Warum wir für Staatsbürger:innenrechte für alle und offene Grenzen kämpfen müssen

Dilara Lorin, Neue Internationale 281, April 2024

Ob Bezahlkarten, Seenotrettung oder die Verschärfung der Asylgesetze – die Lage für Geflüchtete verschlechtert sich stetig. Während an den Außengrenzen Europas weiter fleißig aufgerüstet wird, um mehr Pushbacks und Gewalt durchsetzen zu können, hat sich In den letzten Jahren die Debatte immer mehr nach rechts verschoben, sei es die sogenannten bürgerlichen Mitte – oder auch innerhalb der Linken. Mit dem Weggang Wagenknechts hat die Linkspartei die Forderungen nach offenen Grenzen ihrerseits wieder präsenter in den Fokus gerückt, doch mittlerweile hört man häufiger dass „man realistisch denken“ muss. Warum das Schwachsinn ist und offene Grenzen, sowie Staatsbürger:innenrechte für alle notwendige Forderungen für alle fortschrittlichen Kräfte sein müssen, legen wir im folgenden dar.

Warum kämpfen wir für offene Grenzen?

Bewegungsfreiheit, sichere Fluchtwege und offene Grenzen: Für sich genommen, sind das reine demokratische Forderungen, die oftmals aufgeworfen werden, da sie als „moralisch richtig“ erscheinen. Für Marxist:innen steckt aber mehr dahinter: Grenzen sind untrennbar mit der Existenz kapitalistischer Nationalstaaten verbunden, welche wiederum die Aufgaben besitzen das Kapital zu verwalten und die Besitztümer der Herrschenden zu schützen. Für das Aufrechterhalten des kapitalistischen Systems ist dabei der Nationalstaat eine wesentliche Stütze, welche ohne gezogene Grenzen so nicht existieren könnte. Die Grenzen definieren den den inneren Marktes und Raum der politischen Macht im Land.

Diese Nationalstaaten existieren dabei nicht im luftleeren Raum, sondern sind Teil des imperialistischen Weltsystems. Der Großteil der Fluchtursachen – sei es Krieg, Armut, Umweltkatastrophen – sind selbst Folgen der Überausbeutung der halbkolonialen Welt durch imperialistische Nationen. Deswegen ist es unumgänglich für offene Grenzen einzustehen. Alles andere würde bedeuten, sich auf die Seite der eigenen Imperialistischen Interessen zu stellen und die Spaltung, die durch Nationalstaaten innerhalb der Arbeiter:innenklasse reproduziert wird sowie die Überausbeutung in den Halbkolonien, aufrechtzuerhalten.

Deswegen muss aktiv dagegen vorgegangen werden. Schließlich finden alle politischen Kämpfe im Rahmen eines global vernetzten kapitalistischen Weltsystems statt. Auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, als sei „Internationalismus“ die Summe verschiedener Klassenkämpfe, verstehen wir das nicht so. Vielmehr bilden der Weltmarkt und das kapitalistische System eine Totalität, die selbst den Nationalstaaten ihren Platz in einer globalen Ordnung zuweise und die politischen, ökonomischen und ideologischen Entwicklungen in den Ländern maßgeblichen prägt. Nur vor diesem Hintergrund kann der Klassenkampf in einer Nation wirklich begriffen werden, nur vor diesem Hintergrund erklären sich auch die „nationalen Spezifika“.

Im Gegensatz zur Bourgeoisie hat die Arbeiter:innenklasse international objektiv das gleiche Interesse – die Abschaffung der mit dem Kapitalismus einhergehenden Ausbeutung und damit auch aller die Klasse trennenden Grenzen. Die Bourgeoisien aller Länder hingegen verteidigen zwar die bestehende Ordnung – und tun das auch bis zu einem gewissen Grad koordiniert. Aber zugleich stehen sie zueinander als Kapitalist:innen in Konkurrenz. Für sie bildet der Nationalstaat nicht nur einen Rahmen für ihr agieren, sondern auch ein unterlässliches Mittel in der Weltmarktkonkurrenz – bis hin zum politischen und militärischen Kampf um die Neuaufteilung der Welt.

Damit die Arbeiter:innenklasse erfolgreich sein kann, muss sie sich aber auf internationaler Ebene organisieren. Man kann daher auch von einem Gesamtinteresse der Arbeiter:innenklasse auf internationaler Ebene sprechen. Deswegen müssen nicht nur alle Ereignisse im Klassenkampf in ihrer Ursache Wirkung im internationalen Geschehen betrachtet werden und Internationalismus als Grundlage der eigenen Politik verstanden werden. Es bedeutet auch, dass die Spaltungen, die innerhalb der Klasse existieren – auch auf internationaler Ebene – aktiv bekämpft werden müssen.

Das ist an dieser Stelle kein reiner Automatismus. Die kapitalistische Konkurrenz  sorgt dafür, dass in imperialistischen Zentren auch Teile der Arbeiter:innenklasse – oftmals Arbeiter:innenaristrokatie, sowie Arbeiter:innenbürokratie – von besagter Überausbeutung profitieren. Praktisch wird das an der Politik der „Standortsicherung“ oder dem „Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit“ sichtbar.

Warum sind Staatsbürger:innenrechte für alle notwendig?

Weniger populär, aber ebenso notwendig ist die Forderung nach Staatsbürger:innenrechte für alle. In der Vergangenheit wurde in der Refugee- oder Antirassismusbewegung immer wieder das Bleiberecht gefordert. Dies ist an sich nicht verkehrt, aber mehr als unzureichend. Warum?

Zum einen ist Bleiberecht eine minimale Forderung, die letzten Endes dazu führt, dass man hier nur „geduldet“ wird und defacto als Mensch zweiter Klasse in unserer Gesellschaft lebt. Denn Bleiberecht bedeutet nicht automatisch, dass man einen unbegrenzten Aufenthaltstitel hat. Rechtlich ist es der Status davor, der impliziert, dass man jederzeit wieder abgeschoben werden kann. Somit werden sie effektiv vom politischen Leben ausgeschlossen. Arbeiten darf man zwar, aber Einfluss nehmen, wer im Parlament sitzt und über die eigene Zukunft entscheidet? Das ist nicht drinnen.

Dabei denken wir, dass Staatsbürger:innenrechte für alle, die sinnvollere Forderung im Kampf sein muss. Nicht nur weil alle Menschen die gleichen Möglichkeiten und Rechte haben sollten, unabhängig von ihrer Herkunft oder Nationalität, sondern auch weil durch diese Forderung die rassistische Selektion auf Basis der Herkunft verhindert. Denn auch wenn man es bei der aktuellen Hetze kaum glauben mag – der Kapitalismus ist auf Migration angewiesen. Dabei findet die Selektion daran statt, ob man dem Interesse des Arbeitsmarktes gerecht wird oder nicht. Den Aufenthalt zu begrenzen – und zu entrechten, sorgt dafür, dass Menschen den Konjunkturschwankungen noch stärker ausgeliefert sind, ihr Aufenthaltstitel immer prekär ist bis hin zur Abschiebung, wenn sie für den Arbeitsmarkt nicht mehr gebraucht werden.

Schließlich bedeutet der Kampf für Staatsbürger:innenrechte für alle nicht anders als die Forderung nach Abschaffung jeder rechtlichen und politischen Benachteiligung von Migrant:innen und Geflüchteten. Damit sie als Mitkämpfer:innen in den Klassenkampf voll miteinbezogen werden, müssen wir auch darum kämpfen, dass sie alle demokratischen Rechte ausüben können – insbesondere das Recht auf politische und gewerkschaftliche Betätigung, darunter das das aktive und passive Wahlrecht.

Natürlich heben die demokratischen Forderungen – offen Grenzen und volle Staatsbürger:innenrechte – die gesellschaftliche Unterdrückung und Diskriminierung der Migrant:innen noch nicht auf. Sie sind aber eine wichtige Voraussetzung dafür, dass der Kampf gegen die Unterdrückung wirklich erfolgreich geführt werden kann. Alles andere läuft – ob man das will oder nicht – letztlich auf eine Festschreibung entweder auf eine Selektion von Menschen, die einreisen dürfen oder nicht, oder auf die Fortschreibung rechtlicher Benachteiligung hinaus – Formen der Unterdrückung, die nebenbei bemerkt, vor allem die Lohnabhängigen treffen.

Und wie realistisch ist das?

Jene, die den Realismus fordern, werden an der Stelle natürlich nicht abgeholt werden sein. Zu Ihnen soll zuerst gesagt werden: Realistisch ist, sich anzuschauen, was notwendig ist, um gemeinsam den Klassenkampf führen zu können. Es ist dabei bezeichnend, dass Reformist:innen und andere „Realist:innen“ hier direkt radikale demokratische Forderungen ablehnen, nur weil sie selbst die Funktionsweise der nationalstaatlichen Kontrolle der Bewegung der Arbeitskraft auf internationale Ebene in Frage stellen.

Der Reformismus offenbart hier seinen bürgerlichen Charakter selbst auf dem Gebiet der demokratischen Reform, scheut er doch im Namen des Realismus vor dem konsequenten Kampf für tatsächliche Verbesserungen zurück.

Auch das Argument, dass – vor allem im Angesicht des Rechtsrucks – das Bewusstsein der Klasse noch nicht „bereit“ genug ist, ist an dieser Stelle fadenscheinig, vor allem von Organisationen, die für den Sozialismus eintreten. Denn von Revolution oder Sozialismus sind nicht weniger „unrealistisch“ als die Forderung nach offen Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle. Vielmehr ist vor allem angesichts des Rechtsrucks und der damit einhergehenden notwendig eine klare, internationalistische Perspektive hereinzutragen und für eine antirassistische Bewegung einzustehen.

Dabei ist die Verbindung entscheidend von demokratischen und klassenspezisischen Forderungen zentral, um der Konkurrenz zwischen verschiedenen Gruppen der Lohnabhängigen entgegenzuwirken. Die Reichen sollen zahlen! Es sind nicht die Geflüchteten, die das Problem sind. Statt den Hass auf diese zu lenken und Angst zu schüren, dass sie Arbeit oder Wohnraum wegnehmen, ist die Perspektive klar: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, Enteignung des leerstehenden Wohnraums und Spekulationsobjekten, um die Wohnungsnot unmittelbar zu lindern. Wir müssen für Verbesserungen für alle eintreten und gleichzeitig gegen den für sichere Fluchtwege, offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle!  Wenn der Kapitalismus das Versprechen der „Einheit aller Menschen“ nicht einhalten kann, dann brauchen wir eine Revolution, die die Grenzen einreißt.




Anti-AfD-Proteste: Welche Rolle sollten Gewerkschaften spielen?

Christian Gebhardt, Neue Internationale 281, April 2024

Das Jahr 2024 fing ermutigend an: Jede Woche war von größeren Demonstrationen zu lesen. Gar von einer Protestewelle war die Rede, als in ca. 200 deutschen Städten am Wochenende Menschen auf die Straße gingen, um gegen die bekanntgewordenen Remigrationspläne der AfD und ihnen nahestehender rechter Strukturen zu demonstrieren – Pläne, die viele Menschen betreffen würden. So war es nicht verwunderlich, dass sich bis Ende Februar etwa 4 Millionen Menschen beteiligten, nicht nur in Großstädten, sondern auch im ländlichen Raum. Doch nun scheint der Protest abzuebben – und das liegt nicht daran, dass der Rechtsruck aufgehalten wurde. Woran also sonst? Und welche Rolle spielen dabei die Gewerkschaften?

Kern des Protests

Während die CORRECTIV-Recherchen über das Hinterzimmertreffen der AfD und die „Remigrationspläne“ zwar Auslöser für die Proteste waren, so lag deren Hauptimpuls jedoch nicht in der Besorgnis um den gesellschaftlichen Rechtsruck oder die massenhaften Abschiebungen, sondern die Gefahr, die daraus für den Status quo der herrschenden Ordnung und damit den parlamentarisch-demokratischen Teil des kapitalistischen Überbaus erwächst. Oder kurz: die Angst vor dem drohenden Faschismus, verkörpert durch die AfD, sowie drohende „Weimarer Verhältnisse“. Konkret, dass die AfD für Verfassungsfragen die Größe einer sogenannten Sperrminorität erreichen könnte und somit keine Beschlüsse mehr mit Zweidrittelmehrheit gefasst werden könnten. Dies ist wichtig zu verstehen, um den Protest entsprechend zu charakterisieren.

Das heißt nicht, dass Antirassismus keine Rolle gespielt hat und nicht für viele ebenfalls ein Beweggrund gewesen ist. Nur spielte dieser nicht die Hauptrolle. Das ist einer der Gründe, warum sich die aktuellen Regierungsparteien so einfach unter den Protest mischen konnten, ohne für ihre aktuelle Abschiebepraxis kritisiert zu werden. Dadurch wurde es FDP, CDU/CSU, Grünen, SPD und der LINKEN ermöglicht, mit dem Finger auf die AfD zu zeigen und für das kommenden Superwahljahr von ihrer menschenverachtenden Asylpolitik in Landes- und Bundesregierungen abzulenken.

Vertreten auf den Protesten waren jedoch nicht nur Regierungsparteien, sondern auch andere unterschiedliche Organisationen der „Zivilgesellschaft“, von NGOs über Kirchen bis hin zu den DGB-Gewerkschaften. Doch nach ein paar Wochen zeigte sich schnell ein bekanntes Mobilisierungsmuster aus den letzten Jahren, wie bei den #unteilbar- Demonstrationen: ein breites, buntes Bündnis soll dafür gewonnen werden, moralisch die Ideologie der extremen Rechten zu verunglimpfen. Doch nach den einzelnen Kundgebungen sowie Demonstrationen passierte nicht mehr viel. Das hilft wenig im Kampf gegen rechts, genauso wenig wie etwaige Verbotsdiskussionen. Damit der Protest nicht verpufft, könnte vieles getan werden. Insbesondere den Gewerkschaften fällt hier eine Schlüsselposition zu.

Eine der zentralen Fragen ist also: Wie kann so ein Protest zu einer Bewegung werden, die nicht nur gegen die AfD moralisiert, sondern dem Rechtsruck insgesamt etwas entgegenstellen kann?

Vom Protest zur Bewegung

Um gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu ändern, reicht es nicht aus, dass diejenigen, die eh schon gegen die AfD sind, einfach auf die Straße gehen. Das hat vor 10 Jahren recht wenig gebracht und bringt heute noch weniger. Vielmehr muss der Protest in den Alltag getragen werden, an Schulen, Universitäten – und in die Betriebe. Hier sitzen die Gewerkschaften in einer Schlüsselposition. Theoretisch könnten sie ihre Mitgliedschaft mobilisieren, tausende von Betriebsversammlungen organisieren und damit einer Bewegung massiven Anschub leisten. Auf solchen Versammlungen reicht es jedoch nicht, nur mit moralisierenden Argumenten oder leeren Floskeln wie „Humanität“ und „Toleranz“ zu kommen. Um wirklich etwas zu verändern, müssen konkrete Verbesserungen erkämpft werden. Auch dies wäre durch die Gewerkschaften möglich, schließlich spielen sie eine Schlüsselrolle und können so effektiv auf den Produktionsprozess Druck ausüben.

Warum ist das notwendig?

Die AfD ist nicht über Nacht erfolgreich geworden, sondern existiert seit 10 Jahren. Damit wird sie mittlerweile nicht mehr einfach nur aus Protest gewählt von jenen, die mal eben den etablierten Parteien eins auswischen wollen. Vielmehr ist sie Resultat der

immer offener auftretende Krisen, die Zukunftsängste erzeugen und für die die etablierten Parteien keine adäquaten Lösungsansätze bieten können. Schließlich sind sie doch selbst das Problem oder haben über Jahrzehnte hinweg die Auswirkungen dieser Krise in den Augen vieler verwaltet und mitverantwortet. In diesem Windschatten konnte sich die AfD erst hinter ihrer Anti-EU-, dann Anti-Geflüchteten- und nun ihrer Anti-Ampelpolitik immer weiter aufbauen, an Stimmen gewinnen und auch politische Themen bestimmen und diese nach rechts drängen. Anstatt die Politik der Rechten aktiv zu bekämpfen, konnten die „Verwalter:innen“ des Systems nicht anders, als deren Forderungen und darüber hinaus aufzunehmen und dabei die politische Landschaft insgesamt nach rechts zu verschieben.

Aber nicht nur die politischen Parteien, sondern auch die Gewerkschaften haben zu dieser Stimmung beigetragen. Durch ihre starke Verbindung mit der SPD und in gewissem Masse mit der LINKEN, bildeten sie stets einen Stabilisierungsaktor für die Regierungspolitik. Durch ihre sozialpartnerschaftliche Strategie sorgten sie nicht nur für das Abwälzen von Krisenlasten auf breite Teile der arbeitenden Gesellschaft (und somit auf ihre eigenen Mitglieder), sondern trugen auch durch ihre Positionen zum Ukrainekrieg und Nahostkonflikt dazu bei, dass sie als Teil des „Problems“ wahrgenommen werden und nicht als eine Organisation, von denen sich Menschen Lösungen für ihre Krisenängste erwarten.

Wer nun erfolgreich gegen rechts kämpfen will, muss mit dieser Politik brechen, konkreter: mit der Sozialpartner:innenschaft.

Fesseln der Sozialpartner:innenschaft

Diese Strategie stellt eine der größten Fesseln dar, die die Gewerkschaften, vermittelt durch ihre Bürokratie und die reformistischen Parteien, an das kapitalistische System bindet und sie dazu verdammt, die Sozial-, Migrations- oder Außenpolitik der Regierung zu verteidigen. Dies bedeutet, dass die Gewerkschaftsbürokratie die herrschende Politik samt ihrer Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsverhältnisse mittels ihrer Klassenversöhnungsstrategie und Führung ihrer Arbeitskämpfe abdeckt und unterstützt. Dies äußert sich derzeit vor allem in den geführten Tarifauseinanedersetzungen, die sich alle unabhängig von der Kampfkraft der Beschäftigten an der „Konzertierten Aktion“ orientieren. Diese wurde zusammen mit dem Kanzler, den Regierungsparteien und den DGB-Gewerkschaftsspitzen abgesprochen und vereinbart, um klare Haltelinien für die Tairfverhandlungen festzulegen. Diese sollen es einerseits der Regierung ermöglichen, ihre Programme zu verwirklichen und gleichzeitig der Gewerkschaftsbürokratie erlauben, ihren Stammbelegschaften Erleichterungen zu versprechen, kämpferische Töne anzuschlagen, ohne aber sie in für die Regierung gefährliche Richtung lenken zu müssen.

Was könnten die Gewerkschaften denn tun?

Mit Hinblick auf die Bewegung gegen rechts geht es vor allem darum, Antworten zu geben, wie an dieser angesetzt werden und ihr eine politische Stoßrichtung gegen die Politik der Regierung und der Abwälzung der unterschiedlichen Krisenlasten auf unsere Schultern gegeben werden kann. Diese Abwälzung muss verhindert werden. Sie verkörpert eine der realsten Zukunftsängste vieler Menschen. Es muss sich aktiv gegen die von der AfD (wie auch anderen konservativen Parteien) betriebene Sündenbockpolitik in Gestalt von „Ausländer:innen“, „Migrant:innen“, „Bürger:innengeldbezieher:innen“ oder „Arbeitslosen“ entgegenstellt werden, anstatt diese Erklärungsmuster wie beim BSW zu verinnerlichen. Die Probleme müssen klar angesprochen und offengelegt werden: Für die zunehmenden Krisen und Zukunftsängste ist das Kapital mit seinen internationalen Konkurrenzkämpfen, die sie auf unseren Rücken austrägt, verantwortlich, also wirklich Sündenbock.

Die Gewerkschaften könnten durch die Organisierung von Geflüchteten, Migrant:innen, Arbeiter:innen, Jugendlichen sowie Arbeitslosen und Rentner:innen Brücken schlagen zwischen diesen Menschen. Durch Massenmobilisierungen können diese zusammengeführt und unterschiedliche politische Themen angesprochen werden. Dadurch lässt sich zum Beispiel der Kampf gegen rechts im Betrieb mit dem gegen Lohnabbau und Sozialkürzungen gut verbinden. Hierbei kann doch aufgezeigt werden, dass nicht die Bezüge für Arbeitslose bzw. Migrant:innen schuld daran sind, dass es zu Reallohnverlusten während der Inflation kommt, sondern es daran liegt, dass das Kapital nicht mehr Geld lockermachen möchte, obwohl für Managerboni wie bei der Bahn die Millionen fließen können. Dies kann praktisch dadurch geschehen, dass wir für Verbesserungen für alle auf die Straße gehen – finanziert durch die Reichen – und dabei nicht zurückschrecken, klare antirassistische Positionen zu beziehen. Zentrale Forderungen für eine Kampagne, die unterschiedliche Proteste zusammenführen kann, könnten u. a. folgende sein:

  • Mehr für uns: Anhebung des Mindestlohns für alle und Mindesteinkommen gekoppelt an die Inflation! Für das Recht auf Arbeit und die gewerkschaftliche Organisierung aller Geflüchteten, keine Kompromisse bei Mindestlohn und Sozialleistungen!

  • Wohnraum muss bezahlbar bleiben: Nein zum menschenunwürdigen Lagersystem! Enteignung leerstehenden Wohnraums und Nutzbarmachung öffentlicher Immobilien zur dezentralen und selbstverwalteten Unterbringung von Geflüchteten und für massiven Ausbau des sozialen Wohnungsbaus statt Privatisierung! Nein zu Leerstand und Spekulation!



AfD bekämpfen – aber wie?

Stefan Katzer, Infomail 1246, 23. Februar 2024

Seit Wochen gehen Menschen in ganz Deutschland auf die Straße, um gegen die AfD zu demonstrieren. Hunderttausende beteiligten sich an Kundgebungen in den großen Städten und auch in mittelgroßen und kleineren kam es zu Protesten. Die Teilnehmer:innen zeigen sich vielfach empört über die Deportationspläne, die auf einem Treffen zwischen Mitgliedern der AfD, der Werteunion und Vertreter:innen rechtsextremer Gruppierungen diskutiert und durch eine Recherche Anfang Januar bekanntwurden. Diese Pläne machen deutlich, was die AfD vorhat, sollte sie an die Regierung kommen. Sie stellt ohne jeden Zweifel eine reale Bedrohung dar, insbesondere für rassistisch unterdrückte Menschen. Sollte man sie deshalb verbieten? Diese Frage wird seitdem vermehrt diskutiert.

Bürgerlich-demokratische Heuchelei

Zunächst ist es jedoch wichtig festzuhalten, dass sich die Lage rassistisch unterdrückter Menschen bereits unter der regierenden Ampel-Koalition dramatisch verschlechtert hat. Während die AfD aufgrund ihrer Rolle als Oppositionspartei bisher nur davon träumen kann, Menschen massenweise abzuschieben, hat die Bundesregierung bereits vor einigen Wochen eine Abschiebeoffensive angekündigt. In diesem Zusammenhang hat sie das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz verabschiedet und die Repression gegenüber Geflüchteten massiv verschärft. Der Entscheidung vorausgegangen war eine monatelange Debatte, in der sowohl die regierenden Ampel-Parteien als auch die oppositionelle CDU/CSU das „Problem“ der „illegalen“ Migration immer weiter aufbauschten und der AfD damit in die Karten spielten. Sowohl die Ampel-Parteien wie auch die oppositionelle Union haben dadurch dem Rechtsruck und weiteren Aufstieg der AfD den Boden bereitet.

Nun aber, da die AfD in einigen ostdeutschen Bundesländern laut Umfragen stärkste Kraft zu werden droht, reihen sich diese Heuchler:innen in die Anti-AfD-Proteste ein und versuchen zugleich, sie für ihre eigenen Zwecke zu vereinnahmen. Dementsprechend handelt es sich bei der Bewegung, die in den letzten Wochen auf der Straße war, um ein breites, klassenübergreifendes Bündnis, das von sehr unterschiedlichen politischen Kräften und gesellschaftlichen Schichten getragen wird. Die Frage, die dabei im Raum steht, ist die, wie die AfD wirksam bekämpft werden kann.

Verbieten oder bekämpfen?

Ein Vorschlag, der in letzter Zeit vermehrt diskutiert wird, ist der nach einem Verbot der Partei. Eine Online-Petition, die ein solches Verbot fordert, konnte bis zum jetzigen Zeitpunkt bereits hunderttausende Unterschriften sammeln. Die Befürworter:innen des Verbots beziehen sich dabei auf Artikel 21 des Grundgesetzes, wonach Parteien, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfen, verfassungswidrig sind und daher verboten werden können.

Auch in linken Kreisen wird dieser Vorschlag vermehrt diskutiert. In der Zeitschrift „Analyse und Kritik“ argumentieren die Autor:innen des Artikels „Verboten faschistisch“, dass die Linke den Verbotsvorschlag aufgreifen und mit ihren eigenen Argumenten unterfüttern solle. Sie plädieren dafür, die Verbotsforderung gegenüber der AfD mit deren konkreter Politik zu begründen und nicht mit dem Hinweis darauf, dass diese „extremistisch“ sei. Dies ermögliche es der Linken, die Verbotsforderung gegenüber der AfD mit einer Kritik an anderen bürgerlichen Parteien und deren migrationsfeindlicher Politik zu verbinden und sich selbst aus der Schussbahn zu nehmen.

Es ist dabei keineswegs so, dass die Autor:innen das Verbot als Allheilmittel gegen Rechtsruck und Faschismus betrachten. Vielmehr begreifen sie es als eine Art Notwehrmaßnahme, um bestehende Handlungsspielräume für die eigene, linke Politik zu sichern. Laut den Autor:innen sei das Verbot der AfD derzeit „der einzige Vorschlag mit Hand und Fuß“ und daher unterstützenswert. Dem Einwand, dass sich eine solche Verbotsforderung auch gegen linke Organisationen richten könnte, messen sie gegenüber den Vorteilen eines Verbots weniger Gewicht bei.

Zwar sind auch die Autor:innen überzeugt, dass durch ein Verbot der AfD die rassistischen Einstellungen ihrer Anhänger:innen und Wähler:innen nicht einfach verschwinden würden, doch würde es „die politische Schlagkraft dieser Einstellungen durch parteipolitische Formierung, Sammlung und Finanzierung, einschränken.“

Von Böcken und Gärtnern: der bürgerliche Staat als antifaschistisches Bollwerk?

Allein: Bis zu einer Entscheidung über ein Verbot könnten Jahre vergehen. Es ist also keineswegs so, dass es, sollte es tatsächlich dazu kommen, kurzfristig den Aufstieg der Rechten stoppen könnte. Ein solches Verbot kann zudem nur vom Bundestag, dem Bundesrat oder der Bundesregierung beantragt werden. Die Entscheidungsbefugnis liegt dann beim Bundesverfassungsgericht. Der bürgerliche Staat wäre in dieser Strategie also der entscheidende Akteur, während die Bewegung gegen die AfD sich selbst in eine passive Rolle fügen würde. Der Kampf gegen Rechtsruck und Faschismus würde dadurch an eine bürgerliche Institution delegiert, welche die gesellschaftlichen Bedingungen, die dem Aufstieg der Rechten zugrunde liegen, im Zweifelsfall mit Gewalt verteidigt.

Was eine solche Strategie zudem in Bezug auf die Dynamik der Bewegung bedeuten könnte, kann man am Beispiel des Volksentscheids in Berlin zur Frage der Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. beobachten. Dort wurde die Bewegung für die Enteignung großer Immobilienkonzerne, die zwischenzeitlich massive Proteste organisierte, letztlich durch den Senat ausgebremst, der eine Entscheidung immer weiter hinauszögerte und der Bewegung damit den Wind aus den Segeln nahm. Zur Enteignung kam es dann trotz erfolgreichen Volksentscheids letztlich nicht – und die Bewegung erlahmte, ohne ihr Ziel erreicht zu haben.

In Bezug auf das AfD-Verbot ergäben sich ähnliche Probleme. So ist es keinesfalls sicher, dass die AfD tatsächlich verboten würde, sollte es zu einem Verfahren gegen sie kommen. Zwar gibt es mit dem „Flügel“ um Björn Höcke eine einflussreiche Strömung innerhalb der Partei, die Verbindungen zu faschistischen Gruppierungen unterhält und auch vom sog. „Verfassungsschutz“ als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird. Doch ist die Partei als Ganze keineswegs faschistisch, wodurch ihr Verbot eher unwahrscheinlich erscheint.

Neben den geringen Erfolgsaussichten eines solchen Verbotsverfahrens und der Tatsache, dass sich Verbotsforderungen immer auch gegen linke Organisationen richten könnten, spricht vor allem dagegen, dass mit einem Verbot der Partei keineswegs die gesellschaftlichen Ursachen beseitigt würden, die den Aufstieg der AfD begünstigten. Ein erneuter Aufstieg der Rechten nach einem Verbot der Partei wäre wahrscheinlich, zumal die Krisen, die der Kapitalismus produziert, sich immer weiter zuspitzen. Dessen scheinen sich auch die Autor:innen des Artikels bewusst zu sein, wenn sie schreiben, dass ein Verbot der AfD der Linken lediglich eine Atempause verschaffen würde.

Über Ursachen und Strategien

Doch die entscheidende Frage, die sich daraus ergibt, stellen die Autor:innen erst gar nicht. Es ist die nach der strategischen Perspektive im Kampf gegen die AfD. Sie gilt es, zu diskutieren und praktisch zu beantworten. Hierfür muss man zuallererst die Ursachen ergründen, die den Aufstieg der AfD begünstigten.

Der Aufstieg der AfD und anderer rechter Kräfte steht in engem Zusammenhang mit der Krise der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, ja ist selbst Ausdruck dieser krisenhaften Entwicklung. Fallende Profitraten und die Überakkumulationskrise des Kapitals führen zu einer Verschärfung der Konkurrenz zwischen den einzelnen Kapitalen wie zwischen den nationalen Gesamtkapitalen, die ihre Rivalität auf internationaler Bühne vermehrt mit kriegerischen Mitteln austragen. Die Verschärfung der Konkurrenz und der neu entbrannte Kampf um die Neuaufteilung der Welt aber bilden den Nährboden für Rassismus, Militarismus, Populismus, Autoritarismus und faschistische Tendenzen.

Die Rechten verleihen dabei dem Unbehagen kleinbürgerlicher Schichten, die durch die verstärkte Konkurrenz zunehmend an die Wand gedrückt werden, einen politischen Ausdruck, stehen aber auch insgesamt für eine andere Strategie von Teilen der Bourgeoisie, die weniger exportorientiert sind und stärker auf Protektionismus setzen. Angesichts des Fehlens einer revolutionären Alternative wirkt die Demagogie der Rechten zugleich anziehend auf Teile der Arbeiter:innenklasse, die aufgrund von Krise und Inflation ebenfalls immer stärker unter Druck gerät.

Begreift man den Aufstieg der Rechten aber als ein Krisenphänomen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, wird klar, dass der Kampf dagegen in eine Gesamtstrategie zur revolutionären Überwindung des Kapitalismus eingebettet werden muss. Die Linke darf somit den Kampf gegen Rechtsruck und Faschismus nicht isoliert betrachten und danach ausrichten, was unmittelbar als machbar erscheint, sondern muss ihn als integralen Bestandteil des internationalen Klassenkampfes begreifen und ihn mit den Kämpfen gegen Aufrüstung, Krieg und Sozialabbau verbinden.

Es greift hingegen zu kurz, im Kampf gegen die AfD zur Verteidigung der bürgerlichen Demokratie aufzurufen und die „Einheit aller Demokrat:innen“ zu beschwören. Zwar ist es richtig, demokratische Rechte zu verteidigen, doch darf eine Bewegung gegen den Rechtsruck vor einer Kritik an der bürgerlichen Demokratie nicht zurückschrecken. Das führt nur dazu, dass sich die AfD auch weiterhin als einzige Opposition zu den „Systemparteien“ positionieren kann.

Staat, Rechte, Klassenkampf

Verbot und Einheit der Demokrat:innen erlauben es der AfD und anderen, offen faschistischen Gruppierungen nicht nur, sich als Pseudoopposition darzustellen. Sie bilden zugleich auch eine politische Reserve für die herrschende Klasse, sollten neben der staatlichen Repression auch andere Mittel notwendig werden, um gegen Streiks und andere Widerstandsformen der Arbeiter:innenklasse vorzugehen. Daher wird jedes Verbot logischerweise immer inkonsequent bleiben müssen – und die „Vernetzung“ von extremer Rechter, AfD und (ehemaligen) Teilen der Union, wie sie bei den Enthüllungen von Korrektiv auch deutlich wurde, zeigt, dass Querverbindungen von Staat (inklusive Repressionsorganen), faschistischen und rechtsradikalen Kräften sowie „Wertkonservativen“ längst schon bestehen. Die krisenhafte Entwicklung der Gesellschaft wird dies weiter befördern.

Zweitens würde ein Verbot der AfD und anderer Rechter unwillkürlich nicht nur Illusionen in die Rolle des bürgerlichen Staates stärken, es würde vor allem auch dessen Machtmittel vergrößern. Dies ließe sich nur vermeiden, wenn das Verbot nicht durch wachsende Befugnisse von Polizei, Geheimdiensten und anderen Behörden sowie durch den Ausbau des Personals unterfüttert würde. In diesem Fall würde es nur auf dem Papier bestehen, wäre faktisch eine Fiktion. Würde es wirklich umgesetzt, so würde es zu einer Stärkung des repressiven Staatsapparates führen müssen, dessen Mittel „natürlich“ auch gegen alle anderen „Gefährder:innen“ „der Demokratie“ verwendet werden würden. Es würde also unwillkürlich die Tendenz zum Autoritarismus, zur Einschränkung demokratischer Rechte, deren Ursache selbst in der Krise und imperialistischen Konkurrenz liegt, zusätzlich stärken und legitimieren.

Drittens versetzt es die Arbeiter:innenklasse und die rassistisch Unterdrückten in eine passive, rein abwartende Rolle, die durch die scheinbare und fiktive Einheit von Arbeiter:innenklasse und „demokratischer“ Bourgeoisie auch ideologisch untermauert wird. Die Verbotslosung (wie ein umgesetztes Verbot) stärkt letztlich das Gewaltmonopol des bürgerlichen Staates, also der herrschenden Klasse, auch wenn es sich auf den ersten Blick ausnahmsweise auch gegen rechts zu richten scheint.

In Wirklichkeit entwaffnet es die Arbeiter:innenklasse politisch-ideologisch und materiell bzw. verfestigt die bestehende ideelle Entwaffnung, indem die Gewerkschaften, linke Parteien und auch Teil der „radikalen“ Linken politisch hinter bürgerlichen Kräften hertraben (auch wenn diese bei den Demonstrant:innen nur eine Minderheit sind). In Wirklichkeit müssen Revolutionär:innen und alle klassenkämpferischen und internationalistischen Kräfte daran arbeiten, die klassenübergreifenden „Einheit der Demokrat:innen“ aufzubrechen. In der Verbotslosung bündelt sich gewissermaßen diese Einheit zu einem zentralen Ziel. Wenn die AfD und rechte Organisationen auch legal verboten werden können, wozu braucht es dann noch Selbstverteidigungsorgane der Unterdrückten und der Arbeiter:innenklasse? Wozu müssen faschistische Aufmärsche und Organisationen militant bekämpft werden, wenn der Staat sie ohnedies verbietet?

Arbeiter:inneneinheitsfront statt „Einheit der Demokrat:innen“

Statt die Einheit mit den selbsternannten „Demokrat:innen“ zu suchen, muss die radikale Linke für die Einheit der Arbeiter:innenklasse kämpfen. Hierzu muss sie Druck auf die reformistischen Organisationen ausüben und sich darum bemühen, die Gewerkschaft in den Kampf hineinzuziehen. Innerhalb dieser Bewegung muss die radikale Linke für Forderungen kämpfen, die auf die Selbstorganisation der Arbeiter:innenklasse zielen, AfD, Nazis und staatlichen Rassismus bekämpfen! Zugleich muss sie in der Bewegung dafür argumentieren, dass dieser Kampf mit dem zur Überwindung des Kapitalismus und für die Errichtung der revolutionären Rätemacht des Proletariats verbunden werden muss.

So sollte die Linke innerhalb dieser Bewegung für den Aufbau von Selbstverteidigungskomitees eintreten, die von Migrant:innen, Flüchtlingen, Linken und Gewerkschaften getragen werden, anstatt sich an den bürgerlichen Staat zu wenden. Diese Selbstverteidigungsorgane sind mögliche Keimformen von zukünftigen Milizen der Arbeiter:innenklasse, Kampforgane nicht nur gegen die Rechten, sondern auch gegen jede Form der Repression. Ihre Propagierung und Errichtung stellt  eine Brücke zum Kampf um die Rätemacht dar, wenn wir den Faschismus nicht nur bekämpfen, sondern im globalen Maßstab tatsächlich besiegen wollen. Dies kann die Linke nur, wenn sie mit dem imperialistischen Weltsystem zugleich die gesellschaftlichen Bedingungen für die autoritär-reaktionären Formierungen bekämpft, die derzeit in vielen Teilen der Welt auf dem Vormarsch sind. Kein bürgerlicher Staat der Welt kann uns diese Aufgabe abnehmen.

  • Nein zu allen rassistischen Gesetzen! Stopp aller Abschiebungen! Offene Grenzen und volle Staatsbürger:innenrechte für alle, die hier leben!

  • Nein zu allen Überwachungsmaßnahmen und zur Kriminalisierung von Migrant:innen und politischen Flüchtlingen!

  • AfD und Nazis organisiert entgegentreten! Gegen rechte Übergriffe und Angriffe: Selbstschutz von Migrant:innen und Gewerkschaften aufbauen!

  • Gemeinsamer Kampf gegen die gesellschaftlichen Wurzeln von Faschismus und Rassismus! Gemeinsamer Kampf gegen Inflation, Niedriglohn, Armut und Wohnungsnot!



Irland: Widerstand gegen die extreme Rechte

Bernie McAdam, Infomail 1243, 23. Januar 2024

Die jüngsten Ausschreitungen in Dublin haben ein neues Licht auf die Aktivitäten der aufstrebenden irischen Rechtsextremen geworfen. Nach einer Messerstecherei vor einer Dubliner Schule entwickelte sich ein rechtsextremer Protest gegen Migrant:innen und Flüchtlinge, der durch rassistische Äußerungen in rechtsextremen Netzwerken in den sozialen Medien inszeniert wurde, zu einem Gefecht mit der irischen Polizei (Garda Siochána; Gardai). Es folgten Plünderungen und Angriffe auf öffentliche Verkehrsmittel, einschließlich eines Angriffs auf einen Busfahrer mit Migrationshintergrund, wobei viele Angehörige ethnischer Minderheiten im Stadtzentrum um ihre Sicherheit fürchteten.

Die Wahrheit über die Messerstecherei war so weit von den rassistischen Gerüchten entfernt wie nur möglich. Nicht ein algerischer Einwanderer war der Messerstecher, sondern ein Ire, der an einer psychischen Krankheit leidet. Tatsächlich kam Caio Benicio, ein brasilianischer Deliveroo-Fahrer, dem angegriffenen jungen Mädchen zu Hilfe und schlug den Angreifer mit seinem Motorradhelm zurück.

Diese Ausschreitungen finden vor dem Hintergrund zunehmender Angriffe auf Flüchtlingslager und Schikanen gegen Bibliotheksmitarbeiter:innen im vergangenen Jahr statt. Mehrere flüchtlingsfeindliche Proteste haben sich vor Asylbewerber:innenheimen abgespielt, oft mit lokaler Unterstützung und Hassreden von bekannten rechtsextremen Aktivist:innen. Behelfsmäßige Lager wurden in Ashtown und zuletzt in der Sandwith Street in Dublin angegriffen, wo Zelte niedergebrannt wurden.

Parallel dazu wurden gewählte Vertreter:innen von Sinn Fein und People before Profit (PbP), die sich im Dail (Parlament) für die Rechte von Migrant:innen eingesetzt haben, angegriffen. In Leitrim wurde ein Brandanschlag auf das Haus von Martin Kenny, Abgeordneter von Sinn Fein, verübt, und Paul Murphy, Abgeordneter von PbP, wurde von rechtsextremen Schläger:innen körperlich angegriffen und sein Haus mit Posten umzingelt. Auch gegen Mick Barry, Deputierter der PbP-Solidarität, wurde ein Anschlag auf sein Büro verübt.

Bibliotheken wurden von rechtsextremen Schläger:innen versperrt und gestürmt, wobei auch Bibliotheksmitarbeiter:innen schikaniert wurden. All dies, um die Bereitstellung von LGBTIA+-Lesematerial, Drag-Events und „pornografischen“ Büchern zu verhindern. Die Mahnwache in der Stadtbibliothek von Cork im Juli wurde von Ireland First organisiert, der jüngsten rechtsextremen Partei in Irland. Die Irish Freedom Party und die National Party sind die beiden anderen großen Gruppen im rechtsextremen Spektrum.

Angriffe auf Migrant:innen

In Irland sind erst in jüngster Zeit rechtsextreme Gruppierungen entstanden, die zwar noch klein sind, aber eine wachsende Feindseligkeit gegenüber Migrant:innen und Flüchtlingen entwickeln. Der Aufstieg des Rechtspopulismus auf internationaler Ebene, insbesondere die Wahl von Trump, hat der irischen extremen Rechten zunächst Auftrieb gegeben. Die Alarmglocken begannen zu läuten, als der rechte Präsidentschaftskandidat Peter Casey, der behauptete, dass die nichtsesshafte Gruppe der Traveller (Fahrende) „im Grunde genommen Menschen sind, die in fremdem Land campieren“, 2018 den zweiten Platz belegte. Der Rassismus gegen Traveller bildete in der Vergangenheit einen Schwerpunkt der Diskriminierung in Irland.

In den letzten 20 Jahren gab es in Irland zahlreiche Kämpfe und Massenkampagnen, die darauf abzielten, die Regierungspolitik und reaktionäre Sozialgesetze zurückzudrängen. Dies reichte von Bewegungen gegen Müllgebühren, Haushalts- und Grundsteuerabgaben bis hin zu den erfolgreichen Massenmobilisierungen gegen Wassergebühren. Hinzu kamen die siegreichen Ergebnisse der Volksabstimmungen, die die Gleichstellung der Ehe und die Aufhebung des achten Zusatzartikels, was die Abtreibungsrechte verbesserte, sicherstellten.

Eine Gegenreaktion gegen diese Bewegungen war immer zu erwarten. Insbesondere die katholische Kirche war von den Ergebnissen des Referendums erschüttert. Kein Wunder, dass die aufkommende extreme Rechte sich gerne mit unzufriedenen Menschen verband, die einen traditionellen katholischen Standpunkt vertraten, der in der Ablehnung von LGBTIA+-Rechten und der Feindseligkeit gegenüber dem Recht der Frau auf sexuelle Selbstbestimmung verwurzelt war.

Das Hauptziel der Rechtsextremist:innen waren jedoch immer Migrant:innen und Flüchtlinge. Obwohl ihre Stimmen gering waren, fühlten sich die Rechtsextremen selbstbewusst genug, um in den letzten fünf Jahren bei einer Reihe von Wahlen anzutreten, als die Proteste gegen Flüchtlinge zunahmen. Sie begannen, aus einwanderungsfeindlichen Vorurteilen Kapital zu schlagen.

Es folgte die COVID-Krise, bei der faschistische Aktivist:innen auf Verschwörungstheorien und Proteste gegen Lockdowns und Impfen setzten. Aber es war die Aufnahme von 70.000 ukrainischen Flüchtlingen durch die irische Regierung im Jahr 2022, die die extreme Rechte auf den Plan rief.

Die irische Regierung beschloss, so viele ukrainische Flüchtlinge wie möglich in Hotels, leerstehenden Gebäuden usw. unterzubringen, aber alle anderen Flüchtlinge mussten sich selbst versorgen. Dies führte zu Obdachlosenlagern und etwa 500 Flüchtlingen, die auf der Straße leben. Das hat diese Lager zu leichten Zielen für die Faschist:innen gemacht. Nicht nur Obdachlosenlager, sondern auch Hotels, in denen Flüchtlinge untergebracht waren, bildeten die Angriffspunkte.

Die Krise wurde noch verschärft, als die Regierung im März ankündigte, dass Hotelverträge zur Unterbringung von Flüchtlingen gekündigt würden, da sich die Hotelbetreiber:innen der Touristensaison näherten. In einem Land, in dem bereits 250.000 Wohnungen fehlen und ein Mangel an erschwinglichen Miet- und Kaufobjekten herrscht, fanden rechtsextreme Demagog:innen leider auch in einigen Arbeiter:innengemeinden Gehör. Die Vernachlässigung der Wohnungskrise durch die irische Regierung und ihre diskriminierende Politik haben diesem Anstieg des Rassismus Vorschub geleistet.

Wie man die extreme Rechte stoppen kann

In Irland kam es in letzter Zeit zu Massenbewegungen und einem fortschrittlichen sozialen Wandel, was jedoch kaum auf das Eingreifen von Gewerkschaften zurückzuführen ist. Die irische Arbeiter:innenklasse ist durch Angriffe auf ihren Lebensstandard in Bedrängnis geraten.

Jahrelange Sparmaßnahmen, die Auswirkungen von Covid, ein marodes Gesundheitswesen und eine chronische Wohnungskrise haben die Arbeiter:innenklasse schwer getroffen. Aber die Gewerkschaftsführung hat diesen Zustand nicht in Frage gestellt. Sie macht sich sogar mitschuldig an den Angriffen der Regierung, indem sie ihre Mitglieder durch die Unterzeichnung von Sozialpartnerschaftsabkommen zügelt.

Wenn die organisierte Arbeiter:innenklasse über ihre Gewerkschaften weiterhin untätig bleibt, können wir mit einer stärkeren Bedrohung von rechts rechnen. Die Selbstgefälligkeit der Bürokrat:innen in Bezug auf die Vertretung ihrer Arbeiter:innen wird durch ihre katzbuckelnde Nutzlosigkeit angesichts der rassistischen Angriffe auf Wanderarbeiter:innen ergänzt.

Der Irische Gewerkschaftskongress (ICTU) organisierte als Reaktion auf die Ausschreitungen eine kleine Mittagskundgebung, bei der ICTU-Generalsekretär Owen Reidy von „unserer wunderbaren Polizei“ sprach. Dies ist eine völlig unangemessene Reaktion, die die Realität auf den Kopf stellt. Genauso wenig wie die Behauptung von Mary Lou McDonald von Sinn Fein, dass die Regierung und der Kommissar es versäumt hätten, die Gardai richtig auszustatten. Die Gardai, die eine sehr weiche und ineffektive Haltung gegenüber dem randalierenden Mob eingenommen hat, wird weder Migrant:innen noch irgendeine andere Gruppe von Arbeiter:innen im Kampf verteidigen!

Es hat wichtige Mobilisierungen gegen die Rechte gegeben, von der Linken, die geholfen hat, das Camp in der Sandwith Street zu verteidigen, bis zu den Zehntausenden, die letztes Jahr bei der „Irland für alle“-Demonstration gegen den zunehmenden Rassismus mitmarschiert sind. Die jüngste Zunahme der „For All“-Kampagnen könnte durchaus als Katalysator für eine koordinierte antirassistische und antifaschistische Einheitsfront wirken.

Was wir jetzt dringend brauchen, ist eine Einheitsfront von linken Organisationen und solchen der Arbeiter:innenklasse, die Flüchtlinge angemessen verteidigen und faschistische Angriffe zerschlagen kann. Eine ermutigte extreme Rechte wird nicht vor Flüchtlingen Halt machen, wie wir bereits bei der Einschüchterung linker Abgeordneter gesehen haben. Das Wachstum des Faschismus wird von seiner Fähigkeit abhängen, die Straßen zu kontrollieren, als eine effektive Straßenkampftruppe. Mit faschistischem Terror kann man nicht argumentieren, aber man kann ihn physisch stoppen. Organisierte Selbstverteidigung ist eine Notwendigkeit und muss ernsthaft aufgebaut werden.

Zugleich müssen reale Problem wie die Wohnungskrise angegangen werden. Zu lange hat die Regierung die Interessen des multinationalen Großkapitals, der Immobilienentwickler:innen und der abwesenden Vermieter :innen geschützt. Wir müssen Sofortmaßnahmen zur Unterbringung von Obdachlosen und Flüchtlingen fordern, indem wir leerstehende Gewerbe- und Unternehmensimmobilien nutzen.

Wir brauchen ein massives Sofortprogramm für gesellschaftlich nützliche öffentliche Arbeiten, um Vollbeschäftigung zu schaffen und die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur zu entwickeln. Die Arbeiter:innenklasse sollte an der Ausarbeitung einer Anhörung zu den sozialen Bedürfnissen beteiligt werden, die sich mit Fragen wie dem chronischen Wohnungsmangel, dem heruntergekommenen Wohnungsbestand und dem Aufbau eines öffentlich finanzierten nationalen Gesundheitsdienstes mit gleichberechtigtem Zugang befasst.

Diese öffentlichen Arbeiten sollten Teil eines demokratisch entwickelten Produktionsplans unter der Kontrolle der Arbeiter:innen sein. Ein massives Wohnungsbauprogramm würde einen Teil dieses Plans bilden und, wie der Rest des Programms, durch die Besteuerung der Reichen finanziert werden. Ein solcher Schritt würde den Kampf für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft eröffnen, in der für den Bedarf und nicht für die kapitalistische Gier produziert würde!

Der Faschismus ist ein Produkt des kapitalistischen Zerfalls. Bürgerliche „demokratische“ Regierungen fördern das Wachstum des Faschismus durch ihre Unfähigkeit, die Probleme des krisengeschüttelten Kapitalismus zu lösen. In ähnlicher Weise kann das Fehlen einer revolutionären Alternative zum Kapitalismus das Wachstum der extremen Rechten nur fördern. Eine solche revolutionäre Alternative, die sich auf ein Aktionsprogramm der Arbeiter:innenklasse stützt, muss jetzt aufgebaut werden, damit sie Faschismus und Kapitalismus auf den Müllhaufen der Geschichte befördern kann!




Gegen Rassismus und die Rechte: Wie die AfD stoppen?

Susanne Kühn, Neue Internationale 280, Februar 2024

Ob in Hamburg, Berlin oder Potsdam, ob in Köln, Frankfurt/Main oder München: Hunderttausende gehen in den letzten Wochen gegen Rechtsruck und AfD auf die Straße. Am Wochenende vom 19. – 21. Januar waren es bundesweit weit mehr als eine Million, davon allein in Berlin und München 300.000 bzw. 200.000. Mitglieder, Anhänger:innen und Wähler:innen eines breiten, klassenübergreifenden demokratischen Spektrums protestieren dort, um ihre Wut, ihre Betroffenheit und ihre Angst vor dem Rechtsruck deutlich zu machen.

Unmittelbarer Auslöser dieser Massenbewegung waren die jüngst von der Rechercheplattform CORRECTIV enthüllten Pläne zur „Remigration“, also zur Vertreibung von Millionen Menschen. Bei einen „privaten“ Geheimtreffen präsentierten der Faschist und bis 2023 Sprecher der Identitären Bewegung, Martin Sellner, Vertreter:innen der AfD, der Werteunion und anderer Rechter und Rechtsextremer ihren „Masterplan“, um „die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln“. Asylbewerber:innen, Menschen mit Bleiberecht und „nicht assimilierte Staatsbürger“ sollten von einer zukünftigen Rechtsregierung allesamt deportiert werden. Gemeinsam sollte die nationale und völkische Rechte dazu ideologische, „diskursive“ und natürlich auch handfeste Vorbereitung leisten, um schon jetzt Migrant:innen des Leben möglichst unerträglich zu machen.

Völkisch-rassistische Ziele

Verwundern sollten diese völkisch-faschistischen Ziele, die phantastischen, aber zugleich durchaus ernstzunehmenden und bedrohliche Pläne nicht. Der Zulauf zur AfD in den Umfragen, wiewohl durch die Regierungspolitik und die Krise genährt, geht seit Jahren mit ihrer Radikalisierung selbst einher. Der Thüringer Landesvorsitzende und Rechtsaußen, Höcke, avancierte zum realen Taktgeber der Partei, deren „gemäßigter“ Flügel wurde in den letzten Jahren marginalisiert. Aber in den letzten Wochen trag es Millionen überdeutlich zu Bewusstsein, dass die AfD keine „normale“ rechte Partei ist, sondern dass ihr extremer Rassismus die gezielte Deportation von Millionen anvisiert.

Massenhaftes Entsetzen verursachten die Enthüllungen von CORRECTIV wegen der offenkundigen, sich jedem halbwegs vernünftigen Menschen aufdrängenden Parallele zum Nationalsozialismus, zur Wannseekonferenz und den Plänen zum industriellen Massenmord am jüdischen Volk. Pläne wie die Errichtung eines bis zu zwei Millionen Menschen umfassenden „Musterstaates“ für „Remigrierte“ in Afrika erinnern unwillkürlich an die nationalsozialistischen Pläne, vier Millionen Jüdinnen und Juden nach Madagaskar zu deportieren. Und dieser offene Bezug zum Faschismus verdeutlicht, wie weit nicht nur direkte Nazis, sondern auch immer größere Teile des bürgerlichen Lagers zu gehen bereit sind. Die Verharmlosungen des Treffens als rein „privaten“ Austausch durch AfD-Funktionär:innen und Mitglieder der Werteunion oder die Darstellung von Teilnehmer:innen des Treffens, dass man Sellner „so nicht verstanden“ hätte, sind reine Schutzbehauptungen – sonst nichts. Unglaubwürdig ist dabei nicht nur die AfD, sondern natürlich auch die CDU, die so tut, als wäre die Werteunion nicht aus ihr hervorgegangen.

Die Anwesenheit ihrer Vertreter:innen, die aus dem rechten Flügel der CDU/CSU stammen, beim „privaten“ Treffen verweisen ebenso wie der Aufstieg der Freien Wähler und die anvisierte Bildung neuer rechtskonservative Parteien zwischen AfD und CDU/CSU auf einen Umbruch in bürgerlichen und kleinbürgerlichen Schichten, der keineswegs bloß als „Protest“, sondern als Abspaltung zur Neuformierung des bürgerlich-rechten Lagers begriffen werden muss.

Die Grenzen der Breite

In jedem Fall hat der Schock über die Enthüllungen eine riesige Demonstrationswelle ausgelöst. Und das ist gut so. Die Bewegung umfasst die radikale Linke, die reformistischen Parteien SPD und DIE LINKE, Gewerkschaften, Fridays for Future, antirassistische Initiativen, Migrant:innenorganisationen, Die Grünen, die Kirchen, FDP und sogar Teile der Unionsparteien. Faktisch also fast alle außer der AfD und offenen Nazis und Rassist:innen.

Auf den Demonstrationen sprechen neben Vertreter:innen der „Zivilgesellschaft“ Redner:innen aller Parlamentsparteien, von Regierung, linker wie bürgerlicher Opposition, auch wenn zweifellos jene aus dem reformistischen und links-bürgerlichen Spektrum dominieren und wohl auch große Mehrheit der Teilnehmer:innen mobilisieren. Kaum jemand, die/der nicht die „Einheit der Demokrat:innen“ beschwört, der Ruf nach dem Verbot der AfD wird laut.

Doch was vielen als größte Stärke der Bewegung erscheint, ihr klassenübergreifender Charakter, die Einheit von Scholz und Merz, aller Parteien bis hin zur Linkspartei, stellt in Wirklichkeit auch ihre Schwäche dar.

Rechtsruck und Rassismus, deren extrem gefährlicher Ausdruck der Aufstieg der AfD zweifellos ist, scheint nur außerhalb der „demokratischen“ Mitte, der anständigen Vertreter:innen der bürgerlichen Verhältnisse zu existieren.

Dabei überbieten sich gerade die Vertreter:innen ebendieser „Mitte“ – von CDU/CSU, FPD, SPD, Grünen und neuerdings auch der BSW – mit unentwegten Forderungen nach „besserer“ Regulation der Migration. Auf ein rassistisches Gesetz folgt faktisch das nächste. Während die EU-Außengrenzen weiter dicht gemacht werden, patrouilliert die Bundespolizei an den deutschen Grenzen.

Während sich Faeser, Scholz, Baerbock und Lindner als Menschenfreund:innen inszenieren, beschließt die Ampel-Mehrheit am 18. Januar im Bundestag das „Rückführungsverbesserungsgesetz“, die jüngste einer Reihe rassistischer Gesetzesverschärfungen. Dies soll lt. Olaf Scholz ermöglichen, dass Asylbewerber:innen „im großen Stil“ abgeschoben werden. Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass die Durchsuchungsmöglichkeiten der Polizei ausgeweitet werden. Außerdem sollen Abschiebungen nicht mehr angekündigt werden, sofern nicht Familien mit Kindern unter zwölf Jahren betroffen sind. Und schließlich sollen Widerspruch oder Klage gegen Abschiebungen keine aufschiebende Wirkung mehr haben. Union und AfD ging das nicht weit genug, aber ein weiterer Schritt Richtung Ausweisung aller „unnützen“ Migrant:innen ist das allemal.

Die fast zeitgleich beschlossene Erleichterung von Einbürgerungen kann das nicht nur nicht aufwiegen. Sie passt vielmehr ins Konzept der „kontrollierten“ Migration, wie sie auch das deutsche Kapital fordert.

Während die Regierung und andere „Demokrat:innen“ die völkische und nationalistische Hetze der AfD verurteilen, heizen sie selbst antimuslimischen und antiarabischen Rassismus an, kriminalisieren die Solidaritätsbewegung mit Palästina und wollen zukünftig Migrant:innen auf ihre „Verlässlichkeit“ hinsichtlich der deutschen Staatsräson überprüfen.

Alle diese rassistischen Maßnahmen und Gesetzesverschärfungen stellen heute für Millionen Migrant:innen und Geflüchtete die unmittelbar größte Gefahr dar. Während die Regierung und die bürgerlichen Kräfte so tun, als würden sie den Nazis offensiv entgegentreten, schieben sie selbst „im großen Stil“ ab, versuchen, den Rechten und CDU/CSU den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie sich deren Forderungen zumindest teilweise zu eigen machen und umsetzen.

Gegen den Rassismus der Rechten – und von Staat und Regierung!

Wer konsequent gegen die völkischen, faschistischen und rechtspopulistischen Kräfte kämpfen und mobilisieren will, darf daher zum Rassismus der Regierung, zu den neuen Abschiebegesetzen, zum antimuslimischen Rassismus und zur Kriminalisierung von politisch oppositionellen Migrant:innen nicht schweigen. Antirassismus muss Kampf gegen diese staatlichen Maßnahmen inkludieren, ansonsten wird er selbst unglaubwürdig.

Zweitens müssen wir uns auch klar von der illusorischen Vorstellung abgrenzen, dass der Rechtsruck und die AfD durch ein Parteiverbot gestoppt werden würden. Damit würden weder der staatliche Rassismus noch Faschismus verschwinden. Vor allem aber verkennt diese Losung, dass das deutsche Kapital in einer zugespitzten Krise oder angesichts massiven Klassenwiderstandes auf AfD und weit rechtere Kräfte zurückzugreifen bereit ist. Schließlich kann die Forderung von bürgerlicher Seite auch leicht zur Begründung von Verboten linksradikaler „antidemokratischer“, außerhalb des „Verfassungskonsenses“ stehender Organisationen herangezogen werden, wie wir es schon heute bei solchen palästinensischer, kurdischer oder türkischer Organisationen sehen.

Um den Zulauf zur AfD zu stoppen, können und dürfen wir uns nicht auf den Staat verlassen und schon gar nicht dürfen wir uns an sie anpassen, wie das die BSW tut. Der Kampf gegen Rassismus und gegen Faschismus muss vielmehr als Teil des Klassenkampfs verstanden werden. Daher müssen wir in der Bewegung gegen die Rechten für die Herausbildung einer antirassistischen Einheitsfront der Gewerkschaften, der linken Parteien, der Migrant:innenorganisationen, der radikalen Linken kämpfen. Dazu müssen sich Linke, internationalistische und alle Organisationen der Arbeiter:innenbewegung an den Massenkundgebungen und Demonstrationen nicht nur beteilten, sondern auch offen und sichtbar für eine internationalistische und klassenkämpferischen Stoßrichtung eintreten.

  • Nein zu allen rassistischen Gesetzen! Stopp aller Abschiebungen! Offene Grenzen und volle Staatsbürger:innenrechte für alle, die hier leben!

  • Nein zu allen Überwachungsmaßnahmen und zur Kriminalisierung von Migrant:innen und politischen Flüchtlingen!

  • AfD und Nazis organisiert entgegentreten! Gegen rechte Übergriffe und Angriffe: Selbstschutz von Migrant:innen und Gewerkschaften aufbauen!

  • Gemeinsamer Kampf gegen die gesellschaftlichen Wurzeln von Faschismus und Rassismus! Gemeinsamer Kampf gegen Inflation, Niedriglohn, Armut und Wohnungsnot!



Die französische Arbeiter:innenklasse muss sich gegen rassistische Gesetze wehren!

Marco Lassalle, Infomail 1240, 30. Dezember 2023

Am 19. Dezember hat das französische Parlament ein weiteres Einwanderungsgesetz verabschiedet – das 117. Gesetz zu diesem Thema seit 1945! Aber es ist viel schlimmer als alle vorherigen Gesetze. Es wurde von Innenminister Gérald Darmanin vorgeschlagen, von Präsident Emmanuel Macron unterstützt, von den rechten Senator:innen der Partei Les Républicains stark umgeschrieben und schließlich mit den Stimmen des von Marine Le Pen geführten Rassemblement National (RN) angenommen.

Es ist leicht zu verstehen, warum die rassistische und fremdenfeindliche RN für dieses Gesetz gestimmt und einen ideologischen Sieg errungen hat. Es enthält eine Reihe von Maßnahmen, die dazu führen, dass vielen Migrant:innen grundlegende Leistungen und Rechte vorenthalten werden. Es unterstützt das RN-Ziel der „nationalen Präferenz“ (wonach französische Staatsbürger:innen beim Zugang zu staatlichen Sozialleistungen Vorrang vor Ausländer:innen haben sollten) und wird weitgehend dazu beitragen, die reaktionären und falschen Ideen des RN zu verbreiten: dass Migrant:innen nur nach Frankreich kommen, um von Sozialmaßnahmen zu profitieren, sie für den Mangel an Wohnraum und Arbeitsplätzen verantwortlich, kriminell und gefährlich für die nationale Sicherheit sind. Kurz gesagt, es ist eine giftige Mischung aus Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, gespickt mit Lügen und Verleumdungen.

Maßnahmen

Hier einige der Maßnahmen, die das neue Gesetz vorsieht:

  • Staatliche Leistungen wie Wohnungs- oder Familienbeihilfen werden Migrant:innen erst nach einer Verzögerung (bis zu fünf Jahren) gewährt, je nachdem, ob sie arbeiten oder nicht (obwohl die meisten Migrant:innen bei ihrer Ankunft in Frankreich nicht arbeiten dürfen).

  • Das Gesetz sieht die Einführung von Quoten für Migration vor, und die Legalisierung von migrantischen Lohnabhängigen wird vom Wohlwollen des/der Präfekt:in (Vorsteher:in eines Amtsbezirks) abhängen.

  • Das Gesetz ist ein Schlag gegen den Grundsatz des „loi du sol“, das Recht der in Frankreich Geborenen, mit ihrer Volljährigkeit die französische Staatsbürger:innenschaft zu erlangen, und geht auf ein früheres zurück, das von dem erzreaktionären Charles Pasqua unterstützt wurde.

  • Ausländische Universitätsstudent:innen müssen eine „Kaution“ an den Staat zahlen, die erst bei der Ausreise am Ende des Studiums zurückerstattet wird.

  • Bürger:innen mit doppelter Staatsbürger:innenschaft verlieren die französische, wenn sie sich schwerer Straftaten schuldig machen.

Um die Unterstützung des rechten Flügels zu erhalten, musste die Regierung außerdem versprechen, dass Anfang 2024 AME, die staatliche medizinische Hilfe, mit der alle Einwander:innen dringende medizinische Versorgung erhalten können, „reformiert“, d. h. wahrscheinlich stark eingeschränkt oder abgeschafft wird.

Das Gesetz enthält Maßnahmen, die so schockierend reaktionär sind, dass sich die Regierung sogar an den Verfassungsrat wendet, um einige seiner Artikel außer Kraft zu setzen, da sie gegen die Präambel der Verfassung von 1946 verstoßen, die besagt, dass „niemand wegen seiner/ihrer Herkunft benachteiligt werden darf“.

Die Verabschiedung des Gesetzes war selbst in Macrons Lager ein großer Schock, da 59 Abgeordnete der Regierungspartei dagegen stimmten und ein Minister zurücktrat. Die Behauptung Macrons bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen, er sei ein Bollwerk gegen Marine Le Pen und ihre Ideen, hat sich als eine weitere Lüge erwiesen. Allerdings hat die Arbeiter:innenklasse von den „Linken“ innerhalb des Präsidentenlagers wenig zu erwarten, da sie viele andere Angriffe gegen die Arbeiter:innen akzeptiert oder sogar durchgeführt haben.

Der französische Kapitalismus und die Überausbeutung

Seit Jahrhunderten braucht der französische Kapitalismus billige überausgebeutete Arbeitskräfte. Zunächst in Form von Sklav:innen auf den karibischen Inseln, später als indigene Zwangsarbeiter:innen in seinem Kolonialreich und im letzten Jahrhundert als Migrant:innen, in den letzten Jahrzehnten vor allem aus dem Maghreb. Die demokratischen Rechte dieser Arbeiter:innen wurden systematisch negiert und diese Entrechtung erreichte während des algerischen Unabhängigkeitskrieges in den 1950er und 1960er Jahren ein hysterisches Niveau. Die rassistische Ideologie diente als Rechtfertigung für diese Diskriminierung, obwohl auf allen öffentlichen Gebäuden „Egalité“ (Gleichheit) steht. Ein rassistischer Polizei- und Staatsapparat, dessen Personal nach dem Zweiten Weltkrieg vom faschistischen Vichy-Regime übernommen wurde, war für Repressionen und Massaker an Arbeitsmigrant:innen verantwortlich. Die von Jean-Marie Le Pen gegründete Front National baute auf einer rassistischen Ideologie auf und wandte sich massiv an die Anhänger:innen der Front Algérie Française. Aber auch die traditionellen rechten Parteien haben rassistischem Gedankengut geschmeichelt, und das gilt selbst für die linken Parteien.

Die französische Bourgeoisie war schon immer mehr als bereit, migrantische Arbeitskräfte zu beschäftigen und auszubeuten, die meisten von ihnen aus den ehemaligen französischen Kolonien in Afrika, sowohl im Maghreb als auch in Westafrika. Die rassistische Unterdrückung ermöglicht es den Bossen, sie in schlecht bezahlten Jobs zu halten, wobei ihnen oft grundlegende Arbeits- und Gewerkschaftsrechte verweigert werden. Entgegen der Verleumdung, dass Migrant:innen auf der Suche nach staatlichen Beihilfen nach Frankreich strömen, arbeiten die meisten von ihnen lange Jahre im Verborgenen als Sans Papiers (Menschen ohne Ausweisdokumente), insbesondere im Bau- und Dienstleistungssektor. Sie sind weit davon entfernt, von der staatlichen Sozialhilfe zu profitieren, denn sie zahlen zwar die obligatorischen Sozialbeiträge, haben aber keinen Anspruch auf entsprechende Beihilfen. Trotz der rassistischen Hysterie nimmt der Anteil der Migrant:innen an der Bevölkerung des Landes kaum zu: 7,8 % im Jahr 2022, 6,5 % im Jahr 1975. Selbst der Vorsitzende des MEDEF, des wichtigsten Arbeit„geber“verbandes, schätzt den Bedarf der französischen Wirtschaft auf 3,9 Millionen zugewanderte Arbeitskräfte in den kommenden Jahrzehnten aufgrund der niedrigen Geburtenrate ein. Das französische Kapital will eine „kontrollierte“ Zuwanderung und zwingt die Migrant:innen weiterhin in extrem unsichere und übermäßig ausgebeutete Arbeitsverhältnisse.

Die extreme Rechte will noch weiter gehen. Bereits in den 1980er Jahren prägte Jean-Marie Le Pen den Slogan „eine Million Einwander:innen, eine Million Arbeitslose“ und suggerierte damit, dass die Ausweisung der Migrant:innen das Problem der Arbeitslosigkeit lösen würde. Marine Le Pen, die Tochter von Jean-Marie, propagiert das Konzept der „nationalen Präferenz“ und warnt vor der „Unterwanderung“ des französischen Volkes durch eine angebliche Migrationswelle. Ihre Ideen werden durch das neue Gesetz eindeutig legitimiert.

In dieser Hinsicht stellt das Gesetz einen Bruch mit früheren rassistischen Gesetzen dar. Während alle diese Angriffe gegen den Gleichheitsgrundsatz enthielten, stellt die schiere Menge an konzentrierten Schlägen gegen Migrant:innen dieses Gesetz eindeutig auf eine andere, viel gefährlichere Ebene. Es spiegelt die Verbreitung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der französischen Bevölkerung wider: Den Umfragen zufolge wird die Partei von Marine Le Pen bei den kommenden Europawahlen im Juni nächsten Jahres mit rund 28 % (und zusätzlich 6,5 % für ihre faschistische Nichte Marion Maréchal) die stimmenstärkste Partei in Frankreich sein, weit vor Macrons Partei „Renaissance“ mit 20 %.

Präsident Macron reklamiert mit dieser Zustimmung zum Gesetz, einen Sieg errungen zu haben, der zeigt, dass er keine „lahme Ente“ und in der Lage ist, Gesetze zu verabschieden, ohne die undemokratischen Tricks der französischen Verfassung der Fünften Republik anzuwenden. Auch Les Républicains beanspruchen einen Sieg für sich, da sie maßgeblich an der Verabschiedung des Gesetzes beteiligt waren und dessen Inhalt stark beeinflusst haben. Für beide wird sich dieser „Sieg“ bald als Pyrrhussieg erweisen. Rassistische Wähler:innen werden die konsequent rassistische Partei RN anderen Kräften vorziehen, die sie lediglich imitieren, und der ideologische Einfluss der RN-Ideen wird durch diese Maßnahme auf allen Ebenen nur vergrößert.

Arbeiter:innenklasse

Die französische Arbeiter:innenklasse befindet sich in einer schwierigen Situation. Sie ist durch den Sieg Macrons im Kampf um die Renten zu Beginn des Jahres bereits politisch geschwächt. Hinzu kommt, dass der Rassismus auch in der Klasse greift und eine mögliche Spaltung zwischen „französischen“ und migrantischen Arbeiter:innen droht sowie massiv verstärkte Repression gegenüber migrantischen Lohnabhängigen.

Die Sozialistische Partei, die Kommunistische Partei und La France insoumise lehnten das Gesetz allesamt ab. 32 von der Sozialistischen Partei geführte Departements erklärten, dass sie das Gesetz nicht anwenden werden, ebenso wie die Pariser Bürgermeisterin. Die CGT-Vorsitzende Sophie Binet erklärte: „Die CGT ruft zum zivilen Ungehorsam und zur Vervielfachung der Widerstandsaktionen gegen dieses Gesetz auf, das alle unsere republikanischen Prinzipien untergräbt und der extremen Rechten den Boden bereitet.“ Die CGT wird in den nächsten Wochen „massive Initiativen organisieren, damit diejenigen, die sich mit dem geleugneten Frankreich identifizieren, ihre Entschlossenheit zeigen können, damit die Werte der Solidarität respektiert werden“.

All dies ist richtig, aber man kann durchaus an der Wirksamkeit des Widerstands der reformistischen Parteien und der Gewerkschaften zweifeln, da es ihnen nicht gelungen ist, die Rentenreform abzuwehren. Es besteht die reale Gefahr, dass die „massiven Initiativen“ der Reformist:innen zahnlose symbolische Aktionen bleiben werden. Die Lohnabhängigen sollten ihre Führungen auffordern, den wirksamsten Widerstand gegen das Gesetz vorzubereiten, und zwar nicht nur auf den bequemen Sitzen des Parlaments, sondern an den Arbeitsplätzen, in den Banlieues und auf den Straßen. Die Arbeiter:innen müssen bereit sein, diesen Widerstand mit den Waffen des Klassenkampfes durchzusetzen, ob die reformistischen Führungen damit einverstanden sind oder nicht. Der zivile Ungehorsam muss von Protesten und Massenstreiks zugunsten einer massiven Legalisierung von Sans Papiers sowie der Abschaffung aller rassistischen Gesetze der letzten Jahre begleitet werden. Migrant:innen, darunter auch Sans Papiers, sind in großem Umfang auf den Baustellen für die kommenden Olympischen Spiele 2024 beschäftigt und werden bei der Organisation dieses Ereignisses an vorderster Front stehen, im Transportwesen, bei der Sicherheit, in Hotels, Restaurants, bei der Reinigung usw. Die Arbeiter:innen müssen bereit sein, alle damit zusammenhängenden Aktivitäten zu blockieren, bis das Gesetz aufgehoben ist, und solche Aktionen müssen von allen Gewerkschaften, Parteien und Organisationen der Arbeiter:innenklasse unterstützt werden. Sie müssen durch organisierte Selbstverteidigung gegen mögliche Repressionen durch den Staat oder rechte bzw. sogar faschistische Kräfte verteidigt werden.

Die einzige Möglichkeit, die Ausbreitung rassistischer Ideen in den Reihen der Arbeiter:innenklasse zu stoppen, besteht darin, ein Aktionsprogramm vorzuschlagen, zu verbreiten und dafür zu kämpfen, das alle rassistischen Gesetze bekämpft und die wirklichen Ursachen für das Anwachsen der RN angeht: niedrige Löhne, Mangel an Arbeitsplätzen, Wohnungen, Schulen und Krankenhäusern. Der durch dieses Gesetz ausgelöste Schock sowie die Wut auf Macron und seine Regierung sollten in eine massive Streikwelle, einschließlich eines Generalstreiks, gegen die rassistische Diskriminierung und Unterdrückung sowie gegen die Regierung und das von ihr verteidigte System gebündelt werden.




Ein Jahr Regierung Meloni: eine Kriegserklärung gegen die Arbeiter:innenklasse

Azim Parker, Infomail 1239, 18. Dezember 2023

„Man lacht, um nicht zu weinen“ ist eine sehr beliebte Redewendung in Italien. Die Grenze zwischen Tragödie und Farce war nämlich in der Geschichte des Landes manchmal sehr, sehr dünn. Man denke nur an die zwanzig Jahre der Berlusconi-Regierung, die zwischen einem Witz und einer internationalen Blamage auch die Zeit fand, 2001 die Demonstrant:innen gegen den G8-Gipfel in Genua massakrieren zu lassen.

Das erste Jahr der Regierung Melonis bestätigt diese groteske Tendenz. Allein in diesem ersten Jahr konnten wir alle möglichen erbärmlichen Schauspiele ansehen, darunter über Facebook die Trennung der Ministerpräsidentin von ihrem Partner – einem rassistischen und frauenfeindlichen Pseudojournalisten –, einen peinlichen Scherzanruf auf Kosten von Giorgia Meloni, der die Regierung vor der ganzen Welt lächerlich machte, einen absurden Kampf gegen harmloses CBD-Cannabis und vieles mehr. Das Problem ist, dass die Arbeiter:innenklasse einen unglaublich hohen Preis zahlen musste, um Zeugin dieses Spektakels zu werden.

Ein beispielloser Angriff auf die Arbeiter:innenklasse und die Armen

In der Geschichte der Republik gab es sicherlich noch nie eine so starke Verschlechterung der Lebensbedingungen der ärmeren Schichten. Italien ist das Land mit dem stärksten Rückgang der Reallöhne unter den großen OECD-Volkswirtschaften. Bis Ende 2022 waren sie im Vergleich zum Zeitraum vor der Pandemie um 7 % gesunken. Dieser Rückgang setzte sich im ersten Quartal diesen Jahres fort, mit einem Minus von 7,5 % – all das im Rahmen einer grundsätzlich maroden Wirtschaft.

Wenn auch nach der Pandemie tatsächlich eine gewisse Erholung des Wachstums zu beobachten war – im Jahr 2022 ist das BIP tatsächlich um 3,7 % gewachsen –, belasten der Anstieg der Rohstoffpreise aufgrund des Krieges in der Ukraine, die Rezession in Deutschland – dem wichtigsten wirtschaftlichen Partner Italiens –, die Wiedereinführung des Stabilitätspakts und die ständige Erhöhung der Zinssätze die Staatskassen und die öffentliche Verschuldung wie ein Mühlstein. Infolgedessen ist das erste Jahr der Regierung Meloni im Wesentlichen von beispielloser Aggressivität gegenüber den italienischen Lohnabhängigen geprägt.

Arme

Die ersten Opfer der kriminellen politischen Maßnahmen der Regierung waren die Arbeitslosen und die ärmsten Teile der Bevölkerung, die durch eine SMS darüber informiert wurden, dass sie ihr Grundeinkommen, das sog. Bürgergeld verloren haben. Diese auf Betreiben der Fünf-Sterne-Bewegung 2019 eingeführte Transferleistung war zwar selbst eine äußerst demagogische und bestimmt problematische Maßnahme, die sicherlich die Armut nicht „abgeschafft“ hat, wie der damalige Minister Di Maio bei ihrer Einführung erklärte, stellte jedoch für eine gewisse Zeit sowohl das einzige Mittel zum Überleben für viele arme Leute dar als auch eine Barriere gegen die Überausbeutung vieler prekärer Beschäftigter, insbesondere in der Tourismus- und Gastronomiebranche, die berechtigterweise in Anbetracht einer Alternative begonnen haben, die unwürdigen Arbeitsbedingungen zu Hungerlöhnen abzulehnen.

Es ist kein Zufall, dass diese Maßnahme damals auf starken Widerstand bei Kleinunternehmen gestoßen ist. Hinter ihrem sozialchauvinistischen Gejammere über die „Penner:innen, die auf Kosten des Staates leben“, verbarg sich nur ihre Frustration darüber, dass sie niemanden mehr mit Hungerlöhnen erpressen konnten.

Arbeitsgesetz

All das stellt jedoch nur die Spitze des Eisbergs dar. Das Arbeitsgesetz, das zynisch am 1. Mai 2023 erlassen wurde, ist eine regelrechte Kriegserklärung. Es reicht von der Verlängerung befristeter Verträge, also der häufigsten Form prekärer Arbeit in Italien, bis zur Kürzung der

Abgabenschere, einer vom Staat stark beworbenen Maßnahme, die jedoch in Wirklichkeit eine Beleidigung für alle italienischen Lohnabhängigen ist. Um die Kluft zwischen Netto- und Bruttolohn zu verringern, hat die Regierung tatsächlich 4,1 Milliarden Euro bereitgestellt.

Das bedeutet, dass die italienischen Arbeitenden eine Erhöhung des Nettogehalts von 50 bis 100 Euro erhalten werden! Ein Betrag, der angesichts der Inflation völlig bedeutungslos ist. Diese Maßnahme geht natürlich nicht mit einer Erhöhung der Löhne einher. Nicht zufällig hat sich Confindustria – der Italienische Unternehmerverband – sehr zufrieden gezeigt und dieses weitere Geschenk gerne angenommen. Die größte Ironie besteht jedoch darin, dass diese Mittel von der öffentlichen Verschuldung getragen werden, also von den gleichen Arbeiter:innen, die bereits erhebliche Kürzungen bei Renten und öffentlicher Gesundheit hinnehmen müssen, damit „die Rechnung aufgeht“. Real werden also die Unternehmen entlastet, während die Lohnabhängigen durch Sozialkürzungen das verlieren, was sie scheinbar erhalten.

Gesundheitssystem

Gerade das öffentliche Gesundheitssystem ist eines der Schlachtfelder, auf denen die Regierung besonders verheerend vorgegangen ist. In den letzten 10 Jahren wurden in Italien 111 Krankenhäuser geschlossen und 37.000 Betten abgebaut. Der Mangel an medizinischem und pflegerischem Personal ist mittlerweile zu struktureller Natur in den Ambulanzen und Krankenhäusern geworden. All dies geschieht, während der Zugang zu den Universitäten beschränkt ist und komplizierte, von Nepotismus und Unorganisiertheit geprägte Auswahlverfahren die Einstellung neuen Personals weiter erschweren.

Der Tarifvertrag für Krankenpfleger:innen wird seit drei Jahren nicht erneuert. Die Regierung Meloni hat eine Gehaltserhöhung von 4 % angeboten, was die Hälfte des durch die Inflation verlorenen Wertes der Gehälter wäre! In der Zwischenzeit hat das letzte Haushaltsgesetz weitere 2 Milliarden Euro an Mitteln aus dem gesamten Gesundheitssystem gekürzt, alles zum Vergnügen des Privatgesundheitswesens. Dieses sieht nicht nur eine Steigerung seiner Gewinne, sondern erhält auch üppige Subventionen genau von dem Staat, der das öffentliche Gesundheitswesen ruinieren lässt.

Die reaktionäre Rhetorik der Regierung zum Thema Familie hat sich in der Erhöhung der Mehrwertsteuer für Babynahrung und Windeln niedergeschlagen. Laut Regierung sei es notwendig, zum Wohle der Nation Kinder gegen die „ethnische Substitution“ durch Migrant:innen zu gebären – dies wurde tatsächlich vom Landwirtschaftsminister gesagt! Dass die Familien diese Kinder nicht ernähren können, ist jedoch irrelevant. Nicht zu vergessen, dass das Wahlversprechen, die Mineralölsteuer abzuschaffen, natürlich schnell gebrochen wurde.

Das Gemetzel an Migrant:innen geht weiter …

Das italienische Proletariat ist nicht das einzige Ziel. Die Regierung hat sich im letzten Jahr besonders vehement auch gegenüber Migrant:innen positioniert, die immer schon ein erklärtes Ziel dieser Rassist:innen waren. Und sie wollen so auch den Anstieg der Unzufriedenheit aufgrund der nicht eingehaltenen Wahlversprechen eindämmen. Schon während des Wahlkampfs war eine der bekanntesten Forderungen der Regierung die nach einer „Seeblockade“ Italiens, eine ultrareaktionäre und letztlich unrealisierbare Maßnahme, die dazu diente, das vorhandene rassistische Gefühl in der Bevölkerung zu schüren und kapitalisieren.

Natürlich hat die Undurchführbarkeit der Seeblockade Giorgia Meloni und ihre Kompliz:innen nicht daran gehindert, ebenso kriminelle Politiken gegenüber Migrant:innen zu verfolgen.

Zuerst das Abkommen mit der Regierung des tunesischen Folterpräsidenten Saied, der sich gegen Zahlung dazu verpflichtete, die abfahrenden Immigrant:innen in seinen Lagern zurückzuhalten, ein Abkommen ähnlich dem bereits bestehenden mit Libyen. Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit Saied flog Meloni nach Albanien, um im Geheimen mit Premierminister Rama über die Schaffung von Anhaltelagern für Migrant:innen zu verhandeln, im Austausch gegen Italiens Hilfe, Albanien in die EU aufzunehmen. Einfach ekelhaft!

In der Zwischenzeit hat sich die Regierung verpflichtet, die Aktivitäten von NGOs so weit wie möglich zu behindern, indem sie die Schiffe dazu zwingt, die Geflüchteten zu Häfen weit entfernt vom Rettungsort zu bringen, und sie de facto auffordert, mögliche mehrfache Rettungsanfragen zu ignorieren. Im Inland hat sich Meloni dazu verpflichtet, neue Zentren für administrative Inhaftierung – die berüchtigten CPR (Rückkehrzentren) – zu errichten, die tatsächlich echten Gefängnissen gleichen, in denen Migrant:innen darauf warten, abgeschoben zu werden. Das erklärte Ziel dieser beschämenden Politiken ist – genauso wie bei anderen europäischen Regierungen, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung – die Blockierung der Einreisen. Tatsächlich ist dies eine schändliche Rechtfertigung. Angesichts von Hunger, Gewalt und Freiheitsberaubung gibt es nichts, was Menschen davon abhalten kann, anderswo ein besseres Leben zu suchen. Alle Anstrengungen der Regierungen, dies zu verhindern, tragen nur dazu bei, das Leiden und den Tod von Hunderttausenden von Menschen zu erhöhen. Nur der Kampf gegen Rassismus, Imperialismus und für eine sozialistische Ordnung kann ihnen endlich Gerechtigkeit bringen und die Menschheit von dieser Tragödie befreien.

Die ohrenbetäubende Stille der Opposition und der Gewerkschaften

Besonders schändlich angesichts dieser Situation erscheint das Verhalten der wichtigsten Gewerkschaften – CGIL, CISL, UIL. Unser Bericht über den Widerstand der Gewerkschaften gegen die Regierung Meloni könnte hier enden. In einem Jahr Regierung sind die wichtigsten Gewerkschaftsorganisationen des Landes, insbesondere die CGIL, durch eine entwaffnende Lethargie aufgefallen. Bis Oktober 2023 wurde keine einzige Demo auch nur symbolisch gegen die Regierung organisiert.

Im Gegenteil, der Generalsekretär der CGIL, Landini, war so nett, Giorgia Meloni einzuladen, eine Rede auf dem Gewerkschaftskongress im März zu halten. Nach einer rein rituellen Demonstration im Oktober in Rom, bei der jedoch die Arbeiter:innen die Gewerkschaftsbürokratie unter dem Ruf nach einem Generalstreik bedrängten, sah sich Landini im November gezwungen, einen Streik auszurufen. Einen Streik, der an drei verschiedenen Tagen regional organisiert wurde – das bedeutet, dass im Norden, in der Mitte und im Süden Italiens an drei verschiedenen Tagen gestreikt wurde. Diese Entscheidung, mittlerweile eine Praxis für die CGIL, zielt offensichtlich darauf ab, die Auswirkungen der Arbeitsniederlegung so weit wie möglich abzuschwächen und sie so harmlos wie möglich zu machen. Trotzdem nutzte die Regierung, insbesondere Verkehrsminister Salvini, die Gelegenheit, die Gewerkschaft und die Arbeiter:innen weiter anzugreifen, indem er erklärte, dass der Streik illegal sei, da er das Recht der Bürger:innen auf Mobilität verletze und daher aufgehoben werden müsse.

Das wäre eine großartige Gelegenheit gewesen, eine echte Mobilisierung gegen die Regierung rund um die Verteidigung des Streikrechts auszulösen. Eine Mobilisierung, die dem bereits unzufriedenen italienischen Proletariat sicherlich eine konkrete Perspektive des Kampfes gegeben und die Regierung in Schwierigkeiten gebracht hätte. Landini hielt es jedoch für richtiger, die Dauer des Streiks auf 4 Stunden im öffentlichen Verkehr zu reduzieren, wodurch die Mobilisierung faktisch zu einem leeren Ritual wurde. In der Zwischenzeit schläft die Regierung ruhig, und Salvini kann sich in sozialen Netzwerken damit brüsten, die Gewerkschaften in den Griff bekommen zu haben.

Leider ist dieses erste Jahr der Regierung auch für die Basisgewerkschaften alles andere als positiv verlaufen. Die verschiedenen Gewerkschaften haben im Wesentlichen miteinander konkurriert, indem sie unkoordiniert und letztlich in Konkurrenz zueinander Ministreiks durchgeführt haben, mit dem einzigen Ziel, sich gegenseitig die Mitglieder wegzunehmen. Die Überwindung dieser sektiererischen Mentalität bleibt daher eine wesentliche Aufgabe für italienische Revolutionär:innen.

Die Bilanz des ersten Jahres der Regierung Meloni ist daher dramatisch. Auf der einen Seite steht die Notwendigkeit der Bourgeoisie und ihrer politischen Vertretung, ungeachtet ihrer internen Widersprüche ihre Gewinne und ihren Status quo auf Kosten des Proletariats zu schützen. Auf der anderen Seite erleben wir die ewige Wiederholung der reformistischen Linken, sowohl in der Politik als auch in den Gewerkschaften. Diese ist Opfer ihres eigenen Opportunismus und Mangels an Perspektiven jenseits der engen Grenzen des Kapitalismus, was sie dazu zwingt, mechanisch die gleichen Formeln und Rituale zu wiederholen, selbst wenn dies sie endgültig zum politischen Vergessen verurteilen.

In dieser Lage braucht es sowohl auf betrieblicher und gewerkschaftlicher wie auf politischer Ebene eigentlich eine Einheitsfront aller Lohnabhängigen und Unterdrückten gegen die Angriffe der rechten Regierung und des Kapitals. Zugleich verdeutlich die Führungskrise der Arbeiter:innenklasse, dass es eine revolutionäre Partei braucht als politische Alternative zum Theater der bürgerlichen Politik und der Rechten.




Gräfenhausen: Solidarität mit dem Streik der LKW-Fahrer!

Stefan Katzer, Neue Internationale 277, Oktober 2023

Dass sie in ihren LKWs übernachten müssen, gehört für die Fahrer, die sich seit Juli auf der Raststätte Gräfenhausen im Streik befinden, zum Alltag. Statt in ihren Kabinen übernachten sie nun allerdings auf Matratzen, die sie auf die Ladeflächen ihrer Fahrzeuge gelegt haben. Paletten wurden zu Tischen umfunktioniert, die Planen mit Sprüchen beklebt: „No money“ ist darauf zu lesen.

Die vor allem aus Georgien, Usbekistan, der Ukraine und der Türkei stammenden LKW-Fahrer, die seit Wochen auf dem Rastplatz ausharren, stellen eine zentrale Forderung: Sie verlangen von ihrer Spedition die Auszahlung ihrer Löhne. Unterstützt werden sie dabei von Edwin Atema, einem Funktionär des Niederländischen Gewerkschaftsbundes FNV und der Europäischen Transportarbeitergewerkschaft. Er ist mit der Spedition und deren Auftraggeber:innen in Verhandlungen getreten, bisher allerdings ohne Erfolg.

Über eine halbe Millionen Euro schuldet die polnische Spedition Mazur den Fahrern, die unter anderem für IKEA, Audi, Red Bull, DHL, Porsche und Obi Waren quer durch Europa transportieren. Pro Arbeiter handelt es sich bei Tagessätzen von rund 80 Euro um mehrere Tausend Euro, die ihnen und ihren Angehörigen fehlen. Doch weder die Spedition noch die von ihr belieferten Unternehmen zeigen sich bisher bereit, die ausstehenden Löhne zu zahlen.

Da die Spedition auch nach Wochen des Streiks nicht auf die Forderung der Fahrer eingegangen ist, stattdessen sogar mit Anzeigen gegen sie reagiert hat, haben sich 30 von ihnen entschieden, in den Hungerstreik zu treten. Eine ganze Woche lang haben sie sich geweigert, Nahrung zu sich zu nehmen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen und den Druck auf die Unternehmen zu erhöhen. Nach einer Woche haben sie den Hungerstreik auf Anraten eines Arztes allerdings wieder abgebrochen. Zu groß sei die Gefahr für ihre Gesundheit.

Überausbeutung mit System

Doch ihr Kampf um die Auszahlung ihrer Löhne geht weiter. Denn während sich ihre Mägen langsam wieder mit Essen füllen, bleibt ihr Konto trotz geleisteter Arbeit vorerst leer. Wie lange die Fahrer noch durchhalten werden, ist allerdings ungewiss. Bei einigen schwindet bereits die Hoffnung, dass sie jemals ihren Lohn erhalten werden.

Die Tatsache, dass die Arbeiter bereit waren, in den Hungerstreik zu treten, bringt ihre Verzweiflung deutlich zum Ausdruck. Es zeigt außerdem, wie kaltblütig die Kapitalist:innen sind, wenn es darum geht, möglichst viel Profit aus „ihren Arbeiter:innen“ herauszupressen. Sie halten sich nicht an Verträge, umgehen Arbeitsvorschriften und verweigern die Auszahlung von Löhnen – alles, um den eigenen Profit zu steigern.

Die Speditionen wie Mazur bedienen sich dabei eines Systems der Scheinselbstständigkeit, was den Fahrern das Einklagen ihrer Löhne weiter erschwert. Die LKWs werden von der Spedition geleast, weshalb diese auch schon versucht hat, diese mit eigenen paramilitärisch agierenden Securities zu kapern, was allerdings verhindert werden konnte. Die Kund:innen der Speditionen waschen derweil ihre Hände in Unschuld. Sie kaufen schließlich nur die Transportleistung, überweisen den Betrag dafür an die Spedition und hätten keinen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen.

Auch die Gesundheit „ihrer“ Mitarbeiter:innen ist den Spediteur:innen (wie auch deren Großkund:innen) letztlich egal. Das ist auch der Grund, weshalb ein Hungerstreik nicht die gleiche Wirkung entfalten kann wie ein Streik, der das bedroht, was den Kapitalist:innen wirklich am Herzen liegt: ihren Profit.

Welche Perspektive?

Die Gewerkschaften und Unterstützer:innen der Fahrer:innen konzentrieren sich bisher vor allem darauf, die Spedition und die Großunternehmen, die sie beliefern, durch öffentlichen Druck zum Einlenken zu zwingen. Im April war dies nach einem ersten Kampf gegen die Nichtauszahlung der Löhne erfolgreich. Damals besuchten Europaabgeordnete den Parkplatz in Gräfenhausen, die Kund:innen von Mazur übten wegen der schlechten Publicity Druck auf die Spedition aus.

Doch diese Methode wirkt offenbar nicht dauerhaft, weil dieses Geschäftsmodell längst zur Norm in wichtigen Teilen der Logistikbranche geworden ist. Daher werden Medienarbeit, Unterstützung bei Verhandlungen sowie materielle Unterstützung durch Gewerkschafter:innen vor Ort nicht ausreichen.

Zuerst wäre eine Verbindung mit ähnlichen Streiks in Europa nötig. So legten in diesem Jahr auch schon Beschäftigte von Mazur in Niedersachsen, Südtirol und der Schweiz die Arbeit nieder.

Die Ausweitung des Streiks mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen für alle im Transportsektor Beschäftigten zu verbessern, eine massive Erhöhung der Löhne und Inflationsausgleich durchzusetzen, ist dabei ein entscheidender Schritt. Er müsste aber auch verbunden werden mit dem Kampf um die entschädigungslose Enteignung der Unternehmen, die sich weigern, die Löhne ihrer Mitarbeiter:innen auszuzahlen – und das sind faktisch alle in der Branche.

Dazu ist es aber auch notwendig, dass die Gewerkschaften mit ihrer sozialpartnerschaftlichen Politik brechen. Zweitens braucht es eine europaweite Kooperation mit einem gemeinsamen Kampfplan aller Branchengewerkschaften. Um das zu ändern, müssen die Gewerkschaften selbst umgekrempelt und unter die Kontrolle ihrer Mitglieder gebracht werden. Sie müssen wieder zu Waffen der Lohnabhängigen werden, mit denen sie Kämpfe auch tatsächlich gewinnen können. Symbolische Aktionen reichen nicht aus. Nicht diejenigen sollten hungern, die keine Löhne erhalten, sondern diejenigen, die keine Löhne auszahlen.

Lasst uns den Kampf der Fahrer nach allen Kräften unterstützen! Spenden und Solidaritätsadressen können dazu beitragen, den Kampfeswillen der Streikenden aufrechtzuerhalten.




Arbeiter:innen „RE-WOLT“ gegen Wolt

Minerwa Tahir, Infomail 1226, 21. Juni 2023

English translation: https://arbeiterinnenmacht.de/2023/06/21/workers-re-wolt-against-wolt/

Berlin: Fünfzig Wolt-Beschäftigte und Sympathisant:innen versammelten sich am Montag, den 19. Juni 2023, auf dem Platz vor dem Zentrum Kreuzberg am U Kottbusser Tor, um gegen die Nichtzahlung von Löhnen, den Entzug der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und andere arbeitsrechtliche Bestimmungen zu protestieren. Auf ihrem Transparent stand „Wolt schuldet uns Geld und Rechte“, gefolgt von dem Logo der Protestkampagne „ReWolt“ – eine Anspielung auf den Namen des Unternehmens und das Wort „Revolte“.

Kampagne

Der Protest wurde vom Wolt Workers Collective organisiert, einem Netzwerk von Wolt-Beschäftigten in Berlin, die bereits am 13. April dieses Jahres einen Protest organisiert hatten. Der Protest am Montag war die Fortsetzung einer Reihe von Protesten, die die Arbeit„nehmer“:innen organisieren wollen, bis sie ihre Grundrechte erhalten. Die jüngste Protestbewegung in Berlin begann, als einer Flotte von 120 eingewanderten Arbeiter:innen über mehrere Monate hinweg die Bezahlung verweigert wurde, was sich auf mehrere Tausend Euro an unbezahlten Löhnen belief. Sie waren von Wolt über einen Subunternehmer angeheuert worden, der auf den Namen Ali hört und in Neukölln in der Karl-Marx-Straße ein Geschäft für Handyzubehör namens Mobile World betreibt. Bei der letzten Protestaktion fuhren die Arbeiter:innen mit dem Fahrrad vom U Karl-Marx-Straße zur Wolt-Zentrale in Friedrichshain, wo sie der Wolt-Geschäftsführung eine schriftliche Charta mit ihren Forderungen für die nicht gezahlten Löhne übergeben wollten. Mitglieder der Gruppe Arbeiterinnenmacht waren dort anwesend, und wir wurden Zeu:ginnen, wie die Geschäftsführung sich weigerte, auch nur aus ihren Büros zu kommen, um die Charta mit den Forderungen entgegenzunehmen. Als Muhammad, der Anführer des Protests, versuchte, die Charta in den Briefkasten des Unternehmens zu werfen, wurde ihm gesagt, dass Wolt keinen habe.

Was als Kampagne unbezahlter Arbeiter:innen begann, denen unter dem Vorwand der Ausrede eines Subunternehmers der Lohn verweigert wurde, hat sich nun zu einem kollektiven Kampf entwickelt, an dem auch direkt bei Wolt Angestellte beteiligt sind. Gemeinsam fordern sie die ihnen zustehenden Löhne, Sicherheit am Arbeitsplatz, eine Entschädigung, ein Ende des ausbeuterischen und illegalen Systems der Untervergabe von Aufträgen sowie bezahlten Urlaub im Krankheitsfall und andere Rechte. Um ihrer Stimme Gehör zu verschaffen, organisierten sie am Montag eine Protestveranstaltung, bei der eine Reihe von Arbeit¡nehmer“:innen sowie ihre Freund:innen und Sympathisant:innen gegen die Ungerechtigkeiten sprachen, denen sie ausgesetzt sind.

Arbeiter:innen klagen an

„Ich bin ein Student mit Migrationshintergrund und kämpfe darum, hier in Deutschland mit meiner Familie leben zu können“, sagte Muhammad, der Anführer des Protests. „Meine Frau und ich arbeiten in Gelegenheitsjobs, um über die Runden zu kommen. Wolt hat mir drei Monate meines Lohns gestohlen. Und ich bin nicht allein. Wir sind viele Student:innen mit Migrationshintergrund, die sich in der gleichen Situation befinden und von diesem Unternehmen ausgebeutet werden. Weil wir Migrant:innen sind, haben viele Studierende sogar Angst zu protestieren. Ich war achtmal persönlich in der Wolt-Filiale, um meinen Lohn einzufordern. Der Geschäftsführer, den alle nur als Ali von der Mobile World GmbH kennen, weigerte sich jedoch immer wieder und sagte schließlich, dass er von Wolt nicht dafür bezahlt wurde, unseren Lohn zu zahlen. Wenn wir Aufträge pünktlich und mit ehrlichem Einsatz ausgeliefert haben, ist das Mindeste, was wir verdienen, dass wir bezahlt werden! Jede Arbeit hat ihre Würde. Es ist ein Verbrechen, dass Menschen in diesem reichen Land leben und Hungerlöhne erhalten.“

Seine Kollegin Shiwani Sharma, die ebenfalls ihren Lohn nicht erhalten hat, sprach über die Härten, denen diese Arbeiter:innen infolge des Lohndiebstahls ausgesetzt sind. „Ich bin Studentin an einer privaten Universität in Berlin und es ist schon sehr schwierig, mit den Herausforderungen der hohen Miete und Studiengebühren fertigzuwerden“, sagte sie. „Ich bin im Dezember bei Wolt als Fahrerin eingestiegen. Es war eiskalt, aber wir gingen von Tür zu Tür, um die Kund:innen mit Essen zu versorgen. An manchen Tagen hatten wir starke Schmerzen in den Händen, weil das Wetter so kalt war. Die ganze Zeit über saß die Geschäftsführung von Wolt in ihren gut geheizten Büros. Dank unserer harten Arbeit bekommen sie das Geld, um ihre Büros zu heizen, aber dann nehmen sie uns auch noch unseren mageren Lohn ab. Wir verdienen es, bezahlt zu werden! Und wir verdienen zumindest einen Mindestlohn pro Stunde statt der Bezahlung pro Auftrag. Dieses System der auftragsbezogenen Bezahlung muss abgeschafft werden!“

Ein anderer Fahrer indischer Herkunft, Abhay, beschrieb seine Erfahrungen mit Wolt als Achterbahnfahrt. Ihm zufolge arbeiteten diese Arbeiter:innen in den eisigen Monaten Dezember und Januar acht bis zehn Stunden, weil sie dachten, sie würden bezahlt, um ihre Universitätsgebühren und andere Ausgaben bestreiten zu können. „Was bekomme ich nach dieser Arbeit? Wolt hat sich geweigert, mich zu bezahlen. Ich dachte, sie würden mich im nächsten Monat bezahlen. Aber ich habe für November, Dezember und Januar kein Geld bekommen. Die Personalabteilung von Wolt hat sogar schon geleugnet, dass wir ihre Beschäftigten sind. Wir haben alles, um zu beweisen, dass wir für Wolt gearbeitet haben. Wir wollen bezahlt werden.“

Janno, ein Freund der Arbeiter:innen von der Kampagne Welcome United, sagte, dass illegale Geschäftspraktiken wie Lohndiebstahl gestoppt werden müssen. „Viele der Lieferdienste verletzen täglich grundlegende Rechte und Gesetze auf dem Rücken ihrer Fahrer:innen“, sagte er. „Das ist kein Zufall, kein Ausrutscher. Es ist ihr Geschäftsmodell.“

Lieferfahrer:innen von Gorillas, Lieferando und anderen Unternehmen dieser Art waren ebenfalls anwesend, um ihre Argumente gegen prekäre Arbeit vorzubringen. Joey vom Workers Centre, der auch ein Gorillas-Fahrer ist, sprach über die Notlage von Arbeitsmigrant:innen in der deutschen Gig-Economy und stellte sie in den größeren europäischen Kontext des strukturellen Rassismus. Sie verurteilten die Untätigkeit der griechischen Behörden und die europäische Gleichgültigkeit im Allgemeinen gegenüber den pakistanischen, syrischen und anderen Opfern des jüngsten Ertrinkens der Insass:innen eines überfüllten Bootes im Mittelmeer.

Zum Abschluss führte das Theater X einen theatralischen Sketch über die Notlage der betroffenen Zusteller:innen auf.

Kapitalismus und Überausbeutung

Die Krise der Lebenshaltungskosten in Deutschland wird schon jetzt von Tag zu Tag unerträglicher. Schon jetzt ist es für uns Beschäftigte so schwer, mit dem Mindestlohn über die Runden zu kommen. Den Beschäftigten im prekären Sektor wird nun sogar dieser Lohn vorenthalten. Es ist absolut beschämend, dass diese Praxis des Lohndiebstahls in einem so genannten demokratischen Staat wie Deutschland stattfinden kann. Aber es zeigt auch, dass der Staat immer die Interessen der Kapitalist:innenklasse vertritt.

Und deshalb müssen wir uns als Arbeiter:innen zusammenschließen und die Gewerkschaften zu kollektiven Kampforganisationen machen, die uns vertreten, aber wir brauchen auch eine Arbeiter:innenpartei, die uns und unsere Interessen in Wirklichkeit vertritt.

Unser Genosse Martin hielt auf der Demonstration eine bewegende Rede. Er sagte, er sei Mitglied der IG Metall (der größten Industriegewerkschaft in Deutschland und Europa), und auch wenn seine Gewerkschaft einer anderen Branche angehöre, sei es wichtig, dass wir uns als gemeinsam kämpfend verstehen.

„Das ist etwas, was die Gewerkschaften in Deutschland gar nicht oder nicht ausreichend tun. Das ist etwas, was wir in den nächsten Jahren gemeinsam ändern müssen. Euer Ringen, euer Mut, euer Kampf gegen Outsourcing, gegen Leiharbeit, gegen Lohnraub zeigt nicht nur, welche Maßnahmen Wolt und andere kriminelle Kapitalist:innen ergreifen, um ihre Gewinne zu sichern. Es zeigt auch, dass ihr keine Opfer seid und ihr euch wehren könnt, und ihr habt bewiesen, dass ihr euch organisieren könnt und wir uns organisieren können. Deshalb ist es wichtig, dass wir Solidarität und einen gemeinsamen Kampf mit den Gewerkschaften im gleichen Sektor wie der NGG, ver.di und allen anderen fordern, denn der Kampf, den ihr führt, ist nicht nur für euch wichtig, er wird auch für die gesamte Arbeiter:innenklasse wichtig sein. Je mehr sich der prekäre Sektor ausweitet, desto mehr werden die Löhne überall gedrückt! Deshalb ist es nicht nur eine Frage der Solidarität, sondern auch eine Frage des Eigeninteresses aller Arbeiter:innen, diesen Kampf zu unterstützen. Wir müssen unabhängig vom Wetter Lebensmittel kaufen und Miete zahlen, und deshalb müssen wir das System in Frage stellen, das hinter dem Diebstahl eines Lohns steckt, der selbst für die Deckung der Grundbedürfnisse nicht ausreicht. Hunderte Millionen von Migrant:innen, Frauen und die am stärksten benachteiligten und unterdrückten Teile der Arbeiter:innenklasse werden durch die Ausweitung der Gig-Economy in diese Bedingungen getrieben. Wenn wir ein Ende dieses Systems wollen, müssen wir auch das Recht auf die Gewinne in Frage stellen, die Lieferando, Wolt, Flink und all die anderen für sich selbst erzielen. Wenn sie nicht bereit sind, die Löhne pünktlich zu zahlen, wenn sie nicht bereit sind, Löhne zu zahlen, die zum Leben reichen, dann sollten diese Unternehmen entschädigungslos enteignet werden! Wir müssen aus einem System, das auf Ausbeutung, Rassismus, Krieg und Unterdrückung fußt, Geschichte machen!“

Es ist nicht das erste Mal, dass die Frage der Enteignung in Berlin auf die Straße gebracht wird. Im Jahr 2021 war das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ erfolgreich, auch wenn der Gesetzgeber den Willen der Berliner Bevölkerung, die angesichts der Wohnungs- und Mietkrise für die Enteignung der Immobiliengesellschaft Deutsche Wohnen und anderer gestimmt hat, nicht umgesetzt hat. „Wir sind nicht länger bereit, mit unseren überhöhten Mieten die Gewinne der Aktionär:innen zu finanzieren“, heißt es auf deren Website. Die Profite der Unternehmen, die von den Privilegien der Kapitalist:innenklasse durch prekäre Gig-Arbeit profitieren, werden nun zunehmend in Frage gestellt. Auch einige deutsche Schüler:innen waren zu der Demonstration gekommen, um ihre Solidarität mit den unbezahlten eingewanderten Arbeiter:innen zu bekunden. „Die Tatsache, dass das Management nicht bereit ist, euch zu bezahlen, ist eine Frechheit“, sagte Kai, der auch Mitglied der kommunistischen Jugendgruppe Revolution ist. „Als Jugendliche, die sich für unsere Zukunft interessieren, sehen wir die Notwendigkeit, uns mit eurem aktuellen Kampf und mit dem Kampf der ganzen Welt zu vereinen. Heute sind wir Student:innen oder Auszubildende und eines Tages werden wir Arbeiter:innen sein. Euer Kampf jetzt ist auch ein Kampf für unsere Zukunft. Auch wir werden von demselben System unterdrückt, das euch unterdrückt.“ Als er seine Rede beendete, rief die Menge unisono: „Student:innen und Arbeiter:innen, vereinigt euch und kämpft!“

Eine Solidaritätsbotschaft des Sprechers der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) lautete: „Ich drücke meine Solidarität mit eurem Kampf aus. Als jahrzehntelang aktiver Gewerkschafter muss ich sagen, dass es eine Schande ist, dass die Nichtbezahlung von Arbeit„nehmer“:innen in diesem Land wieder möglich ist. Dass das Mindestrecht der Lohnarbeit, dass der Lohn gezahlt wird, nicht respektiert wird! Die Gewerkschaften des DGB, die Parteien, die für sich in Anspruch nehmen, die arbeitenden Menschen zu vertreten, SPD und Linkspartei, müssen dafür kritisiert werden, dass sie die Gesetze für Leiharbeit und Plattformökonomie zulassen, die die Rechte der Arbeiter:innen ausgehöhlt haben. Es ist ihre Pflicht, für die Wiederherstellung dieser Rechte und für die Verteidigung der betroffenen Beschäftigten zu kämpfen.“

Positiv war, dass Ferat Koçak von der Partei DIE LINKE Neukölln unserem Aufruf zur Solidarität gefolgt ist. Da Ferat terminlich verhindert war, bekundete an seiner Stelle Genosse Daniel seine Solidarität. Wir rufen alle linken Kräfte und Gewerkschaften auf, gleichermaßen zu reagieren und diese Bewegung als aktiven Kampf mit aufzubauen. Schließlich liegt es im Eigeninteresse aller Lohnabhängigen, die Ausweitung prekärer Arbeit zu verhindern und gemeinsam für die Durchsetzung von Mindestlöhnen und anderen grundlegenden Arbeitsrechten für alle zu kämpfen! Deshalb rufen wir in einem ersten Schritt alle auf, am 27. Juli zur Gerichtsverhandlung zu erscheinen, damit auch die Gerichte wissen, dass wir zusammenstehen.

Hoch die Internationale Solidarität!




Workers „RE-WOLT“ against Wolt

Minerwa Tahir, Infomail 1226, 21. Juni 2023

Deutsche Übersetzung: https://arbeiterinnenmacht.de/2023/06/21/arbeiterinnen-re-wolt-gegen-wolt/

Berlin: Fifty Wolt workers and sympathisers took to the square in fron of Zentrum Kreuzberg at U Kottbusser Tor on Monday, 19th June 2023, to protest against non-payment of wages, deprivation from paid sickness leave and other labour law provisions. Their banner read “Wolt owes us money and rights” followed by the logo of the protest campaign, called “ReWolt” – a play on the company’s name and the word “revolt”.

The protest was organised by the Wolt Workers Collective, which is a network of Wolt workers in Berlin who had earlier organised a protest on April 13 this year. Monday’s protest was a continuation of the series of protests that workers have planned to organise until they are given their basic rights. The recent protest movement in Berlin began when a fleet of 120 migrant workers were denied payment for several months, amounting to several thousands of euros in unpaid wages. They had been hired by Wolt through a subcontractor who goes by the name Ali and runs a mobile phone accessories shop in Neukölln on Karl Marx Straße by the name Mobile World. At the last protest, workers cycled their way from U Karl Marx Straße to the Wolt headquarters in Friedrichshain where they had intended to deliver a written charter of their demands for the unpaid wages to Wolt management. Members of Gruppe Arbeiterinnenmacht were present there and we witnessed how management refused to even come out of their offices and receive the charter of demands. When Muhammad, the leader of the protest, tried to put the charter in the mailbox of the enterprise, he was told that Wolt did not have a mailbox.

What began as a campaign of unpaid employees being denied wages under the farce of a subcontractor excuse has now evolved and grown into a collective struggle that also involves directly hired employees of Wolt. Together, these workers demand their rightful payment of wages, occupational safety, workers‘ compensation, an end to the super-exploitative and illegal subcontracting system, and paid sickness leave among other rights. To make their voice heard, they organised a protest on Monday, where a number of workers and their friends and sympathisers spoke against the injustices they have been facing.

Workers accuse

“I am a migrant student and struggle to live here in Germany with my family,” said Muhammad, the leader of the protest. “My wife and I work odd jobs to make ends meet. Wolt has stolen three months of my wages. And I am not alone. We are many migrant students facing the same situation at the hands of this company. Because we are migrants, many students are even afraid of protesting. I went to the Wolt store in person eight times to claim my wages. However, the manager, whom everyone only knows as Ali from Mobile World GmbH, repeatedly refused and finally said that he has not been paid by Wolt to pay our wages. When we have delivered orders on time and with honest dedication, the least we deserve is to be paid! All labour has dignity. It is a crime for people to live in this rich nation and receive starving wages.”

His colleague, Shiwani Sharma, who has also not been paid her wages, spoke about the hardships these workers have been facing as a result of the wage theft. “I am a student in a private university in Berlin and it is already very difficult to cope with the challenges of high rent and high tuition fees,” she said. “I joined Wolt as a rider in the month of December. It was freezing cold weather but we would go door to door to deliver food to customers. On some days, we would get severe pain in our hands because the weather was so cold. All the while, the Wolt management sat in their comfortably heated offices. They get the money to heat their offices due to our hard work but then they deprive us of even our meagre wages. We deserve to be paid! And we deserve at least a minimum wage per hour instead of the per order payments. This per order payment system must be abolished!”

Another rider of Indian background, Abhay, described his experience with Wolt as a roller coaster ride. According to him, these workers worked eight to ten hours in the freezing months of December and January, thinking that they might be paid to be able to afford their university fees and other expenses. “What do I get after this work? Wolt denied to pay me. I thought they will pay me next month. But I have not been paid for November, December and January. The HR department of Wolt has even denied before that we are their workers. We have everything to prove that we worked for Wolt. We want to be paid.”

Janno, a friend of the workers from the Welcome United campaign, said that illegal business practices such as wage theft must be stopped. “Many of the delivery services violate basic rights and laws on the backs of their riders on a daily basis,” he said. “It’s not a coincidence. It’s not an accident. It’s their business model.”

Delivery riders from Gorillas, Lieferando, and other such companies were also present to make their case regarding precarious work. Joey from Workers Centre, who is also a Gorillas rider, spoke about the plight of migrant workers in Germany’s gig economy and situated it in the larger European context of structural racism. They condemned Greek authorities’ inaction and European apathy in general towards the Pakistani, Syrian and other victims of the recent drowning of an overcrowded boat in the Mediterranean.

At the end, Theater X performed a theatrical sketch on the plight of affected delivery workers.

Capitalism and superexploitation

Germany’s cost of living crisis is already becoming more and more unbearable with each passing day. It is already so difficult for us workers to make ends meet even on minimum wage. Workers employed in the precarious sector are now deprived of even that wage. It is absolutely shameful that this practice of wage theft can happen in a so-called democratic state like Germany. But what it also shows is that the state is always representative of the interests of the capitalist class. And that is why we as workers have to unite ourselves and make the trade unions collective fighting organisations that represents us but also that we need a workers’ party that in reality represents us and our interests.

Our comrade, Martin, gave a moving speech at the protest. He said he was a member of IG Metall (the largest industrial union in Germany and Europe), and even though his union belongs to a different trade, it is important that we see ourselves as waging a struggle together. “This is something that the trade unions in Germany do not do at all or do not do sufficiently. This is something that we need to change in the next years together. Your struggle, your courage, your fight against outsourcing, against subcontracting, against the robbing of your wages shows not only what kind of measures Wolt and other criminal capitalists are undertaking in order to secure their profits. It also shows that you are not victims and you can fight back and you have proven that you can organise and that we can organise ourselves. Therefore, it is important that we demand solidarity and a common struggle with the trade unions in the same sector like the NGG, Ver.di and all others because the struggle you wage is not only important for you, it will also be important for the whole working class. The more the precarious sector expands, the more it will undercut wages everywhere! This is why it is not just a question of solidarity but rather a question of self-interest of every worker to support this struggle. We have to buy food and pay rent irrespective of the weather and that is why we have to question the system that is behind stealing of a wage that is itself insufficient to pay for basic needs. Hundreds of millions of migrant workers, women and the most disadvantaged and oppressed sections of the working class are driven into these conditions by the expansion of gig economy. If we want an end to this system, we also have to question the right to the profits which Lieferando, Wolt, Flink and all the others are making for themselves. If they are not prepared to pay the wages on time, if they are not prepared to pay wages sufficient for a living, then those companies should be expropriated without compensation! We need to make history out of a system which stands on exploitation, on racism, on war and oppression!”

This is not the first time that the question of expropriation has been raised in the streets of Berlin. In 2021, the Deutsche Wohnen Enteignen (Expropriate Deutsche Wohnen) referendum was successful, even if lawmakers have failed to act on the will of the Berlin population who voted in favour of expropriating the real estate company, Deutsche Wohnen, in light of the housing and rent crisis. “We are no longer willing to finance the profits of the shareholders with our excessive rents!” reads their website. Profits of companies enjoying the privileges offered to the capitalist class through precarious gig work are now increasingly coming under question. Some German school students had also come to the protest to express solidarity with the unpaid migrant workers. “The fact that the management is not willing to pay you is an insolence,” said Kai, who is also a member of communist youth group Revolution. “As youth interested in our future, we see the necessity to unite with your current struggle and with the struggle of all around the world. We are students or trainees today and we will be workers one day. Your struggle now is also a struggle for our future. We are also being oppressed by the same system that oppresses you.” As he ended his speech, the crowd shouted in unison, “Students and workers, unite and fight!”

A solidarity message received from the speaker of the Vernetzung für kämpfersiche Gewerkschaften read: “I express my solidarity with your struggle. As an active trade unionist for many decades, I have to say that it is a shame that the non-payment of workers is possible again in this country. That the minimum right of wage-labour, that the wage is paid, is not respected! The trade unions of the DGB, the parties that claim to represent the working people, SPD and the Left Party, have to be criticised for allowing the laws for temporary work and platform economy that have eroded workers’ rights. It’s their duty to fight for re-establishment of these rights and for the defence of the workers concerned.”

It was positive that Ferat Kocak of Die Linke Neukölln responded to our call for solidarity and sent Comrade Daniel in his stead to express solidarity with the workers. We call upon all left forces and trade unions to respond alike and help build this movement as an active struggle. After all, it is in the self-interest of all workers to prevent the expansion of precarious work and to collectively fight for the application of minimum wage and other basic labour rights on all! Therefore, as a first step, we call on everyone to come to the court hearing on 27 July, so that the courts also know that we stand together.

Hoch die Internationale Solidarität!