Nach den zwei Tagungen – wohin steuert China?

Creek Li, Infomail 1251, 13. April 2024

Berichte aus China zeigen, dass das Land trotz Fassade der Einheit und schmeichelhaften Sprache, die auf dem Nationalen Volkskongress im März dieses Jahres geherrscht hat, mit ernsten wirtschaftlichen Problemen konfrontiert ist, sowohl im Inland als auch auf internationaler Ebene, die das parteistaatliche System in eine Situation des Stillstands und der Lähmung bringen.

Das lässt sich an der Unfähigkeit der Parteiführung unter Xi Jinping ablesen, sich an die etablierten Verfahren zur Entwicklung der Wirtschaftspolitik zu halten. Normalerweise würde diese zunächst auf der Plenarsitzung des Zentralkomitees, die üblicherweise im November stattfindet, erörtert und dann von der Zentralen Wirtschaftsarbeitskonferenz im Dezember detaillierter ausgearbeitet werden. Schließlich würde sie auf den „Zwei Tagungen“ des Nationalen Volkskongresses und des Politischen Konsultativrats des Chinesischen Volkes, die im März zwei Wochen lang zusammentreten, zur Zustimmung vorgelegt. Symptomatischer Weise wurde diese Tagung nach der ersten Woche abgebrochen, und es wurden keine größeren Ankündigungen gemacht – sogar die traditionelle Pressekonferenz des Ministerpräsidenten wurde abgesagt.

Obwohl die regierende Kommunistische Partei erfolgreich die Restauration des Kapitalismus unter ihrer vollständigen Kontrolle überwacht hat, ist eine wichtige Quelle der Legitimität des Regimes die Aufrechterhaltung eines kontinuierlichen Wirtschaftswachstums und die ständige Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung. Dies ist in den letzten drei Jahrzehnten mehr oder weniger gut gelungen. Zum Zeitpunkt des Handelskriegs zwischen China und den USA Ende der 2010er Jahre waren jedoch bereits Anzeichen für eine schlechte Wirtschaftslage zu erkennen. Engpässe in der Infrastruktur und ein Mangel an Innovationen in der Hightechindustrie, der auf die Verlagerung  ausländischer, insbesondere US-amerikanischer, Produktionsunternehmen in befreundete Länder nach Südostasien und Lateinamerika sowie auf die langfristigen Auswirkungen der US-Sanktionen zurückzuführen ist, waren echte Hindernisse für eine weitere Beschleunigung.

Der Inflationszyklus, der das Wachstum in den 1990er und 2000er Jahren begleitet hatte, wich einer schleichenden Deflation als Reaktion auf die schwache Nachfrage nicht nur in China, sondern auch international aufgrund des Rückgangs der chinesischen Exporte. Diese Schwierigkeiten wurden durch die Covid-19-Ausperrungen von 2020 bis 2022 und die schädlichen Auswirkungen des Klimawandels auf der ganzen Welt noch verschärft. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 gingen beispielsweise die Ausfuhren Chinas in die Vereinigten Staaten um 25 % zurück. Der größte Handelspartner der Vereinigten Staaten ist nun Mexiko, während China auf den dritten Platz zurückgefallen ist.

Die Expert:innen an der Spitze waren sich der Schwierigkeiten bewusst, die mit den Produktionsüberkapazitäten des Landes, dem Investitionsstau bei der Infrastruktur, der Immobilienpreisblase, der ungleichen Einkommensverteilung und der chronischen Deflation verbunden waren. Im Jahr 2021 ließ Peking diese Bedenken in den Entwurf des 14. Fünfjahresplans einfließen, eine aus der Zeit der Planwirtschaft übernommene Praxis, die einen Ausblick auf die wirtschaftlichen Entwicklungsstrategien für die nächsten fünf Jahre gab. Dieser Plan sah eine Ausweitung der Investitionen in Forschung und Entwicklung, der ländlichen Bildung, der Gesundheits- und Umweltdienste, der Sozialfürsorge, eine bessere Verteilung des Nationaleinkommens und die Eingliederung junger Menschen in den Arbeitsmarkt vor, alles in Verbindung mit einer relativen finanziellen Stabilität und einer gesunden Zahlungsbilanz. Aufgrund einiger tief verwurzelter struktureller Probleme in der chinesischen Wirtschaft, die mit dem parteistaatlichen System zusammenhängen, sind diese Ziele jedoch nur schwer zu erreichen.

Das erste und wichtigste Problem bildet natürlich das Platzen der Immobilienblasen und die daraus resultierenden riesigen Schulden. Dies betrifft nicht nur die berühmten Unternehmen wie Evergrande und Country Garden, sondern auch die Kommunal- und Provinzregierungen und die von ihnen geschaffenen Einrichtungen, die Finanzstützen für Kommunalverwaltungen, die den Verkauf von Grundstücken an Immobilienunternehmen subventionieren. Durch den Konkurs von Bauträger:innen ist den lokalen Regierungen eine wichtige Einnahmequelle weggebrochen – Berichten zufolge über 25 % –, und das zu einem Zeitpunkt, an dem sie bereits unter den enormen Kosten der von Peking verhängten Abriegelungen während der Pandemie leiden. Zweitens hat das Versäumnis Pekings, Rettungspläne zur Entschädigung kleiner Unternehmen oder prekär Beschäftigter während der Covidzeit durchzuführen, zu einem starken Rückgang des Verbrauchs geführt, da die Menschen an ihren Ersparnissen festhalten. Dies erklärt, warum es nach der Wiedereröffnung nicht, wie von den meisten Ökonom:innen erwartet, zu einem Konsumboom gekommen ist. Es hat vielmehr dazu geführt, dass viele Unternehmen Lagerüberschüsse verzeichnen und Arbeiter:innen entlassen, was die Nachfrage noch weiter schwächt.

Technisch gesehen sind die Schulden von Evergrande und anderen Unternehmen zwar spektakulär, aber kein unlösbares Problem. Eine Kombination aus Umschuldung, Finanzierung der Fertigstellung und des anschließenden Verkaufs unvollendeter Projekte, Zusammenlegung potenziell lebensfähiger Teile der bankrotten Unternehmen, Übertragung der Schulden auf eine „Bad Bank“, Zwangsvergleiche mit den Gläubiger:innen und die Beschlagnahmung der Vermögenswerte der Immobilienspekulant:innen selbst könnten alle eine Rolle bei der Lösung der Finanzkrise der Branche spielen. Bisher wurden solche Maßnahmen jedoch kaum ergriffen, und der Chef von Evergrande, Hui Ka Yan, wurde sogar recht milde behandelt. Dies ist ein Zeichen für den widersprüchlichen Druck und die Loyalitäten innerhalb des Regimes. Aber das ist noch nicht alles: Selbst wenn solche Maßnahmen rigoros umgesetzt würden, wären damit weder das Problem der Umstrukturierung der Wirtschaft weg von der langjährigen Strategie der Abhängigkeit von Infrastrukturinvestitionen noch das der riesigen Schulden der lokalen Regierungen gelöst.

Sowohl die bankrotten und veralteten Sektoren der Wirtschaft als auch die potenziell dynamischen und profitablen Branchen sind im Parteistaatsapparat vertreten. Die zahlreichen Interessen innerhalb der Partei, die in regionalen, generationsbedingten, beruflichen und sozialen Unterschieden wurzeln, konnten zusammengehalten werden, solange alle auf den Fortschritt durch die robusten wirtschaftlichen Wachstumsstatistiken der letzten dreißig Jahre vertrauten. Zu diesem „Wachstum“ gehörten jedoch auch Zigmillionen leere Wohnungen und Tausende von Kilometern ungenutzter Hochgeschwindigkeitseisenbahnstrecken und Autobahnen. Ein krasses Beispiel stellt die Provinz Guizhou dar. Nach Angaben der Zeitung South China Morning Post hat Guizhou bis Ende 2022 insgesamt 8.331 Kilometer Autobahnen gebaut und übertrifft damit Japans Gesamtlänge von 7.800. Aber Japan hat 82 Millionen Autos, die auf seinen Autobahnen fahren, Guizhou verfügt über weniger als 6 Millionen. Die Kosten und mangelnde Rentabilität solcher Investitionen machen die unterschiedlichen Interessen innerhalb des Parteistaatsapparats zunehmend unvereinbar.

Auch auf internationaler Ebene stößt China auf mehrere Schwierigkeiten. Einerseits hat es seinen Plan, das Überkapazitätsproblem durch Kapitalexporte über das Programm „Ein Gürtel, eine Straße“ („Neue Seidenstraße“) zu lösen, nicht erfüllt. Vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs und einer eskalierenden Rivalität mit den USA wird dies noch schwieriger sein.Die derzeitige Pattsituation in der Welthandelsorganisation WTO zeigt, dass China zwar die seit dem Ende des Kalten Krieges im Washingtoner Konsens festgelegte „regelbasierte Ordnung“ untergräbt, aber noch nicht in der Lage ist, sie zu stürzen. Die USA sind ein globaler Hegemon mit der stärksten Militärmacht und sie kontrollieren immer noch die Bretton-Woods-Institutionen, die unter ihrer Vorherrschaft aufgebaut wurden und dazu dienen, diese aufrechtzuerhalten.

Die Gipfeltreffen der G20- und der BRICS-Staaten haben gezeigt, dass es für China möglich ist, über Handelsbeziehungen mit den Ländern des globalen Südens stabile Wirtschaftspartner:innenschaften aufzubauen. Diese bieten nicht nur neue Märkte für Chinas Produkte, sondern erhöhen auch dessen moralische Autorität in der Weltordnungspolitik, nicht zuletzt durch die Stimmen dieser Länder in der UNO. Nichtsdestotrotz stellen sie nicht annähernd eine Konkurrenz für die USA dar. Außerdem ist, wie John Maynard Keynes schon vor langer Zeit feststellte, „Währungskompetenz“ für die internationalen Beziehungen von entscheidender Bedeutung.

Trotz der wiederholten Bemühungen Pekings, den Yuan zu internationalisieren, hat es bisher nichts geschaffen, was auch nur annähernd mit den Funktionen des US-Dollars vergleichbar wäre. Eine echte Internationalisierung des Yuan würde im Wesentlichen Reformen zur Lockerung der Banken- und Kapitalkontrollen erfordern. Wie die Fälle der Konzerne Tencent und Alibaba Finanz zeigen, wären solche Reformen mit dem parteistaatlichen System unvereinbar. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zinsdifferenz zwischen China und den USA zu einer ständigen Kapitalflucht und zum Abzug ausländischer Investitionen führt.

Hier fangen alle politischen Probleme an und deshalb kann es zu einer Lähmung innerhalb des Parteistaats kommen. Nachdem Parteichef  Xi Jinping im Fraktionskampf erfolgreich war und den Gipfel seiner persönlichen Macht erreicht hat, ist er nun von Verleumder:innen umgeben und steht an einem existenziellen Scheideweg, der in der Geschichte schon so oft Autokrat:innen zu falschen Entscheidungen getrieben hat.

Kürzlich beschloss Xi aus Furcht vor einer sich auftürmenden Staatsverschuldung und einer Krise der Staatsfinanzen, die Ausgaben der lokalen Behörden und Infrastrukturprojekte zu kürzen. Dies fiel mit dem Abschwung im Immobiliensektor zusammen und die kombinierte Wirkung wird zu einem weiteren Rückgang der Einkommen und Beschäftigung führen, wodurch Millionen von Menschen arbeitslos und Zulieferbetriebe in der gesamten Wirtschaft in den Ruin getrieben werden. Dies könnte sich in einer politisch sensiblen Zeit als gefährlicher Schritt erweisen. Gleichzeitig wird sich die chinesische Wirtschaft stetig verschlechtern, wenn Xi zulässt, dass Immobilienspekulant:innen ihre Geschäfte wie gewohnt fortsetzen und die Immobilienblasen nicht aufbrechen, wie die sanfte Behandlung des Chefs von Evergrande andeuten könnte. Die Jugendarbeitslosigkeit hat im Jahr 2023 einen historischen Höchststand erreicht und liegt nach Schätzungen einiger Ökonom:innen derzeit bei etwa 40 %, was zu sozialen Unruhen führen könnte. Diese Kombination von Problemen, die jeweils verschiedene Bereiche innerhalb der Partei und des Staatsapparats betreffen, erklärt sowohl die immer diktatorischere Herrschaft von Xi als auch seine Unfähigkeit, ein neues Wirtschaftsmodell zu finden, das das Wirtschaftswachstum in der Einparteiendiktatur fördern kann.

Was Chinas derzeitige Krise schlussendlich von der in anderen imperialistischen Ländern unterscheidet, ist das herrschende Regime, keine kapitalistische Regierung, sondern ein stalinistischer Parteistaat, der aus einer Planwirtschaft hervorgegangen ist und nun versucht, seine Herrschaft in einer kapitalistischen Wirtschaft aufrechtzuerhalten.

Im Laufe der Zeit haben sich zwangsläufig verschiedene Fraktionen und Flügel innerhalb der Staatsbürokratie herausgebildet, die ihre eigenen politischen Programme mit unterschiedlichen Haltungen gegenüber der chinesischen Bourgeoisie sowie Strategie zur Bewältigung der aktuellen wirtschaftlichen Probleme entwickeln werden.

Dies bietet die Möglichkeit einer offenen Spaltung der Partei, bei der die prokapitalistischen Fraktionen mit der Großbourgeoisie zusammenarbeiten könnten, um zu versuchen, eine bürgerliche Demokratie zu errichten, möglicherweise sogar unter dem Banner der Republik China. Das Verständnis der Dynamik einer solchen Situation ist die Voraussetzung für die Entwicklung eines Programms für eine Arbeiter:innenpartei, die durch die Mobilisierung der Arbeiter:innen zur Verteidigung ihrer Interessen unabhängig von und gegen die Interessen sowohl der Bürokratie als auch der Kapitalist:innen aufgebaut werden soll.




Partei Bündnis Sahra Wagenknecht: Demokratie nur für die anderen

Susanne Kühn, Neue Internationale 280, Februar 2024

Die offizielle Gründung der Wagenknecht-Partei brachte wenig Neues. Floskeln wie eine „verantwortungsvolle Politik, die Wohlstand, sozialen Ausgleich und Frieden fördert“ und, bei Erfolg eine „bessere Regierung“ zu sein, sind schon seit dem 23. Oktober bekannt – der Tag an dem das Programm veröffentlicht wurde.

In unserer Sondernummer zur Krise der Linkspartei haben wir das Programm einer ausführlicheren Kritik unterzogen. Die Mischung aus „vernünftiger Wirtschaftspolitik“, die das Wunder verspricht, Lohnabhängigen wie Unternehmer:innen zu nutzen, soll nicht nur Wohlstand bringen, sondern auch Deutschland vor der angeblich drohenden Deindustrialisierung retten. Ansonsten will man Frieden, mehr Demokratie und Wohlstand – allerdings könne das nicht funktionieren, wenn „zu viele“ in Deutschland leben, also müsse die Migration strikt begrenzt werden.

Links ist an der populistischen Mischung nichts. Und auf der Pressekonferenz zur Parteigründung erklärte Wagenknecht für alle, die es nicht ohnedies schon wussten, dass DIE LINKE eh nur noch für „skurrile Minderheiten“ stünde, so dass der Begriff links für ihre Partei fortan nicht verwendet würde. Man kann nur hoffen, dass sie dieses Versprechen hält.

Team Sahra

Statt also inhaltlich in die Tiefe zu gehen, wurden bei der Gründung Vorstand und Spitzenkandidat:innen zur Europawahl, die von 44 handverlesenen Mitgliedern gewählt wurden, präsentiert. Im sechsköpfigen Vorstand, der am 23. Oktober noch erweitert wurde, befinden sich zum einen vier ehemalige Funktionär:innen der Linkspartei, zum anderen zwei Mitglieder aus dem unternehmerischen Lager (Ralph Suikat, Shervin Haghsheno). Allein das macht schon die Ausrichtung der Partei deutlich: nicht auf die Arbeiter:innenklasse, sondern auf den „innovativen“ unternehmerischen Mittelstand zu setzen, diese Speerspitze des „Volkes“. Und dass, obwohl Wagenknecht während ihrer Linksparteizeit nie müde wurde zu kritisieren, dass man das Interesse „der kleinen Leute“ aus den Augen verloren hätte.

Spitzenkandidaten für die Europawahlen wurden Fabio De Masi, ehemaliger Abgeordneter und langjähriger Wagenknecht-Vertrauter, und Thomas Geisel, ehemaliger SPD-Oberbürgermeister von Düsseldorf und überzeugter Anhänger von Gerhard Schröder und Hartz IV. In seinem Austrittsschreiben aus der SPD fordert er die „Ablösung“ des „individuellen Grundrechts auf Asyl“, weil das einen „Freifahrtschein“ für ungezügelte Migration bedeuten würde. Die SPD und die Ampel-Koalition würden sich dieser angeblichen Realität verweigern, während die BSW Deutschland retten und endlich wieder „Leistungsgerechtigkeit“ herstellen würde, statt Menschen vor allem aufgrund von Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe und sexueller Orientierung zu fördern! Die Schilderungen – nicht nur des Spitzenkandidaten – erlauben einen Blick in den politischen Abgrund, für den BSW steht.

Festung BSW

Das eigentliche Parteiprogramm soll bis 2025 nachgereicht werden, ausgearbeitet von einer „Expert:innenkommission“. Diese bestimmt der Vorstand, der innere „Kern“ der Bewegung und im Zweifel der Kern des Kerns, Sahra Wagenknecht. Natürlich wollen die Initiator:innen auch eine Partei aufbauen. Damit sich „Wirrköpfe“, „Trittbrettfahrer:innen“ oder Menschen, die noch immer meinen, die Partei Wagenknecht wäre links, fortschrittlich oder gar antikapitalistisch, erst gar nicht in den Laden „verirren“, soll die zukünftige Mitgliedschaft sorgfältig ausgewählt und überprüft werden.

Wer sich gestern noch über die „Verengung des Meinungskorridors“ in der Linkspartei beschwerte, will nun erst gar keinen zulassen. Natürlich nur, um die Vernunft der Partei zu wahren.

„Wir wollen langsam und kontrolliert wachsen, um das Projekt nicht zu gefährden“, heißt es auf der Homepage und auch die veröffentlichen Statuten zeigen: Mehr Demokratie und Meinungsfreiheit mag zwar gefordert werden, für die eigene Struktur gilt das aber nicht unbedingt. Dabei besteht das Problem nicht darin, dass wie in „§ 7 Rechte und Pflichten der Mitglieder“ Mitglieder dazu verpflichtet sind, „sich an der politischen und organisatorischen Arbeit der Partei zu beteiligen“, oder es einen Überprüfungszeitraum von einem Jahr gibt für Leute, die eintreten wollen (§ 4 Aufnahme der Mitglieder). Die Probleme sind vielmehr die mangelnden demokratischen Rechte der handverlesenen Mitglieder, die es ins BSW geschafft haben, den Parteivorstand zu kontrollieren. Dieser muss weder Rechenschaftsberichte vorlegen noch seine Entscheidungen großartig begründen – während die Landes- und Kreisverbände dies gegenüber dem Vorstand tun müssen. Der Parteitag muss alle 2 Jahre zusammenkommen und ist das höchste Gremium (§ 10 Parteitag) – die Möglichkeit, einen Notparteitag einzuberufen, falls man mit der Arbeit des Vorstands nicht zufrieden ist, wird natürlich nicht eingeräumt.

Diese Einbahnstraße der Demokratie wird auch bei der Aufnahme von Mitgliedern ersichtlich. Im Überprüfungszeitraum von einem Jahr, bis man die Vollmitgliedschaft bekommt, kann jedes BSW-Mitglied Einspruch erheben und der Vorstand der Gliederung – oder Parteivorstand höchstpersönlich – überprüft das dann. Da die Ablehnung eines Mitgliedsantrags keiner Begründung bedarf, ist so auf jeden Fall sichergestellt, dass niemand mit „falscher“ Gesinnung eintritt. Statt also ein inhaltliches Programm zur Basis der Entscheidung zu machen, muss man wissen, wie man den Vorständen gefällt. Im Klartext: Die BSW will keine Wiederholung des Aufstehen-Projektes, das lt. Wagenknecht und De Masi an zu viel Offenheit zugrunde gegangen wäre, weil es zu viele „nicht-konstruktive“ Mitglieder gegeben hätte, die dort ihr eigenes Süppchen gekocht hätten. Daher soll es kontrollierte Aufnahmen geben – und die Sicherung der Vorstandsposition ist nun auch gewährleistet.

Und „Was tun“?

Bis zum 27. Januar werden  450 Menschen hinsichtlich ihrer Eignung als Mitglied überprüft. Dabei wird wahrscheinlich auch so manche/r aus der Linkspartei auf der Strecke bleiben, die/der sich eigentlich der neuen Partei anschließen wollte. Dazu gehören die Mitglieder und Anhänger:innen des „Was Tun“-Netzwerkes. Diese linken Mitglieder der Linkspartei erhofften sich letztes Jahr, dass mit der Wagenknecht-Partei eine Formation entstehen würde, in der sie für „eine antimilitaristische, antiimperialistische und an den gemeinsamen Interessen der Arbeiterklasse orientierten Politik“ kämpfen könnten.

Eine Hoffnung, die schnell begraben werden kann. Unter den ersten 450 dürften sich jedenfalls nur wenige aus dem „Was Tun“-Netzwerk befinden. Denn auch wenn das politische Verständnis dieser Strömung stark vom stalinistischen Reformismus geprägt ist, so unterscheidet es sich von Wagenknecht. Auf ihrer letzten bundesweiten Konferenz im Dezember 2023 wurde die BSW zwar einerseits gefeiert, andererseits machte sich auch Skepsis breit. Jede Erwähnung des Wortes Sozialismus fehle und die Position zur Migration hätte einen „falschen Zungenschlag“ (was selbst schon eine extreme Beschönigung der sozialchauvinistischen, ja oft direkt rassistischen Forderungen und Äußerungen der BSW darstellt).

Dass solche Kritiker:innen nicht gerne in der neuen Partei gesehen werden, dämmerte auch einigen Kongressteilnehmer:innen, die sich in ihrer Verzweiflung sogar für einen Verbleib in der LINKEN aussprachen, weil man diese eher „übernehmen“ könne, falls das neue Projekt auch scheitere.

Gescheitert sind schon jetzt alle, immer schon illusorischen Hoffnungen auf eine „linke“ BSW. Dass Wagenknecht und Co. für ihr Projekt keine „Spinner:innen“ mit „unkonstruktiven Beiträgen“ und abschreckenden Forderungen brauchen, dass dort keine Debatten über Programm, Inhalt und Ziel der Partei gewünscht sind, sollte nicht weiter verwundern. Es entspricht einem Projekt, an dessen bürgerlichem, populistischen Charakter Wagenknecht nie einen Zweifel gelassen hatte.




Vorwort zur Sondernummer „Die Krise der Linkspartei“

Redaktion, Neue Internationale 279, Dezember 2023 / Januar  2024

Neuanfang, Startschuss, Aufbruch – mit solchen Schlagworten versucht DIE LINKE einen Neubeginn aus dem stetigen Umfragetief. Die Trennung von Sahra Wagenknecht und ihren Anhänger:innen wird zum Befreiungsschlag stilisiert, auch wenn natürlich zugestanden wird, dass sie nicht an allem schuld gewesen wären.

Mit Schlagworten wie Neuanfang, Startschuss und Aufbruch werden die Geschichte der Linkspartei, ihre Politik, Strategie, ihr Programm und ihre (Regierungs-)Praxis gleichermaßen in der Vergangenheit, in die Zeit vor dem Neuanfang entsorgt und tabuisiert. Eine wirkliche Beschäftigung mit dem „Alten“ lohnt nicht, wenn nur noch Neues angesagt erscheint – und zugleich kann das Alte umso bequemer als „Neues“ wieder verwendet werden.

Die Spaltung der größten dezidiert linken Partei im Land, das frühzeitige Ende ihrer Bundestagsfraktion und die Beleuchtung der politischen Ursachen für ihren Niedergang ist jedoch zu bedeutend, um die Selbstdarstellung ihrer Parteiführung unwidersprochen und unkommentiert vorbeiziehen zu lassen.

Immerhin hat die Partei noch immer über 50.000 Mitglieder – und damit wohl mehr als die gesamte sog. radikale Linke. Wir widmen daher diese Aufgabe der Neuen Internationale ausschließlich der Partei DIE LINKE.

Die Mehrzahl ihrer Beiträge wurde nach dem Parteitag der Linkspartei und der vollzogenen Spaltung der Bewegung Sahra Wagenknecht verfasst. Drei Artikel sind bereits früher entstanden, wurden aber wegen ihrer thematischen Schwerpunkte – „Revolutionäre Realpolitik“, „#linkemetoo“ und gewerkschaftliche Erneuerung – in diese Nummer aufgenommen.

Wir versuchen in den Beiträgen, auf die verschiedenen Aspekte der Politik der Linkspartei einzugehen, auch wenn wir keineswegs einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben können. Mit einem wirklichen Neufang, Startschuss oder Aufbruch haben wir es jedoch beim besten Willen nicht zu tun. Unabhängig vom Bruch mit Sahra Wagenknecht steht DIE LINKE für programmatische und politische Kontinuität, für politischen Reformismus, für bürgerliche Arbeiter:innenpolitik.

Unsere Analyse und Kritik stellen dabei keinen Selbstzweck dar. Wenn wir die Krise der Linken in Deutschland wirklich überwinden und dem Rechtsruck effektiv begegnen wollen, brauchen wir auch Klarheit darüber, worin eigentlich die Ursachen für die Krise der Linkspartei liegen und welche Alternative notwendig ist. Nur so lässt sich sicherstellen, dass der notwendige Bruch mit dem Reformismus auch  zu einem revolutionären Aufbruch führt.




Entstehung, Programm, Praxis – zum Charakter der Linkspartei

Martin Suchanek, Neue Internationale 279, Dezember 2023 / Januar 2024

Die Gründung der Partei DIE LINKE 2007 geht auf die Fusion von „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ (WASG) und der „Partei des demokratischen Sozialismus“ (PDS) zurück. Sie bildete eine Antwort auf die Agenda 2010, auf die sozialdemokratische Dominanz und den Verrat der SPD an der Arbeiter:innenklasse, der auch im Verhältnis zwischen dieser und Lohnarbeiter:innen eine nachhaltige Zäsur bedeutete.

Das Positive daran war sicherlich eine Erschütterung des SPD-Monopols auch in den Gewerkschaften, die – anders als bei den Grünen in den 1980er Jahren – nicht zur Bildung einer „radikalen“ kleinbürgerlichen, später offen bürgerlichen Alternative zur SPD führte, sondern zur Entstehung einer zweiten reformistischen Partei.

Mit Gründung der Linkspartei ist eine zweite, im Grunde linkssozialdemokratische Partei entstanden. Andererseits war DIE LINKE selbst nie mehr als eine Partei zur Reform und Bändigung des Kapitalismus – und wollte auch nicht mehr sein.

Entstehung

Das verdeutlichte bereits ihre Entstehung. Die PDS war trotz ihres parlamentarischen Überlebens eine schrumpfende Partei, die nur in den neuen Bundesländern und Berlin über einen Massenanhang verfügte. Die Mitgliedschaft betrug 1990 noch 285.000 Mitglieder, 1991 172.579 und im Jahr 2006, also vor Fusion mit der WASG, 60.338.

Die ehemalige PDS-Mitgliedschaft wies bei der Fusion einige Besonderheiten in der Sozialstruktur auf, die davon herrühren, dass sie aus der Partei der ehemals herrschenden Bürokratie der DDR hervorging und die dort politisch absolut dominierende gewesen war.

Mehr als 60 Prozent der PDS-Mitglieder waren 2006 älter als 65 Jahre, also Rentner:innen. Die jüngeren sind es jedoch, die im Apparat der Partei, in den Stiftungen, Landtagen, Kommunen usw. als Funktionär:innen tätig sind. Zweitens lag der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder an der Parteimitgliedschaft in der PDS mit 37 Prozent deutlich unter jenem der SPD (57 Prozent). Drittens verfügten 54 % der PDS-Mitglieder über einen Hochschulabschluss gegenüber 33 Prozent bei der SPD, während umgekehrt nur 30 % die Schule mit einem  Hauptschulabschluss oder ohne Schulabschluss absolviert hatten – ein extrem geringer Prozentsatz für eine Massenpartei, die sich sozial auf das Proletariat stützt, 2006 auch extrem gering gegenüber 40 Prozent bei der SPD und 50 Prozent in der Gesamtbevölkerung.

Die PDS war zwar auch immer eine reformistische, bürgerliche Arbeiter:innenpartei. Aber anders als die SPD stützte sich ihre organische Verankerung kaum auf die Gewerkschaften. Diese wurde vielmehr über den Einfluss in anderen Massenorganisationen wie der Volkssolidarität, Mieter:innenvereinigungen, lokalen Verbänden sowie eine historisch gewachsene Verbindung zu den akademisch gebildeten Schichten der ostdeutschen Lohnabhängigen gebildet. Dazu kam ein Massenanhang auch unter sozial schlechter gestellten Teilen der Arbeiter:innenklasse, insbesondere auch Arbeitslosen im Osten.

Das wirkliche neue politische Phänomen bei der Fusion stellte die WASG dar. Diese war ein Resultat der Massenproteste und Mobilisierungen gegen die Angriffe der rot-grünen Regierung – Agenda 2010 und Hartz-Gesetze – und der damit verbundenen Krise der SPD.

Auch beim Blick auf die WASG ist jede nachträgliche Idealisierung fehl am Platz. Schon der Name „Wahlalternative“ war instruktiv dafür, worin die Praxis der zukünftigen Partei bestehen sollte. Zweitens war die WASG von Beginn an von einem „traditionalistischen“ Flügel der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie, ihren akademischen Wasserträger:innen und ehemaligen SPD-Funktionär:innen um Lafontaine dominiert und geführt.

Für diese, die WASG von Beginn an prägende und dominierende Strömung war immer auch klar, wie eine zukünftige neue Partei der „sozialen Gerechtigkeit“ aussehen müsste. Sie sollte eine Wahlpartei sein, die im Zusammenspiel mit den Gewerkschaften und deren Führungen sowie anderen, vom Reformismus dominierten sozialen Bewegungen (z. B. attac, Friedensbewegung) v. a. an der Wahlurne einen „Politikwechsel“ erzwingt, eine Partei, deren Ziel die Verteidigung oder Wiedererrichtung des „Sozialstaates“ war.

Die WASG litt jedoch an einem inneren Widerspruch, der die reformistische Führung umtrieb und beunruhigte und zugleich das klassenkämpferische Potenzial der neuen Partei zum Ausdruck brachte. Die WASG zog nämlich als Mitglieder nur wenige Bürokrat:innen an, sondern vor allem Arbeitslose und Aktive aus den sozialen Bewegungen. Sie war eine Partei der Hartz-IV-Bezieher:innen; von Arbeitslosen, die damals mit 345 (West) bzw. 331 (Ost) Euro plus Wohngeld über die Runden kommen mussten. In vielen Städten machten diese die Hälfte der Mitgliedschaft oder mehr aus.

Auch wenn diese Schicht der Mitgliedschaft viele der Illusionen in den „Sozialstaat“, den Parlamentarismus und die Möglichkeit einer „Reformpolitik“ teilte, so wollte sie eine aktive Partei bilden, die für die Belange der Arbeitslosen und anderer Unterdrückter und Ausgebeuteter kämpft.

Die WASG war zwar von Beginn an eine bürgerliche Arbeiter:innenpartei. Doch die vorherrschende Bürokrat:innenclique verfügte noch nicht über einen starken, verlässlichen Apparat. Noch hatte sich in ihr kein stabiles Verhältnis zwischen Führung und Basis herausgebildet, das in langjährig etablierten reformistischen Parteien fast automatisch die Gefolgschaft der, meist passiven, Mitglieder sicherstellt. Die WASG hingegen war eine reformistische Partei mit einer außergewöhnlich aktiven Mitgliedschaft, was aus ihrer Verbindung zur Arbeitslosenbewegung herrührt.

Für die PDS und heute DIE LINKE oder die SPD war und ist es normal, dass die überwältigende Mehrheit der Mitglieder außer der Beitragszahlung nichts oder wenig tut, zu keinen Versammlungen erscheint oder, wo sie es tut, dort mehr oder weniger passiv agiert und die Vorgaben von oben abnickt. Das stärkt die Führung und das ist im Grunde auch so gewollt. Die aktiven Mitglieder reformistischer Parteien sind in der Regel die Funktionär:innen der Partei bzw. Funktionsträger:innen des bürgerlichen Staates oder korporatistischer Gremien wie Betriebsräten, von Sozialverbänden oder ähnlichem. Und genau diesen „Normalzustand“ einer bürgerlichen Partei – und eine solche, wenn auch besondere Form ist auch eine bürgerliche Arbeiter:innenpartei – wollten die Spitzen von WASG und PDS mit der Fusion zur Linkspartei bewusst herbeiführen.

Das haben sie mit der Fusion mit der PDS auch geschafft. Von den 12.000 WASG-Mitgliedern machte nur etwas mehr als die Hälfte die Fusion mit. Viele widersetzten sich der bürokratischen Fusion und der Regierungspolitik der PDS, die vor allem in Berlin katastrophal war. Den Höhepunkt erlebte diese Rebellion der Bewegungsbasis in der Kandidatur der Berliner WASG gegen die PDS 2006, wo die PDS 9,2 % der Stimmen verlor und auf 13,4 % absackte. Die Berliner WASG konnte einen Achtungserfolg mit 3,8 % der Erststimmen und 2,9 % der Zweitstimmen (40.504) verbuchen.

Dieser Erfolg der WASG und die Formierung des Netzwerks Linke Opposition (NLO) brachten das Potential eines Bruchs und einer weiteren Radikalisierung zum Ausdruck, der jedoch auch daran scheiterte, dass ein Teil der Linken, die den Wahltritt in Berlin unterstützt hatten, vor dieser Perspektive zurückschreckte und, allen voran die SAV, in den Schoß der Linkspartei zurückkehrte. Neben linken Fusionsgegner:innern blieben v. a. die Arbeitslosen, die unteren Schichten der Arbeiter:innenklasse, der neuen Partei fern.

Die Entstehung 2007 verdeutlicht auch das reale Verhältnis der Partei zu sozialen Bewegungen. Diese sind solange willkommen, als sie der Partei Mitglieder und Wähler:innen zutragen – nicht jedoch als eigenständiger Faktor, der der Spitze gefährlich werden und die Partei real zu einem Instrument von Klassenbewegungen von unten machen könnte.

Außerdem konnte DIE LINKE diese Verluste durch ein scheinbar stetes Wachstum und Wahlerfolge von 2007 – 2010 leicht kompensieren. Abgesehen von Bayern überwand sie in diesem Zeitraum bei allen westdeutschen Landtagswahlen die 5 %-Hürde. Auch im Osten fuhr DIE LINKE Rekordergebnisse ein, so 2009 in Thüringen (27,4 %) und Brandenburg (27,2 %). Bei den Bundestagswahlen 2009 brachte sie es auf 11,5 % (gegenüber 8,7 % 2005) und 76 Abgeordnete.

Bei ihrer Gründung 2007 hatte DIE LINKE insgesamt 71.711 Mitglieder in 16 Landesverbänden. In den Folgejahren stieg die Zahl auf 75.968 (2008) und 78.046 (2009). 2010 schrumpfte die Mitgliedschaft jedoch um fast 5.000 auf 73.658. Seither ist die Mitgliederzahl der Partei, wenn auch mit einzelnen Ausnahmen, stetig rückläufig. 2023 beträgt sie nur noch 55.000.

Programm und Strategie

Dem reformistischen Charakter der Partei entsprachen von Beginn an ihre programmatischen, strategischen Vorstellungen.

Das Programm der Partei DIE LINKE (Programmatische Eckpunkte, angenommen 24./25. März 2007) trug von Beginn an die Handschrift des keynesianischen, auf die Gewerkschaftsbürokratie und die Arbeiter:innenaristokratie orientierten Mehrheitsflügels der Partei. Als strategisches Ziel der Partei verortet es einen „Politikwechsel“, gestützt auf das Erringen einer „antineoliberalen gesellschaftlichen Hegemonie“.

DIE LINKE bekennt sich in den programmatischen Eckpunkten ihres Gründungsparteitages 2007 ausdrücklich zum freien Unternehmer:innentum. Dort heißt es: „Gewinnorientiertes unternehmerisches Handeln ist wichtig für Innovation und betriebswirtschaftliche Leistungsfähigkeit.“ (S. 3) Der Staat habe nur dafür zu sorgen, dass dieses im kreativen Überschwang nicht über die Stränge schlage und gegen das Gemeinwohl verstoße.

Dahinter steht die alte reformistische Mär, dass der Gegensatz von Kapital und Arbeit im Rahmen der kapitalistischen Verhältnisse durch die Intervention von Staat und Politik, wenn schon nicht überwunden, so erfolgreich abgemildert werden könne – was wiederum impliziert, dass „der Staat“ kein Instrument zur Sicherung zur Herrschaft der Bourgeoisie wäre, sondern über dem Klassengegensatz stünde.

Dabei ist den Strateg:innen der LINKEN durchaus klar, dass eine einfach Mehrheit im Parlament, ein Parteienbündnis von LINKEN und SPD (und evtl. den Grünen) nicht ausreicht, um die Sabotage jeder fortschrittlichen Maßnahme durch die herrschende Klasse, die Manipulation der öffentlichen Meinung durch die monopolisierten bürgerlichen Medien usw. abzuwehren.

Marx, Lenin und alle anderen revolutionären Marxist:innen haben daraus und aus der Aufarbeitung der Klassenkämpfe und Revolutionen seit Beginn der bürgerlichen Epoche den Schluss gezogen, dass das Proletariat – will es sich befreien, will es dem kapitalistischen Ausbeutungssystem ein Ende setzen – den bürgerlichen Staat nicht einfach übernehmen, nicht auf eine „Regulierung“ des Kapitalmonopols an den Produktionsmitteln hoffen darf, sondern die herrschende Klasse enteignen, den bürgerlichen Staatsapparat zerschlagen und durch die Herrschaft der in Räten organisierten bewaffneten Arbeiter:innenklasse ersetzten muss.

DIE LINKE schlägt hier einen ganz anderen, wenn auch nicht gerade originellen Weg vor. Eine „Reformregierung“ müsse sich auf die „gesellschaftliche Hegemonie“ stützen – sprich darauf, dass auch die „weitsichtigen“ und „sozialen“ Teile der herrschenden Klasse für eine Politik des Klassenausgleichs gewonnen werden müssen.

Eine solche Politik bedeutet notwendigerweise eine Unterordnung der LINKEN unter einen Flügel der herrschenden Klasse, eine Garantie für das Privateigentum an den Produktionsmitteln. Es bedeutet notwendig eine staatstragende Politik der „Opposition“.

Der Partei schwebt eine Marktwirtschaft ohne große Monopole und Konzerne vor, ein Sozialismus auf Basis von Warenproduktion und pluralen Eigentumsverhältnissen.

DIE LINKE erkennt zwar die Existenz von Klassen und auch des Klassenkampfes an – aber nicht dessen Zuspitzung. Der Kampf für Sozialismus oder eine andere Gesellschaft durch die Linkspartei ist für die Alltagspraxis allerdings weitgehend fiktiv, eine Worthülse. Das drückt sich auch im Sozialismusbegriff aus. Dieser wird nicht als bestimmte Produktionsweise, sondern vor allem als Wertegemeinschaft verstanden. So heißt es im Grundsatzprogramm von 2011:

„Wir wollen eine Gesellschaft des demokratischen Sozialismus aufbauen, in der die wechselseitige Anerkennung der Freiheit und Gleichheit jeder und jedes Einzelnen zur Bedingung der solidarischen Entwicklung aller wird.“

Dieser Anklang an Marx ist allerdings auch schon alles, was mit dessen Vorstellung von Sozialismus/Kommunismus und dem Weg dahin zu tun hat. Anstatt einer Revolution als Vorbedingung zur Entwicklung gen Kommunismus sieht der Programmentwurf einen „längere(n) emanzipatorische(n) Prozess (vor), in dem die Vorherrschaft des Kapitals durch demokratische, soziale und ökologische Kräfte überwunden wird und die Gesellschaft des demokratischen Sozialismus entsteht.“ Der Boden des bürgerlich-demokratischen Systems ist ihr als politisches Terrain heilig, die sozialistische Revolution lehnt sie ab.

Das bedeutet aber auch, dass sie die Maßnahmen zur Verwirklichung ihrer Ziele und Version dieses Sozialismus durch Regierungsbeteiligungen herbeiführen muss. Wo die Linkspartei an der Regierung ist, gestaltet sie die bestehenden Verhältnisse mehr oder minder sozial mit. Dabei akzeptiert sie die Institutionen des bürgerlichen Systems als unüberschreitbaren Rahmen linker Politik, der allenfalls durch einzelne Reformen zu erweitern wäre.

Das entscheidende Problem dieser Konzeption liegt im Verständnis von Klassenkampf und Staat. Der bürgerliche Staat wird als Mittel zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse begriffen, als Terrain des Klassenkampfes, nicht als Staat des Kapitals, als Herrschaftsinstrument der Bourgeoisie.

Der Unterschied zum Marxismus besteht dabei nicht darin, dass der Kampf um Reformen und für demokratische Rechte abzulehnen wäre. Er besteht auch nicht darin, dass nicht auch Kämpfe auf staatlichem Terrain ausgetragen werden können und müssen, sondern in der Annahme, dass diese den Klassencharakter des bürgerlichen Staats aufheben könnten. Die Transformationsstrategie begreift ihn als ein ein zu reformierendes Instrument gesellschaftlicher Veränderung hin zum Sozialismus.

Das findet sich auch im noch heute gültigen Grundsatzprogramm von 2011, dem angeblich linken „Erfurter Programm“ wieder:

„DIE LINKE kämpft in einem großen transformatorischen Prozess gesellschaftlicher Umgestaltung für den demokratischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Dieser Prozess wird von vielen kleinen und großen Reformschritten, von Brüchen und Umwälzungen mit revolutionärer Tiefe gekennzeichnet sein.“

Auch wenn hier nebulös von Brüchen und Umwälzungen mit revolutionärer Tiefe gesprochen wird, so bleibt folgendes Kernproblem: Die Transformationsstrategie löst die Dialektik von Reform und Revolution so auf, dass die Revolution als eine in die Breite gezogene, bloß tiefer gehende, grundlegendere und langwierige Reform verstanden wird. Die Revolution bildet dann im Grunde nur eine Fortsetzung ewiger Reform- und Transformationsbemühungen.

Kommunistische Politik betrachtet die Frage gerade umgekehrt. Die Revolution stellt einen Bruch dar, ein qualitativ neues Moment, eine grundlegende Veränderung der Machtverhältnisse. So wichtig einzelne Reformen auch sein mögen, so zeichnet sich eine revolutionäre Veränderung durch die Machteroberung einer bisher ausgebeuteten Arbeiter:innenklasse aus. Dabei ist aber nicht die Transformation des bürgerlichen Staates kennzeichnend, sondern vielmehr umgekehrt das Zerbrechen oder Zerschlagen dieses Apparates. Die Herrschaftsinstrumente des Kapitals werden ersetzt durch qualitativ neue vorübergehende Formen politischer Herrschaft, die Räteherrschaft der Arbeiter:innenklasse, also die Diktatur des Proletariats anstelle der des Kapitals.

Vor diesem Hintergrund wird auch die Begrenztheit einer in der Linkspartei gern geführten Debatte zwischen linkem und rechtem Flügel ersichtlich, zwischen kommunaler/parlamentarischer Regierungsarbeit und Bewegungslinker/Parteiapparat. Die gesamte Transformationsstrategie verspricht zwar eine Verbindung dieser, stößt aber unwillkürlich selbst auf das Problem, dass eine bürgerliche Regierung auch mit der Linkspartei eine solche bleibt. D. h., die Partei muss dann notwendigerweise an der Regierung gegen die Interesse der Arbeiter:innenklasse und Unterdrückten handeln und jene der herrschenden Klasse vertreten – oder sie müsste mit ihrem gesamten Konzept brechen. Die Transformationsstrategie, die in der realen Regierungspraxis ohnedies keine Rolle spielt, erfüllt im realen Leben im Grunde nur die Aufgabe einer Rechtfertigungsideologie für die bestehende Praxis.

Wohin das Konzept der Linkspartei führt, zeigt sich an den Regierungen selbst, wenn sie teilweise aktiv in Bewegungen ist. Auch dort nimmt es eine zwiespältige Haltung an, z. B. in der Wohnungspolitik Berlins. Dort wird DWE unterstützt, aber die rot-roten Regierungen hatten mehr Wohnungen privatisiert als jede andere. Wo DIE LINKE regiert, erfüllt sie auch alle repressiven Aufgaben des Staates – z. B. regelmäßige Abschiebungen von Geflüchteten auch in Berlin oder Thüringen etc. Über diese Leichen im Keller spricht die Linkspartei nicht gerne. Dabei bilden sie das notwendige Resultat ihrer Realpolitik.

Selbst wo die Partei noch längst nicht Regierungsfunktionen ausübt, präsentiert sie sich allzu oft als staatstragend. So z. B. der Spitzenkandidat Bartsch, als er an einer Solidaritätskundgebung mit Israel während der Bombardierung von Gaza teilnahm.

Diese alles andere als sozialistischen Politiken sind keine Warzen im demokratisch-sozialistischen Gesicht der Linkspartei, sondern notwendige Folgen ihrer politischen Konzeption. Sie liegen in der Logik einer Partei, die den Kapitalismus nicht überwinden, die Herrschaft der Bourgeoisie nicht brechen, den bürgerlichen Staat nicht zerschlagen, sondern mit verwalten und transformieren will.

Programmatische Methode

Dies erfordert jedoch nicht nur eine Ablehnung, sondern auch eine Kritik der Methode des Programms. Allgemein fällt bei diesem auf, dass es zwar viele Forderungen inkludiert, aber vollkommen unklar ist, welchen Stellenwert sie für die Praxis und Strategie der Partei haben. Dieses Manko ist jedoch durchaus typisch für reformistische Organisationen. Schließlich will die Parteiführung nicht gern an den eigenen Versprechen gemessen werden. Sie will freie Hand haben und sich nicht mit Forderungen ihrer Mitglieder und Anhänger:innen konfrontiert sehen, welche die Erfüllung der Versprechen einfordern und Rechenschaft verlangen könnten.

Insgesamt offenbart der Entwurf ein Programmverständnis, das methodisch im Reformismus und Stalinismus wurzelt. Es ist vom Programmtyp her ein Minimal-Maximal-Programm, d. h. der Sozialismus als „historisches Endziel“ steht – trotz der scheinbaren Verbindung durch einen  längeren „transformatorischen Prozess“ – unverbunden neben (oft durchaus richtigen) Alltagsforderungen. Die Kämpfe um höhere Löhne, gegen Sozialabbau, Hartz IV, Krieg, Aufrüstung usw. sind aber nicht mit dem Ringen um den Sozialismus verwoben. Der Sozialismus ist als Losung im Grunde hier nichts anderes als das Amen in der Sonntagspredigt.

Anstelle eines Minimal-Maximal-Programms bräuchte es ein Programm von Übergangsforderungen. Ein solches müsste soziale, gewerkschaftliche und demokratische Kämpfe gegen Krise, Krieg und Rassismus mit der Perspektive der Machtergreifung der Arbeiter:innenklasse verbinden. Diese käme allerdings nicht etwa dadurch zustande, dass Forderungen wie „Gegen Entlassungen! Für Verstaatlichung!“ usw. einfach mit der Losung „Für Sozialismus!“ ergänzt werden. Dazu wäre es nötig, dass die Selbstorganisation der Klasse gefördert wird, dass sie sich eigene Machtpositionen und -organe im Betrieb, im Stadtteil und letztlich in der Gesellschaft erkämpft. Solche Forderungen sind z. B. jene nach Arbeiter:innenkontrolle über Produktion, Verteilung, Verstaatlichung, Sicherheitsstandards usw. Es sind Forderungen nach Streikkomitees, die von der Basis direkt gewählt und ihr verantwortlich sind; zur Schaffung von Streikposten, Selbstverteidigungsorganen, Preiskontrollkomitees usw. bis hin zu Räten, Arbeiter:innenmilizen und einer Arbeiter:innenregierung, die sich auf die Mobilisierungen und Kampforgane der Klasse stützt.

Diese – und nur diese – Übergangsmethodik würde programmatisch das repräsentieren, was Marx über den Sozialismus sagte: dass er die „wirkliche Bewegung“ ist und nicht etwa nur eine „Vision“ oder „Utopie“, wie es DIE LINKE gern formuliert. Diese Elemente fehlen in deren Programm völlig.

Dieser sicher nicht nur für diese Partei typische Mangel bedeutet konkret, dass die Arbeiter:innenklasse in ihrem Kampf über das, was sie als Führungen und Strukturen vorfindet, nie bewusst und gezielt hinauskommt. Es bedeutet, dass das Proletariat letztlich den reformistischen Parteien, Gewerkschaftsapparaten, Betriebsräten, dem Parlamentarismus oder, noch schlimmer, den spontan vorherrschenden bürgerlichen Ideologien dieser Gesellschaft ausgeliefert bleibt.

Das Fehlen von Übergangsforderungen bedeutet, dass die Klasse sich in ihrem Kampf bürgerlichen Strukturen und Ideen unterordnet. Gemäß der LINKEN soll also die gesellschaftliche Dynamik zur Überwindung des Kapitalismus in den Bahnen der alten Gesellschaft, also zu den Bedingungen der Bourgeoisie erfolgen. Daran ändern auch ein paar Volksentscheide oder ein bisschen mehr „Mitbestimmung“ nichts.

Methodisch wurzelt all das letztlich in einer undialektischen Sichtweise von Geschichte und Klassenkampf. Das Prinzip des Minimal-Maximal-Programmes entspricht der Vorstellung von gesonderten, nicht miteinander verbundenen Etappen der Revolution bzw. des historischen Prozesses allgemein. Wie im Stalinismus, der die Revolution auf die demokratische Phase beschränkte, geht es auch der LINKEN um begrenzte Reformen. Dass selbst diese objektiv oft eine Dynamik Richtung Sozialismus annehmen, selbst die Umsetzung grundlegender bürgerlich-demokratischer Aufgaben im imperialistischen Zeitalter nur durch das Proletariat und unter dessen Führung errungen und durch den Sturz der Bourgeoisie gesichert werden kann, bleibt der LINKEN ein Buch mit sieben Siegeln.

Das marxistische Programmverständnis hingegen geht vom aktuellen Stand des internationalen Klassenkampfes aus und unterbreitet Vorschläge, wie dieser – also Aktion, Bewusstsein und Organisierung – vorangebracht werden kann. Das impliziert auch, konkret zu benennen, welche Kampfformen, Konzepte, Organisationen und Führungen den Kampf behindern, schwächen oder falsch orientieren und wie die Klasse den Einfluss dieser Faktoren überwinden kann.

Das Programm der Linkspartei entspricht deren reformistischem Charakter. Es entspricht den politischen Zielen der zentralen Teile des Apparates und des Funktionärskörpers, der sie dominiert, entspricht der tagtäglichen realen parlamentarischen Praxis, ob nun als Regierung oder Opposition, und auch den gelegentlichen Ausflügen und Interventionen in Bewegungen und linke Gewerkschaftsmilieus, als deren Vertretung sich DIE LINKE betätigt. Das alles sollte niemanden überraschen, zumal die Spitzen der Linkspartei aus ihrem Reformismus auch nie ein Geheimnis gemacht haben.

Umso erstaunlicher und beschämender ist jedoch, dass große Teil der Linken in der Linkspartei jahrelang diese Tatsachen schönredeten. So verkannten sie die Annahme des Erfurter Programm 2011 als „Erfolg“ der Linken in der Partei, weil es den Regierungssozialist:innen angeblich „rote Haltelinien“ bei der Regierungsbeteiligung auferlegt hätte. Christine Buchholz (damals marx21, heute Sozialismus von unten) und Sahra Wagenknecht freuten sich damals noch gemeinsam über das Programm. Gegenüber der Jungen Welt erklärte Buchholz: „Die Art und Weise, wie die Debatte gelaufen ist, stimmt mich da sehr zuversichtlich: Wir haben am Wochenende eine konstruktive Diskussion gehabt, nach der es weder Sieger noch Besiegte gibt. Ich persönlich bedaure z. B., dass unsere ‚Haltelinien‘ geschwächt sind, andere kritisieren andere Punkte – aber die Richtung stimmt.“

Wer solche „Siege“ erringt, braucht keine Niederlagen. Auch die AKL gab sich damals „insgesamt zufrieden“. Am kritischsten äußerte sich noch die SAV. Sie bemängelte zwar „Aufweichungen“ des Programms, lobte aber dessen grundsätzlich richtige „antikapitalistische Stoßrichtung“.

Stagnation, Krisen und Niedergang

Nach den Wahlerfolgen der Anfangsjahre trat freilich Ernüchterung ein, die sich in stagnierenden und fallenden Mitgliederzahlen und Wahlniederlagen widerspiegelte, in Flügelkämpfen und seit 2022 in einer existenziellen Krise.

Dabei formierten sich auch die politischen Flügel teilweise neu. Lange Zeit bildeten die ostdeutschen Realos den sog. Hufeisenflügel mit den angeblichen linken Wagenknecht-Anhänger:innen. Demgegenüber formierte sich die sog. Bewegungslinke, die ihrerseits ein strategisches Bündnis mit den Regierungssozialist:innen gegen Wagenknecht einging – natürlich alles zum Wohl der Partei und ihres Überlebens. Doch dürfen bei diesem allgemeinen Niedergang wichtige Veränderungen der Parteizusammensetzung und Wähler:innenbasis nicht übersehen werden.

Rund 60 % ihrer Mitglieder sind erst nach 2011 eingetreten, die ehemaligen PDS-Genoss:innen sind längst zu einer kleinen Gruppierung geworden. 15 % der Mitglieder sind unter 35. Dies ist mehr als bei jeder anderen Bundestagspartei und stellt auch einen Zuwachs seit Parteigründung dar. Zugleich stellen die Altersgruppen der 50- – 64-Jährigen und der 65- – 79-Jährigen je 27 % der Mitglieder. Die Linkspartei ist vergleichsweise schwach unter der Altersgruppe von 36 – 49 vertreten.

Die Linkspartei hat wichtige Schichten und die Bindekraft zu Arbeitslosen, ärmeren Teilen der Klasse und auch des Kleinbürger:innentums im Osten an die AfD verloren. Dies ist zweifellos Resultat von Regierungspolitik und Anpassung, aber auch eines Rechtsrucks und einer Demoralisierung von Teilen der Lohnabhängigen selbst.

DIE LINKE hat massiv Mitglieder, Verankerung und Wähler:innen in der Fläche im Osten verloren. Ihre, wenn auch oft geschwächte Mitglieder- und Wähler:innenbasis kommt aus Großstädten sowie Städten und Ortschaften zwischen 5.000 und 20.000 Einwohner:innen. In Kleinstädten und auf dem Dorf ist sie wenig bis gar nicht vorhanden. Zugleich hat sie im Westen eine stärkere Verankerung in der Arbeiter:innenklasse und der Jugend (und somit über längere Zeit auch bei jüngeren Lohnabhängigen) gewonnen. So entspricht der Anteil von „Arbeiter:innen“ unter den Berufstätigen 17 %, der von Angestellten 67 % (darunter 35 % im öffentlichen Dienst). Gleichzeitig dominiert noch immer ein überdurchschnittlich hoher Schulabschluss und Bildungsniveau unter den Mitgliedern, während der Anteil von Arbeitslosen und Auszubildenden geringer als in anderen Parteien ist. Das drückt sich auch in veränderten Größen der Landesverbände und einem stärkeren Gewicht im Westen aus.

Diese Verschiebungen verweisen auch darauf, dass die Linkspartei in den Gewerkschaften und Betrieben, also in der organisierten Arbeiter:innenklasse stärker geworden ist, und zwar deutlich mehr, als dies bei Wahlen zum Ausdruck kommt. Von den Mitgliedern her stützt sich die Partei vor allem auf die mittleren und bessergestellten urbanen Schichten der Lohnabhängigen. Sie verfügt also über eine für eine reformistische Partei eher typische stärkere Verankerung in der Arbeiter:innenaristokratie als unter der Masse des Proletariats.

Die betrieblichen und unteren gewerkschaftlichen Funktionsträger:innen betreiben zwar nicht einfach dieselbe Politik wie der sozialdemokratisch dominierte Apparat, aber sie fordern diesen nicht heraus, zumal ihre reformistische Politik natürlich auch im Rahmen tarifvertraglicher und sozialpartnerschaftlicher Regulierung bleibt. Die Linkspartei betreibt z. B. eine aktive Politik, ihre jüngeren AnhängerInnen aus den Unis in den Gewerkschaftsapparat zu schicken (z. B. über Organizing- und Trainee-Programme) und so ihre Verankerung zu stärken. Auch die Konferenz zur gewerkschaftlichen Erneuerung, die DIE LINKE zuletzt im Mai 2023 in Bochum mit 1.550 Teilnehmer:innen organisierte, belegt einen gewachsene Verankerung im Gewerkschaftsapparat und unter betrieblichen Funktionär:innen.

Sie hat in den letzten Jahren an Verankerung in sozialen Bewegungen gewonnen, wenn auch nicht ohne Rückschläge und eher indirekt, also über die Zusammenarbeit, informelle Bündnisse mit Teilen der radikalen Linken (IL, Antifa) und Migrant:innenorganisationen (einige kurdische Vereine, Teile von Migrantifa). Der Beitritt von etlichen hundert Menschen aus dem „linksradikalen“ Milieu im November 2023 belegt diesen Trend.

Grundsätzlich kann aber gesagt werden, dass in den letzten 4 – 5 Jahren die Zuwächse im Westen die Verluste im Osten nicht mehr ausgleichen. Die Partei stagniert oder verliert fast überall. Das bildet letztlich auch den Boden für die innere Krise einer parlamentarisch fixierten reformistischen Partei, die um ihr Überleben als solche kämpft.

Dominanz der Funktionär:innenschicht

Über der sozialen Basis und den Mitgliedern und Wähler:innen erhebt sich ein Funktionär:innenapparat, der die Partei führt und prägt. Die Tätigkeit der aktiven Mitglieder ist wesentlich auf Vertretung in kommunalen, regionalen Strukturen, Ländern, Bund vertreten. DIE LINKE verfügt über 6.500 kommunale und sonstige Abgeordnete, über 200 Parlamentarier:innen und hauptberufliche Mitarbeiter:innen. Allein die Zahl der Kommunalpolitiker:innen, darunter hunderte Bürgermeister:innen, beläuft sich auf über 5.000 und diese sind vor allem im Osten tätig.

Der Stiftung der Partei beschäftigt natürlich auch vom Staat gesponsorte hauptamtliche Funktionär:innen – und diese bald in jedem Bundesland. Hinzu kommt noch ein Parteiapparat im Bund und allen Ländern. Wenn man all dies addiert, so kommt die LINKE auf mehrere hundert, wenn nicht tausend hauptamtliche Funktionär:innen, die Einkommen direkt aus dem Parteiapparat oder staatlichen Vertretungsorganen beziehen. Andere erhalten bloß Aufwandsentschädigungen. Hier sind noch gar nicht jene Abteilungen der Arbeiter:innenbürokratie in der LINKEN mitgezählt, die ihre Einkünfte aus anderen Quellen – dem Gewerkschaftsapparat oder als freigestellte Betriebsräte – beziehen.

All diese machen einen selbst für eine bürgerliche Partei untypisch hohen Anteil der Funktionär:innen an der aktiven Mitgliedschaft aus – von Funktionär:innen, die fest in die Tagesgeschäfte des bürgerlichen Systems eingebunden sind, und zwar nicht nur oder nicht einmal in erste Linie in Landesregierungen, sondern vor allem auf der kommunalen Ebene, wo die parteiübergreifende Zusammenarbeit noch viel pragmatischer geregelt wird, wo Klassenzusammenarbeit tägliches Brot darstellt und somit auch eine feste Basis für den Reformismus auf „höheren“ Ebenen abgibt. Diese Funktionär:innen machen insgesamt über 10 % der Mitgliedschaft aus. Ziehen wir in Betracht, dass die Mehrheit der Mitglieder passiv ist, am regelmäßigen Parteigeschehen nicht teilnimmt, so dominiert diese Schicht im Grunde alle größeren Strömungen der Partei. Der Unterschied besteht dann eher darin, mit welchen Milieus (Kommunalpolitik, gewerkschaftliches Organizing, soziale Bewegungen und NGO-artige Kampagnen) sie verbunden sind.

Selbst wo die Partei noch längst nicht Regierungsfunktionen ausübt, präsentiert sie sich allzu oft staatstragend. So z. B. bei der Solidaritätskundgebung mit Israel im Bundestag.

Taktik

Angesichts der aktuellen Angriffe und des gesellschaftlichen Rechtsrucks stellt DIE LINKE weiter eine organisierte Kraft der Arbeiter:innenklasse dar, die zur gemeinsamen Aktion aufgefordert, der gegenüber auf verschiedenen Ebenen (bis hin zur kritischen Wahlunterstützung) die Taktik der Einheitsfront angewandt werden muss. Aber wir dürfen uns dabei keine Illusionen über den Charakter der Partei machen und müssen uns vergegenwärtigen, dass sie nicht nur eine aktive Minderheit der organisierten Arbeiter:innenklasse vertritt, sondern zugleich auch ein Hindernis für den Aufbau einer wirklichen Alternative, einer revolutionären Arbeiter:innenpartei darstellt.

Daher muss die Anwendung einer Einheitsfronttaktik Hand in Hand mit einer marxistischen Kritik und dem Kampf für eine revolutionäre Alternative zur Linkspartei einhergehen.

Natürlich ist es unter den gegebenen Bedingungen notwendig, z. B. in DWE oder den Gewerkschaften gemeinsam zu kämpfen. Es ist auch notwendig, den gemeinsamen Kampf gegen laufende und kommende Angriffe zu intensivieren, von der Linkspartei dies einzufordern.

Heute geht es aber nicht primär darum, gemeinsame Handlungsfelder auszuloten, sondern darum, was die Linkspartei ist und was Sozialist:innen oder Kommunist:innen daraus folgern sollen: Sie sollten sich keinen Illusionen in die Partei hingeben, sondern selbst eine linke Kritik entwickeln und am Aufbau einer revolutionären Alternative zur Linkspartei mitwirken, den Aufbau einer revolutionären Arbeiter:innenpartei vorantreiben!

Eine solche Partei wird sicherlich nicht einfach durch lineares Wachstum aus einer der bestehenden kommunistischen oder sozialistischen Kleingruppen oder deren bloßer Vereinigung entstehen können. Es braucht eine Kombination aus gemeinsamem Kampf und gemeinsamer Bewegung mit einer programmatischen Klärung. Das heißt aber auch Überwindung der reformistischen Begrenztheit und Schwächen der Linkspartei, nicht nur des Wagenknecht-Flügels und der Regierungssozialist:innen, sondern auch der sog. Transformationsstrategie.




BSW: Populismus als Alternative?

Martin Suchanek, Neue Internationale 279, Dezember 2023 / Januar 2024

Gründen oder nicht gründen – diese Frage machte Sahra Wagenknecht monatelang zum Dauergast in den Talkshows. Der Bruch mit der Linkspartei stand längst fest, fraglich war nur, ob und wann eine neue Partei gegründet wird. Seit dem 23. Oktober wissen wir es. Am 27. Januar 2024 soll die neue Partei von 400 ausgewählten Mitgliedern gegründet werden.

Demokratisch ist das alles nicht für eine „Bewegung“, aber Wagenknecht und ihr innerer Kreis wollen so wohl absichern, dass sie sich von Beginn auf Funktionär:innen, Apparat und ein Fußvolk stützen können, das ihren Ansprüchen an „Politikfähigkeit“ und „Zuverlässigkeit“ genügt. Schließlich wollen sie sich nicht mit „dubiosen Figuren“ und „Querulant:innen“ abplagen, die eine neue linkskonservative Partei nur zu leicht kaputtmachen könnten. Programm, mediale Präsenz und innere „Demokratie“ – daran lassen sie keinen Zweifel – müssen auf Sahra zugeschnitten sein und auf sonst niemanden.

Wofür steht linkskonservativ?

Das Beste an Wagenknechts Parteiprojekt ist, dass niemand auf die formale Gründung oder das Programm warten muss, um zu wissen, wofür die neue Partei steht. Linkskonservativ mag ja ein schräger Begriff sein, links ist daran jedoch – nichts!

„Unser Land ist in keiner guten Verfassung.“ So beginnt das Gründungsmanifest des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW), das allen „wirtschaftliche Vernunft“, „soziale Gerechtigkeit“, „Frieden“ und „Freiheit“ verspricht. Schließlich verdiene „unser Land“ „eine selbstbewusste Politik, die das Wohlergehen seiner Bürger in den Mittelpunkt stellt“.

Und diese versprechen Wagenknecht und 15 weitere Abgeordnete und Politiker:innen der Linkspartei, die mit dem offenen Brief „Warum wir DIE LINKE verlassen“ ihren Austritt aus der Partei erklären. Die 16 hätten immer wieder argumentiert, „dass falsche Schwerpunkte und die fehlende Konzentration auf soziale Gerechtigkeit und Frieden das Profil der Partei verwässern.“ Ihre Positionen hätten keinen Platz mehr in der Partei gefunden.

Vorweg: Begriffe wie Kapitalismus, Imperialismus, Sozialismus, Arbeiter:innenklasse, Klassengesellschaft oder links kommen im Gründungsmanifest des „Bündnis Sahra Wagenknecht“, das am 23. Oktober auf der Bundespresskonferenz vorgestellt wurde, erst gar nicht vor.

Chauvinismus und Rassismus

Seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 werden Wagenknecht und ihre Anhänger:innen nicht müde,  gegen offene Grenzen zu wettern. „Regulierte“ Zuwanderung lautet ihr Motto und sie befinden sich damit ganz auf Linie der Bundesregierung und Unionsparteien. Während die Linkspartei die jüngsten Angriffe auf das Asylrecht als rassistisch und menschenfeindlich bezeichnet hatte und damit einmal wenigstens verbal ein richtiges Zeichen setzte, ergriff Wagenknecht im Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“, der Bildzeitung für Spiegel-Leser:innen, die Seite der EU-Staaten. Mit der Kritik an den geplanten Gefängnislagern zur Abfertigung von Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen dürfe man es sich, so Wagenknecht, nicht „so einfach“ machen, sondern man müsse erst abwarten und sehen, ob diese funktionieren!

Damit setzte sie ein weiteres rechtes Ausrufezeichen. Auch beim Schleifen des Asylrechts macht Wagenknecht gerne mit. Um diesen Scheiß zu rechtfertigen, greift sie einmal mehr in die Mottenkiste rechter Lügenmärchen. Die Geflüchteten an den EU-Außengrenzen, behauptet Wagenknecht gegenüber „Die Welt“, wären schließlich nicht „die Ärmsten der Armen“, sondern stammten vor allem aus den Mittelschichten. Woher sie das weiß? Ganz einfach. Die „Ärmsten der Armen“ würden es nämlich gar nicht schaffen, Krieg, Hunger, Umweltkatastrophen zu entfliehen. Folglich könnten diese Menschen nur vergleichsweise „Privilegierte“ sein – und die könnten daher auch ebenso gut in ihren Heimatländern wie Syrien und Afghanistan bleiben.

Sicherlich unterstützen nicht alle Anhänger:innen einer zukünftigen Wagenknecht-Partei diese lupenrein rassistischen und antidemokratischen Positionen. Aber sie nehmen sie billigend in Kauf, wenn sie mitmachen. Und auch die Gründungserklärung des BWS lässt keinen Zweifel daran, dass Zuwanderung und Migration begrenzt werden müssen. Denn die Freiheit, die das BSW verspricht, gibt es nur für jene, die dem deutschen „Sozialstaat“ zumutbar sind. „Das gilt aber nur, solange der Zuzug auf eine Größenordnung begrenzt bleibt, die unser Land und seine Infrastruktur nicht überfordert, und sofern Integration aktiv gefördert wird und gelingt.“ Und – daran lässt Sahra Wagenknecht schon lange keinen Zweifel mehr – dieser Punkt sei längst überschritten und daher stimmt die neue vorgebliche Oppositionspartei gleich in den Chor all jener ein, die praktisch täglich neue rassistische Gesetzesverschärfungen fordern.

Lifestyle-Linke vs. bodenständige Menschen

Forderungen nach offenen Grenzen und eine „überzogene“ Kritik an Einreisebeschränkungen bilden für das auf dem rechten Auge blinde BSW einen weiteren Beleg dafür, dass sich DIE LINKE von den „normalen“, hart arbeitenden Menschen entfremdet hätte. Und damit nicht genug. „Übertriebener“ Genderismus,  Veganismus, Ökologismus und Kosmopolitismus seien allesamt Ausdruck desselben Grundproblems. DIE LINKE hätte sich lt. Wagenknecht und ihren Anhänger:innen von ihrer eigentlichen Klientel, den Lohnabhängigen, den Erwerbslosen, aber auch von den Handwerker:innen und vom „Mittelstand“ abgewandt. Sie würde sich auf urbane „Aufsteiger:innenmilieus“, auf Linksliberale konzentrieren.

Wagenknecht greift dabei reale Schwächen und Probleme der Identitätspolitik an – vermischt sie jedoch zu einem populistischen Brei, der auch gleich die Kritik an realer sozialer Unterdrückung entsorgt, die in ihr zum Ausdruck kommt.

Wagenknecht punktet darüber hinaus, wenn sie den Rechtsruck von Grünen und SPD anprangert. Aber sie verkennt dabei vollkommen deren Ursache. Sie vermag diese Anpassung nicht als Ausdruck veränderter Akkumulationsbedingungen des Kapitals – und damit veränderter Rahmenbedingungen reformistischer, auf einen Klassenkompromiss zielender Politik – zu begreifen. Die verschärfte Konkurrenz auf dem Weltmarkt verengt nämlich den Verteilungsspielraum für sozialpartnerschaftliche Politik, was bei der SPD, aber auch bei der Linkspartei zu immer mehr Zugeständnissen an die uneingeschränkt kapitalistischen „Partner:innen“ führt.

Wagenknecht (und vor ihr Lafontaine) werfen im Grunde der SPD vor, an ihrer traditionellen Politik nicht einfach festzuhalten, weil sie in der Tat glauben, dass der Staat den Kapitalismus zum Wohle aller regulieren könne.

Daher bleibt ihre Kritik letztlich rein moralistisch. DIE LINKE hätte sich von Sozialstaat und nationalstaatlicher Umverteilungspolitik abgewandt. Hätte sie das nicht getan, so der Umkehrschluss, könnten wir heute noch immer in einem schön funktionierenden Sozialstaat leben, in dem die Armen versorgt, die Arbeiter:innen angemessen entlohnt und die Unternehmer:innen ehrliche Gewinne machen würden.

Die sogenannte Lifestyle-Linke hätte sich jedoch nicht nur dem Neoliberalismus angeschLossen, sondern sie würde auch unzumutbare Anforderungen an die Massen stellen, wenn sie ständig ihre Einstellungen und Verhaltensweisen in Frage stelle. Der „normale“ Mensch ist für Wagenknecht kein gesellschaftliches Wesen, die vorherrschenden Gedanken, Einstellungen und familiären Verhältnisse sind kein Produkt gesellschaftlicher Verhältnisse, sondern quasi natürliche, letztlich unveränderliche Eigenschaften „der“ Menschen. „Normale“ Lohnabhängige seien ebenso wie „normale“ Kleinbürger:innen oder Kleinunternehmer:innen eben heimatverbunden, bodenständig, stolz darauf, Deutsche zu sein. Sie lebten mehrheitlich gern in Familien, sind gerne heterosexuelle Männer und Frauen und wollen nicht „ständig gemaßregelt“ werden, wenn sie einen Witz über Schwule machen.

Wagenknecht präsentiert sich dabei gern als Verteidigerin der einfachen Leute. In Wirklichkeit verhält sie sich jedoch paternalistisch und bevormundend, indem sie darüber bestimmt sagt, was diese einfachen Leute ausmache und was nicht. Ihr zufolge könnten die Lohnabhängigen „überzogenen“ Erwartungen an Fortschrittlichkeit prinzipiell nicht genügen. Man müsse die Menschen eben so nehmen, wie sie (angeblich) sind – darauf läuft das Credo von Wagenknecht wie jedes (linken) Populismus hinaus. Ansonsten liefen die Leute zur AfD über. Und um das zu verhindern, müsse man eben auch den Ball flach halten, wenn es um rückständiges Bewusstsein unter der Masse der Bevölkerung geht.

Populismus und Elektoralismus

Das erscheint Wagenknecht und Co. umso zwingender und unproblematischer, weil es in ihrer politischen Konzeption erst gar nicht vorgesehen ist, das Bewusstsein der Arbeiter:innenklasse zu verändern. Die Überwindung von inneren Spaltungen stellt für sie kein Problem dar, weil die Lohnabhängigen ohnedies nicht als Subjekt zur Veränderung der Gesellschaft begriffen werden. Sie bilden nur eine besonders zahlreiche Wähler:innenschicht unter anderen „Leistungsträger:innen“, die Wagenknecht ständig im Blick hat: Mittelschichten, städtisches und ländliches Kleinbürger:innentum und, als Krönung der deutschen Wirtschaft, nichtmonopolistische Unternehmen. Das Subjekt einer möglichen Veränderung ist nicht die Arbeiter:innenklasse, sondern es geht nur darum, bei den Wahlen möglichst viele Stimmen der einfachen Leute zu erhalten. Das Subjekt der Veränderung ist sie – Sahra Wagenknecht. Damit sie längerfristig Kreuzchen erhält, muss man den Menschen natürlich etwas bieten. Nämlich Ausgleich zwischen den Klassen, Gerechtigkeit, Sicherheit, Ruhe und Ordnung auf dem Boden der „sozialen Marktwirtschaft“.

Zur sozialen Marktwirtschaft zurück

Ludwig Erhard und Willi Brandt sind die Leitbilder der Wirtschafts- und Sozialpolitik einer Sahra Wagenknecht. Dabei sorgt der Staat für den Ausgleich zwischen den Klassen, zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Das ginge, so können wir beispielsweise in „Reichtum ohne Gier“ nachlesen, weil gute Unternehmen eigentlich gar nicht auf Profit aus wären. Dieser entstünde auch nicht, wie uns Marx weismachen wollte, in der Ausbeutung im Produktionsprozess, sondern durch die Monopolprofite der Großkonzernen. Echte Unternehmen hingegen bräuchten gar keinen Kapitalismus, wohl aber eine funktionierende freie Marktwirtschaft.

Diesen kleinbürgerlichen Schwachsinn verkauft Wagenknecht – und der gesamte mediale Rummel um sie – allen Ernstes als „Theorie“, als „tiefgehende“ Gesellschaftsanalyse. Links oder gar marxistisch ist darin gar nichts.

Dafür tischt uns Wagenknecht wie dereinst auch Oskar Lafontaine das Märchen auf, dass der Staat die Wirtschaft zum Wohle aller regulieren könne. Er müsse nur entschlossen eingreifen. Ansonsten drohten dem armen Deutschland Niedergang und Deindustrialisierung.

Damit der Staat im Inneren „freien“ und gerechten Wettbewerb organisieren könne, müsse er sich der Globalisierung widersetzen. Ansonsten werde er ohnmächtig und schwach. Nur auf Basis eines nationalen Programms könnten Wohlstand für alle und sogar ein gewisser Grad ökologischer Nachhaltigkeit erreicht werden. „Alle“ sind dabei natürlich nur deutsche Staatsbürger:innen und jene Ausländer:innen, die ihr Gastrecht nicht verwirkt hätten. Die anderen Länder der Welt müssten eben selbst eine solche Politik umsetzen – dann wird alles gut, sozial und gerecht auch in der Marktwirtschaft.

Das Gründungsmanifest des BSW präsentiert „unsere“ Wirtschaft im Niedergang, nicht unähnlich jeder anderen oppositionellen Bundestagsfraktion, ob nun AfD oder CDU/CSU. Die Rahmenbedingungen für Industrie und Mittelstand hätten sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert, beklagt das BSW.

Woran liegt es? „Von Konzernen beeinflusste und gekaufte Politik und das Versagen der Kartellbehörden haben eine Marktwirtschaft geschaffen, in der viele Märkte nicht mehr funktionieren.“ Und die Lösung? Echter, also fairer Wettbewerb, wie es ihn angeblich mal unter Ludwig Erhard und Willi Brandt gegeben hätte.

„Wir streben eine innovative Wirtschaft mit fairem Wettbewerb, gut bezahlten sicheren Arbeitsplätzen, einem hohen Anteil industrieller Wertschöpfung, einem gerechten Steuersystem und einem starken Mittelstand an. Dafür wollen wir Marktmacht begrenzen und marktbeherrschende Konzerne entflechten. Wo Monopole unvermeidlich sind, müssen die Aufgaben gemeinnützigen Anbietern übertragen werden.“

Dass die Konkurrenz selbst zur Zentralisation und Konzentration des Kapitals führen muss, davon will die ehemalige Marxistin Wagenknecht längst nichts mehr wissen. Statt dessen folgt der Griff in die Mottenkiste des kleinbürgerlichen Antimonopolismus, der hofft, mit staatlichen Regulierungen die Entwicklungsdynamik des Kapitals lenken zu können. Es handele sich um eine Wirtschaftspolitik, in deren Zentrum der vorzugsweise deutsche Mittelstand stehe: „Wir brauchen Zukunftsfonds zur Förderung innovativer heimischer Unternehmen und Start-ups und nicht Milliardensubventionen für Konzerne aus Übersee.“ Gegen staatliche Förderungen des Privatkapitals ist also nichts weiter einzuwenden, solange es nicht aus Übersee kommt, sondern deutsch und innovativ ist.

Dieses Programm wird von Wagenknecht zwar als klassenübergreifende Wohltat angepriesen. Den Interessen der Arbeiter:innenklasse entspricht es jedoch nicht. Im Gegenteil, es bindet die Lohnabhängigen an eine kleinbürgerliche Utopie, an ein Programm, das vor allem im Interesse des Kleinbürger:innentums und der auf den nationalen Markt orientierten Unternehmen liegt. Sollte sie wirklich mal in eine Regierungsverantwortung kommen, dann darf sie sich bereits am Tag eins nach Dienstantritt tief vor den verfluchten Monopolen verbeugen und sich als erste Vorkämpferin des deutschen Imperialismus beweisen – auch gegen die einfachen Leute. Es ist nicht die einzige Parallele zum Rechtspopulismus. Auch, dass rassistisch Unterdrückte und LGBTIA+ dann besonders mit Angriffen von der großen Führerin rechnen müssen, mit denen sie von ihrer völlig kapitalkonformen Politik ablenken wird (wenn auch gemäßigter und weniger aufgeblasen aggressiv als die AfD), passt dazu.

Starker Staat und sozialer Imperialismus

Die Schwachen, so hatte schon Oskar Lafontaine verkündet, bräuchten einen starken Staat. Dabei bleiben die Schwachen zwar auch weiter schwach – aber sie werden besser, „anständig“ und „ausreichend“ versorgt. Die Starken bleiben natürlich weiter stark, aber sie müssen höhere Steuern zahlen.

Die braucht der Staat schließlich, um weiter zu funktionieren. Damit ist bei Wagenknecht und Co. keineswegs nur (was immerhin richtig wäre) ein Ausbau von Bildung, Gesundheitswesen oder Infrastruktur gemeint.

Auch wenn sich Wagenknecht gern als Friedensengel hinstellt, so ist sie eine realistische „Pazifistin“. Deutschland brauche natürlich eine leistungsfähige, verteidigungsbereite Bundeswehr, erklärt sie in zahlreichen Interviews. Das Problem an der Kriegstreiberei der aktuellen Bundesregierung besteht für sie nicht darin, die eigene Armee aufzurüsten, sondern sich in Kriege zu verwickeln, die Deutschland schaden würden.

Auch wenn das Gründungsmanifest des BSW zu Recht die Aufrüstung der NATO anprangert, so bleibt es vollkommen utopisch. Schließlich muss auch in der Welt des BSW der Weltfrieden irgendwie garantiert werden. Aber wie? Inmitten des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt zwischen imperialistischen Mächten strebt es eine „neue Ära der Entspannung und neue Verträge über Abrüstung und gemeinsame Sicherheit an“. Die imperialistische Ordnung soll – ganz wie der Kapitalismus – nicht bekämpft, sondern nur reguliert werden – und zwar vorzugsweise von jenen Mächten, die heute die Welt dominieren.

Deutschland soll dabei aktiv mitmischen, ja voranschreiten. So erfahren wir vom BSW: „Europa benötigt eine stabile Sicherheitsarchitektur.“ Natürlich mit Bundeswehr. Diese hätte schließlich den „Auftrag, unser Land zu verteidigen. Für diese Aufgabe muss sie angemessen ausgerüstet sein.“

Abschottung nach außen

Doch mit der Anerkennung der Bundeswehr nicht genug. Wagenknecht fordert Investitionen für alle anderen Repressionsorgane und -institutionen – für „unsere“ Polizei, „unsere“ Gefängnisse, „unsere“ Frontex-Kräfte und Abschiebebehörden. Racial Profiling von Migrant:innen oder Schikanieren von Jugendlichen durch Cops? All das gibt es in der Welt des Links-Konservativismus allenfalls als Marginalie. Die Einzelfälle lassen grüßen.

So wie Wagenknecht den von Rassismus, Sexismus oder Transphobie Betroffenen und anderen gesellschaftlich Unterdrückten den Rücken kehrt, so wie sie von der Ausbeutung der Arbeiter:innenklasse durch das gesamte Kapital – inklusive des sog. Mittelstandes – nichts wissen will, so verschwindet für sie auch der Klassencharakter des bürgerlichen Staates.

Für die einstige Marxistin ist dieser längst kein Herrschaftsinstrument des Kapitals mehr, sondern eigentlich der Gipfel menschlicher Zivilisation. Wo der Staat keinen Klassencharakter mehr hat, verschwindet folgerichtig auch der deutsche Imperialismus.

Imperialistisch sind allenfalls die anderen – sicherlich die USA, wohl auch China, vielleicht sogar Russland. Deutschland droht in Wagenknechts Weltsicht, unter die Räder zu kommen, ja abhängig zu werden, weil es die eigenen Unternehmen nicht ausreichend fördert und schützt. Während die Großkonzerne Teile der Produktion ins Ausland verlagern und so den Standort schwächen, drohen die „kleinen“, also die Mittelständer:innen, die auch mehrere Tausend Arbeiter:innen ausbeuten, einzugehen.

Wenn Wagenknecht ein düstereres Bild des deutschen Kapitalismus zeichnet, geht es ihr natürlich nicht um dessen Kritik, sondern Rettung. Die Bundesregierung, so ihr, der AfD nicht ganz unähnlicher Vorwurf, fahre unsere Wirtschaft „an die Wand“. Sie habe versagt, es brauche eine/n andere/n Arzt/Ärztin am Krankenbett der Marktwirtschaft, eine/n, der/die Staat, Unternehmen und nebenbei auch noch die Lohnarbeit rettet. Dazu wären Regierung, Unionsparteien, aber auch die AfD nicht imstande. Dazu brauche es Wagenknechts rettende links-konservative Partei.

Deutschland-Retterin im Wartestand

Mehr noch als die reformistische Linkspartei bietet Wagenknecht eine neue links-konservative Partei als Rettung aller Klassen an. Und sie bedient dabei durchaus eine reale Stimmung. Der rechtspopulistischen AfD will sie eine (links)populistische Alternative entgegensetzen. Ob dies gelingt, ist zweifelhaft.

Es ist aber bezeichnend für den Charakter eine möglichen Wagenknecht-Partei, woher ihre potentiellen Wähler:innen kommen würden. In verschiedenen Umfragen wird einer solchen Partei ein Potential bis zu 25 % zugerechnet, was jenen Menschen entspricht, die sich vorstellen könnten, eine solche Gruppierung zu wählen. Ob sie das gegebenenfalls wirklich tun würden, ist eine andere Frage, aber die Herkunft dieses Potentials ist dennoch von Interesse.

Im Artikel „Wo liegt das Potenzial einer Wagenknecht-Partei?“ verweist Carsten Braband auf eine Studie des Instituts Kantar vom Februar 2023. Dieser zufolge kämen 15 % der potentiellen Wähler:innen von der Linkspartei, 3 % von den Grünen, 12 % von der SPD, also insgesamt nur 28 %. Die überwältigende Mehrheit des Wähler:innenpotentials rekrutiere sich aus  bürgerlichen und rechten Parteien: FDP: 8 %, CDU/CSU: 22 %, AfD 41 %!

Diese Zahlen sind zwar auch für DIE LINKE bedrohlich, weil sie angesichts ihres maroden Zustandes das endgültige parlamentarische Aus der Partei herbeiführen könnten. Aber entscheidend ist, dass Wagenknecht in der AfD ihr größtes Wähler:innenreservoir vorfindet, gefolgt von den Unionsparteien!

Die Anhänger:innen von Wagenknecht betrachten das als eine Bestätigung ihrer Rolle als Bürgerinnen- und Rechten-Schreck. Doch warum spricht sie gerade diese Wähler:innen an? Ganz einfach. Sie verspricht einerseits eine gewisse soziale Sicherheit, die CDU/CSU und auch die AfD nicht ganz so überzeugend zu vermitteln vermögen. Vor allem aber signalisieren ihre Anhänger:innen: Reaktionäre Einstellungen, Rassismus, Nationalismus, Sexismus, Transphobie – all das ist für Wagenknecht und Co. kein Problem, ja es erscheint ihnen geradezu als Erfolgsgarant. Indem man konservative und traditionelle „Werte“ zu Familie, Ehe, Migration akzeptiert und sich selbst zu eigen macht, würde man die Anhänger:innen der AfD mittels Sozialstaatsversprechen wieder für eine vorgeblich „linke“ Politik zurückgewinnen.

Das ist nicht nur spalterisch gegenüber den Lohnabhängigen und reaktionär, es ist auch dumm und kurzsichtig. Die letzten Jahre haben in zahlreichen europäischen Ländern gezeigt, dass gerade die rassistischen Zugeständnisse gegenüber den Rechten ihnen nicht das Wasser abgegraben, sondern diese bestärkt haben. Und so wird es auch hier laufen. Die Ideologie des Links-Konservativismus ist letztlich Wasser auf den Mühlen der AfD – nicht umgekehrt.

Wagenknecht begeht hier im Grunde einen ähnlichen fatalen Fehler wie die Regierungssozialist:innen in der Linkspartei. Während sich diese mehr und mehr den grünen und sozialdemokratischen Parteien anpassen und dabei immer offener die demokratisch verbrämte imperialistische Politik Deutschlands verteidigen, passt sich Wagenknecht an die rechten, konservativen und reaktionären kleinbürgerlichen Gegner:innen dieser Politik an. Ihr Programm und ihre Partei sind nicht Teil der Lösung der Krise der Arbeiter:innenbewegung, sondern ein mögliches neues, populistisches Hindernis.

Statt reformistisch eingehegter, im Grunde bürgerlicher Arbeiter:innenpolitik, die immerhin noch den Klassengegensatz formal berücksichtigt, kennt die neue Partei keine Klassen. Das Großkapital wird nicht als Kapital kritisiert, sondern der Verzerrung des Wettbewerbs angeklagt, der eigentlichen Quelle allen Übels.

Daher stellt es den Monopolen und insbesondere den ausländischen Großkonzernen die Einheit des „Volkes“, vom mittleren und kleinen Unternehmen bis zum/r prekär Beschäftigten entgegen. Von einer „richtigen“ Wirtschaftspolitik könnten dann alle profitieren, vorausgesetzt, der Staat würde sich um die „wirklichen Menschen“ und nicht um „Randgruppen“ kümmern und auch die Zahl der Menschen auf ein „vernünftiges“ Maß durch effektive Einreiserestriktionen begrenzen.

Diese Weltsicht, diese politische Heilserwartung entspricht der „Vernunft“, genauer der Klassenlage, deutscher Kleinbürger:innen und Mittelschichten. Links und oppositionell ist daran – nichts.




Wagenknechts neue Partei: Alle für „unser Land“?

Martin Suchanek, Infomail 1234, 23. Oktober 2023

„Unser Land ist in keiner guten Verfassung.“ So beginnt das Gründungsmanifest des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW), das allen „Wirtschaftliche Vernunft“, „Soziale Gerechtigkeit“, „Frieden“ und „Freiheit“ verspricht. Schließlich verdiene „unser Land“ „eine selbstbewusste Politik, die das Wohlergehen seiner Bürger in den Mittelpunkt stellt“.

Und diese versprechen Wagenknecht und 15 weitere Abgeordnete und Politiker:innen der Linkspartei, die mit dem offenen Brief „Warum wir Die Linke verlassen“ ihren Austritt aus der Partei erklären. Die 16 hätten immer wieder argumentiert, „dass falsche Schwerpunkte und die fehlende Konzentration auf soziale Gerechtigkeit und Frieden das Profil der Partei verwässern.“ Ihre Positionen hätten keinen Platz mehr in der Partei gefunden.

Vorweg: Begriffe wie Kapitalismus, Imperialismus, Sozialismus, Arbeiter:innenklasse, Klassengesellschaft oder links kommen im Gründungsmanifest des „Bündnis Sahra Wagenknecht“, das am 23. Oktober auf der Bundespresskonferenz vorgestellt wurde, erst gar nicht vor.

Wirtschaft

Dafür gibt der Text einen Vorgeschmack, wohin die Reise politisch und programmatisch gehen soll: „Mehr Innovation, Bildung und bessere Infrastruktur. Für eine starke und innovative Wirtschaft“ – so die Überschrift des ersten von vier Schwerpunktthemen.

Darin wird ein Zeichen des Niedergangs „unserer“ Wirtschaft präsentiert, wie es auch von jeder anderen Partei im Bundestagspartei kommen könnte, ob nun AfD, CDU/CSU oder der Ampel. Die Rahmenbedingungen für Industrie und Mittelstand hätten sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert, beklagt das BSW.

Woran liegt es? „Von Konzernen beeinflusste und gekaufte Politik und das Versagen der Kartellbehörden haben eine Marktwirtschaft geschaffen, in der viele Märkte nicht mehr funktionieren.“ Und die Lösung? Echter, also fairer Wettbewerb, wie es ihn angeblich mal unter Ludwig Erhard und Willi Brandt gegeben hätte.

„Wir streben eine innovative Wirtschaft mit fairem Wettbewerb, gut bezahlten sicheren Arbeitsplätzen, einem hohen Anteil industrieller Wertschöpfung, einem gerechten Steuersystem und einem starken Mittelstand an. Dafür wollen wir Marktmacht begrenzen und marktbeherrschende Konzerne entflechten. Wo Monopole unvermeidlich sind, müssen die Aufgaben gemeinnützigen Anbietern übertragen werden.“

Dass die Konkurrenz selbst zur Zentralisation und Konzentration des Kapitals führen muss, davon will die ehemalige Marxistin Wagenknecht längst nichts mehr wissen. Statt dessen folgt der Griff in die Mottenkiste des kleinbürgerlichen Antimonopolismus, der hofft, mit staatlichen Regulierungen die Entwicklungsdynamik des Kapitals lenken zu können. Es handele sich um eine Wirtschaftspolitik, in deren Zentrum der vorzugsweise deutsche Mittelstand stehe: „Wir brauchen Zukunftsfonds zur Förderung innovativer heimischer Unternehmen und Start-ups und nicht Milliardensubventionen für Konzerne aus Übersee.“ Gegen staatliche Förderungen des Privatkapitals ist also nichts weiter einzuwenden, solange es nicht aus Übersee kommt, sondern deutsch und innovativ ist.

Soziale Gerechtigkeit

Auf der Stärke der heimischen Industrie und des privaten Mittelstandes würden laut BSW „mehr Solidarität, Chancengleichheit und soziale Sicherheit“ fußen, die in einem „starken gesellschaftlichen Zusammenhalt“ münden sollen.

Eine hochproduktive Wirtschaft brauche schließlich gut bezahlte, hoch motivierte Arbeitskräfte mit sicheren Arbeitsbedingungen, guter Infrastruktur und Sozialstaat. Solcherart könne der „soziale Zusammenhalt“ garantiert werden, denn schließlich hätten alle – Unternehmen wie Beschäftigte – etwas davon. Denn: „Unser Ziel ist eine faire Leistungsgesellschaft mit echter Chancengleichheit und einem hohen Grad an sozialer Sicherheit.“ Schließlich dürfe der persönliche Wohlstand „keine Frage der sozialen Herkunft“, „sondern muss das Ergebnis von Fleiß und individueller Anstrengung sein.“ Das Märchen vom Tellerwäscher, der es zum Millionär bringen könnte, darf natürlich beim BSW nicht fehlen.

Freiheit

Wenn alle in der echten deutschen Marktwirtschaft ihr gutes Auskommen haben, würde es schließlich auch mit der Freiheit wieder richtig klappen, verspricht der Abschnitt „Verteidigung der persönlichen Freiheit. Für die Stärkung unserer Demokratie“.

Dann wäre endlich Schluss mit „Cancel Culture, Konformitätsdruck und der zunehmenden Verengung des Meinungsspektrums“. Allerdings nicht für alle: Zuwanderung und Migration müssten schließlich begrenzt werden, denn die Freiheit, die das BSW verspricht, gibt es nur für jene, die dem deutschen Sozialstaat zumutbar sind. „Das gilt aber nur, solange der Zuzug auf eine Größenordnung begrenzt bleibt, die unser Land und seine Infrastruktur nicht überfordert, und sofern Integration aktiv gefördert wird und gelingt.“ Und – daran lässt Sahra Wagenknecht schon lange keinen Zweifel mehr – dieser Punkt sei längst überschritten und daher stimmt die neue vorgebliche Oppositionspartei gleich in den Chor all jener ein, die praktisch täglich neue rassistische Gesetzesverschärfungen fordern.

Frieden

Bleibt noch der Ruf nach einem „neuen Verständnis der Außenpolitik“ in der Tradition von Willi Brandt und Michail Gorbatschow. Das BWS gibt sich betont pazifistisch: „Die Lösung von Konflikten mit militärischen Mitteln lehnen wir grundsätzlich ab.“ Ob imperialistische Intervention, Verteidigung des nationalen Selbstbestimmungsrechts – für BWS ist alles gleichermaßen schlecht.

Auch wenn es zu Recht die Aufrüstung der NATO anprangert, so bleibt sein Programm vollkommen utopisch. Schließlich muss auch in der Welt des BSW der Weltfrieden irgendwie garantiert werden. Aber wie? Inmitten des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt zwischen imperialistischen Mächten strebt es eine „neue Ära der Entspannung und neue Verträge über Abrüstung und gemeinsame Sicherheit an“. Die imperialistische Ordnung soll – ganz wie der Kapitalismus – nicht bekämpft, sondern nur reguliert werden – und zwar vorzugsweise von jenen Mächten, die heute die Welt dominieren.

Deutschland soll dabei aktiv mitmischen, ja voranschreiten. So erfahren wir vom BSW: „Europa benötigt eine stabile Sicherheitsarchitektur.“ Natürlich mit Bundeswehr. Diese hätte schließlich den „Auftrag, unser Land zu verteidigen. Für diese Aufgabe muss sie angemessen ausgerüstet sein.“

Soziale Marktwirtschaft als Heilsversprechen

So endet das BSW bei den Heilsversprechen der „sozialen Marktwirtschaft“. Es bleibt im Grunde sogar weit hinter den Formulierungen der alten Sozialdemokratie oder von Teilen der Linkspartei wie der Bewegungslinken zurück, die über Verstaatlichungen oder „Vergesellschaftung“ eine langwierige Transformation zu einer neuen Gesellschaft versprachen oder versprechen. Selbst von diesen reformistischen Sonntagsreden will das BSW nichts wissen. Es setzt vielmehr auf echten, fairen Wettbewerb, damit der „Mittelstand“ endlich wieder Deutschland voranbringt.

Statt reformistisch eingehegter, im Grunde bürgerlicher Arbeiter:innenpolitik, die immerhin noch den Klassengegensatz formal berücksichtigt, kennt die neue Partei keine Klassen. Das Großkapital wird nicht als Kapital kritisiert, sondern der Verzerrung des Wettbewerbs angeklagt, der eigentlichen Quelle allen Übels.

Daher stellt es den Monopolen und insbesondere den ausländischen Großkonzernen die Einheit des „Volkes“, vom mittleren und kleinen Unternehmen bis zum prekär Beschäftigten entgegen. Von einer „richtigen“ Wirtschaftspolitik könnten dann alle profitieren, vorausgesetzt, der Staat würde sich um die „wirklichen Menschen“ und nicht um „Randgruppen“ kümmern und auch die Zahl der Menschen auf ein „vernünftiges“ Maß durch effektive Einreiserestriktionen begrenzen.

Dieses Weltsicht, diese politische Heilserwartung entspricht der „Vernunft“, genauer der Klassenlage, deutscher Kleinbürger:innen und Mittelschichten. Links und oppositionell ist daran – nichts.




Linkspartei: Die Bewegungslinke als Retterin in der Not?

Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 276, September 2023

Es ist wie ein Unfall, bei dem man nicht wegsehen kann, oder Gossip Girl im Real Life: die Krise der Linkspartei. Seit Beginn des Jahres hat sich die Situation stetig zugespitzt.

Mitte März gab Wagenknecht ein Interview bei ZDFheute, in dem sie erklärte, über die Gründung einer neuen Partei nachzudenken. Nachvollziehbar fand das der aktuelle Parteivorstand weniger unterhaltsam – nach mehreren offenen inhaltlichen Abweichungen von Positionen der Parteitage und nach Veröffentlichung des Buches „Die Selbstgerechten“, was als Gegenprogramm zur eigenen Partei gelesen werden kann.

Es folgte am 25. Juni ein Treffen von Wissler, Schirdewan und Wagenknecht mit Amira Mohamed Ali und Bartsch als Vermittler:innen, bei dem Wagenknecht eine Frist gesetzt wurde.

Dies wurde ihrerseits mit einem weiteren Interview, diesmal für Die Welt, beantwortet. Der Parteivorstand verabschiedete daraufhin Mitte Juni einen Brief mit einem Appell, dass jene, die darüber nachdenken, eine neue Partei zu gründen, ihr Mandat niederlegen sollten. Das ist sicher nachvollziehbar, denn welche Partei will schon die Neugründung ihrer Konkurrenz aus eigenen Mitteln finanzieren? Somit ging die öffentliche Schlammschlacht in die nächste Runde.

Die Fraktionsvorsitzende Mohamed Ali trat Anfang August zurück und Klaus Ernst stellte nach 15 Jahren Mandat fest, dass es Leute in der Partei gibt „deren Kontakt zur Arbeit sich darauf beschränkt, dass sie mal als Schüler oder Student ein Regal bei Aldi eingeräumt haben“. Der Parteivorstand wäre „eine große Truppe politikunfähiger Clowns in der Partei“. Kurzum: Die Grabenkämpfe verschärfen sich und die Stimmen, die nach Einheit rufen wie Gysis oder Pellmanns, wirken nur noch unfreiwillig komisch. Denn es ist mittlerweile klar, dass es so nicht weitergehen kann und ein Parteitag zur „,Verständigung und Versöhnung’ der verschiedenen ‚Lager’“, wie es der Leipziger Verband vorschlägt, nichts richten kann.

Seit der Bundestagswahl haben rund 8.000 Mitglieder die Partei verlassen. Bei einem offenen Bruch der Wagenknecht-Anhänger:innen wird noch ein Teil mitgehen, der sich rund um #aufstehen oder die Populäre Linke formiert hat.

Von den Landtagswahlen in Bayern erhofft man in der Regel nicht viel, daher spielt das Resultat für die Zukunft der Partei keine große Rolle. Doch Hessen konnte in der Vergangenheit auch Wahlerfolge erzielen. Daher kommt den zu erwartenden Verlusten Bedeutung zu. Der öffentliche Zersetzungsprozess hilft natürlich recht wenig im Wahlkampf, zum anderen ist der hessische Landesverband seit dem #linkemetoo ohnedies nicht bestens aufgestellt.

Das Problem ist Folgendes: Auch wenn Schirdewan und Wissler jetzt konsequent erscheinen wollen und harte Kante gegenüber Wagenknecht zeigen, so ist die Partei seit Jahren in einer Krise. Wagenknecht macht dies, Wagenknecht sagt das, Wagenknecht geht – die politischen Debatten um die inhaltlichen Fragen werden dabei medial um sie fokussiert. Das scheint die Debatte zu entpolitisieren. Eine inhaltliche Abgrenzung erfolgt zwar teilweise, aber auch nur indirekt, beispielsweise durch die Vorschläge für die Kandidat:innen zur Europawahl. Trotzdem bleibt es dabei: Darauf zu warten, dass Sahra geht, bedeutet für die, die bleiben, eine Schwächung ihrer eigenen Position. Doch wenn Wagenknecht geht, wird zwangsläufig die Frage aufgeworfen: Was machen die Hinterbliebenen? Und wer bleibt überhaupt?

Wer bleibt?

Denn es gibt sie. Die Leute, die weitermachen wollen. Die glauben, dass die Partei zu retten ist, und Hoffnung hegen. Bisher am deutlichsten dazu bekannt haben sich Anhänger:innen der Bewegungslinken, die seit den letzten beiden Parteitagen auch zahlreich im Vorstand der Partei vertreten sind. Sie planen ihrerseits eine „Zukunftskonferenz“, bei der ganze 350 Leute teilnehmen können. Nach diversen internen Regionalkonferenzen versuchen sie, die Grundlage für einen „Neustart“ in die Wege zu leiten.

Natürlich werden auch die Regierungssozialist:innen bleiben, denn schließlich sind sie – und nicht der Vorstand – neben der Parlamentsfraktion das eigentliche Machtzentrum der Partei. Beiträge zur Debatte liefern sie wenig bis keine. Weder Bodo Ramelow noch Klaus Lederer lassen vernehmen, was sie eigentlich von der Krise der Partei halten und wie beziehungsweise wo sie ihre eigene Zukunft sehen. Das haben sie aber auch nicht nötig, denn ihre Regierungspolitik wird von der Bewegungslinken nicht in Frage gestellt (und sie wurde es auch nicht von den Wagenknecht-Leuten).

So kommt es, dass seit rund 1,5 Monaten die Debattenseiten brodeln und vornehmlich Ideen aus dem linken Flügel diskutiert werden, ob bei luXemburg, Jacobin, dem nd oder den Kommentarspalten der sozialen Medien. Die Ideen sind dabei vielfältig. Da mit der Partei fast nichts möglich scheint, kann auch jede/r eigene Utopien mit zum Besten geben. So formuliert Thomas Goes den Wunsch nach einer neuen ökologischen Arbeiter:innen- und Volkspartei, Ulrike Eifler fordert, dass sich DIE LINKE mehr auf Gewerkschaften zu fokussieren hätte. Thies Gleiss spricht von der Notwendigkeit des Neustarts durch die Einbindung der Basis und Abschaffung von Posten.

Die Linke und der Neustart?

Die beiden bekanntesten Texte sind wohl der erste Aufschlag von Mario Candeias „Linke Krise und Neubeginn“ sowie die Antwort von Ines Schwerdtner und Michael Brie „Für eine konstruktive Erneuerung der Partei DIE LINKE“.

Candeias beginnt damit, dass sich DIE LINKE gesamtgesellschaftlich in der Defensive befindet. Dieser Zustand würde ein Jahrzehnt anhalten und verursacht durch eine „innergesellschaftliche Polarisierung zwischen den Trägern einer grün-liberalen Modernisierung und den autoritären Verteidigern einer fossilistischen Lebensweise“.

Hochgestochene Worte, die nichts anderes heißen als eine Zunahme der Zersplitterung und Fragmentierung innerhalb der Flügel des bürgerlichen Lagers anhand der Klimakrise. So weit so gut. Es ist letztlich eine Stärke des Texts, sich zuerst mit den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen auseinanderzusetzen, um daraus Schlüsse für die kommende Zeit abzuleiten.

Neben der Fragmentierung des bürgerlichen Lagers, der Defensive der Linken darf die zunehmende Krisenhaftigkeit nicht fehlen. Auch wenn dies alles richtige Punkte sind, so muss man diese eher aus den Thesen herausfiltern. Verloren geht dabei das Verhältnis der unterschiedlichen Problematiken zueinander, was dann letzten Endes dazu führt, dass die Krise der Partei recht unspektakulär in der 2. These heruntergebrochen wird:

„Ursächlich für die Krise der Partei war auch, dass politische Konfliktlinien und Widersprüche sich mit Fragen innerparteilicher Macht und des Kampfes um Ämter und Positionen verwickelten. Es geht um eine Neuordnung des Parteiensystems, sowohl zwischen den Parteien wie auch in ihrem Inneren. Besonders zugespitzt trifft es jene, bei denen der reale Wille zur Macht angesichts von Wahlergebnissen und Umfragen nicht mehr als Kitt zwischen den Strömungen und Flügeln wirkt. Dann schlägt die mediale Dynamik zu, die eben solche Differenzen zu mächtigen Gegensätzen werden lässt, in denen einzelne sich gegen die Partei profilieren und die Zentrifugalkräfte die Partei auseinandertreiben.“

Diese Aussage bringt gleich mehrere Probleme mit sich. Zum einen stellt sie den Machtkampf zwischen den politischen Flügel um Ämter als Problem besagter Posten dar. Auch wenn die Art und Weise, wie die Ämter in der Linkspartei gestaltet sind, problematisch ist (und sinnvoll durch Thies Gleiss kritisiert wurde), so ist es doch nur logisch, dass jede politische Strömung versucht, den eigenen Einfluss zu stärken.

Das heißt: Das grundlegende Problem besteht viel eher darin, dass die inhaltlichen Differenzen zu groß sind und sich dementsprechend die Partei im internen Machtkampf jahrelang selber blockiert hat. Die Fliehkräfte, die dabei entstehen, werden durch die Medien (und mangelnde Parteidisziplin) verschärft, aber nicht, wie im Folgenden behauptet, erst durch die Medien verursacht.

Nicht sie sind es, die Differenzen zu mächtigen Gegensätzen ausarten lassen, sondern die inhaltlichen Punkte an sich. Denn zwischen Regieren und Nicht-Regieren, offenen Grenzen und Abschottung, Militarismus, Pazifismus und Internationalismus kann man letztlich keine Kompromisse herbeireden und versuchen, ihre friedliche Koexistenz herbeizuzaubern. Spätestens wenn diese Fragen praktisch gestellt werden, fliegt die „Einheit“, die nie eine war, auseinander. Das Problem der Linkspartei ist nicht, dass jetzt Wahlniederlagen und mangelnde Machtoptionen, also Regierungsämter, die Partei auseinandertreiben. Die reformistische Partei war vielmehr schon immer auf der Unvereinbarkeit des Unvereinbaren aufgebaut – Regierung und „Opposition“ gleichzeitig sein zu wollen. Richtig an Candeias’ Bemerkung ist letztlich nur, dass sich die inneren Gegensätze leichter kitten lassen, wenn die Partei elektoral erfolgreich ist, wenn also alle Seiten ihren Anteil am Erfolg und den Pfründen, die damit einhergehen, erhalten können.

Das eigentlich „Neue“ ist letztlich bloß die Einschätzung, dass auf das „linkskonservative Spektrum um Sahra Wagenknecht keine Rücksicht mehr genommen werden (muss) – von ihr selbst erklärt, haben wir bereits eine Situation Post-Wagenknecht.“

Zu wirklichen Ideen der Erneuerung treibt das aber nicht. So heißt es unter anderem in These 2: „Solidaritätsinitiativen können wichtige Ausgangspunkte dafür sein. Im besten Falle gesellen sich dazu Enklaven eines rebellischen Regierens in Städten und Räumen, in denen es der Linken gelingt, relative Mehrheiten zu organisieren und gesellschaftliche Bewegungen, Organisierung und institutionelle Politik in ein produktives Verhältnis zu bringen.“

Dies ist nichts anderes als Gramscis Konzept des Stellungskrieges, reformistisch neu aufgewärmt, verbunden mit einer klaren Ansage, dass Regieren auf jeden Fall möglich sein sollte. Kritiker:innen fragen sich an dieser Stelle zu Recht: Wo ist dann der Unterschied zur bisherigen Politik und Strategie? Denn die Phrase des rebellischen Regierens wurde auch fleißig in Berlin verwendet, wo dann durch die Berliner Linkspartei der Volksentscheid zu Deutsche Wohnen & Co enteignen erfolgreich verschleppt wurde – aus Angst, die Koalition zu sprengen, die Posten zu verlieren und in Opposition für die Verbesserungen der Klasse zu kämpfen. Besonders viel hat das nicht gebracht. Aber gut, man konnte die Umfragewerte auch immer auf den Zustand der Bundespartei schieben.

Candeias redet auch nicht unmittelbar von der Notwendigkeit des Sturzes des Kapitalismus, sondern formuliert nur den alten Gedanken des reformistischen Gradualismus neu, indem er den Sozialismus zur weit entfernten Zukunftsvision erklärt:  „Dazu gehört, eine Perspektive offenzuhalten, die an einem Ende des Kapitalismus arbeitet, an einer solidarischen Gesellschaft“. Dazu gehört die langsame Transformation durch „selbstverständliche Dinge“ wie kostenlose Gesundheitsvorsorge, bezahlbaren Wohnraum oder „demokratische Mitsprache, die etwas bewegt“. Die Bewegung ist – wie schon bei Bernstein – alles, das Ziel ein schöner Trost, also nichts.

Die Partei soll dadurch gerettet werden, dass man inhaltlich weitermacht wie bisher. Aber – und das ist jetzt die „Neuerung“ – es brauche eine disruptive Neugründung. Wem der Begriff jetzt nichts sagt, der/die braucht sich nicht dumm zu fühlen. Vielleicht könnte man auch einfach meinen, dass der Begriff an sich nicht sinnvoll gewählt ist. In der Praxis heißt das laut Candeias ein „umgekehrter Weg von #aufstehen, vergleichbar eher mit Momentum in Großbritannien: Es wird eine Struktur für Aktive, Gewerkschafter*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen geschaffen, die nicht Teil der Partei sein wollen (oder können) und sich dennoch in eine verbindliche Unterstützungsstruktur einbringen wollen.“ Denn sobald die „mediale Diskursdynamik“ einsetzt, hat man eh nur zwei Wege: diese Form der Neugründung nach Corbyn oder die Gründung einer neuen Organisation wie Podemos in Spanien. Es geht also nur um einen Imagewechsel, damit man nicht als Verlierer:innen dasteht, wenn Wagenknecht geht. Das ist zwar ein reales Problem, was sich aus der mangelnden Politisierung des Bruchs heraus ergibt, löst aber die Kernprobleme nicht, sondern sorgt allenfalls dafür, dass Aktivist:innen getäuscht und letztlich enttäuscht werden.

Drei Gespenster gehen um

Eine Antwort auf den Beitrag ließ nicht lange auf sich warten. Die wohl bekannteste stammt von Ines Schwerdtner und Michael Brie. Während ihre Kritik an Candeais nur mäßig ist, werfen sie im zweiten Abschnitt ihres Textes zentrale Fragen auf.

Ihr Gegenmodell zur disruptiven Neugründung ist die „konstruktive Erneuerung“. Damit diese erfolgreich ist, müssen ihrer Meinung nach mehrere Fragen diskutiert werden:

„Eine solche konstruktive Erneuerung der Partei DIE LINKE verlangt, dass Richtungsentscheidungen getroffen werden. […] Es geht erstens um Inhalte, zweitens den Politikstil und drittens die Führungsfähigkeit in einer aktiven Mitgliederpartei, es geht um das Was, es geht um das Wie und es geht um das Wer. […] Die erste Entscheidung, die die Partei DIE LINKE treffen muss, ist die nach ihrer Funktion. Was will sie sein: Will sie der soziale Flügel des herrschenden Parteienblocks von Grünen und SPD bis FDP und CDU/CSU sein, oder will sie einen eigenen parteipolitischen Pol einer Politik repräsentieren?“

Diese Feststellungen mögen banal scheinen, doch wer längere Zeit in der Partei oder ihrem Umfeld verbracht hat, weiß, dass das die Fragen sind, die DIE LINKE seit Jahren umtreiben. Ohne klare Aussage zur Regierungsbeteiligung, wer das Subjekt der Veränderung ist, oder zum Verständnis des bürgerlichen Staates kommt es unweigerlich immer wieder zu den Flügelkämpfen, wie oben bereits ausgeführt.

Ebenso der 2. Punkt: „Die zweite Entscheidung betrifft den Typus von Politik. Es geht um das Wie: Soll Politik – und sei es die richtige – verordnet werden oder aus demokratischen Prozessen und der Selbstermächtigung der Betroffenen hervorgehen?“ Kritischer zu sehen ist jedoch die im Anschluss aufgestellte These: „Sozialistische Klassenpolitik bedeutet, die Fragen ausgehend von den Lohnabhängigen zu stellen, ihre Lage, ihre Sichtweisen, ihren Stolz auf die eigene Leistung, ihre Ansprüche auf Selbst- und Mitbestimmung zum Ausgangspunkt zu nehmen. Die Gewerkschaften sind dabei der wichtigste gesellschaftliche Partner. Zugleich ist linke Politik nur dann möglich, wenn sie dazu beiträgt, dass Klimabewegung, Friedensbewegung, feministische, antirassistische und antifaschistische Bewegungen sich aktiv in die sozialen Kämpfe einbringen und sie gemeinsam prägen. Eine wirklich linke Partei ist vor allem der politischen Vertretung der Lohnabhängigen im weitesten Sinne verpflichtet und hat die Aufgabe, dies mit Projekten des solidarischen Umbaus der Gesellschaft mit sozialistischem Ziel zu verbinden. Das ist radikale, transformatorisch orientierte Realpolitik im Sinne von Rosa Luxemburg.“

Auch hier treten zwei Probleme auf: Während es richtig ist, dass es Aufgabe einer revolutionären Organisation ist, zentrale Fragen seitens der Lohnabhängigen aufzuwerfen, muss auch dazu gesagt werden, dass es ihre Aufgabe ist, eine Perspektive zu zeigen, wie die jeweiligen Fragen positiv beantwortet werden können. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass man nicht immer das gegebene Bewusstsein als Ausgangspunkt nehmen kann und auch manchmal Bewegung initiieren muss, wenn es keine gibt. So wäre es beispielsweise notwendig gewesen, während der Coronapandemie nicht nur auf dem Balkon zu stehen und zu klatschen, sondern praktische Initiativen zu setzen wie eine Solidaritätskampagne für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege, die im Kern aufzeigt, warum Reproduktionsarbeit im Kapitalismus immer schlechter bezahlt wird. Darüber hinaus kann man vieles über Rosa Luxemburg sagen, sie aber als Ausgangspunkt für „radikale, transformatorisch orientierte Realpolitik“ zu nehmen, stellt eine komplette Verkehrung ihrer Theorie und Praxis dar. Dies wird spätestens da ersichtlich, wo man sich ihr Staatsverständnis anschaut, das nicht darauf hindeutet, dass man sich an realpolitischen Fragen dauerhaft abarbeiten sollte. In ihrer Polemik gegen Bernstein bringt Luxemburg bekanntlich das Verhältnis von Reform und Revolution auf den Punkt:

„Die gesetzliche Reform und die Revolution sind also nicht verschiedene Methoden des geschichtlichen Fortschritts, die man in dem Geschichtsbuffet nach Belieben wie heiße Würstchen oder kalte Würstchen auswählen kann, sondern verschiedene Momente in der Entwicklung der Klassengesellschaft, die einander ebenso bedingen und ergänzen, zugleich aber ausschließen, wie z. B. Südpol und  Nordpol, wie Bourgeoisie und Proletariat.

Und zwar ist die jeweilige gesetzliche Verfassung bloß ein Produkt der Revolution. Während die Revolution der politische Schöpfungsakt der Klassengeschichte ist, ist die Gesetzgebung das politische Fortvegetieren der Gesellschaft. Die gesetzliche Reformarbeit hat eben in sich keine eigene, von der Revolution unabhängige Triebkraft, sie bewegt sich in jeder Geschichtsperiode nur auf der Linie und solange, als in ihr der ihr durch die letzte Umwälzung gegebene Fußtritt nachwirkt, oder, konkret gesprochen, nur im Rahmen der durch die letzte Umwälzung in die Welt gesetzten Gesellschaftsform. Das ist eben der Kernpunkt der Frage.“ (Luxemburg, Sozialreform oder Revolution, Luxemburg, Gesammelte Werke 1/1, S. 427f.)

Brie und Schwerdtner hingegen fassen die „Revolution“ letztlich rein reformistisch, als in die Länge gezogene kontinuierliche gesetzliche und soziale Reform auf. Der Klassenkampf zielt nicht auf die revolutionäre Machteroberung der Arbeiter:innenklasse, sondern bildet nur das Druckmittel zur stetigen Reform, die auf wundersame Weise zur Transformation der Gesellschaft führen soll.

So ist es nicht verwunderlich, dass auch der dritte Punkt Bauchschmerzen hervorruft. „Die dritte Entscheidung, die getroffen werden muss, ist die der Herstellung eines strategischen Zentrums, das zugleich die wichtigsten vorhandenen kooperationswilligen Orientierungen in der Partei zusammenführt und in der Lage ist, die oben genannten zwei Aufgaben des Was und Wie überzeugend anzugehen. Es ist diese Aufgabe, die zuerst gelöst werden muss, um endlich überzeugend das Was und Wie linker Politik anzugehen. Es gibt Anzeichen, dass Kräfte in der Linken zunehmend bereit sind, sich dieser Aufgabe gemeinsam zu stellen, doch sie bedingt eine politische Führung, die konstruktiv integrierend agiert.“

Man könnte auch sagen – zuerst brauchen wir eine Führung, dann ergeben sich Strategie und Taktik. Dass diese Auffassung ernsthaft vertreten wird, verweist aber auch darauf, dass die beiden verbliebenen Flügel der Linkspartei – Bewegungslinke und Regierungssozialist:innen – beide fest auf dem Boden des Reformismus stehen, dass beide mit der Formel des „rebellischen Regierens“ einverstanden sind, wobei die Bewegungslinke das Rebellieren, die Ramelows und Lederer das Regieren übernehmen. Die Aufgabe des „strategischen Zentrums“ besteht dann vor allem darin, die Politik der beiden Flügel, Parlamentarismus und Protestbewegung, zu vermitteln.

Reformismus reloaded?

Aus den Debattenbeiträgen zeichnet sich ab: Es gibt ein Bewusstsein, dass die Krise der Linkspartei weit tiefer geht als Sahra Wagenknecht. Zugleich wird jedoch auch deutlich: Weder bei der „disruptiven Neugründung“ noch bei der „konstruktiven Erneuerung“ geht es im eine grundsätzliche Veränderung der Politik der Linkspartei.

Wenn große Worte wie „Arbeiter:innenpartei“ oder „sozialistische Klassenpolitik“ mehr als Phrasen sein wollen, braucht es eine Bilanz der inhaltlichen Orientierung, der programmatischen Grundlagen und Praxis der letzten Jahre. Während Anhänger:innen der vereinenden Flügel mit den Augen rollen werden, so bleiben die Probleme der Linkspartei weiterhin gleich.

Natürlich ist es nicht ausgeschlossen (wenn auch keineswegs gesichert), dass ein reformistischer Neustart eine Zeit lang gelingt und man sich unter einem Label Linke+ vorübergehend retten kann. Doch selbst wenn er DIE LINKE als Partei retten sollte, so werden die Problem, die zu ihrer aktuellen Krise führten, nur in neuer Form wieder auftauchen.

Man sollt sich daher auch nicht der Illusion hingeben, dass Machtkämpfe verschwinden oder Demoralisierung Geschichte wird. Denn was Candeias wie auch Brie und Schwerdtner vorschlagen, ist nur der gleiche Inhalt neu eingekleidet. Ein bisschen radikaler, ein bisschen direkter. Aber wer keine klare Linie aufzeigt, wird sich früher oder später an einem ähnlichen Punkt wiederfinden wie heute, spätestens wenn es darum geht. mitzuregieren oder die Interessen einer Bewegung praktisch zu erkämpfen.

Was ist also die Aufgabe von Revolutionär:innen und Linken innerhalb und außerhalb der Linkspartei?

Erstens muss die aktuelle Debatte mit Inhalten gefüllt werden. Und das heißt, es muss nach der tiefen Existenzkrise der reformistischen Partei grundsätzlich die Frage gestellt werden, welche Partei wir brauchen? Eine reformistische, also auf dem Boden mehr oder weniger „radikaler“ Reformpolitik verbleibende, bürgerliche Partei – oder eine revolutionäre Kampfpartei, deren Ziele die Errichtung der Herrschaft der Arbeiter:innenklasse und die sozialistische Weltrevolution bilden?

Diese Grundsatzfrage müssen sich gerade die Sozialist:innen und Kommunist:innen in um die Partei stellen. Denn auch sie haben in den letzten Jahren keine Politik betrieben, in der Partei den Bruch mit dem Reformismus herbeizuführen, sondern das Elend mehr oder weniger mitverwaltet oder, im Falle von marx21, auch mitgestaltet.

Damit diese Frage nicht bloß auf der Ebene eines Bekenntnisses verbleibt, einer bloßen Überzeugung und Gesinnung, braucht es auch eine Diskussion um ein Aktionsprogramm, das zentrale Fragen des gewerkschaftlichen und betrieblichen Kampfes, der Klima- und Frauenbewegung beantworten kann, aber auch gleichzeitig aufzeigt, wie man dem bürgerlichen Staat und dem Reformismus innerhalb der Arbeiter:innenklasse die Stirn bietet. Vor allem aber muss es eine Brücke von den gegenwärtigen Tageskämpfen zum Kampf für den Sozialismus schlagen.

Um dieses lohnt es sich, in der aktuellen Situation klassenkämpferische Aktivist:innen zu sammeln, die Interesse haben, eine solche Kraft aufzubauen – in dem Wissen, dass man nicht alle anderen mitnehmen kann. Klar, es ist schöner, wenn man größer ist. Es ist bequemer und man kann sich selbst der eigenen Wichtigkeit vergewissern. Doch jene, die auf die Notwendigkeit einer breiten, politisch aber in Grundfragen gespaltenen Linken verweisen, weil man sonst so zersplittert und geschwächt ist, sollten auch beantworten, ob ein sich streitender Haufen, der keine Kämpfe für die Verbesserung der Arbeiter:innenklasse und Unterdrückten praktisch anführt, wirklich so relevant ist, dass man daran festhalten muss. Denn eine andere Welt ist möglich, wenn wir einen Plan haben, wie wir den Kapitalismus zerschlagen können.




Das Phänomen Babler

Alex Zora, Infomail 1226, 13. Juni 2023

Mit diesem Ausgang hatte wohl kaum jemand gerechnet. Nachdem auf dem Parteitag Hans Peter Doskozil vom rechten Parteiflügel noch als Sieger verkündet worden war, musste die Wahlkommission zwei Tage später zugeben, dass sie die Stimmen vertauscht hatte und doch Andreas Babler vom linken Parteiflügel die Mehrheit für sich gewinnen konnte. Viele linke Sozialdemokrat:innen mochten ihr Glück kaum fassen, konnten sie doch einen ersten wichtigen Sieg gegen die Parteibürokratie davontragen. Wie wir in weiterer Folge aber hoffentlich verdeutlichen können, ist die innerparteiliche Auseinandersetzung – trotz aller Appelle zur Einheit – damit noch lange nicht abgeschlossen, sondern steht eigentlich erst am Anfang.

Was davor geschah

Um die aktuellen Ereignisse in der österreichischen Sozialdemokratie zu verstehen, ist es wichtig, einen Blick in die jüngere Vergangenheit zu werfen. Wesentlich hierfür sind die Entwicklungen, die sich innerhalb und außerhalb der Partei seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/16 abspielten. Nach einer anfänglich noch recht zaghaften und abwartenden Politik schwenkte die damalige Bundesregierung unter SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann spätestens im Herbst 2015 auf klar rassistische Antworten um. Sinnbildlich dafür stand die Errichtung eines Grenzzauns an der österreichisch-slowenischen Grenze bei Spielfeld. Recht kurze Zeit später – im Winter 2016 – wurde dann von der SPÖ-geführten Regierung der Kurs weiter verschärft. Es wurde eine Obergrenze für Geflüchtete geschaffen. Damit durfte jährlich nur mehr eine begrenzte Anzahl an Asylsuchenden in Österreich aufgenommen werden. Im März war dann die österreichische Regierung – mit Außenminister Sebastian Kurz – zentral an der Schließung der Fluchtrouten über den Westbalkan beteiligt.

Das alles führte zu großem Unmut in der SPÖ. Der linke Flügel – insbesondere die Jugendorganisationen – begehrte immer offener gegen den rechten Kurs der Parteiführung auf. Gleichzeitig drängte der rechte Parteiflügel auf einen noch stärker rassistischen Kurs und die Öffnung der Bundespartei in Richtung einer Koalition mit der offen rassistischen FPÖ. Der rechte Flügel sammelte sich insbesondere rund um die SPÖ-Burgenland, die schon im Frühling 2015 eine Koalitionsregierung mit der FPÖ eingegangen war. Auf der 1. Mai-Demonstration der SPÖ in Wien krachten dann die Lager offen aufeinander. Die traditionelle Beschwörung der Einigkeit in der Partei wurde dort durch ein Pfeifkonzert während der Rede von Werner Faymann gestört. Das, sowie die Tatsache, dass der SPÖ-Präsidentschaftskandidat Rudolf Hundstorfer im ersten Durchgang der Wahl nur 11,3 % erreichte, führten dazu, dass der Bundeskanzler nur kurze Zeit später seinen Rücktritt verkünden musste.

Nach Faymanns Rücktritt wurde Christian Kern neuer Parteichef. Wir schrieben damals: „Der rechte Flügel und Teile der Gewerkschaftsbürokratie fordern eine Öffnung in Richtung der FPÖ, mit der im Burgenland bereits koaliert wird. Die linken Teile und die Jugendorganisationen stellen sich gegen den rassistischen Kurs der Partei und fordern fortschrittliche Antworten in der sozialen Frage ein. Auch das neue Team an der Parteispitze, das um den ehemaligen ÖBB-Manager Christian Kern aufgezogen wird, kann die existenzielle Krise der SPÖ nicht kaschieren. Sein Auftrag ist die Befriedung der Partei, bisher bringt er aber vor allem seine eigenen Vertrauten in höchste Positionen. Ein Überspielen der Konflikte wird die Krise der Partei nur vertiefen und die Position des linken Flügels, der kämpferischen Gewerkschafter:innen und der Jugendorganisationen weiter untergraben.“ (http://arbeiterinnenstandpunkt.net/?p=2136)

Im Wesentlichen erwies sich unsere Analyse als richtig. Christian Kern schaffte es, die tiefen Widersprüche in der Partei zu übertünchen. Ihm wurde sowohl vom linken wie auch rechten Parteiflügel das Vertrauen ausgesprochen – die Parteijugend sowie alle Bundesländer stellten sich hinter ihn als neuen Parteichef. Das Übertünchen der Differenzen innerhalb der SPÖ wurde aber auch recht bald um einiges einfacher. Nicht einmal ein Jahr lang war Christian Kern Bundeskanzler einer funktionierenden Bundesregierung und mit der Verbannung der SPÖ auf die Oppositionsbank nach der Wahl 2017 war es deutlich einfacher, die Widersprüche der Partei im Zaum zu halten. Auch der linke Flügel konnte sich insbesondere im Widerstand gegen die reaktionäre Politik von ÖVP und FPÖ wieder in der Partei stärken. Diese Perspektive hatten wir 2016 noch unterschätzt.

Mit der Ablösung Christian Kerns durch seine persönlich ausgesuchte Nachfolgerin Pamela Rendi-Wagner im Herbst 2018 änderte sich politisch sehr wenig an der Spitze der SPÖ. Sie stand weiterhin für eine staatstragende Politik (insbesondere auch während der Coronapandemie), die versuchte, die Widersprüche in der SPÖ auszusitzen. Nach dem historisch schlechtesten Abschneiden der SPÖ bei den Nationalratswahlen 2019 zeigte sich im Frühling 2020 dann, wie viel Rückhalt Rendi-Wagner in der SPÖ verloren hatte. Ohne Gegenkandidat:in in der Mitgliederbefragung erreichte sie nur eine Zustimmung von 71,4 %.

Insgesamt zeigte sich der linke Parteiflügel hier auch deutlich kompromissbereiter, es wurde kaum öffentliche Kritik an der Parteiführung geäußert. Anders sah das beim rechten Parteiflügel aus. Insbesondere Hans Peter Doskozil, Landeshauptmann des Burgenlands, schoss sich immer wieder medial gegen Rendi-Wagner ein. Hier spielte in der innerparteilichen Auseinandersetzung sicherlich ein kräftiger Schuss Sexismus mit hinein, doch öffentlich drehte sich die Kritik an der Parteiführung vor allem um die Forderung nach einer reaktionäreren Politik in Bezug auf Geflüchtete und Migrant:innen. Der Ausbruch der Coronapandemie zögerte die Konflikte dann sicherlich noch weiter hinaus, ging es doch darum, sich in dieser komplett neuen Situation erst einmal zu orientieren. Gleichzeitig gab es – vor allem in den ersten Monaten der Pandemie – ein Zusammenrücken der meisten politischen Kräfte im Zuge der Politik der nationalen Einheit im Angesicht der allgemeinen Krise. Die Schwäche der SPÖ unter Pamela Rendi-Wagner zeigte sich letztlich insbesondere in den letzten beiden Jahren sehr deutlich. Trotz der riesigen Verwerfungen der österreichischen Innenpolitik im Zuge der ÖVP-Korruptionsaffären konnte die SPÖ kaum profitieren.

Ihre herben Verluste bei den Kärntner Landtagswahlen im März diesen Jahres brachten dann das Fass zum Überlaufen. Es sollte zu einer Mitgliederbefragung zwischen Pamela Rendi-Wagner und Hans-Peter Doskozil um den Parteivorsitz kommen. Doch ganz so einfach sollte es dann doch nicht ausgehen.

Wenn sich zwei streiten …

Die Konflikte und Widersprüche innerhalb der SPÖ sind also keine grundsätzlich neue Sache. Sie haben sich vielmehr lange angebahnt und zeigen viele Ähnlichkeiten mit vergleichbaren Entwicklungen in anderen europäischen sozialdemokratischen Parteien. In letzter Konsequenz bilden sie eine Folge des Charakters der SPÖ als bürgerlicher Arbeiter:innenpartei, einer grundsätzlich widersprüchlichen Formation, die auf der einen Seite bürgerliche Politik vertritt, aber ihre soziale Basis in der Arbeiter:innenklasse und der Arbeiter:innenbewegung hat. Bürgerliche Arbeiter:innenparteien können zwar auch über lange Zeiten hinweg recht stabil wirken, aber so lange sie nicht vollkommen in eine bürgerliche Formation übergehen, wie beispielsweise die italienische Sozialdemokratie, können Entwicklungen, wie wir sie heute in der SPÖ erleben, nie ausgeschlossen werden.

Der Ablauf nach Bekanntgabe der Mitgliederbefragung fiel dann mehr als chaotisch aus. Zuerst sollten nur Pamela Rendi-Wagner und Hans-Peter Doskozil auf dem Stimmzettel stehen. Klar festgelegt wurde diese Regel aber nirgends. Nachdem sich mit Nikolaus Kowall dann aber auch ein Kandidat der Parteilinken aufstellen lassen wollte, brach der Damm. Es meldeten sich dutzende Mitglieder (und Nicht-Mitglieder) für die Wahl zum Vorsitz an. Nachdem sich auch Andres Babler, bisher Bürgermeister von Traiskirchen, um den Vorsitz bewarb, zog dann Kowall seine Kandidatur zurück. Auf dem Stimmzettel landeten dann bekanntlich nur 3 Kandidat:innen: Doskozil für den rechten Flügel, Rendi-Wagner für das Zentrum und den Parteiapparat sowie Babler für den linken Flügel.

Im Zuge der Mitgliederbefragung traten der SPÖ auch 9.000 neue Mitglieder bei. Sie ging ausgesprochen knapp aus. Mit jeweils ungefähr einem Drittel der Stimmen landete Doskozil auf Platz 1, Babler schaffte es knapp vor Pamela Rendi-Wagner auf den zweiten Platz. Die Konsequenz war für Letztere die Ankündigung ihres Rücktritts und für Doskozil die Siegessicherheit für die endgültige Abstimmung auf dem Parteitag.

Andreas Babler hatte schon davor angekündigt, dass er es sich offenlassen würde, bei einem knappen Ergebnis auf dem Parteitag zu kandidieren, auch wenn er nicht auf Platz 1 in der Mitgliederbefragung landen würde. Schon im Vorfeld des Parteitags wurde recht klar, wie sich die unterschiedlichen Teilorganisationen positionierten. Die Mehrheit der Landesorganisationen stellte sich recht klar hinter Doskozil, einige andere positionierten sich nicht offen und nur die Vorarlberger SPÖ-Vorsitzende sprach sich für Babler aus. Dazu kamen logischerweise auch die traditionell linken Jugendorganisationen sowie auch die große Mehrheit der Frauenorganisationen. Bei den gewerkschaftlichen Delegierten dürfte Babler auch recht stark abgeschnitten haben, war doch hier insbesondere Doskozils Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn (statt eines kollektivvertraglichen) schlecht angekommen. Doch die wohl größte Unterstützung kam letztlich vermutlich aus der Wiener Landespartei, die gleichzeitig auch die größte und mächtigste der SPÖ ist.

Letztlich reichte es knapp. Nach der kurzen Konfusion, die Doskozil mit einer Mehrheit sah, wurde 2 Tage nach dem Parteitag das Ergebnis korrigiert. Er wählte letztlich Babler mit 53 zu 47 % zum neuen Vorsitzenden.

Was bedeutet der Sieg von Babler?

Das zeigt recht gut, dass Babler zum Beispiel im Gegensatz zu Jeremy Corbyn in der britischen Labour Party doch auch starken Rückhalt in relevanten Teilen der Bürokratie – insbesondere in Wien – genießt. Daraus lassen sich mehrere Dinge schlussfolgern. Was recht offensichtlich ist, ist, dass sich ein Teil der Bürokratie durchaus bereit zeigt, einen kantigeren Kurs einzuschlagen, um sich aus der Misere zu manövrieren. Dabei erhofft man sich sicherlich nicht nur eine Verbesserung in den Umfragen, sondern auch neue Mitglieder und Elan. Gleichzeitig hat nun aber Babler vor allem der Wiener Landespartei seinen Wahlsieg zu verdanken und wird sich in Zukunft vermutlich zweimal überlegen, ob er Kritik am Kurs von Bürgermeister Michael Ludwig anbringen kann. Ob dann die Wiener Landespartei der Ausrichtung des neuen Vorsitzenden folgt oder umgekehrt, wird sich vermutlich noch zeigen müssen. Erste Anzeichen dazu lassen sich beispielsweise in einem Standard-Interview erkennen. Auf die Frage wie er denn zum Lobautunnel stehe, gegen den Klimaktivist:innen seit Jahren mobilmachen, meinte er: „Ich werde mich mit den Wienern austauschen.“

Die Unterstützung durch Teile der Bürokratie zeigt aber auch, dass er vermutlich nicht unmittelbar mit offener oder versteckter Gegner:innenschaft des gesamten Apparats zu rechnen hat. Vielmehr wird vermutlich versucht werden – was in Bezug auf einige wichtige Punkte schon gelungen ist – seine allzu radikalen Kanten abzuschlagen. Die Losung von Geschlossenheit und Einheit war schon immer ein zentrales Mittel, mit dem linke Stimmen in der SPÖ ruhiggestellt werden sollten. Auch Babler hat diese Herangehensweise verinnerlicht. Den rechten Parteiflügel schert das hingegen recht wenig. Doskozils mediale Angriffe in Richtung Pamela Rendi-Wagner hatten nicht nur über Jahre den Konflikt eskaliert und letztlich die Mitgliederbefragung vom Zaun gebrochen, auch nach Bablers Sieg zog der rechte Flügel mit ersten Angriffen gegen ihn auf. Vom Salzburger SPÖ-Chef David Egger-Kranzinger, der vor kurzem noch das historisch schlechteste SPÖ-Ergebnis dort eingefahren hatte, gab es gleich laute Kritik an Bablers Vorschlag der 32-Stunden-Woche und seinen Positionen in Bezug auf Geflüchtete. Einheit wird in der SPÖ immer nur als Waffe gegen die Linke eingesetzt. Wenn Babler und seine Bewegung nicht bald hart gegen den rechten Parteiflügel sowie gegen den bürgerlichen Apparat vorgehen, wird ihn früher oder später dasselbe Schicksal ereilen wie Jeremy Corbyn, der letztlich von der Bürokratie der Labour Party abgesägt wurde.

Generell ist der Kurs von Babler noch nicht eindeutig definiert. Auf der einen Seite hat er mit linken Forderungen wie einer Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden pro Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich durchaus radikal aufgetrumpft, was dem rechten Parteiflügel gleich sauer aufgestoßen ist. Auf der anderen Seite musste er schon bei einigen wichtigen Inhalten wie seiner politischen Kritik an der EU oder dem Bundesheer massiv zurückrudern. Das Gleiche gilt für sein Bekenntnis zum Marxismus, das er nach medialem Backlash gleich wieder fallenließ. Das zeigt recht gut die Strategie, die er und sein „Team Basis“ vertreten. Man möchte in einigen Aspekten neue Akzente setzen und den Diskurs verschieben, doch wenn dafür andere linke Positionen hinderlich werden, können diese einfach kurzerhand geopfert werden. Eine prinzipienfeste Politik sieht anders aus. Dabei hatte er noch bei seiner klar antirassistischen Politik in der Geflüchtetenfrage gezeigt, dass insbesondere vermeintlich „unpopuläre“, aber richtige Positionen langfristig zum Erfolg führen können.

Wesentlich wird sein, inwiefern Babler die Partei öffnen möchte, um die Basis aktiv zu mobilisieren sowie die Parteilinke zu organisieren. Seine fortschrittlichen Positionen (32-Stunden-Woche, Kinder- und Energiegrundsicherung, Mietobergrenze, Millionär:innen- und Erbschaftssteuer etc.) könnten als Ansatzpunkt für eine Bewegung der Gewerkschaften und Linken im Widerstand gegen die Regierungspolitik und die Teuerungskrise dienen. Wenn es letztlich nur bei Diskursverschiebung und Wahlkampfrhetorik bleibt, ist der linke Reformismus von Babler nicht einmal das Papier wert, auf dem er geschrieben steht.




Marx21, DIE LINKE und der Cliffismus

Martin Suchanek, Neue Internationale 274, Juni 2023

Die Krise und drohende Spaltung der Linkspartei ist auch eine Krise der strategischen Ausrichtung von marx21. Wie keine andere sozialistische oder marxistische Strömung, die in der Partei DIE LINKE agiert, ging sie in der Tagesarbeit des Aufbaus einer reformistischen Partei auf.

2007 gehörte marx21 zu den enthusiastischen Befürworter:innen der Gründung der Partei DIE LINKE. Die Bildung einer linksreformistischen Kraft betrachtete das Netzwerk als einen geradezu historischen Fortschritt für die Arbeiter:innenklasse in Deutschland.

Den Aufbau einer offen antikapitalistischen Strömung lehnte marx21 von Beginn ab, ja bekämpfte alle Ansätze dazu.

Methode von marx21

Eine solche Politik verfolgte schon die Vorläuferorganisation Linksruck bei Gründung der WASG und in ihr bei der Fusion mit der PDS zur Partei DIE LINKE. In den „7 Thesen zur Diskussion um eine neue Linkspartei“ aus dem Jahre 2004 trat Linksruck für ein „konsensfähiges Reformprogramm“ als programmatische Basis einer neuen Arbeiter:innenpartei links von der SPD ein. Revolutionär:innen sollten sich darauf beschränken, „innerhalb einer solchen Linkspartei um die Erkenntnis der Unreformierbarkeit des Kapitalismus zu streiten“ und „mittel- und langfristig“ dafür einzutreten, dass „der Kampf für Reformen ein Kampf um die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung sein wird.“

Das Eintreten für ein revolutionäres Aktionsprogramm wurde als Sektier:innentum angegriffen. Wider besseres Wissen sollten Revolutionär:innen darauf verzichten, den Reformismus grundlegend zu kritisieren. Diese Politik wurde jahrelang von marx21 verteidigt, sämtliche Kritiker:innen daran wurden als mehr oder minder unverbesserliche Sekten abgestempelt.

Über Jahre schien zumindest vordergründig der Erfolg marx21 recht zu geben. Man betrieb schließlich Massenarbeit, das Netzwerk wuchs rasch an und konnte mehr Mitglieder auf sich vereinen. Die Kader von marx21 stiegen in der Hierarchie der Linkspartei auf: Christine Buchholz und andere errangen Bundestagsmandate, Janine Wissler schaffte es zur Fraktionsvorsitzenden im Hessischen Landtag und handelte noch als marx21-Mitglied fast eine rot-grün-rote Landesregierung aus.

Schon damals unterschieden sich die Abgeordneten und die Führungsmitglieder von marx21 in der öffentlichen Wahrnehmung kaum von „normalen“ reformistischen. Die Interviews und Stellungnahmen der heutigen Vorsitzenden der Linkspartei, Janine Wissler, unterschieden und unterscheiden sich bis heute oft kaum von den Erklärungen, die sie noch während ihrer Zeit bei marx21 abgab. Das störte aber im  Netzwerk kaum jemanden. Man bog sich vielmehr diese reformistischer Realpolitik als den Preis, den man für wachsenden Einfluss eben zahlen müsse, zurecht.

Doch je mehr die Linkspartei selbst aufhörte zu wachsen, je mehr sie arbeiter:innenfeindliche und rassistische Maßnahmen in Landesregierungen durchzog, je mehr sie stagnierte oder gar schrumpfte, desto zweifelhafter wurde auch das Narrativ vom eigenen Erfolg.

Reformismusverständnis

Nichtsdestotrotz hielt das Netzwerk auch angesichts des katastrophalen Ausgangs der Bundestagswahl an der eigenen Methode fest. Im Sommer 2022 veröffentlichte der KoKreis von marx21 unter dem Titel „Die Linke in der Krise: Scheideweg“ seine Einschätzung der Lage. Darin wird der Linkspartei ein „insgesamt gutes Wahlprogramm“ attestiert, das jedoch durch ständige Anbiederungen an die SPD als Regierungspartnerin konterkariert worden wäre. Vor allem aber legt marx21 das eigene Verständnis des Reformismus der Linkspartei nieder:

„DIE LINKE trägt als reformistische Partei Widersprüche in sich. Der linke Reformismus unterscheidet sich vom rechten erst einmal dadurch, dass er proletarische Klasseninteressen aufnimmt und bis zu einem gewissen Grad Ausdruck verleiht und für sie mobilisiert. Aber der linke Reformismus trägt latent zwei Potenzen in sich: Entweder er verrät das Aktionsprogramm, für das er antrat, und fällt zurück ins Lager der sozialdemokratischen Kapitulation. Oder er radikalisiert sich und bewegt sich nach links zu einem Programm und einer Praxis des sozialistischen Klassenkampfs. In der LINKEN erleben wir zur Zeit beides, …“

Diese Passage legt die Vorstellungen, aber auch methodischen Fehler offen, die der Politik von marx21 zugrunde liegen. Der „rechte Reformismus“ wird als bürgerliche Politik abgelehnt und in der Linkspartei mit den Regierungsozialist:innen identifiziert. Dem linken Reformismus hingegen wird eine Art Doppelcharakter unterstellt: Er hätte zwei Potenzen – entweder verrät er und wird erst dadurch wieder zu bürgerlicher Politik. Oder er radikalisiert sich hin zum Sozialismus, indem er konsequent für grundlegende Verbesserungen eintritt. Der Kampf für radikale Reformen erscheint damit schon als, wenn auch unbewusster Weg zum Sozialismus.

Anders als in früheren Texten wird allerdings die Bedeutung einer revolutionären Strömung als Korrektiv, gewissermaßen revolutionäres Salz in der reformistischen Suppe, betont: „Es braucht eine LINKE als sozialistische Massenpartei, und es braucht darin eine organisierte revolutionäre Strömung, die die kapitalistischen Zwänge durchbricht und dem Sog der Anpassung standhält. Wir wollen dafür kämpfen, dass eine solche LINKE weiterhin besteht und gleichzeitig neu entsteht.“

Diese Passagen werfen unwillkürlich die Frage auf: Ist DIE LINKE nun eine „sozialistische Massenpartei“ oder muss sie es erst werden?

Da für marx21 jedoch der Linksreformismus schon durch Radikalisierung zum Programm und zur Praxis des Klassenkampfes kommen kann, finden sich lt. marx21 zumindest Teile in der Linkspartei, die schon auf dem Weg dahin sind oder diesen beschreiten könnten (Im Juni 22 wird hier insbesondere die Bewegungslinke angeführt).

Eine grundlegende inhaltliche Scheidung zwischen revolutionärer und reformistischer Politik kennt marx21 in diesen Texten letztlich nicht. Dazu müssten nämlich die Politik und der Klassencharakter einer Partei diskutiert und bestimmt werden. Darin würde sich zeigen, dass auch der Linksreformismus eine Form bürgerlicher Politik darstellt, weil er letztlich auf dem Boden der bestehenden bürgerlichen Verhältnisse stehen bleibt. Das zeigt sich insbesondere bei der Frage des Kampfes um die Macht. Revolutionäre, kommunistische Politik unterscheidet sich von reformistischer nämlich nicht dadurch, dass sie die grundlegende Bedeutung des Klassenkampfes anerkennt, sondern durch die Betonung der Notwendigkeit der revolutionären Eroberung der Staatsmacht durch die Arbeiter:innenklasse und der Errichtung ihrer Klassenherrschaft, der Diktatur des Proletariats.

Daher müsste für Marxist:innen eigentlich klar sein, dass es auf Dauer keine gemeinsame Partei von Revolutionär:innen und Reformist:innen geben kann, dass die Arbeit in einer reformistischen Partei allenfalls ein vorübergehendes taktisches Manöver sein kann, um nach links gehende Reformist:innen für ein revolutionäres Programm zu gewinnen.  Das setzt aber voraus, dass man von Beginn an offen für ein solches eintritt.

Ansonsten nährt man unwillkürlich die Illusion, dass die Entwicklung vom kämpferischen Reformismus zum revolutionären Kommunismus eine bloß graduelle darstelle. In Wirklichkeit handelt es sich hier jedoch um einen qualitativen Bruch, einen, der nur bewusst erfolgen kann.

Appell an Einheit

Es ist aber kein Zufall, dass marx21 die drohende Spaltung der Linkspartei und deren Schwächung fürchtet wie kaum eine andere Kraft. Während alle Flügel der Partei an der Spaltung arbeiten, appelliert marx21, genauer dessen Redaktion, an die Einheit:

„Konsequente Opposition statt Spaltung“ fordert Christine Buchholz. Die Linkspartei müsse sich „neu erfinden“ mit „einem klaren Profil gegen Krieg und Establishment“.

Der Untergang der Linkspartei wäre eine Katastrophe für Buchholz: „Doch eine Spaltung der LINKEN zum jetzigen Zeitpunkt würde weder die Krise der Partei beenden noch eine vielversprechende neue Formation entstehen lassen. Im Gegenteil: Es wäre eine Schwächung der gesamtgesellschaftlichen Linken in Deutschland und womöglich der Anfang vom Ende der ersten relevanten politischen Kraft links von der Sozialdemokratie in der Geschichte der Bundesrepublik.“

Wir wollen keineswegs bestreiten, dass der ersatzlose Zusammenbruch der Linkspartei eine Schwächung wäre. Die Frage, die es aber zu stellen gilt, lautet: Ist die Partei dennoch zu retten und mit welcher Politik? Buchholz und marx21 geben hier eine falsche, letztlich perspektivlose Antwort:

„Das bedeutet innerparteilich, die Auseinandersetzung nicht zu scheuen – weder mit Wagenknecht noch mit Lederer, Vogt, Oldenburg und Ramelow. Und nach außen bedeutet das, den Kampf gegen diejenigen aufzunehmen, die die sozialen Interessen der Mehrheit mit Füßen treten; diejenigen, die statt mit dem russischen Diktator mit saudischen Diktatoren Energie- und Waffen-Deals machen; diejenigen, die Deutschland auf die Kriege der Zukunft vorbereiten und für riesige Profite der Rüstungskonzerne sorgen; und gegen diejenigen, die Hass säen und berechtigten Unmut nach rechts lenken wollen.“

Diese Ausrichtung auf eine „Bewegungspartei“ fordert marx21 seit Jahren. Noch nach dem Wahldebakel bei der letzten Bundestagswahl 2021 konnten wir lesen: „DIE LINKE ist in diesen Auseinandersetzungen (gegen Inflation, Krise, Krieg, Umweltzerstörung; Anm. d. Red.) als Sprachrohr, Ort des Austausches und Motor für Organisierung von Widerstand und Gegenmacht gefragt. DIE LINKE hat vor Ort einen breiten Fundus von Erfahrung, wie sich die Partei als Bewegungspartei aufbauen kann. Die guten Erfahrungen in vielen Kreisverbänden in den letzten Jahren sollten die Grundlage für eine ‚Neuausrichtung’ der Partei sein.“ (https://www.marx21.de/page/2/?s=DIE+LINKE)

DIE LINKE mag ja „gefragt“ sein, „Motor für Organisierung von Widerstand und Gegenmacht“ ist sie nicht. Das weiß auch marx21. Aber die Ursachenanalyse für die Krise der Linkspartei greift zu kurz. Für das Netzwerk erscheinen der Populismus von Wagenknecht und deren Opportunismus gegenüber rechts sowie die Fixierung auf Parlamentarismus und opportunistische Politik der Regierungssozialist:innen jedoch nicht als Ausdruck des bürgerlichen Charakters der Partei selbst.

Daher unterstellt die Perspektive für die Linkspartei nicht nur, dass eine Einheit der drei Flügel der Partei möglich wäre, sondern dass sie auch zu einer wirklichen „Bewegungspartei“ werden könnte.

Dies hängt damit zusammen, dass die Wurzeln bürgerlicher Arbeiter:innenpolitik selbst unzureichend analysiert und benannt werden. Bürgerliches Bewusstsein in der Arbeiter:innenklasse erwächst nämlich, wie im Marx im „Kapital“ zeigt, aus der Lohnform selbst und der gesamte Lohnkampf, also der ökonomische Klassenkampf, bewegt sich noch im Rahmen diese Form. Die reformistische Partei stellt letztlich eine Verlängerung dieser Elementarform des Klassenkampfes auf der Ebene parlamentarischer Reformpolitik dar.

Zweitens findet diese Politik vor allem in den imperialistischen Ländern in den privilegierteren Schichten der Lohnabhängigen, in der Arbeiter:innenaristokratie eine soziale Stütze. Diese stellt die eigentliche Basis der Arbeiter:innenbürokratie sowohl in der Linkspartei wie auch in den Gewerkschaften und der SPD dar. Daher auch die Nähe zur Gewerkschaftsbürokratie, deren Politik letztlich von allen Flügeln der Linkspartei verteidigt wird, aber auch zum Sozialchauvinismus, und die Ausrichtung auf Regierungsbeteiligungen erfolgt letztlich als notwendige Konsequenz aus dieser reformistischen Strategie und ist keine Abweichung.

Marx21 hingegen unterstellt, dass auf den bestehenden politischen Grundlagen der Linkspartei eine Gesundung, eine Abkehr von der Ausrichtung auf Parlamentarismus und Regierungsbeteiligungen möglich wäre, eine bürgerliche Reformpartei wirklich dauerhaft zu einer „Bewegungspartei“ werden könne.

In Wirklichkeit muss jedoch eine Partei nach Regierungsverantwortung streben, die den revolutionären Sturz des Kapitalismus kategorisch ausschließt. Jede Kritik am Reformismus, die nur die Folgen dieser Beschränkung auf den Kampf innerhalb der bürgerlichen Institutionen angreift, nicht aber die Strategie selbst, muss daher zu kurz greifen, ja verbleibt letztlich auf einer rein moralischen Ebene.

Dasselbe trifft logischerweise auf alle anderen Ebenen zu. Jede reformistische Partei muss letztliche eine Realpolitik betreiben, die im Rahmen dessen bleibt, was im bürgerlichen System als „vernünftig“ und „normal“ erscheint. Was das genau sein soll, darüber scheiden sich die Geister.

Die Krise von marx21

Doch das Gespenst der Spaltung treibt nicht nur die Linkspartei um. Es sucht auch marx21 heim. In den letzten Jahren haben sich in Zusammenhang mit der Arbeit in der Linkspartei auch im Netzwerk verschiedene Lager herausgebildet.

Lange setzte marx21 seinen Schwerpunkt auf die „Sozialistische Linke“ (SL) und den Aufbau des SDS. Die Arbeit in der SL brach aber mit deren Hinwendung zum Wagenknecht-Lager ein. Parallel entwickelten SDS-Kader aus marx21 über die Luxemburg-Stiftung und Organizingkampagnen enge Verbindungen zu einem Flügel der Gewerkschaftsbürokratie. Hinzu kommt, dass die Arbeit an der Universität auch mit einer Anpassung an antimarxistische, kleinbürgerliche Ideologien einherging.

In der innerparteilichen Auseinandersetzung der Linkspartei findet sich dieser Flügel besonders in der Bewegungslinken wieder. Eine gewisse Ironie besteht sicher darin, dass auch diese ihre Politik mit ähnlichen Formeln begründet wie marx21 selbst – so wie umgekehrt noch 2022 die Bewegungslinke vom marx21-KoKreis als zentrales Mittel zur klassenkämpferischen Erneuerung der Linkspartei charakterisiert wurde.

So will die Bewegungslinke eine „klassenorientierte“ Politik, in der Identitäts- und Klassenpolitik jedoch keinen Gegensatz bilden sollen. Auch die Bewegungslinke will, dass DIE LINKE eine „Friedenspartei“ bleibt und Nein sagt zu NATO und Auslandseinsätzen, sie für Antirassismus, offene Grenzen und Antifaschismus einsteht, vor allem auf Bewegung und nicht auf Parlamentarismus setzt.

Auch wenn sie eine „kritische“ Bilanz der bisherigen Regierungspraxis zieht, so hindert sie das nicht daran, vom „rebellischen Regieren“ zu phantasieren:

„Der Staat sichert die Eigentumsverhältnisse durch Gewalt und Konsens. Gleichzeitig beinhaltet er historische Errungenschaften. Er ist Kräfteverhältnis und Kampffeld zugleich. Die Aussicht auf linkes Regieren kann für uns nur als rebellisches Aufbegehren gegenüber dem Kapital, dem bürgerlichen Staatspersonal und den Medien gedacht werden.“ (https://bewegungslinke.org/5-2/selbstverstaendnis/)

Auch wenn sich die Ausführungen kritisch gegenüber der bestehenden Politik der Linkspartei geben, so versuchen sie – ganz im Einklang mit den neoreformistischen Transformationsstrategien –, letztlich Beteiligungen an bürgerlichen Regierungen neu zu „begründen“.

Nicht nur auf dieser Ebene stellt dieser Flügel von marx21 damit auch theoretisch und programmatisch die marxistischen Grundpositionen der Strömung in Frage.

Offenkundig ist das der Redaktion von marx21 durchaus bewusst. Zwei Artikel zur Kritik an Nicos Poulantzas (https://www.marx21.de/poulantzas-und-die-frage-der-macht/; https://www.marx21.de/04-05-10-der-staat-und-die-linke/) und dessen Revision der marxistischen Staatstheorie können indirekt als Polemik gegen das „rebellische Regieren“ verstanden werden.

Doch die in vielen Punkten lesenswerte Kritik beinhaltet auch eine wichtige Schwäche. Sie umschifft die Frage, welchen Klassenstandpunkt die Theorie von Poulantzas zum Ausdruck bringt. So zieht Yaak Pabst in „Poulantzas und die Frage der Macht“ eine Bilanz des Scheiterns des Eurokommunismus an der Regierung und folgert:

„Letztlich mussten sich all diese Projekte dem kapitalistischen Sachzwang beugen. Nicos Poulantzas sah diese Gefahr. Allerdings scheute er sich davor, jene Schlussfolgerung zu ziehen, für die so viele revolutionäre Marxistinnen und Marxisten vor ihm eingetreten waren: den revolutionären Bruch mit dem bürgerlichen Staat.“

Dass Poulantzas genau diese Folgerungen nicht ziehen wollte, wirft die Frage nach dem Charakter seiner Staatstheorie auf. Letztlich ist diese nur eine geschmeidigere Begründung für bürgerliche Reformpolitik. Er begründet eine bürgerliche, keine proletarische Klassenpolitik. Eine solche Charakterisierung würde nicht nur die Differenzen zum rechten Flügel von marx21 deutlicher machen, sie würde auch den Klassencharakter der Linkspartei, die ihr Regierungshandeln viel pragmatischer rechtfertigt, und damit den illusorischen Charakter einer dauerhaften Koexistenz von Revolutionär:innen und Reformist:innen in einer Partei hervorheben. Der Verzicht darauf, den gegensätzlichen Klassenstandpunkt auf praktischer wie theoretischer Ebene zu nennen, bedeutet aber nicht nur einen Verzicht auf den theoretischen Klassenkampf, sondern auch auf den Kampf gegen die Grundlagen bürgerlicher Politik in der Linkspartei.

Die Entstehung des rechten Flügels in marx21 hat zwar Genoss:innen wie Yaak Pabst und Christine Buchholz auch zu indirekten Polemiken gegen die Bewegungslinke bewegt, aber so wie sie in der Linkspartei die Einheit unbedingt aufrechterhalten wollen, so wollen sie auch eine Zuspitzung des politischen Kampfes in marx21 vermeiden. Auch dort stellen sie wie bei der Linkspartei die „Einheit“ über alles – eine Einheit um den Preis, dass immer mehr praktische und theoretische Zugeständnisse an reformistische oder kleinbürgerliche Ideologie und Theorie eingegangen werden müssen.

Sie verkennen dabei aber insbesondere, dass gerade das, was am Beginn scheinbar den Erfolg von marx21 begründete, nämlich der Verzicht auf ein eigenes, bestimmtes revolutionäres Programm und auf ein gemeinsames darauf basierendes Handeln, die eigentliche Ursache ihrer Anpassung an nicht-revolutionäre Ideen und der Herausbildung einer eigenen rechten Strömung darstellt.

Bis zu einem gewissen Grad radikalisiert der rechte Flügel von marx21 nur, was das Netzwerk immer schon propagiert hat, nämlich den Verzicht auf einen offenen Kampf um ein revolutionäres Programm, das sich von jeder Spielart des Reformismus abhebt.

Das Zentrum von marx21 betrachtet das „nur“ als eine besonders kluge Taktik, um den Marxismus prozesshaft durch die Verbindung von Kämpfen für Reformen und allgemeine sozialistische Propaganda zu verbreitern, also um Reformist:innen zu Revolutionär:innen zu machen, ohne dass diese bewusst mit ihren bürgerlichen Vorstellungen brechen müssen. Das Problem an der Methode besteht allerdings darin, dass das Programm verwässert wird, dass sich die Revolutionär:innen dem Reformismus anpassen – und nicht umgekehrt.

Der rechte Flügel von marx21 geht jedoch insofern einen Schritt weiter, als er eine politische Konfrontation mit der Bürokratie sowohl in den Gewerkschaften als auch in der Linkspartei ablehnt. Dabei wird der Kampf um eine antibürokratische Basisbewegung in den Gewerkschaften und für eine kommunistische Organisation durch die Fetischisierung von Organizingmethoden ersetzt. Für diesen Flügel von marx21 wird der Bezug auf die Ursprünge der eigenen marxistischen Strömung zunehmend zu einem Hindernis, das eigentlich entsorgt werden muss.

Mit Cliffismus zurück zur revolutionären Politik?

Ein sich formierender linker Flügel des Netzwerks geht hingegen davon aus, dass sich marx21 auf seine theoretischen Ursprünge bei den „International Socialists“ besinnen müsse, um die eigene Organisation wieder revolutionär auszurichten.

Diese Vorstellung mag zwar naheliegen, wir halten sie jedoch für eine Illusion, wie wir im abschließenden Teil des Artikels darlegen wollen. Marx21 entstand aus einer bestimmten Strömung des Nachkriegstrotzkismus, dem Cliffismus, benannt nach dem langjährigen Anführer und theoretischen Gründungskopf. Seit den 1970er Jahren existiert sie auch als internationale Strömung, als International Socialist Tendency (IST).

Wir haben in der Broschüre „The politics of the SWP – a Trotskyist critique“ die Grundlagen dieser Strömung ausführlicher kritisiert. An dieser Stelle wollen wir uns auf ihre theoretische Konzeption zu Klassenbewusstsein und damit zusammenhängend Partei und Programm beschränken, die unserer Meinung nach in der aktuellen Krise von marx21 selbst zum Vorschein tritt.

Den Kern des Problems betrifft die Frage nach Entstehung revolutionären Klassenbewusstseins selbst. Tony Cliff und seine Strömung grenzten sich bei der Herausbildung ihrer eigenen Ideologie grundsätzlich vom Lenin’schen Verständnis ab. In „Was tun?“ zeigt Lenin, dass die revolutionäre Theorie des Marxismus nicht direkt aus dem ökonomischen und politischen Klassenkampf entstand – und auch nicht daraus entstehen konnte.

Das spontane Bewusstsein der Arbeiter:innenklasse kann vielmehr nur ein bürgerliches sein. Er knüpft damit an Marx und seine Analyse der Lohnform an. „Auf dieser Erscheinungsform, die das wirkliche Verhältnis unsichtbar macht und grade sein Gegenteil zeigt, beruhn alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle Mystifikationen der kapitalistischen Produktionsweise, alle ihre Freiheitsillusionen, alle apologetischen Flausen der Vulgärökonomie.“ (Marx, Das Kapital, Band 1, MEW 23, Seite 562)

Die Lohnform verschleiert nicht nur das kapitalistische Ausbeutungsverhältnis, sondern bildet auch den Rahmen, in dem sich nicht nur der ökonomische Kampf, sondern in abgeleiteter Form auch Kämpfe um Demokratie und Gleichberechtigung bewegen.

Dieses grundlegend entfremdete und verdinglichte Bewusstsein ist natürlich wie die gesellschaftliche Basis, auf der es fußt, in sich widersprüchlich – und in den Klassenkämpfen rücken diese Widersprüche auch ins Alltagsbewusstsein. In diesem Sinn treibt er auch zur Infragestellung bestehenden Bewusstseins und zur Entwicklung von Klassenbewusstsein.

Aber wirklich revolutionäres, proletarisches Klassenbewusstsein bedarf zugleich auch einer Kritik, die diese Oberflächenformen durchdringt und so die Möglichkeiten schafft, dass der Klassenkampf bewusst über deren Grenzen hinaustritt und mit einem Programm zur sozialistischen Umwälzung verbunden wird. Daher ist die Verknüpfung mit revolutionärer Theorie unerlässlich. In diesem Sinne muss revolutionäres Bewusstsein von außen in die Klasse getragen werden; ob nun von bürgerlichen Intellektuellen oder zunehmend von Lohnabhängigen, die sich als Theoretiker:innen, Strateg:innen des Kommunismus betätigen, ist an dieser Stelle zweitrangig.

Die revolutionären Partei bildet das Verbindungsglied, die Vermittlung zwischen den spontan kämpferischen und bis zu einem gewissen Grad auch sozialistischen Tendenzen der Arbeiter:innenklasse einerseits und der wissenschaftlichen Theorie andererseits. Das revolutionäre Programm stellt dabei einen Kernbestandteil dieser Vermittlung dar, weil darin wissenschaftliche Analyse der objektiven Lage, die aktuellen und historischen Erfahrungen mit den Aufgaben und Zielen, mit Strategie und Taktiken zu einem in sich schlüssigen Ganzen, zu einem System verbunden werden. Nur so kann es als Anleitung zum revolutionären Handeln überhaupt fungieren.

Die Qualität eines Programms zeigt sich darin, ob es diese Aufgabe erfüllen kann. Für reformistische und kleinbürgerliche Programme stellt sich Frage im Grunde nicht, weil sie weder Anspruch auf eine wissenschaftliche Fundierung erheben noch als verbindliche Richtschnur zur Praxis dienen sollen. Dass z. B. die Linkspartei zentrale Forderungen bei Koalitionsverhandlungen über Bord wirft, wundert niemanden wirklich, auch die Mehrheit ihrer Mitglieder nicht.

Für eine revolutionäre Organisation hingegen stellt das Programm ein unverzichtbares Kernelement ihrer Politik dar, auch wenn das strategische Ziel, die sozialistische Revolution, die Eroberung der Macht der Arbeiter:innenklasse, die Errichtung einer demokratischen Planwirtschaft weit entfernt scheinen mögen. Selbst zeitweiliger Verzicht auf ein solches Programm bedeutet unwillkürlich, das Feld der Bestimmung „linker“ Politik anderen, bürgerlichen Programmen zu überlassen.

Diese essentiellen Bestimmungen zum Verhältnis von Klassenbewusstsein, Partei und Programm stellt Cliff in Frage. Für ihn besteht zwar auch die Notwendigkeit einer revolutionären Organisation. Doch diese erwächst ihm zufolge aus der Ungleichzeitigkeit der Entwicklung des spontanen Bewusstseins, also aus der Tatsache, dass das Bewusstsein der Klasse nie einheitlich sein kann, dass in allen Kämpfen bewusstere und rückständigere Teile hervortreten. Die Aufgabe der Partei besteht daher vor allem in der organisatorischen Zusammenfassung der sich im Kampf herausbildenden Avantgardeschichten.

Jede revolutionäre Partei oder jeder Parteibildungsprozess inkludiert zwar auch diese Aspekte. Das beantwortet aber nicht die Frage nach dem Programm, dessen objektiver inhaltlicher Fundierung und innerem Zusammenhang.

Mit den Erfolgen von marx21 wurde jedoch die Vorstellung genährt, dass ein Programm, eine gemeinsame theoretische Grundlage und eine verbindliche, demokratisch bestimmte gemeinsame Praxis ein Hindernis für den raschen und erfolgreichen Aufbau darstellen würden. Dafür sind sicher nicht bloß Cliff oder die IST verantwortlich. Aber ihre falsche Kritik des Leninismus, ihr falsches Verständnis des Klassenbewusstseins und ihre Unterschätzung der Bedeutung des Programms haben diese Entwicklung massiv begünstigt.

Jetzt, wo ein Teil von marx21 dabei ist, auch mit dem Cliffismus und dessen revolutionären Elementen zu brechen, muss sich die Organisation und vor allem ihr linker Flügel die Frage stellen, ob das etwas mit den eigenen vermeintlich korrekten Grundlagen zu tun hat.

Das Problem von marx21 war und ist dabei nicht, dass die Organisation in größeren Bewegungen und Strömungen – in diesem Fall der Linkspartei – gearbeitet hat oder arbeiten wollte. In allen Bewegungen, sozialen Milieus, seien es Schüler:innen, Studierende, bestimmte Schichten der Arbeiter:innenklasse oder reformistische Parteien herrschen bestimmte Formen bürgerlicher Ideologie vor. Die revolutionäre Intervention muss dabei immer darauf zielen, das bestehende Bewusstsein zu verändern, die Aktivist:innen und vor allem deren politisch fortgeschrittenste von der bürgerlichen Ideologie zu brechen und für den Kommunismus zu gewinnen. Dies kann und wird natürlich nicht nur durch Kritik vonstattengehen, aber diese stellte ein unerlässliches Element in dieser Auseinandersetzung, genauer des theoretischen und ideologischen Klassenkampfes dar.

Damit eine revolutionäre Organisation und deren Mitglieder das z. B. in Gewerkschaften, unter der Jugend, in sozialen Bewegungen leisten können, braucht es eben ein gemeinsames Verständnis, eine systematische Diskussion und Bestimmung dieser Politik. Nur so können opportunistische Anpassung wie auch Sektierertum verhindert werden.

Der Verzicht auf eine solche inhaltliche Bestimmung revolutionärer Politik mag zwar sektenhaftem Verhalten vorbeugen. Ganz sicher öffnet man damit aber dem Opportunismus Tür und Tor, wie die Entwicklung von marx21 und besonders des rechten Flügels zeigt.

Hinzu kommt, dass die Vorstellung, revolutionäres Bewusstsein könne direkt aus dem Klassenkampf entstehen, dazu führt, „kämpferisches“ reformistisches Bewusstsein schon als eine Vorstufe zum revolutionären zu begreifen. Die linksreformistische Partei stellt dann keine bürgerliche Kraft, sondern einen möglichen Schritt zur revolutionären Formation dar, die nur weiter nach links getrieben und zur „Bewegungspartei“ vorangebracht werden müsse.

Organisationen wie marx21, aber auch viele andere Linke begreifen das Verhältnis von revolutionärer Klarheit und Intervention nicht als einander bedingendes, wenn auch schwieriges Wechselverhältnis, sondern als einander ausschließenden Gegensatz. Dieser fundamentale Fehler ist im Cliffismus selbst schon angelegt. Die Krise von marx21 erfordert daher nicht nur eine Kritik ihres rechten Flügels, sondern auch eine selbstkritische und offene Diskussion und Überwindung des eigenen theoretischen Erbes.




Die zahlreichen Krisen unserer Zeit und unsere Antworten: Zentrale Eckpunkte eines Aktionsprogramms für Österreich

Michael Märzen und Alex Zora, Arbeiter*innenstandpunkt, zuerst veröffentlicht in Flammende 3, Frühjahr 2023, Infomail 1221, 21. April 2023

Unser aktuelles Aktionsprogramm für Österreich „Reaktion oder Sozialismus!“ stammt aus dem Jahr 2019 und seine Erarbeitung fiel in eine Zeit, als das Land von der schwarz-blauen Regierung unter Sebastian Kurz regiert wurde. Wenige Wochen nach Veröffentlichung des Aktionsprogramms brach dann die rechte Bürger:innenblockregierung im Zuge der Ibiza-Affäre zusammen. Seitdem hat sich die innenpolitische und internationale Situation massiv geändert (schwarz-grüne Koalition, Rücktritt von Sebastian Kurz, Inflation, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, …). Außerdem arbeiten wir seit Anfang 2020 im Wiener Parteiaufbauprojekt LINKS mit. Eine Aktualisierung unserer programmatischen Vorschläge ist deshalb eigentlich mehr als überfällig. Hier ist aber nicht der Platz um das in größerem Umfang zu tun. Vielmehr wollen wir hier unsere programmatischen Vorstellungen exemplarisch darlegen und unsere Methode anhand der wichtigsten Thematiken darlegen.

Multiple Krisen als Krise des Kapitalismus

Nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine ist die Weltwirtschaft in ein „realwirtschaftliches Ungleichgewicht“, wie es die Neue Zürcher Zeitung nennt, gefallen. Schon seit Mitte 2021 erleben wir in Europa relevant steigende Inflationsraten. Inwiefern sich diese nun bei einer Hochinflation  um 10 Prozent „stabilisiert“ hat oder noch weiter steigen wird, ist noch nicht ganz absehbar. Was aber außer Frage steht ist, dass die schon stattgefundene Teuerung die Lebenssituation der lohnabhängigen Bevölkerung in Österreich massiv belastet. Ebenfalls offenkundig zeigt sich  die Gefahr einer Rezession, also eines Schrumpfens der Wirtschaftsleistung, in diesem Jahr. Darin sind sich mittlerweile die meisten bürgerlichen Ökonom:innen und Institute einig. Ausführlicher wird das in unserem Artikel „Wirtschaftskrise und politische Instabilität“ in dieser Ausgabe der Flammenden diskutiert.

Neben den aktuellen wirtschaftlichen Problemen, wie der Inflation und deren massiven Auswirkungen wie Teuerung und Reallohnverlusten, hat uns das letzte Jahr deutlich vor Augen geführt, dass das kapitalistische Weltsystem immer mehr auf eine bewaffnete Konfrontation zwischen den imperialistischen Machtblöcken zusteuert. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt uns klar, dass eine Welt dominiert von einzelnen imperialistischen Großmächten immer auch einen Kampf um Absatzmärkte und Einflusssphären bedeutet, sowie reaktionäre Ideologien wie Nationalismus in sich führt. Die Herrschenden in Europa rüsten aktuell ihre Streitkräfte für ebensolche direkte Konfrontationen mit Russland oder China hoch. Eine mutige antimilitaristische und internationalistische Politik ist essenziell um eigenständige Klassenpolitik machen zu können und nicht zum Weggefährten der Kapitalist:innen im eigenen Land zu werden.

Doch nicht nur eine mögliche Konfrontation zwischen den bis an die Zähne mit Atomsprengköpfen bewaffneten Großmächten gefährdet die Zukunft der Menschheit. Die Umweltkrise und insbesondere der Klimawandel mit seinen direkten Auswirkungen sind mittlerweile von einer abstrakten Zukunftsperspektive zur realen Gefahr für Millionen Menschen auf dem ganzen Globus geworden. Pakistan erlebte 2022 eine massive Flutkatastrophe, Madagaskar eine akute Hungersnot und Inselstaaten im Pazifik sind überhaupt in ihrer Existenz bedroht.

In Österreich ist währenddessen die Regierungskoalition seit dem Skandal rund um Sebastian Kurz immer noch stark angeschlagen. Die Kanzlerpartei ÖVP ist in Umfragen nur noch auf Platz 3 – hinter FPÖ und SPÖ. Eine neue Welle des Rassismus erfasst alle etablierten Parteien von den Regierungsparteien bis zu FPÖ und SPÖ. Die wirtschaftlich schwierigen Aussichten machen eine Neuorientierung der österreichischen Bourgeoisie und ihrer Regierungszusammensetzung möglich. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind noch immer alles andere als überwunden, das österreichische Gesundheits- und Pflegesystem ist weiterhin am Rande des Zusammenbruchs.

Was es braucht ist eine Kraft zur Überwindung dieses Systems. Das kann nur erfolgreich sein mit einem klaren programmatischen Verständnis, welches sich aus einer Analyse der politischen Lage, deren Möglichkeiten und Notwendigkeiten sowie der Erfahrungen des Klassenkampfs begründet. Auf den folgenden Seiten wollen wir versuchen aktuelle Ansätze dazu zu geben.

Inflation und Rezession

Die Inflation des letzten Jahres war nach vielen Jahren der Niedrigstinflation für viele Menschen kaum vorstellbar. Die größten Auswirkungen – wie die, für viele Menschen noch ausstehenden, Energierechnungen des Winters – stehen teilweise noch bevor. Die Bundesregierung beschränkte sich darauf, durch Einmalzahlungen und Zuschüsse die schlimmsten Folgen abzufedern. Die realen Einkommensverluste zu kompensieren, wird sich damit aber kaum ausgehen. Schon jetzt zeigt sich sehr deutlich, wie sehr sich die Inflation auf den Lebensstandard der Menschen in Österreich auswirkt. Zwei Drittel der Menschen in Österreich, die dieses Jahr keinen Winterurlaub machen, geben an, dass die Teuerung dafür hauptverantwortlich ist;[i] 41 % der Menschen in Österreich haben Sorgen, sich bei weiteren Preissteigerungen verschulden zu müssen[ii] und mehr als die Hälfte beginnt sich beim Essen einzuschränken[iii]. Auf die sozialdemokratisch geführten Gewerkschaften war wie so oft kein Verlass. Stolz verkündeten sie Abschlüsse, die teilweise deutlich unter der aktuellen Inflation zurückbleiben. Eine richtige Mobilisierung zum Arbeitskampf blieb bisher aus. Statt die Ansätze zum Arbeitskampf in unterschiedlichen Branchen hin zu einem branchenübergreifenden Kampf gegen die Inflation vorzubereiten und dann zu eskalieren, gab es unterschiedlich schlechte Abschlüsse in unterschiedlichen Branchen. Die Abschlüsse wurden nach der traditionellen Herangehensweise der durchschnittlichen Inflation der letzten 12 Monate verhandelt, womit die Gewerkschaftsbürokratie Abschlüsse deutlich unter der aktuellen (und prognostizierten) Inflation als Reallohnerhöhungen verkaufte. Statt einen der Situation angemessenen Kampf gegen die Teuerung zu führen blieb man lieber im guten alten Trott – wenig verwunderlich, wenn man sich ansieht, dass die Gewerkschaftsspitzen ein Vielfaches der Gehälter ihrer Mitglieder bekommen. Die Teuerung trifft sie also relativ wenig[iv].

Die Inflation ist aber nicht nur ein Problem für die Lohnabhängigen, sondern auch für große Teile des Kapitals. Von Seiten der Zentralbanken wird versucht mit Erhöhungen der Leitzinsen der Inflation entgegen zu wirken. Damit wird aber gleichzeitig massiv auf die wirtschaftlichen Aussichten gedrückt. Die Wahl, vor die uns das Kapital und seine Regierung stellen, ist Inflation und Teuerung auf der einen Seite und Rezession und Arbeitsplatzverluste auf der anderen Seite. Am Ende ist es nicht unwahrscheinlich, dass uns beides treffen wird. Die aktuelle Prognose der Europäischen Kommission sieht für das Jahr 2023 für Österreich ein Wirtschaftswachstum von 0,3 % vor[v]. Arbeitsplatzverlust, Kurzarbeit und Lohneinbußen sind also schon quasi vorprogrammiert. Was es braucht ist ein mutiges Programm gegen die Teuerung, aber auch vorbereitend ein Programm gegen die Auswirkungen einer wahrscheinlichen Rezession, damit der Widerstand dagegen frühzeitig vorbereitet werden kann. Das bedeutet für uns zu fordern:

  • Automatische Anpassung von Löhnen, Pensionen und Sozialleistungen an die Inflationsrate, kontrolliert durch Komitees aus Beschäftigten, Betroffenen und die Gewerkschaftsbewegung
  • Festlegung der Warenkörbe für die Inflationsberechnung durch Komitees aus Vertreter:innen der Gewerkschaftsbewegung
  • Gegen Armut: Massive Anhebung von Löhnen und Einkommen (Mindestsicherung, Arbeitslosengeld, Pensionen) auf mindestens 1800,- netto/Monat
  • Abschaffung von indirekten Massensteuern
  • Einführung einer Energiegrundsicherung. Enteignung der Energiekonzerne und deren Gewinne und Fortführung unter Kontrolle der Beschäftigten
  • Bei (drohenden) Betriebsschließungen: Enteignung und Weiterführung unter Verwaltung der Beschäftigten
  • Einsicht in die Geschäftsbücher für Komitees der Beschäftigten und der Gewerkschaften um dem Kapital und seinen Machenschaften auf die Finger zu schauen!
  • Gegen Arbeitslosigkeit: Massive staatliche Investitionen in Bildung, Gesundheit und Sozialbereich sowie für den ökologischen Umbau!

Gewerkschaften zurückerobern!

Die österreichische Gewerkschaftsbewegung ist zwar seit den 80er Jahren am absteigenden Ast was Mitgliedschaft und gesellschaftlichen Einfluss anbelangt, aber mit mehr als einer Million Mitgliedern ist der ÖGB immer noch der größte und mächtigste, wenn auch bürokratischste, Ausdruck der Arbeiter:innenbewegung in Österreich. In den letzten Jahren gab es innerhalb der Gewerkschaftsbewegung neue politische Entwicklungen. Die traditionelle Speerspitze des ÖGB – die Metaller:innen – wurde durch die Politik der Gewerkschaftsführung immer mehr abgestumpft. Gleichzeitig haben sich in neuen Sektoren wie dem Sozialbereich oder bei den Pädagog:innen neue kämpferische – und streikfähige – Sektoren herausgebildet. Auch die Eisenbahner:innen haben in den letzten Jahren immer wieder am Vollstreik gekratzt und im Kampf gegen die Teuerung 2022 den bedeutendsten Arbeitskampf geführt.

Insgesamt bleibt die Gewerkschaftsbewegung aber immer noch in der Ideologie der Sozialpartner:innenschaft gefangen. Während der Hochphase der Pandemie waren die Spitzen der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführung wieder froh darüber, dass sie in die Verwaltung der Krise auf Kosten der Arbeiter:innen miteinbezogen wurden, doch seit mehr als 2 Jahrzehnten hat die organisierte Kapitalist:innenklasse in Österreich nur mehr sehr selten Bedarf an einem ernsthaften Ausgleich mit den Spitzen der Gewerkschaften. Aber anstatt dem geänderten Kräfteverhältnis zwischen Arbeiter:innenklasse und Kapital mit einer klassenkämpferischen Ausrichtung zu begegnen, versucht die Gewerkschaftsbürokratie lieber durch möglichst zahme Politik ihre Kompromissbereitschaft zu signalisieren. Das Kapital nimmt die Kompromissbereitschaft der Gewerkschaften gerne an, macht aber selbst kaum Zugeständnisse. Ganz im Sinne der bürgerlichen „Standortlogik“ spielt die Gewerkschaftsführung bei staatlichem Rassismus oder Umwelt- und Klimapolitik nur zu oft eine reaktionäre Rolle.

Gleichzeitig stützt sie sich weiterhin vor allem auf die privilegierten Teile der Klasse. Weibliche oder migrantische Arbeiter:innen sind deutlich unterrepräsentiert – in der Gewerkschaftsführung noch einmal deutlich mehr als  in der ohnehin verbesserungswürdig zusammengesetzten Basis. Es braucht hier bewusste Schritte um sozial unterdrückte Teile der Klasse zu organisieren.

Von selbst werden die sozialdemokratisch geführten Apparate ihre Politik nicht ändern, es braucht vielmehr eine systematische Intervention linker und klassenkämpferischer Kräfte innerhalb der Gewerkschaften und in den Betrieben. In manchen Branchen wie im Sozial- und Gesundheitsbereich gibt es auch erste vielversprechende Ansätze dafür. Ziel muss sein nicht nur die Führung auszutauschen und linke Betriebsrät:innen zu etablieren, sondern von Grund auf die Organisationen zu revolutionieren. Es braucht die Verbindung des Kampfes für demokratische Gewerkschaften mit einer klar klassenkämpferischen Ausrichtung!

  • Für eine klassenkämpferische Basisbewegung in den Gewerkschaften um sie wieder zu demokratischen Kampforganisationen der Arbeiter:innenklasse zu machen!
  • Für die Organisierung der Unorganisierten. Für eine gewerkschaftliche Organisierungskampagne insbesondere in prekär besetzten Branchen wie Lieferdiensten, Pflegebereich oder Einzelhandel
  • Aufbau gewerkschaftlicher Basisorganisationen, um die Gewerkschaftsmitglieder in ihren Betrieben und in den Gewerkschaften zu organisieren
  • Für einen durchschnittlichen Facharbeiter:innenlohn für alle Gewerkschaftsfunktionär:innen
  • Verpflichtende Urabstimmungen der Beschäftigten über KV-Abschlüsse

Soziale Unterdrückung bekämpfen

Die kapitalistische Krise verschärft das Elend all jener, die abseits bzw. zusätzlich zu der Unterdrückung und Ausbeutung durch Lohnabhängigkeit aufgrund anderer Kriterien, wie Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung, Alter und Einschränkung unterdrückt werden. Denn es sind diejenigen, die aufgrund bestehender Marginalisierungen, Abhängigkeit und Prekarität am einfachsten anzugreifen sind, sowie auch von allgemeinen Verschlechterungen stärker getroffen werden. Rassismus und Sexismus sind zwei Unterdrückungsmechanismen, die in unserer Gesellschaft besonders weit verbreitet sind. Dahinter steht aber ein tief mit dem Kapitalismus verwurzeltes System sozialer Unterdrückung. Teilweise mit tiefen ideologischen und strukturellen Wurzeln in vorkapitalistischen Gesellschaften, ermöglicht es heute den Herrschenden eine Politik der Spaltung und Ablenkung und erleichtert auf diese Weise die Ausbeutung von Arbeitskraft.

Der beliebteste Mechanismus bürgerlicher Politik zur Ablenkung von ihren Machenschaften im Interesse des Kapitals ist die rassistische Hetze gegen Geflüchtete, Migrant:innen und Personen of Color. Über 100.000 Asylanträge wurden im Jahr 2022 in Österreich gestellt[vi], mehr als in der sogenannten Flüchtlingskrise 2015. Geflüchtete werden in Zelte gepfercht, der ÖVP-Innenminister forciert einen Ausbau der „Festung Europa“ mit neuen Zäunen und blockiert den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens. Die FPÖ fordert Grenzschließungen und spricht von einer „Festung Österreich“. Die SPÖ propagiert eine „Bodenseekoalition“ um „irreguläre Migration“ zu verhindern. Es wird zwischen guten Geflüchteten und Zugewanderten aus der Ukraine und schlechten Geflüchteten aus Afghanistan, Indien oder Tunesien gespalten.

Zum Teil noch viel akzeptierter und im Alltag allgegenwärtig ist der Sexismus, welcher der gesellschaftlichen Unterdrückung der Frauen entspringt und sich über heterosexistische Geschlechternormen auch gegen LGBTQIA+ Personen richtet. Der materielle Kern der Frauenunterdrückung liegt in der unbezahlten Reproduktionsarbeit (Hausarbeit, Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen etc.), welche überwiegend von Frauen verrichtet wird und häufig mit einer Mehrfachbelastung, ökonomischer Abhängigkeit und sozialer Isolation einhergeht. Eine Entwicklung in Österreich, welche die Lage der Frauen, sowie von Sexismus Betroffenen, gefährlich zu verschärfen droht, besteht in der drastischen Personalnot in Pflege und Kindergärten. Bis 2030 braucht es 100.000 zusätzliche Pflegekräfte[vii] und rund 14.000 – 20.000 Kindergartenbetreuer:innen[viii]. Diese Entwicklung bedroht die soziale Stellung der Frauen heute mit einem gewaltigen Rückschritt zu unbezahlter Care-Arbeit und damit verbunden ökonomischen Abhängigkeiten.

Die traditionellen Rollenbilder und Geschlechtsidentitäten zu hinterfragen, ist in annähernd progressiven Gesellschaftsschichten inzwischen normal, besonders unter jungen Menschen. Die LGBTQIA+ Community erhält Zulauf sowie Solidarität von liberalen Politiker:innen und so manchen Konzernen. Doch oft steckt dahinter nur ein profitables „pink washing“. Die ökonomischen Verhältnisse und die gesellschaftlichen Strukturen, wie insbesondere die bürgerliche Kernfamilie, welche die sozialen Geschlechter prägen, sind nicht verschwunden und können im Kapitalismus nicht verschwinden. Gerade in der Krise können sich diese Verhältnisse durch ökonomische Zwänge wieder stärker bemerkbar machen. Es droht ein queerfeindlicher Backlash.

  • Öffnet die Grenzen für alle Geflüchteten! Gegen rassistische Grenzpolitik, Grenzzäune, Obergrenzen für Geflüchtete und Push-Backs! Zugang zum Arbeitsmarkt für Geflüchtete und sowie gleiche Löhne und Arbeitsbedingungen!
  • Recht auf Staatsbürger:innenschaft und Wahlrecht für alle mit Lebensmittelpunkt in Österreich!
  • Für das Recht auf Muttersprache auf Behörden und Ämtern! Ausbau von mehrsprachigem Unterricht an Schulen!
  • Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit! Gewerkschaftliche Organisierungskampagnen in von Frauen dominierten Berufen und Erkämpfung höherer Löhne!
  • Kürzere Arbeitszeiten sowie bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen in Pflege und Kindergärten! Um den Anreiz zu erhöhen müssen die Ausbildungen für diese Berufe bezahlt werden!
  • Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit! Massiver Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen, Pflegeeinrichtungen, kollektiven Wohnformen, öffentlichen Kantinen und Waschküchen!
  • Für einen Ausbau von Gewaltschutzzentren! Organisierter Schutz von Frauen und LGBTQIA+ Personen gegen sexistische und sexualisierte Gewalt!

Krieg dem Krieg!

Schon seit Jahren zeichnet sich auf geopolitischer Ebene eine Verschärfung im Kampf um eine Neuverteilung der Welt an. Sei es in Syrien oder dem südchinesischen Meer, die Welt war gekennzeichnet von sich zuspitzenden Widersprüchen. Vor allem zwischen den alteingesessenen imperialistischen Großmächten, die die Nachkriegsordnung in ihrem Interesse prägen konnten (USA, EU und Japan) und der aufstrebenden imperialistischen Großmacht China mit Russland im Gepäck, das ebenfalls wenig Interesse an der „regelbasierten Weltordnung“ hatte.

Mit Russlands Krieg in der Ukraine sind diese Konflikte in einer noch nicht dagewesenen Intensität ausgetragen worden. Der russische Imperialismus möchte sich zurückholen, was er fälschlicherweise als seine „Einflusssphäre“ betrachtet. Die Leidtragenden sind vor allem die Menschen in der Ukraine, sowie alle von massiver Repression betroffenen Kriegsgegner:innen und Eingezogenen in Russland. Gleichzeitig präsentiert auch die „demokratische Wertegemeinschaft“, wie sich der westliche Imperialismus gerne bezeichnet, keine fortschrittliche Lösung. Sie steht vielmehr für den Status quo aus globalem Ausbeutungsregime und Umweltzerstörung und hat ihr eigenes Ausbeutungsinteresse an der Ukraine. Aufgrund der enormen Involvierung des Westens, sowie der kompletten Abhängigkeit des ukrainischen Regimes davon, ist für uns im aktuellen Krieg das Element des innerimperialistischen Konflikts dominant. Auch wenn es noch in weiter Ferne scheint, braucht es schon jetzt das Eintreten für eine unabhängige Antwort der Ausgebeuteten und Unterdrückten in allen Ländern und auf allen Kontinenten. Eine ausführlichere Diskussion zum Krieg in der Ukraine findet sich im Artikel „2022 – ein Jahr des Kriegs um die Ukraine“.

Für Österreich heißt das insbesondere, dass wir uns gegen jede Form der Aufrüstung und Militarisierung aussprechen. Nach deutschem Vorbild (wo ja das größte Rüstungspaket seit 1945 beschlossen wurde) soll hier der Krieg in der Ukraine dafür instrumentalisiert werden, die eigenen Streitkräfte massiv auszubauen. Gleichzeitig wird es in den nächsten Jahren mehr Versuche von Seiten der EU geben, eine gemeinsame „Verteidigungs“politik zu definieren und die einzelnen nationalen Armeen besser aufeinander abzustimmen. Eine gemeinsame EU-Armee ist zwar unwahrscheinlich muss aber trotzdem schon jetzt bekämpft werden.

Wir stehen beim Kampf gegen Krieg und Militarisierung aber nicht für pazifistische Neutralität. Wir sagen klar, dass dieses System mit all seiner Gewalt und seinem Leid nur durch die  organisierte und militante Arbeiter:innenklasse in einer Revolution gestürzt werden kann. Wir verteidigen zwar die positiven Aspekte der österreichischen Neutralität (keine Beteiligung an imperialistischen Militärbündnissen wie der NATO, etc.) aber kritisieren gleichzeitig die Illusionen die mit einem Ruf nach Neutralität verbunden sind. Österreich war nie wirklich neutral, schon zur Zeit des Kalten Kriegs war es im Lager des Kapitalismus angesiedelt, auch wenn es oft viel Spielraum in der Außenpolitik hatte.

Gleichzeitig ist die Verteidigung der Neutralität kein positives Programm: Wenn die Arbeiter:innenklasse in Österreich die Macht übernehmen würde, müsste ihre Außenpolitik alles andere als neutral, sondern auf die Unterstützung der Ausgebeuteten und Unterdrückten mit allen geeigneten Mitteln, ausgerichtet sein. Wir lehnen deshalb Rufe nach einer Neutralität Österreichs ab und vertreten stattdessen den Kampf um einen proletarischen Antimilitarismus.

  • Kompromissloser Kampf gegen die Militarisierung Österreichs und der EU. Kein Cent für die imperialistischen Armeen. Nein zu jeder Form der Aufrüstung, kein Ausbau der Militärkooperation und einer EU-Armee.
  • Enteignung der Rüstungsindustrie! Kein Export von Waffen an kapitalistische, reaktionäre Regime und für reaktionäre oder imperialistische Kriegsparteien!
  • Für den sofortigen Abbruch aller Kooperationen Österreichs mit der NATO wie der „Partnerschaft für den Frieden“ oder dem „Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat“! Konsequente Ablehnung aller Überflugs- und Transittransportrouten über und durch Österreich! Gegen jegliche NATO-Osterweiterung!
  • Gegen alle Auslandseinsätze des Bundesheers.

Die Klimakatastrophe aufhalten

Die Klimakrise ist im wahrsten Sinne des Wortes die brennendste Frage unserer Zeit. Die Klimakatastrophe bahnt sich nicht erst bedrohlich an, wie eine etwaige Dystopie am Ende des Jahrhunderts. Sie ist schon längst da und wir befinden uns mitten in ihr.

Kurz vor der 27. Klimakonferenz in Ägypten sorgte ein vorläufiger Bericht der Weltorganisation für Meteorologie für Aufsehen. Demnach sollen die vergangen acht Jahre die Wärmsten seit Anbeginn der Messgeschichte gewesen sein. Die Geschwindigkeit des Meeresanstiegs habe sich seit 1993 verdoppelt. Am höchsten Punkt von Grönland fiel dieses Jahr zum ersten Mal Regen. Ähnliche Meldungen lesen wir inzwischen tagtäglich in den Medien: Hitzewelle in Pakistan mit 51 °C, Dürre und Waldbrände, dann Rekordregenfälle, welche ein Drittel das Landes unter Wasser setzten und 33 Mio. Menschen vertrieben, 10.000 Hitzetote in Frankreich, Austrocknung des Po in Italien.

All das und vieles mehr ist Ausdruck davon, dass sich die globale Durchschnittstemperatur schon 1,2 °C über dem vorindustriellen Temperaturniveau befindet. Trotzdem war die Klimakonferenz 2022 eine Enttäuschung – schon wieder. Dabei hatten sich die Staaten dieser Erde mit dem Abkommen von Paris im Jahr 2015 darauf festgelegt, die Erderwärmung auf unter 2 °C zu begrenzen und Anstrengungen zu unternehmen, um 1,5 °C einzuhalten. Mit den bisher eingereichten nationalen Klimaplänen (NDCs) wird nicht einmal das Ziel von 2 °C erreicht. Schon jetzt erreichen wir wohl gefährliche Kipp-Punkte, bei denen das Klima weiter unkontrollierbar angeheizt wird.

Auch in Österreich spüren wir die Klimakatastrophe. Die Hitze im Sommer, die Trockenheit, welche die Landwirtschaft beeinträchtigt, Waldbrände, und geringere Wassermengen in Flüssen und Seen. Letztere wirkten sich 2022 negativ auf die Stromproduktion aus Wasserkraft aus, sodass selbst im Sommer Strom importiert werden musste. Und trotz dieser negativen Entwicklungen werden laut Prognosen die Treibhausgasemissionen wieder steigen, wenn das Gas wieder etwas billiger wird. Österreich droht seine Klimaziele einer Emissionssenkung um 36 % gegenüber 2005  sowie der Klimaneutralität bis 2040 zu verfehlen. Und die schwarz-grüne Regierung versagt in der Verabschiedung wichtiger Gesetze wie des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes.

Der Kampf gegen die Erderwärmung ist keineswegs vergebens. Es macht einen enormen Unterschied, ob wir die Erderwärmung heute und in der Zukunft weiter begrenzen oder nicht. Eine lebenswerte Zukunft für unsere Generationen und die uns nachfolgenden steht auf dem Spiel. Es rettet uns keine noch zu entwickelnde „grüne Zukunftstechnologie“, wir müssen die Erdwärmung jetzt stoppen. Es reicht auch nicht, individuell klimafreundlicher zu konsumieren, weniger das Auto zu nutzen oder weniger Flugreisen zu tätigen, auch wenn das sinnvoll ist. Was uns im Weg steht ist das kapitalistische System, welches mit Privateigentum, Konkurrenz und Profitlogik einen effektiven Weg aus der Klimakrise verunmöglicht. Die Lage erfordert radikale Maßnahmen, die nur in der Begrenzung und letztlich Brechen der Macht des Kapitals bestehen können! Dazu muss eine antikapitalistische, ökologische Bewegung aufgebaut werden, die sich auf die organisierte Macht der Arbeiter*innenklasse stützt.

  • Enteignung der Energiekonzerne unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten! Einsatz der Gewinne aus fossiler Energie für einen klimafreundlichen Umbau!
  • Massive Investitionen in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, insbesondere der Zugverbindungen, sowie weg vom individuellen PKW! Gratis Öffis für Alle.
  • Ausstieg aus fossiler Energie bei schnellstmöglichem Ausbau erneuerbarer Energie wie Photovoltaik, Windkraft, Wasserkraft und Geothermie. Gezielte Förderung für Forschung und Einsatz von Speichertechnologien!
  • Aufbau einer demokratischen Planwirtschaft zum umfassenden und nachhaltigen Umbau unseres Wirtschaftssystems!

Für eine revolutionäre Partei

Viele insbesondere junge Menschen haben die Ungerechtigkeiten und die zerstörerischen Seiten des Kapitalismus erkannt und engagieren sich dagegen und für eine bessere Zukunft. Doch so wichtig das konkrete Engagement auch ist, es reicht nicht aus, wenn es nicht gleichzeitig ein Kampf gegen das zugrunde liegende kapitalistische System ist. Wie können wir also einen solchen Kampf führen?

Viele linke Organisationen und Parteien in der Vergangenheit haben sich darauf beschränkt für konkrete Verbesserungen innerhalb des Systems zu kämpfen. Für bessere Arbeitsbedingungen, gegen rassistische oder sexistische Unterdrückungen usw. Wenn sie von Alternativen zum Kapitalismus gesprochen haben, dann als abstraktes Fernziel, losgelöst von ihrer konkreten Politik. Wir nennen solche Organisationen und Parteien innerhalb der Linken und der Arbeiter:innenbewegung reformistisch, weil ihre Politik nicht über Verbesserungen oder Abwendung von Verschlechterungen im Rahmen des Kapitalismus hinausgeht. Das prominenteste und unrühmlichste Beispiel in Österreich ist die SPÖ, welche sich weitestgehend mit dem Kapitalismus ausgesöhnt hat und diesen immer wieder in der Regierung mitverwaltet. Den fortschrittlicheren Aktivist:innen ist klar, dass es eine linkere Alternative zu dieser Partei braucht.

Manche Aktivist:innen wenden sich als vermeintliche Alternative der KPÖ zu. Sie ist eine Option auf Wahllisten und hat in letzter Zeit, insbesondere durch Verjüngung ihrer Führung mit Kräften u.a. aus der Jungen Linken, ihr Image verbessert, sich modernisiert und vom Wahlerfolg in Graz profitiert. Doch auch wenn die KPÖ immer wieder vom Kapitalismus spricht und diesen in Worten überwinden möchte, ist ihre Politik letztlich eine reformistische. Denn ihre Strategie zielt auf die Eroberung des kapitalistischen Staates durch Wahlen ab, Erweiterung durch partizipative Demokratie und letztlich eine nicht klar definierte solidarische Gesellschaft, zu deren Weg ein Bedingungsloses Grundeinkommen eine zentrale Rolle spielen soll. Diese Vorstellung einer „Transformation“ des Kapitalismus verkennt die Notwendigkeit unabhängiger proletarischer Machtorganisation und die Ersetzung des bürgerlichen Staates durch einen rätedemokratischen Halbstaat. Ähnliche und andere Spielarten eines solchen neuen Reformismus findet man bei den Parteien der Europäischen Linken, zu denen die KPÖ neben der deutschen Linkspartei oder der griechischen Syriza zählt.

Abseits von SPÖ und KPÖ finden wir in Österreich eine Menge an kleinen, verhältnismäßig unbedeutenden Organisationen der radikalen Linken. Sofern diese in stalinistischer / maoistischer Tradition stehen, sind sie nicht nur für viele Menschen unattraktiv aufgrund ihrer fehlenden Aufarbeitung der bürokratischen Herrschaft der stalinistisch degenerierten Arbeiter:innenstaaten, sondern verfolgen meist selbst wieder reformistische Irrwege der „Volksfront“ (eine Unterordnung unter bürgerliche Kräfte in einer gemeinsamen Allianz), etwa in Form einer anti-monopolistischen Demokratie. Andere Organisationen, meist aus trotzkistischer Tradition, verfolgen historische Konzepte, die eine zentristische Politik bedeuten, das heißt eine die sich gerne revolutionär gibt aber zwischen Reform und Revolution schwankt. Dazu zählen wir beispielsweise den Funke, die ISA (ehem. SLP) oder die Linkswende. Aufgrund der Schwäche in Bezug auf Verankerung, verknöcherter politischer Methode sowie Programmatik schließen wir im aktuellen Zustand eine gemeinsame politische Organisation mit diesen Kräften abseits einer größeren Umgruppierung aus.

Eine revolutionäre, kommunistische Partei hat die Aufgabe den Kommunismus mit der Arbeiter:innenbewegung zu vereinen. Dazu muss sie der Bewegung politisch Voranschreiten und mit ihrer Strategie, ihren Taktiken und geeigneten Forderungen das Bewusstsein der lohnabhängigen Massen heben. Das geht selbstverständlich nur durch eine enge Verbindung mit den Lohnabhängigen und der organisierten Arbeiter:innenbewegung.

Davon sind wir noch weit entfernt. Trotzdem oder gerade deswegen muss der revolutionäre Kommunismus in Österreich für seine eigenständige Programmatik in der Arbeiter:innenbewegung kämpfen. Deshalb lehnen wir Strategien zum Parteiaufbau ab, welche auf eine Auflösung in eine pluralistische Partei münden. Wir sind aber auch keine Sektierer:innen, die sich der Notwendigkeit von Zusammenarbeit und gemeinsamer Organisierung mit anderen linken Kräften verwehren. Gegen Angriffe der Regierung und der Kapitalist:innen sowie bei Kämpfen im Interesse der Arbeiter:innenklasse suchen wir die Zusammenarbeit im Rahmen einer Einheitsfront, das heißt in gemeinsamen Aktionen und möglichen dazugehörigen Organisationsformen, aber unter Beibehaltung unserer politischen und programmatischen Unabhängigkeit. Einheitsfronten zwischen verschiedenen Kräften der Arbeiter:innenbewegung oder linken Organisationen werden immer wieder nötig sein, um die Kampfkraft zu erhöhen. Sie können aber auch taktische Anknüpfungspunkte sein, um die reformistischen Apparate der Arbeiter*innenbewegung mit ihrem Massenanhang in eine Mobilisierung zu ziehen und deren Führungen in die Verantwortung zu ziehen und darin ihre verräterische Rolle zu offenbaren.

Eine neue linke Partei auf revolutionärer programmatischer Grundlage, gestützt auf die Arbeiter:innenklasse, muss in Österreich erst mühsam aufgebaut werden. Das wird unserer Einschätzung nach erst durch größere Verwerfungen in der politischen Landschaft und erfolgreichere linke Bewegungen und neue Organisierungen möglich sein, wie derzeit mit LINKS in Wien. Doch es ist notwendig in Vorbereitung darauf die revolutionären Kräfte zu sammeln, an den linken Bewegungen und relevanten Strukturen teilzunehmen und diese für den Aufbau einer revolutionären, kommunistischen Partei zu gewinnen, in Österreich und international!

Endnoten


[i] https://oesterreich.orf.at/stories/3187100/

[ii] https://www.vienna.at/jeder-zweite-oesterreicher-zu-einsparungen-gezwungen/7723816

[iii] https://www.kleinezeitung.at/home/klistenspecial/klistegross/6231088/CaritasPraesident-Landau_Ich-wuensche-mir-einen-politischen

[iv] https://www.oegb.at/der-oegb/organisation/offenlegung

[v] https://www.oenb.at/dam/jcr:e24197cc-d44a-4ef6-a0ec-fc0857dc719a/Konjunktur-aktuell-12_22.pdf

[vi] https://www.derstandard.at/story/2000141394444/100-000-asylantraege-heuerin-oesterreich-echte-staatskrise-oder-populistisches-ablenkungsmanoever

[vii] https://orf.at/stories/3228640/

[viii] https://orf.at/stories/3298709/