Die Räumung des „Syndikats“ und der Berliner Senat

Jan Hektik, Infomail 1113, 13. August 2020

Nach der Räumung des „Syndikats“ am Freitag, den 7. August, blieb das bürgerliche Echo verhältnismäßig gemäßigt. Normalerweise sorgen sich die bürgerlichen Medien – vom Boulevardblatt bis zu den „seriösen“ Tageszeitungen – aussschließlich um Rechtsstaatlichkeit und Ordnung. Schließlich muss das Privateigentum geschützt werden.

So bilden die permanent von Räumung bedrohten Hausprojekte in der Rigaer Straße regelmäßig Gegenstände verlogener Hetze und werden als Brutstätten des linksradikalen Terrors dargestellt. An der Räumung des „Syndikats“ äußerten nicht nur Junge Welt und Neues Deutschland oder die taz Kritik, die bei diesen Fragen auf ihre linke Geschichte rekurriert, die sie längst hinter gelassen hat. Diesmal hatte z. B. auch der Tagesspiegel etwas Kritisches zur Räumung anzumerken – freilich nur, um, wie wir sehen werden, letztlich doch die Seite der Räumung zu beziehen.

Was ist das „Syndikat“?

Doch fangen wir am Anfang an. Was ist eigentlich passiert? Die 35 Jahre alte Kiezkneipe „Syndikat“ in Neukölln wurde in einem Polizeieinsatz mit Helikopter, Klettereinheit und knapp 1.000 PolizistInnen geräumt. Dem ging eine lange Auseinandersetzung mit der Vermieterseite voraus, welche interessante Verflechtungen und eine absolute Weigerung gegenüber jedweder Verhandlung mit dem „Syndikat“ offenbarte.

Das hat relativ große Gegenproteste hervorgerufen mit Solidaritätsdemonstrationen von über 2.000 Menschen und verschiedenen autonomen Kleinstaktionen zur Verhinderung und später zum Anprangern der Räumung. Um die Bedeutung der Auseinandersetzung, aber auch die weit über die „Szene“ hinausgehende Solidarisierung zu verstehen, ist es wichtig, kurz darauf einzugehen, was das „Syndikat“ eigentlich darstellt.

Im Gegensatz zu vielen anderen linken „Freiräumen“ war das „Syndikat“ nicht auf die „Szene“ beschränkt, sondern hat es geschafft, einen sozialen Bezugspunkt für die AnwohnerInnen darzustellen. Es symbolisierte zweifellos eines der besseren Beispiele autonomer oder linker Kiezpolitik. Für AnwohnerInnen und die mit dem „Syndikat“ verbundenen Stadtteilläden bildete es einen Anlaufpunkt für finanzielle, soziale und sonstige Unterstützung. Deshalb genießt bzw. genoss es große Solidarität im Kiez.

Während nicht wenige linke „Freiräume“ in sich selbst versumpfen und jeglichen Kontakt zur Außenwelt einstellen, um sich ununterbrochen mit sich selbst zu beschäftigen, hat das „Syndikat“ seine Wurzeln im Bezirk gestärkt und ausgebaut. Vor allem diesem Vorgehen war es zu verdanken, dass es große Proteste gegen seine Räumung gab. Darüber hinaus wurde eine gute Öffentlichkeitsarbeit gegen die Räumung betrieben und Kooperation mit Medien und Initiativen gesucht.

Pears Group

Die Auseinandersetzung um die Räumung warf freilich auch von einer anderen Seite ein Schlaglicht auf die Berliner und bundesweite Entwicklung von Wohnungsmarkt und -politik. Ganz „üblich“ fing alles mit einer Kündigung vom Vermieter an. Als die MieterInnen des „Syndikat“ bei der Hausverwaltung Verhandlungen über einen neuen Mietvertrag aufnehmen wollten, hieß es, der Eigentümer habe daran kein Interesse. Nun fragte man sich, wer ist denn eigentlich der Eigentümer?

Die Suche danach gestaltete sich als schwerer als erwartet und deckte ein interessantes Immobiliengeflecht auf. Über die Vollmachten der Hausverwaltung fand man GeschäftsführerInnen und über diese eine Briefkastenfirma in Luxemburg, die sich die Adresse mit 70 anderen teilt. Über diese fand man schlussendlich die Familie, die dahintersteckt – die Pears-Familie, EigentümerIn der Pears Global aus Großbritannien. Sie besitzt allein in Großbritannien Immobilien im Wert von über 7 Milliarden Euro. In der Öffentlichkeit tritt dieser private Konzern kaum in Erscheinung. Die Strategie von Pears Global zielt vielmehr darauf ab, im Hintergrund zu bleiben, Öffentlichkeit zu vermeiden und möglichsts unbeachtet den größtmöglichen Profit aus den Immobilien zu schlagen.

Über eine Reihe von Tochterfirmen, weiteren Briefkastenfirmen besitzt die Pears Group allein in Berlin über 3.000 Wohnungen, gehört also mit zu den Profiteurinnen und Antreiberinnen der Gentrifizierung. Ihre verschachtelte und kaum nachvollziehbare Unterteilung in verschiedene Gesellschaften erleichtet es darüber hinaus, die Steuerabgaben auf ein Minimum zu beschränken.

Solche Geflechte aufzudecken, ist gut und richtig und hilft maßgeblich, Protest und Öffentlichkeit zu organisieren, vor allem aber zeigt es auch, wie wichtig es ist, die Aktionen gegen die Räumung in den viel umfassenderen Kontext gegen das Immobilienkapital, nämlich für dessen Enteignung zu stellen. Wie tausende MieterInnen von Berliner Tochtergesellschaften der Pears Group seit Jahren schmerzlich erfahren mussten, kann es bei diesen VermieterInnen teuer werden. Es gehört zum Geschäftsmodell dieser Immobilienhaie, Häuser aus einkommensschwächeren Wohngebieten aufzukaufen, zu „sanieren“ und so auf einen maximalen Wertzuwachs ihres Eigentums inklusive maximaler Mietpreissteigerungen zu spekulieren. Hier haben die Menschen vom „Syndikat“ wichtige Arbeit geleistet und es sogar geschafft, dass die Presse sich damit beschäftigt und dem Senat unbequeme Fragen gestellt hat.

Die verschwachtelte Struktur des Konzerns hat außerdem den Vorteil, dass Hausverwaltung, Briefkastenfirmen, die den MieterInnen als EigentümerInnenvertretung entgegentreten, selbst kaum Entscheidungen treffen können – und die Pears Familie enthält sich jeder Stellungnahme oder Äußerung.

Nachdem eine Öffentlichkeit geschaffen worden war, ließ sich die Hausverwaltung doch auf Verhandlungen mit dem Senat über eine „Lösung“ des Konfliktes ein, aber immer mit der Ansage, man könne das nicht ohne Zustimmung des Eigentümers entscheiden. Dieser Winkelzug war nichts weiter als eine Täuschung, um die Öffentlichkeit zu besänftigen, während man gleichzeitig weiter an der Räumung arbeitete.

Diese wurde schließlich mit massivem Polizeieinsatz, brutaler Gewalt gegen Solidaritätsdemonstrationen (so z. B. am 1. August) und trotz Blockaden hunderter AktivistInnen am 7. August durchgesetzt.

Bürgerliche Medien – Kritik, aber …

Schon oben haben wir darauf verwiesen, dass die bürgerliche Presse diesmal auch die „Unverhältnismäßigkeit“ des Polizeieinsatzes und die damit einhergehende Behinderungen ihrer selbst kritisierte. Schon am 1. August griff die Berliner Polizei eine Solidaritätsdemonstration mit dem „Syndikat“ mit Schlagstöcken und Pfefferspray an, während tausende kleinbürgerlich-reaktionäre Corona-LeugnerInnen unbehelligt durch Berlin marschieren durften. Dies hinterließ sogar bei der bürgerlichen Presse einen unangenehmen Geschmack. Hinzu kommt, dass selbst für die SchreiberInnen eines „fairen“ Kapitalismus die Geschäftspraktik der Pears Groups zu weit geht.

Doch trotz aller Kritik an der „Unverhältnismäßigkeit“ des Polizeieinsatzes und der Strategie von Immobilienhaien, so gingen vor allem die Protestaktionen gegen die Besetzung den Gazetten zu weit. So warf ein Kommentar im Tagesspiegel Grünen und Linkspartei allen Ernstes vor, „indirekt“ Gewalt zu legitimieren.

Was war passiert? Einige DemonstrantInnen hatten sich gegen den Einsatz der Polizei gewehrt und dabei war – ausnahmsweise – auch die/der eine/r oder andere BeamtIn verletzt worden. Die Selbstverteidigung gegen eine Räumung – und mag diese auch noch so fragwürdig sein – geht für diese AnhängerInnen des Rechtsstaats zu weit. Schließlich muss nicht nur Privateigentum Privateigentum bleiben, auch das Handeln der Polizei darf letztlich nicht in Frage gestellt werden.

Dass PolitikerInnen der Linken und der Grünen auf sozialen Medien auf das unterschiedliche Vorgehen der Polizei gegen linke AktivistInnen und UnterstützerInnen einerseits sowie rechte SpinnerInnen andererseits hinwiesen, käme einer „Relativierung“ der Gewalt gleich, die von den Aktionen gegen die Räumung des „Syndikats“ ausging.

Dabei enthüllt der Tagesspiegel nicht nur einmal mehr, auf welcher Seite er steht – nämlich auf jener der Immobilienspekulation und der Ordnungskräfte, die deren Eigentum und Gewinn sichern. Solch Kommentare – ganz zu schweigen von der Hetze gegen HausbesetzerInnen – verdeutlichen auch, dass dem bürgerlichen Mainstream schon die doppelbödige Politik von Linkspartei, Grünen und SPD zu weit geht, die letztlich die Immobilienlobby stützen – in der Öffentlichkeit aber so tun, als würden sie die Interessen der MieterInnen verteidigen.

Während mit der polizeilichen Hand die Räumung durchgeführt und jeder Protest unschädlich gemacht wird, drückt das politische Fußvolk aus Linkspartei (und gelegentlich sogar aus Grünen und SPD) sein „Verständnis“ für Protest aus, jedenfalls so lange er „friedlich“, also für die Durchführungen von Räumungen nicht allzu hinderlich, bleibt.

So langsam fällt selbst dem/der gutgläubigsten BeobachterIn auf, dass hier ein Widerspruch zwischen Wort und Tat stattfindet. Daher wäre dem Senat auch lieb, wenn zweifelhafte InvestorInnen wie Global Pears ein paar Zugeständnisse machen würden – und, wenn möglich, am „runden Tisch“ die gegensätzlichen Interessen von MieterInnen und Wohnungskapital in Einklang gebracht werden könnten. Blöd nur, dass der Run auf profitable Anlagen auf Seiten des Kapitals einen solchen Kompromiss, eine sozial getünchte Wohnungspolitik immer unmöglicher macht, die das Privateigentum an Grund und Boden nicht in Frage stellen will. Vor diesem Problem stehen im Übrigen nicht nur SPD und Grüne, sondern auch die Linkspartei, die so tut, als könne sie gleichzeitig Initiativen wie „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ unterstützen und ansonsten mit Innensenator Geisel auf gutem Fuß stehen. Solange der Senat mit seiner kapitalfreundlichen Politik weitermacht, wird er sich selbst in den Augen von immer mehr MieterInen diskreditieren – und das ist gut so.

Bei der Räumung des „Syndikats“ hat nicht nur der Innensenator, sondern die gesamte Landesregierung gezeigt, wo sie im Ernstfall steht – auf Seiten einer Staatsgewalt, die das Kapitalinteresse verteidigt. Das ist natürlich nichts Neues – ganz so lief es auch bei der Räumung der Hausbesetzung in der Friedelstraße, so läuft es bei jeder Räumung von MieterInnen, so läuft es bei jeder Abschiebung …

Die rechte Kritik der gesamten bürgerliche Opposition im Senat, von CDU, FDP bis zur rassistischen AfD, wie von zahlreichen Blättern der bürgerlichen Presse sollte darüber nicht hinwegtäuschen. Auch ihnen ist natürlich bewusst, dass die Landesregierung des Privateigentum der ImmobilienbesitzerInnen verteidigt. Sie halten jedoch schon das verbal geäußerte „Verständnis“ für Proteste und die Zugeständnisse an die MieterInnen (wie den Mietendeckel) für den Anfang vom Ende. Schließlich, so fürchten sie, könnten schon einzele Verbesserungen zu noch weiter gehenden Forderungen führen. Der Zuspruch für die Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ und die Popularität der Enteignungsforderung in recht großen Teilen der Bevölkerung lassen nicht nur bei der Immobilienlobby, sondern bei allen ParteigängerInnen der Profitmacherei die Alarmglocken läuten.

Wie weiter?

Die Räumung des „Syndikats“ stellt zweifellos einen Erfolg für die EigentümerInnen dar. Aber es liegt an uns, diesen in eine Pyrrhusssieg zu verwandeln. Die große Solidarität mit dem „Syndikat“ unter den AnwohnerInnen verdeutlicht, dass die Mieten- und Wohnungspolitik zu einem zentralen Kampffeld der nächsten Jahre werden kann – nicht nur wegen der dramatischen Verschlechterungen und weiter steigender Preise, sondern auch und vor allem, weil sich eine Bewegung entwickelt hat.

Ziel muss es sein, alle wohnungspolitischen Initiativen von MieterInnen in Berlin zu koordinieren und zu vereinen. Dies kann jedoch nur um soziale und politische Forderungen geschehen:

  • Stopp aller Räumungen von MieterInnen! Keine Räumung der besetzten Häuser! Kontrolle der Mietpreise durch Mietervereinigungen und Ausschüsse der MieterInnen!
  • Enteigung aller Immobilienkonzerne unter Kontrolle von MieterInnen und Gewerkschaften!Unterstützung der Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen!“
  • Für ein massives kommunales Wohnungsbauprogramm, insbesondere zum Bau von Sozialwohnungen, kontrolliert von MieterInnen und Gewerkschaften!
  • Widerstand gegen die Räumungen ist kein Verbrechen – Niederschlagung aller Verfahren gegen festgenommene DemonstrantInnen!
  • Aufbau einer Anti-Krisenbewegung, die den Kampf im Wohnungssektor mit dem gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die Lohnabhängigen verbindet!



Wohnungsfrage: Enteignung – was sonst?

Veronika Schulz, Neue Internationale 245, April 2020

Die aktuelle Misere auf dem deutschen Wohnungsmarkt mit rasant steigenden Mieten ist das Resultat des stetigen Abbaus sozialer Förderprogramme bei gleichzeitiger Privatisierung.

Bundesweit wurden 1990 die Wohnungsgemeinnützigkeit ersatzlos abgeschafft, die Wohnungsbauförderung 2001 faktisch beendet und 2006 die Zuständigkeit dafür an die Bundesländer delegiert.

Aktueller Mietenwahnsinn …

Allein zwischen 1995 und 2010 wurden mehr als 1 Million öffentlicher Wohnungen privatisiert. Auch heute noch fallen jedes Jahr durchschnittlich 130.000 günstige Mietwohnungen weg. Die ImmobilienspekulantInnen wie „Deutsche Wohnen“ und „Vonovia“ machen Milliardengewinne – auf unsere Kosten.

Die Zahl der Wohnungslosen hat sich innerhalb der letzten 10 Jahre von 200.000 auf 1,2 Millionen versechsfacht. Ein Grund hierfür sind die in diesem Zeitraum extrem gestiegenen Mieten. Andere Ursachen sind stagnierende Einkommen, Billiglohn, Hartz IV oder Armut.

All diese Entwicklungen beschleunigen die Verdrängung von Gering- und NormalverdienerInnen in die Vorstädte sowie ein allmähliches Absterben der städtischen Vielfalt und Kultur.

Die Filetgrundstücke luxussanierter Wohnungen teilen sich InvestorInnen, Hedgefonds und Immobilienverwaltungen untereinander auf, um sie einer kleinen, finanzkräftigeren Klientel als den bisherigen BewohnerInnen anzubieten.

In München haben sich die Mieten seit 2010 um 50 % erhöht. Im Schnitt kostet der Quadratmeter 17 Euro! Doch nicht nur in der „Mietenhauptstadt“ Deutschlands gehen die Preise durch die Decke: Außer in den Metropolen verschärft sich auch in deren „Speckgürteln“ die Situation. Zusätzlich zu den Mieten für Wohnungen in den Vorstädten haben auch die Bodenpreise massiv angezogen.

 … und seine Ursachen

Mangels Renditesteigerungsmöglichkeiten durch Investitionen im produktiven Sektor (Maschinen, Anlagen, Einstellungen…) nach der Krise 2008/2009 schaufelt der parasitäre Kapitalismus lieber Geld in Finanzanlagen (Aktien, Wertpapiere…) und Immobilien. Angesichts stagnierender Profite in Industrie und Gewerbe wird auf sichere Verzinsung und Rentengewinne gesetzt. Das treibt zum einen die Bodenpreise (kapitalisierte Grundrente) hoch, zum anderen den Aktienkurs der Vonovia, DW & Co.

Sie müssen sich eben auf diese einzige Weise den nötigen Kapitalzufluss verschaffen, in dieser historischen Krisenperiode unerlässliches Schmiermittel, um das durch Verschuldung angetriebene Akkumulations- und Bereicherungsregime eines maroden kapitalistischen Gesamtsystems am Laufen zu halten. Diese Systemkrise bildet den spezifischen Hintergrund für die in den letzten 10 Jahren aberwitzig gestiegenen Immobilienpreise und in deren Gefolge die Mietsteigerungen.

Symptombekämpfung oder Ursachen ins Visier nehmen?

Bürgerliche Wohnungs- und Bodenreformpolitik richtet sich aber lediglich gegen „spekulative Auswüchse“, also nicht gegen das private Grund- und Immobilieneigentum. Unions-Parteien, FDP und AfD springen den ProfiteurInnen der Wohnungsmisere bei und fordern noch mehr Privatisierung und einen noch „freieren“ Markt. Die SPD „bremst“ mit leeren Worten und halbherzigen Maßnahmen, die, wie die sog. Mietpreisbremse, noch zusätzlich verwässert werden.

Nach Jahren relativer Ruhe und nur vereinzelten Protests tut sich jedoch etwas. Die rasanten Preissteigerungen am Wohnungsmarkt und immer größere Gewinne der Immobilienhaie haben eine neue Massenbewegung entstehen lassen – nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. Und sie ist längst überfällig.

Die Gruppe ArbeiterInnenmacht ist in verschiedenen Städten in der MieterInnenbewegung aktiv. In Berlin unterstützen wir die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ und deren Forderung nach einem Volksentscheid. In München sind wir aktiv in „ausspekuliert“, um die Organisierung von MieterInnen in den Vierteln voranzutreiben.

Es ist richtig, dass viele lokale Initiativen und Bündnisse auf die Berliner Kampagne von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ schielen. Die große Stärke dieser Initiative ist sicherlich, dass von Beginn an konsequent die Eigentumsfrage gestellt wurde. Im Rahmen der Unterschriftensammlung für den titelgebenden Volksentscheid wurden eben nicht nur steigende Mieten, sondern auch die zugrunde liegenden Eigentumsverhältnisse sowie mögliche Alternativen breit in der Öffentlichkeit thematisiert und diskutiert. Dies stellt ohne Zweifel einen wichtigen Schritt dar, einerseits was den notwendigen Druck auf die Politik betrifft, andererseits und noch wichtiger ermöglicht es, die Mietenfrage als Klassenfrage zu begreifen.

Von Bürgerinitiativen zum Klassenkampf

Der Wohnungssektor ist Teil des kapitalistischen Gesamtsystems. Der MieterInnenkampf muss daher als Klassenkampf geführt werden. Hausbesetzungen, welche den Leerstand aufzeigen, können dabei ein Mittel gegen Wohnungs- und Mietspekulation sein. Allerdings stoßen sie rasch an ihre Grenzen, wenn diese Kämpfe isoliert von der Klasse stattfinden.

Daher ist es wichtig, die Gewerkschaften und andere Organisationen, die sich auf die ArbeiterInnenklasse beziehen, in diesen Kampf einzubinden.

Ebenso sollten wir uns nicht ausschließlich auf legalistische Maßnahmen wie Volksentscheide oder Volksbegehren verlassen. Sie können, wie bereits beschrieben, ein Mittel zur Themensetzung und Mobilisierung darstellen. Die große Schwäche liegt aber in der Abhängigkeit von den Institutionen des bürgerlichen Staates. Dieser sowie die Verwaltungen und Gerichte haben in der Vergangenheit mehrfach bewiesen, wie sie derartige Bestrebungen wahlweise verschleppen (Mietentscheid Frankfurt), abändern bzw. im Vorfeld eigene, schwächere Maßnahmen beschließen (Berliner Mietendeckel) oder gar gerichtlich abschmettern (Volksbegehren Pflegenotstand Bayern).

Es ist zwar nur folgerichtig, die Enteignung dieses großen Kasinos und seiner InhaberInnen zu fordern. Ebenso logisch ist aber der hartnäckige Widerstand der Immobilienkonzerne dagegen. Er wird sich allein mit einer Kampagne für den Volksentscheid nicht bekämpfen lassen, hängt doch das Schicksal des ganzen Systems an der Spekulation als Hauptantrieb für die Akkumulation des Kapitals, vermittelt über die Finanzmärkte.

Es bedarf deshalb eines Plans B, wie wir den Kampf um bezahlbare Mieten, Enteignung und lebenswerte Städte auch mit anderen, viel wirksameren Mitteln des unmittelbaren Klassenkampfs (Streiks, Mietboykotte…)  führen. Ziel muss dabei sein, eine Bewegung verschiedener BürgerInneninitiativen in eine Klassenbewegung zu transformieren. Wie bereits erwähnt, sollten dabei neben den betroffenen MieterInnen auch Gewerkschaften eingebunden werden. Die Klassenfrage spiegelt sich somit auch in der Organisierung wider. Statt legalistischer Bürgerinitiativen, die einzelne Personen zusammenfassen und auf die Ausnutzung der Rechte im Rahmen des Systems orientieren, brauchen wir ihre Transformation in die geballte Kraft proletarischer Organisationen, die sich zu einer Gegen- und Kontrollmacht in der Mietenfrage formiert.

Aktiv werden – auch in Zeiten von Corona!

Insofern ist die bundesweite Koordination im „Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn“, das europaweit für den 28. März den „Housing Action Day“ geplant hat, ein Fortschritt, was Organisierung und Vernetzung angeht. Eine Vielzahl von Städten mit all ihren lokalen Initiativen und Gruppen hat sich ein einheitliches Motto gegeben und gemeinsame Forderungen aufgestellt.

Auf Grund der Corona-Pandemie mussten die geplanten Demonstrationen und teilweise auch Aktionen abgesagt bzw. verschoben werden. Doch auch und gerade jetzt darf unser Kampf nicht pausieren. Wir müssen zeigen, dass unsere Forderungen wichtiger sind denn je: Ausgerechnet diejenigen, die im kapitalistischen „Normalbetrieb“ unter Armut oder Wohnungslosigkeit leiden oder durch ein unregelmäßiges und/oder niedriges Einkommen sowieso schwer eine bezahlbare Wohnung finden, geraten aktuell in existenzielle Not.

Durch Corona wird deutlich, dass ausgerechnet die ArbeiterInnen, die den Laden am Laufen halten, also Pflege- und Krankenhauspersonal, VerkäuferInnen, MüllwerkerInnen und BusfahrerInnen, gemessen an ihrer Rolle extrem unterbezahlt sind. Viele von ihnen sind es, die sich die Mieten in den Städten schon lange nicht mehr leisten können und daher weite Wege zur Arbeit in Kauf nehmen müssen, was bei der in diesen Bereichen üblichen Schichtarbeit eine zusätzliche Belastung darstellt. Auch an dieser Stelle sehen wir, wie der Kampf um höhere Löhne mit dem Kampf um bezahlbare Mieten zusammenhängt und daher auch in der Praxis verbunden werden muss.

Zwar hat die Bundesregierung im Eilverfahren ein Gesetz verabschiedet, was MieterInnen vor Kündigung schützen soll, wenn corona-bedingt die Miete nicht bezahlt werden kann. Die nicht gezahlten Monatsmieten werden aber lediglich aufgeschoben und müssen dann auch noch verzinst (nach jetzigem Stand ca. 4 %) nachgezahlt werden. Außerdem werden auf diese Weise der Immobilienwirtschaft sonst entgangene Gewinne garantiert – die Lasten tragen letztendlich die MieterInnen.

Die kommende Rezession, soviel steht bereits jetzt fest, wird die Löhne und Einkommen von Millionen Menschen europaweit schmälern, sei es durch kurzfristige Abstriche wie beim Kurzarbeitergeld oder dauerhaft, wenn Stellenabbau in der Industrie, aber auch ausbleibende Aufträge für Kleingewerbetreibende und Solo-Selbstständige zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen.

Dringliche Sofortforderungen!

Die Forderungen des Bündnisses wurden um weitreichendere Direktmaßnahmen ergänzt, um die absehbaren Folgen der Corona-Pandemie abzufedern, aber auch gesundheitlichen Schutz zu garantieren. Wir unterstützen einen Großteil der Forderungen für Sofortmaßnahmen:

  • Stopp von Räumungsklagen und Zwangsräumungen!
  • Keine Energie- und Wassersperren!
  • Moratorium für Mietzahlungen, Erlass von Mietschulden und Renditeverzicht!
  • Mietendeckel und Mieterhöhungsstopp!
  • Moratorium für Hypothekenzahlungen!
  • Auflösung von Sammelunterkünften wie Lagern und die menschenwürdige Unterbringung!
  • Beschlagnahmung von leerstehenden Wohnungen und Ferienwohnungen zum Zweck der Unterbringung!
  • Legalisierung von Besetzungen leerstehender Wohnungen und Häuser!

Langfristig schlagen wir ein Programm öffentlicher Wohnungsbau- und Sanierungsmaßnahmen zu Tariflöhnen und bezahlt aus Unternehmerprofiten vor:

Schluss mit Mietenmonopoly! Bezahlbarer Wohnraum für alle!

  • Der Staat soll selbst sozialen Wohnungsbau betreiben, nicht das private Wohnungskapital subventionieren. Die Immobilienwirtschaft und WohnungsbauspekulantInnen müssen entschädigungslos enteignet werden – unter Kontrolle der MieterInnen!
  • Kommunalisierung des Grund und Bodens, Baubetrieb in kommunale Hand für Neubau und Altbausanierung!
  • Bezahlung des Wohnungsbaus und von Sanierungen im Interesse der MieterInnen durch das beschlagnahmte Vermögen des Wohnungs- und Baukapitals und eine progressive Besteuerung der Profite!
  • Kontrolle der Wohnungsbaugesellschaften, Verwaltungen und der Mietpreise durch die MieterInnen, deren VertreterInnen und MieterInnengemeinschaften, begleitet von ArbeiterInnenkontrolle über das Wohnungsbauwesen!



Berliner Mietendeckel: Mietenbremse oder Trostpflaster?

Lucien Jaros, Neue Internationale 141, Oktober 2019

Egal
ob Mietpreisbremse, Milieuschutz, Wohnraumversorgungsgesetz: Die Mieten in der
Hauptstadt sind in den letzten Jahren explodiert. Dass die Idee eines
Mietendeckels konkrete Formen annimmt, ist ohne Zweifel erstmal ein Erfolg. Es
ist nicht Ausdruck einer sozialen Politik der Regierungsparteien (SPD, Linke,
Grüne), sondern des Druckes der MieteInnenbewegung und Projekte wie des
Volksbegehrens zur Vergesellschaftung der größten Wohnkonzerne in Berlin (Deutsche
Wohnen & Co. Enteignen) auf diese Parteien.

Immobilienwirtschaft,
Grüne und SPD

Während
die Wohnkonzerne jeden Deckel ablehnen, sieht die Politik der Grünen zum
Mietendeckel folgendermaßen aus: Innerhalb der Partei und der
Regierungskoalition wird gegen einen richtigen Mietendeckel gearbeitet und
werden wichtige Elemente systematisch demontiert. Nach außen wird die Idee
verteidigt, um sich selbst einen sozialen Anstrich zu geben. Die
Wunschvorstellung von Katrin Schmidberger (Grüne) ist ein „atmender Deckel von
unten“. Das heißt, dass günstige Mieten auf Obergrenzen erhöht, aber teure
nicht auf diese gesenkt werden können. Einem Mietenstopp wird eine Absage
erteilt, mit dem Argument der Ausgewogenheit zwischen Interessen der
Allgemeinheit und der Masse der Mieterinnen auf der einen und dem Eingriff ins
Eigentumsrecht auf der anderen Seite.

Das
Rechtsgutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Abgeordnetenhauses wie das
von Joachim Wieland sehen für den Gesetzgeber in Berlin einen weitgehenden
Gestaltungsrahmen in Mietsachen vor (Art. 28 der Verfassung). Die Versorgung
der Berliner Bevölkerung mit günstigem Wohnraum ist demnach notwendig. Ein
Schutz der Rendite ist nirgendwo festgeschrieben. Eine Ausgewogenheit ist daher
nicht zwingend. Das Argument ist daher selbst nach bürgerlichem Recht nicht
haltbar.

Der
rechte Flügel der Berliner SPD. ist nicht nur politisch bestens mit der
Immobilienlobby vernetzt (Kreisel-, Garski-, Antes-Affäre), sondern es
existieren auch personelle Überschneidungen.

„Schon vor Beschluss des Eckpunktepapiers zum Mietendeckel im Senat im Juni übte sich die Senatskanzlei unter deren Chef Christian Gaebler (SPD) in Störmanövern. Und inzwischen scheint das Vorhaben in der Öffentlichkeit ein  Projekt von Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (LINKE) zu sein. Obwohl sie anfangs deutliche Skepsis zeigte.“ (NEUES DEUTSCHLAND [ND], 31.8./1.9.2019)

Dabei
kam der Vorschlag für einen landesweiten Mietendeckel ursprünglich aus der SPD ­
wohl auch, um der Volksentscheidsinitiative „Deutsche Wohnen & Co.
enteignen“ (DWE) den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Der ursprüngliche
Entwurf

Der
ursprüngliche Entwurf Lompschers sah in der Tat einen richtigen Mietendeckel
vor, wie einst mit der SPD unter dem Namen „Mietenstopp“ vereinbart (Eckpunkte für ein Berliner Mietengesetz, 18.
Juni 2019). Er wurde in einem internen Papier der
Stadtentwicklungsverwaltung konkretisiert.

Im
Entwurf von Lompscher waren Obergrenzen zwischen 6,03 Euro/m² (Altbau) und 7,97
Euro/m² (Baujahr 1991–2013) festgelegt. Die Preise beziehen sich auf die
Nettokaltmieten. Für Modernisierungen, die in den letzten 8 Jahren vor
Inkrafttreten des Mietendeckels (18.6.2019) erfolgten, sollen definierte
Zuschläge pro m2 ohne Genehmigungsverfahren verlangt werden
dürfen, wenn die Mietoberwerte um nicht mehr als 20 % überschritten
werden. Kündigungen wegen Eigenbedarfs müssen durch die Bezirksämter genehmigt
werden. Ferner sollen die Mieten für 5 Jahre eingefroren werden (Mietstopp),
und bei Wiedervermietung darf die Miete nicht steigen. Außerdem können
MieterInnen die Absenkung einer überhöhten Miete beantragen. Wie der
Mieterverein nahm die Stadtentwicklungsverwaltung den Berliner Mietspiegel von
2011 als Grundlage. Die etwas höheren Mietobergrenzen des Mietervereins
errechnen sich durch die allgemeine Teuerung, während die Verwaltung sich an
der geringer ausgefallenen Einkommensentwicklung orientierte. Der
Mieterverein konzediert zusätzlich während der 5 Jahre eine
Mieterhöhungsmöglichkeit von 1,5 % jährlich. Zweifel werden in der Koalition
an der Absenkung aller Bestandsmieten geäußert. (ND, 26.8.2019)

Von einer
drastischen Reform konnte aber auch im Entwurf vom 18. Juni keine Rede sein. Kalkulatorisch
beträgt die kostendeckende Miete, also die Kosten für Betriebskosten (inkl
Grundsteuer), Instandhaltung, Verwaltung, Zinsen für Kapitaldarlehen usw. für
abgeschriebene Altbauwohnungen in München im Jahr 2018 3,52 Euro/m2
(Andrej Holm, Claus Schreer: Mietpreis-Explosion und Wohnungsnotstand –
Ursachen und Alternativen, isw-Report Nr 116/117, Mai 2018, S. 16). Dieser
Betrag ist in Berlin wahrscheinlich niedriger. Das heißt, dass die Wohnkonzerne
mehr als das Doppelte einnehmen, was benötigt wird, um die Bausubstanz zu
bewahren und zu verwalten. Gewinne, Renditeauschüttungen gäbe es immer noch. Die
wären einfach nur etwas reduziert. Und das ist auch gut so: Denn diese Gelder
werden normalerweise verwendet, um neue Gebäude zu bauen in hochpreisigen
Segmenten oder Eigentumswohnungen, die sich die Masse der Menschen nicht
leisten kann, jedoch sich in steigenden Vergleichsmieten und Mieterhöhungen
bemerkbar machen. Das Kapital wird auch investiert, um durch energetische
Sanierungen und anteilige Umlage der Investitionskosten Mieterhöhungen
voranzutreiben. Auch wenn es absolut notwendig ist, die Miete auf eine
kostendeckende zu begrenzen und den gesamten Neubau öffentlich und
sozialgebunden zu gestalten, beschränkt der ursprüngliche Entwurf die
Mietpreisspirale zumindest. Darum muss die MieterInnenbewegung ihn auch als
Teilreform unterstützen.

Leider
muss man hinzufügen, dass die Wohnungsgenossenschaften, ursprünglich z. T.
Organisationen von ArbeiterInnen, sich so weitgehend von ihren Wurzeln entfernt
haben, dass einige von ihnen hier dieselbe Position einnehmen wie bösennotierte
und internationale Wohnkonzerne inkl. Argumenten und Ausgaben für eine
Anti-Mietendeckel-Kampagne auf Kosten der Genossenschaftsmitglieder. Das zeigt
nebenbei zusätzlich, dass, auch wenn soziale und genossenschaftliche Betriebe
im Kapitalismus gegen profitorientierte verteidigt werden müssen, diese sich
dem marktwirtschaftlichen Umfeld allmählig anpassen und wie „normale“
profitorientierte agieren, wenn sie nicht in eine sozialistische Planwirtschaft
integriert werden. Also anstatt den Kapitalismus langfristig „Stück für Stück“
von innen für die ArbeiterInnenklasse abzuschaffen oder zu reformieren, werden
diese absobiert und stinknormale Geschäfte wie andere auch, Teil der
Marktwirtschaft.

Aktueller
Stand des Gesetzentwurfs

Auf
Druck der Koalitionspartnerinnen wurde der ursprüngliche Entwurf weitgehend
verändert. Kern des aktuellen Entwurfs zum Berliner MietenWoG ist eine Tabelle
mit Obergrenzen, die sich von Baujahr und Austattungsmerkmalen ableiten und
zwischen 5,95 und 9,80 Euro/m² für vor 2014 bezugsfertige Häuser liegen (3,92
Euro/m2 für vor 1918 gebaute Wohnungen).

Eine
jährliche Steigerung von 1,3 % 
ist vorgesehen sowie eine anhand von Preis-Lohnentwicklung, ferner ein
Aufschlag von 1 bzw 1,4 Euro/m2 bei notwendiger energetischer
Sanierung in den vergangenen 15 Jahren. Bis 1 Euro/m2 sind nicht
genehmigungspflichtig. Über die Notwendigkeit entscheiden Bezirksämter oder die
Investitionsbank. Mieten dürfen über die Obergrenzen hinaus erhöht werden, wenn
die wirtschaftliche Lage der/s VermieterIn eine unbillige Härte verursacht. Was
das ist, entscheidet das Bezirksamt oder die Investitionsbank. Mieten dürfen
nur herabgesetzt werden, wenn die Mietbelastung 30 % des
Haushaltsnettoeinkommens übersteigt (Grundlage ist der maximal pro Person nach
Sozialgesetzbuch zustehende Raum, für größere Wohnungen gilt das also nicht in
Gänze! Für 2 Personen sind z. B. nicht mehr als 65 m2
vorgesehen; ND 24.9.2019). Mieten oberhalb der Obergrenzen können in
bezuschusst werden (Wohngeld). Ursprünglich sollten sämtliche Mieten über der
Obergrenze auf Antrag abgesenkt werden können. Das gilt jetzt nur für
Wiedervermietung und o. a. Fälle.

Die
Obergrenzen umfassen zudem nur Neuvermietungen in vor 2014 bezugsfertigen
Häusern. Der Neubau ist ebenso ausgenommen wie der soziale Wohnungsbau. Für
Häuser mit maximal 2 Wohnungen sind 10 % Zuschlag gestattet. Basis der
Tabellen ist jetzt der Mietspiegel von 2013, als die Mieten schon deutlich
anzogen. Für die nächsten 5 Jahre eingefroren werden nur die Mieten, die über
den Obergrenzen liegen. Ein genereller Mietstopp ist also passé. Wie die Grünen
spricht jetzt auch Lompscher von einem „atmenden“ Deckel: Einerseits wird die
Mietentabelle jährlich entsprechend o. a. Index angepasst, andererseits
dürfen Mieten bis zur Obergrenze erhöht werden. (ND, 31.8./1.9.2019, 4.9.2019)


Energetische Sanierung

Erstens
übersteigt die Mietobergrenze inklusive des Aufschlags für Sanierungen in
manchen Sektoren die aktuelle Miete. Zweitens wird die Praxis fortgesetzt,
durch Sanierungen Mieten zu erhöhen und Erhöhungen auch nach der Amortisierung
aufrechtzuerhalten. Drittens sind die Bezirksämter personell nicht dafür
ausgestattet, solche Aufgaben wahrzunehmen. Viertens ist es politisch
fragwürdig, die Entscheidung an Gremien zu delegieren, die nicht direkt durch
die MieterInnen kontrolliert werden und nicht in ihrem Interesse handeln
–gerade in Zeiten von Filz zwischen UnternehmerInnen, bürgerlichen
PolitikerInnen und Staatsbürokratie. Man darf auch kein Vertrauen in Banken
haben, da sie von Mietpreissteigerungen in Folge energetischer Sanierungen
profitieren. Daher muss  diese
Regelung gestrichen bzw. durch eine ersetzt werden, wo der Aufschlag nach
Ablauf der Amortisierung wegfällt. Zudem müssen der Sanierung gewählte Komitees
der MieterInnen zustimmen. Die Geschäftsbücher müssen offengelegt und durch sie
kontrolliert werden können.


Obergrenzen (die keine sind) und Mietzuschuss

Die
Obergrenzen reichen völlig, aus Kosten des Vermieters zu decken. Wohnungen, die
älter als 50 Jahre sind bzw. bereits vor diesem Alter degressiv abgeschrieben
sind, dürfen max. 3,50 Euro/m2 nettokalt kosten. Die Möglichkeit,
Mieten über die Obergrenze hinaus zu erhöhen, stellt eine weitere zentrale
Schwachstelle des gesamten Entwurfs dar. Jede Wirtschaftsfachkraft kann die
Bilanzen einer Firma so kalkulieren, dass eine unbillige Härte entsteht. Es
würde ausreichen, wenn Häuser gekauft werden, um diese zu erzeugen. Dieser
Mechanismus bevorteilt gerade größere Konzerne, die in diesen Dingen sehr geübt
sind. Auch die Zuständigkeit  von
Bezirksamt und Investitionsbank ist kritisch. Eine Obergrenze ohne Ausnahmen
ist notwendig. Dann fällt die Notwendigkeit der staatlichen Bezuschussung für
private Konzerne (Wohngeld) zu einem Gutteil weg.


Bedüftigkeit, Herabsetzung der Mieten

Im
ursprünglichen Entwurf waren alle Personen berechtigt, die Mieten oberhalb der
Obergrenzen zu senken. Das wären schätzungsweise 80 % der Berliner
MieterInnen. Nach dem aktuellen Entwurf sinkt der Personenkreis auf 20 %.
Die Nettokaltmietschwelle von 30% des Haushaltseinkommens entspricht der
„Selbstverpflichtung“ des Immobilienkonzerns Deutsche Wohnen (DW) sowie der
seit 2016 gültigen Praxis in den landeseigenen Wohnungsgesellschaften und ist
kein Fortschritt, da die Nettokaltmieten in den letzten Jahren langsamer
anstiegen und einen immer geringeren Anteil an den Gesamtkosten ausmachen. Die
höher werdenden Kosten sind die Betriebskosten und Modernisierungen. Große
Konzerne verdienen Extramillionen durch Insourcing, also das Ausstellen
überhöhter Rechnungen an eigene Firmen und die Umnlage dieser Kosten auf die
MieterInnen. Des Weiteren ist es ein erheblicher bürokratischer Aufwand, die
Einkommensverhältnisse von Millionen von Menschen zu prüfen. Durch diese
Regelung wird die aktuelle Mietpraxis, also Vermietung an die Person mit dem höchsten
Einkommen und Verdrängung einkommenschwacher Personen, verstärkt. Ein
Herabsetzung der Miete ohne Ausnahme ist notwendig. Nur eine Einschränkung auf
den weit größeren Personenkreis mit Wohnberechtigungsschein oder die
Orientierung an den Warmkosten wären eine gangbare Option.


besonderer Schutz für schutzbedürftige Personen

Im
aktuellen Entwurf fehlt eine Klausel, dass Obdachlosigkeit durch Verlust des
Wohnraums in Folge von Mietpreissteigerung ausgeschlossen wird. Eine Pflicht,
einen Teil der Wohnungen für besondere Schutzgruppen (Obdachlose, Geflüchtete,
sexuell Unterdrückte und Jugendliche) bereitzustellen und leicht zugänglich zu
machen, fehlt ebenso, ist aber dringend notwendig.

Fazit

Der
usprüngliche Entwurf ist besser geeignet, die Interessen der Millionen
MieterInnen zu vetreten. Erstens weil die ausnahmsfreie Begrenzung bzw. Senkung
der Mieten eine Entlastung für Millionen MieterInnen und das Land Berlin
bedeuten. Mit den Kosten für Unterkunft und Heizung (gemäß ALG II) und Wohngeld
wird durch Steuergelder, also Abgaben der Lohnabhängigen, der private
Wohnungsmarkt subventioniert. Eine niedrige Miete entlastet den Berliner
Haushalt und macht Kapital frei für einen öffentlichen und sozial-gebundenen
Neubau und für die Kosten einer Vergesellschaftung. Zweitens ist die
nachhaltigere Vergesellschaftung ein mittelfristiges Projekt und in einer
Situation, wo viele BerlinerInnen zwischen 40 und 55 % ihres Einkommens
für die Miete ausgeben, ist ein echter Mietendeckel eine korrekte Sofortmaßnahme
und neben der Vergellschaftung und öffentlichem sozialem Wohnungsbau eine der
notwendigen Grundmaßnahmen im Mietwesen. Drittens schafft die Vergellschaftung
der größten Wohnmultis günstigen Wohnraum für ca. 300.000 Menschen, aber nicht
für alle, die ihn brauchen. Für alle anderen muss auch ein finanzierbarer
Wohnraum geschaffen werden – ohne Ausnahmen und Einschränkungen. Viertens senkt
der ursprüngliche Mietendeckel vorab die Rendite der Wohnkonzerne, was sich im
Falle der Vergesellschaftung nach Art. §15 GG Satz 1 in sinkenden Aktienkursen
und einer niedrigeren Entschädigungshöhe nach Satz 2 bzw. Art. §14 Abs. 3 &
4 GG bemerkbar machen kann.

Daher
muss für die Verteidigung des ursprünglichen Entwurfs Stellung bezogen werden
und die Linkspartei gegenüber ihren Koalitionspartnerinnen, der Opposition, den
Immobilienkonzernen und Medien hier verteidigt werden. Gleichzeitig muss man
sie dafür kritisieren, dass sie bei der ersten Verhandlung (30.8.2019) im
Koalitionsausschuss dem Druck nachgegeben hat. Bei Bekanntgabe des
überarbeiteten Entwurfs stiegen die Aktionskurse der Wohnkonzerne.

Ein
erster Schritt wäre die Mobilisierung zur Mietendemo „Richtig deckeln, dann
enteignen – Rote Karte für SpekulantInnen“ und die Unterstützung des DWE-Blocks
am 3.10., um an diesem historischen Tag der nationalen Frage die Eigentumsfrage
entgegenzustellen und auch darüberhinaus sich für Vergellschaftung,
Gemeineigentum und Kontrolle durch MieterInnen einzusetzen.

Die
MieterInnenbewegung, darunter das DWE-Bündnis, ist gut beraten, sich nicht auf
Grundgesetz, Volksentscheid, Senat, Parlament und Parteien einschließlich DIE
LINKE zu verlassen. Dies betrifft sowohl die Frage der entschädigungslosen
Enteignung der großen Wohnkonzerne wie auch die der Kontrolle über einen
wirksamen Mietendeckel. Die MieterInnenbewegung muss sich in eine Bewegung für
ArbeiterInnenkontrolle über das gesamte Wohnungswesen transformieren und diese
mittels politischen Streiks durchzuseten helfen.




Deutsche Wohnen, Vonovia und Co. enteignen! Bundesweite MieterInnenbewegung nötig!

Susanne Kühn, Neue Internationale 237, Mai 2017

Am 6. April
gingen bundesweit Zehntausende gegen den Mietenwahnsinn auf die Straße. Allein
durch Berlin zogen mindestens 40.000 Menschen. Nach Jahren rasanter Preissteigerungen
am Wohnungsmarkt und immer größerer Gewinne der Immobilienhaie entsteht eine
Massenbewegung.  Und sie ist längst
überfällig.

ArbeiterInnenmacht
ist in verschiedenen Städten in der MieterInnenbewegung aktiv. In Berlin
unterstützen wir die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ und deren
Forderung nach einem Volksentscheid.

Ursachen

Die aktuelle
Misere auf dem deutschen Wohnungsmarkt mit rasant steigenden Mieten ist das
Resultat des stetigen Abbaus sozialer Förderprogramme bei gleichzeitiger
Privatisierung. Bundesweit wurde 1990 die Wohnungsgemeinnützigkeit ersatzlos
abgeschafft, die Wohnungsbauförderung 2001 faktisch beendet und 2006 die
Zuständigkeit dafür an die Bundesländer delegiert. Allein zwischen 1995 und
2010 wurden mehr als 1 Million öffentlicher Wohnungen privatisiert. Auch heute
noch fallen jedes Jahr durchschnittlich 130.000 günstige Mietwohnungen weg. Die
ImmobilienspekulantInnen wie Vonovia oder Deutsche Wohnen machen
Milliardenprofite.

Zugleich hat
sich die Zahl der Wohnungslosen in den letzten 10 Jahren von 200.000 auf 1,2
Millionen versechsfacht. Ein Grund hierfür sind die in diesem Zeitraum extrem
gestiegenen Mieten. Der andere sind stagnierende Einkommen, Billiglohn, Hartz
IV oder Armut.

Das bedeutet
eine Verdrängung von Gering- und NormalverdienerInnen in die Vorstädte, ein
allmähliches Absterben der städtischen Vielfalt und Kultur. Die
Filetgrundstücke luxussanierter Wohnungen teilen InvestorInnen, Hedgefonds und
Immobilienverwaltungen untereinander auf, um sie einer kleinen,
finanzkräftigeren Klientel statt den bisherigen BewohnerInnen anzubieten.

Bürgerliche
Wohnungs- und Bodenreformpolitik richtet sich lediglich gegen „spekulative
Auswüchse“, also nicht gegen das private Grundeigentum. Unions-Parteien, FDP
und AfD springen den ProfiteurInnen der Wohnungsmisere bei und fordern noch
mehr Privatisierung und einen noch „freieren“ Markt. Die SPD „bremst“ mit
leeren Worten und halbherzigen Maßnahmen, die wie die sog. Mietpreisbremse noch
zusätzlich verwässert werden.

Symptome oder
Ursachen bekämpfen?

Der
Wohnungssektor ist Teil des kapitalistischen Gesamtsystems. Der Kampf der
MieterInnen muss daher als Klassenkampf geführt werden. Hausbesetzungen, welche
den Leerstand aufzeigen, können dabei ein Mittel gegen Wohnungs- und
Mietspekulation sein. Allerdings stoßen sie rasch an ihre Grenzen, wenn diese
Kämpfe isoliert von der Klasse stattfinden.

Daher ist es
wichtig, die Gewerkschaften und andere Organisationen, die sich auf die
ArbeiterInnenklasse beziehen, in diesen Kampf einzubinden. Wir können uns nicht
mit der Besetzung und Beschlagnahme vorhandenen Wohnraums sowie einer
Mietpreisbremse begnügen, sondern schlagen auch ein Programm öffentlicher
Wohnungsbau- und Sanierungsmaßnahmen vor, wo die Beschäftigten zu Tariflöhnen bezahlt
und die aus Unternehmerprofiten finanziert werden:

  • Der Staat soll selbst sozialen Wohnungsbau betreiben, nicht das private Wohnungskapital subventionieren! Die Immobilienwirtschaft und WohnungsbauspekulantInnen müssen entschädigungslos enteignet werden
  • Kommunalisierung des Grund und Bodens! Baubetrieb in kommunale Hand für Neubau und Altbausanierung!
  • Bezahlung des Wohnbaus und von Sanierungen im Interesse der MieterInnen durch das beschlagnahmte Vermögen des Wohnungs- und Baukapitals und eine progressive Besteuerung der Profite!
  • Kontrolle der Wohnungsbaugesellschaften, Verwaltungen und der Mietpreise durch die MieterInnen, deren VertreterInnen und MieterInnengemeinschaften, begleitet von ArbeiterInnenkontrolle über das Wohnungsbauwesen!
  • Bundesweite Aktionskonferenz aller MieterInneninitiativen und Bündnisse, um die Bewegung zu koordinieren!



Polizeiangriff auf MieterInnendemo in Stuttgart – Erinnerungen an den „Schwarzen Donnerstag“ werden wach

Martin Eickhoff, Infomail 1050, 10. April 2019

Der „Schwarze Donnerstag“ 2010 ist vielen StuttgarterInnen
bis heute in trauriger Erinnerung. Bei einem brutalen Polizeiansatz gegen eine
Protestkundgebung im Schlossgarten, die sich gegen das Wahnsinnsprojekt
„Stuttgart 21“ richtete, verlor damals ein Demonstrant das Augenlicht. Viele
andere, die gegen das Prestigeprojekt und Milliardengrab damals auf die Straße
gingen, wurden schwer verletzt. Am 6. April 2019 griffen die Einsatzkräfte
wieder abziehende TeilnehmerInnen, diesmal der Protestaktion gegen hohe
Mietpreise an – und verletzten dabei mehr als 50 Menschen.

Erneut zeigte also die Stadt Stuttgart, dass sie auch unter
dem grünen Oberbürgermeister Kuhn vor brutaler Repression nicht zurückschreckt
und so hofft, eine wachsende Bewegung einzuschüchtern.

Wie in vielen anderen Städten war die Aktion nämlich auch in
der baden-württembergischen Landeshauptstadt ein großer Erfolg. Am Samstag, dem
6. April, gingen etwa 5.000 Menschen unter dem Motto „Mieten runter!“ auf die
Straße. Aufgerufen hatte ein breites Bündnis aus mehr als 30 Organisationen –
darunter neben MieterInneninitiativen, Sozialverbänden, HausbesetzerInnen auch
Parteien wie DIE LINKE oder die DKP. Dass sich auch VertreterInnen der Grünen
vor Ort zeigten, wurde mit deutlichen Missfallensäußerungen seitens der TeilnehmerInnen
quittiert. Kein Wunder – schließlich trägt diese als regierende Partei in Stadt
und Land Mitschuld an der katastrophalen Wohnungspolitik und hat auch gegen die
Hausbesetzung in der Forststraße 140 Stimmung gemacht.

An dieser wichtigen Kundgebung beteiligten sich auch GenossInnen
der Gruppe ArbeiterInnenmacht und der Jugendorganisation Revolution und machten
auch ihre angehende Veranstaltung am 23. April, auf der über revolutionäre
Perspektiven in der Wohnungspolitik diskutiert werden soll, vielen
interessierten Menschen bekannt.

Noch kurz vor Demobeginn begann der ehemalige stellvertretende
Landesvorsitzende der rechten AfD und Stuttgarter Stadtrat Heinrich Fiechter
junge Menschen in üblicher Manier zu provozieren. Doch nach kurzem Hin und Her
musste er frustriert im Taxi den Rückzug antreten, so dass der große Zug der
DemonstrantInnen pünktlich loslaufen konnte. Neben Demosprüchen und kurzen
Redebeiträgen wurde das Programm immer wieder von der Heute-Show-Kabarettistin
Christine Prayon, der Ska-Band No Sports und dem Freestyle-Rap-Duo Toba &
Pheel bereichert. Der bekannte Stuttgarter Kolumnist Joe Bauer führte mit viel
Witz und Unterhaltung durch den Lauf der Demonstration durch das
Heusteigviertel.

Als der Demozug an einem Büro des Immobilienspekulanten
Vonovia vorbeizog, wurde dieses aus dem Block heraus mit roter Farbe ein wenig
verschönert und von einem gegenüberliegenden Parkhaus ein Transparent herunter
gelassen, um die BewohnerInnen der Heusteigstraße auf die skandalösen
Machenschaften der Immobilienhaie aufmerksam zu machen. Dabei wurden
AktivistInnen umgehend von den Bullen bedrängt, die mit Pfefferspray auf diese
DemoteilnehmerInnen losgingen.

Angriff am Ende der Demonstration

Nach Abschluss der Endkundgebung und Auflösung der
Versammlung machte sich eine Gruppe Menschen in der Böblinger Straße auf den
Weg Richtung Heslach. Dabei versperrte die Polizei den DemonstrantInnen den Weg
und setzte ohne ernsthafte Gefahr völlig unverhältnismäßig wiederholt massiv
Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Dabei wurden viele durch das z. T. aus
nächster Nähe eingesetzte Reizgas verletzt. Die Demosanitätsgruppe Süd-West
berichtete von fast 60 Behandlungen, davon über 50 Verletzten durch
Pfefferspray, 2 chirurgischen Verletzungen durch Schlagstockeinsatz und 2 internistischen
Notversorgungen.

Jedoch ließen sich die mutigen DemonstrantInnen nicht von
dem Bullenterror einschüchtern und so wurde etwa eine Stunde nach der
Abschlusskundgebung das seit langem leerstehende Hofbräu-Areal in der Böblinger
Straße 104 kurzzeitig symbolisch besetzt. Die Bauten auf dem Gelände sollen
abgerissen werden und der Aldikonzern will dort 50 Luxuswohnungen bauen,
während immer mehr Menschen auch in Stuttgart auf Wartelisten für
Sozialwohnungen stehen. Dies scheint aber die grüne Mehrheit im Gemeinderat
nicht groß zu interessierten. Auch in Stuttgart sind die Grünen offenkundig zur
Partei der Besserverdienenden geworden.

Ein Polizeisprecher versuchte am Montag, die
Pfefferspray-Attacken damit zu rechtfertigen, man habe eine drohende
Hausbesetzung verhindern wollen, auch durch Einsatz von Pfefferspray.

Viele Stuttgarter BürgerInnen fühlten sich unweigerlich an
die Vorkommnisse des sogenannten Schwarzen Donnerstags erinnert, als am 30.
September 2010 im Schlossgarten Wasserwerfer und Pfefferspray gegen
DemonstrantInnen eingesetzt wurden. Damals wurden Hunderte verletzt, die gegen
S21 protestierten, darunter auch Kinder. Ein Mensch wurde damals so stark von
einem Wasserwerfer getroffen, dass er in dessen Folge sein Augenlicht verlor.

Wie damals gilt auch heute: Von der Repression dürfen wir
uns nicht einschüchtern lassen. Wir brauchen dagegen solidarische und
kollektive Gegenwehr, indem wir eine Bewegung von MieterInnen und
HausbesetzerInnen aufbauen, die eng mit der ArbeiterInnenbewegung, vor allem
mit den Gewerkschaften verbunden ist.

Wir fordern die.

  • restlose Aufklärung der Polizeigewalt im Rahmen der Demo am 6. April und eine öffentliche Untersuchung durch die MieterInnenbewegung!
  • Niederschlagung aller Verfahren und Ermittlungen gegen BesetzerInnen und DemonstrantInnen
  • Schluss mit der Diskriminierung von HausbesetzerInnen und Besetzungsaktionen
  • ein umfangreiches soziales Wohnungsbauprojekt in der Stadt Stuttgart unter Kontrolle der ArbeiterInnen und MieterInnen!
  • Entschädigungslose Enteignungen aller privaten Immobiliengesellschaften!



Deutsche Wohnen, Vonovia & Co.: Enteignung – ja klar! Entschädigung – nein danke!

Martin Suchanek, Neue Internationale 236, April 2019

Die Berliner Initiative „Deutsche Wohnen & Co.
enteignen“ hat schon jetzt wie eine Bombe eingeschlagen. Noch bevor die erste
Unterschrift gesammelt ist, bringen sich alle Kräfte des politischen und
wirtschaftlichen Establishments in Stellung.

Die Forderung nach Enteignung oder Vergesellschaftung aller
gewinnorientierten Konzerne, die in der Stadt über mehr als 3.000 Wohnungen
verfügen, ruft die VerteidigerInnen des Privateigentums auf den Plan. Dass es
Wohnungsnot und eine massive Steigerung der Mietpreise in Berlin und anderen
städtischen Ballungsgebieten gibt, bestreiten zwar auch die KritikerInnen der
Initiative nicht. Doch drohende Eingriffe in das Privateigentum oder gar die
Enteignung ganzer Unternehmen – beides rein juristisch betrachtet sogar nach
Grundgesetz und Berliner Landesverfassung zulässig – werden von CDU, FDP und
AfD mit allen möglichen „Argumenten“ madig gemacht.

Markt statt Enteignung?

So wittert der FDP-Politiker Sebastian Czaja in der
„Verzögerung und Verhinderung innerstädtischer Verdichtung“ eine Hauptursache
der Berliner Probleme. Es müsse eben mehr und höher hinaus gebaut werden, so
der weise Ratschlag. Dann würden, wenn dereinst das Angebot die Nachfrage
übersteigt, die Mieten wieder sinken. Schön für alle, die es solange schaffen,
bei rasant steigenden Wohnungskosten nicht in die Außenbezirke umsiedeln zu
müssen.

Die Wohnungsnot müsse, wie von einem treuen Anhänger des
freien Marktes nicht anders zu erwarten, mit noch mehr Markt überwunden wurden.
So gelte es, „den Weg zu Wohneigentum durch Senkung der Grunderwerbssteuer
fördern.“ Die GroßinvestorInnen sagen herzlich Danke.

Ähnlich Burkard Dregger von der CDU: „Gegen Wohnungsnot
helfen nur gemeinsame Anstrengungen, auch der Baugenossenschaften und privaten
Wohnungsbaugesellschaften.“ Für den Mann ist nicht nur die Enteignung
Teufelszeug, sondern selbst der Rückkauf privatisierter Wohnungen oder
Wohnungsbaugesellschaften, wie von der Berliner SPD favorisiert. Schließlich
soll lt. FDP und CDU wie auch der gesamten Immobilienbranche am Ende eben mehr
und nicht weniger privatisiert werden. Die hohe Miete sichert schließlich die
Rendite.

Im kapitalistischen Chor darf schließlich auch die AfD nicht
fehlen. Deren Abgeordneter Harald Laatsch weiß schließlich: „Für Mieter ist es
weitgehend unerheblich, wer Eigentümer ihrer Wohnung ist.“ Dafür würden
„Wohlstand und Altersversorgung durch Eigentumsbildung verbessert werden.“
Stimmt – wenn auch nur für die AktionärInnen der Wohnungskonzerne, denen er
beherzt beispringt:

„Nun erleben wir die Wiederkehr des sozialistischen
Gedankens. Linke Parteien und Aktivisten wollen ein neues Experiment auf Kosten
der Allgemeinheit.“

Privatisierung ruiniert MieterInnen

Dabei wollen offen bürgerlichen Parteien vor allem eins: die
Fortsetzung eines „Experiments“, dessen Kosten für die Allgemeinheit längst
bekannt sind.

Die Privatisierung im Wohnungssektor hat hunderttausende
MieterInnen spekulativen Wohnungsbaukapitalien ausgesetzt, die auf eine
schnelle Rendite setzen. Die Deutsche Wohnen (DW) hat es in Berlin zur
Marktführerin auf diesem Gebiet gebracht. Mehr als 100.000 Wohnungen befinden
sich in ihrer Hand. Steigende Mieteinnahmen – bei der DW im Jahr 2018
bundesweit 3,4 %, in Berlin sogar 3,6 % – tragen maßgeblich zur
Gewinnsteigerung bei. 2018 konnte der Konzern den operativen Gewinn auf 480
Millionen Euro steigern, was einer Zunahme von 11 Prozent gegenüber 2017
entspricht. Und das soll längst nicht das Ende der Fahnenstange sein.

Die Rendite für wenige entspricht den Mietpreiserhöhungen
für viele. In Berlin wurden zwischen 1995 und 2006 über 200.000 kommunale
Wohnungen privatisiert (davon rund die Hälfe unter dem rot-roten Senat). Die
Angebotsmiete stieg zwischen 2008 und 2015 um durchschnittlich 60 %, in
Ortslagen wie Neukölln und Kreuzberg um 100 %!

Geht es nach der bürgerlichen Opposition im Berliner
Abgeordnetenhaus, soll noch Öl ins Feuer gegossen und die private
Wohnungsspekulation weiter angeheizt werden.

Und der Senat?

Der einzig richtige Vorwurf dieser HalsabschneiderInnen an
den Senat und die Regierungsparteien besteht darin, dass diese selbst keine
Antwort auf die Wohnungsnot haben. Kein Wunder, denn der Senat laviert zwischen
den berechtigten Forderungen der MieterInnen einerseits und dem Druck des
Kapitals andererseits. Ersteren wird eine Nachbesserung der Mietpreisbremse,
ein Rückkauf der privatisierten Wohnungen und ein Wohnungsbauprogramm, vor
allem der Neubau von Sozialwohnungen, versprochen. Doch all das gleicht einem
Flickwerk, das hinter den eigentlichen Anforderungen ständig zurückbleibt.

Schließlich will es sich der Senat, vor allem SPD und Grüne,
mit der Bauwirtschaft, den Wohnungskonzernen und dem Finanzkapital nicht
verscherzen. Wie leicht, schnell und willfährig die Berliner Koalition vor
diesem Druck einknickt, verdeutlichte gleich am Beginn ihrer Amtsperiode die
Verleumdungskampagne gegen den linken Staatssekretär Andrej Holm, der innerhalb
weniger Wochen von „seiner“ Regierung bereitwillig geopfert wurde.

Zum richtigen Zeitpunkt

Vor diesem Hintergrund wird der Erfolg von „Deutsche Wohnen
& Co. enteignen“ verständlich. Die Initiative kam zum richtigen Zeitpunkt.
Hunderttausende MieterInnen wissen, dass es leider doch einen Unterschied
macht, ob man bei einem profitorientierten Wohnungskapital oder bei einer
kommunalen Wohnungsgesellschaft wohnt – z. B. wenn sie den/die längst
eingesparte/n HausmeisterIn suchen oder bei einer dringend notwendigen
Reparatur tagelang vom Callcenter vertröstet werden.

Mittlerweile haben sich zahlreiche MieterInnenkomitees in
Häusern privater Konzerne gebildet oder Vollversammlungen ihre Unterstützung
für „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ erklärt. Die Initiative hat schon
jetzt, vor Beginn der eigentlichen Unterschriftensammlungen für einen
Volksentscheid eine reale Massenbasis aufgebaut – und ein weiterer Zustrom ist
abzusehen.

Dies ist auch der Grund, warum die SPD nun in der
Wohnungsfrage etwas linker blinkt und auf Rückkauf privatisierter
Wohnungsgesellschaften als Alternative zur Enteignung setzt. Die Grünen stehen
dem Volksbegehren, das schließlich in einen Volksentscheid münden soll,
positiver entgegen. Die Linkspartei hat auf ihrem letzten Landesparteitag die
Unterstützung von „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ beschlossen und
präsentiert die Initiative fast schon als ihre eigene Idee – nicht zuletzt
auch, um von ihrer eigenen unrühmlichen Vergangenheit bei der Privatisierung
zehntausender Wohnungen abzulenken.

Unabhängig davon sollte die Initiative von allen Linken, Anti-KapitalistInnen
und RevolutionärInnen unterstützt werden – nicht nur durch das Sammeln von
Unterschriften, sondern auch durch das Aufbauen von MieterInnenkomitees und
demokratischen Basisstrukturen der Kampagne.

Pferdefüße

Das darf jedoch nicht über mehrere politische Schwächen und
Pferdefüße der Initiative hinwegtäuschen, die offen diskutiert und gelöst
werden müssen. Wir schlagen dazu eine Berliner Aktionskonferenz vor, die nicht
nur unten angesprochene Fragen besprechen, sondern dazu auch verbindliche
Beschlüsse fassen soll.

Die Frage der Beschränkung der Enteignungsforderung auf
Konzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen

Wie auch alle Beteiligten an der Initiative zugeben, ist
diese Höhe letztlich willkürlich. Im Grunde sollte es darum gehen, alle Konzerne,
die private Wohnungen zu Bereichungszwecken, also als Wohnungskapital nutzen,
zu enteignen. Deren ganzes Geschäftsmodell beruht darauf, rasch Rendite zu
machen und die Interessen ihrer AktionärInnen zu befriedigen. Ein solches
Modell ist nur machbar durch eine stetige Steigerung der Mieten, mit jeder auch
nur beschränkt „sozialen“ Wohnungspolitik ist es letztlich unvereinbar

Die Höhe der Entschädigung

Die Instrumente Volksbegehren und Volksentscheid sind selbst
in einen recht engen gesetzlichen Rahmen gezwängt – erst recht, wenn es dabei
um finanzielle Fragen geht, die den Haushalt oder das in der bürgerlichen
Gesellschaft höchste aller Rechte, das Eigentumsrecht betreffen. Daher sind
Enteignungen großer Unternehmen selbst gegen Entschädigung so selten. (Anders
ist das natürlich, wenn es sich um die Entschädigung von Kleineigentum im
Interesse des „Gemeinwohls“ handelt, als z. B. die Unternehmen der
ehemaligen DDR via Treuhand v. a. an das deutsche Großkapital übergeben
wurden).

Die Initiative sieht sich nun mit dem Problem konfrontiert,
dass eine entschädigungslose Enteignung wenigstens rechtlich umstritten ist und
leicht den Vorwand liefern kann, das Volksbegehren zu stoppen.

Daher findet dort eine Diskussion über die Höhe einer
möglichen Entschädigung statt. Der Senat und die Immobilienwirtschaft haben
ihrerseits erkannt, dass in diese Frage eine Chance besteht, die
Enteignungsforderung in den Augen der Bevölkerung zu diskreditieren.

Eine „amtliche Kostenschätzung“ des Berliner Senates geht
davon aus, dass die Enteignung von DW & Co. zwischen 28,8 und 36 Milliarden
Euro kosten würde. Dem liegt der aktuelle Marktwert zugrunde.

SprecherInnen des Bündnisses halten dagegen, dass dies ein
weit überhöhter Preis wäre, weil die Spekulation selbst den Marktwert
gesteigert habe. Damit ließe DW sich ihre überhöhten Mieten im Falle einer
Enteignung gewissermaßen noch einmal auszahlen. Aber auch andere „gerechtere“
Modelle gehen noch von 7,3 bis 13,7 Milliarden Euro aus.

Die Zahlen von 28–36 Milliarden wurden zweifellos bewusst
und als Steilvorlage für die Berliner Immobilienlobby lanciert, die diese auch
freudig aufgreift.

So erklärt der Verband der Berlin-Brandenburgischen
Wohnungsunternehmen (BBU): „Die Kosten würden einen gesamten Jahreshaushalt
übersteigen und wären mehr als das Sechsfache der bisherigen BER-Baukosten.“
Ein solches Desaster müsse verhindert werden, indem EigentümerInnen
EigentümerInnen bleiben.

In jedem Fall wird aber deutlich: Die Milliardensummen
müssten aus dem Berliner Haushalt, der jährlich rund 29 Milliarden beträgt,
also aus Steuern und das heißt vor allem aus denen von Lohnabhängigen bezahlt
werden. So soll ein politischer Spaltkeil zwischen Initiative und ArbeiterInnen
getrieben werden.

Zum anderen werden die Entschädigungshöhen in jedem Fall
dazu führen, dass es zu einer Klagewelle kommt. Die „Schuldenbremse“ wird
bemüht werden, um einen etwaig erfolgreichen Volksentscheid für illegal zu
erklären.

Schließlich wird der Druck dazu genutzt werden, im
Abgeordnetenhaus ein Enteignungsgesetz zu verwässern und auf die lange Bank zu
schieben, denn der Volksentscheid bedeutet selbst bei einer überwältigenden
Mehrheit noch lange nicht, dass er auch umgesetzt werden muss, da er das
Abgeordnetenhaus nur zur Formulierung eines Gesetzes verpflichtet, nicht jedoch
dessen konkreten Inhalt festschreibt.

Enteignung – ja, Entschädigung nein!

Unserer Meinung nach kann dieses Problem nur gelöst werden,
indem wir eine Entschädigung kategorisch ablehnen. Allenfalls kann, um
rechtlichen Vorgaben zur Durchführung der Volksbegehrens und später des
Volksentscheids Genüge zu tun, eine rein symbolische Entschädigung von einem
Euro versprochen werden.

Der Grundsatz sollte jedoch klar sein: Die Kapitale, die
sich ohnedies schon an den MieterInnen bereichert haben, sollen nicht
aufgekauft, sondern ihre Wohnungen entschädigungslos enteignet und unter
Kontrolle von MieterInnenkomitees kommunal verwaltet werden.

Damit würden wir erstens eine politische Flanke schließen.
Es wäre unmöglich, die MieterInnen gegen lohnabhängige SteuerzahlerInnen
auszuspielen. Es wäre – gewissermaßen als Nebeneffekt – auch unmöglich, die
Enteignung mit dem Hinweis auf deren hohe Kosten für den Haushalt in Frage zu
stellen.

Politisch würde also die Initiative klarer argumentieren
können.

Plan B notwendig

Zum anderen kann natürlich niemand bestreiten, dass die
Weigerung, eine „angemessene“ Entschädigung an die Immobilienhaie zu zahlen, zu
einer rechtlichen Auseinandersetzung um die Legalität eines Volksentscheides
führen kann.

Aber zu einer solchen Auseinandersetzung wird es
wahrscheinlich ohnedies kommen. Es wäre doch recht verwunderlich, wenn DW,
Vonovia & Co. eine Enteignung in Berlin zuließen, ohne die Gerichte
anzurufen und notfalls jahrelang dagegen zu prozessieren.

Hinzu kommt, dass es nur einen Zusammenbruch bzw. eine
Abwahl des gegenwärtigen Senats und andere parlamentarische Mehrheiten braucht
– und schon wäre jede legale Umsetzung wahrscheinlich auf parlamentarischer
Ebene gekippt oder zumindest in Frage gestellt.

In jedem Fall müssen wir damit rechnen, dass eine
„einfache“, legale Enteignung der großen Unternehmen nicht einfach aufgrund des
Drucks hunderttausender Unterschriften stattfinden wird. So „legal“ und
„verfassungskonform“ kann die Initiative nicht sein, weil die Frage letztlich keine
rechtliche, sondern eine des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen ist – und
daher auch nur mittels Mobilisierung von Klassenkräften gelöst werden kann.

Daher tut die Initiative gut daran, sich strategisch und
taktisch folgendermaßen zu orientieren: Das Volksbegehren für den späteren
Volksentscheid, also das Sammeln der Unterschriften zum Erreichen dieser
zweiten Stufe sollte vor allem als politisches Mobilisierungsinstrument und
Mittel zur Sammlung und Organisierung von UnterstützerInnen begriffen werden.

Entscheidend ist jedoch, dass damit eine Bewegung aufgebaut
wird, die (a) die Komitees zum Sammeln von Unterschriften, MieterInnenkomitees,
Vollversammlungen usw. als Kampfinstrumente für weitergehende Aktionen versteht
(z. B. Massenproteste der MieterInnen, Besetzungen von Büros der DW …,
organisierten Mietenboykott) und (b) sich über Unterzeichnungskampagnen in den
Betrieben, Gewerkschaften, Büros, Unis, Schulen zu verbreitern sucht. Letztlich
geht es darum, die Mietenfrage auch in gewerkschaftliche und betriebliche
Auseinandersetzungen zu tragen – z. B. indem Mietsteigerungen durch
angemessene zusätzliche Lohnerhöhungen kompensiert werden und letztlich, indem
die Forderung nach entschädigungsloser Enteignung auch mittels politischer Streiks
stark gemacht und ihre Einlösung erzwungen wird.

Auf diese Art könnte die Initiative ihr volles Potential im
Kampf für ein radikales, Wohnungsprogramm entwickeln, das den Kampf gegen
Mietwucher und Wohnungsnot mit dem gegen das kapitalistische System verbindet.




WS Real Estate KG und Co. enteignen! Bezahlbarer Wohnraum für alle!

Flugblatt von ArbeiterInnenmacht/Stuttgart, Infomail 1049, 2. April 2019

Die
aktuelle Misere auf dem deutschen Wohnungsmarkt mit rasant steigenden Mieten
ist das Resultat des stetigen Abbaus sozialer Förderprogramme bei
gleichzeitiger Privatisierung. Bundesweit wurde 1990 die
Wohnungsgemeinnützigkeit ersatzlos abgeschafft, die Wohnungsbauförderung 2001
faktisch beendet und 2006 die Zuständigkeit dafür an die Bundesländer
delegiert.

Allein
zwischen 1995 und 2010 wurden mehr als 1 Million öffentlicher Wohnungen privatisiert.
Auch heute noch fallen jedes Jahr durchschnittlich 130.000 günstige
Mietwohnungen weg.

Die
ImmobilienspekulantInnen wie „WS Real Estate KG“, welche die EigentümerInnen
des vor kurzem geräumten Hauses in der Forststraße 140 sind, oder auch die Vonovia
SE aus Bochum, einer der bundesweit größten Immobilienkonzerne, machen
Rekordgewinne – auf unsere Kosten.

Die
Zahl der Wohnungslosen hat sich innerhalb der letzten 10 Jahre von 200.000 auf
1,2 Millionen versechsfacht. Der Grund hierfür sind die in den letzten Jahren
extrem gestiegenen Mieten. So 
haben sie sich z. B. in München die Mieten um 50 % erhöht. Im
Schnitt kostet der Quadratmeter 17 Euro! Für Stuttgart kann man von ähnlichen
Zahlen ausgehen, so kostet hier der Quadratmeter im Schnitt etwa 12,69 Euro
(Stand: Ende März 2019).

Das
bedeutet eine Verdrängung von Gering- und NormalverdienerInnen in die
Vorstädte, ein allmähliches Absterben der städtischen Vielfalt und Kultur. Die
Filetgrundstücke luxussanierter Wohnungen teilen InvestorInnen, Hedgefonds und
Immobilienverwaltungen untereinander auf, um sie einer kleinen,
finanzkräftigeren Klientel als den bisherigen BewohnerInnen anzubieten.

Bürgerliche
Wohnungs- und Bodenreformpolitik richtet sich lediglich gegen „spekulative
Auswüchse“, also nicht gegen das private Grundeigentum. Unions-Parteien, FDP
und AfD springen den ProfiteurInnen der Wohnungsmisere bei und fordern noch
mehr Privatisierung und einen noch „freieren“ Markt. Die SPD „bremst“ mit
leeren Worten und halbherzigen Maßnahmen, die wie die sog. Mietpreisbremse noch
zusätzlich verwässert werden.

Symptome oder Ursachen bekämpfen?

Der
Wohnungssektor ist Teil des kapitalistischen Gesamtsystems. Der Kampf der MieterInnen
muss daher als Klassenkampf geführt werden. Hausbesetzungen, welche den
Leerstand aufzeigen, können dabei ein Mittel gegen Wohnungs- und
Mietspekulation sein. Allerdings stoßen sie rasch an ihre Grenzen, wenn diese
Kämpfe isoliert von der Klasse stattfinden.

Daher ist es wichtig, die Gewerkschaften und andere Organisationen, die sich auf die ArbeiterInnenklasse beziehen, in diesen Kampf einzubinden. Wir können uns nicht mit der Besetzung und Beschlagnahme vorhandenen Wohnraums sowie einer Mietpreisbremse begnügen, sondern schlagen auch ein Programm öffentlicher Wohnungsbau- und Sanierungsmaßnahmen vor, wo die Beschäftigten zu Tariflöhnen bezahlt und die aus Unternehmerprofiten finanziert werden:

  • Der Staat soll selbst sozialen Wohnungsbau betreiben, nicht das private Wohnungskapital subventionieren! Die Immobilienwirtschaft und WohnungsbauspekulantInnen müssen entschädigungslos enteignet werden
  • Kommunalisierung des Grund und Bodens! Baubetrieb in kommunale Hand für Neubau und Altbausanierung!
  • Bezahlung des Wohnbaus und von Sanierungen im Interesse der MieterInnen durch das beschlagnahmte Vermögen des Wohnungs- und Baukapitals und eine progressive Besteuerung der Profite!
  • Kontrolle der Wohnungsbaugesellschaften, Verwaltungen und der Mietpreise durch die MieterInnen, deren VertreterInnen und MieterInnengemeinschaften, begleitet von ArbeiterInnenkontrolle über das Wohnungsbauwesen!



Besetztes Haus in Stuttgart geräumt – Bürgermeister Kuhn spielt den Ahnungslosen

Martin Eickhoff, Infomail 1049, 2. April 2019

Das seit dem 10. März besetzte Haus in der Stuttgarter
Forststraße 140 wurde am frühen Morgen des 28. März durch eine Hundertschaft
der Stuttgarter Polizei geräumt. Auch wenn dieser Einsatz weitgehend friedlich
verlief, wurden fünf AktivistInnen von den BullInnen verhaftet und wegen
Hausfriedensbruchs angezeigt.

Interessanterweise erfolgte die Räumung nicht aufgrund einer
Klage der betroffenen EigentümerInnen. Vielmehr hatte die Stadt eine
Allgemeinverfügung erlassen, der zufolge die Besetzung eine Störung der
öffentlichen Ruhe und Ordnung darstelle.

Diese geht auf den Ordnungsbürgermeister Schairer (CDU)
zurück, der noch zwei Tage zuvor Verhandlungen zwischen BesetzerInnen und
EigentümerInnen inszenieren wollte. Diese „Vermittlung“ entpuppte sich schon
vor der Räumung als Farce, als Nebelkerze, um die BesetzerInnen als „unwillig“
hinzustellen. In Wirklichkeit bestand vonseiten der Stadt und der WS Real
Estate KG von vornherein kein Interesse daran, zu einer Einigung zu kommen.
Stattdessen wurde die Räumung vorbereitet. Schairer, die CDU, die bürgerlichen
Medien, aber auch die Stadtverwaltung unter dem grünen Oberbürgermeister Kuhn
hatten die Besetzung ohnedies immer schon als quasi-kriminellen Akt hinstellen
wollen. Die Verfügung des städtischen Ordnungsamts, welches die Besetzung als
Gefahr für die sogenannte öffentliche Ordnung betrachtet, ist nur das Mittel
zum Zweck.

Der Ordnungsamtsabteilungsleiter Stefan Praegert war bei der
Räumung persönlich anwesend und erläuterte stolz, dass Hausfriedensbruch und
eine Eigentumsstörung vorliegen würden: „Das dauerhafte Tolerieren einer
Straftat führt zu der Gefahr, dass sich der Zustand verfestigt und schließlich
schwieriger beseitigen lässt.” Auf Nachfragen betonte Praegert, dass es sich
hierbei weder um eine Entscheidung von Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne)
noch von Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) handle: „Die Hausspitze
des Ordnungsamts hat das intern beraten und ist dann eigenständig zu dieser
Einschätzung gelangt.”

Der Bürgerreferent der Stuttgarter Polizeibehörde, Stefan Keilbach,
erwähnte vor Ort gegenüber PressevertreterInnen gebetsmühlenhaft mehrfach, dass
die BullInnen bei diesem Einsatz nur für den Vollzug zuständig seien. „Die
Einschätzung, dass eine Gefährdung vorliegt, stammt vom Ordnungsamt.“

Es ist bezeichnend, dass Kuhn und Schairer dem Ordnungsamt
den „Schwarzen Peter“ zuschieben. Schließlich stehen in wenigen Wochen
Kommunalwahlen in Stuttgart an. Der grüne Oberbürgermeister will sich bei einer
solch brisanten Aktion gegen eine Besetzung offenkundig nicht direkt die Finger
schmutzig machen. Schließlich gehört die Wohnungsfrage zu den akutesten
sozialen Problemen der Stadt. Die Aussage, dass er (oder Schairer) über die
entscheidenden Schritte nicht informiert gewesen wären, ist nicht nur total
unglaubwürdig. Sie offenbart auch, dass der grüne Realo Kuhn im Ernstfall
hinter den Immobilienhaien steht. Die grünen Versprechen für eine „soziale Stadt“
entpuppen sich als heiße Luft.

Am Nachmittag des 28. März erfolgte eine erste kreative
Protestaktion gegen die Räumung im Rathaus, da an diesem Tag eine Gemeinderatssitzung
stattfand. Bürgermeister Kuhn weigerte sich, eine Debatte über den Einsatz der OrdnungshüterInnen
zu führen und auf die Tagesordnung zu setzen. So flogen nach seiner Rede aus
Reihen der Zuschauertribüne mehrere hundert Flugblätter runter, so dass die
Gemeinderatssitzung kurzzeitig unterbrochen wurde. Der konservativen Presse war
diese Aktion jedoch keine Berichterstattung wert.

Danach zog eine Spontandemo mit fast 200 TeilnehmerInnen vom
geräumten Mehrfamilienhaus quer durch den Stuttgarter Westen bis zum Berliner
Platz. In dessen Nähe wurde der Sitz der Schwäbischen Bauwerk GmbH mit Klebezetteln
markiert. Das Unternehmen war in den letzten drei Wochen in die Schlagzeilen
geraten, weil es bei zumindest zwei Häusern im Westen die Mieten um bis zu 300
Prozent erhöhen will.

Auch wenn die Besetzung geräumt wurde – der Kampf geht
weiter!




Mietenproteste: Immobilienkonzerne enteignen!

Lucien Jaros, Neue Internationale 233, November 2018

Das Bündnis „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ hat nicht weniger als „ein Gesetz zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Art. 15 Grundgesetz“ zum Ziel. Der Berliner Senat soll per Volksentscheid beauftragt werden, ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden.

Die Praxis hat gezeigt, dass weder Mietpreisbremse noch Wohnraumversorgungsgesetz die steigenden Mieten effektiv eindämmen. So kommt der Senat der Berliner Verfassung nicht nach, ausreichend bezahlbaren Wohnraum (Art. 28) bereitzustellen.

Immobilienfirmen inklusive Tochtergesellschaften, Zweigniederlassungen oder sonstige angeschlossene Unternehmen mit einem Bestand von über 3000 Wohnungen in ihrem Besitz sollen enteignet, in einer Anstalt des öffentlichen Rechts zusammengefasst, unter Verwaltung der MieterInnen, der Angestellten, VertreterInnen der Landesregierung, der Stadtgesellschaft und der anderen landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften gestellt und Wohnraum zu unterdurchschnittlichen Mieten angeboten werden. Eigentlich sollten die Unternehmen entschädigungslos enteignet werden. Doch dies würde den Volksentscheid im Voraus rechtlich ungültig machen. Daher hatte sich das Bündnis entschlossen zu fordern, dass die Unternehmen unter Marktwert entschädigt werden sollen. Ausgenommen von dieser Regelung sind Mietobjekte, die bereits unter Kontrolle der MieterInnen stehen oder genossenschaftlich verwaltet werden.

Durch günstigen Wohnraum soll die ortsübliche Vergleichsmiete reduziert und die Preisspirale gemindert werden. Auch soll damit Berlin als Spekulationsobjekt für Immobilienfirmen, InvestorInnen und Banken weniger attraktiv erscheinen. Schließlich war es dieser Umstand, der in der Vergangenheit zu explodierenden Mieten geführt hat.

Erhöhung der Kosten für Miete für Arbeitslosengeld-II-(Hartz-IV)-BezieherInnen, im sozialen Wohnungsbau oder durch öffentlich-private Partnerschaften führt zwangläufig dazu, dass das Privatkapial durch Steuermittel subventioniert wird. Damit ist Enteignung das einzige Mittel, diese Entwicklung aufzuhalten.

Start der Initiative

Gestartet wurde die Initiative von AktivistInnen vergangener Volksbegehren, MieterInneninitiativen und linken Gruppen. Das Feedback ist groß: VertreterInnen des Bündnisses werden wöchentlich als GastrednerInnen oder ReferentInnen geladen. Die letzte Veranstaltung des Bündnisses am 25. Oktober war mit 140 Leuten übervoll, das Treffen musste per Video-Konferenz in einen weiteren Raum übertragen werden.

Die Initiative stößt auf großen Zuspruch. Bei einer Veranstaltung in Spandau, in einer der größten Deutsche-Wohnen-Siedlungen im Falkenhagener Feld reagierten die 150 MieterInnen auf die Enteignungsforderung mit minutenlangen stehenden Ovationen! Selbst in konservativen Wohngegenden in Wilmersdorf-Charlottenburg ergaben Umfragen bei CDU-WählerInnen eine mehrheitliche Zustimmung. Unterstützt wird das Bündnis durch politische Gruppen wie die Interventionistische Linke, die SAV, marx21, die Gruppe ArbeiterInnenmacht und Teile der Linkspartei. Sogar einzelne SPD-PolitikerInnen sympathisieren mit der Kampagne. Eine Unterstützung durch Teile der Berliner Grünen, ver.di und den DGB ist wahrscheinlich.

Neben Artikeln beim Tagesspiegel, in der Berliner Zeitung, im Neuen Deutschland und Sendungen im RBB äußern sich langsam auch die politischen GegnerInnen: der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) brandmarkt die Kampagne als „populistische Stimmungsmache“. Sebastian Czaja, Vorsitzender der FDP im Berliner Abgeordnetenhaus, hält die Enteignungsforderungen für „inflationäre Parolen (…) in Klassenkampf-Manier“. Auch die Berliner AfD lehnt die Enteignung kategorisch ab und sieht darin einen Eingriff in die „Freiheit“.

Die positive Resonanz bei der Masse der MieterInnen auf der einen und die kritische von VertreterInnen bürgerlicher Parteien und Immobilienfirmen auf der anderen Seite zeigen, dass die Enteignungsforderung die Interessen der lohnabhängigen MieterInnen klar zum Ausdruck bringen, durch ihr Potenzial realistisch sind und gerade keine populistische Forderung darstellen, die das Problem mit scheinbaren Heilmitteln umgehen.

2019 wird die erste Stufe der Kampagne gestartet: das Volksbegehren. Benötigt werden zunächst 20.000 Unterschriften. Die Gruppe ArbeiterInnenmacht ruft alle Gruppen und Einzelpersonen dazu auf, diese Bewegung zu unterstützen und bekannter zu machen. Bringt Euch mit Euren Fähigkeiten ins Bündnis oder in den verschiedenen AGen ein! Baut MieterInneninitiativen bei Euch im Kiez auf, um für das Volksbegehren und zukünftige Aktionen zu mobilisieren! Diese Bewegegung und die richtige Orientierung auf Enteignung unter eigener Kontrolle könnte nicht nur eine praktische und signifikante Verbesserung der Lebensqualität der EinwohnerInnen darstellen, sondern im Sinne einer Verallgemeinerung dieser Logik in andere gesellschaftliche Lebensbereiche hinein ein Schritt sein, die Stadt im Sinne der BewohnerInnen zu erobern. Eine solche Bewegung könnte, wenn sie stark genug wird, zugleich auch erzwingen, dass die Enteignung ohne die gesetztlich geforderte Einschränkung, also entschädigungslos erfolgt.

 

Deutsche Wohnen und Co. enteignen

Nächstes offenes Bündnistreffen

Berlin, 13. November, 19.00 Uhr

Nachbarschaftshaus Urbanstraße 21




Gegen das Berliner Wohnungsmonopoly!

Jürgen Roth/Christine Schneider, Neue Internationale Sondernummer gegen Wohnungsnot, September 2018

Die erste Stufe in Richtung des geplanten Volksbegehrens mit dem Ziel, der Berliner Senat möge ein Gesetz zur Enteignung der Deutsche Wohnen AG beschließen, ist eingeleitet.

Volksentscheid

Im Jahr 2015 scheiterte die „Initiative für soziales Wohnen“ mit einem Berliner Mietenvolksentscheid über einen von ihr ausgearbeiteten Entwurf eines Wohnraumversorgungsgesetzes. Dieses hätte zeitgleich mit den Landtagswahlen im September 2016 zur Abstimmung stehen sollen, wurde jedoch juristisch gekippt. Der neue rot-rot-grüne Senat sah sich jedoch gezwungen, ein paar Brosamen aus dem gescheiterten Gesetzesentwurf aufzunehmen.

Der Wohnraumversorgungsgesetzentwurf sah vor:

  • eine Umwandlung der Landeswohnungsunternehmen von bestehenden privaten Rechtsformen (AG, GmbH) in Anstalten öffentlichen Rechts (AöR); – Senkung der Mieten in den öffentlich geförderten Wohnungsbeständen mittels Richtsatzmieten;
  • Förderung von Wohnungsneubau, Wohnungsmodernisierung und Wohnungsankauf durch einen staatlichen Fonds zur Zweckbindung und Kontinuität im sozialen Wohnungsbau (Finanzierung der landeseigenen Gesellschaften, Mietkappungen in geförderten Wohnungen).

An der realen Verschärfung und Verschlechterung der Lage in Berlin haben einige halbherzige Initiativen des Senats nichts zu verändern vermocht. Im Gegenteil: Die Mieten steigen in der Bundeshauptstadt im Rekordtempo. Die „sozialen Maßnahmen“ der Landesregierung bleiben demgegenüber Makulatur.

Weder die Maßnahmen zur Mietbelastung in bestehenden Sozialwohnungen noch die Einrichtung eines Wohnraumförderfonds eignen sich, das fortlaufende Abschmelzen des Sozialwohnungsbestands aufzufangen. Pro Jahr sollen 5000 gebaut werden, davon 3000 von 6000 Neubauwohnungen bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Jährlich entfallen aber 8000 aus der Sozialbindung. Die Erhöhung der Mietzahlungsfähigkeit durch Subjektförderung von SozialmieterInnen sichert zugleich unverändert die Renditen der Immobilienwirtschaft, anstatt sie zu beschränken. Die ab 2018 in Kraft tretende Richtsatzmiete für geförderte Wohnungen ist noch nicht festgelegt.

Deutsche Wohnen & Co. enteignen!

Das Berliner mietenpolitische Bündnis hat sich die Enteignung der „Deutsche Wohnen“ (im Folgenden nur noch DW genannt) zum Ziel gesetzt und fordert dazu einen Volksentscheid. Das Bündnis setzt sich bisher aus Einzelpersonen, betroffenen MieterInnen sowie Mitgliedern linker Gruppierungen zusammen. Eine Erweiterung des Bündnisses wird angestrebt.

Im Unterschied zu 2015 soll kein eigener Gesetzesentwurf zur Abstimmung gestellt werden, sondern der Senat wird aufgefordert, die bundes- wie landesverfassungsrechtlichen Mittel dazu auszuschöpfen. Laut Grundgesetz und Landesverfassung ist eine entschädigungslose Enteignung aber ausgeschlossen. Diese soll jedoch möglichst gering ausfallen. Das Bündnis sah sich aber gezwungen, in diesen sauren Apfel zu beißen, um die Möglichkeiten eines Volksentscheides überhaupt zur Mobilisierung nutzen zu können.

Warum die DW?

Der Konzern ist der größte private Vermieter mit rund 110.000 Wohnungen in Berlin und der zweitgrößte in der BRD. Die DW AG erzielte im Jahr 2017 einen Gewinn von 1,7 Milliarden Euro. Zu den größten Investoren zählen das BlackRock Asset Management und der staatliche norwegische Staatspensionsfonds.

Die Summe alleine verrät schon, dass dieser große Gewinn und der Druck der AktionärInnen auf dem Rücken der MieterInnen ausgetragen werden. Eine der besten Methoden zur Profitmaximierung heißt „energetische Modernisierung“ nach § 559 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Dieser Paragraf besagt, dass 11 % der Modernisierungskosten jährlich auf die Miete draufgeschlagen werden können. Nach 9 Jahren wäre die Modernisierung vom/von der MieterIn abbezahlt, aber die höhere Miete bleibt und das Unternehmen macht mit der Modernisierung zusätzlichen Gewinn.

Ziel der ganzen Modernisierung soll angeblich sein, dass MieterInnen die Mieterhöhung durch geringere Energiekosten wieder einsparen – was sich in der Praxis nicht beweisen lässt. In vielen Fällen erweist sich die Sanierung gar als schädlich für die Bausubtanz, da sie durch die außen angebrachten Dämmplatten nicht mehr richtig atmen kann. Der ganze Spaß wird von der Bundesregierung durch die KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) noch gefördert.

In der Praxis der DW sieht das so aus, dass oft jahrelang notwendige Reparaturen und Sanierungen nicht durchgeführt werden, für die eigentlich der/die VermieterIn aufkommen müsste. Beschwerden von MieterInnen werden ignoriert, auf lange Warteschlagen im Callcenter abgewälzt oder es wird gar die Schuld an den Reparaturen auf die MieterInnen geschoben. Die notwendigen Reparaturen werden dann im Zuge der „energetischen Modernisierung“ mitgemacht und zu 100 % auf die MieterInnen abgewälzt. Eine weitere Methode der Profitmaximierung besteht darin, den Berliner Mietspiegel juristisch anzugreifen und somit die eigene Vorstellung von zulässigen Mietgrenzen per Gericht durchzusetzen. Ähnliche Machenschaften finden auch bei den nächstgrößten Konzernen am Berliner Wohnungsmarkt, Vonovia und Akelius, statt.

Das Bündnis hat sich zum Ziel gesetzt, einen Volksentscheid zur Enteignung der DW durchzuführen und diese in kommunales Eigentum in Form einer Anstalt des öffentlichen Rechts überzuleiten, die ohne Gewinnabsichten und mit besonderem Mieterschutz betrieben werden soll. Diese Enteignung soll über die §§ 14 und 15 des Grundgesetzes und die §§ 23 und 24 der Berliner Landesverfassung erfolgen. Diese beinhalten eine Entschädigungszahlung nach Verfahrenswert. Die Idee des Bündnisses ist es nun, die Entschädigung über den Sachwert laufen zu lassen. Der Beschluss des Volksentscheides soll kein Gesetzesentwurf sein, sondern eine Handlungsanweisung mit Verpflichtungsklausel für den Senat. Neben der Enteignung soll sie Berlin verpflichten, dass es keine privaten WohnungseigentümerInnen mit mehr als 3.000 Wohnungen mehr geben darf.

Volksentscheid: Realistisch? Illusorisch?

Wie sind die Erfolgsaussichten eines solchen Volksentscheids? Schwer zu sagen. Eine Erfolgsgarantie gibt es natürlich nicht. Die Gegner sind ökonomisch mächtig und politisch einflussreich. Und es wird mit allen Mitteln gearbeitet werden: Einschüchterungen, Verleumdungen, Lächerlichmachung, Spaltungsversuche, Lockangebote, juristische Tricksereien usw. werden an der Tagesordnung sein, und die bürgerlichen Medien werden sicherlich „auf Linie“ gebracht werden.

Schließlich warnen wir wie bei jedem Volksentscheid vor Illusionen in den bürgerlichen Staat. Ergebnisse von Volksentscheiden verpflichten die Regierung und den Staat zu nichts.

Aber dem steht ein gemeinsames Interesse hundertausender Berliner MieterInnen gegenüber: Wohnraum darf keine Ware sein.

Bei allen grundsätzlichen Grenzen und Schwächen von Volksentscheiden hat die Initiative das Potenzial, eine Massenbewegung zu einem der entscheidenden politischen Themen in Berlin und zahlreichen anderen Städten zu entfachen, die außerdem die Wohnungsfrage mit der Eigentumsfrage direkt verknüpft. Wir unterstützen daher die Initiative und werden uns nach Kräften an ihr beteiligen.

Insbesondere ist es wichtig, die Gewerkschaften mit ins Boot zu holen; schließlich hat die Miethöhe unmittelbaren Einfluss darauf, was einem vom Lohn bleibt und damit auch auf den Verlauf von Tarifkämpfen.

Sollte die MieterInnenbewegung sich zu einer organisierten Massenbewegung entwickeln, ergäben sich daraus auch die Mittel zur Kontrolle der Durchsetzung der Volksentscheidsforderung im Falle seiner Annahme. Im Falle seiner Ablehnung hätten wir noch eine Rechnung offen und sollten dann für deren Begleichung sorgen.

Mit Differenzen leben

Nur wenn wir die Kampagne in unserem Selbstverständnis als ein Aktionsbündnis führen, können wir auch mit inneren politischen Differenzen leben. Solche Differenzen sollen nicht unter den Teppich gekehrt werden, aber sie brauchen das gemeinsame Aktionsziel nicht zu gefährden. Wir, und sicherlich auch andere, lehnen z. B. eine Entschädigung der enteigneten Immobilienkonzerne ab, sehen das aber nicht als Hindernis, die Kampagne mitzutragen.

Auch über die politische Reichweite des Mietenkampfes gibt es sicherlich unterschiedliche Sichtweisen. Während für die einen (z. B. für uns) der Kampf gegen Wohnraum als Ware langfristig nur erfolgreich sein kann, wenn er ausgeweitet wird auf die Enteignung und Vergesellschaftung der Produktionsmittel, sehen andere ihr Ziel mit der Enteignung der Immobilienkonzerne erreicht. Darüber darf und muss gestritten werden, wenn wir unser gemeinsames Aktionsziel dabei nicht aus den Augen verlieren: „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“.

 

Anhang: Nichts als Zahlen??

  • Wohnungslose: 2008: 200 000; 2016: 860 000; 2018: 1,2 Mio.
  • 1995-2010: eine Million öffentliche Wohnungen privatisiert
  • Mitte der 1980er Jahre gab es 4 Millionen Sozialwohnungen; 2016 1,24 Mio.
  • Jährlich fallen 100 000 bis 130 000 günstige Mietwohnungen weg
  • Privatisierung öffentlicher Wohnungen zwischen 2003 und 2013: 630 000 Wohnungen
  • Bei fast 19 % der Haushalte in Großstädten frisst die Miete mehr als 40 % des Einkommens
  • Zwischen 2010 und 2017 stieg bei Neuvermietung die durchschnittliche Angebotsmiete von 7,50 Euro pro qm auf 10,50 Euro
  • 2014 waren unter den gebauten 250 000 Wohnungen nur 50 000 Mietwohnungen, davon nur 12 500 gefördert für günstige Mieten
  • Zwischen 1980 und 2014 flossen 98 Mrd. Euro in den Wohnungsbau, davon 80 % für die Bildung von Wohnungseigentum
  • Bei 40 % bis 90 % (je nach „Marktlage“) der Neuvermietungen wird die zulässige Miete überschritten

—————-

  • In Berlin wurden zwischen 1995 und 2006 über 200 000 kommunale Wohnungen privatisiert (z. T. unter einem rot-roten Senat !!)
  • In Berlin haben über 50 % der Haushalte Anspruch auf eine Sozialwohnung, aber nur 13 % des Mietwohnungsbestandes sind miet- und belegungsgebundene Sozialwohnungen
  • In Berlin stieg die Angebotsmiete zwischen 2008 und 2015 im Durchschnitt um 60 %, in manchen Ortslagen in Neukölln und Kreuzberg um fast 100 %