurden.

Die westlichen Unterstützer:innen Israels, die den Umschwung ihrer eigenen öffentlichen Meinung gegen Israel spüren, insbesondere nach dem Blitzkrieg gegen Gaza und dem Abbruch jeglicher vorgetäuschter Verhandlungen über die chimärische Zweistaatenlösung, haben eine Lügenkampagne gestartet, in der behauptet wird, dass diejenigen, die Palästina unterstützen, Antisemit:innen seien. Dies zeigte sich in der erbitterten Kampagne gegen den lebenslangen antirassistischen Labour-Führer Jeremy Corbyn, dem Verbot der BDS-Bewegung in verschiedenen Ländern und dem Verbot propalästinensischer Demonstrationen durch die deutsche Regierung.

Doch wie das Schicksal der Apartheid in Südafrika gezeigt hat, wird ein reaktionäres rassistisches Projekt nicht ewig Bestand haben. Eines Tages wird Palästina frei sein, als ein säkularer und sozialistischer Staat für Palästinenser:innen und israelische Juden und Jüdinnen, die in Frieden und Gleichheit leben wollen.




Saudi-Arabien und Iran – Konterrevolutionäre Rivalen

Robert Teller, Neue Internationale 240, September 2019

Beide Staaten
stehen seit 1979 in offener Feindschaft zueinander. Saudi-Arabien ist enger
Verbündeter der USA, das iranische Regime entstand aus einer Revolution gegen
eine pro-amerikanische Diktatur und legitimiert sich seit jeher über seinen
vorgeblichen Anti-Imperialismus.

Beide
beanspruchen eine Führungsrolle innerhalb der islamischen Welt. Dass sich das
saudische Königshaus und das iranische Regime dabei auf einander
entgegengesetzte islamische Interpretationen berufen, taugt nicht als Erklärung
für ihre Feindschaft. Der Konflikt ist vielmehr eine Folge von geopolitischen
Allianzen und ihres politischen Charakters.

Für die aktuelle
Konfliktsituation sind mehrere Aspekte von Bedeutung: Die Rivalität
imperialistischer Mächte, die im Nahen und Mittleren Osten ausgetragen wird,
und die Rolle Saudi-Arabiens und Irans als „Energie-Supermächte“ und
Konkurrenten am Weltmarkt. Besondere Bedeutung für den Konflikt haben der
US-Einmarsch im Irak und die Auswirkungen der Arabischen Revolutionen 2011.

Geschichte
Saudi-Arabiens

Der heutige
saudische Staat entstand 1932 in Folge etwa zweihundert Jahre andauernder
Versuche der Saud-Dynastie, die Arabische Halbinsel zu unterwerfen. Zur Zeit
des Osmanischen Reiches waren diese Versuche alle zum Scheitern verurteilt.
1945 vereinbarten Präsident Roosevelt und König Abd al-Aziz Ibn Saud eine
Partnerschaft, die im Grunde bis heute Bestand hat. Saudi-Arabien sollte zum
verlässlichen Partner, Energielieferanten und politischen Gegengewicht zum
sowjetischen Einfluss im arabischen Raum werden. Das saudische Königshaus
erkaufte sich mit dem Ölexport in die USA die Garantie, jederzeit militärischen
Schutz zu erhalten. Saudi-Arabien hat die größten nachgewiesenen Ölressourcen
weltweit, ist weltgrößter Ölexporteur und unter den ÖlproduzentInnen das
Schwergewicht mit dem größten Einfluss auf die Ölpreise. Während die USA
Saudi-Arabien als größter Ölproduzent überholt haben, hat aufgrund der
geologischen Verhältnisse die saudische Förderung nach wie vor die geringsten
Produktionskosten. Das saudische Königshaus verfügt über die Macht, durch
Steigerung der Fördermenge den Ölpreis unter den Betrag zu drücken, der für
schwieriger zu erschließende Lagerstätten noch profitabel ist.

Das saudische
Königshaus kann im arabischen Raum auf die längste Kontinuität politischer
Herrschaft zurückblicken. Hätte es auf der arabischen Halbinsel kein Erdöl
gegeben, so wäre dem saudischen Staat wohl das gleiche Schicksal beschieden
gewesen wie zahllosen anderen arabischen Staaten, deren schwache Bourgeoisien
bis heute unfähig sind, ihr Land zu einen und zu regieren, und daher lange Zeit
zwischen Staatsstreichen und imperialistischen Interventionen nicht zur Ruhe
kamen. Doch die besonderen Bedingungen einer Rentenökonomie ermöglichten es dem
saudischen Herrscherhaus, sich einen Staat nach seinem Bilde zu schaffen: eine
korrupte Despotie, deren primärer Zweck darin besteht, Petrodollars in die
Taschen einiger hundert Prinzen zu schaufeln.

Die scheinbar
nie versiegende Geldquelle des Ölexports erlaubte es dem Königshaus auch, seine
Herrschaft in einer von atypischen Klassenverhältnissen geprägten Gesellschaft
zu festigen. Der Staat stützt sich auf eine privilegierte Schicht saudischer
ArbeiterInnen und Verwaltungsangestellten. Die ArbeiterInnenklasse in
Saudi-Arabien besteht zum größten Teil aus MigrantInnen, die für begrenzte Zeit
und in ihrer Mehrheit in vollkommener Rechtlosigkeit im privaten Sektor
überausgebeutet werden.

Dennoch steht
Saudi-Arabien vor einer Reihe grundsätzlicher Probleme. Das ist zum einen die
im Verhältnis zum Reichtum des Herrscherhauses wirtschaftliche Rückständigkeit.
Weder hat sich eine vom Königshaus unterscheidbare nationale Bourgeoisie
herausgebildet noch eine indigene ArbeiterInnenklasse. Das Land ist stark vom
Import von Waren und Arbeitskraft abhängig.

Zum anderen
kostet der staatliche Sektor mit seinem hohen Lohnniveau viel Geld. Die
vergangenen Jahre waren aufgrund des hohen Staatsdefizits bereits von sozialen
Einschnitten und vom Schrumpfen der privilegierten, aristokratischen Schicht
gekennzeichnet, auf die sich der saudische Staat stützt. Es sollte auch nicht
vergessen werden, dass trotz weitreichender staatlicher Wohlfahrtsprogramme der
Anteil der saudischen StaatsbürgerInnen, die in Armut leben, bei etwa 20 %
liegt.

Und drittens ist
der saudische Staat hochgradig abhängig von der politischen Partnerschaft mit
westlichen Regierungen. Diese Partnerschaft hat auch für diese einen
politischen Preis: den Vorwurf der Unterstützung des mörderischen Kriegs im
Jemen und der Rückendeckung für die extrem repressive Politik des Königshauses.

Geschichte Irans

Das iranische
Mullah-Regime geht zurück auf die Iranische Revolution im Jahr 1979, die den
heutigen Nahen und Mittleren Osten maßgeblich geformt hat. Der Sturz des
Schah-Regimes war der Sieg einer gewaltigen Streikbewegung. Sie beendete die
Ära unmittelbarer Kontrolle durch die USA und die ehemalige Besatzungsmacht
Großbritannien. Doch die Früchte der Revolution gingen aufgrund des Fehlens
einer revolutionären Führung und der Volksfrontpolitik der Tudeh-Partei an die
Bewegung des erzreaktionären Ajatollah Chomeini verloren. Ein anderer Teil der
iranischen Linken wandte sich dem Guerillakampf zu, anstatt den massenhaften
Kampf der ArbeiterInnen anzuführen. Manifest wurde die drohende Niederlage der
Iranischen Revolution mit dem von den USA unterstützten irakischen Angriff
1980. Es folgte 1982 die Zerschlagung der gesamten politischen Opposition durch
das Mullah-Regime.

Dieses setzte
seither auf eine pan-islamische Politik, um seinen Einfluss im arabischen Raum
auszubauen. Dabei ist nicht nur der Aufstieg der Hisbollah im Libanon zu
nennen. Das iranische Regime hegte auch lange Zeit gute Beziehungen zur
sunnitischen Muslimbruderschaft in Ägypten.

Iran und der
US-Einmarsch 2003 im Irak

Die US-Invasion
im Irak 2003 führte zwar innerhalb kurzer Zeit zum Zusammenbruch des
Saddam-Regimes, doch schaffte es das US-Militär nicht, das entstandene
Machtvakuum zu füllen.

Die Invasion,
die die direkte Kontrolle der USA über den Irak herstellen sollte, führte
stattdessen zur Verankerung schiitischer, dem iranischen Regime ergebener
Kräfte. Im Angesicht des Erstarkens sunnitisch-fundamentalistischer Kräfte –
mit Unterstützung ehemaliger BaathistInnen – in der Erhebung gegen die
US-Besatzung sah sich das US-Militär auf einmal Seite an Seite mit den vom Iran
unterstützten Milizen, die das Ziel der US-Invasion, ein stabiles
pro-westliches Regime zu etablieren, hätten durchkreuzen können.

Im Kriegstrommeln
der US-Rechten gegen den Iran zeigt sich auch heute ein tiefer Widerspruch
innerhalb des US-Imperialismus: Trump möchte das Militär aus Syrien und
Afghanistan zurückziehen, ohne aber dem Iran das Feld zu überlassen. Eine
US-Invasion im Iran würde sehr wahrscheinlich den ganzen Nahen und Mittleren
Osten ins Chaos stürzen. Daher gibt es auch innerhalb der US-Rechten Stimmen,
die einen Krieg ablehnen, gerade weil der Iran als Ordnungsmacht nicht zu
ersetzen ist. Hier liegt auch der Interessenskonflikt mit Israel und
Saudi-Arabien, die Irans Regionalmachtambitionen nicht anerkennen.

Saudi-Arabien,
Iran und die Arabische Revolution

Die relative
politische Stabilität des saudischen Regimes bedeutete in den Jahren ab 2011,
dass das wirtschaftlich und politisch mächtigste Land der arabischen Welt ein
Hort der dortigen Konterrevolution wurde. Dass aber auch Saudi-Arabien vor
einer revolutionären Erhebung nicht immun sein würde, zeigte die Erhebung in
Bahrain, die im März 2011 durch eine saudische Militärintervention
niedergeschlagen wurde, um ein Übergreifen zu verhindern.

Die Arabischen
Revolutionen trafen nicht zufällig vor allem die schwächeren Regime
unvorbereitet. In Ägypten, dem Land mit der größten ArbeiterInnenklasse im
arabischen Raum, konnte Sisis Putschregime 2013 nur durch die Ermutigung und
Unterstützung des saudischen Königshauses den endgültigen Sieg über die
Revolution erringen, den in dessen Folge drohenden Staatsbankrott abwenden und
den Militärstaat wieder aufrichten. In Syrien war das saudische Regime einer
der Hauptsponsoren der mächtigen islamistischen Rebellenkoalitionen Dschaisch
al-Islam (Armee des Islams) und Ahrar al-Scham (Islamische Bewegung der freien
Männer der Levante) und trägt maßgebliche Verantwortung für die Niederlage der
revolutionären Erhebung von 2011. Das saudische Königshaus konnte als Rückgrat
der arabischen Konterrevolution seinen Einfluss in der Region ausbauen. Das
kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies mit gewaltigen Kosten erkauft
wurde. Der Krieg im Jemen, unter dem Vorwand begonnen, iranischen Einfluss zu
bekämpfen, ist für Saudi-Arabien militärisch gescheitert und hat wohl bislang
weit über 100 Mrd. US-Dollar gekostet.

Das iranische
Regime hat sich seinerseits 2011 von Beginn an darauf festgelegt, das Assad-Regime
zu verteidigen – unter anderem, weil es die syrische Revolution als Fortsetzung
der Massenproteste im Iran 2009/2010 sah. Die Unterstützung mit Waffen,
Technologie, militärischen BeraterInnen und Finanzhilfen hat das syrische
Regime vor dem Sturz gerettet. Seit etwa 2013 ist iranisches Militär in Syrien
im Einsatz. Zur gleichen Zeit baute das iranische Regime eine Art
„Fremdenlegion“ in Syrien auf, deren Mitgliederzahl die der ausländischen
sunnitischen DschihadistInnen deutlich übersteigen dürfte. Die Entscheidung der
US-Regierung von 2015, auf die kurdischen YPG-Kräfte zu setzen, ist auch der
Lektion des Irak-Kriegs geschuldet, d. h. der Versuch, ein Gegengewicht zum
iranischen Einfluss zu schaffen.

Letztendlich hat
also das Scheitern der Arabischen Revolutionen auch dem iranischen Regime
geholfen, seinen Einfluss in der Region auszuweiten. Sinnbildhaft für die
Hoffnungslosigkeit der US-Interventionspolitik ist wohl der Einmarsch von
Daesch (Islamischer Staat; IS) im Nordirak im Juni 2014, dem zunächst weder die
irakische Zentralregierung noch die kurdische Autonomieregierung etwas
entgegenzusetzen vermochten. Schnell wurde unter US-Führung eine Militärallianz
zusammengezimmert, die das Schlimmste abwenden sollte. Das Rückgrat der
Bodentruppen waren abermals schiitisch-fundamentalistische Kräfte.

Im Iran wie auch
in Saudi-Arabien herrscht nicht Gottes Wille, sondern das Kapital. Die globale
Krisensituation macht Massenerhebungen nicht nur möglich, sondern sehr
wahrscheinlich, wie die Proteste der vergangenen Jahre im Iran gezeigt haben.
Nicht erst die massive Zuspitzung der wirtschaftlichen Lage aufgrund der neuen
US-Sanktionen hat zu einer Welle von Streiks geführt, die sich meist gegen die
Entwertung der Löhne durch die auf 50 % gestiegene Inflation richten. Die
Repression des Regimes hat nur dazu beigetragen, den Streiks eine zusätzliche
politische Komponente zu geben, wie etwa Streiks in Solidarität mit den
ArbeiterInnen der Zuckerfabrik Haft Tappeh Ende 2018 gezeigt haben. Die
iranische ArbeiterInnenklasse kämpft, und in dieser Situation ist es notwendig,
eine neue revolutionäre Organisation aufzubauen, die die Lehren des Scheiterns
der Iranischen Revolution zieht und ein Programm für den Sturz des Regimes
durch die ArbeiterInnenklasse entwickelt.




Krieg im Jemen – Kampf um die regionale Vormachtstellung

Tobi Hansen, Neue Internationale 225, Dezember 17/Januar 18

Es gibt Kriege und Bürgerkriege, die stehen im Mittelpunkt des internationalen medialen Interesses. Das Gegenteil davon verkörpert der Krieg im Jemen seit 2013. Das ärmste Land der Arabischen Halbinsel steht kaum im Fokus der Öffentlichkeit. Neulich schaffte es ein Beinahe-Raketenbeschuss des Flughafens von Riad in die Weltpresse, aktuell ist es der Tod des Ex-Präsidenten Ali Abdullah Salih, welcher in Sanaa, wahrscheinlich von seinen ehemaligen Verbündeten, ermordet wurde.

Der Ausbruch einer Choleraepidemie, Millionen von Binnenflüchtlingen, massive Ernteausfälle, Hunger und Elend haben eines der ärmsten Länder der Welt in die Katastrophe gestürzt. Die Welt aber schaut zu und der „Westen“ unterstützt die kriegführenden Saudis, die 2015 einmarschiert sind.

2013 brach die Regierung von Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi zusammen. Sein Vorgänger Salih hatte seit 1978 den Nordjemen (Jemenitische Arabische Republik, Hauptstadt Sanaa) regiert und nach der Vereinigung 1990 mit der Demokratischen Volksrepublik (Südjemen, Hauptstadt Aden) auch den Gesamtstaat (Republik Jemen). Das Land wurde schnell von der Protestwelle des „Arabischen Frühlings“ erfasst. Als in Tunesien die Massen auf die Straße gingen, protestierten die Menschen in Sanaa und Aden. Diese Massenbewegung führte auch zum Ende der Regierung Salih. Dessen Nachfolger Hadi konnte aber kein stabiles Regime aufbauen.

Seit 2013 führten verschiedene Fraktionen im Jemen Bürgerkrieg: Generäle, die sich mit ihren Truppen als „Warlords“ gerierten; al-Qaida-Milizen, die als sunnitische Extremisten speziell die schiitische Bevölkerung attackierten; wie auch die schiitischen Huthi-Rebellen, die ihrerseits nach der Macht im gesamten Staat griffen. Sunnitische Milizen wie al-Qaida unterstützten zusammen mit Teilen des Militärs den Ex-Präsidenten Hadi, andere Teile des Militärs wie auch die schiitische gläubige Bevölkerung (30 – 40 Prozent der EinwohnerInnen) die Huthi-Rebellen. Diese eroberten 2015 die Provinzhauptstadt Ibb, beherrschten Teile der Hauptstadt Sanaa, lösten das Parlament des Jemen auf und ernannten ihr „Revolutionskomitee“ zur alleinigen Regierung. Dies erklärt auch, warum die Huthi inzwischen Ministerien wie zur Zeit das des Inneren unter Kontrolle haben.

Hintergründe und Auswirkungen des Bürgerkriegs

Wie viele andere Halbkolonien ist auch der Jemen vom Verkauf der natürlichen Ressourcen abhängig. Das ärmste Land der Arabischen Halbinsel muss seine Öl- und Gasreserven ausplündern lassen, was vor allem US-amerikanische, französische und südkoreanische Unternehmen besorgen. Daraus erwachsen dem Land die einzigen nennenswerten Deviseneinnahmen und folglich auch die bedeutendsten Einkommensquellen. Ex-Präsident Salih hatte den im ehemaligen Nordjemen verankerten Huthis mehr Teilhabe an den Erlösen zugesichert. Einige Quellen bezeichneten ihn deshalb als „Überläufer“. Ihm gegenüber stand sein Nachfolger Hadi, welcher sich vor allem auf die Machtstrukturen des ehemaligen Südjemen stützte. Außerdem gibt es in beiden Landesteilen Sezessionsbestrebungen, welche natürlich vor allem den jeweiligen Eliten der Abtrünnigen zugutekommen sollen. Jede Kompradorenclique versucht, die alleinige Kontrolle über die Öl- und Gasfelder zu erlangen.

Ökonomisch betrachtet ist die Landwirtschaft weiterhin größtes Beschäftigungsfeld für die rund 28 Millionen JemenitInnen. Das BIP (2014 ca. 28 Mrd. US-Dollar) wird zu ca. einem Viertel im Agrarsektor erwirtschaftet, der über 50 % aller Arbeitskräfte beschäftigt. Die Industrie mit einem Anteil von knapp 9 % ist extrem unterentwickelt (15 % der Beschäftigten), der Dienstleistungssektor (vor allem rund um die Landwirtschaft und die Öl- und Gasbranche) hat einen Anteil von 67 % am BIP (ca. 36 % aller Beschäftigten).

90 % der Wasserressourcen des Landes müssen zur Bewässerung der Landwirtschaft aufgewendet werden, auch weil nur ca. 3 % des Landes agrarisch nutzbar sind. Der Bürgerkrieg und der Einmarsch Saudi-Arabiens haben Millionen ihrer Existenz beraubt. Die Ernten fielen aus, die Felder konnten nicht bestellt werden, Millionen sind auf der Flucht. Für die Resultate des Krieges sind auch die imperialistischen Staaten wegen ihrer Unterstützung der Saudi-Monarchie verantwortlich!

Der Angriff Saudi-Arabiens

Der Erfolg der Huthi-Rebellen im Bürgerkrieg veranlasste diese aufstrebende Regionalmacht zum Angriff auf das Nachbarland. Offiziell soll die gescheiterte Regierung Hadis unterstützt werden, de facto geht es aber um die Verhinderung eines schiitischen Regimes auf der Arabischen Halbinsel. Schon 2012 schickte das Königshaus Truppen nach Bahrain, als dort die schiitische Bevölkerung gegen ihre Unterdrückung und Benachteiligung im Staat als Teil des „Arabischen Frühlings“ aufbegehrte und tagelang die Hauptstadt lahmlegte. Mit tausenden Soldaten, Panzern und Luftwaffe wurde ein friedlicher Protest zusammengeschossen. Die saudische Kriegsführung im Jemen ist allerdings nur vordergründig ein Konflikt zwischen SunnitInnen und SchiitInnen.

Die Blockade und Isolation von Katar zeigen deutlich: Religion ist nur Fassade! Der saudischen Hofclique geht es allein um die Beherrschung der Halbinsel und vor allem darum, jeglichen möglichen Einfluss des großen regionalen Konkurrenten, des Iran, zu verhindern.

In der Geschichte des Jemen hatte es lange relativ wenig religiöse Konflikte gegeben, im Gegenteil: Zwischen schiitischen ZaiditInnen und sunnitischen SchafiitInnen gab es regelmäßigen religiösen Austausch wie z. B. gegenseitige Predigten in den Gotteshäusern. Diese eher ausgleichende Praxis zwischen den islamischen Strömungen fand ihr Ende mit den 2000er Jahren. Der sunnitische Extremismus konnte sich in Form von al-Qaida-Gruppierungen wie (A)QAP (engl. Abkürzung für: al-Qaida on the Arabian Peninsula) verankern. Seit 2015 ist auch ein Ableger des sog. „Islamischen Staates“ im Jemen aktiv.

2015 bildete Saudi-Arabien eine Militärkoalition zum Einmarsch in den Jemen. Das Prinzip wurde von den USA übernommen, eine Koalition der Willigen zusammengesucht bzw. -gekauft. So wurden Ägypten, Bahrain, Katar, Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, Marokko, Sudan und Senegal Teil der sog. „Operation Decisive Storm“. Zunächst war auch Pakistan Teil des Militärbündnisses, lehnte aber die Luftangriffe ab und ist somit ähnlich wie Marokko eher passiver Teil der Allianz, während alle anderen Staaten Armeeeinheiten schickten. Dieses Militärbündnis wird logistisch, vor allem nachrichtendienstlich, von den USA, Frankreich und Großbritannien unterstützt. Diese imperialistischen Staaten setzen auf „ihren“ langjährigen Verbündeten Saudi-Arabien. Erst im Frühjahr 2017 unterschrieben die Saudis einen Rüstungsdeal mit den USA, welcher ein Volumen von über 300 Mrd. US-Dollar haben soll. Dazu kommen noch unzählige Abkommen mit europäischen Staaten wie Deutschland. Saudi-Arabien verfügt über eine moderne Armee und will diese für seine Ziele einsetzen.

Die Ambitionen des Königshauses

Kronprinz Mohammed bin Salman hat sich in den Nachfolgekämpfen innerhalb der Dynastie durchgesetzt. Teile seiner Verwandtschaft sind wegen Korruption angeklagt und stehen in einem Luxushotel unter Hausarrest. Dort war auch der libanesische Ministerpräsident Saad Hariri kurzzeitig untergebracht. Dieser innere Machtkampf wird aktuell mit besonders aggressiver Rhetorik nach außen begleitet – nicht gerade ein Zeichen für innere „Stabilität“. Die internen Skandale, speziell mit dem Vorwurf der „Korruption“ garniert, erinnern der Form halber auch an die „Säuberungen“ innerhalb der chinesischen Bürokratie. Obwohl sich alle Teile des Königshauses wie auch seiner Hofbürokratie am erarbeiteten Reichtum bereichert haben, wird der Korruptionsvorwurf nur jenen zum Verhängnis, die in diesem Machtkampf unterliegen.

Die westlichen KommentatorInnen verweisen schnell auf diese Gegensätze am Persischen (Arabischen) Golf. Schließlich will auch die Regionalmacht Iran ihre Ambitionen aufrechterhalten, nicht nur im Irak, in Syrien und im Libanon. Diese Konfliktstellung zwischen beiden Regionalmächten ist Folge der zugespitzten imperialistischen Konkurrenz, insbesondere zwischen ihren im Hintergrund agierenden Schutzmächten USA und Russland. Es ist auch nicht verwunderlich, dass Saudi-Arabien eine aggressivere Politik einschlägt, gerade wenn die USA das Nuklearabkommen mit dem Iran aufkündigen wollen und im Kabinett stramme Kriegsbefürworter gegen diesen Staat sitzen.

Kriegstaktik

So sehr die unmittelbar revolutionäre Perspektive auch im Jemen durch den Krieg verschüttet scheint, so schnell kann sich diese Lage ändern. Weder die Führung der Huthis, welche vor allem ihre Pfründe im Staat erhöhen will, noch der Ex-Präsident Hadi mit der saudischen Luftwaffe im Rücken werden dem jemenitischen Volk Frieden, geschweige denn eine Perspektive bieten können. Was den Bürgerkriegsaspekt des Konflikts betrifft, dürfen RevolutionärInnen keines der beiden Lager um Hadi- und Salih-AnhängerInnen unterstützen.

Doch neben den lange Zeit dominierenden Bürgerkriegscharakter im jemenitischen Krieg ist mit dem direkten militärischen Eingreifen Saudi-Arabiens, neben Israel eine der beiden Hauptstützen des US-Imperialismus in Nahost, eine zweite, zunehmend an Bedeutung gewinnende Komponente getreten. Die Bekämpfung dieser Aggression ist auch ein Ziel aller fortschrittlichen Kräfte. Im heutigen Konflikt treten wir deshalb für die vollständige Niederlage des saudischen Aggressors ein. Das schließt auch die Zusammenarbeit mit den jemenitischen Kräften wie den Huthi-Milizen ein, die sich der Intervention entgegenstellen, ohne deren politische Ziele und Führung auch nur einen Moment zu unterstützen.

Vor allem in Saudi-Arabien wie auf der gesamten Arabischen Halbinsel ist es darum Pflicht der ArbeiterInnen- und BäuerInnenmassen, den Kriegsanstrengungen der Monarchie eine Niederlage beizufügen. Dies gilt auch für die organisierte ArbeiterInnenbewegung weltweit. In Deutschland muss z. B. der Export von Rüstungsgütern nach Saudi-Arabien gestoppt werden.

Diese Taktik könnte sich freilich ändern, wenn der regionale Aspekt des Kriegs die Oberhand gewänne, also die beiden verfeindeten Streithähne als Stellvertreter Riads/Washingtons oder Teherans/Moskaus, also als diesen untergeordnete Kampfverbände, agierten und der Krieg zu einem reinen StellvertreterInnenkrieg werden würde.

Der Arabische Frühling kann wieder kommen

Jemen war einer der ersten Staaten, die von den Massenprotesten 2011/2012 erfasst wurden. Diese führten zum Ende der über 30-jährigen Amtszeit Salihs. Heute müssen viele JemenitInnen in Saudi-Arabien arbeiten, sind z. B. als Tagelöhner und im Haushalt der Willkür des saudischen Herrschaftssystems ausgeliefert. Dieses islamistisch-klerikale System ist ähnlich der iranischen Theokratie im Inneren nicht stabil. Jede demokratische Bewegung, jedes Eintreten für die mindesten Frauenrechte, jegliche Bewegung der Millionen ArbeitsmigrantInnen kann diese Dynastie beenden und somit ein Zentrum der Reaktion, Ausbeutung und Unterdrückung in dieser Region zerschlagen. Letztlich müssen die BäuerInnen, die Armut in Stadt und Dorf, die ArbeiterInnen auf den Öl- und Gasfeldern und in der Stadt sich politisch organisieren, müssen für ihre sozialen und demokratischen Rechte eine Partei ihrer Klasse aufbauen, eine Partei der ArbeiterInnen, die die permanente Revolution, gestützt auf die BäuerInnenschaft, auf die Arabische Halbinsel trägt!