Stellungnahme: FFF schmeißt REVO raus – Sind Antikapitalismus und die Klimabewegung unvereinbar?

REVOLUTION, Revolutionär-kommunistische Jugendorganisation, zuerst veröffentlich auf www.onesolutionrevolution.de, Infomail 1222, 4. Mai 2023

Die Katze ist aus dem Sack: Pünktlich zum Ersten Mai hat uns die Nachricht erreicht, dass nun tatsächlich ein Antrag durchgekommen ist, der eine Unvereinbarkeit von Fridays For Future (FFF) Deutschland mit REVO beschließen soll. Unser Name prangt nun im Hufeisen neben AFD, NPD, MLPD und dem III. Weg im offiziellen Strukturpapier. Dass hier linke und faschistische Gruppen so nebeneinander genannt werden, müsste schon für Empörung sorgen. Anfang April wurde auf bundesweiter Ebene von FFF entsprechender Antrag gestellt. Dieser ist so weit FFF-intern zu behandeln, weswegen wir nicht auf Details der Erklärung eingehen können. Wir möchten dennoch zumindest im Groben einige der Lügen und Vorwürfe hier einordnen, damit die Debatte einem breiteren Kreis von Aktivist:innen zugänglich wird.

Im Antrag werden wir als isolierte Organisation dargestellt, deren ausschließliche Politik ein parasitäres und hinterhältiges Unterwandern anderer linker Kräfte sei. Angeblich schrecken wir dabei so wenig vor Druckausübung bis hin zu unmittelbarer Gewalt zurück, dass allen Aktivisti angst und bange werden müsste. Untermalt wird dies mit dem Vorwurf, dass wir ein unkritisches Verhältnis zur DDR oder der RAF hätten. Für all diese Vorwürfe hätte ein fünfminütiger Besuch unserer Insta- oder Webseite ausgereicht, um sich eines Besseren belehren zu lassen. Man hätte dort beispielsweise gesehen, dass wir tatkräftig in der Umweltbewegung aktiv sind, aktionistische Basisarbeit an Schulen leisten, solidarisch in diversen Bündnissen mitwirken und himmelweit davon entfernt sind, mordlustige Monster zu sein. Und wenn wir schon bei der schlechten Informationslage sind: Die Gruppe Arbeiter:innenmacht wurde auch direkt als unsere „Dachorganisation“ ausgeschlossen, während wir in Wahrheit von dieser unabhängig sind.

Die politische Herkunft derjenigen, die uns hier als „Parasiten“ bezeichnen, hat dabei schon eine gewisse Ironie: Eine Führung, in welche Millionen Schüler:innen ihre Hoffnung gesetzt haben, welche aber gleichzeitig keine politischen Erfolge gegen die Regierung durchsetzen konnte und stattdessen mit den Grünen und den NGOs im Rücken ein paar ansehnliche Posten gefunden hat, sollte mit diesem Wort vorsichtiger umgehen gegenüber einer kleinen, aktivistischen Gruppe von Jugendlichen. Angesichts der immer größeren Dringlichkeit der Klimakatastrophe, der Mobilisierungsschwäche unserer Bewegung und der Antwort der Ampel-Regierung, die in Lützerath knochenbrechende Bullen auf uns los gehetzt hat und nun mehr und mehr Aktivist:innen einknastet (von LG z. B. ), wäre es rühmlicher, wenn die Führung der Bewegung eine allgemeine Debatte darüber anstieße, wie wir in die Offensive übergehen können, anstatt diejenigen, die es auf eigene Initiative versuchen, auszuschließen.

Im Konkreten beziehen sich die gegen uns erhobenen Vorwürfe zum allergrößten Teil auf angebliche Handlungen eines unserer Genoss:innen. Mensch hat sich 2019 als Schüler:in in FFF politisiert, sich davon wegradikalisiert und ist vor circa einem Jahr bei uns gelandet. Dennoch hat sich Mensch bis zum Schluss als Teil von FFF verstanden und noch schwindende Hoffnungen reingesteckt, dass auch die Bewegung die offensichtlichen Widersprüche erkennt, in denen sich eine bürgerliche Umweltbewegung befindet. Hierbei war Mensch unter anderem im linken Flügel von FFF aktiv und zwar weitestgehend eigenständig und unabgesprochen mit uns als REVO.

Erst recht haben wir den linken Flügel nicht geheim orchestriert. Dennoch wird uns genau dies vorgeworfen, wobei unerheblich ist, ob bestimmte Geschichten stattfanden, bevor besagte Person überhaupt bei uns war und welchen Anteil sie selbst daran geleistet hat. Wir werden dabei für ein Großteil der jüngeren linken Oppositionsarbeit verantwortlich gemacht, als könnte so etwas nicht auch spontan in FFF passieren.

Uns erscheint es so, als seien alle halbgaren Infos und Vorwürfe zusammengekratzt worden, die gefunden werden konnten, um unsere Positionen aus den Prozessen in FFF auszuschließen. Das andere sich an bestimmten Verhaltensweisen gestört haben, ist sicherlich nachvollziehbar. Aber dass für eine relativ kleine Orga direkt der große Hammer „Unvereinbarkeit“ rausgeholt wird, wirft schon Fragen auf.

Was ist der politische Hintergrund?

Millionen von Aktivisti haben sich der Bewegung angeschlossen, haben Gegenwind geerntet und viel Energie in die Bewegung gesteckt. Und was haben wir dafür bekommen? Lausige Klimapakete, folgenlose Konferenzen und eine Menge heißer Luft. Dies führte dazu, dass der Abstand zwischen unseren Aktionen größer und die Aktionen selbst kleiner wurden, sich viele von uns frustriert von der Bewegung zurückgezogen haben. Die Bewegung hat sich polarisiert in diejenigen, die für die Grünen im Bundestag sitzen, während wir uns wie viele andere von den Bullen aus dem Danni oder Lützi prügeln lassen.

In unserem Strategiepapier zur Krise der Klimabewegung haben wir ausführlich dargelegt, welche Schritte wir als nächstes gemeinsam gehen müssen, wenn wir die Bewegung retten und diesen Planeten erhalten wollen. Wir müssen die Basis unserer Bewegung erweitern. Es kann nicht sein, dass wir hauptsächlich aus Schülis und Studis bestehen. Wir müssen auf die Beschäftigten in den für das Klima relevanten strategischen Wirtschaftssektoren zugehen und uns zusammen organisieren. Inhaltlich müssen wir unsere Forderungen daran ausrichten, die Klimafrage mit der Sozialen Frage zu verbinden. Andernfalls werden die Rechten diese Lücke füllen und ihre Klimaleugnerei als Sozialpolitik verkaufen. Wir brauchen Klimaforderungen, die zugleich soziale Verbesserungen für alle mit sich bringen, statt Verbote, Entlassungen und Green Washing. Gleichzeitig müssen wir anfangen unsere Forderungen auch dort an die Leute zu bringen, wo wir uns tagtäglich aufhalten: in unseren Schulen, Unis und Betrieben. Vor Ort müssen wir Basiskomitees aufbauen, die kontinuierlich Arbeit zum Klimaproblem machen und diese mit den sozialen Problemen vor Ort verknüpfen.

Innerhalb von FFF rumort es und immer mehr Antikapitalist:innen fangen an, die Politik der Führung von FFF in Frage zu stellen. Als Organisation sind wir dabei ein leichtes Ziel, für diejenigen, die das verhindern wollen. Weil wir offen und unangepasst auftreten und dadurch vielleicht nicht zu den Allerbeliebtesten gehören, und darauf sind wir stolz.  Den verbliebenen linken Kräften innerhalb von FFF sollte klar sein: Wenn man mit solchen Vorwürfen durchkommt, erhöht das den Anpassungsdruck auf alle anderen antikapitalistischen Kräfte und schwächt deren Position massiv. Das sollte eben diese Kräfte zum Nachdenken anregen, welche Rolle FFF noch spielen kann. Es gibt eine große Kluft zwischen einigen Ortsgruppen und der Bundesorga und die politische Perspektivlosigkeit, dass man durch Appelle ein Einlenken der Regierung erreichen will, hat sich ein ums andere Mal gezeigt. Wir wollen FFF zugutehalten, dass sie die Klimakrise auf die Tagesordnung gesetzt haben. Aber zur Bewältigung brauchen wir kämpferische und antikapitalistische Antworten.

Wir schlagen vor, gemeinsam mit linken Kräften der Umweltbewegung eine antikapitalistische Klimakonferenz zu organisieren, um Forderungen und Aktionsformen zu entwickeln, die diese Antworten leisten. Die Wähl- und Abwählbarkeit ist hierbei zentral, um die Verselbstständigung von Führungspersonen zu verhindern und eine basisdemokratische Kontrolle von unten zu gewährleisten. Außerdem müssen wir dafür Sorge tragen, dass an diesen Debatten und Auseinandersetzungen sowohl Arbeiter:innen als auch marginalisierte Gruppen teilnehmen können und gehört werden. Der Charakter einer solchen Konferenz sollte darauf ausgerichtet sein, ein gemeinsames antikapitalistisches Klima-Aktionsprogramm zu verabschieden, in dem wir uns auf gemeinsame Forderungen und Aktionen einigen.

  • Der Widerstand gegen die Klimakrise geht also weiter und wir lassen uns nicht unterkriegen!

  • Kämpfen wir zusammen in den Schulen, Unis, Betrieben, Gruben, Wäldern und auf der Straße!

  • Falls ihr eure Solidarität zeigen wollt, könnt ihr den Beitrag gerne teilen!



European Gas Conference

REVOLUTION Austria, Infomail 1220, 14. April 2023

5.000 Menschen, darunter Genoss:innen des Arbeiter*innenstandpunkt und von REVOLUTION Austria, demonstrierten am 28. März in der Wiener Innenstadt gegen die European Gas Conference. Aufgerufen hatte ein breites Spektrum von Organisationen der Umweltbewegung, antirassistischen Kräften, linken Gruppierungen und Parteien links von SPÖ und Grünen.

Die Demonstration war begleitet von einer Gegenkonferenz, kleineren Blockaden und Aktionen um den Kongress des „fossilen“ Kapitals. Arbeiter*innenstandpunkt und REVOLUTION organisierten außerdem am 31. März eine Podiumsdiskussion zur weiteren Strategie der Bewegung. Im Folgenden spiegeln wir einen Artikel von REVOLUTION Austria, der vor der Konferenz veröffentlicht wurde und auf ihre Bedeutung verweist.

European Gas  Conference

Seit Jahren sind Klimaaktivist*innen in den Medien und lenken die öffentliche Aufmerksamkeit auf das wichtigste Thema unserer Zeit: die Klimakrise. Auch am 28. März wird es wieder eine Großdemonstration gegen den fossilen Energiesektor geben. Es versammeln sich nämlich die relevantesten Energiekonzerne in Wien, um unter anderem die Perspektive von Gas zu diskutieren. Eine Eintrittskarte kostet 3.000 Euro und es werden hier Entscheidungen angekündigt und getroffen, die das Untergehen unserer Zukunft zementieren werden.

Die fossile Industrie und ihr Kongress

Für die European Gas Conference verschlägt es vom 27. bis zum 29. März Vertreter:innen aller wichtigen Energiekonzerne nach Wien, darunter Total Energy, Shell, BP, RWE und Eni sowie die OMV. Gesponsort wird der Gipfel von Finanzunternehmen wie BlackRock und der Raiffeisenbank.

Mit hundert privaten Meetings mit Konzernvertreter:innen und Politiker:innen sowie den Vorträgen von sogenannten Expert:innen, die allesamt leitende Personen innerhalb der Energiekonzerne sind, verspricht die Konferenz das wichtigste Lobbytreffen des Jahres dieser Industrie zu werden.

Die Botschaft der einzelnen Vorträge und des Gipfels als Ganzem ist dabei klar: Erdgas ist ein Rohstoff der Zukunft, der eine grünere Alternative zu Öl und Kohle aufgrund seiner saubereren Verbrennung mit einem niedrigeren Ausstoß an Treibhausemissionen darstellt. Es sei von der Politik also sicherzustellen, dass es auch in den kommenden Jahrzehnten einen fixen Platz im Energiemix einnimmt. Schon jetzt zeigen die Bemühungen der Industrie erste Erfolge, denn von der EU wurde Erdgas kürzlich bereits als umweltverträglicher Rohstoff eingestuft.

Außerdem seien neue Investitionen in die entsprechende Infrastruktur notwendig, um Europa für die nächsten Jahrzehnte politisch und wirtschaftlich abzusichern, nicht zuletzt wegen des Ukrainekrieges, aufgrund dessen kein Erdgas mehr von Russland gekauft werden kann. In diesem Sinne werden auf der Konferenz neben der Trans Adriatic Pipeline vor allem Projekte in Afrika und Asien beworben.

In den Broschüren der verschiedenen Zusammenschlüsse der Industrie wird damit geprahlt, dass gerade in verarmten Gebieten der Anschluss an das Gasnetz sehr positive Auswirkungen auf die Luftqualität und Gesundheit der lokalen Bevölkerung hat. Eine Investition in diesem Bereich sei also nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern ein regelrecht selbstloses Sozialprojekt.

Unverzichtbar sei der Rohstoff auch in der Produktion von Dünger und Wasserstoff.

Grünes Erdgas?

Die tatsächlichen ökologischen Konsequenzen der Erdgasindustrie werden während der ganzen Konferenz nicht behandelt. Die Förderung und Verwendung von Erdgas erzeugt rund 25 % der weltweiten Treibhausgase. Speziell die absichtliche wie unabsichtliche Freisetzung von Methan in die Atmosphäre bei Produktion und Transport wird von den Konzernen seit Jahrzehnten de facto ignoriert.

Jede neue Investition in Infrastruktur für die Unternehmen wie Total Energy oder BP, die heute getätigt wird, sorgt dafür, dass die weltweiten Emissionen der Industrie für die nächsten 50 Jahre nicht nur auf dem derzeitigen hohen Stand bleiben, sondern auch noch weiter anwachsen. Der Ausbau festigt weiter unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und der Ausbau bindet außerdem Ressourcen, die für eine schnelle Energiewende dringend gebraucht werden.

Was die Konferenz versteckt, ist, dass sämtliche vertretende Unternehmen nicht nur Produzenten von Erdgas sind, sondern auch von Kohle und Erdöl. Sie sind nicht nur die wichtigsten Verursacher des Klimawandels, sondern profitieren auch am meisten von der weltweiten Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Ihr objektives Interesse am Erhalt der derzeitigen Energieversorgung drückt sich unter anderem dadurch aus, dass die Energiekonzerne ihre enorme politische Macht dafür nutzen, staatliche Programme zur Umstellung von fossilen Energieträgern, für z. B. Heizen und Kochen, auf erneuerbare zu verhindern.

Aber warum wird das getan? Ist Erdgas wirklich die einzige Lösung in der Energie- und Umweltkrise? Was sind unsere Alternativen? Wir müssen die Frage von der anderen Seite beantworten: Wir können uns nicht mehr leisten, immer wieder auf umweltschädliche fossile Energien zurückzugreifen. Was können wir also tun? Dafür ist wichtig zu betonen: Wer trifft denn momentan die Entscheidung, wie viel Energie wofür zur Verfügung steht? Der mit Abstand höchste Energieverbrauch findet in Produktion und Verkehr statt, und zwar in faktisch jedem Land. Verkehr ist hierbei auch stark verknüpft mit Logistik. Die Entscheidung, wie diese stattfindet, liegt bei den Unternehmen und ist damit nicht demokratisch legitimiert. Ähnlich wie bei der Gaskonferenz kommen hier Leute zusammen, die kein Entscheidungsrecht haben, entscheiden für uns, wie, was und warum produziert wird, und behaupten dann, dass es leider nur mit fossilen Brennstoffen geht, damit „unsere“ Bedürfnisse nach Energie gedeckt werden.

Wir wollen stattdessen gemeinsam entscheiden, wo und warum Energie genutzt wird. Die umweltfeindlichsten Bereiche, die, wo es möglich ist, sowieso abgeschafft werden müssen, sind auch die, die häufig den höchsten Energieverbrauch haben. Statt riesigen Leuchtreklamen und Just-in-time-Autotransporten könnten wir uns demokratisch für einen Ausbau des Schienennetzes und erneuerbarer Energie einsetzen, wenn wir die demokratische Macht dazu hätten, dies zu entscheiden.

Deshalb kämpfen wir für eine bedingungslose Enteignung und politische Kontrolle über Entscheidungen des Energiesektors.

Fossile Energie und der europäische Imperialismus

Für Jahrzehnte war Russland für Europa ein wichtiger Lieferant für fossile Energieträger. Nach der erneuten Eskalation des Krieges in der Ukraine kam es zu einer verstärkten Blockbildung zwischen Russland auf der einen Seite und der EU sowie den USA auf der anderen, die zu einer Einstellung des Handels mit Erdgas führte. Der europäische Imperialismus ist daher auf der Suche nach einer anderen Bezugsquelle für Erdgas und Erdöl, die am besten möglichst kontrollierbar und billig ist.

Ein Beispiel für jene Entwicklung ist die bereits 2020 fertiggestellte Transadriatische Pipeline, die Erdgas aus Aserbaidschan, einem engen westlichen Verbündeten, über die Türkei nach Griechenland und Italien liefert. Ebenfalls in Planung ist die Transsahara Gaspipeline, die Erdgas aus Nigeria durch Niger bis an die algerische Mittelmeerküste bringen wird. Ob der Bau, wie von den drei beteiligten Ländern vorgesehen, wirklich ohne Beteiligung ausländischer Unternehmen erfolgen wird, bleibt abzuwarten.

Die Bemühungen der Energiekonzerne um die Erschließung neuer Quellen für fossile Brennstoffe beschränken sich nicht nur auf Erdgas, sondern inkludieren auch Erdöl. So wird derzeit eine neue Pipeline für Rohöl in Ostafrika vom französischen Unternehmen Total Energy gebaut, das ebenfalls auf der Konferenz in Wien vertreten ist. Sie soll die Ölfelder in Uganda mit dem Hafen von Tanga in Tansania verbinden. Das Projekt führte bereits zu mehreren rücksichtslosen Umsiedelungen von Gemeinschaften, durch deren landwirtschaftliche Flächen die Pipeline führen wird, und bedroht die wirtschaftliche Lebensgrundlage und Wasserversorgung der Bevölkerung. Es wird davon ausgegangen, dass das Victoriaseebecken besonders stark durch Wasserverschmutzung und Erosion geschädigt werden wird.

Die Gewinne aus der Anlage gehen größtenteils an den Konzern Total Energy und zu einem kleineren Anteil an staatliche Ölkonzerne von Tansania und Uganda. Man kann nicht erwarten, dass die geschädigte Bevölkerung vor Ort jemals etwas von den Milliarden an Gewinnen aus der Unternehmung sehen wird.

Wir müssen international kämpfen, weil wir in den imperialistischen Ländern Druck aufbauen müssen, damit die ökonomische Abhängigkeit in halbkolonialen Ländern geschwächt wird. Die Menschen dort, die am stärksten unter der Klimakrise leiden, können dadurch effektiver dafür kämpfen, dass sie selbst in der Lage sind, Energieprojekte in einer nachhaltigen Art und Weise zu managen.

Wir kämpfen deshalb unter anderem für die Streichung aller Schulden, die halbkoloniale Länder an imperialistische Länder zu zahlen hätten.

Gewinner der Energiekrise auf unsere Kosten

Die Konzerne im Öl- und Erdgassektor haben nicht nur ihre klimaschädlichen Geschäfte und politische Einflussnahme zu verantworten. Die Firmen konnten in der derzeitigen Gaskrise ihre Profite enorm steigern, vor allem auf Kosten von Lohnabhängigen, die sich die gestiegenen Heizkosten kaum noch leisten können. Keine einzige europäische Regierung ist gewillt, dem Wucher durch Preisobergrenzen oder Vergesellschaftungen ernsthaft Einhalt zu gebieten, denn man möchte ja nicht die Profitraten einer so wichtigen Klientel wie der Erdölindustrie einschränken. So beschränken sich staatliche Hilfen für die Arbeiter:innenklasse auf kleine Einmalzahlungen, die keine wahre Entlastung schaffen. Die jetzige Inflation, die von den Energiepreisen getrieben wird, trifft vor allem die Haushalte, die nicht in der Lage sind zu sparen und die Kosten, die jetzt auf sie zukommen, nicht wirklich abfangen können.

Auch die Menschen, die in nicht nachhaltigen Bereichen arbeiten, haben in diesen Branchen keine Zukunft. Wir brauchen ihre Expertise und ihr Können für eine nachhaltige Umstellung der Wirtschaft. Sie sind diejenigen, die ein tatsächliches Interesse daran haben, ihre Unternehmen und Konzerne umzugestalten und zu nutzen, was zu nutzen ist und aufzugeben und zu verhindern, was die Klimakrise weiter anheizt.

Wieder einmal sehen wir alle nur zu gut, warum sich Arbeiter:innen und Jugendliche nur auf sich selbst verlassen können. Hoffnungen auf Preisobergrenzen und finanzielle Hilfen werden vergebens sein, wenn sie nicht durch Streiks und Besetzungen erzwungen werden. Keine Profite mit Heizen und Miete! Vergesellschaftung der Energiekonzerne unter Arbeiter:innenkontrolle ohne Entschädigungen!

Eine neue Klimabewegung

Im deutschsprachigen Raum haben die Proteste gegen die Räumung von Lützerath in Deutschland sowie die Besetzung der Baustellen für die Stadtautobahn in Wien zu einer klaren Radikalisierung der Klimabewegung geführt. Gerade die Erfahrungen mit Polizeigewalt und die absolute Unwilligkeit der Grünen in beiden Ländern, bei ihren Versprechen für mehr Klimaschutz zu bleiben, hat viele junge Aktivist:innen zum Umdenken bewegt. Doch dieses beschränkt sich oft nur auf eine höhere Stufe an „Radikalität“ bei den eigenen Aktionen wie den Unibesetzungen von End Fossil: Occupy! oder dem Festkleben an Straßen durch die Gruppe Letzte Generation. Nicht geändert hat sich aber, an wen diese Forderungen gerichtet werden und wer die Klimakrise lösen soll: bürgerliche Regierungen und deren Staatsapparat.

REVOLUTION sieht sich als Teil der Klimabewegung und wir stehen solidarisch zu allen Gruppen, die sich an diesem entscheidenden Kampf beteiligen. Jedoch sehen wir, dass das Unterfangen, die Klimakrise durch Appelle an ein Parlament oder besonders radikale Einzelaktionen zu bekämpfen, nicht zu verwirklichen ist. Daher schlagen wir einen neuen, klassenkämpferische und internationalistischen Weg vor.

Klasseninteressen in Zeiten der Klimakrise

In der Klimakrise sitzen nicht alle im gleichen Boot. Wie auch die Erzeugnisse des kapitalistischen Wirtschaftssystems national und international sehr ungleich verteilt werden, so werden auch die Lasten des Kapitalismus von manchen Menschen stärker getragen als von anderen. Besonders betroffen sind Jugendliche und Arbeiter:innen sowie Menschen außerhalb der imperialistischen Zentren. Sie profitieren kaum von der erhöhten Produktivität durch die rücksichtslose Ausbeutung der Umwelt und haben meist nicht die Möglichkeit, vor den schlimmsten Folgen des Klimawandels wie Überflutungen, Luftverschmutzung und Dürre zu fliehen. So ist es Menschen mit großen finanziellen Mitteln möglich, ihre Häuser zu klimatisieren oder einfach in weniger stark betroffene Gebiete umzusiedeln.

Für Kapitalist:innen, also Menschen, die Kontrolle über Produktionsmittel wie z. B. Fabriken ausüben, verspricht jedoch jedes Jahr ohne Klimaschutz höhere Gewinne. Auch verfügen sie über die notwendigen Ressourcen, um gegebenenfalls den Folgen ihres eigenen zerstörerischen Handelns aus dem Weg gehen zu können.

Sogar wenn sich einzelne Unternehmer:innen gegen ihr eigenes objektives Interesse für härtere Klimaschutzmaßnahmen im eigenen Betrieb entscheiden, würden sie aufgrund der dadurch stärkeren Konkurrenz schnell an Bedeutung verlieren.

Das Kapital als Klasse stellt sich also nicht aufgrund von Unwissenheit gegen stärkeren Umweltschutz, sondern aufgrund des eigenen materiellen Interesses und des ökonomischen Zwangs, auf dem Weltmarkt profitabel und wettbewerbsfähig zu bleiben. Da die Kapitalist:innenklasse als Ganze die meisten Mittel für Lobbying und Propaganda zur Verfügung hat, werden die Interessen des Kapitals auch in Fragen des Klimaschutzes von den bürgerlichen Regierungen jeder Art rücksichtslos durchgesetzt. Daran ändert auch eine Regierungsbeteiligung der Grünen nichts.

Der Kampf gegen den Klimawandel ist immer einer gegen das Kapital. In der Klimakrise teilen sich die Interessen von Menschen also nicht nach Bildungsgrad oder dem persönlichen Wissen über den Klimawandel, sondern nach der Klassenzugehörigkeit. Als Klimabewegung ist es unsere Aufgabe, stets den Kontakt zu den Massen an Jugendlichen und Arbeiter:innen zu suchen, die das größte objektive Interesse (weil es um ihr Überleben geht) an einer konsequenten Klimapolitik hegen. Diese Gruppen müssen wir für den gemeinsamen Kampf für unsere Zukunft mobilisieren. Genauso wie wir es nicht schaffen, die Klimakrise durch unser persönliches Konsumverhalten abzuwenden, reicht es auch nicht aus, mit isolierten Aktionen und Aktivismus einer kleinen Szene Aufmerksamkeit zu generieren. Wir wollen eine Bewegung werden und dafür müssen wir den Kampf für einen Systemwechsel in die Schulen und Unternehmen tragen.

Als Aktivist:innen innerhalb des imperialistischen Kerns sollten wir die Kämpfe von Arbeiter:innen und Jugendlichen gegen Ausbeutung und Klimawandel in den Halbkolonien als unsere eigenen sehen. Nur eine breite, internationale, antikapitalistische Bewegung wird in der Lage sein, die Produktionsverhältnisse weltweit ökologisch und sozial zu gestalten. Diese Aufgabe ist weder den eigenen Parlamenten noch irgendeiner parlamentarischen Partei anzuvertrauen, da jene Institutionen in der Vergangenheit schon zu oft gezeigt haben, dass sie sich stets dem Willen der Kapitalist:innen beugen werden.

Unsere Forderungen sollen nicht den Anschein erwecken, dass kapitalistische Staaten diese tatsächlich eines Tages umsetzen könnten. Aber sie geben uns einen klaren Weg vor, um erfolgreich zu sein, und zeigen auf, welche Schritte notwendig sind, um die jetzige Krise zu überwinden. Forderungen sollten aber auch immer versuchen, eine Brücke zwischen dem derzeitigen Bewusstsein der Menschen und diesen notwendigen Maßnahmen zu spannen.

Daher sagen wir: Nein zu neuer Infrastruktur von Erdgas! Nein zur Ausbeutung von Rohstoffen in den Halbkolonien durch imperialistische Staaten! Nein zu Treffen zwischen Industrie und Politik, die immer nur der Maximierung des eigenen Profits dienen! Ausstieg aus allen fossilen Energieträgern, auch Erdgas! Keine Profite mit Heizen und Miete, die Lasten der Wirtschaftskrise sollen nicht von Arbeiter:innen und Jugendlichen getragen werden. Enteignung der Energiekonzerne unter Arbeiter:Innenkontrolle!

Klimaschutz heißt Klassenkampf: Vernetzung von Klimabewegung und Gewerkschaften! Es gibt keinen grünen Kapitalismus, Klimaschutz muss antikapitalistisch und internationalistisch sein! Kein Vertrauen in bürgerliche Staaten und Parteien!




Solidarität mit Brokkoli: Springer enteignen!

REVOLUTION, unsprünglich veröffentlicht auf http://onesolutionrevolution.de/, Infomail 1209, 6. Januar 2023

Das frisch angebrochene Jahr 2023 versucht es direkt in seiner ersten Woche gleich mal damit, in die Charts der absurdesten Twitter-Tage zu kommen: Der rechtskonservative Chefredakteur der Springer-Tochter WeltN24 Ulf Poschardt ist wohl am 05.01. auf seinem Streifzug durch Twitter nach „rotgrüner umerziehungsfolklore“1 auf das Video-Statement unseres Genossen Brokkoli gestoßen. Mit einem lächerlich-populistischen Tweet versucht er nun seine Armee aus rechten Trollen, Incels und Polizei-Fanboys auf uns zu hetzen2.

Das Videostatement, auf das sich Ulf bezieht, haben wir gemeinsam mit Genoss_innen des „Revolutionären Bruchs“ veröffentlicht. Darin rufen wir dazu auf, auf der gleichnamigen Konferenz um die Frage des Antirassismus zu diskutieren, da die Berliner Linkspartei sich im Wortlaut zwar oft antirassistisch gibt, praktisch als Teil der Berliner Landesregierung aber Abschiebungen bewilligt und migrantischen Communites das Demonstrationsrecht verweigert. Über 600 Menschen waren in Berlin im letzten Jahr von Abschiebungen betroffen. Sogar das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Verbot von nächtlichen Abschiebungen wurde immer wieder missachtet. Durchgeführt werden diese Abschiebungen von einem Polizeiapparat, dessen struktureller Rassismus schon lange kein Geheimnis mehr ist und der seinen blutigen Höhepunkt in der Ermordung von Oury Jalloh und Mouhamed Dramé gefunden hat. Diese Polizei will der Senat nun mit Elektro Tasern und einer neuen Racial-Profiling-Wache am Kotti ausstatten. Für den rechtskonservativen Ulf ist das natürlich kein Problem. Er sieht das Problem eher darin, dass Brokkoli einen ACAB-Hoodie trägt und den Palästinenser_innen ein Selbstbestimmungsrecht zugesteht.

Im Mai letzten Jahres wurde in Berlin anlässlich des Nakba-Tages (ein Gedenktag zur Vertreibung von über 700 000 Palästinenser_innen) ein gerichtliches Demonstrationsverbot erlassen. Die geplanten Demonstrationen wurden pauschal als antisemitisch verunglimpft und das, obwohl die Veranstalter_innen sich mehrmals klar gegen Antisemitismus auf ihren Aktionen positioniert haben. In der Debatte um das Demonstrationsverbot wurde dabei immer wieder auf rassistische Stereotype von „emotionalisierten Arabern“ (ähnlich wie wir sie aktuell in der Debatte um das Böller-Verbot hören müssen) Bezug genommen. Damals wie heute verurteilen wir diese rassistische Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Ulf verdreht diese Kritik in seinem Tweet zu einem angeblichen „linken Antisemitismus“. Hätte er seinen Job als Journalist vernünftig gemacht und mal kurz auf unserer Homepage recherchiert, wäre er jedoch schnell auf unsere ausführliche Resolution zum Thema Antisemitismus3 gestoßen und hätte ebenfalls in unserem Programm nachlesen können, dass wir für einen binationalen, säkularen und sozialistischen Staat im Nahen Osten eintreten, indem alle Menschen unabhängig von ihrer Religion in Frieden und Gleichberechtigung miteinander leben können4.

Gründliche Recherche und Quellenbelege scheinen jedoch nicht das Steckenpferd von Ulf Poschardt zu sein. So wurde er bereits im Jahre 2000 als Chefredakteur beim Magazin der Süddeutschen Zeitung gekündigt, weil er dort gefälschte Interviews und Storys ungeprüft veröffentlicht hatte5. Ulf scheint es vielmehr als den Kern seiner journalistischen Tätigkeit zu verstehen, auf Twitter Aufmerksamkeit durch seine chauvinistischen Kommentare zu generieren. Seine Feinde sind dabei wahlweise Klimaaktivist_innen, Corona-Schutzmaßnahmen, Geflüchtete oder die öffentlich-rechtlichen Medien. Aufrechte Aktivist_innen setzt er dabei mit der islamistischen Terrormiliz Boko Haram gleich, indem er sie mit „Wokoharam“ betitelt6. Er selbst versteht seinen „Journalismus“ auf Twitter dabei als „Kulturkampf“7 gegen „politisch korrekte Aktivisten“. Es geht ihm also darum, Linke mit welchen an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen auch immer im Sinne seines Kulturkampfes zu verunglimpfen. Wie so häufig muss der Vorwurf des Antisemitismus auch bei Ulf als Projektionsfläche herhalten. So inszeniert er sich als kritikloser Verteidiger einer Polizei, die sich mit faschistischen Chatgruppen einen Namen gemacht hat: Kein Wort über deren antisemitische Inhalte aber stattdessen große Empörung über einen Hoodie. Wir fragen uns dabei, wie es eigentlich um Ulfs Treue gegenüber dem Rechtsstaat bestellt ist, wenn er Einschränkungen des Versammlungsrechts, Angriffe auf die Meinungsfreiheit und Verwässerungen des Rechts auf Asyl kritiklos verteidigt.

Das Ekligste an der von Ulf angestoßenen Debatte ist jedoch, mit welcher Verachtung und welchem Hass einem politisch aktivem Jugendlichen, der klar politisch Stellung bezieht, begegnet wird. Dass Jugendunterdrückung ein tief verankertes Phänomen in kapitalistischen Gesellschaften ist, sieht man hier darin, dass einem Jugendlichen nicht zugestanden wird, eine eigene politische Meinung zu haben. Nein, er sei „vor die Kamera gezerrt“ worden oder sei „in der Pubertät“. Umso mehr bestätigt uns das darin, dass es richtig ist, sich in einer unabhängigen Jugendorganisation, ohne Bevormundung, unter Jugendlichen selbst zu organisieren.

Die Heftigkeit mit der die Debatte aktuell auf Twitter geführt wird, unterstreicht einmal mehr, wie viel Angst Vertreter_innen der bürgerlichen Klasse wie Ulf haben, wenn wir Jugendliche uns trauen, unsere Stimme zu erheben. Es offenbart zugleich ihre Schwäche, wenn sie ein kurzes harmloses Videostatement mit allen dreckigen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen müssen. Solidarität mit Brokkoli! Dieser Angriff hätte jede_n aufrichtige_n Aktist_in von uns treffen können, denn er richtet sich nicht spezifisch gegen Brokkoli, sondern gegen eine Jugend, die nicht länger bereit ist, dem Kapital dabei zuzuschauen, wie es unseren Planeten zerstört. Bitte teilt und verbreitet dieses Statement! Insbesondere Gliederungen der Linksjugend solid, sollten sich in der Verantwortung sehen, sich in dieser Frage zwischen Ulf und dem „Revolutionären Bruch“ zu positionieren. Lasst Ulf mit seinem Versuch „Revolution“, den „Revolutionären Bruch“ und die Linkspartei zu diskreditieren nicht durchkommen! Kommt zur Konferenz am 14. Januar und lasst uns gemeinsam diskutieren, was wir dem Hass und der Verachtung der herrschenden Klasse und ihrer Medien entgegenzusetzen haben.

Abschließend möchten wir jedoch noch ein paar Worte der Dankbarkeit an Ulf richten: Zuerst einmal vielen Dank für die kostenlose Werbung. Eine größere Reichweite als du sie uns geschenkt hast, hätten wir mit unseren bescheidenen finanziellen Mitteln nicht generieren können. Ebenfalls sind wir dir dafür dankbar, dass du uns mit der Hetze deines Springer-Verlages, die bereits Rudi Dutschke ins Grab brachte, erneut an einen wichtigen Umstand erinnerst: Dieses rechte, antidemokratische und imperialistische Hetzblatt gehört enteignet und unter demokratische gesellschaftliche Kontrolle gebracht!

Endnoten

1 https://twitter.com/ulfposh/status/1611299976495366145?cxt=HHwWgoDQ2dSyvtwsAAAA

2 https://twitter.com/ulfposh/status/1610921238586880000?cxt=HHwWgMDTsZuVktssAAAA

3 https://onesolutionrevolution.de/was-ist-antisemitismus-und-wie-kann-er-bekaempft-werden/

4 https://onesolutionrevolution.de/wp-content/uploads/2017/07/Programm2018.pdf

5 https://de.wikipedia.org/wiki/Ulf_Poschardt

6 https://uebermedien.de/67936/was-ulf-poschardt-zuzutrauen-ist-und-was-nicht/

7 https://twitter.com/niggi/status/1490099359307948035




Krise, Kapitalismus und Herrschaft der Mullahs

Martin Suchanek, Neue Internationale 269, November 2022

Die Tiefe der aktuellen Bewegung im Iran wird erst richtig verständlich, wenn wir die sozialen und ökonomischen Entwicklungen der letzten Jahre und die Verbindung des Regimes zum Kapitalismus betrachten.

Stagnation

Seit Jahren befinden sich die iranische Wirtschaft und Gesellschaft in einer tiefen ökonomischen und sozialen Krise. Die Entwicklung des BIP (Bruttoinlandsprodukts) gleicht dabei einer Fieberkurve. Auf den Einbruch 2012 (-3,75 %) und 2013 (-1,53 %) folgte 2014 ein Plus von 4,99 %. Im Folgejahr 2015 schrumpfte das BIP jedoch wieder (-1,43 %). 2016 schoss es um 8,82 % in die Höhe, doch schon 2017 ging das Wachstum wieder auf 2,76 % zurück. Es folgten 2018 (-1,84 %) und 2019 (- 3,07 %) Jahre der Rezession. 2020 und 2021 wuchs das BIP zwar wieder (+3,3 % und +4,72 %).

Diese Zickzackkurve verdeutlicht schon, wie fragil die kapitalistische Entwicklung im Land geworden ist, bildet sich doch seit Jahren kein „normaler“, über mehrere Jahre gehender Konjunkturzyklus heraus. Faktisch stagniert die Ökonomie des Landes seit etwa einem Jahrzehnt, insbesondere wenn wir das BIP ins Verhältnis zur Bevölkerung setzen, die von 76,04 Millionen Menschen im Jahr 2012 auf 84,98 Millionen im Jahr 2021 zunahm.

Soziale Lage

Besonders dramatisch gestaltet sich zudem die Lage der Lohnabhängigen. Seit 2012 sank das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen von rund 8.000 US-Dollar auf etwas über 2.000 (2020). Die Hauptgründe für den realen Verlust an Kaufkraft und damit verbundene Entwertung der Einkommen und Vermögen der Massen liegen in der dauerhaft hohen Inflationsrate (10 – 20 % pro Jahr), dem Kursverfall der Währung sowie der hohen Arbeitslosigkeit, prekärer und Unterbeschäftigung. Die Arbeitslosenrate beträgt heute offiziell 11,13 %, wobei sie für Frauen, Jugendliche, Menschen mit Hochschulabschluss und nationale Minderheiten etwa doppelt so hoch liegt wie im Durchschnitt.

Doch auch für die beschäftigten Arbeiter:innen waren die letzten zehn Jahre ein soziales Desaster. Lt. Massarrat sank der reale Mindestlohn von 400 US-Dollar/Monat im Jahr 2010 auf 100 – 130 im Jahr 2018 – und das trotz vieler, erbittert geführter Arbeitskämpfe, die teilweise auch zu kurzfristigen Lohnerhöhen führten. Allein, die Inflation frisst diese rasch wieder auf, sie lag 2021 bei über 40 % und zur Zeit bei über 30 %. Unter der Pandemie verschlechterte sich darüber hinaus die allgemeine Lage. Heute lebt rund die Hälfe der Bevölkerung unter der Armutsgrenze.

All dies erklärt aber auch, warum die Bewegung so rasch und massiv an den Universitäten und in den Betrieben Fuß fassen, sich ausweiten und verankern konnte.

Jugend und Frauen

Heute gibt es im Iran rund 4,5 Millionen Studierende, also rund 50 % mehr als in Deutschland (3 Millionen), eine für ein halbkoloniales Land beachtliche Zahl und Quote. Fast jede zweite Studierende ist eine Frau. Dies spiegelt den Versuch des Mullahregimes wider, nach der Machtergreifung eine staatskapitalistische Industrialisierung voranzutreiben, was sich auch in der Erhöhung der Alphabetisierungsquote (80 % gegenüber 20 % unter dem „modernen“ Schahregime) wie auch im Zwang, vermehrt Frauen als Lohnarbeiterinnen zu beschäftigen oder professionell zu qualifizieren, ausdrückt.

Somit entstand im Iran einerseits eine sehr qualifizierte Schicht von Frauen, die zugleich weiter politisch und kulturell entrechtet blieb. Das Scheitern der Illusionen in den Reformflügel des Islamismus führte außerdem dazu, dass sich die Hoffnung auf eine allmähliche Öffnung und Liberalisierung des Regimes erschöpfte.

Heute stellen die Universitäten einen Fokus der Bewegung dar – und wir können angesichts der sozialen Lage der Studierenden und besondere Studentinnen erkennen, warum junge Frauen und Jugendliche eine so wichtige Rolle in der Mobilisierung einnehmen, an vorderster Front kämpfen. Über Jahre versprach das Regime den Frauen und der Jugend im Gegenzug für soziale Unterdrückung und kulturelle Tristesse Jobs, Einkommen und sogar einen gewissen Aufstieg. All das entpuppt sich nach anfänglichen Industrialisierungs- und ökonomischen Erfolgen in den 1980er und 1990er Jahren mehr und mehr als Fiktion. Die neoliberalen Reformen und Privatisierungen des letzten Jahrzehnts, vor allem seit dem Einbruch 2012/13 verschlechterten die Lage weiter. Für die Frauen und die Jugend sieht die Zukunft düster aus.

Die Arbeiter:innenklasse bildet mittlerweile die zahlreichste Klasse der iranischen Gesellschaft, zumal wenn wir die sub- und halbproletarischen Schichten und jene Teile der Intelligenz, die einem Proletarisierungsprozess unterzogen sind, einbeziehen.

Für die Lohnabhängigen repräsentierte die Diktatur der Mullahs immer eine brutale Herrschaft der Ausbeuter:innen – zu offensichtlich und eng sind iranischer Kapitalismus und islamistisches Regime miteinander verbunden.

Staat und Bourgeoisie

Nach der konterrevolutionären Machtübernahme und Niederlage der iranischen Revolution 1979 setzte das Regime auf eine staatskapitalistische Industrialisierung, finanziert durch das Ölgeschäft und ein Bündnis mit der Handelsbourgeoisie, vor allem den sog. „Bazaris“ (einer traditionell religiös-konservativ eingestellten Schicht von Großhändler:innen, die am Bazar von Teheran ihren Geschäftssitz hat und sich unter dem Schah benachteiligt fühlte).

Bewerkstelligt werden sollte diese durch Einnahmen aus dem Export von Öl und Gas sowie durch westliche Investitionen. Diese Politik zeitigte auch einige begrenzte Erfolge, was sich auch im Wachstum der Arbeiter:innenklasse ausdrückte.

Die Öleinnahmen wurden unter den Mullahs ebenso wie unter dem Schah zum größten Teil jedoch nicht in die Entwicklung einer umfassenden, nationalen Wirtschaft und Industrie investiert, sondern der größere Teil floss entweder in die Taschen einer Bürokratenkaste und der eng mit dem Regime verbunden religiösen und repressiven Institutionen. Dabei entstand auch eine neue Schicht von Unternehmer:innen, indem beispielsweise Offizier:innen, hohe Beamt:innen, führende Kommandeur:innen der Milizen und andere Funktionsträger:innen bei Privatisierungen begünstigt wurden, deren Geschäftsmodell im Wesentlich aus staatlichen Aufträgen bestand, also aus einer Umverteilung der Öleinnahmen. Dies war für sie zugleich profitabler und sicherer als industrielle Neuinvestitionen.

Das traf erst recht für die schon etablierten kapitalistischen Großhändler:innen zu, von denen selbst viele historisch aus dem Großgrundbesitz auf dem Land hervorgegangen waren. Das Geschäftsmodell der großen Handelskapitale bestand einerseits im Import von Waren für jene Schichten, die aus den Öleinnahmen alimentiert wurden (und damit eben heimische Produkte ersetzen) sowie in Anlagen von Immobilien und auf Finanzmärkten. Der Grund dafür ist kein Geheimnis. Diese Sphären versprachen einfach raschere und höhere Gewinne als der industrielle Sektor. Die Öleinnahmen des iranischen Staates fungierten als Garantinnen für diese Geschäfte.

Dieses Problem, dass die Einnahmen aus dem Rohstoffreichtum nicht organisch in den Aufbau der heimischen Wirtschaft fließen, ist natürlich kein speziell iranisches. Es ist vielmehr typisch für halbkoloniale Länder, deren Einnahmen wesentlich aus dem Verkauf von Rohstoffen oder Einnahmen in Form der Grundrente stammen. Länder wie der Iran sind trotz Sanktionen und diplomatischer Isolierung natürlich weiter vom Weltmarkt abhängig. Das zeigt sich auch darin, dass die iranische Wirtschaft seit 2012/13 auch wegen des gesunkenen Rohstoffpreises für Öl und Gas in weitere Schwierigkeiten geriet. Darüber hinaus führten die von den USA forcierten und auch bei ihren westlichen Verbündeten durchgesetzten Sanktionen zu einem Rückgang an Investitionen ausländischen Kapitals, das auch durch andere Staaten wie China nicht aufgewogen werden konnte.

Weltmarkt und nationales Kapital

Die Abhängigkeit vom Weltmarkt geht aber auch mit einer bestimmten Ausrichtung des nationalen Kapitals einher. Nicht nur das wichtigste Wirtschaftsgut ist auf den Weltmarkt ausgerichtet, auch die Investitionsrichtung der bedeutendsten Kapitalgruppen wird davon bestimmt. Dass das „nationale“ Kapital im Iran seine Gelder lieber in spekulative Geschäfte und in Im- und Export von Waren anlegt, folgt der simplen Logik jedes Einzelkapitals – dort zu investieren, wo die größte Rendite bei geringstem Risiko zu erwarten ist.

Dies erklärt auch, warum die iranische Bourgeoisie wieder willens noch fähig ist, das Land selbst zu entwickeln, sondern wesentlich parasitäre Züge annimmt. Erst recht trifft dies auf die aus dem Regime hervorgegangenen, „neuen“ Unternehmer:innen zu. Hinzu kommt, dass das islamistische Regime auch noch eine ganze Heerschar von Repressionskräften, Militär, paramilitärische Einheiten wie die Pasdaran, Staatsbeamt:innen, religiöse Würdenträger – allesamt ökonomisch unproduktive Gesellschaftsschichten – alimentieren muss.

Anders als in den Petromonarchien am Golf ist die iranische Bevölkerung jedoch viel zu groß, um in ihrer Gesamtheit aus den Öleinnahmen alimentiert werden zu können. Da die Privatbourgeoisie ihr Kapital lieber in Handel und Finanzen statt in der Industrie anlegte, versuchten der Schah wie auch das islamistische Regime, über einige Zeit eine staatskapitalistische Industrialisierung zu forcieren. Doch diese scheiterte nicht nur an der Abhängigkeit vom Weltmarkt (Öl- und Rohstoffpreise), sondern auch daran, dass zuerst die Handels- und Finanzbourgeoisie und eigenen zahlreichen Günstlinge bedient werden mussten.

Der „Rest“ war zu gering und unsicher, um eine ökonomische Modernisierung zu leisten. So blieb vieles Stückwerk, auf halbem Weg stecken. Die neoliberale Wende des Regimes nach 2010 und die Sanktionen des Westens verschärften das Problem. Die Industrie und angelagerte Wirtschaftsteile litten an fehlenden Ersatzteilen, überalterten Maschinen, fehlenden Märkten, mangelnder Auslastung und ganz besonders an Kapital für Neu- oder Ersatzinvestitionen.

Die Arbeiter:innenklasse muss den niedergehenden Betrieb irgendwie am Laufen halten und erlebt zugleich täglich, dass sich der islamistische Kapitalismus nicht nur im Niedergang befindet, sondern auch die Lohnabhängigen mit in den Abgrund zu reißen droht.

Für die beschäftigten Arbeiter:innen verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen, Unfälle werden zur Regel. Viele verdienen aufgrund von Inflation und Produktionsausfällen immer weniger, andere warten monatelang auf ihre Löhne.

Es ist kein Wunder, dass sich die Lohnabhängigen v. a. außerhalb strategischer staatlicher Betriebe, wo noch höhere Löhne bezahlt werden, in den letzten Jahren immer mehr vom Regime entfremdeten. Vor allem aber 2019 bildeten sie die zentrale soziale Kraft in der Massenbewegung gegen das Regime, erhoben sie ökonomische Forderungen in Verbindung mit solchen nach dem Sturz der Mullahherrschaft.

Unter der Diktatur des Schahs und jener der Islamist:innen erwies sich die iranische Bourgeoisie als unfähig und unwillig, das Land zu entwickeln. Dazu wird sie auch in Zukunft nicht in der Lage sein, als fortschrittliche Kraft hat sie längst ausgespielt. Umso dringenden ist es, dass die Jugend, kämpfenden Frauen, unterdrückten Nationalitäten, vor allem aber die Arbeiter:innenklasse selbst erkennen, dass die kommende iranische Revolution nur dann die Probleme des Landes lösen kann, wenn sie zu einer sozialistischen wird.




Revolutionärer Bruch braucht Programm

Stellungnahme von Genoss:innen von REVOLUTION zur Landesvollversammlung Linksjugend [’solid] Berlin, Infomail 1202, 23. Oktober 2022

Am 10. Oktober 2022 veröffentlichten junge Sozialist:innen, die in der Linksjugend [’solid] aktiv sind, eine Erklärung unter dem Titel „Für einen revolutionären Bruch mit der Linkspartei und [’solid]“. Wir begrüßen die Diskussion um den Aufbau einer revolutionär-sozialistischen Partei in Deutschland, an der wir uns aktiv beteiligen wollen. Hier spiegeln wir eine Erklärung von mehreren Genoss:innen, die begannen, sich in [’solid] zu politisieren und im Verlauf des letzten Jahres auch der Jugendorganisation REVOLUTION anschlossen. Sie stellen hier ihre Ansichten zu den Grundlagen einer neuen revolutionären Kraft zur Diskussion.

Revolutionärer Bruch braucht Programm!

Autor:innen: Brokkoli Bittner (REVOLUTION Berlin, Linksjugend Solid Stadtrand Ost); Stephie Goetz (ehemalige Schatzmeisterin und Landessprecherin Solid Berlin, REVOLUTION Berlin und Linksjugend Solid Nord-Berlin); Jona Everdeen(REVOLUTION Berlin, Linksjugend Solid Kreuzkölln); Mao Meier (REVOLUTION Berlin, Linksjugend Solid Stadtrand Ost)

Die Weltgesellschaft befindet sich wahrhaftig an einem Wendepunkt. Die Bewegungen der Lohnabhängigen und sozial Unterdrückten sehen sich mit einer grundlegend neuen Situation konfrontiert.

Mit dem Krieg in der Ukraine hat auch eine allgemeine Auseinandersetzung um die Neuaufteilung der Welt begonnen. Großmächte wie China, Russland, Indien, die USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Großbritannien bereiten sich auf einen globalen militärischen Konflikt vor, der die gesamte Zivilisation zerstören könnte. Die Diskussion über die Gefahr eines Dritten Weltkriegs ist in den offiziellen Medien, in den Reden von Politiker:innen und im alltäglichen Gespräch kein Tabu mehr. Gerade für die Jugend gilt es zu verhindern, dass er je ausbricht.

Die Klimakatastrophe ist heute. Verwüstung, Trockenheit und Feuer wechseln sich mit Fluten, Überschwemmungen und Stürmen ab. Gleichzeitig erleben wir ein apokalyptisches Artensterben. Wir erleiden die Belastung unseres Planeten mit immer mehr Müll, die Vergiftung unseres Trinkwassers und unserer Nahrung. Während allein in diesem Jahr weltweit eine Billion US-Dollar für den Militarismus ausgegeben wurden, bleibt die ökologische Transformation aus, die uns bürgerliche Politiker:innen und Konzerne immer wieder versprachen. (Das sind 1.000.000.000.000 US-Dollar oder eintausend Milliarden US-Dollar.) Wenn wir die Zukunft der jungen Generation sichern wollen, braucht es einen radikalen Systemwechsel.

Gleichzeitig brach mit der Coronapandemie auch eine außerordentliche Wirtschaftskrise des Kapitalismus aus. Die Lohnabhängigen, kleine Bauern/Bäuerinnen und Gewerbetreibende sowie die städtische und ländliche Armut werden unter dieser Krise erdrückt. Große Teile der Welt erleben eine massive Hungerkrise. Auch hier in Deutschland überschritt die Inflation zuletzt die 10 %-Marke. Viele bangen um ihre Arbeit und Wohnung, fürchten sich vor der nächsten Gasrechnung oder dem Einkauf. Mehr als 16 % der Bevölkerung lassen eine Mahlzeit aus, um zu sparen. Währenddessen vermehrt sich der Reichtum der großen Kapitalist:innen. Wenn wir nicht erneut wie 2008 für die kapitalistische Krise zahlen sollen, braucht es einen entschlossenen Kampf von unten.

Diese drei Menschheitsfragen können nicht durch den Kapitalismus gelöst werden, denn er hat sie hervorgerufen.

  • Wir kämpfen für eine Gesellschaft, die sich an den Bedürfnissen der gesamten Menschheit ausrichtet, auch der Generation von Morgen.
  • Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der demokratische Teilhabe nicht von der Wirtschaftsmacht einer Region, von einzelnen Staaten, Verbänden oder Individuen abhängig ist.
  • Wir kämpfen für eine Gesellschaft, die frei von Privilegien ist, von Privilegien, die andere Menschen kleinmachen, ausgrenzen und ihre Ausbeutung ermöglichen.

Das einzige Privileg, für das wir kämpfen, ist, der Menschheit eine Zukunft auf diesem Planeten zu sichern. Wir streben eine Zukunft an, in der wir gleichberechtigt unsere Lebenszeit voll ausschöpfen und genießen können. Wir wünschen uns eine Gesellschaft, in der die Fähigkeiten und Interessen von Kollektiven und Individuen voll zur Entfaltung kommen können. Um diese Zukunft zu sichern, müssen die Technologien zu produktiven Kräften werden statt zu Mechanismen der zunehmenden Kontrolle oder gar Zerstörung der Welt. Wir brauchen Formen des Zusammenlebens, die sich freimachen von der Irrationalität, dem Hass und der Lüge der heutigen Zeit. Eine Gesellschaft, in der stattdessen der Drang nach Wissen, Austausch und dem Verständnis unserer Existenz im Vordergrund stehen.

Diese Gesellschaft nennen wir Sozialismus.

Wir müssen aber feststellen, dass wir diesem Ziel heute sehr fernstehen.

Mit dem Beginn der Krise 2007 hoffte eine ganze Generation junger und alter Menschen auf ein Ende des Kapitalismus. Im gleichen Jahr wurden DIE LINKE und die Linksjugend [’solid] gegründet. Fünfzehn Jahre später steckt DIE LINKE in einer tiefen Krise. Heute fürchten die Kapitalist:innen in Deutschland nicht die linke Erhebung – eine weitverbreitete Sorge der damaligen Zeit, als Zeitungen wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung davon sprachen, dass Marx zurück sei. Stattdessen müssen Lohnabhängige heute den Aufstieg der Rechten fürchten und unter der unsozialen Politik der Regierung leiden.

Es fehlt aber nicht an den objektiven Bedingungen, dieses Ziel zu erreichen. Es fehlt an einer Kraft, die für dieses Ziel entschlossen kämpft. Wir denken, DIE LINKE ist nicht diese Kraft. Denn sie formuliert nur ein vages Ziel. Sie hat die Kampfkraft der Lohnabhängigen in den letzten fünfzehn Jahren nicht gestärkt, sondern ihre Hoffnung auf grundlegende Veränderungen enttäuscht und ihre Moral durch eine Reihe von prinzipienlosen Regierungsbeteiligungen gebrochen. Aktuell streitet sie darüber, ob die deutsche Regierung nun die blödeste Europas sei oder nicht. Stattdessen sollten wir uns darauf konzentrieren, dass es eine kapitalistische Regierung ist, die unsere Interessen nicht umsetzt. DIE LINKE scheitert auch praktisch, sie ist zerstritten und nicht das Zentrum eines linken Widerstandes gegen die Dreifachkrise.

Dies hat tiefere Gründe. Denn alle drei relevanten Flügel der LINKEN (Bewegungslinke, Wagenknecht und Reformer:innen) haben eine politische Schwäche gemeinsam. Sie richten ihre Politik letztlich primär auf die graduelle Reform eines Systems aus, das nicht grundlegend reformierbar ist. Ihr Hauptvehikel bleiben dabei letztlich mehr oder weniger das Parlament und der bürgerliche Staat. Wir erkennen hingegen wirklich an, dass die heutige Welt in Klassen aufgeteilt ist. Einerseits in jene, die Land, Ressourcen und Produktionsmittel besitzen, direkt oder indirekt die Grundlagen der Politik der heutigen Staaten bestimmen. Andererseits in jene, die dies nicht tun. Ein Großteil dieser zweiten Klasse sind die Lohnabhängigen dieser Welt.

Für uns ist das nicht einfach eine Phrase, sondern geht mit praktischen Verpflichtungen einher. Es heißt, dass die Welt von den Interessen einer kapitalistischen Minderheit bestimmt ist. Diese bestimmt letztlich das Schicksal der „Wirtschaft“. Auch das vorherrschende Denken ist das Denken der Herrschenden, solange ihre Herrschaft nicht in Frage gestellt wird.

Das bedeutet, dass wir unser Ziel nur durch eine Politik verändern können, die diese herrschende Klasse herausfordert. Das bezeichnen wir als revolutionären Klassenkampf.

Die erdrückende Mehrheit in DIE LINKE und der Linksjugend [’solid] und wichtiger ihr Apparat aus Funktionär:innen und Mandatsträger:innen bestimmen letztlich die Praxis dieser Partei,

vertreten keine klassenkämpferische Politik. Sie vertreten eine Politik, die wir als Reformismus bezeichnen, die im besten Fall glaubt, durch graduelle Reformen den Sozialismus zu erreichen. In der Praxis ist es aber eine Politik und ein soziales System, dass die Lohnabhängigen an die Unternehmen der Kapitalist:innen und „ihren Staat“ bindet und ihnen unterordnet.

Wir glauben, dass es einen grundlegenden Bruch mit dem politischen Programm und der organisatorischen Praxis der LINKEN und Linksjugend [’solid] benötigt, wenn wir unsere Zukunft sichern wollen. Denn mit dieser Politik ist ein wirklicher Systemwechsel ausgeschlossen.

Deshalb unterstützen wir von REVOLUTION den Aufruf zu einer Konferenz, in der alle kritischen Teile der Linksjugend [’solid] und der LINKEN zusammenkommen, die eine Politik wünschen, die für einen Systemwechsel eintritt und dies mit Klassenkampf verbindet.

Um der heutigen, neuen Situation gerecht zu werden, muss es unser Anliegen sein, die antikapitalistischen Teile der Klimabewegung, der kämpferischen Gewerkschafter:innen, die klassenkämpferischen Teile der antirassistischen und feministischen Bewegung in einer gemeinsamen Partei zu vereinigen, um solch einen Systemwechsel, eine sozialistische Revolution möglich zu machen.

In siebzehn Punkten möchten wir hier unsere grundlegenden Überlegungen äußern, welche Strategie und Organisationsform solch eine Partei kennzeichnen sollten, und wie sie für den Sozialismus unter den aktuellen Bedingungen in Deutschland kämpfen müsste.

  1. Wir befürworten Reformen. Wir unterstützen jede Reform, die unsere unmittelbare Lebensgrundlage verteidigt oder verbessert. Das trifft auf alle gesellschaftlichen Bereiche zu, von der Erhöhung von Löhnen, der sofortigen Umsetzung von Maßnahmen zur Rettung der Umwelt bis zur Abschaffung von Praktiken oder Gesetzen, die rassistische, sexistische oder homophobe Unterdrückung zementieren.
  2. Wir müssen für Reformen kämpfen. Die Reichen, die Bänker:innen, Industriellen und Großgrundbesitzer:innen, die bürgerlichen Politiker:innen und staatliche Institutionen werden uns nichts freiwillig geben. In diesem Klassenkampf um Reformen richten wir uns nicht an dem für die herrschende Klasse „Machbaren“ aus. Wir schlagen immer den Kampf für das zum Leben und Überleben der Lohnabhängigen und der Menschheit „Notwendige“ vor.
  3. Wir befürworten den Antritt zu Wahlen. Sozialist:innen sollten ihre Ansichten dort und im Parlament zum Ausdruck bringen. Sie sollen aber den Kampf um Reformen und für die Revolution verbessern und nicht zur Integration in jene bürgerlichen Regierungen und den bürgerlichen Staat führen, in denen es sich auch DIE LINKE bequem gemacht hat.
  4. Das strategische Ziel des Sozialismus bestimmt also unsere Taktik. Wir unterscheiden uns hier grundlegend von der reformistischen Politik der LINKEN oder der Gewerkschaftsführung. Denn diese ordnen ihre Forderungen und Praxis dem unter, was die Koalitionspartner:innen oder Konzernchef:innen als „machbar“ verkaufen. DIE LINKE beteiligt sich an der Verwaltung des kapitalistischen Systems in bürgerlichen Regierungen, was wir kategorisch ablehnen. Gleichzeitig fordern wir reformistische Parteien und die Gewerkschaften immer wieder dazu auf, für konkrete Forderungen zu mobilisieren und kämpfen. Eine zentrale Kritik, die wir aktuell an ihnen üben, ist gerade, dass sie nicht entschlossen gegen Inflation, Krise, Krieg und Umweltzerstörung kämpfen. Wir fordern sie also jederzeit dazu auf, eine gemeinsame Front für die Erkämpfung von Reformen zu schließen. Aber wir begrenzen unsere eigenen Aktivitäten, Forderungen und unser Programm im gemeinsamen Reformkampf nicht auf das, was die Führer:innen der Gewerkschaften oder der LINKEN für „machbar“ halten. Wir sagen jederzeit, was wir für „notwendig“ erachten und erhöhen dabei die Selbstorganisierung der kämpfenden Basis.
  5. Der Kampf um Reformen hat einen realen Zweck im Hier und Jetzt. Dieser Reformkampf ist nicht einfach ein „Trick“.Wenn wir zum Beispiel von unserem Lohn nicht leben können, dann muss er sofort steigen. Aber gleichzeitig kann der Sozialismus nicht ohne eine Revolution erreicht werden. Sozialist:innen werden dies in jedem Reformkampf betonen und ihn so führen, dass sie die Revolution vereinfachen, denkbar machen und vorbereiten.
  6. Sozialist:innen können die Revolution propagieren. Die Revolution machen kann aber nur die Klasse der Lohnabhängigen. Sie ist eine wirkliche soziale Kraft und auch nur durch ihre Revolution gegen die Diktatur des Kapitals kann eine Zukunft gesichert werden, in der es eine Demokratie der Lohnabhängigen anstatt einer stalinistischen Dystopie gibt.
  7. In Deutschland kann kein ernsthafter Reformkampf gewonnen werden, keine Revolution ohne die Gewerkschaften geschehen. Eine zentrale Aufgabe ist es daher auch, sie für eine Politik des entschlossenen Reformkampfes und für den Sozialismus zu gewinnen. Es gibt eine riesige Klasse in Deutschland, aber sie ist von einer reformistischen Bürokratie beherrscht oder anders gesagt von Menschen kontrolliert, die mit einem Parteibuch der SPD, der Grünen oder auch der LINKEN ausgestattet sind. Diese Bürokratie sitzt in Aufsichtsräten, staatlichen Institutionen und erhält zum Teil riesige Gehälter. Aber sie vertritt nicht unsere Interessen. Sie glaubt, „die deutsche Wirtschaft“, das heißt die Profite der Kapitalist:innen, wären das Maß aller Dinge. Zum Teil verhindert oder verschleppt diese Bürokratie auch die Organisierung ganz neuer Schichten der Lohnabhängigen. So verweigerte sie lange den Zutritt von Geflüchteten in die Gewerkschaften. Sie müssen wieder zu Orten der Demokratie und des Kampfes der Lohnabhängigen werden. Eine zentrale Aufgabe ist es also heute, eine klassenkämpferische Basisopposition in den Gewerkschaften aufzubauen. Dies schließt auch die Auseinandersetzung mit weitverbreiteten Illusionen und Ideologien des Reformismus sowie unterschiedlichen Formen des Chauvinismus unter einfachen Gewerkschaftsmitgliedern selbst ein.
  8. Denn die Klasse ist aktuell gespalten: durch nationale Unterschiede, vermittels imperialistischer und halbkolonialer Kriege, aufgrund von sexistischer, rassistischer, homophober Unterdrückung und auch unterschiedlicher sozialer Stellung einzelner Schichten der Lohnabhängigen. Es ist eine zentrale Aufgabe, diese Spaltung in der gemeinsamen Auseinandersetzung zu überwinden. Daher kämpfen wir auch für den Aufbau einer sozialistischen Internationale, die alle diese Auseinandersetzungen miteinander verbindet. Die gemeinsame internationale Organisierung ist das beste Mittel gegen den Chauvinismus.
  9. Der/die Hauptfeind:in steht im eigenen Land. Diese Hauptfeind:innen sind für uns die Klasse der deutschen Kapitalist:innen und der mit ihr verbundene Staat. Das heißt für uns auch, dass wir uns nicht ihren außenpolitischen Ambitionen anschließen. Wir lehnen jede Form des Imperialismus und Militarismus ab. Nur weil in Deutschland nach innen größere demokratische Rechte gewährt werden als beispielsweise in China oder Russland, heißt das nicht, dass deutsche Waffen, die an die Saudis und Türkei verkauft und im Jemenkrieg und in Kurdistan eingesetzt werden, demokratischer seien. Es heißt nicht, dass deutsche Bundeswehrsoldat:innen die Demokratie in Mali, Afghanistan oder im Irak verteidigt haben. Das können nur die demokratisch und sozialistisch organisierten Lohnabhängigen dieser Länder selbst. Die ökonomische, diplomatische und militärische Intervention Deutschlands unterbindet aber solche Prozesse immer wieder.
  10. Gleichzeitig wissen wir auch, dass es andere Großmächte wie Russland, China, die USA, Japan, Frankreich oder Großbritannien gibt. Wir stehen an der Seite keiner dieser Staaten. In der militärischen Auseinandersetzung zwischen ihnen sagen wir: „Dreht die Waffen um! Kämpft nicht gegen die Menschen des anderen Landes!“ Stattdessen sollten die Lohnabhängigen und die ins Militär eingezogene Jugend gegen ihre „eigenen“ Kapitalist:innen, Diktator:innen oder bürgerlichen Regierungen und für eine sozialistische Revolution kämpfen.
  11. Wir tun alles uns Mögliche, um den Aufbau von Gewerkschaften, sozialen und ökologischen Bewegungen sowie von sozialistischen Parteien in anderen Ländern zu unterstützen. Uns interessieren die konkreten Kämpfe und die Debatten unserer Klassengeschwister im Ausland. Wir beteiligen uns an einer internationalen Debatte, anstatt nationale Borniertheit zu betreiben.
  12. Dies muss sich auch durch den Aufbau einer sozialistischen Partei der Lohnabhängigen in Deutschland ausdrücken, die alle diese Aspekte hier vor Ort vereint. Jeder Kampf gegen jede Form von Unterdrückung ist unser, denn wer ist denn lesbisch, schwul, schwarz, weiblich oder geflüchtet, wenn nicht wir Lohnabhängigen?
  13. Eine revolutionäre Partei braucht ein revolutionäres Programm, auf dessen Basis die Mitglieder gemeinsam und verbindlich agieren. Dieses Verständnis unterscheidet sich grundlegend von dem der Linkspartei, deren Programm keine praktische Bedeutung für die tägliche Aktivität hat. Letztlich erwarten nicht einmal ihre Mitglieder, dass sie für ihr Programm kämpft. Wir hingegen halten es für notwendig, ein Programm zu diskutieren und zu erarbeiten, das als Anleitung zum Handeln dient, das den Kampf um soziale, ökonomische und politische Rechte mit dem für die sozialistische Revolution verbindet. Nur auf dieser Basis kann das gemeinsame, verbindliche Agieren einen demokratischen und befreienden Charakter haben.
  14. Dieser Prozess muss auf der Grundlage der vollen und freien politischen Diskussion beruhen. Gleichfalls bedarf es aber auch der gemeinsamen und verbindlichen Umsetzung von beschlossenen Aktionen. Für uns bedeutet „Partei“ also nicht, einen Wahlverein zu gründen, der beständig die eigenen Versprechen in bürgerlichen Regierungen bricht, bürokratisch agiert und die Aktivität der Basis lähmt. Für uns ist die „Partei“ ein Zusammenschluss der kämpferischsten Aktiven, der Jugend, der sozialen Bewegungen und Gewerkschaften, die aus den Niederlagen und Siegen der Vergangenheit gemeinsame Schlüsse ziehen, diese in der täglichen Praxis im Kampf um Reformen überprüfen, dynamisch neue Erfahrungen machen, diese mit der breiteren Arbeiter:innenbewegung und den sozialen Bewegungen diskutieren und so im täglichen Handgemenge die Strategie der Revolution erklären und erfahrbar machen. Wir reden also von einer Form der Organisation, die einerseits das Bewusstsein, das Selbstvertrauen und die Selbstorganisierung unserer Klasse so steigert, dass die Revolution kein abstraktes, fernes Ziel ist, sondern etwas, das zunehmend durch die gewonnenen Erfahrungen denk- und auch machbar wird. Die reformistischen Parteien, vor allem DIE LINKE, bilden das Gegenteil einer solchen Praxis.
  15. Wir treten für den Aufbau einer revolutionären Jugendorganisation ein, die von der Partei ernst genommen, aber nicht von ihr bürokratisch beherrscht wird, eine Organisation mit einem sozialistischen Programm, das sie gemeinsam mit der Partei erarbeitet, in der Jugendliche aber selbstbestimmt ihre eigenen Erfahrungen und ohne Angst vor Rüge auch Fehler machen können.
  16. Die Revolution machen heißt, den bürgerlichen Staat zu zerbrechen. Die kapitalistische Justiz, Regierung, Polizei, Militär und Bürokratie werden uns die Zukunft nicht gewähren, die wir brauchen, um zu überleben. Sie müssen zerschlagen und durch eine Rätedemokratie der Lohnabhängigen ersetzt werden, die ihre Revolution auch verteidigen kann.
  17. Eine der ersten ökonomischen Aufgaben nach einer Revolution wäre die Umwandlung zu einer demokratischen Wirtschaft, die nach den Interessen von Mensch und Natur plant und ein Notfallprogramm durchsetzt, um den ökologischen Kollaps zu verhindern, das 1,5-Grad-Ziel und die Ernährungs- und Energiesicherheit zu gewährleisten.

Diese Überlegungen stellen unserer Meinung nach noch kein Aktionsprogramm im eigentlichen Sinn dar. In den kommenden Monaten wird es unsere gemeinsame Aufgabe sein, ein solches gemeinsam mit all jenen innerhalb und außerhalb der LINKEN zu diskutieren, die auf einen neuen Morgen hoffen. Auch heute gibt es in Deutschland Zehntausende, die sich tagtäglich für eine Welt ohne Kapitalismus einsetzen, sei es in der Klimabewegung, in antirassistischen und feministischen Kämpfen und in gewerkschaftlichen oder betrieblichen Auseinandersetzungen mit den Chef:innen. Aber es fehlt uns an einer gemeinsamen revolutionär-sozialistischen Kraft. Es ist Zeit, sie aufzubauen!

Wenn du oder deine Gruppe diese Ansichten teilt, könnt ihr diese Erklärung ebenfalls unterzeichnen, nicht zuletzt um den Austausch unterschiedlicher Aktiver zu erleichtern.

Wenn ihr den Aufbau einer neuen revolutionär-sozialistischen Partei teilt, aber Punkte in dieser Erklärung diskutieren möchtet, sind wir bereit, eure Antwort als Debattenbeitrag zu veröffentlichen.

Schreibt uns an!

Mail: germany@onesolutionrevolution.de




Frau, Leben, Freiheit: Tod der Diktatur

Revolutionary Socialist Movement – Pakistan, Infomail 1202, 19. Oktober 2022

Wir betrauern den Tod von Jina Mahsa Amini. Mahsa war eine junge Kurdin, die im Gewahrsam der iranischen Sittenpolizei starb. Sie war nicht die erste, viele Frauen vor ihr starben im Stillen. Aber dieses Mal ist es anders. Mahsas Familie hat ihre Stimme erhoben. Wir kennen ihren Namen, wir sagen ihren Namen. Und viele Iraner:innen, junge und alte, schließen sich dieser Stimme an. Seit einem Monat erschüttern die Proteste den Iran. Die Menschen haben aufgehört, eine Entschuldigung zu fordern. Sie fordern den Sturz der fundamentalistischen Diktatur. „Frauen, Leben, Freiheit“ und „Nieder mit den Mullahs“ sind die Slogans, die von Tabriz bis Zahedan und in der iranischen Hauptstadt Teheran widerhallen. Selbst in den Städten, die früher als Bastionen der Kleriker und ihrer reaktionären Garde galten, fordern die Menschen den Sturz des Regimes.

Euer Leid ist unser Leid. Mahsa und die vielen Hunderte, die das Regime seither ermordet hat, sind für uns wie Schwestern und Brüder. Wir kennen euren Schmerz. Denn wir wissen, wie es ist, um unsere pakistanischen Schwestern zu trauern, die für Ehre, für Religion und für die Macht- und Profitgier einer patriarchalischen herrschenden Klasse getötet wurden. Wir wissen, wie es sich anfühlt, Angst zu haben, allein durch die Straßen zu gehen. Auch wir fühlen den Schmerz, in der Öffentlichkeit die Hand eines geliebten Menschen nicht halten zu dürfen. Viele weibliche pakistanische Arbeiterinnen und Angestellte werden Opfer von Missbrauch, Belästigung und Ausbeutung durch ihre Chefs. Auch wir wissen um den Griff des kapitalistischen Patriarchats, das uns erstickt.

Euer Aufstand ist unser Aufstand. Er ist eine Inspiration für uns. Viele pakistanische Mädchen und Jungen werden sich sicherlich von dem Mut jener iranischen Mädchen inspirieren lassen, die es wagen, sich in der Öffentlichkeit die Haare zu schneiden. Denn sie wissen, wie es sich anfühlt, einer Entscheidung beraubt zu werden. Das Patriarchat und seine fundamentalistischen Stoßtruppen verlangen von den Frauen nicht aus Gründen der Frömmigkeit oder Bescheidenheit, ein Kopftuch zu tragen. Sie tun dies, um uns klein zu machen, um Kontrolle über unseren Geist und Körper auszuüben. Eine freie Frau kann wählen, was sie trägt. Sie kann entscheiden, ob sie ein Kopftuch tragen will oder nicht. Das schmälert nicht ihren Glauben, sondern gibt ihrem Glauben eine echte Bedeutung.

Wir werden versuchen, den Weg zu gehen, den ihr uns gezeigt haben. Aber wir möchten ihn gemeinsam mit euch gehen. Viel zu lange hat die Konkurrenz unserer Herrscher, ihr Sektierertum und ihr Nationalismus, einen Keil zwischen die Frauen, die Jugend, die ausgebeutete Arbeiter:innenklasse und die armen Bauern unserer Länder getrieben.

Wenn wir die Freiheit erringen und verteidigen wollen, können wir das am besten gemeinsam tun. Lasst uns von unseren jeweiligen Bewegungen lernen, von den Erfahrungen unserer Frauenbewegungen, von unseren Kämpfen um den Aufbau von Gewerkschaften und unseren Bemühungen um die Bildung revolutionärer Studentengruppen.

Wenn es irgendeine Möglichkeit gibt, mit euch zusammenzuarbeiten, oder wenn es Wege gibt, wie wir euren aktuellen Kampf unterstützen können, lasst es uns wissen, und wir werden unser Bestes tun, um euch zu unterstützen.




زن، زندگی، آزادی  مرگ بر دیکتاتوری

زن، زندگی، آزادی
 مرگ بر دیکتاتوری

 ما در غم درگذشت جینا مهسا امینی سوگوار هستیم.  مهسا، زن جوان کردی بود که در بازداشت گشت ارشاد ایران جان باخت. اما او اولین نفر نبود، بسیاری از زنان قبل از او در سکوت کشته شدند.  اما این بار فرق می‌کند. خانواده مهسا صدایشان را بلند کردند و درباره مرگ او حرف زدند. ما حالا اسمش را می‌دانیم و اسم او را صدا می‌زنیم.  در این میان ایرانیان زیادی اعم از پیر و جوان به این صدا پیوسته‌اند‌

  یک ماه است که ایران شاهد اعتراضات ضد حکومتی است. مردم ایران حالا به معذرت‌خواهی دولت قانع نیستند. مردم ایران با شعار زن، زندگی، آزادی و مرگ بر آخوندها خواهان سقوط دیکتاتوری اصول‌گرا هستند مردم از تبریز تا زاهدان و در پایتخت و حتا در شهرهایی که قبلا سنگر روحانیت سیاسی و گارد ارتجاعی رژیم ایران تصور می‌شدند حالا خواهان سقوط رژیم هستند

  غم شما غم ماست.  مهسا و صدها انسانی که رژیم ایران در جریان سرکوب اعتراضات مردمی تاکنون به قتل رسانده است، مانند خواهران و برادران ما هستند ما اندوه و خشم شما را می‌فهمیم چون می‌دانیم سوگ برای خواهران پاکستانی‌مان که به خاطر مسائلی چون ناموس، مذهب، قدرت و سود طبقه حاکم مردسالار کشته شده‌اند، یعنی چه   ما می‌دانیم که تنها راه رفتن در خیابان‌ها چه احساس ترسناکی دارد. ما می‌فهمیم اجتناب از گرفتن دست کسی که دوستش داریم در مکان‌های عمومی به خاطر عواقب مجازات، یعنی چه بسیاری از کارگران و کارمندان زن پاکستانی قربانی سوء استفاده، آزار و اذیت و استثمار روسای خود می‌شوند ‌ما به خوبی می‌دانیم که این چنگال پدرسالاری سرمایه‌داری است که ما را خفه می‌کند

  قیام الهام‌بخش شما قیام ماست. بسیاری از دختران پاکستانی و پسران پاکستانی مطمئنا از شجاعت دختران ایرانی که با جرئت موهای خود را در مقابل انظار عمومی کوتاه می‌کنند، الهام خواهند گرفت چون می‌دانند محرومیت از تصمیم‌گیری چه حسی دارد دلیل این که سیستم مردسالاری و نیروهای افراطی آن می‌خواهد به زور حجاب بر سر ما کند به دلیل تقوا و حیا نیست بلکه آنان می‌خواهند بر ذهن و بدن زنان کنترل داشته باشند. در نهایت این زن است که تصمیم می‌گیرد روسری داشته باشد یا خیر. عاملیت دادن به زنان برای انتخاب پوشش نی تنها از باور نمی‌کاهد بلکه به انتخاب آگاهانه زن معنای واقعی می‌بخشد
 
  ما سعی خواهیم کرد مسیری را که شما در آن پیشگام بوده‌اید دنبال کنیم و باهم بتوانیم برای انجام آن همکاری کنیم

از زمان بسیار دوری، رقابت بین دولت‌مردان ما و فرقه گرایی و ناسیونالیسم باعث شد بین زنان، جوانان، طبقه کارگر استثمار شده و دهقانان فقیر کشورهای ما شکاف ایجاد شود

 حالا برای به دست آوردن آزادی و حفظ آن ما می‌توانیم با هم متحد شده و از تجربیات جنبش‌های زنان و از مبارزات خود برای ایجاد اتحادیه‌های کارگری و تلاش‌هایمان برای تشکیل حلقه‌های دانشجویی انقلابی درس بگیریم

اگر پیشنهاد همکاری ما را می‌پذیرید و فکر می‌کنید راه‌هایی وجود دارد تا ما از مبارزات شما حمایت کنیم به ما اطلاع بدهید. ما تمام تلاش خود را برای انجام این همکاری به کار خواهیم گرفت

Revolutionary Socialist Movement – Pakistan






Mit Vergesellschaftung gegen die Klimakrise: Eine neue Strategie für die Klimabewegung muss her!

Ein Diskussionsvorschlag der kommunistischen Jugendorganisation REVOLUTION, Infomail 1198, 8. September 2022

Hitzerekorde, Jahrhundertfluten, Waldbrände, Nahrungsmittelknappheit, Trinkwassermangel und Artensterben: Allein in den letzten Monaten haben wir schon einmal einen kleinen Vorgeschmack auf das bekommen, was uns erwartet, wenn wir die Klimakatastrophe nicht so schnell wie möglich aufhalten. Die nächsten paar Jahre werden ausschlaggebend dafür sein, ob die Erderwärmung auf 1,5 Grad beschränkt und das Sterben von Millionen Menschen, Hundertmillionen Arten und die Verödung ganzer Erdregionen noch verhindert werden können. Da die führenden Politiker:innen kein Interesse daran haben (siehe Ergebnisse des G7-Treffens in Elmau), bleibt unsere einzige Hoffnung die globale Klimabewegung. Leider steckt diese hierzulande gerade in einer Krise, die wir uns angesichts der drohenden Katastrophe jedoch nicht leisten können. Mit den Massenaktionen im Großraum Hamburg, den Klimacamps in Leipzig und im Rheinland, dem FFF-Interregionale Sommerkongress und der Großdemo zur Enteignung von RWE & Co in Köln stand der August im Zeichen des Klimaaktivismus, der vielleicht die letzte Chance bietet, noch rechtzeitig aus der Sackgasse der Klimabewegung herauszukommen. Mit diesem Papier möchten wir allen Klimaaktivist:innen, -strukturen und -organisationen von FFF bis „Letze Generation“ eine Strategie zur Diskussion vorschlagen, mit der wir glauben, unseren guten alten Slogan „system change not climate change“ tatsächlich noch verwirklichen zu können.

Dafür versuchen wir, in diesem Papier 3 Fragen zu beantworten:

  • Warum steckt die Klimabewegung in der Krise?
  • Welche strategische Ausrichtung braucht die Bewegung, um daraus zu kommen?
  • Wie lässt sich das praktisch umsetzen?

Warum steckt die Klimabewegung in der Krise?

Zuerst das Positive: Was wir geschafft haben, ist, viele, und zwar wirklich sehr viele Menschen auf die Straße zu bringen und das Klimaproblem damit in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit zu tragen. FFF hat eine ganze Generation von Jugendlichen politisiert und ihnen dazu verholfen, wertvolle politische Kampferfahrungen in selbstorganisierten Strukturen und Aktionen zu machen. Auch wenn die Teilnehmer:innenzahlen der letzten Großmobilisierungen stetig gesunken sind, zählen die Klimagerechtigkeitsaktionen der letzten 3 Jahre nach wie vor zu den größten Veranstaltungen überhaupt. Dennoch dürfen wir die Augen nicht vor dem Offensichtlichen verschließen: Wir haben keine einzige unserer Forderungen durchsetzen können. Millionen von Aktivist:innen haben sich der Bewegung angeschlossen, viel Gegenwind und Repression für ihren Aktivismus geerntet und viel Kraft, Energie und Arbeit in die Bewegung gesteckt. Und was haben wir dafür bekommen? Lausige Klimapakete, folgenlose internationale Konferenzen und eine Menge heißer Luft. Dies führte dazu, dass die Abstände zwischen unseren Aktionen größer und diese selbst kleiner wurden, sich viele von uns frustriert und überarbeitet von der Bewegung zurückgezogen haben.

Ein wichtiger Grund dafür liegt darin, dass zu viele von uns daran geglaubt haben, dass die Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ auf unser Seite stünde und ein „Green New Deal“, ein grünerer Kapitalismus, möglich wäre. Wir haben es verpasst, mit der gesamten Bewegung eine Debatte darüber zu führen, wie dieser vielzitierte „system change“ denn eigentlich aussehen soll, ob dieser innerhalb des Kapitalismus gelingen kann und welche soziale Kraft ihn mithilfe welcher Aktionsformen durchsetzen sollte. Stattdessen hat sich die Bewegung so stark fragmentiert, dass nun Menschen wie Kathrin Henneberger, Emilia Fester und Nyke Slawik für die Grünen im Bundestag sitzen, während sich die anderen von den Bullen, die im Auftrag dieser Regierung handeln, aus dem Danni oder von der A100 prügeln lassen müssen. Der Großteil von dem, was von der Klimabewegung übrig geblieben ist, ist weißer Hautfarbe und hat einen akademischen Hintergrund (kommt also von Gymnasium/Uni/Hochschule oder hat Akademiker:inneneltern). Die Tatsache, dass die Anzahl der Aktivist:innen zuerst stagniert und dann stetig abgenommen hat, liegt also vor allem auch daran, dass wir es nicht geschafft haben, neue und breite Teile der Gesellschaft außerhalb von klimabewussten Studis und Schülis für unsere Ziele und Aktionen zu gewinnen. Weder FFF noch „Ende Gelände“, „Extinction Rebellion“ oder „Letzte Generation“ haben unsere Forderungen und Aktionen zum Klimaproblem mit den sozioökonomischen Interessen der Millionen von Lohnabhängigen politisch verknüpfen können.

Welche strategische Ausrichtung braucht die Bewegung, um daraus zu kommen?

Es sind die führenden Industrienationen, die Sitz der lediglich 100 Firmen sind, die für über 70 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Aus Angst die eigene führende Stellung auf dem Weltmarkt in Gefahr zu bringen, wagt es keine dieser Regierungen, die Profite ihre Klimakillerkonzerne „zu sehr“ durch politische Umweltschutzmaßnahmen zu beschneiden. Der Kampf für die Erhaltung dieses Planeten ist also ein Klassenkampf, bei dem die Seite des Kapitals mit politischer Rückendeckung versucht, ihre Profite zu vermehren, während es unsere Aufgabe sein muss, die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen aufzuhalten. Demzufolge muss es auch die Perspektive der Klimabewegung sein, nicht einen „grüneren“ Kapitalismus zu fordern, sondern den Widerspruch zwischen kapitalistischer Marktlogik und nachhaltiger Lebensweise zu erkennen und aufzuheben. Unser strategischer Partner dafür ist die organisierte Arbeiter:innenbewegung. Ihre aktuelle Führung aus sozialdemokratischen Parteien und verknöcherten Gewerkschaften steckt mit dem Kapital unter einer Decke und hat nur leere Worte für den Klimaschutz übrig hat. Dennoch ist es ihre besondere Stellung in der kapitalistischen Produktionsweise, die ihr die soziale Macht verleiht, das System aus den Angeln zu heben. Denn wo gestreikt wird, kann kein Profit mehr fürs Kapital produziert werden. Es wird also gezwungen, auf unsere Forderungen einzugehen. Daher müssen wir uns aktiv an die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie wenden, ihre Führung dazu auffordern, den Burgfrieden mit dem Kapital zu brechen und der Ausbeutung sowohl des Menschen als auch des Planeten den Kampf anzusagen.

Verbesserungen statt Verzicht und Verbote

Die Regierung sagt, dass Verbote und individueller Verzicht die Lösung seien für die Energie- und Klimakrise. Bei steigenden Preisen sollen die Leute sparen und die Heizung runterdrehen, vielleicht halt auch ein bisschen frieren. Manche sagen sogar, es sei gut, dass die Preise steigen, dann würde weniger konsumiert. Gleichzeitig werden einige wenige immer reicher und die Regierung beschließt 100 Milliarden, in die Bundeswehr (selbst eine große Klimakillerin) zu pumpen. Wollen wir unsere Klasse auf die Straße bringen, dürfen wir nicht in den Chor der Robert Habecks einfallen, die Frieren für Klima und Demokratie (eigentlich aber für die Interessen des deutschen Kapitals) propagieren. Stattdessen brauchen wir Forderungen, die nicht nur den Klimawandel stoppen, sondern auch mit konkreten Verbesserungen für die Arbeiter:innen verbunden sind:

  • Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, Schluss mit DB-Chaos, 9 Euro-Ticket 4ever!
  • Ausbau der erneuerbaren Energien unter Arbeiter:innenkontrolle und kostenlose Deckung eines Grundbedarfs für jede:n!
  • Verstaatlichung der Lebensmittelindustrie, Preise senken und nachhaltige Agrarwende organisieren!

Enteignen, enteignen, enteignen!

Indem wir Energieproduktion, Verkehr oder Landwirtschaft demokratisch organisieren, kontrollieren und planen, entreißen wir sie der egoistischen und widersprüchlichen Marktlogik und können so ein Wirtschaften, orientiert an unseren Bedürfnissen und der Erhaltung des Planeten anstatt an der Vermehrung von Profiten, umsetzen. Dabei lässt sich auch beispielsweise die Spaltung zwischen Klimabewegung auf der einen und Beschäftigten in der Kohle- und Autoindustrie auf der anderen Seite überwinden, denn durch die Vergesellschaftung geht kein einziger Job verloren und da keine Profite für die Chef:innen mehr erwirtschaftet werden müssen, bleibt auch mehr für alle übrig. Neuere Ansätze wie „RWE & Co enteignen“ gehen deshalb bereits in die richtige Richtung und sollten weiter diskutiert und vertieft werden. Gleichzeitig bieten sich so auch neue Potenziale, um Kämpfe zu verbinden: Lasst uns den Immobilienriesen „Deutsche Wohnen“ enteignen, anstatt klimaschädliche und platzraubende Luxuswohnungen zu bauen. Lasst uns das Gesundheitssystem vergesellschaften, denn der Klimawandel produziert nicht nur tödliche Hitzewellen und Pandemien, die Privatisierung der Krankenhäuser hat auch dafür gesorgt, dass die Pflegekräfte am Limit sind und den Kranken nicht mehr genügend Betten zur Verfügung stehen. Lasst uns an der Seite der Widerstandsbewegungen im globalen Süden die Agrar-, Lebensmittel- und Trinkwasserkonzerne vergesellschaften, die aktuell von massiven Preissteigerungen profitieren, während andere hungern. Der Kampf für die Vergesellschaftung der einzelnen Schlüsselbranchen ist dabei nur der erste Schritt in Richtung einer neuen globalen Wirtschaftsweise, die auf der Basis von Nachhaltigkeit, demokratischer Planung und Bedürfnisorientierung die egoistische, klimaschädliche und zerstörerische Profitvermehrung des Kapitalismus hinter sich lässt.

Internationalismus muss

Die westlichen Industrienationen versuchen, sich mit neuen Recyclingverfahren und schicken E-Autos als besonders klimafreundlich darzustellen, während sie ihre Müllberge einfach im globalen Süden abladen und die Menschen in den Kobaltminen schonungslos ausbeuten. Genauso versuchen sie uns nun, ihren Krieg gegen Russland als Rettungsmission für das Klima zu verkaufen. Dabei reden „selbst“ die Grünen schon öffentlich davon, den Kohleausstieg erneut zu verschieben oder sogar in die Atomenergie wieder einzusteigen. An die Stelle des russischen Gases treten RWE-Braunkohle, das den Krieg im Jemen finanzierende saudische Öl und Frackinggas aus den USA, von Ruß kotzenden Flüssiggastankern einmal um die halbe Welt geschippert. Als Klimabewegung können wir uns deshalb nicht einfach aus der Kriegsfrage heraushalten. Es gilt, sich weder auf die Seite Putins noch der NATO zu schlagen, sondern unseren Kampf gegen den Klimawandel als einen gegen das System aus konkurrierenden imperialistischen Nationalstaaten zu führen. Eine große Stärke unserer Bewegung ist dabei ihre internationale Vernetzung. So lässt sich ein internationales System auch nur durch global koordinierten Widerstand bekämpfen.

Wie lässt sich das praktisch umsetzen?

Die Klimacamps in Leipzig und im Rheinland, aber auch der Interregionale Sommerkongress in Darmstadt bieten gute Möglichkeiten dafür, einen solchen Strategiewechsel zu diskutieren. Die Klimacamps könnten als Vorbereitung dafür dienen, eine Klimaaktionskonferenz vorzubereiten, in der alle Teile der Klimabewegung durch wähl- und abwählbare Delegierte repräsentiert sind. Die Wähl- und Abwählbarkeit der Delegierten ist dabei besonders zentral, um die Verselbstständigung von Führungspersonen zu verhindern (danke für nichts, Luisa … ) und eine basisdemokratische Kontrolle von unten zu gewährleisten. Die rassistischen Vorfälle innerhalb der Klimabewegung haben außerdem die Notwendigkeit aufzeigt, die Frage der Verschränkung von strukturellem Rassismus, (Neo-)Kolonialismus und Klima auf die Tagesordnung zu stellen sowie auch bewegungsinterne Schutzräume für POCs zu schaffen. Der Charakter einer solchen Konferenz sollte darauf ausgerichtet sein, ein gemeinsames Aktionsprogramm zu verabschieden, in dem wir uns auf gemeinsame Forderungen und Aktionen einigen. In der Vergangenheit ging es auf Klimacamps und -konferenzen häufig um Vernetzung, Spiel & Spaß sowie interessante Workshops. Das ist auch nicht verkehrt, jedoch sollte im Zentrum der basisdemokratische Beschluss eines verbindlichen Aktionsprogramms stehen, damit wir als Klimabewegung nach einer solchen Konferenz gestärkt auf dasselbe Ziel zugehen.

Um den oben beschworenen Druck auf Sozialdemokratie und Gewerkschaften praktisch aufzubauen, sind neben offenen Briefen auch Aktionen vor Gewerkschaftszentralen, Betriebstoren oder zu Parteiversammlungen nötig.

Gleichzeitig müssen wir anfangen, unser Aktionsprogramm auch dort unter die Leute zu bringen, wo wir uns tagtäglich aufhalten: in unseren Schulen, Unis und Betrieben. Vor Ort müssen wir Basiskomitees aufbauen, die kontinuierlich Arbeit zum Klimaproblem machen und diese mit den sozialen Problemen vor Ort verknüpfen. Statt sich nur unter Gleichgesinnten zu bewegen, lohnt es sich, durch Mobilisierungen, Vollversammlungen und kleineren Aktionen vor Ort die Debatte zu anderen Leuten zu tragen und unsere Themen sichtbarer zu machen. Das sorgt für eine stetige Auseinandersetzung und befähigt gleichzeitig viele von uns, sich mehr einzubinden. Vor allem ist die Hemmschwelle, sich einzubringen, für viele dort wesentlich geringer. Lasst uns Vollversammlungen und Veranstaltungen an unseren Schulen und Unis organisieren, auf denen wir gemeinsam mit den Belegschaften und Gewerkschaften diskutieren! Gleichzeitig sollten wir als Schüler:innen, Studis und Aktivist:innen Streikversammlungen und Streikposten von Beschäftigten besuchen, um unsere Solidarität auszudrücken und gemeinsame Schnittstellen im Kampf für eine bessere Welt auszuloten.




Rassistische Berichterstattung kann Klimaintifada nicht aufhalten

Pressemitteilung der Jugendorganisation REVOLUTION, Infomail 1195, 12. August 2022

Im Rahmen der aktuell stattfindenden Hamburger Aktionswoche von Ende Gelände, einem Bündnis aus linken und ökologischen Initiativen, wird auf den Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung, Ausbeutungsverhältnissen und dem besonderen Elend des globalen Südens verwiesen. Die Jugendorganisation REVOLUTION begrüßt diese Entwicklung. Die kapitalistischen Zentren Europas verlagern seit Jahren Umweltzerstörung und Abfälle ihrer neoliberalen Konsumgesellschaften zunehmend auf die armen Länder der Welt.

Der Widerstand gegen diese Umstände, die die Lebensgrundlage aktueller und künftiger Generationen weltweit zerstören, verlangt eine grundlegende Veränderung. Diese Veränderung muss die Gesellschaft im Allgemeinen und materiell ergreifen, mit dem Ziel, die globale Produktion und die Nutzung begrenzter Ressourcen rational und demokratisch zu planen. Sie muss aber auch in unserem Denken ihren Anfang finden.

Ein Teil dieses Prozesses muss beinhalten, die Arroganz zu überwinden, die in der offiziellen Ideologie der Metropolen der globalen Ausbeutung und Umweltzerstörung verankert ist. Die Jugendorganisation REVOLUTION bezieht sich daher positiv auf demokratische und revolutionäre Traditionen, die auch außerhalb Deutschlands und Europas existieren. In diesem Sinne rief sie zu einer „Klimaintifada“ auf. Intifada ist ein Wort aus dem Arabischen und bedeutet, sich zu „erheben“, „etwas abzuschütteln“ oder „loszuwerden“. Das Wort blickt auf eine lange Tradition demokratischer und revolutionärer Kämpfe im arabischen Raum zurück. Seit dem 12.08.2022 bemühen sich deutsche Medien, insbesondere die Springerpresse, diesen Begriff antisemitisch umzudeuten.

Es ist wahr, dass der Begriff der Intifada auch durch demokratische Bewegungen der Palästinenser:innen gegen ihre ethnisch und religiös begründete Unterdrückung durch den israelischen Staat geprägt ist. Während diese Zeilen geschrieben werden, führt der militärisch und wirtschaftlich überlegene israelische Staat Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung. Auch in der Vergangenheit wurden demokratische Bewegungen durch ihn mit brutaler Gewalt niedergehalten, die sich mit der arabischer Diktaturen bei der Niederschlagung des arabischen Frühlings messen kann. Dieser Umstand wird im Übrigen auch von den Gremien der Vereinten Nationen anerkannt.

Die Jugendorganisation REVOLUTION steht in einer langen und nachweisbaren Tradition, demokratische Bewegungen weltweit zu unterstützen. Eines von vielen Beispielen internationaler Solidarität stellt ihr gemeinsames Engagement mit linken Juden/Jüdinnen und Palästinenser:innen für eine demokratische und sozialistische Einstaatenlösung im Raum Palästina/Israel dar, in dem alle Bürger:innen egal welcher Ethnie oder Religion gleichberechtigt, mit vollen sozialen und demokratischen Staatsbürgerrechten ausgestattet leben können.

In diesem Licht zeigt die aktuelle Berichterstattung vier Dinge:

1. dass die bürgerliche Presse in Deutschland jeden Anlass nutzen möchte, um Klimaproteste, die über symbolischen Protest hinausgehen, zu verunglimpfen, mit welch absurden Mitteln auch immer.

2. Sie wird daher dem Anspruch einer demokratischen Berichterstattung nicht gerecht.

3. Die berichtenden Journalist:innen, die sich verunglimpfend über den Begriff der Klimaintifada äußerten, sind in einem rassistischen und orientalistischen Weltbild verfangen. Ein Begriff steht hier scheinbar prinzipiell unter dem Verdacht, da er ein arabischer ist.

4. Etliche berichtende Journalist:innen und Medien erfüllen nicht die grundlegenden Standards ihrer Profession. Eine ernsthafte Recherche würde ergeben, dass die Jugendorganisation REVOLUTION keine antisemitische Organisation ist, sondern sich für einen demokratischen und sozialistischen Staat auf dem Gebiet Israel/Palästina einsetzt und antisemitische Verschwörungstheorien, wie sie im WELT-Artikel reproduziert werden („ … suggeriert einen Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und dem jüdischen Volk“), klar ablehnt.

Die Positionen der Jugendorganisation REVOLUTION mögen der Springerpresse nicht gefallen oder jenen, die ihr nach dem Mund reden. Sie müssen es auch nicht.

Die Springerpresse ist kaum bekannt dafür, eine Vertreterin für Demokratie oder Wahrheit zu sein. Dass sie der Meinung ist, das Wort Intifada antisemitisch zu deuten, während der israelische Staat erneut Krieg auf palästinensischem Gebiet führt, ist nichts als hetzerische Propaganda. Es ist genauso absurd, als wollte man der berechtigten Verteidigung des Selbstbestimmungsrechtes der ukrainischen Bevölkerung prinzipiell einen gegen Russland gerichteten Rassismus unterstellen. Wir sind der Springerpresse aber dankbar dafür, dass sie uns mit ihrer Hetze, die bereits Rudi Dutschke ins Grab brachte, erneut an einen wichtigen Umstand erinnert: Dieses rechte, antidemokratische und imperialistische Hetzblatt gehört enteignet und unter demokratische gesellschaftliche Kontrolle gebracht. In jedem Fall, wir werden uns ihrer orientalistischen und rassistischen Hetze nicht beugen. Sie wird die Klimaintifada – oder wie es einem (anti)deutschen Kleingeist vielleicht besser schmecken mag, Klimaerhebung – nicht aufhalten.




Eine bessere Welt: Wer kann sie erkämpfen?

Jaqueline Katharina Singh, Neue Internationale 265, Juni 2022

Die Uhr, um unsere Lebensgrundlage, die Erde, zu retten tickt. Doch statt ernsthaft diese Probleme angehen zu können, tauchen Pandemien, Lebensmittelkrisen und Kriege auf, die zugleich unsere Aufmerksamkeit fordern. Im Moment scheint es also wenig Anlass für Hoffnung zu geben.

Die Krise der Linkspartei oder der Interventionistischen Linken, die Passivität vieler linker Organisationen werfen somit auch die Frage auf: Können wir überhaupt etwas verändern? Schließlich waren es doch diese Organisationen, die eine große Alternative bieten wollten, unsere Gesellschaft zu verändern, weil „die alten Wege“ nicht mehr klappten. Motivierend ist dies alles nicht. Aber den Kopf in den Sand zu stecken mag vielleicht für einige eine Option sein. Da dies allerdings nicht einmal vom Vogel Strauß praktiziert wird, sondern nur auf falsch interpretierten Beobachtungen beruht, wollen wir uns fragen: Was tun?

Die Zeit, in der wir leben

Ähnlich wie dieser Artikel beginnt der Aufruf zur Demonstration am 25. Juni gegen die G7 in München mit der Feststellung, dass wir nicht mehr so viel Zeit haben. Unter dem Motto „Klimakrise. Artensterben. Ungleichheit. Gerecht geht anders“ heißt es: „Die 2020er Jahre sind das letzte Jahrzehnt, in dem wir noch eine Klimakatastrophe und ein gigantisches Artensterben abwenden können.“

Wenn wir allerdings erfolgreich kämpfen wollen, reicht es nicht aus zu sagen, dass es „jetzt aber mal wirklich Zeit ist“. Bloßer Alarmismus und wissenschaftliche Fakten zu benennen können ein System nicht ändern, das darauf beruht, Profite zu erwirtschaften. Darüber hinaus müssen wir verstehen, unter welchen Bedingungen wir politisch aktiv sind.

Davon wird im von den NGOs durchgesetzten Aufruf natürlich nicht gern gesprochen, da dies bedeuten würde, dass man sich zum Krieg in der Ukraine klar positionieren müsste und nicht nur floskelhaft von „gemeinsamer Friedenspolitik“ reden dürfte, während man gleichzeitig ein Energieembargo und somit eine weitere Eskalation des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt fordert.

Kurz gesagt: Wir leben in einer Zeit eines historischen Umbruchs. Die Periode der Globalisierung, der scheinbar offenherzigen internationalen Zusammenarbeit nähert sich ihrem Ende. Dafür tritt die imperialistische Konkurrenz ganz offen zum Vorschein, – und sie wird die Zukunft prägen.

Doch was bedeutet das für uns? Unter welchen subjektiven Voraussetzungen gehen wir in die kommenden Auseinandersetzungen? Die Bedingungen, unter denen wir auf die Straße gehen, unterscheiden sich sehr von jenen vor 10 oder 20 Jahren. Der Arabische Frühling, der Widerstand in Griechenland und davor die Weltsozialforen und Antiglobalisierungsproteste haben viele Aktivist:innen geprägt und Massen von Menschen auf die Straße gebracht. Sie fanden in einer Zeit des Aufschwungs von Bewegungen statt und nahmen in einigen Ländern oder Regionen revolutionäre Ausmaße an. Doch gleichzeitig haben sie ihre selbstgesetzten Ziele nicht erreicht, ja sie endeten in Niederlagen. Auch wenn eine ganze Generation von Aktivist:innen heute keine Erinnerung mehr an solche politischen Ereignisse hat, prägen die Resultate dieser Kämpfe – insbesondere die unverarbeiteten Niederlagen – auch heute noch den Rahmen, in dem wir agieren.

Seit Jahren befinden wir uns in einer Phase der Defensive. Nach 2016 fand international ein Rechtsruck statt. Auch wenn es dagegen viele Proteste, ja, immer wieder auch massenhaften Widerstand gab, so veränderte das bislang nicht das Kräfteverhältnis. Der entscheidende Grund dafür ist eine historische Führungskrise der Arbeiter:innenklasse, die sich auf allen Ebenen der Bewegung auswirkt und auch mit einer organisatorischen und ideologischen einhergeht.

Dabei befindet sich der Kapitalismus selbst in einer tiefen Krise, die sich auch in einer Zunahme der verschärften imperialistischen Konkurrenz ausdrückt. Das bedeutet nicht nur Krieg wie in der Ukraine, sondern auch, dass die Verteilungsspielräume enger werden.

Zusammengefasst heißt das: Wir befinden uns derzeit in einer Situation der Defensive. Wir wehren eher Angriffe ab, als voranzugehen und Massen für eine neue Gesellschaft auf die Straße zu bringen, und wir müssen auch in Zukunft mit mehr Angriffen auf die Lohnabhängigen rechnen. Natürlich können und werden solche Abwehrkämpfe auch massive Gegenreaktionen, also offensive Möglichkeiten hervorbringen – wie zur Zeit in Sri Lanka, wo eine vorrevolutionäre Situation entstanden ist. Wie aber die Beispiele des Arabischen Frühlings oder der Generalstreiks in Griechenland gegen die EU-Diktate offenbaren, schaffen solche Zuspitzungen zwar die Bedingungen für eine Lösung der Probleme – sie lösen sie aber nicht grundsätzlich. Wenn wir eine andere Gesellschaft erkämpfen wollen, müssen wir uns daher darüber klar sein, welche Kraft überhaupt die Gesellschaft verändern kann und wie diese Kraft zu einem revolutionären Subjekt werden kann.

Wer verändert unsere Gesellschaft?

Die zur Demonstration am 25. Juni aufrufenden NGOs geben darauf eine, und zwar falsche, Antwort: „Die G7-Mitglieder müssen endlich entschlossen gegen die Klimakrise und das Artensterben handeln und Hunger, Armut und Ungleichheit bekämpfen.“

Das heißt jene, die das Problem lösen sollen, sind die Regierungen der führenden imperialistischen Mächte.

Dass viele der Themen auch auf bisherigen Gipfeln immer wieder auf der Agenda standen, ist den Verfasser:innen des Aufrufs klar. Deswegen schreiben sie: „Armuts- und Hungerbekämpfung standen bei G7-Gipfeln häufig auf der Tagesordnung. Doch es blieb bei leeren Worten. Das wollen wir ändern. Die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten müssen jetzt dafür sorgen, dass …“, und es folgen wieder Forderungen. Kurzum: Die Idee der NGOs besteht darin, dass man Appelle an die Regierungschef:innen richtet. Die ominöse Zivilgesellschaft soll dann Druck aufbauen.

Das verkennt gleich mehrere Aspekte: Zum einen, dass die Zeit, in der wir leben, von größerer Konkurrenz untereinander geprägt ist. Das bedeutet, dass die „gerechte“ Verteilung, die im Aufruf gefordert wird, objektiv schwerer wird. Warum sich gerade jetzt dies ändern soll, was in der Vergangenheit nicht passiert ist, bleibt uns der Aufruf schuldig zu erklären.

Zentraler ist jedoch, dass der bürgerliche Staat, in dem wir leben, keinesfalls ein neutraler Verwalter aller Interessen ist. Dies scheint zwar auf den ersten Blick so, letztendlich agiert der Staat aber als ideeller Gesamtkapitalist und vertritt das Interesse der Herrschenden.

Der nächste Punkt ist die Frage des Drucks und des Subjektes der Veränderung. Der Begriff der „Zivilgesellschaft“ stellt an der Stelle nichts Neues dar und wird auch in vielen linken Kreisen (bspw. Ende Gelände) als Grundlage für die Praxis genommen.

Entscheidend für uns ist jedoch, dass nicht nur für die NGOs, sondern für einen großen Teil der Linken, die „Zivilgesellschaft“ die Arbeiter:innenklasse als Subjekt der Veränderung abgelöst hat. Bei genauer Betrachtung entpuppt sich der so schön nebulöse Begriff „Zivilgesellschaft“ jedoch einfach als die bürgerliche Gesellschaft. Anstelle von Klassen tritt eine klassenübergreifende, „fortschrittliche“ Allianz verschiedener Klassen, deren Hauptträger:innen die Mittelschichten, das Kleinbürger:innentum und privilegierte Teile der Arbeiter:innenklasse sind, also jene Klassen und Schichten, die die bürgerliche Demokratie tragen. Ganz übersehen wird dabei, dass die bürgerliche Demokratie keine „neutrale“ Veranstaltung, sondern vor allem eine Herrschaftsform darstellt – und zwar eine des Kapitals. Dass sich Letzteres diese Herrschaftsform in der gegenwärtigen Periode immer weniger leisten kann, dass der Kampf um demokratische Rechte zu einem wichtigen Kampffeld geworden ist, ändert jedoch nichts am Klassencharakter „der“ Demokratie oder der „Zivilgesellschaft“.

Es ist aber kein Zufall, sondern folgerichtig, dass sich vor allem die NGOs, kirchliche Vereinigungen, diverse Interessensverbände, professionalisierte „soziale Bewegungen“ und Individuen als Träger der Zivilgesellschaft gerieren. Dass diese alle unterschiedliche Interessen haben, wird als Stärke verstanden, schließlich geht es darum, so viele Partner:innen wie möglich zu vereinen, um „das Ziel“ durchzusetzen. Dass dabei Kompromisse gemacht werden müssen, versteht sich von selbst, und darin liegt auch eines der zentralen Probleme. Nicht, weil Kompromisse an sich immer falsch wären, sondern weil der klassenübergreifende Charakter dieser Strategie Kompromisse zwischen Klassen erfordert.

Kritik an der Gesellschaft ist zwar erlaubt, ja erwünscht – sie findet ihre Grenze jedoch am Privateigentum und der bürgerlichen Ordnung. Dies wird am Ende des Aufrufs deutlich: „Mit zehntausenden Menschen werden wir am Samstag, dem 25. Juni in München friedlich auf die Straße gehen und für eine andere Politik der G7-Staaten eintreten.“

Was stellen wir dem entgegen?

Der Großteil der Lesenden wird sich an dieser Stelle nicht wundern, wenn nun die Arbeiter:innenklasse erwähnt wird. Dem Großteil der Gesellschaft scheint dieser Begriff jedoch nicht so geläufig. Die Arbeiter:innenklasse gebe es nicht mehr, ausgestorben sei sie wie die Dinosaurier. Im Aufruf der NGOs finden wir zwar andere gesellschaftliche Gruppen – die Lohnarbeiter:innen kommen aber nicht vor.

Dabei hat sich, rein faktisch betrachtet, die Arbeiter:innenklasse in den letzten Jahrzehnten massiv vergrößert. Gemeint sind hiermit übrigens Menschen, die keine Produktionsmittel besitzen und nichts anderes als ihre Arbeitskraft verkaufen können, um ihre Leben zu sichern – nicht nur jene, die in der klassischen Industrie arbeiten. Allein in China und Indien umfasst sie jeweils rund eine halbe Milliarde Menschen; hunderte Millionen von ihnen wurden erst in den beiden letzten Jahrzehnten proletarisiert. In den „alten“ imperialistischen Zentren schrumpft zwar die industrielle ArbeiterInnenklasse, nicht jedoch die Klasse der LohnarbeiterInnen insgesamt. Infolge der immer schärferen Konkurrenz verringert sich auch der Umfang der „traditionellen“ Arbeiter:innenaristokratie, während andere, ehemals privilegierte Schichten (z. B. Ingenieur:innen, Lehrer:innen) immer weniger die Vorzüge der lohnabhängigen Mittelschichten genießen und eine neue Arbeiter:innenaristokratie zu bilden beginnen.

Grundsätzlich wuchs die Arbeiter:innenklasse trotz Krisenprozesse weiter. Massiv zugenommen hat dabei der Teil der Klasse, der zu den „prekären“ Schichten gehört, der oft nicht in der Lage ist, seine Arbeitskraft zu ihren Reproduktionskosten zu verkaufen oder aufrechtzuerhalten. Dieser Prozess findet universell statt, wie auch die Ausdehnung des Billiglohnsektors infolge der Hartz-Gesetze und der „Agenda 2010“ beweist. Er betrifft aber auch im besonderen Maße die Lohnarbeit im „globalen Süden“, die in ihrer Mehrheit aus „Prekären“ wie Contract Workers besteht. In Ländern wie Indien und Pakistan machen diese rund drei Viertel der Klasse aus.

Bedeutung der Arbeiter:innenklasse

Zum einen können die Arbeiter:innen am effektivsten Druck erzeugen. Streik erzeugt ökonomischen Druck, der, anders als bloße Demonstrationen, Kapitalist:innen – und somit auch den Staatsvertrerter:innen – schadet. Zum anderen haben sie, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint, ein einheitliches Interesse, und zwar brachenübergreifend. Dies ist darin begründet, dass sie keine Produktionsmittel besitzen und „frei“ sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen (oder zu verhungern). Im Rahmen der Lohnarbeit produzieren sie dann Mehrwert, den sich die Kapitalist:innen aneignen. Deswegen kann es zwischen den beiden Klassen auch keinen dauerhaften Ausgleich geben.

Wollen sie ihre Lage verbessern, dann sind sie gezwungen, sich zusammenzuschließen und für Verbesserungen zu kämpfen. So sind die ersten Gewerkschaften entstanden – als Ausdruck des gemeinsamen Kampfes für ökonomische Verbesserungen. Ebenso lässt sich daraus auch ableiten, warum die Arbeiter:innenklasse eine revolutionäre Rolle an sich spielen kann: Da sie nicht von dem System profitiert, aber gleichzeitig eine zentrale Rolle in der Aufrechterhaltung dessen spielt, darf sie letzten Endes um ihre eigene Rolle als Ausgebeutete zu beenden, nicht nur bei einfachen ökonomischen Verhandlungen stehenbleiben, sondern muss den Kapitalismus, die Aneignung des Mehrwerts durch die Kapitalist:innen, abschaffen. Anders verbessert sich ihre eigene Position nicht.

Statt also scheinbar viele verschiedene Kräfte zu sammeln, macht es Sinn sich auf die Arbeiter:innenklasse zu stützen, um die eigenen Forderungen effektiv durchzusetzen. Darüber hinaus zeigt sich also auch, dass es ein Mythos ist, dass es sich bei Arbeiter:innen nur um „den weißen Mann im Blaumann“ handelt. Nachdem die Frage, wer das Subjekt der Veränderung sein kann, diskutiert worden ist, kommen wir nun zu einer weiteren elementaren Frage.

Wie entsteht Bewusstsein?

Ein großer Teil der Bewegung gegen den G7-Gipfel hält den Sturz des kapitalistischen Systems für eine Utopie, für unmöglich. Selbst viele, die grundsätzlich für die Überwindung des Kapitalismus eintreten, gehen davon aus, dass eine Revolution nicht „auf der Tagesordnung“ stünde, das Kräfteverhältnis dafür zu schlecht sei. Daher wäre für die absehbare Zukunft nur eine längerfristige Politik der Reform oder der Transformation möglich. Die aktuelle Praxis – mit Blick auf die Linkspartei oder die SPD, die sich ja auch einmal dieses Ziel gesetzt hatte – sollte eigentlich Beweis genug sein, dass zumindest dieser Weg nicht der richtige ist. Aber hier ist es ähnlich wie mit „Alarmismus“ und „wissenschaftlichen Fakten“: Reine Erkenntnisse verändern allein nicht viel. Somit ist die Frage: Wie entsteht eigentlich Bewusstsein, insbesondere jenes, das das Ziel hat, den Kapitalismus zu zerschlagen?

Festzuhalten ist, dass die inneren Widersprüche des Kapitalismus immer wieder verschiedene Formen von Widerstand und Kämpfen hervorbringen. Diese können sich bis zur Entwicklung revolutionärer oder vor-revolutionärer Situationen entwickeln. Die Beispiele dafür sind zahlreich wie der Arabische Frühling oder die aktuelle Situation in Sri Lanka. In der aktuellen gesellschaftlichen Lage kommt es insbesondere in Halbkolonien aufgrund der katastrophalen Versorgungslage auch immer wieder zu solchen Situationen. Ebenso gibt es immer wieder Streiks für bessere Arbeitsbedingungen oder höhere Löhne. Sie entstehen also scheinbar „spontan“, aber zur Revolution führen sie nicht.

Dies ist darin begründet, dass revolutionäres Klassenbewusstsein sich nicht in Bewegungen und erst recht nicht im rein gewerkschaftlichen Kampf vollständig entwickeln kann. Im Gegenteil, das spontane Bewusstsein der Arbeiter:innenklasse, wie es im ökonomischen Kampf erscheint, ist selbst eine Form bürgerlichen Bewusstseins. Dies ist darin begründet, dass es auf dem Boden des Lohnarbeitsverhältnisses steht. Die Frage, die in solchen Kämpfen gestellt wird, ist: Wie können wir unsere Verbesserungen erreichen? Dies ist an sich eine gute Frage, der Punkt ist aber, dass sie nicht automatisch den Kapitalismus in Frage stellen. Schärfere Auseinandersetzungen (Massenstreiks, Aufstände, politische Bewegungen) können in diese Richtung einer revolutionären Entwicklung drängen, indem sie Fragen nach der weiteren Perspektive, nach Strategie, Taktik aufwerfen, die in „friedlichen“ Zeiten für die Masse der Lohnarbeiter:innen (und der Gesellschaft insgesamt) abstrakt, überflüssig und unrealistisch erscheinen, ja erscheinen müssen. Daher muss revolutionäres Klassenbewusstsein von außen in die Klasse getragen werden. Damit ist nicht gemeint, dass es „Nicht-Arbeiter:innen“ tun, sondern dass eine politische Kraft, eine Partei, auf Basis einer wissenschaftlich fundierten Programmatik geschaffen werden muss. Ohne revolutionäre Theorie kann es keine revolutionäre Praxis im vollständigen Sinn des Wortes geben. Das bedeutet aber auch, dass das Kräfteverhältnis nie nur einfache Widerspiegelung ökonomischer Verhältnisse ist. Es ist vielmehr von den Kräfteverhältnissen innerhalb der Arbeiter:innenklasse und ihren Beziehungen zu anderen Klassen bestimmt.

Die Arabischen Revolutionen oder die revolutionären Möglichkeiten in Griechenland sind in den letzten Jahren gescheitert. In solchen Momenten werden auch immer indirekt die Machtfrage und die Frage, welche gesellschaftliche Kraft überhaupt die Gesellschaft umgestalten soll und kann, gestellt. Das reicht aber, wie wir oben festgehalten haben, nicht aus. Es fehlte an einer politischen Kraft, die die Massen in einer Revolution oder einer vorrevolutionären Periode zur Machtergreifung hätte führen können. So haben andere Kräfte dieses „Vakuum“ gefüllt, die Massen in die Niederlage geführt. Die passive Betrachtung des Kräfteverhältnisses als „strukturell gegeben“ entschuldigt letztlich die Fehler bürgerlicher, reformistischer oder kleinbürgerlicher Führungen, da die Niederlage nicht an deren falscher Politik und Strategie, sondern am ungünstigen Kräfteverhältnis gelegen habe.

Es muss also die Aufgabe von Revolutionär:innen sein, sich als Kraft zu organisieren, die solche Konflikte offen zuspitzt, die offenen Fragen aufzeigt und beantwortet: Mit welchen Mitteln kann die Kontrolle über bspw. die Versorgung gewährleistet werden? Wer soll darüber bestimmen?

Revolutionäres Bewusstsein entsteht nicht von allein, sondern aus Kämpfen, die über ihren Rahmen zugespitzt werden. Darüber hinaus ist es zentral, dass alle diese Auseinandersetzungen – wie überhaupt die Entwicklung des Kapitalismus – von einem internationalen Standpunkt aus betrachtet werden. Der Klassenkampf ist international, oder er ist letztlich gar nicht. Im Folgenden wollen wir uns mit diesen Punkten näher beschäftigen.

Was heißt das für unseren Kampf?

Um erfolgreich gegen die Auswirkungen des Kapitalismus, die so zahlreich im Aufruf der NGOs aufgezählt werden, dürfen wir es also nicht bei bloßen Worthülsen bzw. bei Appellen an Regierungen belassen. Wir müssen den Kampf gegen die Umweltzerstörung, des Artensterbens und Ungleichheit mit dem Kampf gegen die Ursache dieser Probleme selbst verbinden. Dabei sind für uns das Subjekt der Veränderung jene, die selbst davon betroffen sind und keine Profite aus der aktuellen Situation ziehen: die Arbeiter:innenklasse. Darüber hinaus ist es wichtig, die aktuelle Periode zu verstehen, und auch ein Gesamtprogramm zu entwerfen, das auf der Höhe der Zeit ist und das eine Antwort auf die großen Fragen von Krise, Krieg und drohender ökologischer Katastrophe liefert.

Dabei wird offensichtlich, dass es nur eine internationale Lösung geben kann. Keines der wichtigen Probleme kann letztlich national gelöst werden. Der Kapitalismus hat die Produktivkräfte im globalen Maßstab entwickelt, damit aber auch die Grundlage, ja die Notwendigkeit einer weltumspannenden Reorganisation der Produktion und Verteilung gelegt. Ebenso können revolutionäre Bewegungen, die in einzelnen Ländern ausbrechen, auch nur erfolgreich sein, wenn sie internationalisiert, ausgeweitet werden. Internationalismus ist daher für uns nicht nur ein Beiwerk zum Aufbau einer revolutionären Organisation hier, sondern von Beginn an integraler Bestandteil unserer Politik. Um eine revolutionäre Organisation aufzubauen, braucht es freilich nicht nur Klarheit über die strategischen Ziele – es braucht auch ein Programm, das diese in den aktuellen Kämpfen, mit den unmittelbaren Auseinandersetzungen vermitteln kann. Gerade weil unser Ziel der Sturz des Kapitalismus ist, muss der Kampf für die sozialistische Revolution mit dem Kampf für soziale und demokratische Forderungen verbunden werden. Ansonsten bleiben diese unvermittelt nebeneinanderstehen, bleibt die „revolutionäre“ Perspektive nur eine Gesinnung, keine praktische Politik. Um die Brücke vom Jetzt zur Zukunft zu schlagen, ist eine bestimmte Art von Programm, ein Übergangsprogramm notwendig. Auch kleine kommunistische Organisationen, die selbst noch weit davon entfernt sind, eine Partei zu sein, müssen sich der Aufgabe der Entwicklung eines solchen Programms stellen – und den Kampf für ein solches Programm mit dem Kampf für eine neue Internationale, die Fünfte Internationale verbinden.