Bitte wenden! Ein antikapitalistisches Mobilitätsprogramm

Leo Drais, Neue Internationale 276, September 2023

So breit der Konsens über die Notwendigkeit einer Verkehrswende auch ist, so unterschiedlich ist die Vorstellung, was darunter verstanden wird. Selbst in der Politik der CDU finden sich floskelhafte Versprechen etwa über die Verlagerung auf die Schiene – wobei es dann auch bleibt. Von einer echten Verkehrswende kann in Deutschland nicht die Rede sein. In anderen Ländern sieht es nur geringfügig besser aus, international existiert die Verkehrswende sowieso nicht.

Jetzt ist das Wort schon einige Male gefallen. Was verstehen wir also unter einer wirklichen Verkehrswende?  Sie besteht vereinfacht gesagt im fortschrittlichen Auflösen der akuten Mobilitätskrise:

  • Klimakrise: 15 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen werden in diesem Sektor emittiert (in der BRD 21 %). Mehr als die Hälfte des Erdöls wird in Flugzeugen (6 %), Schiffen (4 %) und auf den Straßen (40 %) verbrannt. Die Werte sind kritisch zu betrachten, da die Art der Stromerzeugung für den Schienenverkehr in den verwendeten Quellen vermutlich unberücksichtigt blieb.

  • Verkehr als Teil weiterer Umweltprobleme: Luftverschmutzung, Oberflächenversiegelung, Lärmemissionen, Abfälle von Fahrzeugen und Fahrwegen (z. B. Reifenabrieb als Mikroplastik in den Meeren).

  • Verkehr als Teil der Energie- und Ressourcenfrage – die Geschwindigkeit einer Verkehrswende wird zentral von der Energiewende abhängen.

  • Todeszahlen: 2018 starben weltweit 1.350.000 Menschen bei Unfällen im Straßenverkehr. Davon ist der überwiegende Teil in armen Ländern und unter Armen zu beklagen. Für Menschen von 5 – 29 Jahren ist dies die wahrscheinlichste Todesursache. Abgesehen davon existiert die Gefahr von Erkrankungen durch Lärm, Stress, Abgase.

  • Stadt-Land-Frage: Platznot durch städtischen (Individual-)Verkehr auf engstem Raum steht ländlichem Infrastrukturmangel gegenüber. Beides bedeutet auf unterschiedliche Weise einen Verlust von Lebensqualität und sowieso knapper Zeit.

  • Mobilität und Logistik als gesellschaftlich irrationale Konzeption: Warenketten um die ganze Welt, Wettbewerb als Verursacher von überflüssigem Verkehr (Leerfahrten usw.), abgestellte und Raum beanspruchende Massen an Privat-Pkws, transportintensive Just-in-time-Produktion.

  • Krise und Kampf um die Neuaufteilung der Welt: (militärischer) Kampf um Absatzmärkte sowie Ressourcen (Lithium, Öl, Erdgas), Verkehrswegebau den Erfordernissen der imperialistischen Welt entsprechend. Die einsetzende Deglobalisierung wird mittelfristig die Konkurrenz im Güterverkehrssektor zuspitzen.

  • Zurückdrängung des öffentlichen, Bevorzugung des ineffizienten motorisierten Individualverkehrs.

  • Klassen- und Unterdrückungsfrage: Die Möglichkeit, von A nach B zu kommen, im Generellen sowie grenzüberschreitender Verkehr im Speziellen hängen ab von der gesellschaftlichen Stellung und dem Pass. Freien Reisen für die Reichsten in alle Länder der Welt stehen fehlende sichere und legale Fluchtwege für Millionen Menschen gegenüber. Oder noch anschaulicher: Weitgehend ungehinderten Warenverkehren auf einem Weltmarkt stehen unfreie Menschen gegenüber.

  • Abschließend: Klassenkampf unmittelbar im Sektor selbst – Ausbeutung der Verkehrsarbeiter:innen, Kampf um Löhne, Arbeitszeiten, Arbeitsplatzerhalt usw.

Ausgehend davon und im Unterschied zu weiten Teilen der bürgerlichen Politik ist die Verkehrswende für uns daher keine vorrangig technologische, sondern zuerst eine gesellschaftliche Frage. Zwar erkennt die bürgerliche Gesellschaft die Notwendigkeit tiefgreifender Änderungen, aber sie ist unfähig, sie zu verwirklichen. Ihre Vorstellung von Nachhaltigkeit ist eine, die sich stets ihren eigenen ökonomischen Erfordernissen unterwerfen muss. Was „nachhaltig“ ist und was nicht, was eine Mobilitätswende ist und was nicht, richtet sich für das Kapital an den eigenen Klasseninteressen aus – für die deutsche Autoindustrie bedeutet die Verkehrswende einfach eine Antriebswende.

Demgegenüber ist sie für uns ein integraler Teil antikapitalistischer, sozialistischer Politik, die die Frage der Nachhaltigkeit zuerst aus dem Blickwinkel des langfristigen Erhalts der Lebensgrundlagen der Menschheit betrachtet und nicht aus dem einer kapitalistischen Verwertungslogik.

Eckpunkte eines Programms

  • Herstellen einer Produktions- und damit Verkehrsweise mit ausgeglichenem Mensch-Natur-Verhältnis. Während den Produzent:innen im Kapitalismus ab dem Verkauf der Ware naturgemäß egal ist, was mit ihr passiert – ergo auch bei oder nach ihrem Verbrauch – bedeutet eine ökologische Kreislaufwirtschaft eine möglichst große Langlebigkeit von z. B. Fahrzeugen, ohne die Natur in einem nicht nachhaltigen Maß auszubeuten oder sie als Senke zu vernutzen.

  • Bezogen auf das Verkehrsaufkommen muss der Leitsatz dabei lauten: „So wenig wie möglich, so viel wie nötig.“ Schon hierbei springt ins Auge, dass der Kapitalismus dazu nicht in der Lage ist, weil sein Kreislauf Geld – Produktion – Produkt – Ware – Geld + Gewinn – mehr Produktion, mehr Produkte, mehr Waren … zur Ausdehnung (des Verkehrsaufkommens) drängt und dessen Logistik insgesamt ineffizient organisiert ist. Anders ausgedrückt: Was bringt es, den Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern, wenn trotzdem immer mehr Verkehr produziert wird?

  • Eine wirklich nachhaltige Wirtschaftsweise kann weltweit daher nur als Planwirtschaft verwirklicht werden, die schon bei der Produktion von Fahrzeugen und Transportwegen einbezieht, was am Ende ihrer Lebenszeit passiert. Während für die Kapitalist:innen dieser Gedanke in der Konkurrenz tödlich ist, ist es bei einer Planwirtschaft umgekehrt: Nicht auf den Ressourcenkreislauf zu achten, wäre ihr Untergang (auf lange Sicht ist das allerdings auch für den Kapitalismus der Fall). Andere populäre Konzepte – Postwachstum (Degrowth), Gemeinwohlökonomie etc. – sind schließlich zum Scheitern verurteilt. Sie kennen weder den Weg zu ihrer Verwirklichung noch brechen sie offen mit dem Kapitalismus, von dem auch keine korrekte Analyse geleistet wird.

  • Eine Planwirtschaft im Interesse der gesamten Menschheit hat wiederum die Aufhebung der kapitalistischen Klassengesellschaft (in der die Profitinteressen des Kapitals über den Bedürfnissen der Gesamtheit der Menschen stehen) zur Voraussetzung. Notwendig hierfür ist der Sturz des bürgerlichen Staates und die Errichtung einer demokratischen Rätemacht der Arbeiter:innenklasse über die Gesellschaft, die die Mobilität durch eine Enteignung der Transportindustrie und Entwicklung und Kontrolle der Produktion einem demokratischen Plan unterstellen kann.

  • Das aber erfordert, die Arbeiter:innenklasse nicht nur als zentrale Kraft der Mobilitätswende zu begreifen, sondern sie auch zum bewussten Subjekt dieser zu „erziehen“, was in der Notwenigkeit mündet, revolutionäre Arbeiter:nnenparteien und eine neue Internationale aufzubauen, die die Verkehrsfrage als Teil ihres Programms begreifen.

Verkehrsträger

Diese Eckpunkte sollen ein integrales Mobilitätsübergangsprogramm abstecken, einen Wegweiser, der von tagesaktuellen Forderungen aus auf die revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft und damit des Verkehrs zeigt. Dabei müssen wir von dem ausgehen, was heute vorhanden ist. Schauen wir also auf das Potential der heutigen Verkehrsträger in einer Mobilitätswende.

Personenverkehr

  • Eigene Körperkraft (Gehen und Radfahren): die ökologischste Art der Fortbewegung und die mit Abstand meist genutzte, oft sogar schnellste auf der Kurzstrecke.

  • Motorisierter Individualverkehr (v. a. Auto, Moped, Roller, Motorrad): die ineffektivste Art der Fortbewegung, gemessen an der Auslastung der Fahrzeuge (nicht zu verwechseln mit Auslastung der Parkplätze und Straßen!) und möglichen Personenkilometern (ein voll besetztes Standardauto legt in einem Kilometer fünf Personenkilometer zurück, ein voll besetzter ICE 4 bis zu 918 Personenkilometer). Zudem meistens fossil angetrieben. Das E-Auto ist demgegenüber aus gleich mehreren Gründen keine generell grüne Alternative. Seine Herstellung erfordert bisher einen Wasser verschlingenden Lithiumabbau (1 t Lithium erfordert 1.900.000 l). Seine Herstellung emittiert die doppelte Menge an Treibhausgasen gegenüber Autos mit Verbrennungsmotoren und macht diesen Rückstand gegenüber ihren bauartgleichen Geschwistern erst nach 8 Jahren wett. Der flächendeckende E-Auto-Rollout verzögert die Energiewende. Weiterhin weisen E-Auto wie Verbrenner den gleichen ineffizienten Nachteil auf, ihr/en Treibstoff/Depot als zusätzliches Gewicht mit sich führen zu müssen. Weitere aktuelle Probleme des E-Autos: Entsorgung und Selbstentzündlichkeit der Akkus, brennende E-Autos sind kaum zu löschen.

Für die Anbindung kleiner Orte an den nächsten öffentlichen Anschluss oder für Kleintransporter bleibt ein Rest an motorisiertem Individualverkehr als Sharingkonzept bzw. durch öffentliche Ruftaxis in einer Verkehrswende wahrscheinlich sinnvoll.

  • Landgebundener öffentlicher Verkehr (v. a. Bus, Tram, U-Bahn, Bahn): Verkehrsmittel mit dem Potential, den Kern eines nachhaltigen Verkehrs darzustellen, sowohl im Nah- als auch Fernverkehr. Busse (ggf. mit Oberleitung) machen dort Sinn, wo aus Schienenwegen zu wenig Nutzen entspringt oder diese aufgrund der Topographie unmöglich sind. Tramkonzepte können schon ab einigen tausend Menschen im Einzugsgebiet sinnvoll sein. U-Bahn-Konzepte, die ihrerseits vor allem aufgrund der „autofreundlichen Stadt“ einen Hype erfuhren, machen über ihren Erhalt hinaus keinen Sinn wegen Bauaufwands, Evakuierungsschwierigkeiten und der zusätzlichen Wege nach unten und oben. Zudem ist der betonintensive Tunnelbau ebenfalls ein Klimakiller.

Im Regional- und vor allem Fernbahnverkehr ist das Potential des Rad-Schiene-Systems noch lange nicht ausgeschöpft: Elektrifizierung, integrale Taktfahrpläne, internationaler komfortabler Nachtzugverkehr, Knoten- und Streckenentflechtung usw. können potentiell zu Land auch innerhalb von Kontinenten Flugzeug- und Fernautoverkehr ersetzen. Der Hochgeschwindigkeitsbetrieb ist zumindest zu prüfen, da über einer Geschwindigkeit um die 250 km/h Luftwiderstand und daher Energieverbrauch extrem steigen; außerdem hoher baulicher und betonintensiver Aufwand dieser Rennbahnen. Zumindest theoretisch kann jedoch auch ein Zug mit 350 km/h vollkommen ökologisch fahren, immer aber bleibt das eine Frage der Energieerzeugung. Das Konzept eines elektrisch getriebenen Fahrzeugs kann freilich nur wirklich umweltschonend sein, wenn die elektrische Energie auf entsprechende erneuerbare Art gewonnen wird.

  • Luft- und Schifffahrt: im Personenverkehr zur Überquerung der Meere mehr oder weniger alternativlos, beide sehr energieaufwändig und bisher fast komplett fossil betrieben. Fähren machen vielerorts ökologisch möglicherweise mehr Sinn als lange Tunnel und Brücken zur Meeresunter/-überquerung.

Güterverkehr

  • Straße: Im Fernverkehr extrem ineffektiv, nur auf die „letzte Meile“ und in der Kurzstrecke ohne großes Aufkommen mit alternativen Antrieben sinnvoll oder für die minimal notwendige Erschließung von abgelegenen Zielen.

  • Schienengüterverkehr: Landgebundenes Transportmittel mit dem größten Potential, den Kern künftiger Transportketten zu bilden, sowohl lokal wie auch global. Im Vergleich zum Lkw bei gleicher Last deutlich weniger Rollwiderstand zwischen Fahrzeug und Fahrweg bei leicht möglicher externer Energieversorgung (Oberleitung).

  • Luftfahrt: Nur für absolut dringende und notwendige Güter vernünftig, extrem energieaufwändig.

  • Schifffahrt: Sehr energieintensiv. Möglich sind statt Schweröl auch Gasantriebe (auch aus erneuerbaren Quellen, z. B. power-to-gas). Im interkontinentalen Verkehr nach wie vor notwendig, aber mit Änderung der Produktionsweise enorm reduzierbar im Aufkommen.

Soweit zu den technischen Voraussetzungen. In den vergangenen Jahrzehnten haben immer wieder auch neue technische Entwicklungen Furore gemacht, sei es das autonome Fahren oder beispielsweise die Magnetschwebebahn in den Varianten deutscher Transrapid oder als Elon-Musk-Vakuumröhre Hyperloop. Diese sind bisher nie wirklich über das Erprobungsstadium hinausgekommen und bei allen stellt sich auch ganz grundsätzlich die Frage der Sinnhaftigkeit. Vielmehr scheinen sie die Entfremdung zwischen Mensch und Natur auf ein technisch neues Niveau zu heben.

Und natürlich wäre es falsch, sich gegen die Erforschung neuer Verkehrskonzepte zu stellen. Entscheidend muss aber immer die Frage des Gesamtnutzens und -aufwands für die Menschheit als Ganze sein, was schon in sich trägt, dass es eine demokratische Kontrolle und keine der Konzerne und Milliardär:innen braucht.

Die wichtigste Voraussetzung, die der Kapitalismus für eine Verkehrswende geschaffen hat, sind schließlich die Abermillionen Arbeiter:innen einschließlich der Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen, die weltweit in dem Bereich arbeiten. Sie vereinen auf sich eine riesige Expertise darüber, wie ein schnellstmöglicher Umbau von Logistik und Transport überhaupt geschehen kann. Sie können das treibende Subjekt des Umbruchs darstellen.

Übergangsprogramm

Betten wir schließlich die Verkehrswende in die aktuelle Lage einerseits und in eine sozialistische Perspektive andererseits ein. Gleich vorweg: Eine fortschrittliche Verkehrspolitik wird dabei, um der akuten ökologischen Notlage gerecht zu werden, nicht ohne repressive Einschränkungen gegenüber besonders umweltschädlichen Verkehrsweisen auskommen, die manche als eine Gängelung der (bürgerlichen, auf den Besitz und den rechten Fuß beschränkten) Freiheit empfinden werden. Auf der anderen Seite werden sich aber ganz andere, für die Mehrheit der Menschheit ungleich größere Freiheiten ergeben.

  • Für ein ökologisches Notsofortprogramm! Massive Einschränkung des Flugbetriebs, Verbot von Inlandflügen und Flügen unter 2.000 km! Aufbau kontinentaler Fernzug- und Nachtzugnetze! Für den schnellstmöglichen, umfänglichen Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel und baulich getrennter Radwege in der Stadt und auf dem Land! Gleitende Anpassung der Fahrpreise hin zu einem kostenlosen Nah- und Berufsverkehr!Für eine Preisgestaltung, die Bahnreisen gegenüber dem Autoverkehr entscheidend günstiger macht! Einschränkungen und Verbote für bestimmte Fahrzeugklassen (Verbrauchsobergrenzen)! Schnellstmögliche Abkehr vom innerstädtischen Autoverkehr! Weitreichender Stopp der Automobilproduktion und sofortiger Umbau der Fabriken für andere Produkte, einem gesamtgesellschaftlichen Wirtschaftsplan entsprechend! Verbot des Motorsports als Aushängeschild fossiler und rücksichtsloser Raserei!

  • Für eine Umweltbewegung, die sich zu einer konkret-revolutionären weiterentwickelt und die Arbeiter:innenklasse in den Mittelpunkt einer Mobilitätswende stellt!#wirfahrenzusammen kann dafür nur der Anfang sein.

  • Für die demokratische Gestaltung und Kontrolle eines solchen Notfallplanes und des Verkehrswegebaus im Kleinen und Großen durch Komitees der Beschäftigten im Transportbereich sowie Anwohner:innen, Pendler:innen und Reisende! Für die Finanzierung eines solchen Notprogramms durch eine massive Besteuerung von VW, Shell, Lufthansa und alle die, die jahrzehntelang mit fossiler Mobilität riesige Gewinne getätigt haben!

  • Für die innige Verknüpfung der Energie- mit der Verkehrswende unter Arbeiter:innenkontrolle! Erforschung und Entwicklung von power-to-gas als möglicher Energiequelle alternativer Antriebe wie Speichermedium für Überschussstrom!

  • So oder so steht die Arbeiter:innenklasse nicht zuletzt in den Autokathedralen vor großen Umbrüchen. Aber statt sie als passiven Spielball von Politik und Konzernen zu betrachten, schlagen wir vor: Keine einzige Jobstreichung! Weiterbeschäftigung bei vollem Lohn! Entschädigungslose Enteignung und Verstaatlichung der Autoindustrie unter demokratischer Arbeiter:innenkontrolle! Ein Startpunkt kann schon in den kommenden Kämpfen liegen: Für Streiks und Besetzungen unter Kontrolle der Arbeiter:innen selbst, nicht der Gewerkschaftsbürokratie von IG Metall und Co!

  • Gegen das Ausspielen der Verkehrsbeschäftigten gegeneinander, von Pilot:innen und Bodenpersonal, polnischen und deutschen Lkw-Fahrer:innen, EVGler:innen und GDL-Mitgliedern. Wir halten dem die Perspektive einer Neuordnung der Gewerkschaften entlang der Wertschöpfungsketten entgegen im Rahmen eines demokratisch erneuerten und fusionierten DGB! Für eine internationale Transportarbeiter:innengewerkschaft unter direkter Kontrolle aller Logistik- und Transportbeschäftigten statt einer zahnlosen ITF!

  • Für die generelle Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit auf alle! Sämtliche Steigerungen und Entwicklungen der Produktivkraft ermöglichen eine weitere Ausweitung der Freizeit – und schaffen somit die Möglichkeit zur Verkehrsvermeidung!

  • Für die weltweite Restrukturierung von Stadt und Land, von Wohn- und Produktionsstätten und damit der Verkehrsinfrastruktur nach einem globalen Wirtschaftsplan! Aufbau von Infrastruktur, wo es der Imperialismus immer verhindert und sabotiert hat! Umbau, wo er eine unökologische Verkehrsweise erschaffen hat: Für die weitgehende Renaturierung von Autobahnen und anderen Asphaltwüsten, sofern sie nicht anders sinnvoll genutzt werden können! Für so wenig wie möglich, so viel wie nötig Transport in der Produktion! Weitgehende Trennung von Transportwegen und Wohnorten! Gleichmäßige Verteilung der Bevölkerung, Land- und Forstwirtschaft, Dienstleistungs- und Freizeitangeboten, Industrie nach einem Clustermodell (Wohnen und Arbeiten im Mittelpunkt)! Vernetzung durch ein Verkehrskonzept, das öffentliche Schienenverkehre zum Kern hat! Für die Vergesellschaftung der Hausarbeit – nicht nur als Teil der Frauenbefreiung, sondern auch als Möglichkeit zur Transportvermeidung: Gemeinschaftskantine statt eines privat zu füllenden Kühlschranks!

  • Für offene Grenzen und einen freien internationalen Verkehr! Für das Recht, überall leben und arbeiten zu dürfen, statt unachtsam-bewusstlosen Massentourismus’!

Das Programm ist bewusst skizzenhaft gehalten. Die jeweilige lokale Ausgestaltung der Verkehrswende ist Aufgabe derer, die dort leben und arbeiten. Jedoch ist sie stets vom globalen Standpunkt, als Teil einer internationalen Perspektive zu betrachten.

Zum Schluss wollen wir darauf verweisen, dass Entschleunigung einen konkret erreichbaren Fortschritt darstellen kann. Ein Mensch, der die alltägliche Konkurrenz, Bewusstlosigkeit und Erniedrigung des Kapitalismus nicht mehr kennt und im Gegenzug als Teil eines wirklichen, bewussten Kollektivs arbeitet und lebt und dabei auch noch über ein vielfach größeres Maß an Freizeit als heute verfügt, wird den Drang nach Flucht, Schnelligkeit, Zerstreuung und Besitz eines eigenen Fahrzeugs als Scheinfreiheit auf vier Rädern vermutlich kaum noch spüren. Seine Bewegung durch den Raum würde viel eher bewusstes Erleben statt Mühsal oder Ablenkung bedeuten. Voraussetzung dafür bleibt, die Verkehrsfrage heute mit einem konkreten Antikapitalismus zu verbinden.

Dieses Programm ist ein Auszug aus unserem Theoriejournal „Revolutionärer Marxismus“, Ausgabe 54. Erhältlich bei uns vor Ort oder über die Kontaktadresse info@arbeiterinnenmacht.de




Klimawandel: Der nächste Waldbrandsommer?

Leo Drais, Neue Internationale 275, Juli/August 2023

Verschwunden sind die Rauchfahnen südlich von Berlin. Nach zwei langen Wochen konnte das Feuer im Waldgebiet bei Jüterbog Mitte Juni gelöscht werden. 733 Hektar Wald gingen verloren, mehr als doppelt so viel wie das Berliner Tempelhofer Feld. Was bleibt ist ein Bild der Verwüstung. Erschwert wurden die Löscharbeiten durch das Vermächtnis der imperialistischen Armeen deutscher Vergangenheit des Kaiser- und Dritten Reichs, nach 1945 aufgestockt v. a. durch die Hinterlassenschaft der sowjetischen Besatzungsarmee: tonnenweise Munitionsrückstände, die über die Waldgebiete verstreut sind. Ein ähnliches Problem gab es bereits in den vergangenen Jahren bei Bränden im Berliner Grunewald oder bei Treuenbrietzen.

Immer häufiger werden auch in Deutschland Waldgebiete durch verheerende, nicht zu kontrollierende Brände vernichtet. Und mit ihnen – wie etwa in Jüterbog, das sich seit Jahrzehnten in  Renaturierung befand – der Rückzugsraum für teils bedrohte Tierarten und ein Erholungsgebiet für die Bevölkerung. Insbesondere Nordost-, Ost- und Südwestdeutschland sind von Waldbränden zunehmend bedroht. In Bayern werden inzwischen Flugzeuge eingesetzt, um nach Brandherden Ausschau zu halten. Keine Region scheint wirklich mehr sicher vor Waldbränden. Die menschengemachte Klimaerwärmung mit ihren Dürresommern macht es möglich.

Plantagen, keine Wälder

Dabei wird bei fast allen in der jüngeren Vergangenheit eines klar: Die kapitalistische Forstwirtschaft ist mitverantwortlich. Ihr Profitinteresse steht einer ökologischen Waldnutzung entgegen – und erhöht stattdessen stetig die Gefahr, die jetzt, mit den trockenen Sommern, ausbricht.

Egal ob staatlich oder privat, die profitgelenkte Forstwirtschaft kennt nur eine Maxime: So viel verkäufliches Holz wie nur möglich aus einem Waldgebiet herauszuholen, dass es gerade eben erhalten bleibt. Der Weg dorthin führt unweigerlich über die Monokultur: Die exklusive Bepflanzung mit Fichten und Kiefern versprach den größten Gewinn in Gestalt schnellwachsender Bäume, wobei sich die Fichte auch noch hervorragend als Bauholz eignet. Die eigentlich heimischen Bäume wie Buchen oder Eichen wachsen deutlich langsamer. Buche ist zudem als Bauholz ungeeignet. Hinzu kommt ein steigender Brennholzbedarf, wo wiederum vor allem Buchen verbrannt werden.

Kaum noch ein Wald in Deutschland setzt sich annähernd naturnah aus Mischhölzern zusammen. Ihr Anteil ist seit langem rückläufig. Selbst in Nationalparks wie dem Harz oder der Sächsischen Schweiz wurden Fichtenplantagen angelegt, die nun großteils abgestorben oder verbrannt sind. Die Hauptprobleme bei diesen sind, dass Nadelhölzer randvoll mit gut brennbaren ätherischen Ölen und vor allem Fichten durch anhaltende Trockenheit nicht mehr in der Lage sind, sich gegen den Borkenkäfer zu wehren, und absterben, was zusätzlich trockenes, brennbares Gehölz bedeutet. Zudem sind Fichten- und Kiefernplantagen nicht in der Lage, viel Wasser zu speichern, und heizen sich somit stärker auf. Es fehlt der Kühleffekt durch Verdunstung. Gerade für Brandburg wird immer wieder das Argument vorgetragen, dass es die sandigen Böden sind, die das Wasser nicht speichern. Jedoch provoziert die Monokulturbepflanzung mit Kiefern genau diese Versandung. Es gibt Mischwälder, die, ebenfalls auf sandigen Böden stehend, ihren eigenen Wasserspeicher bilden. Hinzu kommt, dass durch die maschinisierte Forstwirtschaft die Böden in den Rückegassen und Harvesterschneisen verdichtet sind, Wasser hier also auch nicht versickert, sondern stehenbleibt und nach wenigen trockenen Tagen verdunstet ist.

Kapitalistische Misstöne

Der kapitalistische Dreiklang des Waldbrands lautet also: Waldvernichtung, Artendegradierung und Klimawandel. Das ist übrigens nicht erst seit den vergangenen Dürresommern bekannt. Der Holzhunger der Forstwirtschaft wurde z. B. auch 1970 beim Brand in der Lüneburger Heide bitter bezahlt: Mehr als 13.000 Hektar Wald, Moor- und Heideland verbrannten, sieben Menschen starben. Auch beim größten Waldbrand in der Geschichte Deutschlands spielten Kiefernmonokulturen – also die profitorientierte Nutzung der Waldgebiete – eine erhebliche Rolle. Große Teile der verbrannten Gebiete wurden erneut mit Kiefern aufgeforstet, wider besseres Wissen.

Und schließlich ist die größte Auslöserin von Waldbränden menschliche Fahrlässigkeit oder Mutwilligkeit.

Klimawandelfolgenbewältigung

Der Großteil der modernen Forstwirtschaft kennt keine adäquaten Antworten auf das Problem. Abgebrannte oder abgestorbene Gebiete werden beräumt und wieder plantagenartig aufgeforstet, mit ordentlich staatlicher Förderung. Kahle, sich leicht aufheizende Flächen entstehen, die im Sommer schnell vertrocknen.

Hinzu kommt die unzureichende Ausrüstung von Katastrophenschutz und Feuerwehren. Beide werden zu über 90 Prozent im Ehrenamt betrieben. Mit Satelliten ließen sich Waldbrände binnen kurzer Zeit erkennen, aber weil die Überwachung durch sie teuer ist, wird bisher wenig davon Gebrauch gemacht. Daneben bleibt vielerorts das spezifische Problem von militärischen Altlasten.

Für Regionen wie Deutschland, aber auch generell spielt Wald eine sehr wichtige Rolle dabei, wie sehr Gebiete von Trockenheit und Hitze betroffen sind. Die Dürre in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern hängt auch damit zusammen, dass große Teile der Landfläche dort land- und forstwirtschaftlich genutzt werden und der Wald als „Regenmacher“ fehlt. Im Kontinentalklima bildet er einen der wichtigsten Faktoren für die Wolkenbildung. Wälder reichen das Wasser über die Landmasse weiter . Es gilt als erwiesen, dass der Regen in Nordchina sein Wasser eigentlich aus dem Atlantik bezieht.

Es wäre also wichtig, wieder mehr Wald – und zwar naturnahen – zu haben. Es zeigt sich bereits, dass wenn der Wald mehr sich selbst überlassen wird, er sowohl sturmfester als auch brandresistenter wächst. In Deutschland würden sich langfristig standortheimische Bäume durchsetzen. Pionier:innen wie Birken und Pappeln zeigen in Untersuchungen, dass diese als erste verbrannte Flächen erobern und effektiver Wasser speichern als neu angepflanzte Douglasien oder Stieleichen. Erstere wachsen schneller und bieten die Wachstumsvoraussetzungen für z. B. für Buchen.

Hinzu kommt der Aspekt, dass Wälder gigantische Kohlenstoffspeicher sind, im Kampf gegen die Klimaerwärmung also einen der wichtigsten Verbündeten darstellen.

Kapitalismus, Natur und Sozialismus

Wie im Generellen offenbart sich auch im Umgang, in der Nutzung und Ausbeutung der Wälder, deren Brandanfälligkeit zu großen Teilen eine Folge davon ist, wenigstens in gemäßigten Klimazonen  – ein Mensch-Natur-Verhältnis, in dem der Kapitalismus über natürliche Grenzen hinauszutreiben versucht und damit Ökosysteme ins Wanken bringt.

Am offensichtlichsten ist das beim Vergleich Holznutzungsdauer zu Baumwachstum. Bspw. wird kaum ein Möbelstück von IKEA solange genutzt, wie die Bäume, aus denen ihr Holz stammt, zum Wachsen gebraucht haben. Bei Papier oder Energie-/Wärmeerzeugung fällt dies noch mehr auf. Eine ökologische Kreislaufwirtschaft müsste bedeuten, dass im Schnitt so viel Holz entnommen wird, wie nachwachsen kann, jedoch müsste zuvor deutlich mehr Fläche wieder bewaldet werden – Stichwort: Wald und Lokalklima, siehe oben.

Erst dann wäre hier ein ausgeglichenes Mensch-Natur-Verhältnis im Kohlenstoffkreislauf erreicht. Hier wird bereits deutlich, dass das Problem nicht isoliert gelöst werden kann. Der Holzhunger der Industrie steht ökologischen Erfordernissen entgegen. Die Enteignung und Verstaatlichung der Holzindustrie als auch der Forste selbst, die Etablierung eines demokratischen Wirtschaftsplans, kontrolliert von Forstarbeiter:innen, Wissenschaftler:innen und Holzverarbeiter:innen, ist daher die Voraussetzung für eine wirkliche Nachhaltigkeit. Dieser könnte zum Beispiel eine Holznutzungskette etablieren, sprich Holz mehrfach nutzen lassen (etwa: Bauholz und dann erst Brennholz), was heute selten passiert.

Der Wald ist dabei ein Beispiel dafür, wie lange, selbst wenn sie in den nächsten einhundert Jahren erreicht würde, eine sozialistische Gesellschaft an den Folgen des Kapitalismus zu knabbern hätte, auch wenn Tätigkeiten wie Katastrophenschutz und Feuerwehr dann nicht ins Ehrenamt gedrängt würden und eine bessere Waldbrandüberwachung gewährleistet werden könnte. Zudem würde in einer sozialistischen Gesellschaft durchschnittlich das Bewusstsein für Natur und Mensch steigen, würden Waldbrände aus Unachtsamkeit und Böswilligkeit also wahrscheinlich zurückgehen.

Vor allem aber – und das kann wenigstens Hoffnung machen – zeigen Orte, die, zum Beispiel auch nach Waldbränden, der Natur selbst überlassen wurden, dass hier eine relativ schnelle Wiederbewaldung erfolgt. Das bedeutet, dass eine der wichtigsten Lebensgrundlage der Menschen sich auch schon ohne ihr Zutun mitunter am besten regeneriert. Wenn es ein Gesellschaftssystem gibt, das in der Lage ist, sich auf die Langsamkeit der Bäume einzustellen, kann das von Menschenhand erstmals gesamtgesellschaftlich rational überwacht, gesteuert und im Sinne der Wiederherstellung eines ausgeglichenen Mensch-Natur-Verhältnisses, einer ökologischen Kreislaufwirtschaft, gefördert werden.




Umwelt und Kapitalismus

Zu den grundlegenden Widersprüchen zwischen Nachhaltigkeit und der kapitalistischen Produktionsweise

Chris Kramer, Revolutionärer Marxismus 54, Dezember 2021

Einführung

Seit 1987 der berühmte Bericht „Our Common Future“ („Unsere gemeinsame Zukunft“) der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (auch bekannt als Brundtland-Kommission) veröffentlicht wurde, hat der Begriff der Nachhaltigkeit einen Siegeszug angetreten. Die UN-Konferenz in Rio de Janeiro 1992 (Earth Summit) benannte nach Jahrzehnten wichtiger außerparlamentarischer Auseinandersetzungen die Umweltfrage als globales Problem und erklärte eine „nachhaltige Entwicklung“ zum politischen und ökonomischen Ziel.

Seitdem hat die Bedeutung von Nachhaltigkeit und Umwelt-/Naturschutz im politischen Diskurs weltweit an Bedeutung gewonnen und auch Eingang in die bürgerliche Öffentlichkeit gefunden. Heute gibt es kaum noch eine Regierung, kaum ein Unternehmen oder eine Institution, die nicht von sich behaupten, „nachhaltig“ zu sein oder zumindest dieses Ziel anzustreben. Produkte, Konsum, Politik, Entwicklung – alles bekommt heute den Stempel der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit ist heutzutage im öffentlichen Diskurs allgegenwärtig.

Damit einhergehend gab und gibt es unzählige Gipfel, Konferenzen, Initiativen etc., die sich mit dem Thema auf verschiedensten Ebenen auseinandersetzen. Seit nunmehr über 20 Jahren – 1997 wurde das Kyoto-Protokoll zur Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen verabschiedet – wird auf globaler, regionaler und nationaler Ebene auch versucht, wissenschaftliche Erkenntnisse in praktische Politik umzusetzen.

Trotz all dieser Anstrengungen und Beteuerungen verschärft sich das Problem der Umweltzerstörung, das mit der Entwicklung des Kapitalismus globale Ausmaße erreicht und deren menschheitsbedrohende Folgen während der sogenannten Globalisierung immer dramatischer hervortreten. Umweltprobleme können allgemein in zwei große Kategorien eingeteilt werden: die Übernutzung von (erneuerbaren oder nicht erneuerbaren) Ressourcen einerseits und die Überlastung von Senken andererseits. Unter die erste Kategorie fällt z. B. der Raubbau an Ressourcen wie Boden, (Grund-)Wasser, Bodenschätzen oder Holz. Unter die zweite Kategorie fallen z. B. die zunehmende Verschmutzung von Flüssen, Seen und Meeren sowie die Übernutzung der Atmosphäre als Senke für Treibhausgase. Alle diese Umweltprobleme nehmen heute nie gekannte Ausmaße an, mit dramatischen Folgen. Dazu zählen z. B. der Verlust von Biodiversität, die Auslaugung, Versalzung und Versandung von Böden, der Zusammenbruch von Fischpopulationen, die Akkumulation von Schadstoffen in den Nahrungsketten, die Überdüngung, Vergiftung und Erschöpfung von Oberflächen- und Grundwasserressourcen und nicht zuletzt die globale Klimaerwärmung. Die kapitalistische Wirtschaftsweise fördert nicht nur spürbare negative Einflüsse auf die globale Umwelt, diese drohen mittlerweile auch, die Reproduktionsbedingungen der gesamten Menschheit zu zerstören. Deshalb kann zusammenfassend von Umweltzerstörung gesprochen werden, definiert als Überausbeutung von Ressourcen und/oder Überlastung von Senken. Zusammenhängend mit der fortschreitenden Umweltzerstörung steigt auch die Anzahl an Konflikten und Kämpfen, die durch diese Entwicklung verursacht werden.

Trotz aller Beteuerungen, Werbung und Propaganda: Von „nachhaltiger Entwicklung“ kann keine Rede sein – weder in Deutschland, der EU, noch weltweit. Die tatsächliche Entwicklung steht in krassem Gegensatz zu den Beteuerungen und erklärten Absichten der herrschenden Eliten. Es bestehen offensichtlich tiefgründigere Ursachen, die einen „Politikwechsel“ in Richtung „nachhaltige Entwicklung“ und eine Lösung der Probleme verhindern. Diese liegen in der aktuellen Wirtschaftsform der Menschheit begründet – dem Kapitalismus.

Green Economy – die falschen Antworten des Kapitalismus

In dem Brundtland-Bericht wurde nachhaltige Entwicklung folgendermaßen definiert: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu beeinträchtigen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“ (WCED 1987, S. 41)

Diese Definition lässt die soziale Frage weitgehend offen und stellt die zukünftiger Generationen (Generationengerechtigkeit) in den Mittelpunkt. Sie impliziert zugleich, dass es ein weitgehend einheitliches, allgemeines Interesse „der Menschheit“ – unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Stellung und ihren sozialen Interessen – gäbe. Die Definition war und ist deshalb zu Recht Gegenstand vieler Kritik. Dass sie sich dennoch durchsetzte und einen so hohen Stellenwert im politischen Diskurs erhielt, liegt nicht in erster Linie an einem steigenden, abstrakten Umweltbewusstsein der Bevölkerung und/oder der PolitikerInnen, sondern daran, dass die Grundlagen der Kapitalakkumulation selbst langfristig durch die zunehmende Umweltzerstörung gefährdet werden und zugleich Massenkämpfe und Bewegungen die Stabilität des bürgerlichen Systems unterminieren könnten. Diese Besorgnis von Teilen der herrschenden Klassen wurde bereits 1972 in dem berühmten Bericht „The Limits to Growth“ („Die Grenzen des Wachstums“; Meadows et al. 1972) von dem elitären Club of Rome zusammengefasst. Die zentrale Besorgnis der Eliten liegt dabei nicht in der Integrität der Umwelt an sich oder den Auswirkungen der zunehmenden Umweltzerstörung auf arme oder weniger privilegierte Bevölkerungsgruppen, sondern der Aufrechterhaltung und Fortführung der kapitalistischen Wirtschaftsweise und Kapitalakkumulation.

In diesem Sinne wurden und werden im Rahmen des Diskurses der nachhaltigen Entwicklung nicht nur die Probleme im Zusammenhang mit Umwelt definiert, sondern auch deren Lösungen: „Green Economy“ und „Green Growth“ sind hier die wichtigsten Schlagworte. Sie umschreiben die Vorstellung, dass die Grundlagen unserer Gesellschaft und Ökonomie – die kapitalistische Wirtschaftsordnung – weiter bestehen und ihre negativen Umweltauswirkungen reduziert und/oder schließlich ganz überwunden werden könnten bei gleichzeitiger Beibehaltung des Wachstums in Form der kapitalistischen Akkumulation. Diese Konzepte sind heute im öffentlichen Umweltdiskurs vorherrschend. Sie werden nur selten hinterfragt, geschweige denn in Frage gestellt, sondern meistens als völlig selbstverständlich vorausgesetzt.

Eine Schlüsselrolle tragen in diesen Konzepten neue, sog. „grüne“ Technologien. Kern der Vorstellung ist, dass der Kapitalismus weiter, wenn auch nicht unbegrenzt, so doch „reguliert“ und zum Wohle von Mensch und Umwelt wachsen könne, wenn er nur auf grüne Technologien umgestellt würde. Diese müssten nur in „vernünftige“ staatliche und globale „Rahmenbedingungen“ eingebettet werden, die die Interessen der verschiedenen Klassen, zwischen Armen und Reichen, den „reichen“ Nationen und der sog. „Dritten Welt“ zum Wohle aller ausgleichen würden. Deshalb wird die Umweltfrage im vorherrschenden Diskurs immer und vordergründig im Zusammenhang mit technologischen Aufgaben diskutiert. Wo politische und gesellschaftliche Fragestellungen auftauchen, werden diese gewissermaßen sozialtechnisch betrachtet, die im Rahmen eines „Green New Deal“ prinzipiell lösbar wären. Die Frage, ob auf Basis der kapitalistischen Produktionsweise, also der grundlegenden Verfasstheit der gegenwärtigen Ökonomie und Politik, eine ökologische Nachhaltigkeit etabliert werden kann, wird systematisch ausgeblendet.

Am deutlichsten wird dieser Ansatz im Bereich der Energiegewinnung und -versorgung. Die Energieversorgung ist nicht nur für die kapitalistische, sondern für jede Art von Ökonomie von zentraler Bedeutung. Die Entwicklung des Kapitalismus ist aufs Engste mit der Erschließung und Nutzung von fossilen Brennstoffen – Kohle, Öl und Gas – verbunden. Die gesamte moderne, kapitalistische Gesellschaft ist auf diesen Energieträgern aufgebaut, ihre ganze Infrastruktur darauf ausgelegt und danach geformt. Wie Marx bereits im im ersten Band von „Das Kapital“ im Kapitel über die relative Mehrwertproduktion zeigt, erfordert die kapitalistische Produktionsweise eine Antriebsmaschinerie und ein Energiesystem, das permanent, ohne Schwankungen und im großen Stil, Energie für das Fabriksystem und die dazu passende allgemeine Infrastruktur bereitstellt. Daher historisch die enorme Bedeutung der Dampfmaschine bei der Durchsetzung der großen Industrie, als der dem Kapitalismus angemessenen technischen Grundlage. Diese – und mit ihr die aus fossilen Brennstoffen entstandene Energieversorgung – ist von Beginn an auf den Weltmarkt und die Expansion über nationale Schranken hinaus angelegt, formt daher notwendigerweise auch die technologische Basis der Weltwirtschaft. Mit den fossilen Energieträgern und der dazu gehörigen Maschinerie (Dampfkraft, später Elektrizität) konnte die kapitalistische Logik der permanenten Beschleunigung und Expansion etabliert werden, die, im Kapital begrifflich schon vorausgesetzt, zur Wirklichkeit in jedem Land wird. Die zunehmenden Erkenntnisse über die Auswirkungen des steigenden Treibhausgasausstoßes bei ihrer Verbrennung haben die Einstellung gegenüber fossilen Brennstoffen jedoch grundlegend geändert. Wurden sie während eines Großteils des 20. Jahrhunderts als Grundlage von Entwicklung, Wachstum und Reichtum verherrlicht, werden sie heute zunehmend als Problem angesehen. Interessanterweise – und vom Mainstream der ökologischen Bewegung totgeschwiegen – stellten AutorInnen wie Marx und Engels schon im 19. Jahrhundert die unvermeidlichen negativen, gesellschafts- und naturzerstörenden Auswirkungen des Kapitalismus dar und verwiesen auf die widersprüchliche Natur des Fortschritts. Dieser kritische, der Marx’schen Kapitalismustheorie innewohnende Blick auf die ökologischen Folgen ging jedoch in der ArbeiterInnenbewegung aufgrund der Vorherrschaft des sozialdemokratischen und stalinistischen Reformismus verloren.

Doch zurück zum „grünen Kapitalismus“. In seiner Logik ist die Lösung für dieses Problem schon in Sicht, schon lange sogar: erneuerbare Energien. Wind, Sonne, Biomasse und Wasser (in etlichen Ländern auch Uran) sollen Öl, Gas und Kohle ersetzen. Damit könne der Treibhausgasausstoß gesenkt werden, bei gleichzeitigem Beibehalten der sog. „Versorgungssicherheit“ und wirtschaftlichen Wachstums – sprich der stetigen, wenn auch ökologisch regulierten Kapitalakkumulation.

Auch ein bedeutender Teil der klassischen Umweltbewegung, vor allem in den reichen, imperialistischen Ländern, ist inzwischen auf diese Linie eingeschwenkt. Dabei kann alles im Wesentlichen so bleiben wie heute, nur eben mit erneuerbaren Energien versorgt. Die Umwelt- und sozialen Auswirkungen von erneuerbaren Energien im Kapitalismus werden oft unterschätzt, übersehen oder sogar ignoriert.

Der massive Anbau von Biomasse für die Produktion von Treibstoffen hat in vielen Ländern zur Vertreibung der Landbevölkerung und Konzentration von Ackerland in der Hand von mächtigen Unternehmen und Konzernen geführt. Die mit dem Anbau verbundenen Monokulturen verursachen die Übernutzung von Böden, den massiven Einsatz von Kunstdüngern und Pestiziden und einen hohen Artenverlust. Darüber hinaus trug die gestiegene Produktion von Biotreibstoffen zu einer Erhöhung der Preise von Nahrungsmitteln, welche auf dem Weltmarkt gehandelt werden, bei und damit auch zu den negativen Auswirkungen auf die Nahrungsmittelsicherheit von Millionen Menschen. Noch heute werden native Wälder für den Anbau von Biotreibstoffpflanzen gerodet, z. B. in Kolumbien, Indonesien oder Malaysia. Biotreibstoff aus diesen Quellen führt oft absurderweise zu höheren Treibhausgasemissionen als fossile Brennstoffe (Transport and Environment o. D.).

Auch Wind- und Sonnenenergie sind – anders als oft suggeriert – nicht frei von negativen Auswirkungen. Beide Energieformen benötigen Rohstoffe zur Herstellung der Turbinen bzw. Solarzellen und haben je nach Anwendung einen hohen Landbedarf. In ihrer Produktion werden viele Materialien eingesetzt, die teilweise unter schwer umweltschädigenden Bedingungen gefördert werden. Das gilt z. B. für die „Seltenen Erden“, die zu überwiegendem Teil in China gewonnen werden, und für Coltan (Columbit-Tantalit; ein Tantal-Erz) aus dem Kongo (zu den heftigen Umweltauswirkungen der Gewinnung v. a. seltener Erden in China siehe z. B. den Bericht von Maughan [2015]). Aber auch soziale Konflikte, die durch erneuerbare Energien verursacht werden, zeichnen sich zunehmend ab. Z. B. hat die Errichtung großer Windparks von ausländischen InvestorInnen in Oaxaca, Mexiko, zu heftigen Konflikten mit der lokalen, kleinbäuerlichen Bevölkerung geführt, die durch die Windparks massiv beeinträchtigt werden (siehe z. B. Schenk 2012, oder – auf Spanisch – Castillo Jara 2011). Auch hier werden im Interesse des Profits der KapitalistInnen die negativen Auswirkungen auf die lokale, weniger privilegierte (Land-)Bevölkerung abgewälzt – dasselbe Prinzip wie bei fossilen Energieträgern, auch wenn die Auswirkungen andere sind.

Wasserkraft, vor allem große Staudämme, hat durch die Förderung erneuerbarer Energien eine Renaissance erlebt. Im Gegensatz zu den anderen zitierten Energieformen ist ihre Nutzung schon lange im Kapitalismus etabliert. 2015 hatte sie einen Anteil von 16 % der weltweiten Stromerzeugung und repräsentierte damit 70 % der weltweit erzeugten erneuerbaren Energien (IEA 2017). Die heftigen sozioökonomischen Auswirkungen von Staudämmen, die viel studiert und dokumentiert wurden und zu großen sozioökologischen Konflikten geführt haben (siehe z. B. Hess et al. 2016 oder Hess und Fenrich 2017), haben bis zur Jahrtausendwende zu einer abfallenden Dynamik des Wasserkraftsektors beigetragen, zumindest bei den großen Projekten. Seitdem haben sie aber vor dem Hintergrund der Treibhausgasdiskussionen wieder an Fahrt aufgenommen. Staudämme sind als (angeblich) treibhausgasarme Technologie in dem Clean Development Mechanism (Mechanismus sauberer Entwicklung; CDM) der UN anerkannt und können darüber gefördert werden. Dabei sind die Auswirkungen oft gigantisch: von der Umsiedelung bzw. Vertreibung von tausenden bis zu hunderttausenden von Menschen, über die Zerstörung von Fischpopulationen und der Ökologie ganzer Flusssysteme bis zu der Verletzung von Arbeitsrechten, offener Gewalt und struktureller Korruption. Und selbst die angeblich niedrigen Treibhausgasemissionen sind inzwischen widerlegt, da Stauseen enorme Mengen an Kohlendioxid und Methan ausstoßen können (Mendonça et al. 2012).

Die Politik der Umstellung auf erneuerbare Energien, in Deutschland als „Energiewende“ bekannt, verengt geradezu die Lösung des Problems auf eine der technischen Machbarkeit. Die neue grüne Ökonomie nimmt dies als eine ihrer ideologischen Grundlagen. Auch in anderen Bereichen kann diese Logik beobachtet werden. So werden die intensive Landwirtschaft und Gentechnik von der Agrarlobby als Antworten auf Klimawandel und wachsende Bevölkerung propagiert – als wären die massenhafte Vertreibung von Kleinbäuerinnen und -bauern und die Überausbeutung von Böden und Wasserressourcen nicht gerade auf sie zurückzuführen. Das Elektroauto gilt als neue Hoffnung für die Aufrechterhaltung nicht nur der wirtschaftlichen Bedeutung der Autokonzerne und ihrer Profite, sondern auch der Fixierung der Ober- und Mittelschichten, aber auch großer Teile der ArbeiterInnenklassen auf den Individualverkehr. Selbstredend unterliegt auch der Ökolandbau der Profitlogik und wird heute teilweise bereits in einer ökologisch wie sozial schädigenden Art und Weise betrieben (Biotreibstoffe).

Neben dem Einsatz neuer, umweltfreundlicherer Technologien ist die effizientere Nutzung von Ressourcen im Produktionsprozess das zweite technologische Standbein der Green Economy. In der Tat konnte der Kapitalismus in vielen Prozessen die Effizienz massiv steigern. Das führt aber keineswegs automatisch zu einem geringeren tatsächlichen Verbrauch der betroffenen Rohstoffe. Wird ein Produktionsprozess effizienter – im Sinne der benötigten Menge an Input von Energie und Rohstoffen zur Erstellung eines bestimmten Produktes – so sinkt damit natürlich der Wert der einzelnen Ware, weil weniger Rohstoff und/oder Energie zu ihrer Herstellung verbraucht werden muss. Das günstiger produzierende Unternehmen erzielt damit einen Vorteil gegenüber seinen KonkurrentInnen, da es die von ihm produzierten Waren billiger oder mit mehr Gewinn verkaufen kann. Diese Situation dauert aber notwendigerweise nur begrenzt an, nämlich solange, bis die KonkurrentInnen ebenfalls billigere Rohstoffe oder Energie einsetzen. So unterliegt die technische Basis der Produktion im Kapitalismus einem permanenten Druck zur „Revolutionierung“, zur Umwälzung. Die kapitalistische Art von Wachstum (Profit) führt zur Ausdehnung des erzeugten Tauschwerts und noch größerer der Gebrauchswerte. Ausbeutung der Arbeitskraft und der Natur als der beiden einzigen Quellen des materiellen Reichtums bedingen und verstärken sich also gegenseitig.

Darüber hinaus drängt die Konkurrenz auch zur Ausweitung der Produktion, zum ständigen Wachstum, zur Erschließung neuer Märkte (damit auch zur Vernichtung weniger effektiver Unternehmen), zur Überproduktion über den Bedarf, zur Krise und auch zur Vernichtung „überschüssiger“ Produkte, also solcher, die auf keine kaufkräftige Nachfrage treffen.

Daher geht in der Regel  die Verringerung des Verbrauchs an Rohstoffen und Energie beim Einzelprodukt durchaus mit der Steigerung des Gesamtverbrauchs einher, gerade in Phasen massiven Wachstums und ungebremster Akkumulation.

Dieses Phänomen war auch im 19. Jahrhundert nicht unbekannt und lässt sich im Übrigen, wenn auch in weitaus geringeren Zeitperioden, auch bei der menschlichen Arbeitskraft beobachten, namentlich dann, wenn die Expansion eines bestimmten Sektors so groß ist, dass trotz einer steigenden Arbeitsproduktivität mehr Lohnabhängige in die Produktion gezogen werden. Da die industrielle Produktion jedoch mit einer regelmäßigen Ersetzung menschlicher Arbeitskraft durch Maschinerie einhergeht, ist eine solche „paradoxe“ Entwicklung bei Rohstoffen und Energie natürlich ausgeprägter.

Der britische Ökonom William Stanley Jevons beschrieb diesen Effekt bereits im 19. Jahrhundert an dem Beispiel des Verbrauchs von Kohle in Großbritannien und führte diesen 1865 in seinem Buch „The Coal Question“ aus. Deshalb wird dieser Effekt als das Jevons-Paradoxon bezeichnet (siehe z. B. Foster et al. 2010, S. 169 ff.). Jevons verkennt, ja verklärt geradezu die Ursachen des Paradoxons, das auf Grundlage der Marxschen Kapitalismusanalyse leicht erklärbar ist. Jevons selbst war Malthusianer. Malthus bestritt, dass die „Überbevölkerung“ (also die Masse von Armen, die ihre Arbeitskraft nicht verkaufen können und als „Überschussbevölkerung“ kein Auskommen finden) als Folge der kapitalistischen Akkumulation entsteht, und erklärte sie zu einem unabänderlichen Naturgesetz. In derselben Weise erklärt Jevons das Umweltparadox nicht aus den inneren Widersprüchen der kapitalistischen Produktionsweise, sondern er behauptet, dass es als Naturgesetz jeder industriellen Großproduktion eigen wäre.

Heute wird dieses „Paradox“ auch oft unter dem Stichwort Reboundeffekt zusammengefasst. In der Autoindustrie führt es z. B. dazu, dass die Automodelle größer und schwerer anstatt sparsamer werden. Das Ziel ist hierbei nicht, möglichst sparsame und preiswerte Autos für KäuferInnen mit begrenzter Kaufkraft herzustellen, sondern neue attraktive Angebote für die kaufkräftigen Mittelschichten und ArbeiterInnenaristokratie zu schaffen (siehe hierzu z. B. Brand/Wissen 2017, S. 125 ff.).

Die im Mainstream der „Green Economy“ vorherrschende Reduktion der ökologischen Folgen des Kapitalismus wird hier zwar kritisiert, tendenziell jedoch bloß umgekehrt. Während den bürgerlichen IdeologInnen alles technisch lösbar erscheint, so wird auch im „Umweltparadoxon“ die Technik oder eine bestimmte Produktionsform als Ursache benannt, nicht die Produktionsweise. Selbst in den kritischen Arbeiten zum Reboundeffekt erscheint der Zusammenhang von Produktion und individuellem Konsum auf den Kopf gestellt. Wenn sich Autokonzerne in den imperialistischen Ländern stärker auf höherpreisige Produkte fokussieren, folgt dies aus keiner Präferenz gegenüber einkommensstärkeren KäuferInnen, sondern einfach aus der Tatsache, dass die Einkommen der mittleren und unteren Schichten der ArbeiterInnenklasse stagnieren, wenn nicht sinken. Höhere Gewinnmargen lassen sich daher nur in den Premiumsegmenten erzielen.

Auch im institutionellen und ökonomischen Bereich hat die hohe Bedeutung der Umweltfrage zu neuen Entwicklungen geführt. Diese sind allerdings, wie bereits erwähnt, in der Regel den technologischen Innovationen untergeordnet. Ein zentrales Beispiel hierfür ist der berühmte Emissionshandel, der mit dem Kyoto-Protokoll geboren wurde. Hintergrund ist die Förderung der Konkurrenzfähigkeit erneuerbarer Energien gegenüber fossilen Energieträgern. Das Prinzip folgt der Logik, dass eines der zentralen Probleme des Kapitalismus in Bezug auf Umwelt sei, dass viele Umweltfaktoren sich gar nicht oder nur unzureichend in den Preisen von Gütern und Dienstleistungen widerspiegeln – Auswirkungen auf die Umwelt werden von kapitalistischen Unternehmen, die einzig und alleine den Profit als Antrieb kennen, externalisiert.

Die „Externalisierung“ gesellschaftlicher Kosten prägt die kapitalistische Produktionsweise von Beginn an. Marx selbst diskutiert im „Kapital“ eine Reihe dieser Phänomene. So weist er auf ein ganz allgemeines hin: „Indem das Kapital sich die beiden Urbildner des Reichtums, Arbeitskraft und Erde, einverleibt, erwirbt es eine Expansionskraft, die ihm erlaubt, die Elemente seiner Akkumulation auszudehnen jenseits der scheinbar durch seine eigne Größe gesteckten Grenzen, gesteckt durch den Wert und die Masse der bereits produzierten Produktionsmittel, in denen es sein Dasein hat.“ (Marx 1962, S. 630 f.)

So erfordert beispielsweise die extraktive Industrie kaum Ausgaben für den Rohstoff, dieses Naturprodukt wird einfach „nur“ abgebaut. Der Wert, der dem Produkt zugesetzt wird, besteht ausschließlich aus Arbeitskraft, Nutzung von Arbeitsmitteln und Transport. Dasselbe trifft auch auf die Kooperation von Arbeitenden zu. Deren kombinierte Produktivkraft und planmäßiger Einsatz werden vom Kapital während des Arbeitsprozesses einfach verwandt – da es sich die Arbeitskraft selbst einverleibt, diese als Teil von ihm fungiert. Wie sich die Arbeitskraft umgekehrt (re)produziert, wie Lebensmittel hergestellt, Kinder versorgt werden, ob es eine Schule gibt oder nicht, stellt sich dem/r individuellen KapitalistIn als außerhalb ihrer/seiner Verantwortung, ihrer/seiner Interessen liegende „Naturbedingung“ dar. Sie/Er nutzt diese Verhältnisse einfach, um so die Arbeitskraft möglichst effektiv und schrankenlos auszubeuten.

Dasselbe gilt auch für die ohne sein Zutun vorgefundenen oder neu geschaffenen gesellschaftlichen Entwicklungen, Infrastruktur, Kommunikationsmittel. Diese eignet sich das einzelne Kapital „gratis“ mit jeder seiner Umwälzungen an. So wird der „gesellschaftliche Fortschritt“, den z. B. Wissenschaft, öffentliche Universitäten, … verkörpern, „in seine neue Form einverleibt“ (Marx 1962, S. 632).

Diese „externalisierten“ Kosten umfassen also drei Elemente: erstens die Erde (Rohstoffe, Wasser, Luft, „Natur“ … ), zweitens die Arbeitskraft, deren private Reproduktion der „Familie“, also v. a. der Frau im Haushalt überlassen wird, und drittens allgemeine gesellschaftliche Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit (Wissenschaft, Bildung, Infrastruktur, öffentlicher Transport, … ).

Auf die Umweltproblematik übertragen bedeutet Externalisierung, dass Unternehmen umweltbezogene Kosten (z. B. Wasser- und Luftverschmutzung, die Extraktion von Wasser und anderen Ressourcen als Produktionsmittel, der Ausstoß von Treibhausgasen etc.) nicht in ihre Bilanzen mit einbeziehen und diese Kosten deshalb auf die Allgemeinheit bzw. die Gesellschaft abwälzen. Dabei können zwei grundlegende Praxen unter dem Begriff zusammengefasst werden: erstens die Externalisierung von diffusen Umweltauswirkungen, die nicht oder nur schwer eindeutig örtlich und räumlich zugeordnet werden können (z. B. Treibhausgasemissionen, die zu einem globalen Klimawandel mit vielfältigen Auswirkungen führen), und zweitens die bewusste Auslagerung umweltschädlicher Produktion in andere, meist ärmere Länder.

Im Falle von Treibhausgasemissionen wird die Atmosphäre der Erde als Senke für sie in Anspruch genommen – lange Zeit völlig sorgen- und kostenlos. Kapitalistische Unternehmen ändern dieses Verhalten nur, wenn sie durch gesellschaftliche Kämpfe und Bewegungen, vom Staat oder suprastaatlichen Institutionen durch Regelungen und Gesetze gezwungen werden oder attraktive finanzielle Anreize erhalten. Bei Treibhausgasen ist der erstere Weg aus mehreren Gründen schwierig bis unmöglich – schließlich ist die Verbrennung von fossilen Treibstoffen eng mit der vorherrschenden Ökonomie verzahnt und kann nicht einfach per Gesetz beschränkt werden, ohne massive Auswirkungen auf das Kerngeschäft der kapitalistischen Ökonomie, der Kapitalakkumulation, zu haben. Die kapitalistische Lösung ist der Emissionshandel. Treibhausgase sollen über Zertifikate einen Preis erhalten und damit in die Bilanzen der Unternehmen einfließen. Unternehmen, die viel Treibhausgas ausstoßen, müssen sich Zertifikate von anderen kaufen, die wenig ausstoßen. Darüber sollen emissionsarmen Technologien und Innovationen gefördert werden.

Während der Ansatz der Internalisierung von umweltbezogenen Kosten in die Bilanzen der Produktion von Gütern und Dienstleistungen durchaus positiv und richtig sein kann, wird er im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise oft in sein Gegenteil verkehrt. Der Emissionshandel hat in der Praxis bislang nicht zu einer Senkung von Treibhausgasemissionen geführt, dafür aber zu einer neuen lukrativen Quelle von Profiten für große Konzerne. Die Europäische Union war bisher die führende Institution bei dem Versuch, einen flächendeckenden Handel mit Emissionsrechten einzuführen. Die Zertifikate wurden aber über Jahre hinweg viel zu billig verkauft, was dazu geführt hat, dass sie im Überfluss gerade für die Unternehmen und Konzerne zur Verfügung standen, die am meisten Treibhausgase ausstoßen. Dadurch konnten sie sich billig Zertifikate erwerben, ohne jedoch irgend etwas zu verändern, und diese auch noch weiterverkaufen, um daran zu verdienen. Schließlich kann der Zertifikathandel grundsätzlich auch spekulative Züge annehmen, sobald Emissionsrechte selbst zu einer Ware werden, die auf eigenen Börsen gehandelt werden können. Im Kontext des internationalen Kapitalismus kann er  zu einer verstärkten Kapitalkonzentration und einer weiteren Unterdrückung der ärmeren Länder führen (siehe Kapitel Umweltimperialismus). Die Treibhausgasemissionen steigen derweil weiter an und der Emissionshandel ist als Instrument zu ihrer Reduzierung in der Krise.

Wie bereits erklärt liegt der „Grünen Ökonomie“ die Vorstellung zu Grunde, dass die Herausforderungen im Bereich von Umwelt und Klima im Wesentlichen durch die Umstellung auf neue Technologien und regulative wirtschaftliche Eingriffe bei gleichzeitiger Beibehaltung und sogar Intensivierung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung zu meistern seien. So schafft der Emissionshandel einen riesigen neuen Markt. Im Rahmen seiner anhängenden Instrumente, wie z. B. des CDM erschließt er sogleich neue Märkte, Ressourcen und Flächen im globalen Süden zur Ausbeutung (Energieprojekte) und/oder Rechtfertigung von umweltschädigenden Aktivitäten anderswo (sog. Ausgleichsflächen). Das Prinzip der „Einpreisung“ von Umwelt-Faktoren („getting the prices right“) wird von vielen internationalen Entwicklungsinstitutionen wie z. B. der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, „Entwicklungshilfe“) als Rechtfertigung für die (Teil-)Privatisierung von Umweltgütern oder -dienstleistungen propagiert. In derselben Logik arbeitet das REDD-Programm der Vereinten Nationen. Während dessen löbliches Ziel die Reduzierung von Entwaldung (und den damit zusammenhängenden Treibhausgasemissionen) darstellt, führt es in der Praxis oft dazu, dass traditionelle Gemeinschaften die Kontrolle über ihr Territorium verlieren und neue Gebiete für global agierende Konzerne erschlossen werden (Fatheuer et al. 2015, S. 81). Im Bereich der Landwirtschaft sind gemäß der vorherrschenden neoliberalen Logik nicht die massenhafte Vertreibung von Kleinbäuerinnen und -bauern, die zunehmende Konzentration von Böden in der Hand multinationaler Konzerne und/oder lokaler Eliten und die zunehmende Orientierung auf kapital-, wasser- und pestizidintensive Cashcrops (Anbau von Feldfrüchten für den Export) das Problem, sondern es ist – ganz im Sinne der global agierenden Konzerne – die fehlende Klarheit der privaten Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden (Fritz 2010, S.115 f.).

Sicher spielen neue, weniger umweltschädigende Technologien eine Schlüsselrolle in der Überwindung der aktuellen, ausbeuterischen und räuberischen Wirtschaftsweise. Die Umstellung auf erneuerbare, emissionsarme Energien und ressourcenschonende, effizientere Produktionsformen ist angesichts der Erkenntnisse über den Klimawandel und dessen mögliche Folgen richtig und notwendig. Jedoch zeigen die Erfahrungen der letzten zehn bis zwanzig Jahre deutlich, dass eine rein technologische Umstellung im Rahmen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht die erhofften Resultate und/oder neue Probleme hervorbringt.

Technologien und deren Auswirkungen sind immer abhängig von ihrer Verwendung, ihrer Einbettung in bestimmte sozioökonomische Verhältnisse und welchen bzw. wessen gesellschaftlichen Interessen sie entsprechen. Im Kapitalismus geht die technologische Entwicklung immer mit der Ersetzung menschlicher Arbeitskraft durch Maschinerie einher. Dies würde in einer zukünftigen, nachkapitalistischen Gesellschaft eine zentrale Quelle des gesellschaftlichen Fortschritts und der Ausweitung freier Zeit für alle bedeuten. Im Kapitalismus geht sie unvermeidlich mit der Festigung der Herrschaft des Kapitals über die Arbeit, mit der Verschärfung der Ausbeutung der Beschäftigten und der Freisetzung der „überflüssig“ gemachten Lohnabhängigen einher.

Und so werden auch erneuerbare Energien und andere neue Technologien oder Ansätze (wie z. B. auch der Ökolandbau) im Interesse des Kapitals eingeführt und eingesetzt und unterliegen der Logik der Profitmaximierung um (fast) jeden Preis. Und in dieser Logik gehen sie mit Vertreibung, Landraub, Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung einher, anstatt diese „Kollateralschäden“ der kapitalistischen Wirtschaftsweise zu überwinden. Mittlerweile sind erneuerbare Energien ein etablierter, florierender Wirtschaftszweig und für Teile des Kapitals von hohem Interesse. Das zeigt nicht zuletzt der Protest von Teilen des US-amerikanischen Kapitals (inklusive großer Energiekonzerne wie Exxon) gegen die Entscheidung von Präsident Trump, das Pariser Klimaschutzabkommen zu verlassen. Anderseits verdeutlicht dieser Schritt auch, dass in der globalen Konkurrenz und im Kampf um die Neuaufteilung der Welt selbst halbherzige, zu wenig bis nichts verpflichtenden Abkommen keinen Bestand haben werden, wenn es darum geht, wem die Kosten der Zerstörung der Umwelt aufgebürdet werden sollen.

Das Umweltparadoxon

Obwohl sich die globalen Umweltprobleme weiter verschärfen und zuspitzen, ist die direkte Umweltverschmutzung und -zerstörung in den reichen, imperialistischen Ländern (im Wesentlichen in Westeuropa, USA, Kanada, Australien und Japan) seit den 1970er Jahren in einigen Bereichen zurückgegangen. Das mag angesichts von Dieselskandal und zunehmender Grundwasserverschmutzung mit Nitrat in Zweifel gezogen werden, betrifft aber z. B. die Wasserverschmutzung durch häusliches und industrielles Abwasser, die Luftverschmutzung durch Schwefeldioxid und Stickoxide, die heftigen Auswirkungen auf Boden und (Grund-)Wasser durch offene Mülldeponien oder direkte industrielle Umweltbelastungen durch das Freisetzen von toxischen Stoffen. In den meisten imperialistischen Ländern existieren heute umfangreiche Umweltvorschriften und -gesetze und in vielen gibt oder gab es auch (mehr oder weniger) bedeutende Umweltbewegungen und Parteien, die sich auf diese Bewegungen stützen. Darüber hinaus führten v. a. die ArbeiterInnenbewegung und die Gewerkschaften über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte einen erbitterten Kampf um einigermaßen menschenwürdige Lebensbedingungen, also solche, die eine dauerhafte Reproduktion der Arbeitskraft ermöglichen. Im Frühkapitalismus war deren Existenz oft durch absolute Verelendung gekennzeichnet. Die neu entstehende Industrie setzte sie in Fabrik und Wohnviertel unerträglichen Bedingungen aus (fehlende oder schlechte Kanalisation, kein Schutz vor gesundheitsgefährdenden Gasen und Chemikalien, fehlende Kranken- und Altersvorsorge, Kinderarbeit, … ), die in den Ländern der sog. Dritten Welt bis heute Realität sind.

Bei oberflächlicher Betrachtung scheint es, dass sich die reichen Länder auf einem guten Weg befänden, während Umweltverschmutzung und -zerstörung heute vor allem ein Problem der armen Länder im globalen Süden seien. Bei näherem Hinschauen zeigt sich hier allerdings ein Paradoxon: In den Ländern, in denen der Verbrauch von Ressourcen (absolut und noch deutlicher pro Kopf) besonders hoch ist (imperialistische Länder), scheint die Umweltzerstörung geringer auszufallen als in denen, in denen der Ressourcenverbrauch weitaus geringer ist. Dieser Umstand wird in der (bürgerlichen) Soziologie als „environmental degradation paradox“ (Jorgensen/Rice 2005) oder „ökologisches Paradoxon“ (vgl. Lessenich 2016, S. 96 ff.) bzw. Umweltparadoxon bezeichnet.

Um dieses zu erklären, erweitert der Soziologe Stephan Lessenich das Prinzip der Externalisierung auf das Verhältnis zwischen Ländern. Mit der Entwicklung des kapitalistischen Weltmarktes konnten die reichen Länder dazu übergehen, systematisch energieintensive, besonders umweltschädigende und auch sozial schädliche Produktionsbereiche in andere Länder zu verlagern. Lessenich (2016, ebd.) fasst zusammen, „dass die reichen Industriegesellschaften in der Lage sind, die Voraussetzungen und Folgen ihres ,überbordenden Konsums‘ systematisch in andere Weltregionen, nämlich an die Gesellschaften der ärmeren, rohstoffexportierenden Länder, auszulagern. Auf diese Weise säubern sie konsequent ihre eigene Umwelt- und Sozialbilanz – und überlassen das schmutzige Geschäft anderen. Bis auf die ökonomischen Profite natürlich, die daraus zu ziehen sind.“

Diese Verlagerung hat besonders in drei Bereichen stattgefunden: (i) Auslagerung naturzerstörender Rohstoffförderung (Energieträger wie Öl, Kohle und Uran sowie Rohstoffe wie Eisen, Aluminium, Kobalt, Kupfer und viele andere Metalle etc.); (ii) Auslagerung umweltschädlicher Industrieproduktion (z. B. Stahlproduktion, Textilsektor, Zement- und Papierherstellung, Elektronikindustrie); (iii) Auslagerung landvernutzender Agrarwirtschaft (z. B. Soja, Getreide, Fleisch, nachwachsende Rohstoffe wie Zuckerrohr oder ölhaltige Pflanzen) und intensiver Aquakultur (Fisch und Garnelen). Diese Entwicklung wurde in den vergangenen Jahrzehnten, während der Globalisierung, nochmals verschärft und beschleunigt. Ein großer Teil der Umweltzerstörung der reichen kapitalistischen Ökonomien wird somit auf dritte, ärmere Staaten abgewälzt. Das bedeutet auch, dass die negativen wie positiven Umweltauswirkungen eines Landes nicht alleine anhand interner Kenndaten beurteilt werden können (z. B. inländischer Strom- oder Ressourcenverbrauch), sondern die Material- und Energieflüsse an Ressourcen und Abfallprodukten mit anderen Ländern mit einbezogen werden müssen.

An dieser Stelle könnte argumentiert werden, dass für viele der genannten Auslagerungen nicht laxere Umweltauflagen, sondern niedrigere Lohnkosten die Hauptmotivation waren und sind. Diese Faktoren widersprechen sich jedoch nicht, sondern ergänzen sich. Die Motivation der KapitalistInnen für die Auslagerung ist die Senkung der Produktionskosten und die Steigerung der Profite sowie der Profitrate – dazu können sowohl niedrigere Löhne als auch laxere Umweltauflagen beitragen. Das Verhältnis zwischen diesen Faktoren mag von Branche zu Branche oder auch von Firma zu Firma unterschiedlich sein, die systematische Externalisierung sozioökologisch negativer Auswirkungen in ärmere, halbkoloniale Länder ist jedoch das Resultat.

Zweitens könnte eingewendet werden, dass manche natürlichen Rohstoffe wie Agrarprodukte nur in bestimmten Weltregionen ab- bzw. angebaut werden können und deshalb in den entsprechenden Ländern produziert werden. Oftmals hat die billige Verfügbarkeit dieser Ressourcen (aufgrund niedrigerer Löhne und Umweltauflagen in den Herkunftsländern) jedoch systematisch dazu beigetragen, einheimische Produkte zu ersetzen oder bestimmte technische Entwicklungen und Innovationen erst für das Kapital attraktiv zu machen. Ersteres gilt z. B. für den Import von Zucker als Nahrungs- oder von Soja als Futtermittel. Letzteres gilt z. B. für die billige, ständige Verfügbarkeit von Öl als Voraussetzung des ölbasierten Individualverkehrs.

Die Ökonomie von Europa (bzw. vor allem der EU) ist dafür beispielhaft. Im Vergleich zu den USA, Kanada oder Australien verfügen die europäischen Staaten über weit weniger Flächen. Die Bedeutung der Landwirtschaft ist in den westlichen europäischen Ländern seit dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich gesunken. In Deutschland arbeiteten 2017 nur noch ca. 2 % der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft (ca. 940 000 von 44,7 Mio. Beschäftigten, siehe Statistisches Bundesamt 2017). Trotzdem hat sich die Ernährungssicherheit stark gesteigert. Ein Grund hierfür liegt zweifellos in der gestiegenen Produktivität der Landwirtschaft, ein anderer aber auch in der erfolgreichen Externalisierung des Flächenverbrauchs für landwirtschaftliche Produktion. Heute deckt Deutschland nur ca. 50 % seines Agrarflächen-, 25 % seines Waldflächen- und ca. 35 % seines Grünlandbedarfs durch die Produktion im eigenen Land (Umweltbundesamt 2017a). Für die EU sind die Anteile der Eigenbedarfsdeckung 77 %, 74 % und 60 % (Fischer et al. 2017). Auch bei der Bilanz von Energieträgern und metallischen Rohstoffen kann dieses Verhältnis festgestellt werden. Obwohl die EU –  und hier vor allem die sogenannten Kernländer Deutschland und Frankreich  – nach wie vor zu den führenden Regionen in der weltweiten Industrieproduktion zählt, verfügt sie über sehr wenige eigene Ressourcen. Eisen, Aluminium, Zement, Kupfer, Kobalt, Seltene Erden, Kohle, Uran und Gas – viele der für die Produktion notwendigen Ressourcen werden in anderen Teilen der Welt hergestellt und in die EU importiert. Mit Ausnahme von Norwegen und in geringerem Maße Großbritannien gibt es in West- und Zentraleuropa auch keine bedeutenden Erdölförderländer. Dazu kommt der massenweise Import von Textilien und Konsumgütern (vor allem Elektronikartikel), die in der EU verbraucht werden. Auf der Kehrseite steht dann der massenhafte Export von erzeugten Abfallprodukten wie z. B. der von Elektronikschrott in afrikanische Länder oder Plastik- und anderen Abfällen nach China. Im Jahr 2016 hat die EU 1,6 Mio. Tonnen Plastikmüll, davon Deutschland alleine 560 000 Tonnen, nach China exportiert (Tagesschau 2018). Mit dem Aufstieg Chinas zur imperialistischen Macht verschieben sich freilich die Gewichte. Ende 2018 verbot das Land die Einfuhr stark verschmutzenden und schlecht sortierten Altmülls – der Dreck soll zukünftig in andere asiatische Länder verfrachtet werden. Gleichzeitig beginnt China selbst, Müll zu exportieren.

Die Externalisierung von negativen Umweltauswirkungen hat jedoch ihre Grenzen. Auch in den reichen Ländern ist sie natürlich nicht vollständig gelungen und kann es auch nicht. Nach wie vor gibt es auch in diesen Ländern viele gravierende alte und neue Umweltprobleme, die sich weiter zuspitzen oder neu auftreten wie z. B. die Verschmutzung von Grundwasser mit Nitrat, Arten- und Biodiversitätsverlust, Degradierung von Böden, Luftverschmutzung durch Auto-, Kraftwerks- und Industrieabgase und Eintrag in die Umwelt von schädlichen Chemikalien oder solchen, deren Auswirkungen unbekannt sind. In der EU sind zehntausende von Chemikalien in der Industrie im Einsatz und gelangen in die Umwelt und laufend kommen neue dazu. Nur die wenigsten (einige Hundert) sind reglementiert und von einem Großteil gibt es überhaupt keine gesicherten Erkenntnisse über ihre (Langzeit-)Wirkungen in der Umwelt. Darüber hinaus kommt es bei der Externalisierung der negativen Auswirkungen von Treibhausgasemissionen zu natürlichen Grenzen und die Konsequenzen fallen durch den Klimawandel teilweise auch auf die reichen Länder zurück – wenn auch vermutlich in geringerem Ausmaß.

Des Weiteren gibt es gegenläufige Tendenzen und Interessen. Die hohe Subventionierung der Agrarproduktion in der EU ist z. B. ein Faktor, um weitere Auslagerung zu verhindern oder abzubremsen und damit erstens nicht noch abhängiger von Importen zu werden und zweitens selbst hochindustrialisierte Agrarprodukte international gewinnbringend verkaufen zu können und damit die importierenden Länder wiederum in Abhängigkeiten zu halten. Ein weiteres Beispiel ist der Fracking-Boom in den USA. Dieser führt zu einer Verringerung der Abhängigkeit von Erdölimporten zum Preis von sozioökologischen Auswirkungen innerhalb der eigenen Grenzen (das sind jedoch neue, teilweise unbekannte und/oder in ihrer Tragweite noch nicht kalkulierbare Auswirkungen, die bisher noch nicht in großen Ausmaß „an die Oberfläche“ gekommen sind und deshalb noch nicht zu großen Konflikten geführt haben). Donald Trump hatte als Präsident eine aggressive Agenda der Reinternalisierung von externalisierten Umweltauswirkungen wie z. B. die Wiederansiedlung und Stärkung der Kohle- und Erdölförderung zugesagt. Er versprach der US-amerikanischen ArbeiterInnenklasse dadurch Arbeitsplätze, verschwieg jedoch die sozioökologischen Auswirkungen, die damit einhergehen.

Natürlich geht es dabei nicht um die Interessen der Lohnabhängigen. Auch die kurzfristigen Gewinne, die die US-Ölindustrie daraus schöpfen kann und weiterhin wird, erklären diesen Kurs nur bedingt. Vielmehr bildet die Krise der Globalisierung, die verschärfte Konkurrenz zwischen den alten und neuen Großmächten den Hintergrund, vor dem solche Wendungen verstanden werden müssen. Die Konkurrenz zwischen den imperialistischen Hauptmächten USA und China, aber auch Japan, Russland und Führungsmächten der EU (insbes. Deutschland und Frankreich) nimmt eine immer größere Schärfe an, was auch bedeutet, dass der exklusive Zugang zu Märkten und ganzen Kontinenten umkämpft ist. So haben sich die USA unter Trump von multilateralen Übereinkünften wie dem Pariser Klima-Abkommen verschiedet, weil sie – durchaus nicht unrealistisch – davon ausgingen, dass sie einzelnen Staaten politisch und wirtschaftlich (und natürlich auch in Klimafragen) viel leichter und umfassender ihre Bedingungen diktieren können als in multilateralen Verhandlungen und Abkommen. Biden ist als neuer Präsident zwar wieder zu einer mehr multilateral ausgerichteten Außenpolitik (und dem Pariser Klima-Abkommen) zurückgekehrt, die grundsätzliche Zuspitzung zwischen den imperialistischen Blöcken wird sich jedoch auch in seiner Politik äußern. Die Corona-Krise hat diese Zuspitzung noch mal verschärft, indem China bisher als größter Gewinner aus dieser Krise hervorgeht. China hat darüber hinaus ein eigenes Projekt aufgelegt – die „Neue Seidenstraße“ – , das durch Corona zwar sicherlich auch gebremst, keineswegs jedoch ganz verhindert wurde. Viele Länder werden sich für den wirtschaftlichen Wiederaufbau vermehrt in Richtung China wenden. Für Deutschland fungiert die EU als imperialer Herrschaftsraum, indem die Länder Süd- und Osteuropas als halbkoloniale Gebiete integriert werden.

All dies verdeutlicht, dass die Verschärfung der ökologischen Probleme untrennbar mit dem imperialistischen Entwicklungsstadium des Kapitalismus verbunden ist – und die ökologischen Fragen ohne Sturz des imperialistischen Weltsystems und dessen Ersetzung durch eine sozialistische Planwirtschaft nicht lösbar sind.

Umweltimperialismus

Die Externalisierung von negativen sozioökologischen Auswirkungen entsteht naturwüchsig in allen Ländern, wo kapitalistische Produktionsweise vorherrscht. Die Expansion des Weltmarktes, die Abschaffung von Regulierungen und die Durchsetzung des Neoliberalismus verschärfen diesen Prozess nur. Im Rahmen der imperialistischen Weltordnung geht er notwendigerweise mit einer Abwälzung und Auslagerung der Kosten der reichen, imperialistischen Länder auf die halbkolonialen einher. Hierbei ist – wie in der Kapitalanalyse generell – immer zwischen der stofflichen und der Wertseite dieser Transfers zu unterscheiden.

Die Stellung der „armen“, also halbkolonialen Länder innerhalb der internationalen Arbeitsteilung reflektiert das. Die reichen Länder importieren energie-, flächen- und umweltintensive Rohstoffe und Konsumgüter und exportieren kapital- und mehrwertintensive Industrieprodukte und Dienstleistungen.

Die armen Länder hingegen orientieren sich auf die Produktion für den Export von entsprechenden Rohstoffen oder Gütern, wodurch ihre sozioökologischen Probleme ständig verschärft werden. Grundlage hierfür ist die sich immer weiter verstärkende Konzentration von Kapital in den imperialistischen Zentren (USA, Kanada, West- und Mitteleuropa, Japan, China und Russland). Die großen Kapitale kontrollieren einerseits die jeweils gerade entscheidenden Technologien, die durch überlegene Produktivität Kosten- und Preisvorteile ermöglichen. Dadurch sind sie in der Lage, sich immer mehr Wert anzueignen, der von kleineren, unproduktiveren Kapitalen hergestellt wird (und letztere sind zumeist in den nichtimperialistischen Ländern angesiedelt). Hierauf beruht der ungleiche Warentausch auf dem Weltmarkt. Andererseits bestimmen die großen Kapitale auch durch massiven Kapitalexport die für die abhängigen Länder ungünstige ökonomische Struktur. Dieser Kapitalexport kann sich sowohl in direkten Investitionen und dem Aufbau von Zulieferketten als auch in wachsender öffentlicher und privater Verschuldung ausdrücken.

In der bürgerlichen ökonomischen Theorie wird von einer „Senke der Wertschöpfungskette“ gesprochen: Die „wertvollsten“ Tätigkeiten bei der Herstellung eines Produkts wie Erfindung, Design, Marketing und Verkauf werden den „minderwertigen“ Tätigkeiten der Rohstoffextraktion und der nötigen Handarbeit bei der Produktion gegenübergestellt. Hier werden die wahren Quellen des Wertes, die Verausgabung von notwendiger menschlicher Arbeitskraft und natürlichen Ressourcen, verschleiert. Es wird aber auch klar, dass sich diese „Senken der Wertschöpfung“ immer mehr in die abhängigen Länder verschieben. Je ausbeuterischer, Ressourcen verbrauchender und umweltschädlicher, umso mehr werden die Industrien und zugehörige Bereiche in die halbkoloniale Welt ausgelagert. Energie-, flächen- und umweltintensive ebenso wie arbeitsintensive, monotone und gefährliche Produktion verschwindet immer mehr in diese Länder, während in den imperialistischen Zentren die „sauberen“ Dienstleistungen, die Steuerungstätigkeiten und immer weniger werdende Endfertigungen verbleiben.

Dieser Prozess darf nicht einfach mit einer „Deindustrialisierung“ der imperialistischen Länder verwechselt werden, sondern bedeutet vielmehr, dass wir es mit einer internationalen Arbeitsteilung zu tun haben, die zu einer bloß selektiven und abhängigen Industrialisierung der restlichen Welt unter der Kontrolle durch die Großmächte führt. Daher gehen die Investitionen und kapitalistischen Projekte in den „armen“ Ländern notwendigerweise mit einer extremen Verschärfung der Ungleichheit einher – wie sich gerade in den „Schwellenländern“ wie Indien, Brasilien oder Südafrika zeigt. Diese ungleichzeitige und kombinierte Entwicklung, bei der wichtige moderne Produktionsstätten mit extremer Rückständigkeit und Armut einhergehen, stellt ein Kennzeichen der gesamten imperialistischen Epoche dar, wie es heute handgreiflich in allen „Megacities“ des Südens hervortritt. Alle diese extreme Ungleichzeitigkeit der Entwicklung verschärft die ökologische Frage im Verhältnis von Stadt und Land wie auch im Rahmen der Urbanisierung.

Die ökonomische Entwicklung der semikolonialen Länder verharrt aufgrund der Dominanz des Finanzkapitals, das institutionell, politisch und militärisch durch die Großmächte abgesichert wird, in struktureller Abhängigkeit. Die Profite werden von den international operierenden Konzernen und Unternehmen angeeignet, deren Zentralen sich in den imperialistischen Ländern befinden, weshalb die Profite kontinuierlich in diese abfließen – womit der Kreislauf von vorne beginnt. Während zu Beginn der imperialistischen Epoche die kapitalarmen Länder vor allem Lieferanten billiger Rohstoffe im Austausch gegen Industrieprodukte aus den imperialistischen Zentren waren, so wurde dies inzwischen durch eine neue Form der Arbeitsteilung ergänzt. Im Zuge einer immer globaleren Produktion werden inzwischen auch Teile von globalen Wertschöpfungsketten in halbkolonialen Ländern angesiedelt wie z. B. in der Elektronik- und Textilindustrie. Die Hälfte des Welthandels besteht heute aus Zwischenprodukten. Neben Rohstoffen und Konsumgütern sind die halbkolonialen Länder für die Zentren auch als Standorte billiger Zulieferindustrien interessant. Dabei wird nicht nur Ausbeutung und Umweltzerstörung in die halbkoloniale Welt externalisiert – die zum Teil absurde Verteilung von Produktionsketten auf die ganze Welt und die damit verbundenen riesigen Transportflotten in der Luft, auf dem Wasser, der Straße etc. sind selbst schon eine massive Form ökologischer Verschwendung im Interesse kurzfristiger Kostenvorteile der großen Konzerne.

Die Handelsbeziehungen zwischen armen, halbkolonialen einer- und imperialistischen Ländern andererseits basieren auf einem Werttransfer, der Aneignung eines großen Teils des geschaffenen Reichtums durch die imperialistischen Zentren, wo nach wie vor der größte Teil des Kapitalstocks konzentriert bleibt. Dieser Werttransfer spiegelt sich in einer Arbeitsteilung wider, die mit der Fixierung der von den Zentren dominierten Ökonomien auf bestimmte Produkte einhergeht. Der Werttransfer zugunsten des globalen Finanzkapitals bestimmt wesentlich die Entwicklungsrichtung dieser Länder und reproduziert, ja verstärkt beständig deren Abhängigkeit.

Diese Strukturen drücken sich in einem ökonomisch wie ökologisch „ungleichen“ Tausch aus. Die (verschiedenen) Theorien des ökonomischen ungleichen Tausch beziehen sich auf ein quantitatives Problem im Austausch von Wert und gehen von einem systemischen Werttransfer von den halbkolonialen zu den imperialistischen Ländern aus, was sich einigen dieser Theorien zufolge auf den Tausch von mehr Arbeitskraft für weniger zurückzuführen lässt.

Die Grundlage für diese Theorien legte bereits Marx im dritten Band vom „Kapital“: „Kapitale, im auswärtigen Handel angelegt, können eine höhere Profitrate abwerfen, weil hier erstens mit Waren konkurriert wird, die von andern Ländern mit mindren Produktionsleichtigkeiten produziert werden, so daß das fortgeschrittnere Land seine Waren über ihrem Wert verkauft, obgleich wohlfeiler als die Konkurrenzländer. Sofern die Arbeit des fortgeschrittnern Landes hier als Arbeit von höherm spezifischen Gewicht verwertet wird, steigt die Profitrate, indem die Arbeit, die nicht als qualitativ höhere bezahlt, als solche verkauft wird. Dasselbe Verhältnis kann stattfinden gegen das Land, wohin Waren gesandt und woraus Waren bezogen werden; daß dies nämlich mehr vergegenständlichte Arbeit in natura gibt, als es erhält, und daß es doch hierbei die Ware wohlfeiler erhält, als es sie selbst produzieren könnte. Ganz wie der Fabrikant, der eine neue Erfindung vor ihrer Verallgemeinerung benutzt, wohlfeiler verkauft als seine Konkurrenten und dennoch über dem individuellen Wert seiner Ware verkauft, d. h., die spezifisch höhere Produktivkraft der von ihm angewandten Arbeit als Mehrarbeit verwertet. Er realisiert so einen Surplusprofit.“ (Marx 1983, S. 247 f.)

Das Konzept des ökologisch ungleichen Tauschs hat analog dazu den Austausch von mehr ökologischem Gebrauchswert (oder Naturprodukten) gegen weniger als Grundlage und bezieht sich somit auf die qualitativen Aspekte von Gebrauchswert (vgl. Foster/Holleman 2014, S. 205 und 207). Foster/Holleman (2014, S. 227) definieren ökologisch ungleichen Tausch als „den disproportionalen und unterkompensierten Transfer von Materialien und Energie von der Peripherie zu den Zentren und die Ausbeutung von Umweltraum innerhalb der Peripherie für intensive Produktion und Müllentsorgung.“

Während klassische marxistische Theoretiker wie Otto Bauer von den Unterschieden in der organischen Zusammensetzung des Kapitals von kapitalistisch fortgeschrittenen und rückständigeren Ländern als Ursache für ökonomisch ungleichen Tausch ausgehen, haben spätere AutorInnen wie Arghiri Emmanuel argumentiert, dass die hohen Lohnunterschiede zwischen den Ländern die Ursache seien (vgl. Howard/King 1992, S. 190). Aus diesen Theorien wurden reformistische Konzepte abgeleitet, die zumeist davon ausgehen, dass durch regulative Eingriffe und „Importsubstitution“ in den halbkolonialen Ländern ein gerechter, freier Welthandel erreicht werden könne. Sie beinhalten den Fehler, dass sie ein Symptom (die ungleichen Bedingungen auf dem Weltmarkt) für die (kurierbare) Ursache verkennen. Die ungerechten Weltmarktbedingungen sind jedoch nur die Folge: Nicht die Organisation der Warenzirkulation ist das Entscheidende, sondern die Form der Kapitalakkumulation, die ihren Bewegungsschwerpunkt in den imperialistischen Zentren hat. Nur der international koordinierte Kampf gegen die Macht der Konzerne und die mit ihnen verbundenen politischen Mächte kann diese strukturell bedingte Abwärtsspirale der armen Länder brechen. Zu diesem koordinierten Kampf ist nur die international organisierte ArbeiterInnenklasse in der Lage, die sich auch mit denjenigen verbinden muss, die gegen die ökologischen und agrarischen Zerstörungen dieses Systems aufstehen.

Die internationale Arbeitsteilung zu Gunsten der reichen Länder hat eine extreme sozioökologische Ungleichheit zwischen den reichen und den armen Ländern hervorgebracht. Diese unbestreitbare Tatsache ist auf dem Boden des Kapitalismus selbst ein Resultat der von den imperialistischen Zentren bestimmten Kapitalbewegung. Die Problematik bei den Theorien des ökologischen ungleichen Tausches besteht freilich darin, dass sie in der stofflichen Seite des Transfers die Ursache, wenn nicht den Kern des Problems erblicken, daher die begriffliche Scheidung von Gebrauchswert und Wert/Tauschwert aufgeben und verwässern und damit einen Schritt zurück hinter die Errungenschaften der Marx’schen Theorie darstellen. Dies trifft auch auf die Arbeiten von Foster/Holleman (2014) zu, wie ihr positiver Bezug auf Howard Odums Konzept von „emergy“ verdeutlicht. Dieses Konzept soll ein gemeinsames energetisches Maß zur Messung von realem Reichtum und Gebrauchswert darstellen, so dass ungleicher Transfer von Gebrauchswert anhand ungleicher Energiebilanzen dargestellt wird. Damit wird freilich selbst ein willkürliches und strittiges Moment zum Vergleich von Gebrauchswerten eingeführt, das Odum und seine SchülerInnen letztlich dazu führt, auf Geld als Maß des Gebrauchswerts zurückzugreifen (und zu einem Streit darum, wie weit und ob das zulässig sei). Die ganze Konfusion ergibt sich jedoch nicht zufällig, sondern daraus, dass versucht wird, eine alternative, gemeinsame Substanz der Werte außerhalb der in den Waren vergegenständlichten gesellschaftlichen Arbeit zu finden.

Typisch für diese Theorien ist dann, ein Hauptaugenmerk auf die Verteilung von Einkommen und Ressourcen zu legen, nicht auf die Bewegung der Kapitalakkumulation. So verweist z. B. Lessenich (2016) darauf, dass die Ungleichheit im Weltmaßstab noch größer als die Ungleichheit zwischen den Reichsten und Ärmsten innerhalb einzelner Länder sei. Solche Verweise haben eine Berechtigung, wenn es darum geht, auf Unrecht und Ungleichheit hinzuweisen. Der Verweis auf „arm“ und „reich“ bezieht sich jedoch nur auf das Verhältnis von EinkommensbezieherInnen. Die ihr zugrunde liegenden Klassenverhältnisse werden ausgeblendet oder tendenziell als nachrangig betrachtet, womit die Ausbeutung von Arbeitskraft in den imperialistischen wie in den halbkolonialen Ländern nicht mehr im Zentrum der Analyse steht.

Lessenich (2016) umschreibt die herrschenden Verhältnisse der internationalen kapitalistischen Produktionsweise mit dem Begriff „Externalisierungsgesellschaft“, Brandt/Wissen (2017) sprechen von „imperialer Lebensweise“. Beide Begrifflichkeiten verfehlen den Kern der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Sie lassen die Machtverhältnisse und die Möglichkeiten, die herrschende Ordnung zu gestalten und zu verändern, außen vor oder räumen ihnen einen untergeordneten Stellenwert ein. Denn die herrschende Gesellschaftsordnung ist im Wesentlichen eine Ordnung im Sinne der herrschenden Klasse, im Kapitalismus eine des Kapitals. Ob erstere mehr oder minder erfolgreich darin ist, untergeordnete, subalterne und ausgebeutete Klassen und Schichten dabei mit einzubeziehen und ihre Ordnung damit zu stabilisieren oder nicht, ändert dieses grundlegende Verhältnis nicht.

Wie Thomas Sablowski (2018) zeigt, blendet die These der „imperialen Lebensweise“ die Klassenfrage letztlich aus. Die meisten Menschen in den imperialistischen Ländern würden Bandt/Wissen zufolge „auf Kosten der Natur und der Arbeitskräfte anderer Weltregionen“ leben. Alle Gesellschaftsmitglieder – von der/dem superreichen KapitalbesitzerIn bis zum/r prekär Beschäftigten oder Langzeitarbeitslosen – wären in eine gemeinsame „Lebensweise“ oder „einheitliche Konsumnormen“ eingebunden, der Unterschied wäre letztlich bloß quantitativ. So problematisch es schon ist, den Armen und Reichen eine gemeinsame „imperiale Lebensweise“ zu unterschieben, so enthält die ganze Theorie eine Reihe falsche politischer Konsequenzen. Erstens wird der Blick auf den individuellen Konsum und weg von der Produktion gelenkt. Zweitens unterstellt die Theorie ein gemeinsames Interesse von AusbeuterInnen und Ausgebeuteten, dem gegenüber der Klassengegensatz in den Hintergrund tritt – und zwar nicht nur in den Zentren, sondern spiegelbildlich natürlich auch in den „peripheren Ländern“. Nicht die Klasse der Lohnabhängigen und deren gemeinsamer internationaler Kampf, sondern entweder individuelles „Ausscheren“ aus der „imperialen Lebensweise“ (z. B. durch Kauf von regionalen Bioprodukten) oder klassenübergreifende und letztlich nationalistische Allianzen in den abhängigen Ländern bilden die politisch fatale, aber logische Folge aus dieser Theorie.

So sehr diese Erklärungen auch das Verdienst haben mögen, den Blick auf wichtige Erscheinungsformen der ökologischen Verheerungen zu werfen, so greifen sie theoretisch zu kurz und führen politisch in eine Sackgasse, ja im Extremfall zu reaktionären Schlussfolgerungen.

Die Ganzheit des globalen kapitalistischen Regimes kann treffender als Imperialismus, bezogen auf die ökologische Frage als ökologischer oder Umweltimperialismus bezeichnet werden. Der Begriff des Imperialismus wurde und wird in der bürgerlichen Theorie heute oft als geopolitischer Begriff verstanden, als Umschreibung des Kolonialismus der europäischen Mächte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts (auch wenn der Schöpfer des Begriffs, der britische linksliberale Ökonom Hobson, die Wurzel des Imperialismus korrekterweise im ökonomischen Expansionsstreben des Kapitals verortete).

Lenin hat in seiner berühmten Schrift über Imperialismus den Begriff weiterentwickelt und marxistisch interpretiert. Der Imperialismus beschreibt ein bestimmtes Entwicklungsstadium des Kapitalismus, in dem sich Finanz- und Industriekapital zu großen Kapitalgruppen vereinen – wobei ersteres die Oberhand über letzteres gewinnt –, die ganze Welt der kapitalistischen Verwertung erschlossen wird und der Kapitalexport der reichen, imperialistischen Länder die Verhältnisse auf den Weltmärkten bestimmt (Lenin 1975 [Original: geschrieben 1916, zuerst veröffentlicht 1917]). Der Imperialismus geht mit einer Aufteilung der Welt unter einige wenige Großmächte einher, die auf einer gewaltigen Konzentration des Kapitals in den imperialistischen Zentren beruht und zu deren Sicherung dient. Die politische Ordnung des Imperialismus schafft Institutionen, die die weltweiten Geschäfte der großen Kapitalgruppen absichern. War dies zu Beginn der imperialistischen Epoche der Kolonialismus, so kann der Imperialismus heute zumeist auf direkte koloniale Verwaltung verzichten. Die weltweiten Verschuldungs-, Währungs- und Investitionsstrukturen erzeugen über Institutionen wie den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank, die internationalen Handelsorganisationen etc. zusammen mit bilateralen Kredit- und Handelsabkommen zumeist genug Druck zur indirekten Herrschaftssicherung. Sollte es dennoch Abweichungen geben, existieren immer noch genug Mittel für militärische, paramilitärische oder politische Interventionen, die zur Unterwerfung führen. Oft genügt aber schon die Androhung von Kapitalabzug oder von Handelssanktionen, verbunden mit Währungs- und Börsenturbulenzen, um das Einlenken ungehorsamer Regierungen zu bewirken. Die Form der Beherrschung hat sich zwar liberalisiert, aber dafür ist die Ausbeutung umso intensiver geworden und hat die ganze Welt in eine immer stärker vernetzte globale Arbeitsteilung eingebunden, die im Interesse der in den imperialistischen Zentren konzentrierten Kapitale funktioniert. Der koloniale Status für die armen Länder wurde daher durch einen halbkolonialen ersetzt.

In seiner Imperialismustheorie verweist Lenin auch schon darauf, dass die imperialistische Ausbeutung mit bestimmten Formen des materiellen Transfers von Kolonie/Halbkolonie zu den imperialistischen Zentren einhergeht. Vor allem aber hebt er gegenüber dem Kolonialismus die zentrale Bedeutung des Kapitalexports hervor.

Suchanek (2020) fasst die Bedeutung des Außenhandels und des Kapitalexports in der Epoche des Imperialismus wie folgt zusammen: 1. Der Import billigerer Lebensmittel und Konsumgüter für die ArbeiterInnenklasse führt zur Senkung des Werts der Ware Arbeitskraft und damit, bei sonst gleichbleibenden Bedingungen, zur Erhöhung des relativen Mehrwerts und der Profitrate. 2. Kapitalexport stellt einen Weg dar, auf die Überakkumulation in den imperialistischen Zentren zu reagieren und überschüssiges Kapital im Ausland zu investieren. 3. Das Kapital aus den imperialistischen Ländern kann sich aufgrund der Konkurrenzvorteile gegenüber den Halbkolonien und Kolonien Extramehrwert aneignen. 4. Durch die geringere organische Zusammensetzung des Kapitals in der Halbkolonie bzw. Kolonie findet ein Werttransfer zu den imperialistischen Unternehmen statt.

Um die ökologische Dynamik des Kapitalismus zu verstehen, muss an diesem Verständnis angeknüpft und die Material- und Energieflüsse zwischen den imperialistischen und halb-/kolonialen Nationen als Teil des imperialistischen Gesamtsystems begriffen werden.

Dies hat notwendigerweise auch Folgewirkungen auf die Klassenstruktur in den imperialistischen Zentren – nicht nur hinsichtlich der Bereicherung der herrschenden Klasse, der oberen Schichten des KleinbürgerInnentums und der Mittelschichten, sondern auch für die ArbeiterInnenklasse. Ein bedeutender Teil der Lohnabhängigen kann über einen Anteil an der Ausbeutung der „Dritten Welt“ integriert werden, über längere Perioden Einkommen erkämpfen, die über den Reproduktionskosten liegen, die eine dem KleinbürgerInnentum ähnliche Lebensweise erlauben, wenn auch oft mit enorm hoher Ausbeutung verbunden (was sich z. B. in der enormen Arbeitsproduktivität und -intensität der Beschäftigen in den Exportindustrien zeigt).

Der Kapitalismus kann sich das nur unter drei Bedingungen leisten: (i) eine ständige Expansion der Kapitalakkumulation, (ii) die Extraktion von Extraprofiten aus armen Ländern und (iii) die systematische Externalisierung seiner sozioökonomischen Auswirkungen. Die soziale Stabilisierung „zu Hause“ durch die Externalisierung negativer sozialer und ökologischer Folgen des Kapitalismus bildet somit ein zentrales, herrschaftsstabilisierendes Element dieses Systems. In den halbkolonialen Ländern werden dafür Rohstoffe geplündert, Landstriche und Wasserressourcen zerstört, Bevölkerungen entwurzelt und zwangsumgesiedelt, Kleinbäuerinnen und -bauern von ihren Felder vertrieben, Wälder gerodet und geplündert. Das kennzeichnet das System des Umweltimperialismus und erklärt das „Umweltparadoxon“.

Foster et al. (2010, S. 370) beschreiben den Umweltimperialismus wie folgt: „Ökologischer Imperialismus bedeutet, dass die schlimmsten Formen der Umweltzerstörung, im Sinne von Plünderung von Ressourcen und Bruch von nachhaltigen Beziehungen zur Erde, vor allem auf die Peripherie anstelle der Zentren fallen. Ökologischer Imperialismus erlaubt imperialistischen Ländern eine Überziehung der ökologischen Tragfähigkeiten (environmental overdraft), die von den Naturressourcen der peripheren Länder zehrt. Während die materiellen Voraussetzungen für Entwicklung zerstört werden, werden Dritte-Welt-Länder mehr und mehr in der Schuldenfalle gefangen, die extraktive Ökonomien auszeichnet. Die Prinzipien des Umweltschutzes, welche die Unternehmen in den entwickelten Ländern teilweise eingeführt haben, um ihren Ressourcenverbrauch bis zu einem bestimmten Punkt zu rationalisieren, wurden nie in demselben Ausmaß in der Dritten Welt angewandt, welcher der Imperialismus eine offene ,Nach mir die Sintflut’-Philosophie auferlegt hat.“

Vandava Shiva beschreibt z. B. in einem Interview von 2011 sehr anschaulich, welche Auswirkungen der Umweltimperialismus in Indien hat und dass das vorherrschende, kapitalistische Wachstum nicht nur zu Umweltzerstörung, sondern auch zu einem Anstieg der Armut führt: „Denn Wachstum misst nur kommerzielle Transaktionen und externalisiert die Zerstörung der Natur sowie der Lebens- und Existenzgrundlagen der Armen. Wachstum ist de facto ein Prozess, der Armut hervorbringt und verschlimmert. Es ist keine Lösung für Armut.“ Ländliche Kleinbäuerinnen und -bauern werden u. a. durch Aluminium- und Stahlwerke enteignet und vertrieben und enden in den riesigen Slums der Großstädte, in denen sie wiederum durch die Immobilienspekulation, die eine Minderheit von Superreichen noch reicher macht, erneut vertrieben werden. Der Staat hilft durch Gesetzgebung und Militäraktionen kräftig nach.

Um an die leninistische Imperialismustheorie anzuknüpfen, fällt die Entstehung des Umweltimperialismus mit der Herausbildung des imperialistischen Stadiums des Kapitalismus ca. um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zusammen. Es handelt sich dabei nicht um ein eigenes oder neues Stadium des Imperialismus – vielmehr bildet er von Beginn an einen Teilaspekt des ökonomischen Imperialismus, entwickelt sich mit diesem Hand in Hand. Da die Ökonomie auf der stofflichen und energetischen Basis der Natur beruht, führt die Ausbeutung der Menschen auch zur Ausbeutung der Natur – und umgekehrt.

Foster und Clark (Foster et al. 2010, S. 352 ff.; siehe auch Foster/Clark 2009) charakterisieren die Überausbeutung von Guano (einem natürlichen Dünger) in Peru im 19. Jahrhundert durch Großbritannien und andere europäische Mächte als klassisches Beispiel für ökologischen bzw. Umweltimperialismus. So gut dieses Beispiel auch geeignet ist, die Praxis der ökologischen Plünderung mit all ihren Folgen (inkl. der Überausbeutung von ArbeiterInnen und Krieg) zu illustrieren, so handelt es sich doch um eine methodische Ungenauigkeit. Wie der Kolonialismus bereits vor dem Kapitalismus entstand, gab es auch ökologische Plünderung durch kapitalistische Mächte vor der imperialistischen Epoche.

Marx (1962, S. 779) schreibt in Bezug auf die sogenannte ursprüngliche Akkumulation: „Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika, die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingebornen Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Geheg zur Handelsjagd auf Schwarzhäute bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära. Diese idyllischen Prozesse sind Hauptmomente der ursprünglichen Akkumulation.“

In Anlehnung an diese Analyse bezeichnen die ökologischen Plünderungen im 19. Jahrhundert wie der Guanoausbeutung die Morgenröte der Ära des Umweltimperialismus, der sich im 20. Jahrhundert mit der Entstehung des Imperialismus auf die gesamte Welt ausbreitete.

Dabei stellt der Imperialismus nicht nur eine quantitative Steigerung der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und der damit einhergehenden Umweltzerstörung dar, sondern führte auch zu einer qualitativen Veränderung in den Ökonomien der peripheren Länder. Er führte und führt – wie bereits erwähnt – zu einer ungleichzeitigen und  kombinierten Entwicklung, in der einerseits industrielle Produktionen in diese Länder ausgelagert und z. B. Teile der Landwirtschaft massiv industrialisiert wurden, andererseits halbfeudale Strukturen nach wie vor fortbestehen.

Der Imperialismus hatte für die imperialisierte Welt immer schon verheerende sozioökologische Auswirkungen. Die Art der imperialistischen Ausbeutung hat sich jedoch verändert: Anfänglich waren Kolonialgesellschaften, Aktiengesellschaften für bestimmte Ausbeutungsprojekte, große Schuldverschreibungen an bestimmte Staaten etc. vor allem an der extensiven Ausbeutung ganz bestimmter Reichtümer ausgerichtet. In der Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dies durch direkte Investitionen und Zweigstellen der großen Kapitale in der halbkolonialen Welt ergänzt. Inzwischen wurde die extensive Ausbeutung durch ein System der intensiven Ausbeutung in einer von den großen Kapitalen global ausgerichteten Arbeitsteilung weiterentwickelt. Flexible Finanzströme erlauben die rasche Verlagerung von Produktions- und Handelsströmen gemäß den Ausbeutungsbedingungen. Direkte Zweigstellen wurden durch Ketten von indirekt abhängigen Zulieferbetrieben abgelöst. Immer größer konzentrierte Kapitalgruppen kontrollieren unüberschaubare Netze von untergeordneten Firmengruppen, die weltweit vernetzt sind.

So wird der weltweite Agrarmarkt für Sojaöl, -mehl, -bohnen, Palm- und Rapsöl, Mais, Weizen, Grobgetreide und Zucker heute von fünf Großkonzernen aus den USA, den Niederlanden und China kontrolliert, die allein auf sich 70 % des Weltmarktes konzentrieren (Herre 2017, S. 26). Diese beherrschen nicht nur die Marktbedingungen für Zuliefer- und AbnehmerInnen, sondern können sich auch über Warenterminbörsen und ihre Derivate gegen Marktschwankungen absichern, ganz im Gegensatz zu den von Preisschwankungen betroffenen Bevölkerungen. Dabei sind die Rohprodukte nur noch das grundsätzliche Standbein der Konzerne, während die Weiterverarbeitung nicht nur für Lebensmittel zur viel interessanteren Gewinnquelle geworden ist (z. B. wird Palmöl auch für Reinigungsmittel, Kosmetik und zur Energiegewinnung genutzt). Ähnliche Konzentrationsprozesse finden sich auch bei der Fleischindustrie, Agrartechnologie und Lebensmittelkonzernen. Darüber hinaus wird die Agrarproduktion immer stärker von Pharmaunternehmen (Saatgutindustrie) und Chemiekonzernen (Pestizide, Gentechnik) bestimmt. Mit der Fusion von Bayer und Monsanto wird der Weltmarkt für Saatgut und Pestizide unter nur mehr 4 Großkonzerne aufgeteilt. Insgesamt führen diese Konzentration und globale Ausrichtung von Agrar- und Lebensmittelindustrie zu einer katastrophalen sozioökologischen Schieflage. Z. B. hat die globale Konzentration der Agroproduktion zu einer Vernichtung der agrarischen Selbstversorgung ganzer Regionen u. a. in Lateinamerika und Afrika geführt, die abhängig von den Importen billiger Agrarprodukte der weltweiten Agroindustrie geworden sind. Erschütterungen der Weltagrarmärkte – wie z. B. nach 2009, als alle wesentlichen Agrarpreise sich in kurzer Zeit verdoppelten – führen sofort zu massiven Versorgungsproblemen und Hungerkatastrophen.

Diese Aufzählung von Konzentrationsprozessen lässt sich auch in Bezug auf die extraktiven Industrien wie z. B. Bergbau und Energie fortführen. Mit ihren Großplantagen zum Anbau von Pflanzen für Energiegewinnung oder als Rohstoffe für die verarbeitende Industrie überschneiden sich Agro- und klassische Industrie auch zunehmend. Ob durch die Agroindustrie, Energie- und Bergbau oder Fleischindustrie – die von wenigen großen Konzernen für ihre Kapitalverwertung beherrschten und übernutzten Flächen steigen jährlich in atemberaubendem Tempo.

Unter dem Deckmantel der „Green Economy“ und des „Green New Deal“ entwickeln sich mittlerweile neue Formen des Umweltimperialismus unter ökologischen Vorzeichen. Dazu gehört z. B. die Aneignung von Wäldern, Ländern und anderen Ressourcen in halb-/kolonialen Ländern durch internationale Konzerne als Ausgleichsmaßnahmen für Umweltzerstörung (siehe auch die Kritik am CDM und dem REDD-Programm im Kapitel zur Green Economy). Auch der Emissionshandel könnte in besonderem Maße zu einer neuen Form des Umweltimperialismus führen. Bruno Kern (2019, S. 105) verweist darauf, dass der Zertifikatehandel die Kapitalkonzentration beschleunigen könnte: „Die Wirkweise der Marktkräfte könnte so dafür sorgen, dass sich die Verschmutzungslizenzen in den Händen weniger großer Firmen konzentrieren.“ Bei einem funktionierenden internationalen Emissionshandelssystem liegt die imperialistische Komponente auf der Hand: „Reiche Industrieländer mit hoher Kaufkraft könnten durch das Aufkaufen von Verschmutzungsrechten die globale soziale Kluft erheblich verstärken und sich auf Kosten der ärmeren Länder das Recht auf überproportionale Verschmutzung sichern.“

Alle Proteste der Betroffenen in den Halbkolonien gegen die Projekte der großen Agro-, Saatgut-, Bergbau-, Energieunternehmen etc. führen sofort zum Auftreten der internationalen GeldgeberInnen und Institutionen, die die Regierungen vor Ort dann meist als willige Vollzugsorgane vorfinden. Ob Proteste gegen Staudammprojekte, Landvertreibungen, Preis- und Abnahmediktaten bei Saatgut, Dünge- oder Lebensmitteln, gegen massive Rodungen z. B. im Interesse der Fleischindustrie etc. – überall hier zeigt der Umweltimperialismus sein wahres, brutales und repressives Gesicht. In den imperialistischen Zentren wird die tatsächlich betriebene Raubbaupolitik dann mit zynischen Kampagnen über angeblich „nachhaltige“ und für die Menschen vor Ort gerechte Produktion verbunden. Ökosiegel und Alibi-Ökoprojekte der Großkonzerne sind zumeist nichts anderes als „green washing“ für imperialistische Ausbeutung und Zerstörung. Nur eine Zerschlagung der Macht der großen internationalen Konzerne könnte es den Kleinbauern/-bäuerinnen und Landlosen in der semikolonialen Welt ermöglichen, zu einem Ausgleich zwischen notwendiger Selbstversorgung der einheimischen Bevölkerung und den inzwischen erreichbaren Standards für ökologisch nachhaltige Landwirtschaft zu kommen (z. B. durch regional selbst erzeugtes und gemeinschaftlich verwaltetes Saatgut).

Lenin hat im Zusammenhang mit seiner Imperialismustheorie auch auf die Bildung einer privilegierten Schicht in den imperialistischen Ländern innerhalb der ArbeiterInnenklasse, der sog. Arbeiteraristokratie, hingewiesen. Diese ArbeiterInnenaristokratie wird in besonderem Maße in das weltweite System des Imperialismus einbezogen und profitiert von guten, sich verbessernden Arbeitsbedingungen und steigenden Löhnen. Sie ist die Basis für einen weitverbreiteten Reformismus und eine ArbeiterInnenbürokratie in den imperialistischen Ländern und einigen entwickelteren Halbkolonien. Die ArbeiterInnenbewegung kann sich nicht internationalisieren und ihr revolutionäres Potential entfalten, solange sie von diesen reformistischen Strömungen dominiert ist.

Grundsätzlich unterminiert die Entwicklung des Kapitalismus heute die Stellung der ArbeiterInnenaristokratie in den imperialistischen Zentren, was einerseits den Nährboden für Konflikte und Klassenkampf, andererseits auch für reaktionäre populistische und nationalistische Lösungen bilden kann. Um diese Schichten wie die ArbeiterInnenklasse überhaupt für den Kampf um ihre unmittelbaren Interessen wie für eine Lösung der ökologischen Fragen zu gewinnen, muss freilich der sich objektiv verschärfende Klassenwiderspruch auch politisch zugespitzt werden.

An dieser Stelle müssen wir auf unsere Kritik des Konzepts der imperialen Lebensweise zurückkommen. Diese TheoretikerInnen behaupten, dass auch die unteren Schichten in den reichen Ländern von der Verschiebung gewaltiger Ausbeutungs- und Umweltprobleme erfolgreich z. B. durch die günstigen Preise von Konsumgütern aller Art profitieren würden. Dadurch könnten die Ärmeren in den reichen Ländern ihren Lebensstandard – bzw. genauer gesagt: Konsumstandard – steigern. „So wäre es ohne die auf Kosten von Mensch und Natur andernorts hergestellten und ebendeshalb billigen Lebensmittel womöglich weitaus schwieriger gewesen, die Reproduktion der unteren Gesellschaftsschichten des globalen Nordens auch angesichts der tiefen Wirtschaftskrise seit 2007 zu gewährleisten.“ (Brand/Wissen 2017, S. 13)

Natürlich hat die Senkung der Lebenshaltungskosten durch günstigere Konsumgüter auch einen stabilisierenden Aspekt. Vor allem aber erlaubte diese – und zwar nicht erst seit 2007, sondern während der gesamten Globalisierungsperiode –  eine Senkung des Werts der Ware Arbeitskraft in den imperialistischen Ländern. Diese hatte die Ausweitung des Billiglohnsektors sozial erleichtert, mit zur Schaffung eines Millionenheeres von Working Poor beigetragen und zur Steigerung der Ausbeutungsrate in den imperialistischen Ländern!

Hier zeigen sich die reaktionären und antiproletarischen Seiten der „Theorie“ von der imperialen Lebensweise, indem die Erhöhung der Ausbeutungsrate der Lohnarbeit zu einem „Transfer“, nicht zugunsten des Kapitals, sondern der ArbeiterInnenklasse umgedichtet wird. Denken wir diese Annahme logisch zu Ende, so wäre jeder Lohnkampf, jeder Kampf gegen Hartz IV usw. letztlich einer für einen höheren Anteil an der Ausbeutung der halbkolonialen Welt und bloß ein Streit unter allen, die einer „imperialen Lebensweise“ frönen würden.

Der Begriff „imperiale Lebensweise“ von Brand/Wissen (2017) suggeriert, dass die ArbeiterInnenklasse in den imperialistischen Ländern selbst zu einem Teil der herrschenden Klasse geworden sei. Das ist sie aber nicht. Sie stellt bloß einen im internationalen Kontext des globalen Kapitalismus relativ privilegierten Teil der unterdrückten und ausgebeuteten Klasse dar. Um den Kapitalismus zu bekämpfen, ist es zentral, diese Zusammenhänge und Mechanismen des Imperialismus und deren Wirkungen auf die ArbeiterInnenklassen sowohl in den imperialistischen, in den sog. Schwellenländern als auch in den Halbkolonien zu verstehen. Die ArbeiterInnenklasse des Nordens muss den Kampf gegen den sozioökologischen Raubbau im Süden als ihren aufgreifen, bei dem es letztlich um das Überleben der gesamten Menschheit geht. Wenn Menschen zu tausenden aufgrund dieses Raubbaus aus dem Süden in den Norden fliehen, heißt es schnell: „Fluchtursachen bekämpfen“. Tatsächlich bildet die eigentliche Ursache der Imperialismus, und solche Phänomene, bei denen die Auswirkungen dieses imperialistischen Systems vor aller Augen sichtbar werden, müssen zu der Schlussfolgerung führen, dass dieses insgesamt bekämpft werden muss. Jedes Programm im Kampf gegen den Imperialismus muss daher von den Betroffenen und den globalen Interessen der ArbeiterInnenklasse ausgehend auch zentral Forderungen zum Kampf gegen den weltumspannenden ökologischen Raubbau zu Lasten vor allem der Halbkolonien entwickeln.

Der grundlegende Widerspruch zwischen Kapitalismus und Umwelt

Eine nachhaltige Wirtschaftsweise ist im Kapitalismus unmöglich. Jede/r einzelne KapitalistIn sowie das Gesamtsystem sind zu der permanenten Steigerung der Kapitalakkumulation gezwungen. Foster et al. (2010, S. 201) bezeichnen diesen Zwang als „Tretmühle der Akkumulation“. Im herrschenden Diskurs wird Akkumulation allgemein als Wachstum bzw. Wirtschaftswachstum bezeichnet. Dahinter verbirgt sich ein grundlegendes Missverhältnis zwischen Gebrauchs- und Tauschwert. Im Kapitalismus werden Waren, Güter und Dienstleistungen nicht primär hergestellt, um Bedürfnisse zu befriedigen, sondern um Wert anzueignen. Der in einer Ware vergegenständlichte Wert (Tauschwert) ergibt sich aus der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit, die zu ihrer Produktion notwendig ist. Das bedeutet, dass dieser Wert abhängig von der sich gesellschaftlich durchsetzenden Produktivität der Arbeit ist. Die Natur geht in die Bestimmung des Tauschwertes nur insofern als „Kostenfaktor“ ein, wenn menschliche Arbeitskraft notwendig ist, um sie nutzbar zu machen (z. B. die notwendige Arbeit zur Extraktion eines Rohstoffes). Die von menschlicher Arbeitskraft unabhängige Natur wird im Kapitalismus als Quelle von Wert ausgeschlossen (vgl. Foster/Holleman 2014, S. 216). Die Reproduktion von Arbeitskraft oder Natur ist dieser Frage der möglichst günstigen Produktion der Waren untergeordnet. Die Produktion dient nicht der Reproduktion, sondern umgekehrt: Die Reproduktion der ArbeiterInnen und der Natur wird nur anerkannt, insofern sie der Produktion von Mehrwert für das Kapital dient.

Darüber hinaus besteht im Kapitalismus als der Produktionsweise der verallgemeinerten Warenproduktion der Hauptzweck der Produktion nicht mehr nur in der Produktion von Wert an sich, sondern vor allem von Mehrwert. Die Mehrarbeit über die zur Reproduktion der Arbeitskraft notwendige Arbeit hinaus vergegenständlicht sich in diesem Mehrwert, der zur Quelle des Profits für das investierte Kapital wird. Damit wird für das Kapital der Produktionsprozess zum Verwertungsprozess. Im Gegensatz zu früheren Produktionsweisen resultiert daraus im Kapitalismus ein schrankenloses Bedürfnis nach Mehrarbeit: „Indes ist klar, daß, wenn in einer ökonomischen Gesellschaftsformation nicht der Tauschwert, sondern der Gebrauchswert des Produkts vorwiegt, die Mehrarbeit durch einen engern oder weitern Kreis von Bedürfnissen beschränkt ist, aber kein schrankenloses Bedürfnis nach Mehrarbeit aus dem Charakter der Produktion selbst entspringt.“ (Marx 1962, S. 250)

Dies bestimmt das Wesen der Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus. Produktivitätsfortschritt aus Sicht des Kapitals bedeutet, weniger Arbeitskraft für dieselbe Produktionsmenge einsetzen zu müssen als die Konkurrenz. Dies erlaubt es, entweder (a) bei gleichbleibenden Preisen einen größeren Teil des gesellschaftlich produzierten Mehrwerts anzueignen (Werttransfer in Richtung produktiveres Kapital), oder (b) durch niedrigere Preise die Konkurrenz aus dem Markt zu drängen (Konzentration des Kapitals). Pro Stück wird durch die Reduktion eingesetzter Arbeitskraft gegenüber dem notwendigen Einsatz von Maschinen und Rohstoffen dabei jedoch immer weniger Mehrwert erzielt, was zu einem tendenziellen Fall der Profitrate führt. Als Folge ist das Kapital zur ständigen Ausweitung der Produktion gezwungen, um den relativen Fall der Profitrate mit einem absoluten Wachstum der Profitmasse auszugleichen. Daher ist das Kapital aus seinem Wesen als Verwertungs„maschine“ heraus zu beständigem Wirtschaftswachstum gezwungen. Durch jeden Einbruch dessen muss die Tendenz zum Fall der Profitrate sofort in eine Verwertungskrise des Kapitals umschlagen.

Das Kapital muss beständig Auswege aus dem Fall der Profitrate suchen. Neben der Tendenz zur Kapitalkonzentration und der Erschließung billiger Finanzierungsquellen (z. B. Aktienkapital), zählen hierzu u. a. Methoden der Intensivierung von Arbeit und zur Einsparung bei den materiellen Grundlagen der Produktion („konstantes Kapital“, z. B. Energie- und Rohstoffquellen). Das Kapital ist daher auch zur rücksichtslosen Ausnutzung möglichst kostengünstig anzueignender Umweltressourcen gezwungen, um Verwertungskrisen zu vermeiden – und wälzt somit seine Verwertungsprobleme als langfristige Kosten von Umweltzerstörung auf „die Allgemeinheit“ ab.

Die kapitalistische Wirtschaft, die sogenannte Marktwirtschaft, ist auf globaler Ebene ineffizient, was die Verteilung von Waren und Dienstleistungen anbelangt. Gerne wird auf die sehr viel höhere Effizienz einer Marktwirtschaft im Vergleich zu den bürokratischen Planwirtschaften des „real existierenden Sozialismus“ hingewiesen. Im globalen Maßstab allerdings – und der Kapitalismus kann nur global verstanden und beurteilt werden – funktioniert die Verteilung extrem schlecht und ungerecht: Diejenigen, die bereits sehr viel haben, bekommen ständig mehr, während diejenigen, die fast nichts haben, nach wie vor am Existenzminimum und oft auch darunter verharren. Die kapitalistische Wirtschaft – und mit ihr der Großteil des produktiven und kreativen Potentials der ArbeiterInnen – ist weit mehr damit beschäftigt, ständig neue Feinheiten für die zahlungskräftigen Mittel- und Oberschichten zu entwickeln und zu vermarkten, als die grundlegenden Probleme der Welt zu lösen. Und selbst in den imperialistischen Zentren nimmt der Lebensstandard großer Teile der ArbeiterInnenklassen seit Jahrzehnten tendenziell ab.

An diesem grundlegenden Verhältnis ändert auch der wirtschaftliche „Aufstieg“ der sog. Schwellenländer nichts. Länder wie Brasilien, Mexiko oder Indien können ihre strukturelle Abhängigkeit und Unterordnung innerhalb der globalen Ökonomie nicht überwinden. Mit einer Änderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schlittern diese Länder schnell wieder in eine heftige Krise und die bescheidenen Verbesserungen für die ArbeiterInnenklassen und das KleinbürgerInnentum, die in Zeiten des Exportbooms tendenziell erreicht werden können, stehen damit ständig auf dem Spiel (während die gewaltigen Privilegien der Eliten geschützt werden). Zur Überwindung der Krise greifen die Regierungen dieser Länder dann zu den altbewährten Mitteln: einer Intensivierung der Ausbeutung und der Exporte zulasten der ArbeiterInnen, Kleinbauern/-bäuerinnen, der traditionellen Bevölkerungen und – nicht zuletzt und damit zusammenhängend – der Umwelt.

Die große Ausnahme in diesem Szenario stellt China dar. (Zora 2020) Das Land hat es aufgrund spezieller politischer und ökonomischer Konstellationen geschafft, selbst in den erwählten Kreis der imperialistischen Länder aufzusteigen. China hat systematisch daran gearbeitet, produktive Sektoren und die industrielle Entwicklung im eigenen Land zu verankern, zu festigen und zu fördern. Gleichzeitig ging mit der Entwicklung des chinesischen Kapitalismus eine Umweltzerstörung und –inwertsetzung einher, deren Ausmaß in der Kürze der Zeit in der Geschichte der Menschheit vermutlich einzigartig ist. Heute hat China begonnen, selbst daran zu arbeiten, Kapital und negative sozioökologische Auswirkungen in andere Länder und Regionen zu exportieren, auch wenn es das diesbezügliche Niveau der klassischen imperialistischen Länder noch nicht erreicht hat.

Der Zwang zur permanenten Steigerung der Kapitalakkumulation bewirkt, dass sich der Kapitalismus ständig einerseits revolutionieren und andererseits ausdehnen muss. Nie wurde das besser auf den Punkt gebracht als im Kommunistischen Manifest: „Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. Unveränderte Beibehaltung der alten Produktionsweise war dagegen die erste Existenzbedingung aller früheren industriellen Klassen. Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus. [ … ] Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.“ (Marx/Engels 1988 [Original: 1848], S. 48 f.) Wie Lessenich (2016, S. 41 f.) anmerkt, gilt dieses Bedürfnis nicht nur für neue Territorien, sondern auch für weitere Möglichkeiten, die Verwertung des Kapitals auszuweiten wie z. B. die Ausdehnung auf neue Wirtschaftszweige (Privatisierung), für neue Personengruppen und -kategorien, die als Arbeitskräfte in (weltweite) Produktionsketten eingegliedert werden, für Fähigkeiten und Eigenschaften dieser Arbeitskräfte oder für neu zu erschließende profitable Geschäftsfelder (z. B. Gentechnik oder Biotechnologie).

Die permanente Steigerung der Kapitalakkumulation bedeutet aber nicht nur eine äußerliche, rein quantitative Ausdehnung der Profitwirtschaft auf immer mehr Territorien und Wirtschaftszweige, sondern auch eine qualitative Umwälzung der Arbeitsprozesse selbst. Marx spricht davon, dass ab einem gewissen Entwicklungsstand der Kapitalakkumulation „an die Stelle der formellen die reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital [tritt]“ (Marx 1962, S. 533). Dies bedeutet, dass bei neu vom Kapital erfassten Bereichen dieses zunächst nur als Käufer und Verkäufer von Waren und Arbeitskräften auftritt, den Arbeitsprozess selbst aber erstmal so weiter laufen lässt wie bisher (formelle Subsumtion). Die Profitabilitätszwänge des Kapitals führen jedoch früher oder später dazu, dass das Kapital beginnt, den Arbeitsprozess zu zerlegen, neu zu organisieren, zu rationalisieren, nach Kosteneinsparungen zu suchen, gewisse Arbeitsprozesse auszulagern, andere zu automatisieren, nach billigeren Rohmaterialien zu suchen etc. D. h. das Kapital beginnt, den Arbeitsprozess selbst in allen seinen Aspekten und Eingangsstoffen nach seinen Prinzipien zu organisieren und zu intensivieren (reelle Subsumtion).

So wird eine umfassende Wertschöpfungskette geschaffen von der kostengünstigen Rohstoffaneignung, über ausbeuterische Zulieferbetriebe, logistische Optimierung von Endfertigung und dazwischen liegendem Transport bis zu ebenso ausbeuterischen Verkaufs- und Auslieferbetrieben hin zu den EndkundInnen. In dieser Intensivierung und Verwissenschaftlichung der Verwertungsprozesse kommen natürliche Reproduktionssysteme im Wesentlichen als zu minimierende Kostenfaktoren und verwertungskonform zu erschließende Quellen für die Expansion der Produktion vor. Wenn hier von „Nachhaltigkeit“ die Rede ist, dann nur, insofern sie die Kostenziele insgesamt nicht wesentlich berührt und dann als billige Marketingstrategie verwendet werden kann. Natürlich können Umweltgesetzgebungen und Imageprobleme dazu führen, dass KapitalistInnen reagieren müssen. In diesem Fall fällt eine bestimmte Form von Produktivitätssteigerung auch für die Konkurrenz zeitweise aus – bis man entsprechende Schlupflöcher durch Produktionsverlagerung oder Gesetzesänderungen durch Lobbyarbeit etc. gefunden oder erreicht hat.

Auch wenn es den Kapitalismus historisch kennzeichnet, dass er nicht erschlossene Territorien oder Bereiche der Kapitalverwertung unterordnet, so sollte diese „Inwertsetzung“ von bisher nicht genutzten Ressourcen für die Kapitalverwertung nicht absolut gesetzt werden: Mit Bezug auf Rosa Luxemburg behaupten (vor allem feministische) ReproduktionstheoretikerInnen, die fortgesetzte Kapitalakkumulation würde ein beständiges nichtkapitalistisches „Außen“ erfordern, das erst die Kapitalreproduktion auf immer erweiterter Stufenleiter ermögliche. Marx hat dagegen im zweiten Band des „Kapital“ im Schema der erweiterten Reproduktion (Marx 1963) gezeigt, dass das Kapital, sobald es an die Grenzen des rein expansiven, einfachen Wachstums stößt, durch Wechsel zu intensivem, sogar zu beschleunigtem Wachstum fortschreitet. Durch Investieren in die Ausweitung der Produktion mithilfe der geschilderten Methoden der Subsumtion unter Verwertungsprinzipien schafft sich das Kapital gleichzeitig die Nachfrage für die steigende Kapitalakkumulation selbst. Dadurch werden auch neue, nichtkapitalistische Bereiche für die Inwertsetzung und damit für extensive Akkumulation erschlossen (z. B. Rohstoffe, Arbeitsbereiche, Techniken etc., die bisher für die Kapitalverwertung nicht von Interesse waren). Damit verschiebt sich die „Grenze“ der Kapitalexpansion in jedem Kapitalverwertungszyklus neu. Der Kapitalismus definiert sich sein „Außen“ immer wieder von Neuem selbst.

Die Steigerung der Kapitalakkumulation ist historisch eindeutig mit dem Verbrauch einer immer größeren Material- und Energiemenge gekoppelt. Zwar gibt es Diskussionen, wonach es für hochentwickelte kapitalistische Ökonomien möglich sei, das Wirtschaftswachstum – sprich die Kapitalakkumulation – vom steigenden Verbrauch von Ressourcen und Energie zu entkoppeln. Die Mechanismen des Umweltimperialismus lassen es auf den ersten Blick sogar so erscheinen, als sei eine solche Entkoppelung in einigen fortgeschrittenen Ökonomien tatsächlich gelungen. So sinken in Deutschland z. B. der Primärenergie- sowie der direkte Ressourcenverbrauch, der sog. abiotische direkte Materialeinsatz, seit 1990, während das Bruttoinlandsprodukt ansteigt. Der abiotische direkte Materialeinsatz erfasst jedoch nicht die Ressourcen, die im Ausland gewonnen und verarbeitet werden, um nach Deutschland exportierte Halb- oder Fertigwaren zu produzieren. Werden diese mit einbezogen, dann ergibt sich ein anderes Bild. Zwischen den Jahren 1994 und 2015 stiegen die Einfuhren an Fertigwaren um 109 %, während die von Halbwaren um lediglich 12 % zunahmen. Die Importe von Rohstoffen erhöhten sich um 23 %. Im selben Zeitraum sank die Gewinnung von Energieträgern in Deutschland um 30 %, während die Importe um 43 % anstiegen. Auch die Importe von Erzen und ihren Erzeugnissen (überwiegend Metallwaren) stiegen um 46 % an, während z. B. die inländische Gewinnung von mineralischen Baurohstoffen um 34 % sank (Umweltbundesamt 2017b). Das Umweltbundesamt (UBA) schlussfolgert: „Die starken Anstiege der Fertigwaren gelten gleichermaßen für metallische Güter wie auch für Produkte aus fossilen Energieträgern, etwa Kunststoffe. Mit dem zunehmenden Import von Fertigwaren werden rohstoffintensive Herstellungsprozesse mitsamt den meist erheblichen Umwelteinwirkungen der Rohstoffgewinnung und -aufbereitung verstärkt ins Ausland verlagert.“ (Ebenda) Werden die Im- und Exporte in die Statistik mit einbezogen, was in dem Indikator Rohstoffverbrauch der Fall ist, dann ist dieser für Deutschland nicht nur deutlich höher als der direkte Materialeinsatz, sondern hat auch zwischen 2000 und 2011 um ca. 2 % zugenommen. Da das BIP im selben Zeitraum deutlich stärker zunahm, stieg die sog. Gesamtrohstoffproduktivität (relative Entkopplung), es konnte jedoch keine absolute Entkopplung erreicht werden. Für den Energieverbrauch stellt das UBA keine analoge Statistik, unter Berücksichtigung der Im- und Exporte, für Deutschland zur Verfügung.

Die Natur erscheint im Kapitalismus als reine Ressource zur Vermehrung von Kapital, als notwendige Variable im Akkumulationsprozess. In der klassischen bürgerlichen Ökonomie sowie in der Neoklassik werden natürliche Ressourcen und Senken als „kostenfreie Geschenke“ angenommen, die es auszubeuten gilt (Foster et al. 2010. S. 61). Auch Marx wurde oft vorgeworfen, dass er mit seiner ökonomischen Theorie den Wert einer Ware rein auf die in ihr enthaltene menschliche Arbeit reduziert und deshalb die ökologische Basis der Ökonomie außer Acht gelassen habe. Foster et al. (2010, S. 61 f.) haben gezeigt, dass dieser Vorwurf auf einer Verwechslung von Wert und Reichtum basiert, die in der bürgerlichen Ökonomie als Synonyme verwendet werden. Nicht so jedoch bei Marx: „Der Mensch kann in seiner Produktion nur verfahren, wie die Natur selbst, d. h. nur die Formen der Stoffe ändern. Noch mehr. In dieser Arbeit der Formung selbst wird er beständig unterstützt von Naturkräften. Arbeit ist also nicht die einzige Quelle der von ihr produzierten Gebrauchswerte, des stofflichen Reichtums. Die Arbeit ist sein Vater, wie William Petty sagt, und die Erde seine Mutter.“ (Marx 1962, S. 57 f.) In diesem Sinne kritisiert Marx in seiner Kritik am Gothaer Programm der SPD die Behauptung, dass die Arbeit die Quelle allen Reichtums sei: „Die Arbeit ist nicht die Quelle alles Reichtums. Die Natur ist ebensosehr die Quelle der Gebrauchswerte (und aus solchen besteht doch wohl der sachliche Reichtum!) als die Arbeit, die selbst nur die Äußerung einer Naturkraft ist, der menschlichen Arbeitskraft.“ (Marx 1973, S. 15, Hervorhebungen im Original).

Ohne Zweifel war der Kapitalismus sehr erfolgreich darin, Gebrauchswerte in großer Masse zu produzieren und in diesem Sinne ein großer historischer Fortschritt gegenüber vorkapitalistischen Produktionsformen. Er hat die Grundlage dafür gelegt, materiellen Mangel und Not auf der Welt für alle Menschen zu überwinden. Doch mit seiner zunehmenden Entwicklung hat sich ein grundlegendes Missverhältnis zwischen Gebrauchs- und Tauschwerten eingestellt. Letztere werden zunehmend auf Kosten ersterer produziert und hergestellt. So führt z. B. die zunehmend massenhafte Produktion von Fleisch für eine kaufkräftige Minderheit auf der Welt zu einer enormen Profitmasse für die immer mehr monopolisierten ProduzentInnen, richtet gesamtgesellschaftlich gesehen jedoch immensen Schaden an, da sie mit zunehmender Umweltzerstörung und extremer Ausbeutung von Mensch und Tier einhergeht und dabei den Hunger eines großen Teils der Menschheit nicht verringert oder sogar verschärft. Noch offensichtlicher ist dieses inverse Verhältnis zwischen Gebrauchs- und Tauschwert z. B. bei der Rüstungsproduktion.

Dieses Missverhältnis ändert sich auch nicht in der neuen, grünen Ökonomie. Um eine nachhaltige Wirtschaftsweise zu erreichen, ist aber genau seine Überwindung notwendig. Das ist im Kapitalismus unmöglich. Durch die permanente Steigerung der Kapitalakkumulation wird erstens sichergestellt, dass sich die Profite des Kapitals allgemein ständig vermehren können (auch wenn natürlich einzelne KapitalistInnen immer auf der Strecke bleiben). Zweitens werden dadurch die Mechanismen des Umweltimperialismus aufrechterhalten. Die sog. Postwachstumstheorien gehen fälschlich davon aus, dass der Zwang zur Kapitalakkumulation innerhalb des Kapitalismus überwunden werden könne. Was sie dabei ausblenden oder ignorieren, ist, dass ohne permanente Steigerung der Kapitalakkumulation der Kapitalismus noch vermehrt Massenarbeitslosigkeit und -armut verursachen würde, auch und vor allem in den imperialistischen Zentren. So kann in dieser Produktionsweise selbst bei steigender Kapitalakkumulation Arbeitslosigkeit entstehen oder zunehmen, z. B. durch Automatisierung und Rationalisierung. Wachstum ist also keine hinreichende Bedingung oder Garantie dafür, dass sich Arbeitslosigkeit verringert, jedoch eine notwendige Voraussetzung für das stabile Fortschreiten des Systems.

Damit im Zusammenhang steht, dass im Kapitalismus als einzige Möglichkeit zur Steigerung der Lebensqualität der Menschen die ihrer Konsumfähigkeit erscheint. Das Bedürfnis, immer mehr zu konsumieren, wird gleichzeitig durch Werbung und Ideologie beständig gefördert. Foster et al. (2010, S. 398) argumentieren, dass während Gebrauchswerte authentische Bedürfnisse widerspiegeln und diese ein Limit zur Befriedigung haben, in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft die Menschen zunehmend dazu gebracht werden, stattdessen symbolische Werte wertzuschätzen und zu konsumieren, die von sich aus grenzenlos sind. Das wird z. B. deutlich an der hohen Bedeutung von Marken bei Textilien oder anderen Konsumgütern, bei denen der eigentliche Gebrauchswert schon mal ins Hintertreffen gerät: „Marken sind zunächst nichts anderes als Warenzeichen zur Kennzeichnung bestimmter Produkte im Unterschied zu anderen. Aber sie drücken schon bald auch das Versprechen an die KäuferInnen aus, mit dem Kauf der angebotenen Ware mehr als den konkreten Gebrauchswert zu erhalten. […] Der Name hat eine Selbständigkeit erlangt, die mit dem Produkt selbst, dem Gebrauchswert, nicht unbedingt oder auch gar nicht in Relation stehen muss. Der Markenfetisch fußt auf dem Warenfetisch, er ist eine Weiterentwicklung.“ (Waidhofer 2003, S. 132 f.) Diese Art der Konsumideologie entspricht dem Bedürfnis des Kapitals nach grenzenlosem Wachstum.

Während die steigende Produktion von Massenkonsumgütern zunächst ein bedeutender Fortschritt gegenüber vorkapitalistischen Produktionsweisen war, um z. B. die Ernährungssicherheit der Bevölkerung sicherzustellen und deren Lebensstandard zu erhöhen, hat sich diese mittlerweile in einen absurden Fetisch verkehrt. Das führt dazu, dass z. B. Bildung, Gesundheitsversorgung und Kultur entweder vernachlässigt werden (Bildung), degenerieren (Kultur) oder selbst zu großen Teilen privatisiert werden (Gesundheit).  Einkaufstempel sprießen dagegen in vielen Ländern geradezu aus dem Boden und werden als Inbegriff des Fortschritts verherrlicht.

Der Zwang zur permanenten Kapitalakkumulation ist ein struktureller Grund, warum im Kapitalismus keine nachhaltige Produktionsweise möglich ist. „Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug“, stellte bereits der antike Philosoph Epikur von Samos im 4. Jahrhundert vor unserer Zeit fest. Dieser Zwang führt aber nicht nur zu einem immer größer werdenden Verbrauch von Material und Energie, während gleichzeitig elementare menschliche Bedürfnisse nicht befriedigt werden, sondern auch zu grundlegenden Brüchen in den natürlichen und gesellschaftlichen Stoffkreisläufen. Marx, inspiriert durch die Arbeiten des deutschen Chemikers Justus von Liebig, hatte bereits erkannt, dass die kapitalistische Landwirtschaft nicht nachhaltig ist: „Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt in Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z. B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (Marx 1962,  S. 529 f.) In früheren Gesellschaften wurden die Nährstoffe aus der Landwirtschaft zu einem großen Teil den Böden wieder zugeführt. Im Kapitalismus jedoch ist ein „Riss“ in diesem Kreislauf entstanden: „Auf der anderen Seite reduziert das große Grundeigentum die agrikole Bevölkerung auf ein beständig sinkendes Minimum und setzt ihr eine beständig wachsende, in großen Städten zusammengedrängte Industriebevölkerung entgegen; es erzeugt dadurch Bedingungen, die einen unheilbaren Riß hervorrufen in dem Zusammenhang des gesellschaftlichen und durch die Naturgesetze des Lebens vorgeschriebnen Stoffwechsels, infolge wovon die Bodenkraft verschleudert und diese Verschleuderung durch den Handel weit über die Grenzen des eignen Landes hinausgetragen wird.“ (Marx 1983, S. 821)

Der steigenden Auslaugung und dem Verlust an Fruchtbarkeit der Böden wurde mit der Erfindung des Kunstdüngers im Haber-Bosch-Verfahren (technische Synthese von Ammoniak als Ausgangsstoff) begegnet, der endgültig das Zeitalter der Expansion der kapitalistischen Landwirtschaft einläutete. Viele KritikerInnen aus der neoklassischen Ökonomie argumentieren deshalb, dass das Argument des „unheilbaren Risses“ in der Landwirtschaft überholt sei. Die Realität hat die KritikerInnen aber inzwischen eingeholt. Die industrielle Landwirtschaft hat zwar kurz- und mittelfristig Produktionssteigerungen erzielt, führt aber langfristig durch die permanente Überdüngung der Böden, verursacht durch industrielle Düngemittel und die Konzentration tierischer Extremente in industriellen Großbetrieben, die stets steigende Anwendung von Pestiziden im Ackerbau und Antibiotika in der Tierhaltung sowie die durch die Herstellung von industriellen Düngemitteln verursachten Treibhausgasemissionen zu vielen, enormen ökologischen und sozialen Problemen. Der Verlust an fruchtbaren Böden ist heute ein zunehmendes sozioökologisches Problem in vielen Teilen der Welt (vgl. Fritz 2010). Foster et al. (2010, S. 78) argumentieren, dass der „Riss“ im Nährstoffkreislauf der Landwirtschaft nicht überwunden, sondern verlagert wurde – in diesem Fall durch die massenhafte Verwendung und die daraus resultierende Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, die notwendig sind, um die Düngemittel zu produzieren. Sie weisen auch darauf hin, dass dieses Prinzip nicht nur für die Landwirtschaft, sondern für die gesamte kapitalistische Produktionsweise gilt, und sprechen in Anlehnung an Marx von einem ökologischen Riss im Kapitalismus. Die Logik des Kapitals und die permanente Konkurrenz und Expansion „[…] führen zu einer Reihe von Rissen und Verlagerungen, wobei Risse im Stoffwechsel kontinuierlich erzeugt werden und ihnen durch die Verlagerung auf andere Risse begegnet wird – typischerweise erst nachdem sie das Ausmaß einer Krise erreicht haben. Einem kurzsichtigen Beobachter mag es erscheinen, dass der Kapitalismus zu einem bestimmten Zeitpunkt einige Umweltprobleme erfolgreich bearbeitet, da in diesem Moment eine Krise gemindert wird. Ein weitsichtigerer Beobachter wird jedoch erkennen, dass neue Krisen entstehen, wo alte vermeintlich gelöst wurden. Das ist unvermeidlich, da das Kapital zu einer konstanten Expansion gezwungen ist.“

Deshalb ist die Lösung der ökologischen Frage aufs Engste mit der Überwindung des Kapitalismus verbunden. Die Schaffung einer Perspektive für eine sozialistische Gesellschaftsordnung, die in der Lage ist, diese grundlegende Widersprüche zwischen der menschlichen Ökonomie und den natürlichen Bedingungen zu überwinden, bei gleichzeitiger Befriedigung der materiellen und immateriellen Bedürfnisse aller Menschen, ist die zentrale Herausforderung für RevolutionärInnen im 21. Jahrhundert.

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Umweltkatastrophe stoppen, Umweltimperialismus bekämpfen

Liga für die Fünfte Internationale, aus „Die Krise der Globalisierung und die sozialistische Revolution“, Juni 2019, Revolutionärer Marxismus 54, Dezember 2021

Die Verschlechterung und Zerstörung der Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen auf der Erde schreitet unvermindert fort und nimmt immer bedrohlichere Ausmaße an. Die immer häufigeren extremen Wetterereignisse, immer heftigere Stürme, Überschwemmungen und Waldbrände, ausgedehntere Dürreperioden, das Abschmelzen der Eiskappen, welches zu einem bedrohlichen Anstieg des Meeresspiegels führen wird und viele Länder mit totaler Überschwemmung bedroht, sind alle Indizien für den fortschreitenden Klimawandel auf der Erde.

Der Klimawandel, verursacht durch den massiven Ausstoß von Treibhausgasen, stellt die größte Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen auf unserem Planeten dar. Aber er ist wahrlich nicht die einzige. Die Versauerung und zunehmende Vermüllung und Verschmutzung der Ozeane, die Überlastung und Unterbrechung von Nährstoffkreisläufen, die Übernutzung von Trinkwasserressourcen und Verschmutzung von Gewässern, die Dezimierung der Biodiversität und die Anreicherung von giftigen Chemikalien in der Umwelt – all das sind sehr bedrohliche Entwicklungen für die Existenz der gesamten Menschheit.

Während Eingriffe in die Umwelt und die Nutzung der Umwelt für menschliche Bedürfnisse notwendig sind und auch im Sozialismus fortbestehen werden, ist es der Kapitalismus, der aus seinem grenzenlosen Drang nach Kapitalakkumulation die Umwelt um der Profite willen zerstört. Die großen Wirtschaftsmächte der Welt weigern sich hartnäckig, wirksame Maßnahmen für ein Umsteuern zu ergreifen. Die Unvereinbarkeit kapitalistischer „Entwicklung“ mit der Erhaltung und Wiederherstellung eines für menschliche Gesellschaften wünschenswerten Zustands der Umwelt, von der alles Leben abhängt, wird hier besonders deutlich. Der unstillbare Drang des Kapitals nach maximalem Gewinn forciert nicht nur die Ausbeutung der Menschen, sondern auch der natürlichen Ressourcen, die für den künftigen menschlichen Fortschritt erforderlich sind.

Diese Phänomene, neben der Bedrohung durch einen globalen Krieg, zeugen davon, dass der Kapitalismus ein im Sterben liegendes System ist. Die entscheidende Frage ist, ob er rechtzeitig durch eine revolutionäre Umwälzung überwunden wird, oder ob die Menschheit mit ihm den Weg in die Barbarei und sozialen Rückschritt beschreitet. Trumps Ankündigung von 2017, dass die USA das Pariser Abkommen zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen und anderer „Klimakiller“ zurückweisen wollen, bestätigt dies. Doch der US-Rückzug verhüllt die Tatsache, dass weder die „entwickelten“ Hauptemittenten der Welt wie die USA, Japan und die Europäische Union noch die „sich entwickelnden“ Giganten wie China und Indien wirklich bereit sind, die Gewinne der Konzerne zu gefährden, um die notwendigen Emissionsminderungen vorzunehmen. Schlimmer noch: die meisten Regierungen und Großkonzerne ignorieren weiterhin alle Pläne und Vorschläge von WissenschaftlerInnen und UmweltaktivistInnen, wie die bevorstehende Katastrophe zu verlangsamen oder umzukehren ist.

Der Kapitalismus zerstört nicht nur die natürlichen Lebensgrundlagen, sondern hat sich global zu einem System des Umweltimperialismus entwickelt. Die Ausbeutung in den halb-kolonialen Ländern wird systematisch ohne Rücksicht auf die ökologischen und sozialen Folgen intensiviert, um die Profite in den imperialistischen Zentren zu vermehren. Die sozio-ökologischen Auswirkungen werden systematisch in die Halbkolonien ausgelagert. Der Umweltimperialismus ist gekennzeichnet durch unregulierte Weltmärkte, in denen der Handel zugunsten der reichen, imperialistischen Länder organisiert wird. Grundlage dafür ist die immer weiter zunehmende Konzentration von Kapital und die Unterdrückung der halb-kolonialen Länder mithilfe der Kontrolle über entscheidende Technologien und mittels des Kapitalexports.

Alle Proteste der Betroffenen in den Halbkolonien gegen die Projekte der großen Agro-, Saatgut-, Bergbau-, Energiekonzerne etc. führen sofort zum Auftreten der internationalen Geldgeber und Institutionen, die die Regierungen vor Ort dann meist als willige Vollzugsorgane vorfinden. In den imperialistischen Zentren wird der tatsächlich betriebene Raubbau an Mensch und Natur dann mit zynischen Kampagnen über angeblich „nachhaltige“ Produktion verbunden, die es aber nur für die Menschen dort gibt . Jedes Programm im Kampf gegen den Imperialismus muss, ausgehend von den Betroffenen und den globalen Interessen der ArbeiterInnenklasse, auch zentral Forderungen zum Kampf gegen den weltumspannenden ökologischen Raubbau zu Lasten vor allem der Halbkolonien entwickeln.

Klimawandel und Umweltzerstörung können nur gemildert und umgekehrt werden, wenn die Kontrolle über die Produktion den Händen der großen Kapitalformationen entzogen wird, die die Menschheit an den Rand der Katastrophe gebracht haben. In den letzten Jahrzehnten hat sich starker Widerstand gegen Umweltzerstörung und die Bedrohungen des Klimawandels herausgebildet, ausgehend von lokalen Initiativen gegen bestimmte Großprojekte, großen Bewegungen gegen die falschen politischen Antworten z.B. zur Klimapolitik, Widerstand in Halbkolonien, aber auch Umweltbewegungen in den imperialistischen Zentren. In Europa waren es die Jugendlichen, die mit weltweiten Schüler- und Schulstreiks und direkten Aktionen die Vorreiterrolle spielten. Die Arbeiterbewegung muss sich mit ihnen verbinden, ihre Aktionen und Kampagnen unterstützen und erweitern, ohne zu versuchen, ihre Begeisterung zu unterdrücken. In gewissen Bereichen konnte das bisher ungehemmte Handeln der Großkonzerne und ihrer Helfershelfer in Bezug auf Umweltfragen gebremst werden. Es ist notwendig, diese Erfolge zu einer gesellschaftlichen Kontrolle über die sozio-ökologischen Auswirkungen von ökonomischen Entscheidungen auszubauen. Demokratische legitimierte Kontrollorgane aus Beschäftigten, KonsumentInnen, Betroffenen von Großprojekten, um ihre Zukunft kämpfenden Jugendlichen etc. müssen gebildet und befähigt werden, um über Projekte, Gefährdungsstufen, Grenzwerte, ökologische Maßnahmen etc. zu entscheiden. Dem Kapital muss systematisch die gesellschaftliche Kontrolle in Bezug auf die sozio-ökologischen Auswirkungen seines Handelns entgegengesetzt werden. Letztlich wird nur die sozialistische Revolution das System des Umweltimperialismus überwinden und die geplante optimale Nutzung der Ressourcen unter Kontrolle der Mehrheit weltweit ermöglichen.

Die folgenden Forderungen richten sich nicht einfach an staatliche und supra-nationale Umweltpolitik, sondern sind Forderungen, die sich nur in einer internationalen Bewegung umsetzen lassen, die die zuvor dargestellte Form demokratisch legitimierter gesellschaftlicher Kontrolle über die hier geforderten Maßnahmen durchsetzt.

• Für einen Notfallplan zum Umbau des Energie- und Transportsystems – weg vom weltumspannenden Verbrauch fossiler Brenn- und Treibstoffe!

• Die großen Konzerne und imperialistischen Staaten wie die USA und die EU müssen für die Umweltzerstörung bezahlen, die sie im Rest der Welt verursacht haben. Für Reparationszahlungen, um die halb-kolonialen Ländern darin zu unterstützen, den notwendigen ökologischen Wandel herbeizuführen.

• Für einen Plan zum Ausstieg aus der fossilen und nuklearen Energieerzeugung. Für massive Investitionen in regenerative Energieformen wie Wind-, Wasser- und Sonnenenergie sowie in geeignete Speichertechnologien!

• Für ein großes globales Programm zur Wiederaufforstung zerstörter Wälder bei gleichzeitigem Schutz der noch vorhandenen naturnahen Ökosysteme!

• Für den Schutz und das Recht auf Selbstbestimmung der indigenen Völker!

• Für die Unterstützung der Kämpfe der von Umweltzerstörung bedrohten Bevölkerungen und indigener Völker!

• Für ein globales Programm zum Schutz der Wasserressourcen. Für massive Investitionen in Trinkwasserversorgung und Abwasserbehandlung!

• Für ein globales Programm zur Ressourcenschonung, Müllvermeidung und Abfallmanagement.

• Für die Umstellung der Landwirtschaft auf nachhaltige Anbaumethoden. Für die Enteignung des Großgrundbesitzes und eine Verteilung von Land an die Menschen, die es bebauen (wollen). Für tiergerechte Haltungsbedingungen in allen landwirtschaftlichen Betrieben! Für die Intensivierung der Erforschung nachhaltiger Anbausysteme unter Kontrolle der BäuerInnen und ArbeiterInnen! Wo nötig auch die Verpflichtung zur Anwendung von ökologisch nachhaltigen Anbaumethoden wie der ökologischen Landwirtschaft unter Berücksichtigung der Ernährungssicherheit.

• Kostenloser Nahverkehr für alle und massive Investitionen in öffentliche Verkehrssysteme! Umbau des Verkehrssystems zu einem auf Schienenverkehr basierenden System, sowohl bei der Personen, als auch bei der Güterbeförderung. Gleichzeitig massive Reduktion von Auto, LKW und Flugverkehr!

• Abschaffung des Geschäftsgeheimnisses! Abschaffung des Patentschutzes! Für die Zusammenführen dieses Wissens, um nachhaltige Alternativen zu bestehenden Technologien zu schaffen. Echte Unterstützung der weniger entwickelten Ländern durch Technologietransfer!

•  Verstaatlichung aller Umweltressourcen, wie Agrarflächen, Wälder und Gewässer.

• Verstaatlichung aller Energiekonzerne und aller Unternehmen mit Monopolen auf grundlegende Güter wie Wasserwirtschaft, der Agrarindustrie sowie aller Luftverkehrsgesellschaften, Schifffahrts- und Eisenbahnunternehmen unter ArbeiterInnenkontrolle!

•  Für eine restriktive Chemikalienpolitik nach dem Vorsorgeprinzip, dh keine Zulassung solche Stoffe, die im Verdacht stehen schädlich zu sein! Für das Verbot von Chemikalien, die erwiesenermaßen oder wahrscheinlich gesundheitsgefährend und/oder umweltzerstörend sind, wie z.B. Glyphosat! Grenzwerte oder Gefahrenstufen in der Chemikalienverwendung müssen von Organen demokratisch legitimierter gesellschaftlicher Kontrolle bestimmt werden!

Für den Umbau unserer Städte

Mehr als die Hälfte der Menschheit lebt heute in Städten, aber die Mehrheit von ihnen in Baracken- und Elendsvierteln ohne richtige Straßen, Beleuchtung, sauberes Trinkwasser oder Abwasser- und Abfallentsorgung. Ihre behelfsmäßigen Konstrukionen werden von Erdbeben, Wirbelstürmen, Überschwemmungen und Tsunamis weggerissen, wie wir es in Indonesien, Bangladesch, New Orleans und auf Haiti gesehen haben. Hunderttausende sterben nicht einfach an diesen „natürlichen“ Ereignissen, sondern an einer von Armut geprägten Infrastruktur. Die Flucht der Menschen in die Städte wird durch die Unfähigkeit des Kapitalismus, des Großgrundbesitzes und der Agrarindustrie getrieben, ein Leben auf dem Land zu ermöglichen.

Nur wenige BewohnerInnen dieser Viertel haben dauerhafte und sichere Arbeitsplätze. Ihre Kinder haben keinen Zugang zu Tagesstätten, Kliniken oder Schulen. Kriminelle Banden, DrogendealerInnen und Polizei nötigen und erpressen die BewohnerInnen. Frauen und Jugendliche werden in Prostitution und sexuelle Sklaverei oder Sklavereiarbeit in gefährlichen und gesundheitsschädigenden Klitschen (Sweatshops) gezwungen. Echte Sklaverei und der Handel mit Menschen nehmen wieder zu. Dies ist ein weiteres Phänomen, das nach Abschaffung des Kapitalismus schreit! Dieses entsetzliche Anhäufung menschlichen Elends muss ein Ende haben.

Dies kann aber nicht mit dem bisschen Hilfe aus reichen Ländern, Spendenveranstaltungen, NGOs oder von Kirchen, Moscheen und Tempeln betriebenen Wohltätigkeitsorganisationen erreicht werden. Auch Selbsthilfe- oder Mikrokreditprogramme können diese enormen Probleme nicht lösen. Die Bevölkerung der Barrios, Favelas und Townships kann, wie sie gezeigt hat, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Durch Massenmobilisierungen in Venezuela, Bolivien und Südafrika konnte sie bereits Reformen durchsetzen. Im Verbund mit der ArbeiterInnenklasse kann sie mittels einer gemeinsam durchgeführten sozialen Revolution den repressiven Staat und die wirtschaftliche Ausbeutung zerschlagen und an ihrer Stelle eine auf Komitees und Räten der ArbeiterInnen und Armen gegründete Gesellschaft aufbauen als Instrument zur vollständigen Transformation unserer Städte.

• Wohnungen, Licht und Strom, Abwasser- und Müllentsorgung, Krankenhäuser und Schulen, Straßen und öffentliche Verkehrsmittel für die EinwohnerInnen der riesigen und rasch wachsenden Armutsviertel, die alle Großstädte der „Entwicklungsländer“ umgeben, von Manila und Karatschi bis Mumbai, Mexiko-Stadt und Sao Paulo!

• Für ein Programm öffentlicher Arbeiten unter der Kontrolle der ArbeiterInnen und der Armen! Für einen kostenlosen Personennahverkehr und Berufsverkehr für die ArbeiterInnen!

• Massive Investitionen in Sozial- und Gesundheitsdienste, Wohnungswesen, öffentliche Verkehrsmittel und eine saubere, nachhaltige Umwelt!

• Unterstützung der Kämpfe von KleinbäuerInnen, LandarbeiterInnen und Landlosen!

Die Landfrage und das Leben auf dem Land

Noch leben 45 Prozent der Menschheit in Dörfern, auf Plantagen und in den ländlichen Gemeinschaften indigener Völker. Bis 2050, so schätzt die UNO, wird sich diese Zahl auf ein Drittel reduzieren. Die Landflucht ist nicht nur durch den Reiz des Stadtlebens motiviert. Für die meisten MigrantInnen überwiegen die Nachteile der Slums, der Kriminalität und der Überausbeutung die Vorzüge des Stadtlebens bei weitem. Verantwortlich ist vielmehr die Unfähigkeit des Kapitalismus, ein Minimum an würdigem Leben auf dem Land zu bieten. Das Ausbleiben und Scheitern von Landreformen hat die Arbeitslosigkeit in den Dörfern und Landlosigkeit verstärkt. Die Kluft zwischen Einkommen, Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Kommunikation dort und dem in den Städten verfügbaren ist oft enorm. Darüber hinaus sind die LandbewohnerInnen von der Zerstörung der ländlichen Umwelt durch Industriezweige wie Holzwirtschaft, Bergbau sowie durch Monokulturen und andere wirtschaftliche Aktivitäten betroffen, die zu Überschwemmungen oder zur Auslaugung des Bodens führen. Zugleich konzentriert der Kapitalismus unermüdlich Landbesitz in den Händen einer wohlhabenden Elite oder des internationalen Agrobusiness. Von China und Bengalen bis Südamerika und Afrika werden Bauern/Bäuerinnen und indigene Gemeinschaften vom besten Land vertrieben und müssen in die Slums der Städte wandern.

Das Leben auf den Plantagen, auf denen Zucker, Kaffee, Tee, Baumwolle, Sisal, Gummi, Tabak und Bananen erzeugt werden, reproduziert viele der Merkmale der Sklaverei und von unfreien Vertragsarbeitsverhältnissen. PlantagenarbeiterInnen werden oft in Schuldknechtschaft gezwungen. Eine Revolution auf dem Lande, angeführt vom Proletariat, den landlosen Bauern/Bäuerinnen oder kleinen LandbesitzerInnen, bleibt immer noch eine mächtige Verbündete der städtischen ArbeiterInnenschaft und diese ist wiederum eine unverzichtbare Unterstützung für ihre Schwestern und Brüder auf dem Land.

• Enteignung der OligarchInnen, ehemals kolonialer Plantagen und des multinationalen Agrobusiness unter Kontrolle von ArbeiterInnen, armen BäuerInnen und LandarbeiterInnen!

• Das Land denen, die es bebauen!

• Abschaffung der Pachtrente und Streichung aller Schulden der armen BäuerInnen!

• Kostenlose Kredite für den Kauf von Maschinen und Dünger; Anreize, um die SubsistenzbäuerInnen zu ermutigen, freiwilligen Produktions- und Vermarktungsgenossenschaften beizutreten!

• Freier Zugang zu Saatgut, Abschaffung aller Patente in der Landwirtschaft!

• Modernisierung des ländlichen Lebens. Volle Elektrifizierung, Internetzugang und moderne städtische Einrichtungen. Stopp der Abwanderung der Jugend aus dem ländlichen Raum durch die Förderung kreativer und kultureller Aktivitäten.

• Gegen die Armut auf dem Land; Einkommen, Zugang zu Gesundheit, Bildung und Kultur an die Städte angleichen! Dies allein kann die pathologische Form der Verstädterung des Kapitalismus verlangsamen und umkehren und den Weg zu dem im Kommunistischen Manifest festgelegten Ziel ebnen: „Vereinigung des Betriebs von Ackerbau und Industrie, Hinwirken auf die allmähliche Beseitigung des Unterschieds von Stadt und Land.“




Umweltpolitik und Umweltbewegung, Kritik des ökologischen Bewusstseins

Markus Lehner, Revolutionärer Marxismus 54, Dezember 2021

Dieser Artikel ist der Versuch einer dialektisch-materialistischen Analyse von Umweltpolitik und ihren Diskursen in der bürgerlichen Epoche, insbesondere in der gegenwärtigen Periode der Verschränkung von kapitalistischer und ökologischer Krise. Es handelt sich daher nicht um eine deskriptiv-normative Darstellung von Umweltpolitik, die von solchen ideologischen Konstrukten wie „wertfreier Wissenschaft“, „mündigen KonsumentInnen“, „Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie“, „ökologisch korrekter Lebensweise“ oder Ähnlichem ausgeht.

Es geht aber auch nicht um eine bloße Entlarvung von „apokalyptischen Narrativen“ einerseits oder den Erzählungen von einem nachhaltigen, grünen kapitalistischen Wachstum andererseits. Als gesellschaftliche Erscheinungen sind Umweltpolitik und ökologische Theorie Produkte einer langwierigen Auseinandersetzung, die in letzter Instanz wie alles im Kapitalismus mit Klassengegensätzen, Produktions- und Eigentumsverhältnissen zu tun hatten und haben. Die Umweltproblematik ist daher selbst bei Beschränkung auf die bürgerliche Epoche nie ahistorisch immer als ein und dasselbe zu betrachten. Sie wird vielmehr durch die beständige Veränderung des globalen (Re-)Produktionsprozesses, der sich wandelnden Klassenzusammensetzungen, der sich ändernden Verhältnisse von Wissenschaft, Technik, Politik und ihrer ideologischen Widerspiegelungen etc. immer wieder neu definiert. Entsprechend radikal ändern sich die AkteurInnen, die Zuspitzungen, die Aufgabenstellungen etc., in denen sich Umweltpolitik und ökologische Theorie notwendigerweise jeweils darstellen. „Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. … Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisieepoche vor allen früheren aus“ schreiben Marx und Engels im „Kommunistischen Manifest“ (Marx/Engels 1959, S. 465).

Dieser revolutionäre und letztlich planlose Gesamtprozess bestimmt auch das Verhältnis zur Ökologie, der im Kapitalismus auch Umweltpolitik beständig neu definiert und einstmals „erreichten Stand“, „umweltpolitische Erfolge“ etc. einer Periode sofort wieder zu Staub von gestern macht. Andererseits: „Die bürgerlichen Produktions- und Verkehrsverhältnisse, die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, die moderne bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor. Seit Dezennien ist die Geschichte der Industrie und des Handels nur die Geschichte der Empörung der modernen Produktivkräfte gegen die modernen Produktionsverhältnisse … “ (ebd., S. 467). Die Krisenhaftigkeit als Kernbestandteil kapitalistischer Entwicklung ist dabei nicht nur eine ökonomische, mit sozialen und politischen Folgen – sondern notwendigerweise auch ein ökologischer, die natürlichen Grundlagen jeglicher Produktivkraft bedrohender Bruch in diesem Entwicklungsprozess.

Umweltpolitik und ökologische Theorie in der bürgerlichen Epoche können daher nur verstanden werden durch ihre jeweilige Einordnung in diesen Veränderungsprozess, der gleichermaßen die beständige Revolutionierung aller Verhältnisse beinhaltet wie auch den krisenhaften Verlauf dieses Prozesses – und der letztlich immer die grundlegende Frage nach der Umwälzung der Produktionsverhältnisse, d .h. Eigentumsverhältnisse selbst stellt. Wenn im folgenden Artikel ein Zickzack von Bewegungen, Theoremen und Bewegungen behandelt wird, dann liegt dies nicht nur an der Unfähigkeit des Autors zur Strukturierung der Thematik. Es ist auch so, dass sich die Darstellungsform dieser dynamischen Entwicklung und ihrer beständigen Brüche anpassen muss, will man nicht den vorherrschenden bürgerlichen Verständnissen von Umweltpolitik aufsitzen.

1. Bürgerliche Umweltpolitik – von Beginn an mit Widersprüchen behaftet

Umweltpolitik war immer schon Teil bürgerlicher Politik – auf eine ganz spezifische Weise. Als Kernelement liberaler Kommunalpolitik im 19. Jahrhundert wurde der Fortschritt der Produktivkräfte in der Neugestaltung der städtischen Infrastruktur fortgeführt mit dem Ziel von „Hygiene“ und gesünderen Lebensverhältnissen: in großen Projekten der Kanalisation, der Wasserversorgung, der Abfallentsorgung, großzügigeren Anlagen von Wohnvierteln, Parkanlagen etc. Dies war zwar ein Schwerpunkt bürgerlicher Politik – ging aber an den größten, wachsenden Teilen (Rändern) der Städte völlig vorbei. Eindrucksvoll schildert dies Friedrich Engels in „Die Lage der arbeitenden Klasse In England“ (Engels 1962). Ausführlich stellt er den Kontrast zwischen den modernen bürgerlichen Stadtvierteln von Manchester zu den Behausungen der ArbeiterInnenviertel, die zumeist nicht mal als Teil der Stadt anerkannt wurden, dar. Die Beschreibung des völlig verschmutzten Flüsschens Irk, im Zentrum eines dieser Viertel gelegen, lässt noch heute Übelkeit hochsteigen (S. 281 ff.). Keine Kanalisation, kaum fließendes Wasser, der Fluss als Kloake und dabei noch das letzte Kellerloch neben dem herabfließenden Urin überteuert vermietet – das war die schreckliche Kehrseite der immer grüner und moderner gestalteten bürgerlichen Großstadt.

Dieser hier angedeutete Widerspruch durchzieht auch alle anderen umweltbezogenen Bereiche: ein wachsendes Verständnis für natürliche Kreislaufprozesse, für das Funktionieren von Natur, die Empfindlichkeit der Artenvielfalt ebenso wie die Entdeckung von Natur als Erholungsraum – all dies kontrastierte damit, was die wachsende Industrialisierung nicht nur der arbeitenden Klasse antat. Diese wurde im Produktionsprozess ungeschützt gefährlichen Chemikalien, wie Chlor und Blei, aber auch metallhaltigen Feinstäuben ausgesetzt. Darüber hinaus wurde durch die immens steigende Kohleverfeuerung Schwefel in ungeheurer Menge freigesetzt, der Schwefeldioxid bildete und damit nicht nur ungesunden Smog, sondern vor allem auch sauren Regen hervorbrachte, der für die Pflanzenwelt in der Nähe der Industriegebiete tödlich war. Zusammen mit dem erhöhten Holzbedarf wurden mit diesem sauren Regen insbesondere die Wälder in gewaltigem Ausmaß die Opfer der Industrialisierung.

Es ist daher klar, dass die hier angedeuteten Probleme sowohl in der frühen ArbeiterInnenbewegung, in Organisationen der Land- und Forstwirtschaft, aber auch in den Teilen der Bourgeoisie, die von dem Widerspruch der fortschrittlichen Ansprüche zu den realen Ergebnissen geplagt waren, zu einer politischen Reaktion führten.

Kapitalismus ist ein System, das primär auf der Ausbeutung produktiver Arbeit (in Form der Aneignung von Mehrwert) beruht. Die Verwertung der Mehrarbeit setzt aber die Reproduktion der Ware Arbeitskraft genauso voraus wie die scheinbar unbegrenzte Zufuhr natürlicher Ressourcen bzw. Entsorgung von Abfallstoffen in natürlichen Senken – was über einen längeren Zeitraum selbst auch wieder auf den natürlichen Reproduktionskreisläufen beruht. Insbesondere der Zwang zu stets wachsender Akkumulation führt zu einer Unterwerfung der menschlichen und natürlichen Reproduktion unter die Anforderungen der produktiven Verwertung bis an die Grenzen des Erträglichen: „Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter“ (Marx 1968, S. 529 f.).

Diese destruktive Tendenz des Akkumulationsprozesses bedeutet, dass das Kapital aus sich heraus, als konkurrenzierende Einzelkapitale, keine Schranken dieses Ausbeutungsprozesses auch gegenüber der Natur entwickelt. Das heißt jedoch nicht, dass die bürgerliche Klasse dem nur tatenlos zusieht. Hier kommt es zum Auftreten des Staates als „ideeller Gesamtkapitalist“. Der Widerspruch, dass das Kapital mit seinem schrankenlosen Wachstumstrieb seine eigenen Grundlagen in der Reproduktion untergräbt, wird durch staatliche Maßnahmen in weniger explosive Bewegungsformen abgeschwächt – immer in Unterordnung unter das durch die Konkurrenz der Kapitale erzwungene Verwertungsprinzip. Diese staatliche „Moderation“ wird einerseits durch den Klassenkampf angetrieben. Dieser bewirkte eine Kanalisierung der sich zuspitzenden sozialen Kämpfe, die Integration der ArbeiterInnenbewegung in die kommunale Politik zur Verbesserung der Lebensverhältnisse in den ärmeren Vierteln, ebenso Arbeitsschutz- und Umweltauflagen für Produktionsanlagen aufgrund der Kämpfe der ArbeiterInnen, aber auch von agrarischen Klassen.

Andererseits verkörpert gerade die „Umweltpolitik“ in hervorragender Weise die von Marx beschriebene Spaltung des bürgerlichen Menschen in den „Privatmenschen“ (den Bourgeois) und den „öffentlichen Menschen“ (den Citoyen). Als Bourgeois kann man AnteilseignerIn der größten Dreckschleuderfabrik sein, während man als gute/r StaatsbürgerIn steuerlich absetzbar „großzügig“ an Naturschutzverbände spendet. Auch die großen deutschen Naturschutzverbände, wie Nabu oder BUND, ganz zu Schweigen von bestimmten Tier- und Landschaftsschutzvereinigungen, können ihre Geschichte bis weit ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Nichts scheint klassenübergreifender, allgemeinen humanistischen oder globalen Zielen untergeordneter zu sein als der „Naturschutz“. Ohne unmittelbaren Klassenbezug wird aber umso deutlicher, dass es entweder die Klasse der GroßspenderInnen oder der Klassenbezug des Staates sind, die diesen „Naturschutz“ in das Gesamtsystem einordnen – d .h., dass dieser eben letztlich den ökonomischen Interessen des Akkumulationsprozesses untergeordnet bleibt. Der besprochene Widerspruch ist also nicht aufgehoben, sondern hat eine besondere Bewegungsform gefunden: Vorhaben des Kapitals (ob nun der Industrie, Energiewirtschaft, des Straßenbaus etc.) müssen nunmehr Genehmigungsprozesse in Bezug auf Arbeits- und Umweltschutz durchlaufen, in denen z. B. Umweltverbände und betroffene Gemeinden oder Bürgerinitiativen Gehör finden. Entsprechend komplex werden Gesetzgebungen bzw. die juristischen Verfahren rund um solche Genehmigungen, Kontrollbestimmungen oder z. B. in Fragen von Haftungen bei „Zwischenfällen“. An der destruktiven ökologischen Grundtendenz der Kapitalakkumulation wird dies niemals etwas ändern – jedenfalls aber ist es zu einem breiten Feld bürgerlicher Politik (und auch Justiz) geworden. Die grundlegenden Umweltprobleme lassen sich im Kapitalismus nicht lösen, sondern nur in gewissen Grenzen einhegen, regulieren und administrativ abmildern. Wie wir später besprechen werden, stößt diese Form des Umweltreformismus bei den globalen ökologischen Bedrohungen heute an eine absolute Grenze.

2. Veränderungen von Umweltpolitik mit dem Nachkriegsboom

Mit der Illusion der „sauberen“ fordistischen Fabrik, Massenkonsum, „Wohlfahrtsstaat“ und Massentourismus schien die Lage der arbeitenden Klassen weit weg von den Zeiten des Manchester-Kapitalismus – auch der/die ArbeiterIn hatte jetzt in abgepackter Form seinen/ihren kleinen Anteil an Naturgenuss und „gutem Leben“. Wie schnell sich dies selbst in der imperialistischen Welt für die große Masse als Illusion erwies, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. Die „imperiale Lebensweise“ als allgemeine Zurechnung für MetropolenbewohnerInnen haben wir an anderer Stelle zurückgewiesen (siehe Artikel zum Umweltimperialismus in diesem RM). Allerdings war die Phase des Aufstiegs dieser fordistischen Illusion wirkkräftig genug, um die meisten sozialdemokratischen Organisationen und die damit verbundenen Gewerkschaften vollends in Co-Managementorganisationen zu verwandeln, die dabei auch ihre umweltpolitische Vorreiterrolle abgegeben haben. Nichts verdeutlicht dies mehr als die Verstrickungen der Sozialdemokratie in kommunale Unternehmen von der Abfall-, Bau-, bis Energiewirtschaft, andererseits die Unterordnung unter die Profitinteressen der wichtigen Arbeit„geber“Innen vor Ort (man denke an die besondere Beziehung von SPD und IG Metall zu „unserer“ Automobilindustrie).

In den Halbkolonien sind die Verhältnisse natürlich noch andere. Wie wir in unserer „Umweltimperialismus“-Analyse ja klar gemacht haben, wurden viele umweltpolitischen „Fortschritte“ in den imperialistischen Ländern dadurch erzielt, dass die umweltschädlichsten Verwertungsprozesse in Halbkolonien verlagert wurden, was insbesondere durch die (ebenfalls extrem umweltschädlichen) globalen Lieferketten auch immer leichter wird. Dabei entstanden in der Peripherie Wohn- und Arbeitsbedingungen, die gegen Engels’ Schilderung der Lage in Manchester zu seiner Zeit keine wesentliche Veränderung erkennen lassen. Insofern sind die Umweltbewegungen in diesen Regionen dann auch sehr viel mehr klassengeprägter als hierzulande. So stehen an vorderster Front der „Umweltbewegung“ in Brasilien solche Organisationen wie die MTST, als Organisation der FavelabewohnerInnen, die z. B. gegen die hygienische Nichtversorgung riesiger Stadtgebiete kämpft, oder die MST (die „Bewegung der landlosen ArbeiterInnen“), die sich gegen den ökologischen Wahnsinn der Projekte der Agroindustrie zur Wehr setzt. Ebenso sind es in Indien vor allem Organisationen der Kleinbauern und -bäuerinnen, die gegen Staudammprojekte oder Vernichtung von Agrarland durch Großprojekte auf die Straße (oder die Felder) gehen. Mit „Via Campesina“ hat die arme Landbevölkerung auch eine internationale Organisation geschaffen, die in der globalen Umweltbewegung eine wichtige Rolle spielt. Dagegen sind „grüne Parteien“ mit klassenübergreifendmn Anspruch in den Halbkolonien zumeist Projekte der Rechten – in Brasilien z. B. in Verbindung zu Evangelikalen.

Wenn wir uns daher jetzt der sogenannten „zweiten Umweltbewegung“ zuwenden, sollte klar sein, dass diese in verschiedenen Weltregionen sehr unterschiedlichen Charakter trug und trägt.

3. Die zweite Periode der Umweltbewegung und die Veränderung der Klassenstruktur

Wenn man von einer „zweiten Umweltbewegung“ seit den 1970er Jahren spricht, dann deswegen, da die als „erste Welle“ im 19. Jahrhundert entstandenen Organisationen des Natur- und Umweltschutzes wie auch die Umweltpolitik der ArbeiterInnenbewegung zumindest in den imperialistischen Ländern durchaus Veränderungen und Begrenzungen der Umweltzerstörung durch das Kapital hervorgebracht hatten. Andererseits war mit dem großen Boom nach 1945 und der neuen Stufenleiter kapitalistischer Akkumulation vor allem in Bereichen der chemischen Industrie, Mobilität, der Energieproduktion aber auch der Agrarchemie auch eine neue Etappe der Naturzerstörung eingeläutet worden. Beispiele dafür waren der massive Einsatz von DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan; Kontakt- und Fraßinsektizid), die Schaffung der „autogerechten“ Stadt, aber auch die Einführung der Kernenergie als Grundlage für die Energiewirtschaft der „Zukunft“. In Zusammenhang mit der StundentInnenbewegung der 1968er Jahre provozierte dies eine neue Protestbewegung gegen Naturzerstörung und immer lebensfeindlicher werdender Städte. In Deutschland formierten sich zu vielen kleineren kommunalen Fragen Bürgerinitiativen, die sich später bundesweit im BBU (Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz) eine grundlegende Infrastruktur gaben. Vor allem aber wurde die Kernkraft und ihre Verschmelzung von Großindustrie und politischer Macht zum zentralen Mobilisierungsfokus der Protestbewegung.

Wieder war es also der Widerspruch von Fortschrittsanspruch und realen, immer globaler werdenden destruktiven Momenten der Kapitalakkumulation, der zum Auslöser schwerer politischer Auseinandersetzungen wurde.

Die Geschichte des DDT ist hier sicherlich ein Musterbeispiel. Dieses Produkt der Chlorchemie wurde als ein sehr einfach und in großer Menge herstellbares Produkt des Schweizer Unternehmens Geigy um die Zeit des 2. Weltkriegs als großartiger Durchbruch in der Insektenbekämpfung gefeiert. Es wurde z. B. in Massen zur Läusebekämpfung in Großunterkünften, Checkpoints etc. verwendet, um den Ausbruch von Pandemien zu unterdrücken. Das weiße Pulver als Allzweckwaffe schien in eine neue, „chemisch saubere“ Zukunft zu führen. Im Laufe der 1950er Jahre entdeckte man, dass die eigentlichen „Schädlinge“ inzwischen Resistenz entwickelt hatten, während deren natürliche FeindInnen z. B. unter den Käfern ausgerottet wurden – Konsequenz: einfach mehr von dem Zeug verwenden! Auch die Auswirkungen auf den menschlichen Organismus wurden nicht untersucht, da man lange keine unmittelbaren Konsequenzen nachweisen konnte. Auch wenn sich unter FachwissenschaftlerInnen Kritik häufte, kam der Wendepunkt erst mit einem Buch, das diese prägnant und ungemein massenwirksam verbreitete: „Der stumme Frühling“ von Raquel Carson, erschienen 1962 (Carson 1662). Darin wies die Autorin, die selbst lange in biochemischer Forschung gearbeitet hatte, nach, wie DDT mehrere Nahrungsketten von Lebewesen durchläuft und dabei nicht nur mehrere bekannte Arten an den Rand des Aussterbens brachte, sondern sich auch in menschlichen Nahrungsmitteln anreicherte. Die berühmte Geschichte vom aussterbenden Käfer, der dann zum Aussterben der ersten Vogelart, dann der nächsten etc. führt, bis kaum mehr Blätter tragende Bäume einen stummen Frühling andeuten – dieses bedrohliche Bild drang damit ins öffentliche Bewusstsein. Mit Carson begann eine vermehrte wissenschaftliche und öffentliche Beschäftigung mit ökologischen Zusammenhängen und Auswirkungen von chemischen und sonstigen Eingriffen in natürliche Kreisläufe, vom Artensterben, über Anreicherung bestimmter Wirkstoffe in der Nahrungskett, bis zu Diskussionen um Grenzwerte und Nachhaltigkeit. Viele der Naturschutzorganisationen und ihre wissenschaftlichen BegleiterInnen wurden aus ihrem Nischendasein gerissen und in scharfe politische Auseinandersetzungen gezwungen. Carson ist da auch ein deutliches Beispiel: Die großen chemischen Konzerne begannen mit einer Schmutzkampagne ohnegleichen gegen die angebliche Kommunistin, die durch ihre gefährliche Propaganda millionenfach Menschenleben bedrohe, wenn das „gute“ DDT nicht weiter ungehemmt verwendet würde. Letztlich wurde es dann infolge langwieriger Untersuchungen, parlamentarischer Verfahren und Anhörungen in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre aus dem Verkehr gezogen. Diese Auseinandersetzung um „Risiken und Nebenwirkungen“ von Chlorchemie bis zu radioaktiver Strahlung wurde zu einem Feld heftigster Polemik zwischen den „seriösen“ konzernnahen WissenschafterInnen und ihren OpponentInnen, zumeist WissenschaftlerInnen, die den Umweltverbänden näherstanden. Dieser Kampf konnte für letztere nur erfolgreich sein, wenn es zu massiven Mobilisierungen und öffentlichem politischen Druck kam, der die KonzernlobbyistInnen in ihrem kurzen Draht zur Politik störte. Die „zweite Umweltbewegung“ ist wesentlich gekennzeichnet durch eine Politisierung der Wissenschaften, die für die ökologischen Folgen der Industrieexpansion nach 1945 relevant waren – also insbesondere Chemie, Biologie und Kernphysik. Zu der Tendenz bürgerlicher Umweltpolitik, Unmengen an Verordnungen und juristischen Verfahren anzusammeln, kam nun die Flut von wissenschaftlichen Daten, Grenzwerten und Untersuchungsverfahren mitsamt der zugehörigen Institutionen.

Insgesamt haben sich mit dem „Nachkriegsboom“ Trends in der Veränderung von Produktionsprozess und Klassenstruktur durchgesetzt, die auch für Umweltpolitik und -bewegungen von entscheidender Bedeutung wurden. Die Dampfkraft als zentrale Antriebstechnologie, repräsentiert durch „rauchende Fabrikschlote“ und Dampflokomotiven, verschwand endgültig. Mit verstärkter Durchsetzung von Elektrizität und auf Erdöl basierenden Technologien zur Energiegewinnung und Kunststoffproduktion, bekamen Umweltprobleme ein anderes, nicht mehr so „rußgeschwärztes“ Gesicht. Zentralisierte Energiegewinnung in Form von Wasser-, Kohle- oder Atomkraftwerken lösten Auseinandersetzungen um Fabriken als die wichtigsten „Dreckschleudern“ ab – und hoben die Auseinandersetzungen auf eine viel allgemeinere, politischere Ebene. Durch die Verbindung von großen Energiekonzernen, Politik und Gewerkschaftsbürokratie (vorgeblich mit Unterstützung der um „ihre Arbeitsplätze“ besorgten Beschäftigten), wurde der Widerstand gegen die Umweltfolgen immer mehr zu einer Erscheinung außerhalb der traditionellen ArbeiterInnenbewegung und der betreffenden Betriebe selbst.

3.1 ArbeiterInnenklasse und die wachsenden Umweltrisiken

Dies trifft selbst zu, wenn die Umweltproblematik klar mit den einzelbetrieblichen Abläufen zu tun hat wie z. B. in der chemischen Industrie. Besonders krass wird dies deutlich bei den großen Chemieunfällen wie z. B. 1976 im norditalienischen Seveso (Region Lombardei).

In dem zum Schweizer Hoffmann-La-Roche-Konzern gehörenden Werk Icmesa in der Nähe der Gemeinde Seveso wurde eines der berüchtigten Produkte der Chlorchemie, Hexachlorophen, hergestellt (wie sich später herausstellte, nicht nur als Desinfektionsmittelzusatz in Kosmetika, Pharma- und Agrarprodukten, sondern vor allem zur Weiterverarbeitung in den USA für das „Entlaubungsmittel“ Agent Orange – für den Einsatz im Vietnamkrieg). Dabei entsteht im Reaktor bei zu großer Wärme als Nebenprodukt 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin, kurz „Dioxin“ (später auch „Sevesogift“) genannt. Aufgrund ungenügender Sicherheitsvorkehrungen erkannte das Wartungspersonal an einem Wochenende nicht, dass sich im Reaktor ein Wärmestau entwickelte, der innerhalb von nur 7 Minuten zu einer Explosion führte. Herangeführtes Fachpersonal konnte erst nach fast eineinhalb Stunden die Reaktortemperatur wieder herunterfahren – bis dahin war eine bis heute unbekannte Masse an Dioxin in die Umwelt entwichen und als Giftwolke über den Umlandgemeinden, insbesondere Seveso, niedergegangen. In den folgenden Tagen begannen Blätter und Gräser zu verwelken. Über 3.000 Tierkadaver wurden gefunden, 200 Menschen, insbesondere Kinder erkrankten an Chlorakne. Der Betrieb wurde aber weitergeführt! Hoffmann La-Roche reagierte mit einer gezielten Desinformationskampagne. Die Tatsache, dass Dioxin im Spiel war, wurde verschwiegen. Die konzerneigenen Untersuchungen „belegten“, dass Erkrankungen nicht ursächlich mit dem Unfall zu tun hatten etc. Erst unabhängige Untersuchungen vor Ort enthüllten die massive Belastung der Umgebung mit Dioxin und die bedrohliche Gesundheitslage. Erst eine Woche nach dem Unglück traten die ArbeiterInnen, entgegen den Aufforderungen der Gewerkschaftsführung, in einen wilden Streik. Erst danach entschlossen sich auch die Behörden zur Schließung des Betriebs. Insgesamt musste an der Dekontamination von Werk und Umgebung mehr als 6 Jahre gearbeitet werden. Die Zahl der Opfer bleibt weitgehend unbekannt, wie auch der Verbleib vieler „entsorgter“ Tonnen von Chemieabfällen. Die beteiligten ManagerInnen blieben, dank der AnwältInnen von Hoffmann La-Roche und der guten Verbindungen zur Regierung Andreotti, weitgehend ohne Strafe – wenn nicht die „Roten Brigaden“ einen der Produktionsleiter erschossen hätten. Weitaus schlimmer traf es wenige Jahre später 1984 ArbeiterInnen und Bevölkerung im indischen Bhopal (Bundesstaat Madhya Pradesh) beim Unfall eines Chemiewerkes des US-Konzerns Union Carbide (heute Dow Chemical). Hier blieb die Dekontamination bis heute aus. Viele Menschen leben inmitten gefährlichster Chemikalie. Bis heute sind an die 25.000 Menschen an den Folgen gestorben, über 100.000 leiden an schweren Krankheiten. Die Unfallursache lag in offensichtlichen Sicherheitsmängeln wegen des Drucks von Produktionsvorgaben. Niemand der Verantwortlichen bei den US-AuftraggeberInnen ist je zur Rechenschaft gezogen worden. Hatte Seveso zumindest zur Folge, dass so gefährliche Werke in Europa nicht mehr gewagt werden, werden von der indischen Regierung den Nachfolgeunternehmen von Union Carbide alle nur möglichen Standortvorteile verschafft.

Die Beispiele zeigen unter anderem aber auch sehr deutlich die Verschiebung der Machtfragen im Betrieb rund um Arbeitsprozesse auf. Lohnabhängiges „vor Ort“ eingesetztes Personal ist kaum mehr in der Lage, die Risiken des Produktionsprozesses abzuschätzen und „Kontrolle“ über den Gesamtprozess zu erlangen – oft ist nur noch die „Notabschaltung“, was „den ArbeiterInnen“ übrig bleibt. Für Risikobeurteilung und Kontrolle ist es erforderlich, dass technisch und wissenschaftlich ausgebildetes Personal aktiv wird. Da dieses in den Betrieben zumeist stark mit dem Management verbunden ist, wie sich an solchen Beispielen immer wieder zeigte, ist außerbetriebliche Unterstützung wesentlich geworden. Der Begriff der „ArbeiterInnenkontrolle“ muss damit von seiner einzelbetrieblichen und auf manuelle ArbeiterInnen bezogenen Verengung befreit werden. Im modernen Produktionsprozess sind Wissenschaft und technisches Wissen immer mehr zur entscheidenden Produktivkraft geworden. Auch insofern hat sich die ArbeiterInnenklasse völlig neu strukturiert (insbesondere in den imperialistischen Ländern).

3.2 Atomkraft und Anti-AKW-Bewegung

3.2.1 Zu den Risiken der Atomindustrie

Diese Veränderungen wurden in den 1970er und 1980er Jahren vermehrt als „Abschied von der Klassengesellschaft“ samt „Abschied vom Proletariat“ analysiert. Die neuen sozialen Bewegungen, insbesondere im Umweltbereich, wurden als Aufkommen von „postmaterialistischen“ Schichten charakterisiert, die nicht mehr dadurch definiert werden könnten, dass sie für ihren Lohn möglichst viel Konsumgüter erlangen wollten. Der entscheidende Umbruch war jedoch, dass mit dem Einsatz von immer mehr Technik und Wissenschaft im Produktionsprozess (z. B. einsetzende Automatisierung, zentrale elektronische Produktionssteuerung, komplexere chemische Prozesse, Energieeffizienzanforderungen etc.) die klassische Bandarbeit der fordistischen Fabrik immer mehr zu Gunsten von technisch-wissenschaftlichem Personal, aber auch von Dienstleistungsbereichen (die ihrerseits auch immer technisierter werden) abgelöst wurden. Damit wuchsen sowohl die Anforderungen an den Bildungsbereich, wie auch größere Schichten von wissenschaftlich gebildeten Lohnabhängigen entstanden. Die 68er-Bewegung entstand sicherlich als Reaktion auf die Widersprüche im Bildungsbereich, die sich daraus ergaben. Sie war aber insgesamt ein Ausdruck des Protests gegen die autoritären (Management-)Strukturen in Betrieben und Staat sowie die Versuche, die Wissenschaft in diesem Prozess vollkommen den Kapitalinteressen unterzuordnen. Nur in dieser Gemengelage lässt sich auch die Entstehung der zweiten Umweltbewegung, als Kind der 68er-Revolte, verstehen. Das hat nichts mit einer neuen „postmaterialistischen“ Orientierung bestimmter Gesellschaftsschichten zu tun. Es geht vielmehr um sehr einschneidende Widersprüche in der Produktivkraftentwicklung. Sich ihrer Lage bewusst werdende Produktivkraftsubjekte erfassen einfach immer mehr den Widerspruch zwischen den allgemeinen Möglichkeiten des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts und den tatsächlichen ökologischen und sozialen Folgen desselben unter kapitalistischen Bedingungen. Durch autoritäre, undemokratische Verhältnisse in den Betrieben selbst verlagert sich der folgende Protest notwendigerweise stark auf das „Außen“ der Betriebe selbst, in denen die Umsetzung der kapitalistischen Produktivkraftentwicklung erfolgt. Dies fällt zusammen mit der oben beschriebenen Entwicklung von immer mehr Institutionen, in denen diese „Kontrolle“ von außen mehr oder weniger „unabhängig“ versucht wird. Ob im Wissenschaftsbetrieb, in öffentlichen Umweltbehörden, in Gewerkschaften, in klassischen oder neuen Umweltverbänden, in der Presse etc. – überall hier entwickeln sich Elemente von Gegengewichten zur kapitalbestimmten Produktivkraftentwicklung, die sich mit den klassischen betrieblichen Widerständen ergänzen. Es ist klar, dass das dominierende Kapitalinteresse in all diesen privaten oder öffentlichen Institutionen letztlich die Hegemonie behält. Die teilweise Verlagerung des Interessenkampfes außerhalb des Betriebes bedeutet auch, dass das wirksamste Mittel gegen das Kapital, der Streik, weniger eingesetzt wird und mehr die Frage der politischen Gewinnung der „Öffentlichkeit“ in den Vordergrund rückt. Demonstrationen, symbolische Besetzungen, Bürgerinitiativen, Medienkampagnen, politischer und juristischer Druck zur Erwirkung von Baustopps und Ähnlichem sind eher charakteristisch für die neue Umweltbewegung als Streiks. Dies zeigt einerseits die Schwäche dieser Bewegung auf, die zu einem sehr langsamen Tempo von wirksamer umweltpolitischer Veränderung führt (für viele der Probleme auch tatsächlich viel zu langsam). Andererseits wäre es eine ökonomistische Verkürzung, die Anliegen der Umweltbewegung und die Masse der daran Beteiligten deshalb als „kleinbürgerlich“ abzutun. Der Protest der Umweltbewegung stammt unmittelbar aus den zentralen Widersprüchen der Produktivkraftentwicklung im gegenwärtigen Kapitalismus. Dabei ist die Verbindung des daraus erwachsenden Protestes mit betrieblichem Klassenkampf durch betriebliche Zerstückelung und weiterhin bestehender autoritärer Strukturen im Betrieb eine schwierige politische Aufgabe. Dass diese Verbindung linken Organisationen kaum gelungen ist, zeigt daher nicht nur deren tatsächliche Schwäche auf, sondern auch die Größe dieser Aufgabe insgesamt.

In keinem anderen Bereich wird dies so deutlich wie in der Frage des Protests gegen den Mitte der 1950er Jahre beginnenden Umstieg der Energieversorgung auf den scheinbar unbeschränkten Ausbau der Nutzung von „Atomenergie“.

An sich war das Konzept der Gewinnung von Energie auf der Grundlage des Massendefekts, der bei der Kernspaltung schwerer, radioaktiver Elemente entsteht, ein genialer Wurf – und die technische Umsetzung, von der moderierten Reaktivität z. B. von Brennelementen mit angereichertem Uran-235 bis zur Nutzung der entstehenden Wärmeenergie in Turbinen sicher eine Ingenieurmeisterleistung. Leider entsteht aber bei dem Prozess ionisierende Strahlung (Neutronen-, Alpha-, Gamma-), die in unterschiedlicher Weise für organische Lebensformen und auch menschliche Zellen vernichtende Wirkung haben. Diese Strahlung ist nicht einfach „Endprodukt“, sondern nach dem Spaltprozess entstehen Übergangsstoff mit sehr unterschiedlichen Halbwertszeiten, die solche Strahlung noch sehr viel länger abgeben. So entsteht unmittelbar bei Uranspaltung Caesium-137, ein Betastrahler (Neutronen-), bei dessen Zerfall wiederum starke Gammastrahlung auftritt. Dieses hat „nur“ eine Halbwertszeit von etwa 30 Jahren. Die geringere Halbwertszeit deutet auf die erhöhte Radioaktivität, weshalb z. B. die Ausbreitung dieses Isotops wie auch verschiedener Jod- und Kobaltisotope jedenfalls verhindert werden muss. Als „Abfall“ des Spaltprozesses entstehen insgesamt unbeständige radioaktive Stoffe, die Halbwertszeiten von wenigen Sekunden, mehren Tagen, bis zu Millionen von Jahren haben. „Abgebrannte“ Brennelemente enthalten zunächst noch sehr reaktives Material, das noch weiter stark gekühlt werden muss – weshalb „Zwischenlagerung“ anfangs noch extreme Sicherheitsvorkehrungen und Ableitung der Nachwirkungswärme erfordert. Auch abgekühlte Brennelemente enthalten noch stark radioaktive Elemente, die mehrere Jahre besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordern. Erst dann entsteht der „schwach“ radioaktive Müll, der für mehrere tausend Jahre „endgelagert“ werden muss (z. B. Plutonium-239 hat eine Halbwertszeit von über 24.000 Jahren, Jod-129 von 1,5 Millionen Jahren).

Zu Beginn der AKW-Euphorie wurden die Risiken der Strahlungsenergie selbst wie auch die Gefahren des Austritts von lebensbedrohlicher Strahlung während des Betriebs bzw. bei der Atommülllagerung extrem unterschätzt bzw. heruntergespielt. Erst im Laufe der folgenden Jahrzehnte wurden die Erkenntnisse über Äquivalenzdosen von Strahlungsbelastungen so präzise, dass man diese Risiken immer genauer erfassen kann und Strahlungsbelastungen mit Krankheits- und Sterblichkeitswahrscheinlichkeiten belegt (auch wenn es hier in Bezug auf z. B. Leukämie und Erbkrankheiten noch viel Forschungsbedarf gibt). Noch zu Beginn der Anti-AKW-Bewegung konnte man „ExpertInnen“ erleben (und dies lässt sich heute noch gut in Medienarchiven nachhören), die diese Risiken in heute unvorstellbarer Weise verharmlosten.

Eben das trifft auch auf die Risiken des Betriebs und die Lagerungsproblematik des Atommülls zu. Selbst die AKW-BetreiberInnen wussten natürlich um die Schwachstellen in der Kühlproblematik, die Gefahren des Austritts von radioaktiv belastetem Kühlwasser, des Ausfalls der Kühlsysteme etc.. AKWs wurden daher auch so ausgelegt, dass bei einem Ausfall der Kühlsysteme (GAU) noch rechtzeitig die Reaktivität heruntergefahren werden können sollte. Aufgrund solcher Systeme wurden Unfälle beim Betrieb von Kernkraftwerken für total unwahrscheinlich bezeichnet. Alle „ExpertInnen“ und ihre politischen Frontleute erklärten, in wieviel Millionen Jahren mal vielleicht ein größerer Störfall aufträte und sie natürlich jederzeit in die Nachbarschaft eines AKW zögen. Beim Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 war es gerade der Notabschaltvorgang, der aufgrund sehr unglücklicher Umstände letztlich der „Funke“ war, der das zuvor entstandene explosive Gasgemisch zur Explosion brachte. Bei der Havarie 2011 der Reaktoren Fukushima 1 – 4 war das Kühlsystem durch ein Erdbeben ausgefallen und beim folgenden Tsunami waren dann auch noch sämtliche Notkühlsysteme zerstört worden. Bei beiden Unfällen barst der Reaktormantel und eine radioaktive Rauchwolke (natürlich mit Caesium-137) entwich in die Atmosphäre. In Fukushima konnte Schlimmeres nur durch massive Kontamination des Meeres mit Kühlwasser verhindert werden. In beiden Fällen kam es zusätzlich zu einer Kernschmelze, so dass eine extreme Verseuchung des Grundwassers drohte – wenn nicht durch aufwändige Notbaumaßnahmen der Reaktorrest „eingesargt“ worden wäre. Durch das Opfer der „LiquidatorInnen“ und der „Fukushima 50“ wurden zwar wahrscheinlich Millionen von Menschenleben gerettet, aber die Verseuchung von tausenden Quadratkilometern Boden für unbestimmte Zeit samt unbekannten Folgen durch Fallout über tausende Kilometer hinweg wie auch die Auswirkungen auf die Meeresbiologie sind ein zusätzlich hoher Preis.

Der inzwischen gut rekonstruierte Ablauf der Katastrophe von Tschernobyl wie auch des Beinahe-GAU von Three Mile Island (bei Harrisburg; US-Bundesstaat Pennsylvania) 1979 zeigen, wie komplex die Abläufe in einem AKW (sämtlicher Bauarten) sind und wie schwer es für jegliches Bedienungspersonal im Krisenfall ist, innerhalb kürzester Zeit die richtigen Entscheidungen zu treffen. Natürlich kann man sich immer noch mehr Sicherungsmaßnahmen gegen noch so „unwahrscheinliche“ Verkettungen unglücklicher Umstände vorstellen. Irgendwann muss dann der Sicherheitsaufwand zur Minimierung des „Restrisikos“ mit den dafür notwendigen Kosten abgewogen werden – und wo da im Kapitalismus die Grenzen sind, ist wohl klar. Schon zu Beginn des Aufbaus der Kernenergie wurde in den kapitalistischen Ländern nach dem Prinzip verfahren, dass diese Anlagen nur durch große staatliche Zuwendungen für das Privatkapital überhaupt profitabel zu betreiben waren. So wurde die Endlagerproblematik schon früh weitgehend auf die „Allgemeinheit“ ausgelagert, ebenso viele der notwendigen Infrastruktur- und Sicherheitsmaßnahmen. Dies wird auch bei der Frage der „Wiederaufbereitung“ deutlich, durch die der hochradioaktive Müll reduziert wird- Dieser muss dafür aber auch aufgrund des hohen Risikos extrem gesichert zwischen Zwischenlagern und Wiederaufbereitungsanlagen auf Staatskosten hin und her transportiert werden. Die beiden europäischen Anlagen in La Hague und Sellafield produzieren dabei kaum mehr Brennstoffe, umso mehr atomwaffenfähiges Plutonium. Daneben sind sie vor allem bekannt für die Ableitung von Millionen Tonnen radioaktiven Mülls ins Meer.

Die Umweltbilanz von Kernspaltungsenergie, die heute wieder als „klimafreundliche“ Brückentechnologie propagiert wird, bekommt einen zusätzlichen Schlag durch die Probleme bei der Produktion der Brennelemente selbst. Der Uranbergbau gehört zu den zerstörerischsten (auch was die CO2-Bilanz betrifft) Arten des Bergbaus überhaupt. Er hinterlässt radioaktiv verseuchte Wüstenlandschaften und erfordert aufgrund der Abnahme des Gehalts an Urangestein in den verbleibenden Abbaugebieten immer aggressiveren Einsatz chemischer und mechanischer Hilfsmittel. Inzwischen wird Afrika zu einem für diese Schmutzarbeit willigen Opfer, das immer mehr auch zum Zielpunkt von „Endlagerung“ des Atommülls wird. Dazu kommen auch im Bereich des Uranbergbaus bekannte verheerende Unfälle – z. B. der Bruch des Uranabraumrückhaltebeckens am Rio Puerco, New Mexico, 1979. Die massive Umweltbelastung wurde nicht so bekannt, da die Opfer „nur“ tausende in der Umgebung lebende Native Americans („IndianerInnen“) in deren „Reservaten“ betraf. Zu den Risiken und Umweltproblemen des Uranbergbaus kommt noch die Produktion der Brennelemente aus dem Rohstoff selbst. Schon die Anreicherung des spaltfähigen Uran-235 ist energieintensiv. Dazu kommt, dass daraus dann noch das angereicherte Uranhexafluorid zunächst in Uran(IV)-oxid konvertiert werden muss, das dann bei hohen Temperaturen mit keramischen Material zu Brennstäben verarbeitet wird. Brennelementefabriken sind CO2-Schleudern und zeigen die üblichen Sicherheitsrisiken der Kernindustrie. Am bekanntesten ist der vor Fukushima größte Atomunfall in Japan 1999 im Brennelementewerk Tokaimura. Dort entstand beim Reinigungsprozess von angereichertem Uran(IV)-oxid eine Kettenreaktion, die über 20 Stunden Neutronen- und Gammastrahlung in die Umgebung freisetzte. Mehrere ArbeiteInnenr starben und in einem Umkreis von 10 Kilometern musste evakuiert bzw. der Boden dekontaminiert werden.

3.2.2 Der Anti-AKW-Protest

Offensichtlich war die Kernenergie ein Großprojekt von Monopolkapital und Staat, für die die erwähnten Risiken und Umweltprobleme nur ein sekundäres Thema darstellten. Ein neues „Atomzeitalter“ mit sauberer und billiger Energie wurde propagiert und „die“ Wissenschaft verteidigte diesen Anspruch mit scheinbar unwiderlegbaren Argumenten. KritikerInnen der Atomenergie galten als rückwärtsgewandt, FeindInnen der „Moderne“ und voll von unbegründeten Ängsten und Bedenken. Die Proteste, die es schon in den 1960er Jahren gab, waren denn auch tatsächlich von eher rückständigen Schichten z. B. aus der Landbevölkerung um Atomkraftwerke herum bzw. fundamentalistischen ChristInnen getragen. Erst die 68er-Bewegung und die beschriebene neue Schicht eines „akademisierten Proletariats“ konnte dieser geballten Propagandamacht etwas entgegensetzen. Die Arroganz der Atomwirtschaft, die Verbindung mit der Frage der Atombewaffnung und die autoritären Methoden zur Durchsetzung ihrer Projekte boten in den 1970er Jahren dann genug Stoff, um die Anti-AKW-Bewegung anwachsen zu lassen. Wichtig war natürlich, dass einerseits die Probleme der Atomwirtschaft immer konkreter aufgezeigt werden konnten, diese andererseits aber immer offenkundiger zu Tage traten. Insbesondere in Deutschland wuchs die Anti-AKW-Bewegung zu einer Größe, dass Ende der 1970er Jahre Demonstrationen mit um die 100.000 TeilnehmerInnen möglich wurden.

Noch Mitte der 1970er Jahre rümpften die VertreterInnen der traditionellen „Umweltbewegung“ wie der Biologe Otto König die Nase über die „Revolutionsspiele“ der Anti-AKW-ProtestlerInnen und meinten, dass diese „StudentInnen“ gar nichts mit der „wirklichen“ Umweltbewegung zu tun hätten (Radkau 2011, S. 209). Dies verdeutlicht den Bruch, den diese „zweite Umweltbewegung“ tatsächlich darstellte. Viel wurde in „Kulturwandel“, spezielle „deutsche Angstkultur“, neue „nichtmaterialistische Schichten“ etc. hineingedeutet, um diesen Bruch und die große Ausdehnung der Bewegung zu erklären. Tatsächlich basiert sie, wie gezeigt wurde, sowohl auf einer Veränderung der Produktivkraftentwicklung wie auch auf der damit zusammenhängenden Veränderung der Klassenverhältnisse. Die gesteigerte Verwissenschaftlichung der Produktion, entsprechende Großtechnologien und deren ökologischen Auswirkungen auf der einen Seite brachten die Ausdehnung von gebildeten Schichten im Proletariat, die immer mehr zur Rebellion gegen autoritäre Strukturen in Staat und Betrieben bereit waren, auf der anderen mit sich. Jede/r, der/die bei der Bewegung dabei war, kann sich erinnern, wie viele sich in Details von Kraftwerkstypen eingearbeitet hatten (z. B. die Kritik daran, dass sich trotz der Risiken im dicht besiedelten Westdeutschland die deutsche Atomindustrie aus Kostengründen vorwiegend für den Bau von Leichtwasserreaktoren entschieden hatte), wie viele zu „ExpertInnen“ für Strahlenschutz wurden und vor allem, wie konkret die Kritik an Zwischen-, Endlager- und Wiederaufbereitungskonzepten zugespitzt wurde. Während diese vor allem „von außen“ geübt wurde, gab es zwar in den Betrieben der Atomindustrie durchaus intern gehaltene Auseinandersetzungen um Sicherheitsstandards. Aber im Großen- und Ganzen wurde von den Gewerkschaftsführungen von IG Bergbau und Energie (später IG BCE) und IG Metall der vollständige Schulterschluss mit dem Kapital praktiziert. Somit standen SPD und Gewerkschaften im anderen Lager. Die Unterschätzung der Massenwirkung des Protestes, der  vor allem vor Ort sehr breite Gesellschaftsschichten erreichen konnte, führte auch dazu, dass die staatliche Repression mit der Zeit überfordert war und sogar zum Ansteigen der Bewegung mit beitrug.

Ein großer Teil der Nach-68er-Bewegung beteiligte sich überhaupt erst mit den Auseinandersetzungen zum Bau des AKW Wyhl nach 1975. Der Widerstand dort wurde zunächst von einer kleinen badischen BürgerInneninitiative im benachbarten Breisach getragen. Durch offensichtliche Verfahrensfehler im Genehmigungsverfahren konnten im Zusammenhang mit Protesten immer wieder Baustopps durchgesetzt werden, so dass die Proteste vor dem Kraftwerk schließlich tausende mobilisierten. Die erfolgreiche Behinderung der Inbetriebnahme wurde denn auch zu einem positiven Signal für ähnlich gelagerte Proteste in Brokdorf, Kalkar, Grohnde etc.. Dabei wurden die Proteste vor den Bauzäunen immer militanter. Auch viele Linke, die zunächst gegenüber den Protesten skeptisch blieben, stiegen in deren Organisierung mit ein. 1979 kam es zu einer bundesweiten Demonstration mit etwa 120.000 TeilnehmerInnen: der Höhepunkt einer von Jahr zu Jahr sich steigernden und immer vernetzter werdenden Mobilisierung (z. B. mit einer großen Rolle der „Bürgerbewegung Umweltschutz“). Der Protest in Hannover war bereits der Beginn einer neuen Etappe der Auseinandersetzung: Nachdem der Bau von neuen Atomkraftwerken durch den Widerstand immer schwieriger wurde, verlagerte sich der Protest damals auf die Frage der Endlagerung bzw. Wiederaufbereitung. Er bildete den Auftakt zur Verhinderung der Atommülltransporte ins „Zwischenlager“ Gorleben im Wendland. Gleichzeitig begann auch in einer abgelegenen Gegend in der Oberpfalz die Auseinandersetzung um eines der größten Projekte der deutschen Atomwirtschaft: die Wiederaufbereitungsanlage (WAA) Wackersdorf. Die Auseinandersetzungen um Gorleben und Wackersdorf sollten schließlich die „Entscheidungsschlachten“ um die Zukunft der deutschen Atomindustrie werden. Bedingt durch die weltweiten schweren Atomunfälle, die oben schon geschildert wurden, aber auch durch die politische Verschiebung in der deutschen Politik durch das Erscheinen der Partei „Die Grünen“, wurde die Lage der Atomlobby dabei immer schwieriger. Es darf dabei nicht vergessen werden, dass auch innerhalb der SPD immer größere Opposition gegen die Projekte der Atomindustrie auftrat. Letztlich waren es auch wirtschaftliche Gründe (in Deutschland war Kohlestrom als billigere Alternative für die Energiekonzerne bald attraktiver) und die Tatsache, dass die deutsche Atomindustrie auf dem Weltmarkt immer mehr Positionen verlor, die dazu führten, dass erst die Wiederaufbereitungsprojekte (2005) und später im „Atomkompromiss“ (2011) auch der Betrieb von Kernkraftwerken bis 2022 aufgegeben wurde. Bei letzterem gelang es den Energiekonzernen nochmals, die Kosten weitgehend der Allgemeinheit aufzubürden.

Nachdem in Österreich schon 1978 in einer Volksabstimmung der Einstieg in die Atomenergie abgelehnt wurde und auch die Schweiz 2011 einen „Atomausstieg“ beschlossen hat (der allerdings erst 2034 abgeschlossen sein soll), ist das großspurig angekündigte „Atomzeitalter“ zumindest in den deutschsprachigen Ländern wohl eine kurzzeitige Episode geblieben. Ironischer Weise war es aber eindeutig der Geburtshelfer für eine neue Form der Umweltbewegung und auch ein neues politische Phänomen – die grünen Parteien.

In anderen imperialistischen Ländern wie Frankreich, den USA oder Japan, in denen das Kapital weiterhin in großem Ausmaß auf Kernenergie setzt, bleibt dagegen das Thema weiterhin ein „heißes“ Mobilisierungsfeld. Anders als vielfach dargestellt, gibt es in diesen Ländern sehr wohl eine militante Protestbewegung, die immer wieder zu größeren Mobilisierungen in der Lage ist. Aufgrund des anderen Kräfteverhältnisses waren dort die Proteste allerdings nie so politisch durchschlagend (in Japan änderte sich dies erst nach Fukushima, so dass dort jetzt auch ein Art „Atomausstieg“ in Gang gesetzt wurde).

Entscheidend ist natürlich, dass jeder Protest gegen solche Projekte wie die Kernenergie die Frage nach den Alternativen stellt. Hier ist nicht der Platz, unsere Position zur Zukunft der Kernenergie auszuführen: Sicher ist, dass unter kapitalistischen Bedingungen nur ein möglichst sicherer und gesellschaftlich kontrollierter raschest möglicher Ausstieg anzustreben ist. Ob die Probleme der Betriebssicherheit, der Produktion und Entsorgung (oder gar Wiederverwendung) der Brennelemente je in Einklang mit langfristigen ökologischen und sozialen Zielsetzungen zu bringen sind (z. B. in einer künftigen sozialistischen Gesellschaft) können wir heute natürlich nicht entscheiden. Da scheint die Einführung der Kernfusion, zumindest was Ausgangs- und Endprodukte betrifft, sogar aussichtsreicher, wenn denn je eine betriebssichere Form von Fusionsreaktoren entwickelt werden kann. So lange bleibt angesichts der Notwendigkeit des Ausstiegs aus der Kohleverstromung der Ausbau erneuerbarer Energiegewinnung als notwendige Brückentechnologie übrig – aber das natürlich nur in Zusammenhang mit einer planvollen Reduktion oder zumindest Begrenzung des Energieverbrauchs.

4. Umwälzung der Produktionskräfte und der sozialen Schichtungen als Basis neuer politischer Bewegungen und Parteien im Umweltbereich

Die soziale Basis für die neue Umweltbewegung und die spätere Entstehung von grünen Parteien kann nur verstanden werden aufgrund der Veränderungen der Produktions- und Konsumtionsverhältnisse in den imperialistischen Ländern, wie sie sich in den 1960er und 1970er Jahren vorbereitet hatten und in den folgenden Jahrzehnten beschleunigten. Verbreitet auch in der Linken sind hierzu Vorstellungen von einem Übergang von „Fordismus“ (MassenarbeiterInnen, Fließbandarbeit, Massenkonsumprodukte etc.) hin zum „Postfordismus“ (Automatisierung, globale Lieferketten, Individualisierung etc.). Tatsächlich verschleiern diese Labels mehr an den tatsächlichen Veränderungen, als sie aufklären.

Als eines der gängigen verfehlten Vorurteile zu den gesellschaftlichen Konsequenzen der Veränderungen im Produktionsprozess kann man die seit nunmehr 40 Jahren immer wiederholte Prognose heranziehen, nach der Automatisierung und Digitalisierung zu einem dramatischen „Rückgang der Arbeit“ führen würden – mindestens im nächsten Jahrzehnt der jeweiligen Prognose. Tatsächlich haben sich diese Voraussagen jeweils immer als vollkommen falsch herausgestellt, da sich jedes Jahrzehnt tatsächlich das Volumen an lohnförmig organisierter Arbeitszeit trotz Rationalisierungen und Automatisierungen erhöht und nicht reduziert hat. Der (auch heute wieder gängigen) Prognose vom „Rückgang der Lohnarbeit“ liegt tatsächlich ein falsches Verständnis von wertschöpfender Arbeit im Kapitalismus zugrunde, die banal gesagt mit nützlicher Handarbeit assoziiert wird. Marx hat dagegen folgende Aspekte von Arbeit im Kapitalismus hervorgehoben, die sowohl für soziale als auch ökologische Veränderungen von entscheidender Bedeutung sind – und die jedenfalls zeigen, dass Kapitalismus nicht daran scheitert, dass ihm die Arbeit „ausgeht“:

Erstens wird jede Lohnarbeit nur als Bestandteil einer gesellschaftlichen Gesamtarbeit produktiv oder nützlich: „Das Produkt verwandelt sich überhaupt aus dem unmittelbaren Produkt des individuellen Produzenten in ein gesellschaftliches, in das gemeinsame Produkt eines Gesamtarbeiters, d .h. eines kombinierten Arbeitspersonals, dessen Glieder der Handhabung des Arbeitsprozesses näher oder ferner stehn. [ … ] Um produktiv zu arbeiten, ist es nun nicht mehr nötig, selbst Hand anzulegen; es genügt, Organ des Gesamtarbeiters zu sein, irgendeine seiner Unterfunktionen zu vollziehn“ (Marx 1968, S. 531).

Diese Entfremdung vom Zweck oder Endresultat des Prozesses, ob sie innerhalb eines Betriebes oder über komplexe Marktbeziehungen vermittelt entsteht, hat sich in den letzten Jahrzehnten nochmals gesteigert. Die „Nützlichkeit“ der einzelnen Arbeit wird umso mehr zur Nebensache, wenn man einen weiteren Aspekt der Arbeit im Kapitalismus betrachtet:

Zweitens ist Arbeit im Kapitalismus nur produktiv, wenn sie Mehrwert schafft, d .h. der Verwertung von Kapital dient: „Die kapitalistische Produktion ist nicht nur Produktion von Ware, sie ist wesentlich Produktion von Mehrwert. Der Arbeiter produziert nicht für sich, sondern für das Kapital. Es genügt daher nicht länger, daß er überhaupt produziert. Er muss Mehrwert produzieren. Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur Selbstverwertung des Kapitals dient“ (Marx 1968, S. 532).

Was daher nützliche Tätigkeit, Arbeit, wirtschaftliche Aktivität etc. ist, entscheidet sich nicht an irgendwelchen gesellschaftlichen oder ökologischen Kriterien, sondern im Kapitalismus nur daran, ob Kapital zur Beschäftigung von Lohnarbeit eingesetzt werden kann, das dabei auch über die Realisierung von Mehrwert gewinnbringend zu Kapitalwachstum führt. Im Neoliberalismus (und seinen Privatisierungen) haben wir gesehen, was alles an Beschäftigungen mehrwertschaffend verwertet werden kann, von dem dies vorher nicht für möglich gehalten wurde. Damit die Realisierung des Mehrwerts gelingt, ist natürlich ein weiterer Aspekt wesentlich:

Drittens ist Arbeit nützlich, wenn ihr Produkt oder die damit verbundene Dienstleistung „menschliche Bedürfnisse irgendeiner Art befriedigt. Die Natur dieser Bedürfnisse, ob sie z. B. dem Magen oder der Phantasie entspringen, ändert nichts an der Sache“ (Marx 1968, S. 49). Die beständige „Entdeckung“ von solchen Bedürfnissen ist nicht nur „geschichtliche Tat“ (ebd., S. 50), sondern systematische Beschäftigung ganzer Teile des/r „GesamtarbeiterIn“. Abhängig von der im Reproduktionsprozess hervorgebrachten Kaufkraft (für Konsum- oder Produktionsmittel) erscheint so dem kapitalistischen Wachstum keine Grenze gesetzt zu sein. In der Nachkriegsperiode wurde tatsächlich eine längere Wachstumsperiode nicht nur durch günstige Ausbeutungsbedingungen für das Kapital nach den Verheerungen des Krieges geschaffen, sondern auch ein dafür geeignetes Konsumtionsregime gefunden. Die industrielle Massenproduktion bestimmter Konsumgüter (Automobile, Haushaltsgeräte, Unterhaltungselektronik etc.) ermöglichtn ein Produktionswachstum, das sich die entsprechende Kaufkraft selbst schuf (Verbilligung der Konsumtionsmittel erleichterte Produktion von relativem Mehrwert). Dieses Modell war es, das in den 1970er bis 1980er Jahren an seine Grenzen stieß.

Viertens wird der Gesamtzusammenhang der Arbeit immer mehr nur durch das Kapital selbst hergestellt, der den/die einzelne ArbeiterIn zum Anhängsel eines Prozesses macht, der wie eine „Naturgewalt“ erscheint: „Durch seine Verwandlung in einen Automaten tritt das Arbeitsmittel während des Arbeitsprozesses selbst dem Arbeiter als Kapital gegenüber, als tote Arbeit, welche die lebendige Arbeit beherrscht und aussaugt. Die Scheidung der geistigen Potenzen des  Produktionsprozesses von der Handarbeit und die Verwandlung derselben in Mächte des Kapitals über die Arbeit vollendet sich [ … ] in der auf Grundlage der Maschinerie aufgebauten großen Industrie. Das Detailgeschick des individuellen, entleerten Maschinenarbeiters verschwindet als ein winzig Nebending vor der Wissenschaft, den ungeheuren Naturkräften und der gesellschaftlichen Massenarbeit, die im Maschinensystem verkörpert sind“ (Marx 1968, S. 446).

Die fortschreitende Ersetzung von Teilen des/r GesamtarbeiterIn durch Automaten ist nichts Neues im Kapitalismus. Vielmehr ist es seit Anbeginn ein grundsätzliches Element kapitalistischer Rationalisierung. Dort, wo es Kosten einspart, wird mithilfe wissenschaftlich-technischer Produktionsmittel menschliche Arbeitskraft durch Kapital als Maschinerie ersetzt. Dabei entsteht die „Polarisierung“ der Beschäftigten in die gering qualifizierten „Restarbeiten“ (deren Ersetzung durch Maschinerie sich aus Kostengründen nicht lohnt) und das immer höher qualifizierte Personal der technischen Transformation, Durchführung und Überwachung. War dies früher auf die fabrikmäßig organisierte Arbeit konzentriert, so ist es heute unter dem Stichwort der „Digitalisierung“ immer mehr auch auf Dienstleistungs- und Büroarbeiten zu beziehen. Die beschriebene Form der kapitalistischen Rationalisierung führt aber durch das wachsende Gewicht des toten gegenüber dem mehrwertschaffenden Kapital zum tendenziellen Fall der Profitrate und damit zum für das Einzelkapital unhinterfragbaren Wachstumszwang (Steigerung des absoluten Profitmasse in Gegenwirkung zum relativen Sinken der Profitrate), letztlich zur Überakkumulation von totem Kapital. Die wirkliche Schranke des Wachstums für das Kapital ist daher nur das Kapital selbst.

Fünftens ist Arbeit im Kapitalismus durch eine beständige Tendenz zur „Verwissenschaftlichung“ geprägt. Das permanente Verwertungsproblem des investierten Kapitals zwingt zur beständigen Rationalisierung und Ökonomisierung der bestehenden Arbeitsprozesse, aber auch der Entdeckung (oder auch Erzeugung) neuer Bedürfnisse, um die Realisierung der erweiterten Produktion auch zu gewährleisten. Von daher wird Wissenschaft und Technik nicht nur im unmittelbaren Produktionsprozess immer wesentlicher. Sie wird auch immer mehr selbst vereinnahmt und den Verwertungsinteressen des Kapitals unterworfen, um diese genannten Ziele auch in einer Form zu erreichen, die dem klassischen Wissenschaftsbetrieb an sich fremd ist (was Masse an Mitteln, Zeitvorgaben, praktische Anwendbarkeit etc. betrifft).

Seit den 1950er Jahren haben wir mehrere Umwälzungen der technischen Basis, der Arbeitsorganisation, der Reproduktions- und Konsumtionsregim, etc. entsprechend diesen fünf Prinzipien beobachten können. Dies wurde in Bezug auf die Umweltproblematik schon an den obigen Beispielen aus den Bereichen der chemischen Industrie und der Energiewirtschaft deutlich. Es betrifft aber auch die Umwälzungen im Transportsektor, der Kommunikations- und IT-Industrie, allgemeiner der Automatisierungstechnologien. Mit den technisch-wissenschaftlichen Revolutionen einher ging ein Wachstum der agierenden Kapitale, die sich immer mehr bei global agierenden Konzernen konzentrieren. Damit wurde eine weitere Aufspaltung des Produktionsprozesses möglich, die sich in weltweiten Produktions- und Lieferketten mit komplexer Termin- und Teilesteuerung manifestiert („global lean production“). Der/die einzelne Beschäftigte ist immer mehr ein kleines Rädchen eines/r globalen GesamtarbeiterIn.

Damit einher gingen vier bedeutsame Veränderungen in der Zusammensetzung der ArbeiterInnenklasse: Noch 1960 produzierten die damals noch zu Recht so bezeichneten „westlichen Industriestaaten“ etwa 80 % der am Weltmarkt gehandelten Industrieprodukte. Entsprechend stand der Anteil der Industrie an der Gesamtbeschäftigung in Westdeutschland damals noch bei fast 50 %. Heute liegt er in den alten imperialistischen Zentren (also ohne China und Russland) bei nur noch 40 % (während immer noch über 50 % der „Wertschöpfung“ dort stattfinden und sogar zwei Drittel des Weltvermögens dort konzentriert sind). In Deutschland sind heute nur (für die „westlichen Industrieländer“ sogar recht hohe) 24 % der Gesamtbeschäftigung im „produktiven Gewerbe“ tätig. Hinter dieser Entwicklung steht natürlich eine neue internationale Organisation des Kapitals, die viele der „schmutzigen“ Produktionen in den „globalen Süden“ verlagert hat, aber die Verwertungskontrolle weiterhin im „globalen Norden“ behält: die Gesamtsteuerung, den technisch-wissenschaftlichen Kernprozess etc. und vor allem das Geld- und Finanzkapital.

Zweitens geht damit einher, dass die wachsenden Bereiche in diesen oberen Ebenen der „Wertschöpfungskette“, wie sie jetzt in den imperialistischen Ländern konzentriert sind, immer mehr an Bildung und wissenschaftlich-technischer Forschung in diesen Ländern erfordern. Ausdruck davon ist einerseits, dass noch bis zum 2. Weltkrieg in Deutschland 60 % der Bevölkerung den Hauptschul- als höchsten Schulabschluss aufwiesen – heute sind es nur noch 20 %. Dagegen hatten noch 1960 nur 7 % der 18- bis 20-Jährigen die Studienberechtigung – heute sind es 56 %. Zwischen 1960 und 1980 kam es zu einer regelrechten „Explosion“ des Bildungssektors in Deutschland und vergleichbaren Ländern. Sowohl die Anzahl an Bildungseinrichtungen wie Schulen und Hochschulen stieg als auch die Masse an Auszubildenden und Lehrenden an diesen Institutionen wie auch die Verweildauer von Jugendlichen in Bildungsinstitutionen. Die Masse an formellen Qualifikationen nimmt zwar ebenso zu, wie der Übergang von Bildungsabschluss zu Eintritt in Festeinstellungen immer später erfolgt. Ttatsächlich bedeuten diese Abschlüsse weder eine Garantie auf besser bezahlte Jobs, noch dass nicht schon während des Ausbildungsprozesses eine Ausdehnung informeller Beschäftigung erfolgt, aus der viele dann auch nicht mehr herauskommen.

Sicher ist, dass die Ausdehnung des Bildungssektors zu beträchtlichen sozialen Widersprüchen in den imperialistischen Ländern geführt hat. Dies betrifft nicht nur die Fortführung der Benachteiligung von Kindern aus Unterschichten oder mit Migrationshintergrund, die notwendig immer wieder zu Konflikten und Protesten im Bildungsbereich führt. Es betrifft auch die Möglichkeit einer viel stärkeren Reflexion der kapitalistischen Widersprüche z. B. auch in den Fragen der ökologischen Zukunftsentwicklung, die für viele Jugendliche ab den 1960er Jahren immer mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückten.Das betrifft auch die überkommener autoritärer Strukturen in den Bildungsinstitutionen, den traditionellen Familienstrukturen, der Arbeitswelt etc. und der Infragestellung der Geschlechterrollen. Die Jugendrevolte der 1960er und 1970er Jahre hat in allen diesen Bereichen ein permanentes Potential an Politisierbarkeit von Jugendlichen hervorgebracht, aus dem sich in jeder Generation danach auch in den Fragen der Ökologie immer wieder Protestbewegungen und politisches Engagement entwickelt haben. Als die Partei „Die Grünen“ in der Bundesrepublik in den 1980er Jahren zu einer „Wahlalternative“ wurde, waren 80 % ihrer WählerInnen unter 30 Jahre. Bis heute bleiben die Grünen in dieser Altersgruppe die stärkste der Parteien. Die formelle Trennung von Bildungsbereich und Arbeitswelt verführt dazu, die Jugendprotestbewegungen als etwas von „den Arbeitenden“ Getrenntes zu betrachten. Tatsächlich sind viele der beteiligten Jugendlichen trotz Ausbildungsstatus’ selbst in prekären Formen der Beschäftigung verfangen, werden als Auszubildende ausgebeutet oder sind in einer Ausbildungsschiene hin zu einem Job. Nur für die wenigsten bedeutet ihr Ausbildungsstatus noch die Vorbereitung auf eine privilegierte Stellung „im Mittelstand“. Die Charakterisierung von Sahra Wagenknecht für die Jugendlichen in solchen Protestbewegungen als solche, die die „Probleme verwöhnter Mittelstandskinder“ wälzen, könnte nicht falscher sein, was die soziale Wurzel dieser Bewegungen seit den 1960er Jahren betrifft.

Die Kehrseite dieser seitdem entstandenen „Jugendkultur“ ist, dass sie dem Kapitalismus andererseits auch wieder zu einer beträchtlichen Modernisierung verhalf. Dies betrifft nicht nur viel effektivere Formen der scheinbar nichtautoritären Arbeits- und Führungskultur. Es beinhaltet vor allem auch ein Durchbrechen des beschränkten Konsumhorizonts der „fordistischen Massenproduktion“. Mit dieser einher ging ein hohles, entfremdetes Angebot eines „guten Lebens“ für die Normalbevölkerung: Normalarbeitstag, normierte Wohnung je nach Stellung, Waschmaschine, Fernseher, Auto je nach Stellung, Ferien entsprechend Reisekatalog, kleinbürgerliche Familienverhältnisse etc. Nachdem die verschiedenen Jugendrevolten seit den 1960er Jahren immer wieder an diesem normierten Bild des „Glücks“ gerüttelt bzw. die Umweltbewegungen dessen ökologischen Fußabdruck aufgezeigt haben, hat dies andererseits dem Kapitalismus ganz neue Verkaufsmöglichkeiten erschlossen. Massenproduktion wird heute mit Aufpreis „individualisiert“, mit sozialen und ökologischen Zusatzfeatures versehen. „Individualisierter“ Tourismus wie auch diversifizierte Unterhaltungsindustrie sind regelrecht explodiert. Die Internetplattformen ermöglichen ganz andere Dimensionen von Marketing etc. Das kritische Potential der neuen grünen Milieus gegenüber der kapitalistischen Massenproduktion und ihren sozialen und ökologischen Folgen führt auch zu einer Reihe von „Lösungsmöglichkeiten“, die der Kapitalismus angeblich zu bieten hat – und die dann auch ein neues Level der kapitalistischen Massenproduktion ermöglichen.

Die dritte Veränderung betrifft das, was man seit geraumer Zeit in soziologischen Studien die „Polarisierung der Qualifikationen“ bezeichnet. Dies bezeichnet die gut belegbare Tatsache, dass in allen OECD-Ländern derzeit besonders bei den „mittleren Qualifikationen“ ein Beschäftigungsabbau stattfindet, während sowohl bei denen mit höherer als auch besonders niedriger Qualifikation ein Aufbau erfolgt. Dies passt natürlich zu der schon genannten Tendenz des Abbaus traditioneller Industrien und Dienstleistungsbetriebe mit ihren klassischen Ausbildungsberufen (eben mittlere Qualifikationen wie im FacharbeiterInnenbereich oder bei Bürokaufleuten). Andererseits werden am oberen Ende der globalen Wertschöpfungsketten immer mehr Fachkräfte für die technischen Grundlagen, die Steuerung, die Finanzierungsdienstleitungen, das Marketing etc. benötigt. Andererseits fallen überall „Restarbeiten“ an, für die sich eine automatisierte Lösung derzeit nicht anbietet (Transport-, Reinigungssektor, Botendienst, etc.). Neben einer Ausdehnung des besser bezahlten Bereichs qualifizierter Arbeiten gibt es daher auch eine immer größer werdende Beschäftigung in prekären Sektoren oder solchen mit informellen Beschäftigungsverhältnissen (Teilzeit, Leiharbeit etc.). Damit hat sich auch die Differenzierung der ArbeiterInnenklasse weiter fortgesetzt: Heute gibt es nicht mehr nur die klassische Scheidung zwischen Angestellten, FacharbeiterInnen und unqualifizierten Arbeitskräften. Es kommen auf der einen Seite immer mehr an die Betriebe an- oder ausgegliederte prekäre Beschäftigte dazu. Auf der anderen Seite wächst aber auch eine neue „ArbeiterInnenaristokratie“ im Bereich der besonders gefragten Qualifikationen. Letztere gehen oft auch über in neue lohnabhängige Mittelschichten, sofern sie Kompetenzen besitzen, die ihnen quasi Selbstständigkeit oder Anstellung in Forschungseinrichtungen mit privilegierten Beschäftigungsverhältnissen ermöglichen.

Die vierte Veränderung betrifft die „Demografie“. Dies bezieht sich nicht nur, wie oft verkürzt darunter verstanden wird, auf die Überalterung der Bevölkerung in den imperialistischen Ländern (in Deutschland sind ein Drittel der Bevölkerung über 60 Jahre). Es bezieht sich auch auf die Auflösung der traditionellen „bürgerlichen Familie“ (Zunahme an Alleinerziehenden, Singlehaushalten, Rückgang der Kinderzahlen pro Familie etc.) und vor allem die Tendenz zur immer stärkeren Konzentration der Bevölkerung in den Großstädten. Natürlich ist letzteres auch verknüpft mit den Tendenzen zur Konzentration auf die „oberen Ebenen“ der Wertschöpfungskette in den imperialistischen Ländern wie auch zur Ausdehnung der Bildungszeiten.

Die dargestellten Veränderungen erklären in vielerlei Hinsicht die Entstehung des spezifischen „grün-alternativen Milieus“, das die soziale Basis sowohl für die neue Art der Umweltbewegung abgibt wie auch für die Entstehung von grünen Parteien. Dieses Milieu unterscheidet sich deutlich von den (klein-)bürgerlichen Schichten der klassischen bürgerlichen Umweltpolitik und -vereinstätigkeit. Es unterscheidet sich auch stark von den klassisch sozialdemokratischen Milieus – auch wenn es zu beiden natürlich Überschneidungen gibt. Das Milieu ist einerseits konzentriert in Großstädten, stark von seinen Wurzeln aus den Jugendprotesten seit den 1960er und 1970er Jahren geprägt, Ergebnis der Ausdehnung der langen Bildungsprozesse und der dargestellten Veränderung in der internationalen Mehrwertproduktion. Das Milieu eint die „kritische Haltung“ gegenüber der kapitalistischen Massenproduktion und -konsumtion und ihren sozialen und ökologischen Folgen sowie den konservativen gesellschaftspolitischen Strukturen der bestehenden kapitalistischen Gesellschaften (Autoritarismus, Geschlechterrollen etc.).

Das grün-alternative Milieu und die sich daraus bis heute verästelt entwickelnden Potentiale mit Bezug zu Umweltbewegungen dürfen jedenfalls nicht als „neue Klasse“ missverstanden werden. Weder die Kategorie von „neuen postmaterialistischen Klassenlagen“ noch die von „urban professionals“, vom neuen „Bildungsprekariat“ etc. können diese soziale Formation erfassen. Sie kann nur verstanden werden aus der Entwicklung der Produktivkräfte nach dem zweiten Weltkrieg, der damit einhergehenden globalen Neuverteilung von Arbeit, der Ausdehnung von Bildungs- und Wissenschaftsprozessen in den imperialistischen Ländern, zusammen mit der wachsenden ökologischen Krise, die diese Prozesse mit sich bringen. Klassenmäßig formiert sich hier immer wieder in unterschiedlicher Zusammensetzung eine Koalition verschiedener Schichten aus unterschiedlichen Klassen, die über ihre spezifische Position im (Re-)Produktionsprozess positive Erwartungen in Bezug auf ökologische und soziale Fortschritte entwickelt haben, die von der krisenhaften Realität des realen „Fortschritts“ enttäuscht werden. Die Enttäuschung von Erwartungen hängt dabei mit Bildungsprozessen und Verbreitung von Wissen über mögliche alternative Lebens- und Produktionsweisen zusammen, die sich in diesen Milieus befestigt haben.

Andererseits formieren sich diese Milieus nicht nur durch den Widerspruch zu den herrschenden Verhältnissen, die in welcher Form auch immer als Hindernis für den gewünschten Fortschritt erkannt werden. Dies betrifft auch die Konfrontation mit den klassischen bürgerlichen und proletarischen Milieus. Das Narrativ von der Konfrontation von StudentInnenbewegung und Umweltprotesten mit „den ArbeiterInnen“ gipfelte ja zumeist in den plakativen Interviews von AutomobilarbeiterInnen, die über die Protestierenden urteilen: „Die haben ja in ihrem Leben noch nie was Richtiges gearbeitet“. Hier wurde natürlich nicht die Klassenkonfrontation mit der Bourgeoisie gemeint, sondern die sinnentleerte, entfremdete Arbeit in der fordistischen Fabrik zur Essenz des richtigen Lebens für uns Subalterne erklärt. Damit wurde auch verschleiert, dass ein Großteil dieser neuen Milieus, auch wenn er  zumeist nicht in diesen immer mehr verschwindenden Fabriken arbeitet, zu einem Bestandteil der sich neu formierenden ArbeiterInnenklasse wurde. Eben einer, die sich vermehrt in prekärer Arbeit, in Dienstleistungsbereichen, in Bildungs-, Wissenschafts-, Gesundheitsinstitutionen etc. findet und immer weniger aus klassischen ProduktionsarbeiterInnen besteht (man denke an das Marxzitat zum/r „GesamtarbeiterIn“ zurück).

Im Übrigen ist „Bildung“ in ihrer verdinglichten Form als „Qualifikation“ ja auch nur ein weiterer Fetisch neben dem des Lohns, den die Herrschaft der Wertform hervorbringt. Abstrahiert wird dabei sowohl von ihrer Bedeutung im Gesamtproduktionsprozess wie auch von den Bedingungen ihrer Produktion selbst. Viele so hervorgebrachten und „erworbenen“ Qualifikationen sind für den realen Produktionsprozess kaum zu gebrauchen. Die meisten „Qualifizierten“ arbeiten in ganz anderen Tätigkeiten oder hangeln sich als real „Unqualifizierte“ von einem schlecht bezahlten Job zum nächsten. Tatsächlich dienen „Qualifikationen“ zur gesellschaftlichen Hierarchisierung und Auslese derjenigen Arbeits- und Führungskräfte, die für den Gesamtarbeitsprozess aus Sicht der Kapitalkontrolle darüber tatsächlich zentral sind. Dieser Prozess bringt daher sowohl ein wachsendes „Bildungsprekariat“, kritische grün-alternative Milieus wie auch die zentralen Wissens- und Führungskräfte des modernen Kapitals hervor. Gegenüber den traditionellen ArbeiterInnenschichten eint dann der Fetisch des „Gebildetseins“. Heute drückt sich das dann gerne in den Exzessen der „Wokeness“ (Haltung der Wachheit und Wachsamkeit) aus, mit denen man sich über den Antiökologismus, Rassismus, Sexismus, politischen Irrsinn etc. der „bildungsfernen Schichten“ in einer breiten Koalition mit den liberalen Mittelschichten aufregt. In vielen einzelnen Fällen mag das berechtigt sein, muss aber auch immer unterm Aspekt des „Klassismus“, der schichtspezifischen Abgrenzung gegenüber den ungebildeten Unterschichten kritisch betrachtet werden.

Wichtig ist hier vor allem, dass sich mit der Herausbildung dieser alternativ-grünen Milieus eine beträchtliche Spaltung zwischen den traditionellen und neuen Schichten der ArbeiterInnenklasse in fast allen imperialistischen Ländern ausdrückt. Dies mag mehr oder weniger stark ausgeprägt sein und sich auch in Bewegungen oder politischen Parteien niedergeschlagen haben. Darin zeigt sich jedoch das schwächer Werden von traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenklasse wie den Gewerkschaften aus wie auch die Probleme ihrer neuen Schichten. Ihre Arbeitsbedingungen sind zumeist von schwächerer gewerkschaftlicher Organisation geprägt, wie sich über die „Qualifikation“ auch eine starke Spaltung und Individualisierung der Beschäftigten organisieren lässt. Das „kritische Potential“ dieser Schichten kann sich daher auch weniger in Gewerkschaften oder anderen Organisationen der Klasse ausdrücken. Daher die größere Tendenz zu Bewegungen außerhalb des eigenen Arbeitsplatzes hin zu solchen im Reproduktionsbereich, kommunalem Engagement, ökologischen oder antisexistischen Protesten etc. Daher auch die Tendenz dieser Milieus zu klassenübergreifenden Koalitionen, die sich in solchen Bereichen notwendigerweise einfacher ergeben. Sofern dann dieser Aktivismus nicht eine Tendenz zur Systemkonfrontation entwickelt wie im Fall der Anti-AKW-Bewegung, gewinnt das (klein-)bürgerliche Segment in dieser Klassenkoalition notwendigerweise ideologisch die Vorherrschaft. Anders als die traditionellen, gewerkschaftlichen Milieus, bei denen zumindest ein Rest von Klassenbewusstsein in Form der Notwendigkeit v. a. gewerkschaftlicher Organisierung gegen das Kapital bestehen bleibt, bestehen diese dann schnell nur noch aus „kritischen BürgerInnen“.

Das „grüne Milieu“ ist entsprechend eine komplexe Koalition aus klassenmäßig durchaus unterschiedlichen Schichten von „progressiven“ (Klein-)BürgerInnen, lohnabhängigen Mittelschichten, neuer ArbeiterInnenaristokratie bis hin zum „Prekariat“. Welche der genannten Schichten jeweils im Vordergrund einer Bewegung, eines Protestes, einer Parteibildung etc. steht, hängt von den konkreten Umständen, den Erfahrungen und Organisationsprozessen aus vorangegangenen Auseinandersetzungen ab. Dies kann zu einer stark ins bürgerliche System integrierten, von Mittelschichten dominierten bis hin zu radikalen, von Prekären oder Jugendlichen geprägten Protestbewegung reichen. Diese widersprüchliche Vielfalt werden wir im Folgenden von der Parteibildung der Grünen über die Herausbildung der NGO-Kultur bis hin zu den verschiedenen Ausprägungen der Klimaschutzbewegung herauszuarbeiten versuchen. Klar ist: Die Radikalität und potentiell systemsprengende Kraft der Anfangsphase, wie wir sie in Deutschland in der Anti-AKW-Bewegung analysiert haben, wurde dabei nicht wieder erreicht. Hierfür spielte gerade auch die Herausbildung der grünen Partei und ihrer Degeneration eine entscheidende Rolle.

Hier sei noch erwähnt, dass die hier entwickelte Herangehensweise sich grundlegend vom antidialektischen, strukturalistischen Konzept der „Hegemonie“ unterscheidet. Die angesprochenen klassenübergreifenden Blockbildungen sind im Kapitalismus nie stabile, über lange Zeiträume „vorherrschende Diskurseinheiten“, sondern werden durch Krisen, Klassenwidersprüche und Zuspitzung von Gegensätzen rasch wieder über den Haufen geworfen und zwingen zur Neugruppierung. Der Kapitalismus ist kein System des „Stellungskrieges“, mittels dessen man vor der Revolution die gedankliche Vorherrschaft der ArbeiterInnenklasse dauerhaft erringen kann, sondern eines der permanenten Umwälzung und Revolutionierung. Insofern ist auch die Konzentration auf die Kritik am Neoliberalismus als Kampf um die Wiederherstellung von „schon mal Erreichtem“ nichts anderes als linker Konservativismus. Die kapitalistische Dynamik muss dagegen als Chance der Wiederpolitisierung und Hinaustreiben der Proteste auch über das angeblich schon mal Erreichte verstanden werden. Dagegen ist die Befestigung von „Stellungen“ im Rahmen der herrschenden kapitalistischen „Diskurse“ nur das sichere Zeichen, dass der betreffende Organisierungsprozess verbürgerlicht, d .h. sozial von den Schichten in den kritischen Milieus bestimmt wird, die mit ArbeiterInnenaristokratie oder lohnabhängigen Mittelschichten zu tun haben – die also letztlich ihr Schicksal mit dem der Bourgeoisie verknüpfen. Sie verwechseln oft Revolution als wesentlich notwendige, praktische Tat mit den entrückten Diskursen in ihren eigenen Köpfen und Reihen – „kritische KritikerInnen“ eben.

5. Zur Entstehung und Charakterisierung der Partei „Die Grünen“

5.1 Entstehung der Grünen

Anfang der 1980er Jahre waren die verschiedenen Protestbewegungen, die von den beschriebenen neuen Milieus geprägt waren, an einem Punkt angelangt, der zur politischen Organisierung drängte. Die großen Anti-AKW-Demos stellten klarerweise die Frage nach einer politischen Antwort gegenüber dem „Atomstaat“. Dies betraf nicht nur eine grundlegend andere Energiepolitik, sondern  damit auch die nach einer Alternative zur bestehenden Wirtschaftsform insgesamt. Dazu kamen die Mobilisierungen gegen den NATO-Doppelbeschluss (1979), die nicht nur die Frage des Austritts aus der NATO, sondern nach der Konfrontation mit dem Imperialismus insgesamt stellten. Aber auch in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit, der Unterdrückung von Homosexuellen, der rassistischen Diskriminierung etc. stellten sich Fragen politischer Alternativen, die von den bestehenden Parteien unter Einschluss der damals noch regierenden SPD nicht beantwortet wurden.

Die radikale Linke stand der neuen Umweltbewegung zunächst unschlüssig gegenüber. Die meisten Organisationen charakterisierten sie als „kleinbürgerlich“. Wie schon mehrfach ausgeführt, wurde hiermit, wie schon bei der „StudentInnenbewegung“ zuvor, die Tiefe der gesellschaftlichen Veränderungen im Produktionsprozess, im Klassengefüge, bis hin zum gesellschaftlichen Überbau nur ungenügend erfasst. Das „Kleinbürgertum“ spielte tatsächlich in der neuen Bewegung eine untergeordnete Rolle. Zwar waren bei den Anti-AKW-Bewegungen durchaus auch viele Bauern und Bäuerinnen sowie kleinstädtisches BürgerInnentum vertreten. Die Masse der Protestierenden kam aber wie oben ausgeführt aus urbanen Milieus, die auch große Teile einer sich neu formierenden ArbeiterInnenklasse umfassten. Auf der anderen Seite hatten die klassischen arbeiteraristokratischen Schichten gerade ihren Weg in die Verkleinbürgerlichung im Nachkriegsaufschwung hinter sich. SPD und Gewerkschaftsbürokratie, die gerade mit diesen aufs Engste verbunden waren, hatten damit maximal Probleme, diese neuen Schichten der ArbeiterInneklasse an sich zu binden (mit der teilweisen Ausnahme der Jusos, die damit auch einiges an Sprengkraft in die SPD brachten). Auch die DKP war mit ihren unverbrüchlichen Bekenntnissen zur „sicheren“ sowjetischen Kernenergie nicht gerade ein glaubwürdiger Anknüpfungspunkt der neuen Umweltbewegung. Ihr „kleinbürgerlicher“ Charakter ergab sich so weniger aufgrund ihrer sozialen Zusammensetzung als viel mehr aus ihrer Ferne zur bestehenden organisierten ArbeiterInnenbewegung. Die Führungen von Gewerkschaften und SPD waren ja auch unmittelbare GegnerInnen in der politischen Auseinandersetzung. 

Damit war es auch klar, dass diese Protestbewegung letztlich unter politische Kontrolle tatsächlich von kleinbürgerlichen Kräften kommen musste, die die Beschränktheit der Kampfmethoden und ihre Ferne zur klassischen ArbeiterInnenbewegung zum „neuen“, „modernen“ politischen Prinzip erklärten. Damit aber verwandelten sie die Protest- in eine Reformbewegung des Kapitalismus („Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie“). Aber es war eben nicht von Anfang an klar, dass die „zweite Umweltbewegung“ letztlich unter Kontrolle solcher politischen Strömungen wie der „Grünen“ kommen musste – und natürlich blieb diese Kontrolle auch immer nur eine partielle. So entwickelten sich die „Grünen“ von einer von kleinbürgerlichen Massenbewegungen getragenen Protestpartei (nicht Massenpartei!) mit ihren Mantras „ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei“ zur offen bürgerlichen Formation – einer besonderen allerdings, weil nicht aus Bewegungen innerhalb des kapitalistischen Bürgertums hervorgegangen. Anzumerken bleibt, was die frühen Grünen an der radikalen Linken zerstört haben: den vorher selbstverständlichen, wenn auch linksstalinistisch verzerrten Bezug auf die ArbeiterInnenklasse. Dieser Katastrophe leistete auch der degenerierte Nachkriegstrotzkismus wenig bis keinen Widerstand, sondern teilweise Vorschub (Teile der GIM). Ähnliche Kapitulation erfolgten gegenüber anderen „neuen sozialen Bewegungen“ ( z. B. dem Feminismus) aus einem Mangel an einer auf die Höhe der Zeit gehievten Orthodoxie.

Allerdings haben sich seit der Gründung der „Grünen“ in Deutschland Anfang der 1980er Jahre bedeutende Verschiebungen in der Klassenzuordnung ergeben, die auch für die Umweltbewegung insgesamt und für ihre weitere Ausdifferenzierung wichtig sind. Die Protestbewegungen der 1970er und 1980er Jahre waren auch Resultate der Krise des Nachkriegsaufschwungs, eines neuerlichen Umbruchs im Produktionsprozess und der Integrationsprobleme mit dem analysierten neuen „Bildungsproletariat“. Ausdruck dessen in der Bundesrepublik war auch eine einflussreiche Rolle verschiedener maoistischer K-Gruppen in den großen Protestbewegungen dieser Zeit. KBW/BWK, KB und deren diverse Abspaltungen spielten eine wichtige Rolle für die Organisierung der militanteren Formen des Protests. So wurde z. B. der KBW wegen des versuchten Sturms auf das Baugelände des AKW Grohnde wegen „Rädelsführerschaft“ mit einem Verbotsverfahren bedroht. Diverse K-Gruppen und auch trotzkistische ZentristInnen waren an der Gründung von „Alternativen Listen“ (oder „Bunten Listen“) beteiligt. Die bedeutende Rolle der K-Gruppen bei der Gründung der Grünen wird heute in der Selbsterzählung der Partei als zufällige biografische Randnotiz abgetan. So etwa beim Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, der sich „in seiner Jugend“ halt in eine autoritäre „Sekte“ verirrt habe. Tatsächlich war er als Vertreter des KBW bei AKW-Protesten, wie in Wyhl, sehr aktiv beteiligt. Insgesamt lieferte diese orthodox-maoistische Gruppe dem Realo-Flügel einiges an Spitzenpersonal (Bütikofer, Fücks, Schmierer, etc.). Im Unterschied zum KBW, der keine bewusste Eintrittstaktik betrieb, spielte der KB in Norddeutschland eine entscheidende Rolle bei der Gründung der Grünen. Die GAL in Hamburg um die KB-Größen Ebermann/Trampert lieferte das Muster für ähnliche Interventionen in den anderen norddeutschen Bundesländern – und ebenso langjähriges Führungspersonal, wie Jürgen Trittin und Angelika Beer.

Natürlich war es für maoistische ZentristInnen leichter, ihre „revolutionäre Perspektive“ mit einer opportunistischen Klassenpolitik zu verbinden – ganz im Sinne Maos origineller Mehrklassenbündnisse im Rahmen einer völligen Verfälschung der „demokratischen Diktatur“-Strategie. Tatsächlich passten sich die K-Gruppen in der Gründungsphase der Grünen an die vorherrschenden kleinbürgerlichen Ideologien an, statt, wie angeblich vorgesehen, für die „führende Rolle des Proletariats“ in dieser „Volksbewegung“ zu kämpfen. Die Bündnisse mit „undogmatischen Linken“, spontaneistischen Protestgruppen, neuen Bürgerinitiativen und traditionellen Umweltverbänden, die sich in „Bunten Listen“ zunächst auf kommunaler Ebene sammelten, nahmen zwar oft scheinbar radikale Programme an. Ohne Bezug auf tatsächliche alternative Machtorgane (auf Basis realer Klassenkämpfe)lieferte dieses Verfahren letztlich nur ein linkes Alibi für die Integration der Protestbewegung in parlamentarische Strukturen. Insbesondere die Fraktion Z um Ebermann/Trampert (zu der auch Trittin gehörte) spaltete sich 1980 von der Mehrheit des KB ab (die weiter bei der „Bunte Listen“-Taktik blieb), um explizit am Aufbau einer grünen Partei mitzuwirken. Ihr Bündnis mit den Linksalternativen und Bürgerinitiativen auf dem Programmparteitag 1980 war entscheidend dafür, dass der konservative, auf traditionelle Umweltpolitik ausgerichtete Flügel um Gruhl (Grüne Aktion Zukunft; GAZ) letztlich unterlag, um später die Grünen in Richtung ÖDP zu verlassen. Dieses Ergebnis war entscheidend dafür, dass die Grünen lange Zeit in der Lage waren, die linke Protestbewegung in Westdeutschland in das politische System zu integrieren.

Dabei war von Anfang an klar, dass eine Partei, deren Kernelement „umweltpolitische Realpolitik“ bildete, die also die Durchsetzung ihrer umweltpolitischen Ziele auch im Kapitalismus für möglich hielt, sich letztlich auch in Regierungsausübung für diese Zwecke einspannen lassen würde. Statt die Widersprüche gegenwärtiger kapitalistischer Produktivkraftentwicklung auch in ökologischer Sicht zu einer Politik der Überwindung des Kapitalismus zu nutzen, musste diese Partei letztlich bei der „Versöhnung von Ökonomie und Ökologie“, also bei der falschen Ideologie eines ökologischen Kapitalismus enden. Vorbereitet wurde dies durch Beteiligung an Regierungen von der kommunalen  bis zur Länderebene (auf denen die „Friedenspolitik“ noch keine so große Rolle spielte). Damit bildete sich ein Apparat von „RealpolitikerInnen“, der notwendig immer stärker werden musste. Dies umso mehr, als ja anders als bei einer bürgerlichen ArbeiterInnenpartei das permanente Gegengewicht z. B. von Gewerkschaften ebenso fehlte wie das vorübergehende einer radikalen, linkspopulistischen Massenbewegung. Der Zug war letztlich abgefahren, als der Versuch von Ebermann/Trampert, die Grünen für eine „ökosozialistische“ Ausrichtung zu gewinnen, scheiterte und die HauptprotagonistInnen samt „linkem“ Flügel die Partei verließen.

5.2 Verbürgerlichung der Grünen

Diese Verschiebung der Kräfteverhältnisse auf Ebene der politischen Führung ist nichts anderes als eine Widerspiegelung der Veränderungen der sozialen Basis der Partei. War sie anfänglich durch die Protestbewegungen der radikalen Teile von Jungendrebellion und neuem Prekariat geprägt, so bedeutete die Etablierung der Grünen als parlamentarische Kraft, dass auch immer mehr andere Schichten des oben analysierten „grünen Milieus“ die Partei zu dominieren begannen. Waren Anfangs noch 80 % der Grünenwähler unter 30, so wurde die Partei mehr und mehr auch zu einer Partei der sich neu herausbildenden neuen ArbeiterInnenaristokratie und der ökologisch orientierten neuen lohnabhängigen Mittelschichten. Die Bioläden wandelten sich von Alternativkommunen zu modernen Varianten der alten Reformhausgenossenschaften – nur ein Ausdruck der schleichend voranschreitenden Verbürgerlichung.

Dazu kam, dass mit dem Verpassen der revolutionären Möglichkeiten 1989/90 und der Ausdehnung in die fünf neuen Bundesländer über „Bündnis 90“ diese Verbürgerlichung noch mehr voranschritt. In den fünf neuen Bundesländern fehlte das oben analysierte „grüne Milieu“ weitgehend. Die rasch voranschreitende Deindustrialisierung und Abwicklung der DDR-Wirtschaft führte auch zu einer Marginalisierung von „grünen“ Themen. Bei der ersten Bundestagswahl nach der Vereinigung wurde denn auch mit dem Slogan „Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter“ ein Wahldebakel mit dem Verlust der Bundestagssitze eingefahren. Mit „Bündnis 90“ wurde ein Teil der DDR-Opposition eingegliedert, der sehr verschiedene Elemente vereinte. Einerseits einen Teil, der schon in der DDR berechtigte umweltpolitische Proteste repräsentierte. Einer der wenigen Erfolge der Wendezeit war ja tatsächlich, dass noch vor der offiziellen „Wiedervereinigung“ der Naturschutz auf dem Gebiet der damals noch bestehenden DDR stark ausgeweitet werden und vieles davon in die neuen Bundesländer gerettet werden konnte. Dies führte aber auch dazu, dass Umweltpolitik ein breites politisches Betätigungsfeld auf kommunalpolitischer und Länderebene in den fünf neuen Ländern wurde. Ein kleinerer Teil der DDR-Oppositionellen war auch tatsächlich auf eine sozialistische Alternative zur DDR orientiert und schloss sich dem „linken“ Flügel der Grünen an. Der überwiegende Teil von „Bündnis 90“ war jedoch strukturkonservativ-christlich geprägt und nur aus Gründen der speziellen Geschichte der Ost-CDU nicht dort organisiert. Nach der Vereinigung zu „Bündnis 90/Die Grünen“ verließen denn auch einige dieser Teile die Partei Richtung CDU. In den fünf neuen Bundesländern blieben die Grünen damit lange Zeit eine Partei, die sich gerade um die 5 % halten konnte und stark von „grüner Realpolitik“ geprägt ist.

Entscheidend ist jedoch die neue gesellschaftliche Situation nach dem Krisenjahrzehnt der 1980er Jahre. Mit dem Sieg im Kalten Krieg und der „Globalisierungsperiode“ änderten sich auch entscheidende ökonomische, soziale und ökologische Rahmenbedingungen. Noch viel mehr als vorher wurden die „Schmutzindustrien“ ebenso wie die klassischen fordistischen Betriebe in die Halbkolonien ausgelagert, andere Produktionsbetriebe wurden immer mehr automatisiert. Insgesamt stieg der Einsatz von IT-basierten Technologien enorm an. Die Beschäftigung verschob sich vermehrt in Berufe mit höherer Qualifikation bzw. Dienstleistungssektoren. Andrerseits entstand auch in den imperialistischen Zentren immer mehr ein Prekariat, in den 1990er Jahren gerne als „neue Proletarität“ bezeichnet. Die Verlagerung umweltschädlicher Produktion im Verbund mit grüner Umweltpolitik konnte schon als Erfolg in Richtung „ökologische Marktwirtschaft“ verkauft werden, nachdem die Folgen dieses Wandels in den Halbkolonien hierzulande nicht so sichtbar wurden. Die klassische grüne WählerInnenschaft wurde immer mehr zu dem Teil der ArbeiterInnenaristokratie, der zu den Gewinnern der Globalisierungsperiode zählte, während Teile der alten ArbeiterInnenaristokratie ins Prekariat absanken.

Diese soziale Verschiebung erklärt auch die breite Unterstützung, mit der sich letztlich der Realo-Flügel in die rot-grüne Regierungskonstellation stürzen konnte und dabei mehr oder weniger alle einstigen Programmpunkte der Gründungsphase über Bord warf: Friedens-, Migrations-, Sozialpolitik sowieso, aber bald auch Kernelemente der Umweltpolitik. Der Ex-KB- und Anti-AKW-Aktivist Jürgen Trittin sollte als grüner Umweltminister die letzten Castortransporte durchsetzen – natürlich wegen der Anerkennung des „Rechtsstaates“ und der Durchsetzung eines „Kompromisses“ zum Ausstieg der sowieso schon sterbenden Wiederaufbereitung in Deutschland. Letztlich war das Mittragen des „Atomkompromisses“ wie auch später des „Kohleausstiegs“ in ökologischen Fragen so etwas wie ein politischer Offenbarungseid der „Grünen“ – der Ausverkauf jeglicher Durchsetzung ökologischer Interessen zu Lasten des Kapitals (zahlen muss bei diesen „Kompromissen“ ja die „Allgemeinheit“, um ja nicht „unsere“ Energiekonzerne in ihrer Profitabilität zu gefährden).

Ihre Anpassung an Kapitalinteressen und Umwandlung in eine Partei, die nunmehr zu den „staatstragenden“, „kanzlerInnenfähigen“ politischen Kräften in diesem Land geworden ist, geht einher mit der Entwicklung besonderer Verhältnisse zur Bourgeoisie selbst. Dies betrifft nicht nur ihre „konstruktive“ Zusammenarbeit mit Kapitalverbänden (z. B. im „Automobilland“ Baden-Württemberg). Dazu zählt auch die Entwicklung eines spezifischen „grünen Mittelstands“, mit besonderen Verbindungen zu den Grünen. Gerade im Bereich der erneuerbaren Energien gibt es verschiedenste Firmen oder auch Genossenschaften, die sich von grünen UmweltministerInnen gerne Fördermittel und günstige Infrastrukturzugänge erwarten können. Aber auch im Bereich der Agroindustrie gibt es durchaus Unternehmen der Verarbeitung „biologischer Lebensmittel“ oder von Kosmetika, die nicht nur grünen „Ideen“ anhängen. Exemplarisch sind solche Supermarktketten wie Alnatura (tatsächlich ein kleiner Konzern), die sowohl mit ihren LieferantInnen als auch den Beschäftigten nicht besser als Aldi & Co umgehen. Der Firmeneigner, der Anthroposoph Götz Rehn, Schwager des dm-Vorstandsvorsitzenden Götz Werner, weist natürlich für seinen mit so hehren Zielen agierenden Betrieb solche materialistischen Ansinnen wie die Gründung von Betriebsräten  vehement zurück. Es sind solche „innovativen“ UnternehmerInnen, mit denen sich die Grünen heute gerne über die „ökosoziale Marktwirtschaft“ austauschen. Es gibt sie sicherlich noch, die Verbindung der Grünen zu den Umweltprotestbewegungen (insbesondere durch die Jugendorganisationen). Aber vielmehr sind die Grünen heute eine Partei mit sehr gutem Draht zur deutschen Bourgeoisie. Sprich sie sind eine bürgerliche Partei, die über Umweltverbände und ihren politischen Apparat weiterhin eine starke Kontrolle über Umweltproteste aller Art in diesem Land ausübt – und damit zu dem entscheidenden Hindernis für die notwendige Antwort auf die ökologische Krise des Kapitalismus hier geworden ist.

Die heutige Umweltbewegung in Deutschland kann unmöglich ohne den hier skizzierten Transformationsprozess der Grünen verstanden werden. So sehr auch radikalere Teile der Bewegung so tun, als hätten sie nichts mit den Grünen am Hut, als wären sie für ihre politischen Ziele irrelevant – es bleibt der grüne Elefant, der immer auch im Raum steht. Spätestens wenn es um konkrete politische Ziele geht, sind Umweltverbände und Vorfeldstrukturen der Grünen dabei – und sie  bleiben AnsprechpartnerInnen in den Parlamenten und Verwaltungen. Mit der Verbürgerlichung der Grünen hat das kapitalistische System eine Verteidigungslinie gegen die Radikalisierungstendenzen gefunden, die ihm durch die beschriebenen grünen Milieus drohen. Das radikale Potential, das sich noch in der Anti-AKW-Bewegung gezeigt hatte, ist wesentlich eingedämmt worden. Jede noch so radikale Umweltbewegung befindet sich heute ist im Sog grüner Mittelstandsideologien und der „Reformangebote“ der „Grünen“ oder ihrer Vorfeldorganisationen.

5.3 Grüne Mittelstandsideologie

Die verschiedenen radikaleren Bewegungen im ökologischen Bereich dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Umweltpolitik in Deutschland im Großen von individualistischen Mittelstandsideologien bestimmt ist, die sich insgesamt in die Verwertungsinteressen des Kapitals einpassen lassen und an den fundamentalen ökologischen Widersprüchen nichts ändern. Kern der grünen Mittelstandsideologie ist die Dominanz der Warenlogik in Fragen der Ökologie, die sich vom „greenwashing“ kapitalistischer Produktion  bis zur „Verantwortung des/r KonsumentIn“ hinzieht. Die Studie „Die grüne Lüge“ von Kathrin Hartmann (2019) zeigt gut, wie die „Nachhaltigkeitsstrategien“ der Konzerne im Wesentlichen Marketingerfolge sind, die den VerbraucherInnen ein „gutes Gewissen“ durch Preisaufschläge verschaffen: ob durch „Ökolabels“, „Klimazuschläge“, Pushen angeblicher ökologischer Alternativprodukte, etc. Das Buch zeigt an vielen Fällen, wie die „Nachhaltigkeitsbilanz“ dann tatsächlich in den Herkunftsländern der Produkte katastrophal ausfällt. Wichtig ist aber auch, wie Hartmann zu Recht feststellt, dass durch diese Marketingaktionen die Verantwortung für die ökologische Krise des globalen Kapitalismus auf die KonsumentInnen verschoben wird. Es wird vorgegaukelt, dass diese selbst ja schuld an den Problemen seien, da sie ja die nichtökologischen Produkte kaufen. Sie müssten  ja nur ein paar Euro mehr für die besseren Produkte zahlen, womit dann jede/r einen Beitrag zur Rettung des Planeten an der Supermarktkasse leisten könne. Und wie schon Gandhi sagte: „Veränderung beginnt bei mir selbst“.

Diese bürgerliche Ideologie der klassenunspezifischen Veränderbarkeit des Kapitalismus setzt sich fort mit „Reform“illusionen in staatliche Politik, die nur den Markt regulieren müsse, z. B. durch Preisbestimmungen mit (ökologischen) Verbrauchersteuern. Damit würde die angeblich so gut funktionierende Marktwirtschaft zu einer ökosozialen weiterentwickelt. Klar, dass diese Illusionen in den bürgerlichen Staat auch verknüpft sind mit einer neuen Form von „grünem Patriotismus“: Angesichts der globalen Dimension ökologischer Probleme sind die Beschränkungen jedes einzelnen Nationalstaates in der Umweltpolitik besonders stark spürbar. Daher werden die „deutschen Umweltstandards“ (wie auch die angebliche Überlegenheit in Bezug auf Menschenrechte etc.) zu einer Quelle des Patriotismus, der auch zu einer entsprechenden Bevormundung und Drangsalierung anderer Länder führt. So wird denn auch „grüne Politik“ nicht erst seit Joschka Fischer zu einem Markenzeichen des deutschen Imperialismus, mit einem besonderen Platz für die grüne Partei – mitsamt Einfügung in das „westliche Bündnis“ samt NATO.

6. Die „Greenpeaceisierung“ der Umweltbewegung

Wichtiger noch ist die grundlegende politische Veränderung, die sich in der Umweltbewegung durch die Verbürgerlichung der Grünen selbst nur widerspiegelt. Niemand aus dem Kreis der führenden Ur-Grünen hat das so deutlich erfasst wie Ebermann/Trampert, z. B. in ihrem damals viel gelesenen Buch „Die Offenbarung der Propheten“ (1996). Ihnen kann man immerhin zugute halten, dass sie Ende der 1980er Jahre versucht haben, einen organisierten Kampf gegen den Prozess zu führen und dabei in „letzter Minute“ den auf Regierungskurs befindlichen Kahn verlassen haben – im Unterschied zur Masse an „linksradikalen“ Kadern, die ihren „Entrismus“ bis in die Bundesregierung fortsetzten.

Ein gutes Beispiel für den angesprochenen Transformationsprozess machen die beiden in dem Buch an der Auseinandersetzung um die Versenkung der Nordseeölplattform „Brent Spar“ fest. Das Kapitel dazu ist überschrieben mit „Der Klassenkampf ist tot. Lang leben Greenpeace und die Verbraucher/innen!“ (ebd., S. 137 ff.). Es wird dabei treffend verglichen, wie auf einen großen Streik der ÖTV nach der Wiedervereinigung medial reagiert und dann im Kontrast dazu mit der Greenpeacekampagne gegen den Shellkonzern umgegangen wurde. Auf der einen Seite wurde der Streik im öffentlichen Dienst mit seinen Auswirkungen auf Nah- und Fernverkehr, Behörden, Müllabfuhr und Ähnliches in allen Medien bis hin zur „grünen“ taz als „unverantwortlich“, „egoistisch“ und dem Gemeinwohl widersprechend verteufelt. Eine wahre Chronik des Schreckens bis hin zu tragischen Schilderungen von Beschäftigten, die zu spät zur Arbeit kamen, wird aus Bild & Co hier von den Autoren zusammengetragen. Die taz vermutete ein letztes Gefecht, eine „Wagenburgmentalität des Klassenkampfes“ angesichts der „wahren Probleme“ der sozialen Angleichung des Ostens: „… wer eine Brücke über die sich vertiefende soziale Spaltung schlagen will, muss bereit sein, unten zu teilen … als ob die Kosten der Einheit nichts mit Tarifpolitik zu tun hätten. Aus einer Wagenburg aber, die nur den alten Antagonismus von Kapital und Arbeit im Blickfeld hat, entwickelt sich keine Gestaltungskraft“ (ebd., S. 139 f.).

Hier kommt zum Ausdruck, dass sich auch der grüne Mainstream inzwischen als Vertreter „gesamtnationaler“ Interessen gegenüber irgendwelchen „Partikularinteressen“ sah. Er erkannte auch an, dass die Lohnkosten einen wesentlichen Faktor für die Weltmarktstellung des deutschen Kapitals bildeten, dass also nur zu verteilen, was innerhalb dieses Rahmens möglich sei.

Ganz anders reagierte die vereinte Öffentlichkeit im Fall des britisch-niederländischen Konzerns Shell, der 1995 plante, die Tank- und Versorgungsanlage „Brent Spar“ aus Altersgründen stillzulegen – und die Entsorgung dabei nicht durch Verschrottung an Land, sondern durch Versenkung in der Nordsee durchzuführen. Der Konzern hatte dafür wissenschaftliche Studien für Auswirkungen auf die Meeresökologie vorgelegt und die Restbestände an Öl auf unter 100 Tonnen angegeben. Dann begann Greenpeace eine großangelegte Kampagne, die „exemplarisch“ einen Konzern und seine Umweltsünden an den Pranger stellen sollte. Spektakuläre Plattformbesetzungen ergänzten sich mit großangelegten Medienkampagnen. Dabei wurde die Restmenge an Öl gleich mal auf 5.500 Tonnen hochgerechnet (spätere unabhängige Untersuchungen bei der Entsorgung ergaben dann tatsächlich etwa 75 Tonnen). Was aber das Besondere an der Greenpeacekampagne speziell in Deutschland darstellte, war, wie einheitlich von Bildzeitung bis taz alle auf sie abfuhren und plötzlich die Umweltpolitik auf die Verhinderung der „Brent Spar“-Versenkung reduziert zu sein schien. Natürlich wurde jetzt das künftige Allheilmittel gefunden: Die „Volks“kampagne musste ihre Ergänzung im VerbraucherInneboykott von Shelltankstellen finden. Warum sind Streiks „egoistisch“, Verbraucherkampagnen dagegen „ethisch“? Die Autoren urteilen im Fall von „Brent Spar“: „Erstens war es eine willkommene Heuchelei, die Deutschland in dem Maße sauber erscheinen ließ, wie England beschmutzt wurde, zweitens ging es um nichts, drittens waren willfährige, markttreue Verbraucher/innen, die ja schließlich der Bohrinsel wegen nicht einen Liter weniger Benzin tankten, die Objekte der Inszenierung“ (ebd., S. 143).

Was daran richtig ist, ist, dass eine Umweltkampagne hier von einem scharfen Konflikt mit „dem System“ zu rein symbolischem Protest mit ganz bestimmten Elementen der Inszenierung geriet. Es fängt damit an, dass ein bestimmtes Unternehmen ausgeguckt wird, das für das nationale Terrain gerade als geeignetes Stellvertreterfeindbild herhalten kann. Es geht weiter mit medienwirksamen Aktionen von einigen wenigen „professionellen“ AktivistInnen (gerne z. B. Greenpeace). Und es erfolgt eine „leicht umsetzbare“ Aufforderung an die „VerbraucherInnen“ (entweder irgendwelche Petitionen zu unterstützen, ein Produkt zu boykottieren oder irgendwie sonst ihr Marktverhalten zu ändern). Wie Ebermann/Trampert zu Recht darlegen, haben Organisationen wie Greenpeace daraus direkt ein Geschäftsmodell entwickelt. Die vielen Spenden, die ein auf Medienhype aufgebauter Aktionismus generiert, beinhalten natürlich auch solche von denjenigen Konzernen, die gerne gute Presse genießen wollen und dafür bei „den Jungen“ ihr ökologisches Image aufpolieren. Das heißt nicht, dass es nicht auch oft die Richtigen trifft – entscheidend ist, dass das eigentliche Problem schon durch die Form des elitären Aktionismus jenseits der Massenaktion verfehlt wird. Das machen Ebermann/Trampert am Beispiel von „Brent Spar“ (das hier nur für den Beginn einer ganzen Historie von neuem „Umweltaktivismus“ behandelt wird) sehr gut deutlich.

Das Problem der Öleinträge in die Weltmeere (neben der sonstigen Müllentsorgung, insbesondere was Atommüll betrifft) ist tatsächlich ein gewaltiges ökologisches. Schon im Normalbetrieb entweichen Ölbohrinseln große Mengen an Rohöl während der Förderung. Dazu kommen in ebensolchem Verhältnis Ölabfälle von Schiffen und Industrieeinleitungen, die Mengen an Öl, die jährlich bei Tankerkatastrophen in die Meere gelangen. Schließlich geht auch ein großer Teil der Verbrennungsprodukte von aus Öl gewonnenen Treibstoffen über den Niederschlag oder Flüsse ins Meer als globaler Senke für die Abfälle von Öl und ölverarbeitender Industrie. Die nicht mal 100 Tonnen Ölschlamm in der „Brent Spar“ waren natürlich nur ein verschwindend kleiner Teil unterhalb des Promillebereichs dieser gewaltigen Abfallmenge. Trotzdem wurde die Verhinderung der Versenkung der Plattform hochgespielt, als ginge es hier um die „Rettung der Weltmeere“. „Wollte jemand die Nordsee retten und sich aus politischen Gründen auf die Bohrinseln konzentrieren, hätte er zur Demonstration, dass es ihm ernst ist, zumindest den Normalbetrieb angreifen müssen. Wollte jemand wegen des Symbolcharakters den Widerstand auf nur eine einzige Bohrinsel konzentrieren, dann hätte der Kampf gegen den Bohrapparat der deutschen Gesellschaft RWE-DEA, die im Wattenmeer tatsächlich die Nordsee verseucht, nahegelegen“ (ebd., S. 144).

Das berührt natürlich den Kern des Problems, ohne die Lösung wirklich zu benennen. Den „Normalbetrieb“ einer Industrie anzugreifen, heißt gewöhnlich, diese z. B. durch Streiks oder Besetzungen lahmzulegen. Die richtige Kritik an der Hetze gegen Streiks „nur für die eigene Geldtasche“ und das mediale Lob für die „verantwortungsbewussten VerbraucherInnen“, die ihre „Marktmacht“ zur Geltung bringen, drücktt eigentlich auch aus, was hier fehlt. Nämlich dass (nicht nur in Deutschland) die Aktivitäten des Streiks und anderer, ähnlicher Klassenkampfformen ihres politischen Kerns beraubt und tatsächlich zu reinen Lohnkämpfen degradiert wurden. In den Hochzeiten der ArbeiterInneninternationalen waren Streiks auch politische Kämpfe, Massenaktionen z. B. zum Sturz von Autokratien oder zur Durchsetzung allgemeiner sozialer Maßnahmen, aber auch für Arbeitsschutz und gegen Umweltauswirkungen bestimmter Produktionsprozesse. Wie schon ausgeführt sind heute solche Streiks aufgrund von Veränderungen im Produktionsprozess, der Repressionsmöglichkeiten gerade in strategischen Industrien und des sozialchauvinistischen Charakters der Gewerkschaftsführungen schwierig geworden. Letztere stützen sich zudem auf die sozialen Umschichtungen im Betrieb, die dort die technische Intelligenz, die für Kämpfe auch um eine Umgestaltung des „Normalbetriebs“ oder auch eine Transformation der Produktion auf andere Produkte entscheidend wäre, von denen der nicht privilegierten ArbeiterInnen fernhalten. Trotzdem wäre es natürlich für einen effektiven Kampf um eine ökologische Umgestaltung oder Transformation notwendig, alle ArbeiterInnen in solchen Schlüsselbetrieben zu gewinnen.

Gibt man diese Perspektive auf, so gibt es nur den „Druck von außen“ auf das Kapital. Die militanten Kampfformen, wie sie sich etwa in der Anti-AKW-Bewegung entwickelt haben, waren sicher eine Zeitlang ein wirksames Moment, das Tendenzen entwickelte, das System als Ganzes anzugreifen. Sie hätten aber erst realisiert werden können, wenn die Kämpfe auf die „Störung des Normalbetriebs“, auf die Beschäftigten selbst übergegriffen hätten. Nach der Aufgabe dieser Perspektive durch den „grünen Mainstream“ im Gefolge der Umwandlung der Grünen von einer kleinbürgerlichen Bewegungs- in eine offen bürgerliche Partei (wenn auch besonderen Ursprungs) war klar, dass „Druck von außen“ etwas anderes, Systemkonformes werden musste. Und „Brent Spar“ zeigt auch exemplarisch tatsächlich, was aus der „Umweltbewegung“ in den 1990er Jahren geworden war. Sie war auf verschiedenen Ebenen den „Mystifikationen der Zirkulationssphäre“, wie Marx es formulieren würde, aufgesessen – ob jetzt in der „Marktmacht der VerbraucherInnen“, der „Macht der Wählerstimmen“ in Parlamenten, den Möglichkeiten staatlicher Eingriffe, der „Macht der Medien“ etc. Zentral ist natürlich, dass in der Zirkulationssphäre die Klassenwidersprüche hinter der scheinbaren Gleichheit der individuellen WarenbesitzerInnen verschleiert werden. Jeder Verbraucher, jede Verbraucherin erscheint als „verantwortlich“ für ihre individuelle Kauf-/Wahlentscheidung. Wenn nur entsprechende „grüne Angebote“ gemacht würden, dann könne auch „konkret“ etwas verändert werden. Natürlich sind auf all diesen Ebenen von Markt bis Staat, Wahlen bis Medien nicht einfach „Gleiche“ unterwegs, sondern bestimmte AkteurInnen können durch ihre Marktmacht und Kapitalzuwendungen ganz andere Gewichte in die Waagschale werfen.

Zusätzlich zur Verlagerung der „politischen“ Momente der Umweltbewegung in ihren „parlamentarischen Arm“ gibt es auch die zunehmende „Professionalisierung“ des Umweltaktivismus durch „Nonprofit“-Organisationen, wie wir sie hier am Beispiel von Greenpeace gezeigt haben. Seit den 1990er Jahren existiert eine starke Tendenz zur Stellvertreterpolitik in Protesten, theoretischer Arbeit, Publikationen etc. durch „Nichtregierungsorganisationen“ (NGOs). Diese sind zwar zumeist formell als „Nonprofit“-Gesellschaften deklariert, stellen aber ein breites Feld für steuergünstige Investitionen in ein wachsendes Business dar. Studien belegen, dass der NGO-Sektor zu einem bedeutenden Bereich von prekärer Beschäftigung und für eine Koalition von NGO-ManagerInnen mit anlagewilligen Finanzierungsnetzwerken durchaus profitabel geworden ist (Fong/Naschek 2021). Letztere Studie zeigt auch, wie stark die Ausdehnung dieses Sektors mit neoliberalen Ausgliederungen im Sozial-, Umwelt-, Bildungs-, Forschungsbereich, aber auch von kommunalen Einrichtungen zu tun hat. Für die Protestbewegungen, die mit bestimmten NGOs zu tun haben (z. B. in der Klimabewegung), bedeutet dies eine Tendenz der Dominanz durch deren Apparate,  Kampagnenstrukturen, bereitgestelltes Personal, finanzielle Möglichkeiten etc. Damit erlebte auch die Umweltbewegung in sehr viel schnellerem Tempo als die ArbeiterInnenbewegung ihre Bürokratisierung.

7. „Greenwashing“ und „Green Economy“ – auf dem Weg zum „Green New Deal“

Das Beispiel „Brent Spar“ zeigt dabei auch, wie sich Umweltkampagnen selbst einerseits für die Interessen bestimmter Kapitalgruppen bzw. eines eigenen grünen Business’ (hier desjenigen des Greenpeacekonzerns) nutzen lassen. Andererseits zeigt auch die Reaktion der betreffenden Industrie, wie sie den Protest dann für einen Umbau ihrer Marken und ihres Images selbst einsetzen kann. Nach „Brent Spar“ nutzten insbesondere Shell und BP ihr Eingehen auf den Protest im Rahmen der wachsenden Klimabewegung für eine „Selbstneuerfindung“ als Champions von Nachhaltigkeit und Transformation hin zu erneuerbaren Energien.

Um die Jahrtausendwende startete BP eine großangelegte Imagekampagne, die unter anderem dazu führte, dass es sich von „British Petrol“ in „Beyond Petrol“ („Über Benzin hinaus“) umbenannte. Das Logo wurde von dem alten, aus der imperialen Anglo-Persischen Kompanie (APOC), die noch in den Sturz des Mossadegh-Regimes 1953 verwickelt war, übernommenen Schild in eine grün-gelbe Sonnenblume umgewandelt. In diversen Nachhaltigkeitsreports wurde hervorgehoben, wie sehr der Konzern den Umbau von Öl hin zu erneuerbaren Energien betreibe. Tatsächlich wurden einige Firmen der Solar- und Windenergie aufgekauft. Seitdem kann man allerdings tatsächlich beobachten, dass der Anteil der erneuerbaren Energien am Konzernumsatz verschwindend klein ist und weiterhin vor allem in die Erschließung neuer Ölfelder z. B. im Golf von Mexiko oder vor der brasilianischen Küste investiert wird. Der Konzern hat es anders als andere große Firmen der Ölindustrie verstanden, dass es sich gegenüber den KonsumentInnen in den imperialistischen Ländern nicht lohnt, den Klimawandel zu leugnen. Daher simuliert er den Umbau in einen Konzern der erneuerbaren Energien, der halt noch ein bisschen Ölgeschäft als „Brücke“ zur Zukunft betreibe. Dazu kommt dann noch die Propaganda von den fortschrittlichen Verfahren, die man angeblich einsetze, um die Ölförderung weniger umweltschädlich zu gestalten. Noch Ende 2009 erklärte BP: „Unser Ziel ‚keine Unfälle, keine Schäden für Menschen und keine Zerstörung der Umwelt‘ ist weiterhin die Grundlage der BP-Aktivitäten“ (Hartmann 2019, S. 34 f.). Keine 2 Wochen, nach Veröffentlichung dieser Erklärung ereignete sich auf einer eigenen Explorationsplattform im Golf von Mexiko eine der schwersten Katastrophen der Ölindustrie überhaupt – die Explosion auf der „Deepwater Horizon“ (20.4.2010). Der Umgang mit dieser Katastrophe, auch wenn man es z. B. mit der „Brent Spar“-Affäre vergleicht, enthüllt das ganze Ausmaß an Heuchelei und Verdrängung, das im „globalen Norden“ in Bezug auf die Problematik der Ölindustrie herrscht.

Im Golf von Mexiko gibt es mehr als 3.000 Bohrinseln nicht weit von Küstengewässern mit komplexen ökologischen Lebensräumen. Natürlich war „Deepwater Horizon“ (DH) nur der schlimmste Unfall in der Kette der „Lecks“ die auch im Normalbetrieb immer wieder auftreten. In den 15 Jahren vor der Katastrophe hatte es schon 79 Störfälle gegeben, bei denen die BetreiberInnen zeitweise die Kontrolle über die Bohrlöcher verloren hatten, mit mehr oder weniger massiven Ölaustritten. Die Katastrophe war denn auch keine „unvorhersehbare Tragödie“, sondern von unabhängigen BeobachterInnen schon lange erwartet worden. DH diente der Durchführung von Probebohrungen zur Erschließung einer neuen Ölquelle in etwa 5.000 Meter Tiefe. Aufgrund von Zeitverzügen und Kostendruck waren gegen Ende dieser Bohrungen einige Sicherheitsvorkehrungen nicht mehr möglich. Außerdem erwies sich der von Halliburton für die Abdichtung des Bohrlochs gelieferte Zement als ungeeignet. Da es schon einige Gasausbrüche gegeben hatte, nannten die ArbeiterInnen vor Ort die Station „Well of Hell“ (das Höllenloch). Trotz Bedenken der Bohrmannschaft (von denen viele in Folge starben) wurde die Bohrung fortgesetzt, als es zu einem plötzlichen starken Druckanstieg kam. Der folgende „Blow Out“ konnte weder durch den angeblich absolut sicheren automatischen Blow-Out-Preventer noch durch manuelle Notabschaltung verhindert werden. Eine Öl- und Gasfontäne schoss aus dem Bohrloch, die die Plattform sofort in Brand setzte und fürs Erste jegliche Aktivitäten zur Schließung des Bohrlochs verunmöglichte. Noch dazu waren die Bauteile, die zur Notschließung dienen sollten, offenbar Billigware, die sich in der Situation als völlig unbrauchbar erwies. Auch wenn die Untersuchungsberichte die Mängel der Sicherheitsvorkehrungen auf mangelnde Investitionen der Betreiberfirma zurückführten, konnte BP sich später von allen solchen Vorwürfen reinwaschen. Schuld waren natürlich untergeordnete Firmen, die als Sündenböcke dienen konnten. Auch aufgrund des nach der Katastrophe schnell wieder beschleunigt aufgenommenen Ausbaus der Ölförderung vor der Küste Louisianas waren weder der Bundesstaat noch die Obama-Administration auch nur im Entferntesten daran interessiert, BP an den Pranger zu stellen. Dies trotz der Art und Weise, wie der Konzern dann die Folgen der Katastrophe „verschwinden“ ließ!

Da 87 Tage nicht reichten, den Ausfluss zu stoppen, gelangten mindestens 780 Millionen Liter Öl in den Golf von Mexiko. Das war 20 Mal mehr als bei der bis dahin größten Tankerkatastrophe, als durch die Havarie der Exxon Valdez 2.000 km der Küste Alaskas verseucht wurden. Um ähnlich schreckliche Bilder wie damals an der 70 Kilometer entfernten Küste Louisianas zu vermeiden, kam BP auf ein besonderes „Zaubermittel“. Schon seit langem verwendet die Ölindustrie für den Fall der Fälle sogenannte Dispersionsmittel, die Ölklumpen in „Tropfen“ auflösen. Bei DH kam man schnell auf  Corexit, das von einer britischen Firma produziert wurde, an der BP Anteile hält. Ironischer Weise ist das Mittel aufgrund seiner toxischen Eigenschaften in Britannien selbst gesetzlich nicht zugelassen. Für die US-Umweltbehörde war dies aber kein Grund, dem Einsatz im Golf von Mexiko zu widersprechen. Zur Bekämpfung des riesigen Ölteppichs wurden denn auch nicht wie bisher üblich ein paar tausend Liter der Substanz eingesetzt, sondern insgesamt 7 Millionen – so etwas wie eine industrielle Massenverschleierungsaktion. Denn nicht nur der enthaltene Glycolether zeitigt auf die Meeresfauna beträchtliche Auswirkungen, sondern ist die Dispergierung des Öles ja kein Verschwinden der Verschmutzung: Das Meerwasser enthält in der Gegend weiterhin eine Ölbelastung pro Wasserteil, die für viele Mikroorganismen, Garnelen und Fische tödlich war. Außerdem sammelt sich so das Öl nur am Meeresgrund, wo es letztlich wieder verklumpt. Für dortige Korallen und andere Lebewesen war das tödlich. Letztlich kommt die Katastrophe so auch in Ölklumpen wieder an die Küste, wenn auch nur „in Zeitlupe“. Verschiedene lokale Ökoorganisatione, wie Ecorigs haben seit der Katastrophe eindringlich die Wüste dargestellt, die die Katastrophe aus dem einstig biologisch vielfältigen Küstengewässer vor Louisiana gemacht hatte. BP jedoch verkündete 2015, dass die DH-Katastrophe „nachhaltig“ beseitigt worden wäre und untermalte das mit Bildern von weißen Stränden und „glasklarem“ Wasser. Von untersuchten, an der Küste gefundenen Ölrückständen wurde behauptet, dass diese gar nicht mehr aus der erfolgreich bekämpften Ölpest kommen könnten. In der Mainstream-Presse der USA wurde dies auch einhellig gefeiert und einzelne ökologische KritikerInnen, die damals das Ausmaß der Katastrophe zum Beleg für ihre Forderung nach Ausstieg aus den Ölbohrungen angeführt hatten, der „maßlosen Übertreibung“ bezichtigt. Die Verschleierungskampagne von BP war voll aufgegangen. Verschiedenste Initiativen und Proteste von Umweltorganisationen, die den tatsächlichen Zustand der Meeresökologie und der Herkunft von Ölrückständen bzw. Abbauprodukte von Corexit vor Ort wissenschaftlich untersuche lassen wollten, wurden von den Umweltbehörden der USA mit puren Absichtserklärungen beantwortet. Tatsächlich haben die Öllobby und ihre Regierungen alle solche n bisher nicht zustande kommen lassen.

Das Beispiel BP wurde hier so ausführlich gebracht, weil es besonders deutlich macht, wie sehr ökologischer Anspruch und Realität im gegenwärtigen Kapitalismus auseinanderklaffen. Fast alle großen Unternehmen sind einerseits beständig dabei, immer größere Umweltprobleme zu akkumulieren, um andererseits dauernd zu präsentieren, was sie nicht alles zur „Weltrettung“ unternehmen. Die Nachhaltigkeitsprogramme der Unternehmen, die seit der ersten Konferenz von Rio zu einer Art Pflichtübung der Managementetagen wurden, lassen die Konzerne fast als Vorreiter der Umweltbewegung erscheinen. Kaum eine einschlägige Broschüre eines Großkonzerns kommt ohne Hinweis auf dessen Beitrag zum „Kampf gegen Klimawandel und Umweltzerstörung“ aus, als ob diese nicht zumeist gerade diejenigen sind, gegen die sich dieser Kampf dabei richten müsste. Die tatsächlichen ökologischen Aktionen, die dann von ihnen ausgehen, sind zumeist Symbolprojekte, die in Bezug auf das Gesamtgeschäft nicht ins Gewicht fallen. Trotzdem bevölkern ihre VertreterInnen  die großen globalen Umweltkonferenzen, führen in Davos und anderswo das große Wort zur „Umweltpolitik“. Schließlich werden sie auch von den etablierten Umweltverbänden oder grünen AmtsträgerInnen als notwendige „GesprächspartnerInnen“ akzeptiert. Nicht zuletzt geraten auch NGOs im Umweltbereich in beträchtlichem Ausmaß unter ihren Einfluss, da sie spenden, Logistik oder „Ideen“ liefern.

Schließlich betreiben die Konzerne inzwischen auch nicht mehr einfach nur „Greenwashing“. Mit dem Schlagwort „Green Economy“ wird seit über einem Jahrzehnt inzwischen von einem qualitativen Wandel des Kapitalismus an sich phantasiert. Seit der „Nachhaltigkeitskonferenz“ von Rio 2012 (UNSCD 2012) dient das Schlagwort zur Zielvorstellung der „Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch“. Mit anderen Worten, es wird die Vorstellung propagiert, dass Kapitalakkumulation ohne systemische Umweltzerstörung und rücksichtslose Ausbeutung natürlicher Ressourcen möglich ist. Möglich soll dies werden durch „intelligente Produkte“ und vor allem neue „Erfindungen“, die auf technische Weise die Probleme lösen. Die Probleme z. B. der Umweltvernichtung durch die Explosion der Nutzung privater Pkws sollen nicht etwa durch deren Verminderung gelöst werden, sondern durch die inzwischen als Heilmittel auch in der Automobilindustrie gefeierte E-Mobilität, das neue, „ökologische“ Wachstumschancen eröffne. Natürlich sieht die Ökobilanz der E-Mobilität vor allem durch den zu erwartenden Stromverbrauch im Fall eines flächendeckenden Ersatzes der Verbrenner verheerend aus. Andere dieser technischen  Weltrettungsprojekte beziehen sich zumeist auf das Recycling. So versucht auch die Textilindustrie über alle möglichen Recyclingideen, das immer verrücktere Wachstum (und damit auch an ausrangierten Textilprodukten) als ökologisch verträglich zu verkaufen. Dabei gehört die globale Textilindustrie nicht nur zu den ausbeuterischsten Branchen, sondern auch zu den größten UmweltverbrecherInnen. Erinnert sei daran, dass der riesige Wasserverbrauch der Baumwollfelder in Kasachstan und Usbekistan (den Hauptlieferanten der Textilindustrie des indischen Subkontinents) wohl hauptverantwortlich ist für die Austrocknung des Aralsees (eine der größten Umweltkatastrophen des neuen Jahrtausends). Bei fortgesetztem Umsatzwachstum ist der bisher bekannte Anteil an Recycling von Baumwollprodukten hier reine Kosmetik. Zudem sind die Geschwindigkeitsanforderungen an die Recyclingprozesse für die Abnehmerindustrie nicht ohne sehr hohen Energieaufwand zu bewältigen. Schließlich ist der erhöhte Einsatz von IT als Allheilmittel zur Optimierung des Ressourceneinsatzes auch ein zweiseitiges Schwert. Das rasche Wachstum der Rechenzentren weltweit, die das Rückgrat der Internet- und IT-Prozesse abgeben, hat zu einem Energieverbrauch geführt, der, wäre die IT-Industrie ein Land, diese zur sechstgrößten Energieverbraucheinr der Welt machen würde.

Wie schon in unseren Umweltimperialismusthesen in diesem Band dargelegt, gilt für die sogenannte „green economy“ das schon von Jevons entdeckte Paradox, dass Effizienzsteigerungen unter kapitalistischen Bedingungen letztlich sogar zu einer Erhöhung des Ressourcenverbrauchs führen. Der britische Ökonom Jevons hatte schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anhand des Kohleverbrauchs der britischen Industrie nachgewiesen, dass Effizienzsteigerungen bei Ausnutzung der Dampfkraft nicht zu geringerem, sondern aufgrund des durch die Kosteneinsparungen bedingten Wachstumsanreizes sogar erhöhtemKohlverbrauch führten.

8. Die Tendenz zur Umweltzerstörung im Kapitalismus und ihre Relativierungen

Dies ist auch nicht anders zu erwarten in einer von den Kategorien der Wertbildung beherrschten Ökonomie. Die Produktivkraftentwicklung erfolgt nicht anhand bewusster sozialer oder ökologischer Zielsetzungen, sondern die Ersparung von Arbeit und Ressourceneinsatz erzeugt umgekehrt über Wertkategorien wie Preis, Lohn, Profit etc. den „Sachzwang“ zur Verallgemeinerung von sich „naturwüchsig“ durchsetzenden Veränderungen der gesellschaftlichen Arbeitsbedingungen und des Verhältnisses zur Natur. Die herrschenden Eigentumsverhältnisse und der darauf basierende Zwang zur Verwertung des Kapitals erzeugen dabei sowohl die beständige Bedrohung der Verschlechterung der Verwertungsbedingungen („tendenzieller Fall der Profitrate“, Krisen- und Zusammenbruchstendenz) als auch die entgegenwirkenden Ursachen, insbesondere im Zwang zur beständigen Ausweitung der absoluten Masse des produzierten Mehrwerts. Letzteres bedeutet, dass der Zwang nicht einfach nur zum „Wachstum“, sondern zu scheinbar grenzenlosem, kein Produkt der „Gier“ von KapitalistInnen oder „der Gesellschaft“ darstellt, sondern ein unmittelbares Produkt des kapitalistischen „Normalbetriebs“.  Ein Kapitalismus ohne Wachstum muss in kurzer Zeit aufgrund der damit verbundenen Verwertungskrise zusammenbrechen. Eine „Kritik des Wachstums“ ohne Aufhebung der Wertmechanismen des Kapitals und der ihnen zugrundeliegenden Eigentumsverhältnisse ist nicht nur utopisch, sondern ein Weg in die Katastrophe. Die von Menschen geschaffenen kapitalistischen Produktionsverhältnisse verselbstständigen sich zu einem scheinbar „objektiven“ Zwang der Ökonomie, der nicht nur zur Entfremdung zwischen den Menschen sondern auch entfremdete Verhältnisse zwischen Mensch und Natur schafft. Unter kapitalistischen Bedingungen gibt es keine „Versöhnung“ von Ökologie und Ökonomie.

Foster et al. (2011) haben zu Recht aus dieser grundsätzlichen Dynamik des kapitalistischen Wachstums langfristige ökologische Gesetzmäßigkeiten für den Kapitalismus abgeleitet. Marx behauptet als „langfristiges Gesetz der kapitalistischen Akkumulation“, dass die beschriebenen Widersprüche des kapitalistischen Wachstums auf lange Sicht zu einer Zunahme der sozialen Ungleichheit im Weltmaßstab führen müssen. D .h. es kommt u einer ungeheuren Ansammlung von Reichtum auf Seiten eines verschwindend kleinen Teils der Gesellschaft (der Bourgeoisie), gegenüber dem der arbeitende Rest der Gesellschaft relativ gesehen „verelendet“ (wie immer diese dann noch auf die subalternen Klassen verteilt wird). Foster et al. (2011) ergänzen dies durch ein zweites Gesetz der kapitalistischen Akkumulation: das „absolute allgemeine Gesetz der Umweltschädigung unter dem Kapitalismus“ (S. 196). Gemäß zweitem Hauptsatz der Thermodynamik und der daraus folgenden „entropischen Erosion“ – also des notwendigerweise steigenden (Energie-)Aufwands auf jeder Stufe, um das Wachstumstempo halten zu können –, zeigen sie, dass der Verwertungsprozess des Kapitals trotzdem selbst diese Schranke nicht respektiert.  Vielmehr bildet das für ihn einen „neuen Wachstumsanreiz“, um selbst die als „Umweltschutz“ verstandenen Maßnahmen letztlich zur Steigerung der Umweltzerstörung zu nutzen. So „gewährleistet die kapitalistische Art der Aneignung mit ihrem Ziel der Förderung privater Profite unter geringer Rücksichtnahme auf gesellschaftliche oder umweltbezogene Kosten, dass diese entropische Erosion global gesehen zu jeder historisch gegebenen Entwicklungsphase auf eine maximal ökonomisch denkbare Ebene hinausläuft“ (ebd., S. 197).

Jede Theorie oder politische Antwort auf die gegenwärtigen ökologischen Grundprobleme, die die Frage der Eigentumsverhältnisse und damit ihres Klassencharakters ausklammert, kann daher keine wirkliche Antwort auf die ökologische Krise geben.

Insbesondere sind daher grüne Parteien oder andere politische Kräfte, die eine Versöhnbarkeit von kapitalistischer Ökonomie und Ökologie zu ihrer umweltpolitischen Agenda machen, letztlich nicht anders als diejenigen, die von der Möglichkeit eines sozialen Kapitalismus phantasieren. Angesichts der beiden Grundgesetze der kapitalistischen Akkumulation sind „Errungenschaften“ auf sozialem oder ökologischem Gebiet im Kapitalismus auf lange Sicht nur zeitweilige Erfolge, die immer wieder zunichtegemacht werden. Grüne und sozialdemokratische Parteien sind damit nichts weiter als Verwalterinnen der Umweltzerstörung wie des Sozialabbaus, die sie angeblich bekämpfen oder beschränken wollen. Dies heißt natürlich nicht, dass es nicht immer wieder richtig wäre, für konkrete Verbesserungen auf ökosozialem Gebiet zu kämpfen – ohne Illusion darin, dass Erfolge auf diesem Gebiet im Kapitalismus in realem Sinn „nachhaltig“ sein könnten. Nachhaltigkeit gibt es nicht ohne Angriff auf die bestehenden Produktionsverhältnisse.

So wie eine nachhaltige Umweltpolitik im Kapitalismus ein Widerspruch in sich ist, so ist es auch nicht verwunderlich, dass die im akademischen Bereich vorherrschenden Positionen zu Ökologie und Gesellschaft heute keine Antworten auf die ökologische Krise liefern können. Natürlich sind auch in den verschiedenen Gebieten wie Umweltsoziologie, Ökologie, Klimaforschung etc. die hegemonialen Theorien der „ökologischen Modernisierung“ verpflichtet. Sie verbreiten die Vorstellung, dass eine ökologische Umgestaltung des kapitalistischen Wachstums nur Ersetzung bestimmter technischer Prozesse durch „modernere“ bedeuten würde, bei anhaltendem Wachstum. Ja, dies sei sogar der Motor für neues Wachstum. „Kapitalismuskritik“ hatte es in linken Theorien gegeben. Aber in den heute vorherrschenden ökologischen Theorienwird  nur noch von „Marktwirtschaft“ gesprochen. Maßnahmen der Umgestaltung seien durch Nutzung bestimmter „Marktmechanismen“ möglich (Zertifikatehandel, Steuerpolitik, Investitionsförderung … ).

Wenig erstaunlich auch, dass hier der Siegeszug poststrukturalistischer Theorie zu einer „linken“ Flankendeckung der „ökologischen Modernisierung“ führt. Den verschiedenen Diskurstheorien folgend, lehnen akademische ÖkologInnen heute natürlich den Anspruch der „großen Erzählung“ ab, die der Marxismus für die ökologische Krise liefert. So wird denn auch die drohende menschengemachte Klimakatastrophe zu einem „gängigen Narrativ“ (Radkau 2011, S. 34), zu dem es auch „Gegenerzählungen“ vom Machtstreben eines Öko- und Klimaestablishments gäbe. In vielen Bereichen sei es sogar notwendig, zum herrschenden Narrativ der großen Kapitale plausible „Gegenerzählungen“ wirksam zu verbreiten. Eine „Metaerzählung“, bei der man unschwer „die Grundmuster der Tragödie und der Apokalypse“ erkenne, mit der Botschaft „die Menschheit ist dabei, sich durch ihre eigene Wirtschaftsweise … zugrunde zu richten“ (Radkau 2011, ebd.),  sei dagegen nicht zu begründen bzw. führe zu totalitären Ansprüchen. So erbaulich solche ökologischen Apokalypseerzählungen für das Leserpublikum auch seien, die konkreten Maßnahmen in Verwaltungen und Unternehmen zum Umweltschutz würden weit mehr voranbringen als der „Alarmismus“.

Diese Relativierung von wissenschaftlicher Wahrheit in den Kultur- und Gesellschaftswissenschaften wird somit auf dem Gebiet der Ökologie besonders bizarr. Es ist kein Wunder, dass die „alarmistischen Erzählungen“ heute vor allem von NaturwissenschaftlerInnen kommen. Auch wenn es für komplexe ökologische Zusammenhänge wie z. B. den Einfluss der gegenwärtigen Produktions- und Lebensweise auf das globale Klima sicher eine Menge an Unsicherheiten und unwägbaren Faktoren gibt, durch die gegenwärtige Messergebnisse zu einer Bandbreite an möglichen Entwicklungen führen können, sind NaturwissenschaftlerInnen in der Lage, ihre Vorhersagen mit Fehlerwahrscheinlichkeiten, Überprüfungsmöglichkeiten und quantifizierbaren Intervallen für die zu erwartenden Entwicklungen zu begründen. D. h. in dialektischem Sinne sind ihre Resultate als fortschreitende Annäherung an die Wahrheit erkennbar. Die ökologischen Brüche, die für verschiedene Bereiche heute die „points of no return“ im globalen Ausmaß erreicht haben oder zu erreichen drohen, sind in diesem Sinn wissenschaftlich belegt und erfordern tatsächlichen „Alarm“. Foster et al. (2011) zitieren aus einer internationalen Studie, an der zahlreiche bekannte NaturwissenschaftlerInnen aus den relevanten Fachwissenschaften beteiligt waren, nach der es in neun globalen ökologischen Bereichen solche für einen lebenswerten Planeten bedrohliche Brüche gibt: neben dem Klimawandel die Übersäuerung der Ozeane, die Stickstoff- und Phosphatkreisläufe, der stratosphärische Ozonmangel, der weltweite Frischwasserverbrauch, die intensive Landnutzung, der Verlust an Biodiversität, die Aerosolaufladung der Atmosphäre, die chemische Verschmutzung (S. 16). In allen diesen Bereichen gibt es klare Kennziffern und alarmierende Annäherungen an Grenzwerte, die allesamt rasches Handeln erforderlich machen.

Natürlich ist das relativierende Gerede von den „Narrativen“ durch GesellschaftswissenschaftlerInnen und ihr politisches Gefolge vor allem auf die Frage der Ökonomie gerichtet. Die Frage, ob ein „wirtschaftliches Wachstum ohne Umweltzerstörung“ möglich sei, sei nicht mit irgendwelchen Bezugnahmen auf „Naturgesetze“ zu begründen. Hier begegnen wir heute vor allem zwei ideologischen Phänomenen: Entweder werden überhistorische allgemeine ökonomische Gesetze postuliert, die z. B. als Marktgesetzte ähnlich wie Naturgesetze funktionieren – und so auch für bestimmte ökologische Zielsetzungen technisch genutzt werden könnten (Zertifikate, Steuern etc.). Oder es wird die Unvorhersagbarkeit ökonomischer Entwicklungen aufgrund der vielen individuellen Entscheidungen der MarktteilnehmerInnen, der „Psychologie des Marktes“ etc. betont. Bei beiden Varianten gibt es keine erkennbare langfristige Tendenz. Folglich lassen sie die Möglichkeit einer „Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie“ durch marktgerechte Staatseingriffe, vor allem aber durch die Verantwortung der „individuellen Entscheidungen“ der MarktteilnehmerInnen offen.

Durch diese verdinglichende Abstraktion „des Marktes“, „der Marktgesetze“ etc. von den historischen Bedingungen der gegenwärtigen Wirtschaftsweise werden die besonderen strukturellen Gründe der heutigen Widersprüche von Ökonomie und Ökologie vollkommen verschleiert. Vom Standpunkt des historischen Materialismus wird die Menschheitsgeschichte dagegen durch eine Reihe grundlegender Umbrüche gekennzeichnet gesehen, die jeweils für mehr oder weniger lange Perioden sehr unterschiedliche Gesetzmäßigkeiten unter anderem auch im Mensch-Naturverhältnis mit sich bringen. Die „Marktgesetze“ sind daher nichts Überhistorisches, was so immer schon wirkte, sondern Vorherrschen von Warenproduktion, Lohnarbeit und Entwicklung von Märkten (Zirkulation) in Unterordnung unter die Verwertung von Kapital im Produktionsprozess sind historische Spezifika, ohne die eine „marktwirtschaftliche Herangehensweise“ auch an ökologische Krisen unsinnig ist. Es ist daher auch falsch, wenn sowohl „linke“ ÖkologInnen wie auch die ÖkomodernisiererInnen von einem Problem des „Anthropozäns“ sprechen – also einer wachsenden Tendenz der Umweltzerstörung, die es seit Anbeginn der „menschlichen Zivilisation“ gäbe. So z. B. exemplarisch im Werk des Anthropologen Jared Diamond zu sehen, der etwa in dem Buch „Kollaps“ (2005) eine interessant geschriebene Geschichte ökologischer Katastrophen von den PolynesierInnen auf den Osterinseln bis zur Gegenwart erzählt. Er schlussfolgert, dass es bloß zu einer quantitativen Steigerung von Umweltkrisen im Verlauf der menschlichen Zivilisation komme – das Muster jedoch immer dasselbe sei. Die Lehren daraus würden von den heutigen Menschen eine Umkehr von den bisher eingeübten Verhaltensweisen „der menschlichen Zivilisation“ verlangen, wollen wir nicht wie einst die WikingerInnen auf Grönland aussterben – nur diesmal in globalem Maßstab.

Dabei wird gerade bei den genannten neun ökologischen Problemfeldern, bei denen heute Grenzwerte für einen lebenswerten Planeten erreicht werden, klar, dass die Epoche des Kapitalismus nicht nur eine quantitative Steigerung der bisherigen „Zivilisationsprobleme“ bringt, sondern eine neue, katastrophale Qualität. Seit Beginn der kapitalistischen Industrialisierung sind nicht nur die Konzentrationen der Treibhausgase in der Atmosphäre in nie dagewesener Geschwindigkeit explodiert. Gleiches gilt für Übersäuerungsprobleme, Wasserverbrauch, chemische Verschmutzung, Artensterben etc. Der Kapitalverwertungszwang und der damit verbundene immer größer werdende Hang zur stofflichen und energetischen Ausbeutung natürlicher Ressourcen unter Missachtung der der Natur eigenen, sehr viel langsameren Entwicklung (auch die Natur hat ihre Geschichte, mit allen Sprüngen und Veränderungen) haben der Naturzerstörung eine ganz andere Dynamik aufgeprägt, als dies die dagegen behäbig und provinziell wirkenden feudalen oder antiken Gesellschaften je hervorbringen konnten. Elmar Altvater sprach daher zu Recht von einem „Kapitalozän“ (Altvater 2018), das den Planeten an den Rand einer neuen „global extinction“ bringt. In Analogie zu den erdgeschichtlich wohl bisher fünf „Massenausterbeereignissen“ gehen viele BiologInnen davon aus, dass wir mitten im sechsten stehen.

9. Kapitalismuskritik mithilfe von Degrowth?

Tragischerweise sind jedoch nicht nur ÖkoreformistInnen wie die VertreterInnen der „ökologischen Modernisierung“ von der ahistorischen und technizistischen Sichtweise beherrscht – auch viele von deren „linken“ KritikerInnen sind da nicht besser. Ein Teil der KritikerInnen an der „gegenwärtigen Wirtschaftsweise“ versucht ein Gegenmodell einer „Postwachstumsgesellschaft“ zu propagieren. Bekannt wurde diese Strömung durch das Schlagwort der „Degrowth-Bewegung“. Wie die Seite www.degrowth.de zeigt, erhält diese durchaus einiges an Unterstützung aus akademischen Kreisen, von diversen umweltpolitischen Initiativen, aber auch von Parteistiftungen der Grünen und der Linken. Insgesamt aber ist die Bewegung entgegen ihrem globalen Anspruch vornehmlich auf die imperialistischen Länder beschränkt, mit einigen eher isolierten akademischen ZuarbeiterInnen in den Halbkolonien.

Entscheidendes Merkmal dieses losen Zusammenschlusses ist die Entwicklung einer „Gegenerzählung“ zu dem angeblich auch von MarxistInnen vertretenen Standardnarrativ, dass keine wirtschaftliche Entwicklung ohne Wachstum möglich sei. Bei aller Vielfältigkeit der Positionen eint die Strömung schon, dass für sie „Kapitalismuskritik“ und „Infragestellung der Wachstumsgesellschaft“ Hand in Hand gehen. Was dabei genau „Kapitalismuskritik“ ist, wird von den verschiedenen Flügeln bzw. AutorInnen sehr unterschiedlich beantwortet. Klar ist, dass sie nicht von einer historischen Betrachtung ausgehen, nach der die Probleme des kapitalistischen Wachstums nur durch eine revolutionäre Umwälzung der Eigentumsverhältnisse überwunden werden können. Das Spektrum reicht vielmehr von einer vagen Andeutung, dass der Kapitalismus „ungeeignet“ sei, um dem Wachstumszwang zu entgehen (Blauwhof 2012 , S. 261), oder Degrowth den Kapitalismus „hinter sich lassen“ würde (Kallis et al. 2016, S. 31) bis dazu offenzulassen, ob Kapitalismus und Postwachstum nicht doch miteinander vereinbar sind. So vertritt Lawn (2005, S. 228), dass es möglich sei, „auf demokratischem Weg an die Macht zu kommen“, um „den kapitalistischen Betrieb sozial und ökologisch in die Schranken zu weisen“. Andere favorisieren gar die Rückkehr zu vorkapitalistischen Verhältnissen in Form kleinbäuerlicher Agrargesellschaften (Bennholdt-Thomsen 2015, S. 162). Insbesondere der griechische Ökonom und Ökologe Giorgios Kallis (z. B. in „Degrowth. Handbuch für eine neue Ära“, 2016) zeichnet sich durch eine Theoretisierung dieser ökonomischen Unklarheiten an der Basis von Degrowth aus. Vertreten wird, dass der „Wachstumszwang“ gar nicht aus „der Ökonomie“, aus den von Marx entdeckten Zwangsgesetzen der kapitalistischen Akkumulation komme, sondern ein Element der herrschenden „Leitkultur“ sei, eine „low growth“- oder gar „steady state“-Ökonomie vor allem durch einen „grundlegenden Kulturwandel“ zustande käme. Die Überwindung des Kapitalismus wird dann vor allem zu einer der „kapitalistischen Kultur und Denkweise“. Im Allgemeinen lehnt Degrowth daher nicht überraschenderweise die Notwendigkeit einer sozialistischen Revolution ab, auch wenn man sich zeitweise an den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ und das Konzept der „bolivarischen Revolution“ anlehnte.

Es ist überhaupt bezeichnend für die neue Umweltbewegung seit der Jahrtausendwende (die wir im Anschluss ausführlicher behandeln werden), dass die Steigerung der Umweltprobleme sehr wohl „dem Kapitalismus“ angelastet wird und man sich ganz allgemein als „AntikapitalistInnen“ bezeichnet (und auch gerne auf allen Aktionen „A-Anti-Anticapitalista“ intoniert) – dabei aber einen vollkommen unklaren, nicht materialistisch fundierten Begriff von Kapitalismus zu hegen. Dass vorherrschende Strömungen wie „Degrowth“ ein mehr oder weniger friedliches Hinübergehen von der derzeitigen kapitalistischen Ökonomie in eine nachkapitalistische Postwachstumsgesellschaft für möglich halten, ist natürlich vom Standpunkt einer sich auf Marx beziehenden Kapitalismuskritik völlig unsinnig. Wenn man jedoch von den zugrundeliegenden Eigentums- und Ausbeutungsverhältnissen und den darauf basierenden Verwertungszwängen abstrahiert, kann man sich natürlich eine „Marktwirtschaft“ mit Postwachstum vorstellen. Anstelle eines Angriffs  auf die Eigentumsverhältnisse und der dafür notwendigen Klassenperspektive treten dann „Individuen“, die sich in wachsender Zahl bewusst werden, dass „konkret“ etwas grundlegend anders werden muss, um sich an der „großen Transformation“ zu beteiligen.

Wenn es nicht um eine soziale Revolution, um Änderung der Eigentumsverhältnisse, um eine Klassenaktion zur Umwälzung der Produktionsverhältnisse geht, sondern vor allem um einen „Kulturwandel“, um eine Überwindung der kapitalistischen Lebensweise etc., so ist klar, dass die „Transformation“ eine langwierige Folge von „autonomen“ Handlungen von lokalen Initiativen verkörpert. Bei Degrowth sind anders als in der Green Economy nicht die einzelnen KonsumentInnen, TrägerInnen der Veränderungen, sondern die dezentralen und vernetzten Initiativen. Dies kann von der Errichtung von Gemeinschaftsgärten, dezentralen Energieprojekten, lokalen Kreisläufen mit Regionalwährungen bis hin zur Gründung von Landkooperativen und auf Gesamtebene der Umsetzung eines bedingungslosen Grundeinkommens reichen. Auf der politischen Ebene wird der Staat nicht als Instrument der herrschenden Klasse gesehen, sondern als Vehikel, in dem sich verschiedene Kräfte auseinandersetzen und somit auch ökologische und soziale Zielsetzungen (z. B. Grundeinkommen) mehr und mehr durchsetzen ließen. Verbunden wird dies mit der Vorstellung einer Ersetzung staatlicher oder privater Strukturen durch ein Wiedererstarken der „Commons“, also der gemeinschaftlich genutzten Ressourcen und Güter – z. B. nach dem Vorbild der Open-Source-IT-Systeme, die eben dafür auch immer mehr Verteilmechanismen selbstvernetzend schaffen könnten.

Abgesehen davon, dass der hier skizzierte „Kulturwandel“ angesichts der drängenden ökologischen Probleme offensichtlich sehr viel Zeit erfordern würde, ist jedoch gravierender, dass weder die herrschenden ökonomischen Interessen (in den Konzernen) noch die staatlichen Organe noch die von den bürgerlichen Ideologien beherrschten Massen sich durch „das gute Beispiel“ so widerstandslos überzeugen lassen werden. Aktionsformen wie Besetzungen (ob von Häusern oder Land), direkte Aktionen gegenüber Banken etc. erzeugen bekanntlich Gegenreaktionen der Besitzenden und oft nicht so viel Solidarität der Beherrschten. „Alternatives Wirtschaften“ ist eingebunden in eine kapitalistische Marktlandschaft, die schnell auch über die Logik der Preise die Verwertungszwänge in die scheinbar „nichtkapitalistisch denkenden“ Inseln hineinträgt. Die Erfahrungen mit „sozialistischen Experimenten“ im Kapitalismus sind nun nicht gerade eine Neuerung. Schon Marx hat eine Reihe davon aus dem 19. Jahrhundert einer epochemachenden Kritik unterzogen, die nichts an ihrer Aktualität verloren hat.

Das bedingungslose Grundeinkommen unter den Voraussetzungen der bestehenden Macht- und Eigentumsverhältnisse umzusetzen, bedeutet – wie wir andern Orts schon genauer ausgeführt haben (siehe Roth 2010) –, dass das Kapital Sozialhilfe auf ein niedriges Niveau ohne aufwändige Sozialbürokratie kürzen können wird. Ökotransformation und bedingungsloses Grundeinkommen unter den gegebenen Machtverhältnissen umzusetzen, bedeutet letztlich, Armutsnischen zu schaffen, in denen dann ein aus der „Mehrheitsgesellschaft“ ausgestiegener Teil sein karges, ökologisch korrektes Leben fristen wird. Eine Transformation, die die brennenden ökologischen Probleme auf globaler Ebene löst, werden wir auf diese Weise wohl innerhalb der nächsten 100 Jahre nicht erleben können. Auch die „Ausweitung der Commons“, der „Siegeszug“ von Open Source & Co lassen sich nicht gerade gut an: Open Source wurde im Grunde zum Wegbereiter des digitalen Plattformkapitalismus. Es erleichterte die Etablierung der Monopole derjenigen Konzerne (wie Apple, Amazon, Facebook, Alpha etc.), die auf Grundlage der Popularität einer Flut praktisch kostenloser Applikationen den Markt durch Plattformen, die diese zugänglich machen, beherrschen. Nichts deutet darauf hin, dass in irgendeiner Weise eine Transformation im Gange ist, die den Kapitalismus „von selbst“ zum Verschwinden bringt.

Zuletzt muss natürlich auch erwähnt werden, dass der Begriff der „Transformation“ für einen nicht unbedeutenden Teil der „modernen“ ReformistInnen anschlussfähig ist. Der strukturalistische, marxistische Theoretiker Poulantzas hatte diesen Begriff als Alternative zum leninistischen Revolutionskonzept geprägt (ausführlicher kritisiert in: Lehner 2017). Poulantzas revidierte das Marx’sche Konzept des Klassencharakters des bürgerlichen Staates. Er sei zwar vom kapitalistischen Produktionsverhältnis bestimmt, in ihm würden sich jedoch auf Grund der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen langfristig Kräfteverschiebungen widerspiegeln, die auch zu einer Transformation von Staat und Ökonomie genutzt werden könnten. Insofern lehnte er die Notwendigkeit der Zerschlagung des bürgerlichen Staates in „komplexen, modernen“ Gesellschaften ab. Zusammen mit einer Ausnutzung der Vagheiten von Gramscis Hegemoniebegriff wird daraus heute die „Transformationslinke. Die Vorstellung, dass durch Eroberung von „Stellungen“, ideologisch-kulturelle Verschiebungen, einzelne erfolgreiche Massenproteste, Wahlerfolge auf verschiedenen Ebenen etc. langsam eine antikapitalistische Transformation durchgesetzt werde, die gar keiner Revolution mehr bedarf, bildet ihren ideologischen Kern. Natürlich lässt sich die von Degrowth angestrebte „große Transformation“ mit dieser Strategie der „unmerklichen“ Überwindung des Kapitalismus verbinden. Daher ist es kein Wunder, dass in vielen linken Parteien heute „Transformation“ und „Postwachstum“ große Anhängerschaften aufweisen. Das ist praktisch die Kombination, mit der z. B. die „Bewegungslinke“ innerhalb der Linkspartei die Grünen als „Ökoavantgarde“ abzulösen versucht.

Inzwischen erfährt das Schlagwort der „Transformation“ ein ähnliches Schicksal, das bereits die „Nachhaltigkeit“ erlitten hat. Von einem Begriff, der Teil eines ökologischen, kapitalismuskritischen Diskurses war, ist er längst zum Jargon der kapitalistischen „ModernisiererInnen“ verkommen. Von Seiten des Kapitals werden Strukturveränderungen, wie sie derzeit die Automobil- oder die Stahlindustrie durchmachen, heute als „Transformation“ verkauft. Was es dabei darunter versteht, kann man an solchen Vereinbarungen betrachten wie in der Energiewirtschaft (z. B. im „Kohlekompromiss)“. Prinzip ist die Sicherung der Profite durch möglichst langsame Abschreibung der bestehenden Investitionen bzw. Entschädigung, falls es zur Beschleunigung kommt, bei gleichzeitiger Abwälzung der sozialen Kosten (z. B. Arbeitsplatzverlusten) der Transformation auf die Allgemeinheit. Bei Gewerkschaften werden entsprechend Vereinbarungen zur „Transformation“ abgeschlossen, die sich vor allem um Sozialpläne, Umschulungsmaßnahmen, Lohnverzicht, vorzeitige Verrentung etc. drehen. Wie unten genauer ausgeführt wird, ist daher in der Umweltbewegung eine Strömung entstanden, die die „Transformation“ mit der Frage der „Gerechtigkeit“ verknüpft – etwa unter dem Schlagwort der „Klimagerechtigkeit“ (die nicht nur die Nord/Süd-Ungleichheit betrifft).

Auch wenn der Schwachpunkt der Degrowth-Bewegung die idealistische Kapitalismuskritik und der Mangel einer klassenpolitischen Transformationsperspektive ist, so bleibt die Frage einer alternativen Gesellschaft, die die gegenwärtigen ökologischen Probleme überhaupt noch in der Lage ist einzugrenzen, mehr als berechtigt. Selbst eine sozialistische, demokratisch organisierte Weltgesellschaft würde vor enormen Problemen der Harmonisierung von ökologischer „Reparaturarbeit“ einerseits und notwendiger sozialökonomischer Entwicklung andererseits stehen. Schon Mitte der 1970er Jahre hat einer der wohl interessantesten linken Oppositionellen in der DDR, Wolfgang Harich, dies in seinem Buch „Kommunismus ohne Wachstum?“ (Harich 1975) entwickelt. Darin reagierte er auf die Analysen der „Grenzen des Wachstums“ durch den „Club of Rome“, in dem er auf der einen Seite feststellte, dass der Kapitalismus nicht in der Lage sein würde, Ökologie und Wachstum in Einklang zu bringen: „Der Kapitalismus kann, da Kapitalakkumulation und Kapitalverwertung sein Lebensgesetz sind, unmöglich von der erweiterten zur einfachen Reproduktion übergehen“ (ebd., S. 111). Damit ergibt sich die Schlussfolgerung: „Der Sturz der Bourgeoisie, die Errichtung der Diktatur des Proletariats und die Verwirklichung des Kommunismus sind die Voraussetzungen dafür, die Forderungen des Club of Rome in der Gesellschaft durchzusetzen“ (ebd., S. 109). Doch dies sind nur die notwendigen Voraussetzungen. Harich kritisiert auch die Unfähigkeit der damals existierenden „Planwirtschaften“, tatsächlich einen ökologischen Umbau als wesentliches Planziel zu formulieren, geschweige denn durchzusetzen. Dabei erkennt er als wesentliches Hindernis die nationale Beschränktheit der Planwirtschaften. Gerade der ökologische Umbau erfordert möglichst einen „Weltwirtschaftsplan“: „Es gäbe den vom Weltwirtschaftsrat ausgearbeiteten Weltwirtschaftsplan mit seinen Kontingentierungsauflagen … für alle übrigen Industrieprodukte, und für den Einzelnen gäbe es Rationierungskarten“ (ebd., S. 167). Dieses System würde „nach dem Grundsatz der Gleichheit jedem Individuum zuteilen, was es für ein menschenwürdiges Leben an Gebrauchswerten benötigt, nicht mehr, aber auch nicht weniger, in Indien wie in USA, überall“ (ebd., S. 170). So könne man im ersten Schritt einen Rückbau der ökologischen Schädigungen beginnen – wobei er darunter auch die Überwindung des Individualverkehrs zählte. Für die DDR nicht besonders populär, stellte er fest: „Der Pkw in Privatbesitz ist nach meiner Überzeugung ein natur- und gesellschaftsfeindliches Konsumtionsmittel, ein antikommunistisches auf jeden Fall“ (ebd., S. 155). Dem ökologischen Rückbau in den hochindustrialisierten Ländern könne nicht einfach ein ausgleichender Aufbau von Industrie im globalen Süden folgen, sondern eine am globalen Gesamtbedarf orientierte behutsame Aufteilung der globalen ökologischen und ökonomischen Lasten auf die passenden Regionen.

Die Durchsetzung dieses ökologischen Weltwirtschaftsplans mag sehr unrealistisch erscheinen. Sie ist aber hundertmal realistischer und rascher umzusetzen, als auf den jahrhundertelangen Transformationsprozess der Degrowth-Bewegung zu warten, bei dem immer der Zweifel besteht, inwiefern man damit wirklich eine für die gesamte Menschheit dieses Planeten nachhaltige Überlebensfähigkeit sichern könnte (oder doch wieder nur für einen elitären Teil mit eigenem Gemüsebeet).

Harich weist auch zu Recht darauf hin, dass es notwendig ist, sich von gewissen utopischen Momenten des Marxismus in Bezug auf „Naturbeherrschung“ zu verabschieden: „Ich glaube jedoch nicht mehr, dass es jemals eine im Überfluss lebende, eine aus dem Vollen schöpfende kommunistische Gesellschaft geben wird, wie wir Marxisten sie bisher angestrebt haben. In diesem Punkt müssen wir uns korrigieren“ (ebd., S. 33). Tatsächlich verweist dies auf den materiellen Gehalt des Begriffs der „Grenze“, wie er in der Wachstumskritik gefasst werden muss. Im Kapitalismus erscheint jede „Grenze“ für das scheinbar grenzenlos sich ausdehnende Kapital nur als immanente „Schranke“ (Mangel an Kapital, Mangel an Absatzmärkten, Mangel an Investitionsmöglichkeiten etc.). Schranken sind jedoch etwas Relatives, das letztlich durch einen neuen Anlauf überwunden werden kann. So stößt die Akkumulation in der Landwirtschaft irgendwann auf die Schranke der Ertragsfähigkeit der verfügbaren Böden, nur um dann durch Investition in ertragssteigernde Ergänzungsmittel (Phosphate, Nitrate etc.) überwunden zu werden. Welche langfristigen Folgen aus dieser qualitativ neuen Stufe von Wachstum für die betroffenen Naturkreisläufe herrühren (z. B. Eutrophisierung der Gewässer), wird erst sehr viel später klar. Die Zusammenhänge zwischen erweiterter ökonomischer Reproduktion und ökologischen (Re-)Produktionsprozessen sind das eigentliche Gebiet der Ökologie. Sie haben sich als sehr viel komplexer und schwerer erkennbar erwiesen, als es sich Fortschrittsglaube und Phantasie von der „absoluten Naturbeherrschung“ in der Ideologie der Moderne vorgestellt hatten. Für eine sozialistische Weltgesellschaft steht daher ein langwieriger ökologischer Umbau bevor, besonders da er für eine inzwischen enorm gewachsene Weltbevölkerung zugleich ein menschenwürdiges Leben garantieren muss. Ein Absterben des Staates und damit auch der Zwangsmechanismen, die mit einem solchen Management der Knappheit verbunden sind, ist daher auch sehr viel langsamer möglich, als dies dem marxistischen Optimismus entsprach (aber natürlich auch den kommunalistischen Träumen der Degrowth-Bewegung). 

10. Klassenfragen

Schon während der zweiten Umweltbewegung, den großen militanten Konfrontationen mit dem „Atomstaat“, stellten viele der linken Teile dieser Bewegung die Frage, wo denn die ArbeiterInnenklasse bleibe. Wie schon erwähnt, wurde (und wird) der Begriff der ArbeiterInnenklasse gern auf das industrielle Proletariat verengt. Somit setzte sich bei vielen AktivistInnen und auch in der theoretischen Aufarbeitung die These durch, dass diese in den imperialistischen Ländern integriert und reaktionär bzw. die Klassenfrage im „Postfordismus“ gar nicht mehr relevant sei. Die Versuche, die neuen sozialen Bewegungen, also auch die neue Umweltbewegung, mit einem Strukturwandel der Klassengesellschaften, also auch einer Neuzusammensetzung der ArbeiterInnenklasse in Verbindung zu setzen, blieben rar oder führten nicht zu neuen politischen Orientierungen. Die ökonomische Krise und die beginnende Globalisierungsperiode des Kapitalismus brachten eine weitere Differenzierung durch ein sich auch in den imperialistischen Zentren ausdehnendes „Prekariat“. Der „Abschied vom Proletariat“, die radikalen Konfrontationen während der Krisenphase in den 1980ern und die Orientierung eher auf subproletarische Schichten brachten in dem Jahrzehnt den kurzen Frühling der „Autonomie“ hervor. Damit einher ging eine Abkehr von den strategischen und organisatorischen Prinzipien der K-Gruppenphase in großen Teilen der Linken und ihre Ersetzung durch die Schaffung eines sich scheinbar konfrontativ von der kleinbürgerlichen Lebensweise (auch der ArbeiterInnen) abgrenzenden Milieus mit alternativen Lebensformen und  militanten Kleingruppen. Auch bei Umweltprotesten geriet der „schwarze Block“ seither (in Ersatz der früheren K-Gruppen) zum ständigen Bestandteil.

Ein anderer Teil der deutschen Linken, der im Ex-K-Gruppen-Milieu und damit auch im weiteren Sinne in Umweltbewegungen und Grünen einflussreich war, lehnte diese Orientierung an der „neuen Proletarität“ vollkommen ab. Im schon oben zitierten Buch von Ebermann/Trampert (1996) wird deutlich, dass nach der Niederlage der Linken im Ringen um Führung der Umweltbewegung und in Opposition gegen die Verbürgerlichung der Grünen nicht die Schuld bei der eigenen Politik gesucht wurde, sondern schnell die Hauptverantwortliche gefunden wurde: die „ArbeiterInnenklasse“, im Speziellen deren deutschen VertreterInnen. So schreiben Ebermann/Trampert in Bezug auf die Orientierung an der „neuen Proletarität“: „Die Vorstellung, dass die Linke sich auf alle Schichten des neuen – also wohl postfordistischen – Proletariats zu beziehen habe, ist erschreckend. Was bliebe von einer antirassistischen Initiative übrig, für die tatsächlich alle (!) ‚prekären‘ Schichten – ohne Rücksicht auf den Stand des Bewusstseins – der vorrangige Bezugspunkt wären? Nichts! Sie müssten sich auch positiv auf jene beziehen, die ihren Projektionswahn in der Verfolgung und Ermordung von Nicht-Deutschen abreagieren. Sie müssten sich positiv auf jene beziehen, die das Kapital auffordern, aus nationalen Erwägungen im eigenen Land zu investieren, statt den Franzosen Arbeitsplätze anzubieten… “ (Ebermann/Trampert 1996, S. 99). Die Bejubelung der neuen Unterschichten, wie sie sich gerade in der Krise der ehemaligen DDR-Länder zeigte, wäre nichts anderes, als Verständnis für „pauperisierte Nazis“ (ebd.) zu entwickeln, die durch die Konfrontation mit dem Kapital schon irgendwann ihren Rassismus überwinden würden. Auch solche Umweltkampagnen wie die zu Brent Spar (siehe oben) wären nichts anderes als nationalistische, bei denen die Umweltsünden nichtdeutscher Konzerne oder Staaten angeprangert werden könnten – in dem Beispiel insbesondere das britische Kapital.

Wir haben an anderer Stelle ausführlich dargelegt (z. B. Lehner 2010), dass der marxistische Bezug auf das Proletariat nicht davon ausgeht, dass ArbeiterInnen „an sich“ fortschrittliches Bewusstsein hätten. Vielmehr ermöglicht die proletarische Klassenposition, dass sich das Proletariat in Kombination von praktischen und theoretischen Kämpfen zum Träger von revolutionärem Klassenbewusstsein aufschwingen kann. Dies aber nicht spontan z. B. auf Grund ökonomischer Kämpfe, sondern nur durch das systematische Eingreifen von KommunistInnen. Insbesondere erfordert dies einen Formierungs- und Organisierungsprozess, in dem von Anfang an gegen rassistische, sexistische, antiökologische etc. Elemente des bürgerlichen Bewusstseins in der Klasse gekämpft werden muss und diese aus der proletarischen Bewegung entfernt werden. In imperialistischen Ländern ergibt sich aus der möglichen Privilegierung bestimmter Schichten der ArbeiterInnenklasse immer die Gefahr einer breiten materiellen Basis für Nationalismus, Chauvinismus und gar Rassismus. Insofern ist in Ländern wie Deutschland der Kampf um revolutionäres Klassenbewusstsein notwendigerweise immer wieder in heftigen Auseinandersetzungen mit „sozialimperialistischen“ Strömungen im Proletariat zu führen.

Da große Teile der  Ex-K-Gruppen, wie von Ebermann/Trampert repräsentiert, dies nicht verstanden oder diesen Kampf erst gar nicht aufnehmen wollten, sind für sie bestimmte Schichten des Proletariats, insbesondere „biodeutsche“ Unterschichten, per se unwiederbringlich rassistisch, sexistisch, antiökologisch etc. mit „natürlichem“ Hang zum Faschismus. Es ist daher kein Wunder, dass sich in der Linken in den Grünen bzw. bei den diversen „Links“abspaltungen wie z. B. der „Ökologischen Linken“ die verschiedenen Versatzstücke der antideutschen, antinationalen „Linken“ als dominierend erwiesen haben. Nicht nur die klassenpolitische Revision der „neuen Linken“ erwies sich für marxistische Intervention in die Umweltbewegung als verheerend. Auch die der Kapitalismuskritik führte dazu, dass eine marxistische Polemik gegen den „Antikapitalismus“, wie er z. B. von Degrowth vertreten wird, unter schweren Bedingungen sich durchsetzen muss. So hat in den 1990er Jahren die Verkürzung der Marx’schen Kapitalanalyse auf die „Wertkritik“ dazu geführt, dass sie gar nicht mehr als realwirtschaftliche Analyse zur Aufdeckung von langfristigen sozialen (und ökologischen) Zuspitzungen herangezogen wurde, sondern vornehmlich (über den Fetischbegriff) als Aufdeckung von ideologischen Verblendungszusammenhängen – so etwa die Ableitung von Antisemitismus aus dem „Arbeitsfetisch“ und der „verkürzten Kapitalismuskritik“. Dabei gelang nicht einmal eine werttheoretische Analyse der Umweltzerstörung, die wesentlich auch im Kapital als Verwertungszusammenhang angelegt ist – im Gegensatz z. B. zu den Ansätzen dazu bei Foster et al. (2011).

Korrespondierend zum „Abschied vom Proletariat“, der Abkehr von dem/r „reaktionären PauperIn“ der „neuen Linken“ konnten sich auch die Mainstreamgrünen von den prekären Schichten des (Sub-)Proletariats fernhalten, um den „gebildeten“ und „progressiven“ Teil der Mittelschichten als ihre Kernklientel zu betrachten. Nicht von ungefähr waren die Grünen an den Hartz-Reformen beteiligt, ohne dass ihnen das bei Wahlen ähnlich geschadet hätte wie der SPD. DIE LINKE konnte bis zu einem gewissen Teil in die Lücke stoßen, die von dieser Art linker Opposition, dem Protest von (sub-)proletarischen Schichten gegen den rot-grünen Verrat geschaffen wurde. Es bleibt sicher richtig, dass es beträchtliche Teile von subproletarischen Schichten, von KleinbürgerInnen, von vom Abstieg bedrohten Mittelschichten etc. gibt, bei denen Rassismus, Antiökologie, „Antigenderwahn“ etc. heute zum weitverbreiteten Bewusstsein gehört. Dies aber gerade auch, weil es den politischen und ökonomischen Organisationen der „Linken“ nicht gelungen ist, einen tatsächlichen, progressiven Ausweg für diese Schichten glaubhaft aufzuzeigen. Erst dadurch wurden sie mit vorherrschenden reaktionären Projektionen und Substituten für die eigentlich notwendigen Widerstände allein gelassen, um Freiwild für rechtspopulistische bis faschistische Mobilisierung, also z. B. zu WählerInnen der AfD zu werden.

Beim Rechtspopulismus gehört die Polemik gegen „Klimawahn“, „Ökofaschismus“, „selbstgerechte grüne Yuppies“ etc. heute zum Standardrepertoire, um gerade solche Schichten anzusprechen. Dies verweist auf eine wesentliche klassenpolitische Wahrheit, die unter anderem in der Analyse von der „imperialen Lebensweise“ (Brand/Wissen 2017) angesprochen wird. Danach befestigt sich die kapitalistische Gesellschaftsformation auch, indem „sie in den Alltagspraxen und im Alltagsverstand verankert ist und dadurch gleichsam ‚natürlich‘ wird“ (ebd., S. 45). „Imperial“ ist diese Lebensweise, da sie eigentlich nur für eine kleine Elite tatsächlich möglich ist, jedoch bei entsprechender Loyalität/Arbeit für Unternehmen und Staat auch in Abstufungen für Subalterne etwas davon abfällt – was aber vor allem nur in den imperialen Zentren in nennenswertem Ausmaß gelingt. Dem Fetisch von der „harten Arbeit“ (entkleidet jeglichen inhaltlichen Nutzens) entsprechen dann das „wohlverdiente“ Automobil (möglichst ein SUV), das Eigenheim im (zersiedelten) Grünen mit Swimmingpool (und entsprechendem Wasserverbrauch), die Flugreisen zu „Traumzielen“ (Kerosin hin oder her), das fette Rentenkonto für die Finca auf Malle etc. Das „Bedürfnis“, einen Platz möglichst weit oben auf der Leiter dieser Lebensweise zu ergattern, induziert individualistische Konkurrenz, entsolidarisiert. Vor allem: da es für die meisten trotz „harter Arbeit“ nur in Ansätzen erreichbar ist bzw. für viele nach Verschuldung, Arbeitsplatzverlust etc. dann der „Abstieg“ in die Platte bzw. der „Rückfall“ auf öffentliche Verkehrsmittel folgen, so wird die Schuld nicht dem Kapital bzw. den von ihm induzierten unsinnigen Konsumzielen gegeben, sondern es steht eine breite Palette an „natürlichen“ Sündenböcken zur Verfügung. Und gerade was die Kritik an besagten unsinnigen Elementen der imperialen Lebensweise aus ökologischer Sicht betrifft, bieten sich hier die „ÖkoidiotInnen“ als günstiges Ziel an: Sie machen das Autofahren unerschwinglich (Benzinpreis, Ökosteuern … ), verhindern den Straßenbau, verbieten erschwingliche Autos mit Verbrennungskraftmotoren, verteuern Flugreisen oder verbieten sie gar, behindern den Eigenheimbau in bestimmten Gebieten oder stören den Blick ins Grüne mit Windradparks etc. etc.

Die ökologischen Folgen der „imperialen Lebensweise“, der einzelnen hier angedeuteten Ausformungen davon, sind mehr als bekannt. Natürlich muss es darum gehen, diese rücksichtslos individualistischen Ausprägungen (klein-)bürgerlicher, entfremdeter Vorstellungen von „gutem Leben“ durch solidarische und ökologische Alternativen zu ersetzen. Dies kann aber nur in einer Massenbewegung durchgesetzt werden, in der diese für die Mehrheit der ArbeiterInnen greifbar werden und durch die Umwälzung der Verhältnisse in Produktion, Distribution und Konsumtion auch realisierbar erscheinen. Kurz (und dies fehlt natürlich bei Brand/Wissen): Nur ein revolutionäres, proletarisches Klassenbewusstsein kann die entfremdete imperiale Lebensweise überwinden. Nur dieses kann über die Umgestaltung der globalen Produktionsweise auch eine sozial und global solidarische Lebensweise durchsetzen, die Entwicklung, sozialen Ausgleich und Eindämmung ökologischer Folgen menschlicher Produktivkraftentfaltung vereinbar macht. Bei Umwelt- und Klimagerechtigkeit im „Transformationsprozess“ kann es nicht nur darum gehen, dass die Kosten der Transformation (wie z. B. erhöhte Energiekosten) gerade nicht von den sozial oder regional Schwächeren getragen werden, sondern das Gesamtsystem, das diese Kosten erst erzeugt, zu hinterfragen. So z. B. bei der Frage der Spritpreise und dem „Zwang“ zum Auto für PendlerInnen: Letzterer hängt zusammen mit unendlich steigenden Wohnkosten in bestimmten Ballungsgebieten, die zum Auswandern in die Peripherie und dann eben zum Pendeln zwingen, beständigen Verlagerungen von Arbeitsstätten, mangelnder Infrastruktur im ländlichen Raum, z. B. was Anbindung öffentlicher Verkehrsmittel oder IT-Anschüsse betrifft, etc. Die Frage auf Spritpreis und Kfz-Pauschale (oder Energiegeld) zu verkürzen, verliert aus den Augen, dass Umwelt- und Klimagerechtigkeit nicht bloß eine Frage von finanziellem Ausgleich ist, sondern der Umgestaltung von gesellschaftlichen Verhältnissen.

Ein Versagen bei der Gestaltung von Umwelt- und Klimagerechtigkeit jedoch, dass eben wie jetzt der „Transformationsprozess“ vor allem zu Lasten von bestimmten Teilen der Mittelschichten, des KleinbürgerInnentums und der ArbeiterInnenklasse geht, führt eben zu den besagten reaktionären, nichtsolidarischen Massenphänomenen, die sich auch gegen ökologische Veränderungen richten. Das Muster davon konnten wir in letzter Zeit in der Querdenkenbewegung sehen: Die „Verteidigung der individuellen Freiheit“ gegen kollektive Maßnahmen zum Schutz besonders betroffener Gruppen in einer Pandemie ist ein deutliches Zeichen, wie der (klein-)bürgerliche Individualismus zu menschenfeindlicher Entsolidarisierung führt: Ich opfere doch nicht „meine Lebensweise“ für das Leben von Alten oder Risikogruppen, die eh bald sterben werden. Genau hier sehen wir das Muster, nach dem auch „KlimaquerdenkerInnen“ mobilisiert werden können: Wegen der „Klimapanikmache“ und den paar Südseeinseln, die vielleicht jetzt untergehen werden, verzichten wir doch nicht auf unsere hart erarbeiteten SUVs oder Fernreisen.

In einer ambivalenteren Form ist auch die „Gelbwestenbewegung“ ein Resultat dieser gesellschaftlichen Verwerfung. In Frankreich wurde insbesondere die Erhöhung der Spritpreise zum Mobilisierungspunkt einer Massenbewegung, die auch rechte bis faschistische Elemente umfasste, aber auch durch Verbindung mit gewerkschaftlichen Kämpfen (z. B. um die Rentenreform) Elemente des gerechtfertigten sozialen Widerstands. Hier wird deutlich, wie sehr solche Einzelfragen um die Kosten ökologischer Transformation mit einem Gesamtkonzept der Umwelt- und Klimagerechtigkeit verbunden werden müssen. Ansonsten drohen solche Kämpfe z. B. um Spritpreiserhöhungen, zum Thema rechter Mobilisierungen zu werden. Die „Gefahr“ von „Gelbwestenbewegungen“ wie in Frankreich wird denn auch von vielen Regierungen in imperialistischen Ländern als Menetekel heraufbeschworen, um entschiedene umwelt- und klimapolitische Maßnahmen zu vermeiden. Da man ja an die Profite der Unternehmen wegen der „Wettbewerbsfähigkeit“ nicht herangeht, Energiepreiserhöhungen oder Einschränkungen von Flugreisen etc. nur in möglichst unmerklich langen Zeiträumen ansetzt, bleiben dann nur „Fördermaßnahmen“ wie z. B. Subventionen für E-Mobilität oder etwas CO2 sparende Produktionstechnologien. Die Kosten tragen dann wieder vor allem die ArbeiterInnen über Massensteuern oder Preiserhöhungen. Andererseits werden so kaum wirkliche Effekte in der Beschränkung der Ausweitung der ökologischen Großkrisen erreicht.

Gerade die „Gelbwestenbewegung“ hat in letzter Zeit besonders die Begeisterung des Linkspopulismus hervorgerufen. Hier sieht er endlich „das Volk“, die nicht von den „gebildeten Schichten“ verdorbenen Unterklassen, die zur Rebellion schreiten. Bei Sahra Wagenknecht sind die Klima-, Rassismus- oder Genderfragen ja vor allem Themen für Mittelstandsjugendliche, die „sonst keine Probleme“ haben. Bei ihr sieht man, wohin die absurde Trennung der sozialen Fragen von der Gesamtheit der kapitalistischen Widersprüche führt, die eben auch die grundlegende ökologische Krise, die Zuspitzung der Nord/Südkonflikte und damit auch der Migrationsbewegungen sowie des Rassismus etc. etc. umfassen. Darüber hinaus verkennt Wagenknecht, dass die gebildeten, privilegierten Schichten, die „sich selbstgerecht den Protest um solche Themen leisten können“ auch großteils Teile der ArbeiterInnenklasse sind, die natürlich genauso für die sozialen Proteste gewonnen werden können und müssen. Die Polemik erinnert vielmehr an das alte stalinistische Muster von den „volksfernen Intellektuellen“ mit seinen deutlichen antisemitischen Anklängen. Sie ist nichts anderes als eine reaktionäre Spaltung der Klasse von den mit dem Kapital in Widerspruch stehenden Bewegungen. Dem müssen wir deutlich entgegentreten und klarmachen, dass Umwelt- und Klimagerechtigkeit nicht nur ökologischen Umbau, sondern auch eine gesellschaftliche Veränderung bedeutet, die die Überwindung der ökologische Krise zusammen mit einer Umverteilung von oben nach unten erkämpft.

11. Die dritte Periode der Umweltbewegung – Globalisierung und Klimakrise

Görg/Bedall (2013, S. 81) charakterisieren die globale „Klimabewegung“ als die erste Bewegung, die im Rahmen einer sich formierenden „Weltzivilgesellschaft“ einen hegemonialen Kampf führe – wobei sie Gramscis Begriff der Zivilgesellschaft als „erweiterter Staat“ verwenden. Auch wenn die Andeutung eines „Weltstaates“, der sich in der Klimapolitik herausbilden würde, völlig daneben greift, so deutet sich hier im Falschen doch einiges an richtigen Elementen in Bezug auf das Neue der Klimabewegung an:

11.1 Globale Umweltprobleme und überstaatliche Reaktionen darauf

Erstens liegt natürlich das Grundproblem bürgerlicher Politik mit solchen imminenten globalen Problemen wie den erwähnten neun Umweltkrisen (mit der Klimakrise an der Spitze) darin, dass der Kapitalismus unfähig ist, die Ebene des Nationalstaats in der Weltmarktkonkurrenz zu überwinden. Deswegen prägt gerade die Epoche des kapitalistischen Gesellschaftssystems, die im Zeitalter der Konkurrenz der Monopole auf dem Weltmarkt ins Leben trat, den Imperialismus, eine Aufteilung der Welt unter Großmächte und -konzerne, die insbesondere den Rest der Welt in ein ökonomisch-politisches Abhängigkeitsverhältnis zu diesem System der „großen Wirtschafts- und Militärmächte“ halten. Die Institutionen, die dieses System auf globaler Ebene schafft, haben nichts mit einem tatsächlichen „Weltstaat“ zu tun, auch wenn sie in Form der UNO Elemente davon vorspielen. Im Grunde sind G7, G8, G20, die UNO-Teilorganisationen, IWF, Weltbank, WTO etc. Mechanismen des Ausgleichs zwischen den imperialistischen Ländern, in denen die Rolle des Rests der Welt immer untergeordnet und abhängig von der Unterstützung bestimmter Teile der „Großen“ ist. Dies ist natürlich auch in der Umweltpolitik und insbesondere in der Weltklimafrage der Fall.

Ganz allgemein: Wir haben zu Beginn dieses Artikels gesehen, wie Umweltpolitik im Kapitalismus ein integraler Bestandteil des bürgerlichen Staates ist. D. h. der Externalisierungstendenz des Kapitals muss der Staat als „ideeller Gesamtkapitalist“ bis zu einem gewissen Grad entgegenwirken. Von den Abwasserproblemen, der Müllentsorgung bis zu den Sicherheits- und Umweltrisiken von Produktionsanlagen ist die Umweltpolitik ein Feld von (Klassen-)Kämpfen, in denen der bürgerliche Staat auf seinen verschiedenen Ebenen (Kommunen, Regionen, Gesamtstaat, Justiz, Verwaltungen, Wissenschaft etc.) und die Zivilgesellschaft (Initiativen, Vereine, Parteien, Medien etc.) als „erweiterter Staat“ die Austragungsorte liefern (neben den Auseinandersetzungen in den Betrieben selbst, z. B. um Sicherheitsstandards). Mit zunehmender Dimension der Umweltprobleme wuchs auch die Masse an staatlichen Regulierungen, wissenschaftlichen und technischen Informationen, administrativen und juristischen Prozessen, Öffentlichkeitsstrukturen etc. rund um Umweltfragen. Dies alles sieht aber sofort anders aus, wenn wir die internationale Ebene betrachten: Der Kapitalismus ist nicht in der Lage, so etwas wie einen Weltstaat zu errichten, obwohl das Kapital gleichzeitig von Beginn an über nationale Grenzen zur Etablierung des Weltmarktes drängt. Er wird letztlich beherrscht von der globalen Kapitalakkumulation unter Bedingungen der Weltmarktkonkurrenz, ohne auf dieser Ebene den „ideellen Gesamtkapitalisten“ etablieren zu können. Alle umweltpolitischen Regularien und Prozesse der Nationalstaaten (wie auch im sozialen Bereich) werden daher notwendigerweise von der Weltmarktkonkurrenz des Kapitals immer wieder untergraben und zunichtegemacht. Das einzige globale System, das der Kapitalismus gegenwärtig etabliert hat, ist das oben skizzierte imperialistische, mit der Zementierung der neokolonialen Ungleichheiten und der Dominanz bestimmter „Großmächte“. Von daher mündet die Externalisierungstendenz des Kapitals notwendigerweise im System des Umweltimperialismus (wie wir ihn im Hauptartikel dieses RM charakterisiert haben). Dies beinhaltet durchaus Fortentwicklung von Umweltpolitik (wie beschrieben) in den imperialistischen Zentren – dafür umso prekärer werdende Umweltbedingungen in der Peripherie. Insbesondere wird dieses System jedoch kritisch, wenn es um globale Probleme geht, um Umweltkrisen, die die Umweltbedingungen auf dem ganzen Planeten betreffen. Dies betrifft insbesondere die schon genannten neun Krisen, die für die Lebensbedingungen auf diesem Planeten bedrohliche Ausmaße angenommen haben. Hier reichen diese Externalisierungs- und Regulierungsmethoden nicht mehr aus. Andererseits fehlten anfänglich jegliche internationalen quasistaatlichen Strukturen bzw. auch so etwas wie eine globale „Zivilgesellschaft“.

Angesichts der Ausmaße der globalen Umweltprobleme, wie sie sich spätestens in den 1970er Jahren (unter anderem bewusst gemacht durch die Berichte des Club of Rome) abgezeichnet und die sich mit dem neuerlichen kapitalistischen Aufschwung in der Globalisierungsperiode des Kapitalismus nach der Krise der 1980er Jahre nochmals enorm verschärft haben, war es auch für die politische Verantwortlichen in den imperialistischen Zentren nicht mehr zu leugnen, dass dringendster internationaler Handlungsbedarf besteht. Hatte man noch in den 1980er Jahren eine „gefährliche Tendenz“ der CO2-Konzentration in der Atmosphäre von 350 ppm gesehen (der vorindustrielle Wert lag bei 280 ppm), der ernste Klimafolgen erwarten ließ, haben wir bekanntlich 2018 schon die 400 ppm überschritten. Die Gefahr eines ungebremsten Anstiegs der Emission von Treibhausgasen, die sich für lange Zeit als klimarelevanter Faktor in der Atmosphäre ansammeln würden, bis wieder eine gewisse Trendumkehr erreichbar ist, wurde spätestens Anfang der 1990er Jahre in Wissenschaft und von ihr beeinflusster Politikberatung immer dringlicher in der „Weltgemeinschaft“ publik gemacht. Tatsächlich berief dann die UNO im Jahr 1992 eine „Weltkonferenz“ zu „Umwelt und Entwicklung“ in Rio de Janeiro ein, auf der unter anderem die Klimarahmen- und Biodiversitätskonventionen sowie Prinzipien zum Waldschutz verabschiedet wurden. Die 197 VertragspartnerInnen der „Rio-Erklärung“ verpflichteten sich dabei zur Einleitung eines Prozesses, der zu verbindlichen Maßnahmen des Klimaschutzes führen und dabei die unterschiedlichen nationalen/regionalen Beiträge „gerecht“ verteilen sollte. Zu diesem Zweck wurden jährliche Konferenzen, die „Conferences of the Parties“ (COP), auch „Klimagipfel“ genannt, die an wechselnden Orten stattfinden sollten, geplant. Diese starteten mit der COP1 1995 in Berlin. Schon 1997 auf der COP3 in Kyoto wurde auch ein 2012 auslaufendes erstes Vertragswerk mit „verbindlichen“ Zielen zur Treibhausgasreduktion beschlossen, dem sich aber nur ein Teil der Rio-VertragspartnerInnen anschloss (insbesondere nicht die USA und Kanada). Die COPs wurden deshalb ergänzt um Treffen der Kyoto-VertragspartnerInnen, die immer verzweifelter um ein Kyoto-Nachfolgeabkommen rangen, dem auch die USA beitreten könne. Erst 2015, auf der COP21 wurde nach langem Ringen das berühmt-berüchtigte „Pariser Abkommen“ vereinbart, mit dem „2 °C“-Ziel und der Vorgabe, die globale CO2-Neutralität bis 2050 zu erreichen. Angesichts der bedrohlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte und insbesondere der Tatsache, dass die USA und China als Haupttreiber der Globalisierungsperiode in den 1990er und 2000er Jahren (außerhalb jeglicher Beschränkungen) die globale Treibhausgasemission enorm gesteigert haben (z. B. gab es in den USA einen Boom neuer Erdölförderung, Erschließung von Gasquellen, Fracking etc., was sie gänzlich von Energieimporten unabhängig gemacht hat), ist der Gesamtprozess seit Rio lächerlich langsam und ineffektiv gewesen. 2 Jahrzehnte wurde mit nutzloser Klimadiplomatie und viel heißer Konferenzluft vertan. 2 Jahrzehnte, die für die herannahende Katastrophe sehr viel verpasste Zeit bedeuten.

Aber immerhin gibt es mit den „Paris-Zielen“ jetzt die Verpflichtung der Vertragsparteien, konkrete Maßnahmen für die nationale Umsetzung dieser Ziele mit Zeitplänen versehen vorzulegen. Niemand kann mehr sagen, eine Reduktion bei uns um X % Autoverkehr hat doch für das Klima einen Effekt von 0,Y % globaler Treibhausgasemissionen – da können wir es doch auch gleich bleiben lassen. Jeder Prozentsatz ist jetzt eine „Planvorgabe“ innerhalb eines weltweiten Reduktionsprozesses. Insbesondere sind solche quantifizierbaren und terminlichen Ziele jetzt mobilisierungsfähig und können nicht zuletzt (wie einst Grenzwert- und Sicherheitsauflagen bei AKWs) vor Gericht verwendet werden (wie jüngst beim Urteil gegen den Shellkonzern zu sehen).

11.2 Die Internationalisierung als Merkmal der dritten Periode der Umweltbewegung

Zweitens hat sich mit der Institutionalisierung des Rio-Prozesses und den jährlichen internationalen Klimagipfeln auch einiges am Charakter der AkteurInnen in der Umweltbewegung geändert. In der zweiten Periode der Umweltbewegung herrschten immer noch nationale Mobilisierungen vor und die meisten Expertisen, Öffentlichkeitsarbeit, juristisch/parlamentarische Intervention etc. erwuchsen organisch aus den Bewegungen selbst. Die beschriebene Etablierung der Grünen und der mit ihnen verbundenen Strukturen in der Umweltbewegung haben hier schon einiges an abgehobener „Professionalisierung“ hervorgebracht. Auch die beschriebene Episode rund um Brent Spar zeigt, wie bestimmte Umweltorganisationen immer mehr auf „medienwirksame“ PR-Agenturen, mit großen professionellen Apparaten, wissenschaftlichen ExpertInnen und „Aktionsprofis“ umgetrimmt wurden, mitsamt entsprechenden „Finanzierungsmodellen“. Mit dem Rio-Prozess und der von der UNO in diesem Rahmen verlangten „Akkreditierung“  von AktivistInnen zur Teilnahme wurde auf internationaler Ebene dieser schon in Gang befindliche Prozess beschleunigt, indem Umweltorganisationen nunmehr zu „Non Governmental Organisations“ (NGOs) mutierten. Zu Beginn des Rio-Prozess schlossen sich mehrere Umwelt-NGOs zum sogenannten CAN (Climate Action Network) zusammen, das zunächst so etwas wie das „Sprachrohr“ der Umweltbewegung bei den Klimakonferenzen sein sollte. Das CAN bot insbesondere eine Gelegenheit für viele Halbkolonien, die sowieso Schwierigkeiten hatten, jenseits ihrer abhängigen Regierungen den Interessen der dort immer mehr von Umweltkatastrophen betroffenen Menschen Gehör zu verschaffen, selbst NGOs zu bilden. Insbesondere in entwickelteren Halbkolonien wie Brasilien oder Indien wuchs damit die Zahl der Netzwerke und AktivistInnen mit umweltpolitischen Zielsetzungen sehr stark an.

Dies bedeutete insbesondere, dass Umweltbewegungen, die in den meisten Halbkolonien bisher eher eine marginale Rolle gespielt hatten, zu relevanten politischen Akteurinnen wurden. Insbesondere kleine und Subsistenzbauern/-bäuerinnen, Indigene, Betroffene von den sanitärhygienischen Verhältnissen in suburbanen Regionen etc. wurden zu sozialen TrägerInnen solcher Bewegungen, die dann über die neuen NGOs weltweit Aufmerksamkeit erzielten. Erstmals wurden die sozialen und ökologischen Auswirkungen des „Neoextraktivismus“ (der neuen Welle von Konzentration der Rohstoffgewinnung in bestimmten Halbkolonien), des enormen Ausbaus der Agroindustrien (und der damit einhergehenden Verdrängungsprozesse), der Ausweitung der Energiegewinnung (Staudammprojekte, Biospritgewinnung etc.), der neoliberalen Privatisierungspolitik mit Folgen für die Grundversorgung der Bevölkerung (z. B. Saatgut, Wasser, etc.) zum Thema von „Umweltgerechtigkeit“ auch im Rahmen des „Rio-Prozesses“. Andere „entwicklungspolitische“ und gewerkschaftliche Auseinandersetzungen, denen sich Nicht-Umwelt-NGOs gewidmet hatten, z. B. in der Textilindustrie, wurden mit diesen Themen verknüpft.

Seit der Verabschiedung des Kyoto-Protokolls passten sich jedoch die umweltpolitischen NGOs wie Greenpeace oder WWF vollständig den kapitalkonformen „Lösungs“logiken der COP-Mechanismen an. Damals waren dies insbesondere der Zertifikatehandel und die „Clean Development Devices“, später all das, was wir als „green washing“ und „green economy“ charakterisiert haben. Die NGOs (im CAN) als offizielle „Sprachrohre“ der Klimabewegung entfremdeten sich so mehr und mehr von den KlimaaktivistInnen, die bei den Klimagipfeln auf die Straße gingen, speziell von den „Klimagerechtigkeits“-Ansprüchen der Gruppierungen aus dem globalen Süden. In Konsequenz kam es gegen 2006 zu einer Spaltung des CAN: Diejenigen Teile der Klimabewegung und der NGOs, die den neoliberalen Grundkonsens der COP-Protokolle und -Vereinbarungen nicht akzeptierten, formierten unter dem Slogan „system change – not climate change“ ein neues Netzwerk „Climate Justice Now“ (CJN). Allerdings wurde dieses neben CAN auch auf den folgenden COPs als zivilgesellschaftlicher Akteur akkreditiert. Um die Frage des „Wirkens von innen“ (auf den COPs) spaltete sich bald auch die CJN . Der „außerparlamentarische“ Flügel organisierte sich international im Netzwerk „Never Trust a COP“ (NTAC). In CJN ist eine der größten internationalen Umweltorganisationen, die „Friends of the Earth International“ (FoEI), mit Mitgliedsorganisationen wie BUND oder Global 2000 vertreten, die in den letzten Jahren immer kritischere Positionen zu „greenwashing“, „Marktmechanismen“ und den tatsächlichen ungleichen Lasten bei den Klimafolgen einnahm. FoEI wurde zu einem wichtigen Bestandteil internationaler Klimaproteste, blieb aber zugleich immer Element des Klimakonferenzirkusses. Neben Umweltorganisation im eigentlichen Sinn waren im CJN aber auch „entwicklungspolitische“ NGOs wie Oxfam oder Organisationen mit Schwerpunkten im globalen Süden wie „La Via Campesina“ vertreten.

11.3 Die „Klimagerechtigkeit“sbewegung

11.3.1 Richtung Kopenhagen

Drittens: Dieser Differenzierungsprozess hin zu einem „kapitalismuskritischen“ bzw. Außer-COP-Teil der Bewegung ist auch Resultat eines anderen Phänomens neuer sozialer Bewegungen in der Globalisierungsperiode: des der „globalisierungskritischen“ Bewegung. Seit Anfang der 1990er Jahre war der Weltkapitalismus in eine neue Aufschwungphase getreten, charakterisiert durch die Schaffung umfangreicher globaler „Wertschöpfungsketten“, dem Niederreißen von Schranken für Kapitalexport und vieler Operationen der „Finanzmärkte“, einem enormen Anstieg des Welthandels, einer intensiven Ausbreitung der weltweit nutzbaren digitalen Infrastrukturen etc. Die Kehrseite war eine auch in Folge des Untergangs der Sowjetunion enorme Steigerung von sozialer und gewerkschaftlicher Entrechtung, Prekarisierung, aber eben auch der fortschreitenden Umweltzerstörung. In Teilen des globalen Südens, wie z. B. in Lateinamerika, regte sich gegen diese Auswirkungen Widerstand, der sich auch in der Etablierung von neuen „Linksregierungen“ äußerte. Gleichzeitig kam es zu einem Wiederanstieg sozialer Proteste in den imperialistischen Zentren, die sich z. B. 1999 mit den ersten Gipfelprotesten in Seattle zu einem weltweiten Phänomen verallgemeinerten. Die von Lateinamerika ausgehenden „Gegengipfel“, die „Weltsozialforen“, verbanden sich mit den Protestbewegungen in Nordamerika und Europa, um in der ersten Hälfte der 2000er Jahre zu einer großen, weltweiten kapitalismuskritischen Bewegung zu geraten. Natürlich wurden auch die Agenden der linken Teile der Klimabewegung von der Sozialforenbewegung aufgegriffen, mitsamt den „Klimagerechtigkeit“sforderungen. Umgekehrt wurden die Mobilisierungs- und Protestformen der Altermondialbewegung (Alter Monde: andere Welt) von CJN & Co aufgegriffen. So waren die „Klimacamps“, die etwa um 2006 in Britannien erstmal stattfanden, sicherlich von denen der Gipfelproteste inspiriert. Letztlich benutzten die Linksregierungen in Lateinamerika ihre Netzwerke in beiden Bewegungen auch, um ihr Gewicht auf den Klimakonferenzen zu stärken bzw. auch selbst Gegengipfel zu organisieren. Der wichtigste davon war sicherlich die von Evo Morales im bolivianischen Cochabamba einberufene „World People’s Conference on Climate Change and the Rights of Mother Earth“ (Weltbevölkerungskonferenz zum Klimawandel und zu den Rechten von Mutter Erde) im Jahr 2010 als Antwort auf das Scheitern der Kopenhagen-Konferenz (COP15) ein Jahr zuvor. Über die Errichtung eines „Climate Justice“-Tribunals und die Forderung nach einem Weltvolksreferendum zu Klimamaßnahmen hinaus bietet das Cochabamba-Protokoll allerdings auch nicht viel Konkretes.

Mit dem Entstehen des kapitalismuskritischen Flügels der Klimaproteste, ihrer Organisierung in Netzwerken um CJN und der Etablierung von „Klimacamps“ vor allem in Europa wurde zwischen 2006 und der Organisierung der Proteste rund um COP15 (Kopenhagen) eine erste Phase einer wirklich massenhaften „Klimabewegung“ eingeleitet. Mit den COP15-Protesten ist diese als wirkliche neue soziale und ökologische Bewegung hervorgetreten, die sich von der bisherigen Dominanz grüner Parteien und bürokratisierter NGOs als eigenständige neue Umweltbewegung gelöst hat. Bei der zentralen Demonstration in Kopenhagen 2009 drückte sich dies in der Teilnahme von mehr als 100.000 Protestierenden aus. Aber auch bei den folgenden Aktionen und Gegenveranstaltungen waren tausende Umweltbewegte anwesend und erwarteten, dass der Druck dieser neuen Bewegung auf die COP15 etwas bewirken würde. Bekanntlich war die offizielle Klimakonferenz ein Fiasko. Eine Fortentwicklung des Kyoto-Protokolls, geschweige denn eine Konkretisierung samt Einbeziehung von USA und China schien damals in weite Ferne gerückt.

Insbesondere in Deutschland war im Vorlauf zu COP15 die Auseinandersetzung um das Kohlkraftwerk Moorburg wesentlich. 2008 war in Hamburg die erste schwarz-grüne Landesregierung zustande gekommen, in der die Grünen auch die Genehmigung dieses Kraftwerks im Zuge der Regierungsbeteiligung mittrugen. Ihr offener Bruch mit ihren klimapolitischen Versprechen befeuerte die Mobilisierung zum ersten deutschen Klimacamp 2008 eben in Moorburg. Im Vorfeld wurde eine breite linke Mobilisierung erreicht, die neben DIE LINKE, attac und Avanti auch die Grüne Jugend umfasste, die damit in deutlichen Konflikt zu ihrer Mutterpartei gerieten. Insbesondere die versuchte Erstürmung des Kraftwerkes machte die Bewegung bekannt, unterstützte die Mobilisierung für Kopenhagen – und kann als Startschuss für die regelmäßige Kombination von Klimacamps und Aktionen rund um Einrichtungen von Braunkohleabbau bzw. -verstromung in der deutschen Klimabewegung gesehen werden. Dazu kam in Deutschland, dass dieses Aufkommen der Klimabewegungen mit der letzten Phase der Mobilisierungen gegen Castortransporte und den „Atomkompromiss“ zusammenfiel. Die „Castor Schottern“-Aktionsform wurde später für Initiativen, wie „Ende Gelände“ (nach 2015) zum Vorbild, das AktivistInnen zu „Grenzüberschreitungen“ führte, die dieses Unrechtssystem (das solche Umweltverbrechen genehmigt) als „illegal“ bezeichnet.

11.3.2 Die US-Klimaschutzbewegung

Mit dem Scheitern des Kopenhagen-Kongresses und den daraus folgenden geringen Möglichkeiten für weitere größere Massenmobilisierungen ebbte die erste große Mobilisierungswelle der Klimabewegung seit 2010 in Europa ab. Allerdings blieben die Aktionsformen der Klimacamps und der Proteste gegen die Braunkohleverstromung lebendig – wenn auch beschränkt auf einen kleineren AktivistInnenstamm. In Europa standen auch die Auswirkungen der Wirtschaftskrise und insbesondere der soziale Kämpfe in Südeuropa zunächst weit mehr im politischen Fokus als die Klimakonferenzen, von denen sowieso kaum jemand viel erwartete.

Umso mehr startete dafür in den USA die Klimabewegung durch. Mit dem Amtsantritt von Barack Obama Anfang 2009 wuchs der Druck der Klimabewegung auf eine Wende in der US-Klimapolitik. Tatsächlich versandeten aber Obamas große Ankündigungen insbesondere in seiner Auseinandersetzung mit dem US-Kongress. Dies führte zu großen Protestwellen, die durch FoEI, aber vor allem auch die kometenhaft aufsteigende neue Umweltorganisation 350.org organisiert wurden. Letztere, durch den charismatischen Bill McKibben im Vorlauf der Mobilisierungswelle gegründet, erklärte, dass nur die Reduktion der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre auf 350 ppm das Erreichen des 1,5 °C-Zieles gewährleisten würde (auch das Paris-Ziel von 2 Grad wird wahrscheinlich über das Triggern von Klimakippunkten schwerwiegende negative Dominoeffekte auslösen). Zum Kulminationspunkt der US-Proteste wurde ab 2012 der Kampf gegen das Pipelineprojekt Keystone XL. Mit dieser Pipeline soll Rohöl, das aus Ölsanden auf kanadischen Ölfeldern gewonnen wird, zu Raffinerien im Süden der USA transportiert werden. Die Proteste richteten sich nicht nur gegen die unmittelbaren Umweltschäden durch den Bau und die Risiken für wichtige Wasserreservoirs (wodurch nicht nur die unmittelbar betroffenen indigenen Völker in Mitleidenschaft gezogen werden). Es richtete sich auch gegen die globalen Klimafolgen der besonders Treibhausgase emittierenden Gewinnung von Öl aus Teersanden. Eine Umweltprüfung durch die Regierung selbst kam zu dem Ergebnis, dass die CO2-Belastung dadurch um 17 % über der „normalen“ Erdölgewinnung lag. Der Kongress schlug solche Bedenken in den Wind und wollte die Obama-Administration zur Genehmigung des Projektes zwingen. Die massiven Proteste, mit dem Höhepunkt von 400.000 beim People’s Climate March im September 2014 in New York City (sicherlich der Höhepunkt der zweiten Phase der Klimabewegung), brachten die Obama-Administration jedoch in Zugzwang. Da es sich um ein gemeinsames Projekt mit Kanada handelte und damit als „außenpolitisches Projekt“ dem Präsidenten ein Entscheidungsrecht einräumt, stoppte Obama Anfang 2015 die weiteren Arbeiten an Keystone XL. Von der US-Umweltbewegung wurde dies als großer Sieg gefeiert, der sicherlich auch weltweit die Kämpfe um die Stilllegung oder Nichtgenehmigung von Projekten der fossilen Energiewirtschaft ermutigte. Dies wurde ergänzt dadurch, dass in Folge die US-Regierung auch zur Unterzeichnung des Pariser Abkommens bereit war – und sich damit erstmals zu weltweit abgestimmten Klimazielen bekannte.

11.3.3 Fridays for Future

Bekanntlich war es mit dieser Ökoherrlichkeit in den USA Ende 2016 wieder vorbei – zu den ersten Amtshandlungen von Donald Trump zählten bekanntlich der Austritt aus dem Pariser Abkommen und die sofortige Genehmigung für Keystone XL und weitere Pipelineprojekte. Zwar löste dies erwartungsgemäß neue Proteste aus. Doch fürs Erste schien die Sisyphusarbeit der Klimabewegung wieder von einem neuen Tiefpunkt starten zu müssen. 2018 waren die Klimaproteste wieder kleiner und zumeist auf den üblichen Kreis von Aktiven beschränkt. Agesichts der bedrohlichen Zuspitzung der Krisenanzeichen (z. B. heftige Wetterphänomene, Hitzewellen, Überschwemmungen etc.) machte sich eine gewisse Resignation breit. Gegen Ende dieses Sommers jedoch machte sich eine 15-jährige Schülerin in Stockholm auf den Weg, um vor dem schwedischen Reichstag mit einem handgemalten Plakat zum Schulstreik für das Klima aufzurufen. Wenige Zeit später entstand eine der wohl größten internationalen Umweltprotestbewegungen, die wir bisher gesehen haben. Wellen von Schulstreiks im Rahmen von Fridays for Future (FFF) rollten über Westeuropa und andere Teile der Welt, um am 15.3.2019 in einem globalen Protesttag mit etwa anderthalb Millionen SchülerInnen zu münden. Greta Thunberg und FFF bilden sicherlich ein Beispiel für die Wirkung des Prinzips, dass die richtige Person an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit in Kürze Potentiale in Bewegung setzen kann, die sonst sicher sehr viel länger brachgelegen hätten. Die Unzufriedenheit mit der realen Klimapolitik, die Rückschläge durch die US-Politik und die immer bedrohlicher werdende Situation haben 2018 gerade unter vielen SchülerInnen, die sich zu Recht intensiv mit ihrer Zukunft in der Klimakatastrophe beschäftigt hatten, in Greta Thunberg die ideale Sprecherin gefunden. Sie hat Wahrheiten deutlich ausgesprochen, die viele vor lauter „greenwashing“ und Nachhaltigkeitsgefasel schon gar nicht mehr wahrnehmen konnten. Dies gilt auch für ihre gerade kürzlich getroffene Feststellung: „Im Jahr 2030 werden wir eine unumkehrbare Kettenreaktion ausgelöst haben, die höchstwahrscheinlich zum Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen, führen wird. Es sei denn, es ist uns bis dahin gelungen, permanente und bisher nie dagewesene Veränderungen in allen Gesellschaftsbereichen durchzusetzen, welche unsere CO2-Emissionen mindestens halbieren“ (350.org 2019, S. 5). Thunberg bleibt aber im Ungefähren, was die notwendige gesellschaftspolitische Konsequenz davon sein muss. Auch wenn sie natürlich die wirtschaftlichen Interessen und Prozesse anspricht, die bei diesen „nie dagewesenen Veränderungen in allen Gesellschaftsbereichen“ überwunden werden müssen, so unklar bleibt sie, was die Frage der Eigentumsverhältnisse und der notwendigen neuen Wirtschaftsweise betrifft.

Insgesamt stellt sich die Frage des Programms der Klimabewegung in allen ihren bisherigen 3 Phasen. Insbesondere die zweite und dritte setzten die Differenzierung der ersten Phase (CAN/CJN) nicht auf dem gleichen Level fort. Die Frage einer möglichen „Green Economy“ als „ökologische Modernisierung“ des Kapitalismus wurde wieder „massenfähig“ und über den „Green New Deal“ auch „politikfähig“. Organisationen wie 350.org stehen dem zwar kritisch gegenüber, beteiligen sich aber zusammen mit VertreterInnen dieser Orientierung an politischen Projekten. Besonders deutlich wird das Problem an Organisationen wie „Extinction Rebellion“ (XR), der anderen größeren Mobilisierungsorganisation der dritte Welle der Klimabewegung neben FFF. XR verkündet optimistisch, dass die Lösungskonzepte der Klimakrise längst vorlägen und nur die „Blockaden“ für die Umsetzung durchbrochen werden müssten. Der XR-Gründer Roger Hallam bezieht sich vornehmlich auf politikwissenschaftliche Studien zum Sturz bestimmter Diktaturen wie z. B. in Serbien unter Milosevic, um daraus den „wissenschaftlichen“ Schluss zu ziehen, dass mit spektakulären Aktionen des gewaltlosen zivilen Widerstands (medienwirksame Blockaden von Mobilitätsschwerpunkte an bestimmten X-Tagen, zumeist über mehrere Tage) genug Druck ausgeübt werden könne, damit dann in einem nächsten Schritt ein per Losverfahren „gewählter“ Klimarat legitimiert werden könnte, der die Maßnahmen dann einfach umsetzt.

Während XR mit anderen Organisation der Klimabewegung die Schilderung der Dramatik der Klimakrise teilt (wie schon das „Extinction“ im Namen zeigt), ist Roger Hallam nicht bereit, anders als z. B. Greta Thunberg, zu erklären, dass der Stopp der globalen Umweltkrise nur durch eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung möglich ist, die die bestehende Wirtschaftsweise radikal in Frage zu stellen hat, und es folglich Mächte gibt, die dieser Veränderung entgegenstehen, die sich nicht durch ein paar Straßenblockaden ergeben werden. Die Formen der Mobilisierung (XR-AktivistInnen nehmen sich tagelang frei, speziell um den Berufsverkehr zum Stillstand zu bringen – meist in erstaunlich gutem Einvernehmen mit der Polizei) sind schließlich auch äußerst auf die Mittelschichten zugeschnitten. Bezeichnend ist die geringe Anzahl an nicht-weißen AktivistInnen im XR-Kernland Britannien. Bei ihrem großen „Herbstaufstand gegen den Klimanotstand“ 2019 in London gab es eine Aktion in einer U-Bahnstation, bei der einige XR-AktivistInnen einen Pendlerzug mit ihrem Banner „Business as Usual = Death“ blockierten. Auf dem Dach der U-Bahn standen einige weiße Jugendliche in Anzug und Krawatte. Unten staute sich eine Masse empörter schwarzer ArbeiterInnen, die die U-Bahn für ihren Weg zur Arbeit brauchten – es wurde handgreiflich. Um die Welt ging dann das Bild, wie ein weißer Krawattenträger mit seinem Schuh auf einen schwarzen Arbeiter tritt. Nicht gerade das Muster für einen Protest, der auch die „Klimagerechtigkeit“ zum Inhalt haben soll. Später erklärte XR die Aktion sogar für ein Muster des „gewaltlosen Widerstands“, während es sich immer tausendmal entschuldigt, sollte es je zu einer heftigen Konfrontation mit der Polizei kommen. Insgesamt ist XR eine liberale Sekte, die die gesellschaftliche Dimension des Kampfes gegen die Umweltkatastrophe zugunsten ihres technizistischen Bewegungs- und Lösungskonzepts beiseitelässt. Da XR im Allgemeinen auch Zusammenarbeit mit anderen Gruppen (insbesondere aus der Linken) ablehnt, ist es insgesamt ein Hindernis für die Entwicklung der Klimabewegung, vor dem wir AktivistInnen, die sich zu der Frage organisieren wollen, nur warnen können.

Organisationen wie FFF und 350.org sind inhaltlich sicher breiter aufgestellt als XR. Auch wenn FFF stark von Kräften dominiert wird, die in Richtung „Green New Deal“ gehen, gibt es auch eine merkliche Anhängerschaft für Degrowth und jedenfalls eine starke Betonung auf „Klimagerechtigkeit“. Letzteres ermöglicht dann auch Überschneidungen mit dem Klimacamp/System-Change-Flügel der Bewegung, also z. B. „Ende Gelände“. Eine Differenzierung zwischen dem Reform- und einem antikapitalistischen Flügel blieb bei FFF bisher aus. Insbesondere hat die Corona-Zwangspause dazu geführt, dass es sein Lebenselement, die Massenmobilisierung von SchülerInnen, zeitweise eingebüßt hat. Die bekannteren AktivistInnen (wie Neubauer) sind in dieser Zeit stärker in die grünen Strukturen der „ökologischen Modernisierung“ integriert worden. Es kann aber sein, dass mit dem Heraustreten aus dem Corona-„Winterschlaf“ es auch zu einer starken Wiederaufnahme des Bewegungsmoments von FFF kommt. Immerhin haben die Pandemiemaßnahmen ja gezeigt, dass „Notsituationen“ sehr wohl zu staatlichen Einschränkungen in Wirtschaft und Alltagsleben führen können – und auch zu viel dramatischeren Schulschließungen, als das ein „Klimafreitag“ je bewirkt hatte.

Vom Programmatischen her bleibt die Frage der „Climate Justice“: Was wird im „linken“ Flügel der Bewegung hier konkret darunter verstanden? Tadzio Müller, einer der Gründer von „Ende Gelände“ und langjähriger Klima- (und LGBTQ)-Aktivist aus Berlin, hat die Forderungen bündig folgendermaßen zusammengefasst: „fossile Ressourcen im Boden zu lassen; ökologische Schulden des Nordens an den Süden anzuerkennen und Reparationen zu leisten; der Kampf für Energie-, Ressourcen- und Ernährungssouveränität; und die Reduktion von Überkonsumtion und Überproduktion, vor allem im globalen Norden“ (Kaufmann/Müller, S. 194).

In dem Artikel teilt Müller übrigens einige der Kritikpunkte, die unten noch folgen. Er ergänzt daher den Begriff der „Klimagerechtigkeit“ mit dem Schlagwort „solidarische Transformation“ (nicht zufällig für eine Publikation der Rosa-Luxemburg-Stiftung). Dazu noch später. Zurecht weist er darauf hin, dass „Klimagerechtigkeit“ inzwischen ein ebenso missbrauchtes Schlagwort geworden ist wie „Nachhaltigkeit“ – nur trifft dies leider auch auf „Transformation“ zu.

12. Zu den Standardforderungen der „Klimagerechtigkeit“

Stopp aller Erschließungsprojekte für fossile Ressourcen gehört sicherlich zu den Grundforderungen aller Klimaproteste. Für Halbkolonien geht es insbesondere darum, dass ihnen auch in der heutigen Weltarbeitsteilung zumeist die Hauptlast der Rohstoffgewinnung zukommt, auch was fossile Ressourcen betrifft. Deswegen wird diese Forderung auch erweitert zur Entwicklung eines „postextraktivistischen globalen Südens“.  TheoretikerInnen wie Arturo Escobar (2018) verbinden dies mit einer allgemeinen Theorie des „post development“, das im Sinne der Degrowth-Bewegung jegliche „nachholende Entwicklung“ im globalen Süden ablehnt und damit auch eine Abkopplung von den Märkten propagiert, die den Neoextraktivismus dort erzwingen. Dies sei möglich durch eine Beschränkung auf das „Buen Vivir“, das karbonneutrale, einfache gute Leben von Subsistenzbauern und -bäuerinnen und Indigenen als Alternativmodell der ökologischen Selbstversorgungswirtschaft für die postkoloniale Welt zur Zielsetzung der „Entwicklung“, d. h. Nachäffung des verfehlten Weges des industrialisierten globalen Nordens.

Tatsache ist, dass sich in der Globalisierungsperiode in den Halbkolonien die Wirtschaftszweige, die mit Ressourcenerschließung und dem globalen Agrobusiness zu tun haben, extrem ausdehnten, statt an Bedeutung zu verlieren. Bergbau-, Energie-, Chemie-, Pharma-, Agrokonzerne haben dabei regionale Ableger hochkommen lassen, die selbst zu wichtigen globalen Playern von Extraktivismus und Zerschlagung von Versorgungssouveränität geworden sind – samt Aufstieg von „Mittelschichten“, die sich im Konsumverhalten denen in den Metropolen annähern. In dieser Periode hat sich gerade die Energienachfrage in Öläquivalenttonnen gemessen mehr als verdoppelt, wobei die fossilen Energieträger heute global 87 % dazu beitragen. Um 50 % ist die Nachfrage nach nichtenergetischen Rohstoffen (z. B. Metallen) gestiegen. Im Agrarbereich ist nicht nur die Konzentration der Kapitale für Anbau, Tierhaltung und Verarbeitung gestiegen, auch der Flächen- und Ersatzstoffbedarf hat Rekordwerte erreicht. Dieses Wachstum hat mit Ausnahmen (z. B. was den „Fossilboom“ in den USA betrifft) vor allem im „globalen Süden“ stattgefunden. Gleichzeitig hat die Konzentration von Kapital in den imperialistischen Zentren (zu denen man inzwischen auch China  zählen muss) sich auf an die 90 % erhöht, mit einer vollkommenen Dominanz auf den Finanz-, Kapital- und Währungsmärkten. Ein Blick auf die Handelsbilanzen und die Bemessung des jeweiligen Importbedarfs von Halbkolonien einerseits in US-Dollar (als dominierender Welthandelswährung) im Vergleich zu den jeweils vor Ort bestimmten „Kaufkraftparitäten“ zeigt, dass immer größere Teile der eigenen Wirtschaftsleistung für den Anschluss an den Weltmarkt geleistet werden müssen. All dies erzeugt ökonomische „Zwänge“, die auch schon unabhängig von den imperialistischen Institutionen von IWF, Weltbank, WTO etc. und zusätzlich den dem „Washington Consensus“ verpflichteten Eliten vor Ort wirksam sind. „Post development“ mag aus neuen „sozialen Bewegungen“, vor allem armer Landbevölkerung und indigenen Organisierungen hervorgehen – mehrheitsfähig bei den ArbeiterInnen (nicht nur der betroffenen großen Unternehmen) und Mittelschichten ist es in keinem Fall. Auch wenn die „postkoioniale Theorie“ solche materiellen Interessen als „wesensfremden Utilitarismus“ bezeichnet, so lehrt die Erfahrung der letzten Jahre, dass politische Projekte um „post development“ in den Halbkolonien kein breites Bündnis gegen die sich verschärfende imperialistische Ausbeutung zustande bringen kann.

Im Gegenteil: die Ansätze zur Abkopplung vom Weltmarkt, wie sie in Lateinamerika tatsächlich von den „pinken“ Regierungen, z. B. in Venezuela, versucht wurden, erinnern eher an das gescheiterte Modell des „Sozialismus in einem Lande“, allerdings ohne „Sozialismus“. Die Vorgängertheorien wie „Dependenztheorie“ oder die des „ungleichen Tausches“ verkündeten die Notwendigkeit der Abkopplung vom Weltmarkt zur Ermöglichung einer „eigenständigen Entwicklung“ (d .h. sie vertraten noch den Standpunkt deren Fortschritts). Aber schon die Erfahrung der Sowjetunion, die eine beschränkte Loslösung vom Weltmarkt kombinierte mit einem konzentrierten, planvollen Aufbau von Substitutionsproduktion, musste sehr früh auf einen (wenn auch über das Außenhandelsmonopol kontrollierten) Import von Weltmarktprodukten zurückgreifen – mit all den bekannten langfristigen Folgen für das Bestärken von Wertbeziehungen auch im Inneren. Der „Sozialismus im 21. Jahrhundert“ versuchte das Übergehen in den Postkapitalismus samt Überwindung der Abhängigkeiten vom Weltmarkt ohne wirkliche Umwälzung der Eigentumsverhältnisse und ohne koordinierten Angriff auf die imperialistische Ordnung. Der Pseudosozialismus in einem Land war für Venezuela der Weg in das wirtschaftliche Desaster, dem das politische und soziale folgte. Nicht anders wäre „post development“, heute umgesetzt, ein Weg, der Millionen Menschen in eine Katastrophe führen würde. Die meisten Halbkolonien sind nicht mehr, wie noch vor einigen Jahren, in der Lage, sich in der Not durch Rückgriff auf die Subsistenzwirtschaft der ländlichen Regionen ernähren zu können. Wie die jüngsten Wirtschaftskrisen (z. B. Nordafrika nach den Preiseskapaden im Gefolge der Finanzmarktkrise 2009) zeigen, bedeutet ein Ausfall der Lebensmittelimporte, dass sich die Versorgungslage schnell katastrophal entwickelt.

Natürlich vertreten daher Organisationen wie „La Via Campesina“ die Stärkung der Kleinbauern/-bäuerinnen und der ländlichen Subsistenzwirtschaft. Tatsächlich sind diese immer weiter auf dem Rückzug. „Die schweren Geschütze der Preise der westlichen Industrie brechen alle chinesischen Mauern“. Das letzte Opfer der Agrarmarkt„reformen“ der neoliberalen Modi-Regierung sind gerade die indischen Kleinbauern/-bäuerinnen  – auch wenn diese fürs Erste aufgrund der Proteste auf Eis gelegt werden musste. Wie schon Marx in der Frage der russischen Dorfgemeinschaften (und ihren starken Traditionen von Gemeineigentums) bemerkte, lassen sich aus dien fortschrittlichen Elementen der kleinbäuerlichen/gemeinschaftlichen Produktionsweisen nur durch ihre Modernisierung in Form von Kooperativen mit entsprechender zentralisierter Organisierung von Inputs (Saatgut, Traktoren, Dünger etc.) und Outputs (Vertrieb, Lagerung, Transport etc.) überlebensfähige Betriebe bilden, die sowohl in der Konkurrenz mit den großen Agrarunternehmen bestehen als auch für die regionale Bevölkerung eine erschwingliche Grundversorgung bieten können. Nicht zufällig waren die LPGs derjenige Teil der DDR-Ökonomie, der sich nach der „Wende“ nach Umwandlung in Agrargenossenschaften am erfolgreichsten und überlebensfähigsten erwiesen hat – allerdings mit Abbau fast aller Elemente der ländlichen Daseinsfürsorge, die sie noch in der DDR erfüllten.

„Globale Umwelt- und Klimagerechtigkeit““ muss natürlich heißen, dass das Wachstum der Rohstoff-, Energie- und Agroindustrien in den Halbkolonien eingebremst werden muss zugunsten einer Ökonomie, die einerseits die Grundversorgung gewährleisten kann, andererseits aber an einer Weltarbeitsteilung beteiligt ist, die die sozialen und ökologischen Lasten zwischen Nord und Süd gleich verteilt. Natürlich basieren die „Preiswunder“, die man z. B. in den Supermärkten im „Norden“ wahrnehmen kann, zu einem beträchtlichen Teil auf den billigen Rohstoffen oder Arbeitsprozessen aus dem/im „Süden“ bzw. den viel zu geringen Kosten der Treibhausgase verursachenden Transporte von dort. Und natürlich können viele Güter im „Süden“ nur noch gekauft werden, da ihr Import gegenfinanziert ist durch die besagten billigen Rohstoffe etc., die exportiert werden. Unter Marktbedingungen würden sich bei jeder Einschränkung dieser Exporte, Verteuerung der Transportkosten etc. einerseits die Preise für sehr viele Konsumgüter im „Norden“ stark verteuern, wie auch viele Arbeitsplätze im „Süden“ gefährdet wären. Insofern ist jede solche Umstellung mit der Frage der „solidarischen Transformation“ zu verbinden. Statt hier „marktgerechte“ Antworten über Verbrauchssteuern, Subventionen oder Ähnliches zu geben, existiert ein bekanntes Reservoir an Forderungen aus der ArbeiterInnenbewegung für solche Krisenperioden: Belastet werden können dafür die Profite, die großen Vermögen und Erbschaften. Für die Preisbewegungen muss es eine entsprechend mobile Skala der Löhne (und Sozialtransfers) geben. Die Veränderungen der Produktionsprozesse (Transformation) müssen unter Kontrolle der Beschäftigten gebracht werden inklusive Anpassung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Für Halbkolonien muss dies verbunden werden mit der Forderung nach Schuldenstreichung, Ausgleichszahlungen für die Schäden des Umweltimperialismus und einem allgemeinen Plan für den Aufbau ökologisch und sozial ausgerichteter Energie- und Agrarversorgung. Insbesondere die großen  Konzerne im Energie- und Agrarsektor müssen dafür enteignet werden. Pure bürgerliche „Verstaatlichung“ reicht hierzu sicher nicht, wenn man an das weltweite Agieren solcher Staatskonzerne wie Vattenfall denkt. Auch hier erweist sich echte ArbeiterInnenkontrolle, die wirklich international alle für solche Konzerne Arbeitenden umfasst (Konzerntöchter, Subfirmen, „VertragspartnerInnen“), als Ausgangspunkt internationaler gesellschaftlicher Kontrolle, als Vorbereitung eines von Beschäftigten und KonsumentInnen bestimmten globalen Plans. Sie ist natürlich nicht zu verwechseln mit der Verzahnung nationaler Gewerkschaftsbürokratien mit z. B. dem „eigenen“ Energiekonzern, wie man es z. B. bei RWE und der IGBCE sehen kann. Ebenso kann die Enteignung der Agrokonzerne nur durch ArbeiterInnenkontrolle in den Input/Output-Betrieben der Agrarwirtschaft in Zusammenwirken mit der gesellschaftlichen Kontrolle über die großbetrieblichen Agrarflächen sozial und ökologisch sinnvoll durchgeführt werden. Dies kann je nach Stand der Bewegung auf dem Land erfolgen entweder durch Aufteilung des Bodens unter Agrargenossenschaften aus kleinen Bauern, Bäuerinnen und LandarbeiterInnen oder direkt durch verstaatlichte Agrarbetriebe unter Kontrolle der dort Beschäftigten.

13. Zur Frage von Strategie und Taktik

Die Umwelt- und Klimabewegung hat in den letzten Jahren sicherlich enorm viele Menschen auf die Straße gebracht, eine Menge AktivistInnen dazu animiert, mit unterschiedlichsten Aktionen viel Zeit und Energie einzusetzen, viel „Öffentlichkeitswirksamkeit“ entfaltet – doch mit welchem Effekt?

Der Mitinitiator von „Ende Gelände“, Tadzio Müller, bemerkte dazu passend jüngst in einem Interview: „Mir geht es beim Aktivismus halt um das reale Verändern von Dingen. Also ums Gewinnen. Faktisch hatten wir das trotz der tollen Proteste weder mit der Antikriegs- noch mit der globalisierungskritischen Bewegung geschafft, was sich entmächtigend anfühlte. Ich bin jemand, der viele Fehler macht – aber jeden Fehler gerne nur einmal. Und ja, eigentlich machte ,Ende Gelände’ von 2015 bis 2018 alles richtig. Wir zogen unsere Strategie fast lehrbuchmäßig durch und blieben unbesiegt. Aber was kam nach drei Jahren Powerplay raus, als das politische System 2018 mit der Kohlekommission antwortete? De facto eine Bestandsgarantie für die Braunkohle im ,Kohlekompromis’. Im Grunde wurden wir ganz einfach ausgespielt.“ (Müller 2021)

13.1 War die Klimaschutzbewegung erfolgreich?

Weitaus allgemeiner erscheint der „Erfolg“ der Klimabewegung sich gerade aus ihrer Wirkungslosigkeit zu ergeben. Massen werden zu immer apokalyptischerem Sound mobilisiert. Nur: ändern tut sich eigentlich gar nichts, wodurch dann noch mehr mobilisiert werden kann, mit gleichbleibend null Effekt. Zu diesem Schluss kommt auch Andreas Malm, schwedischer Klimaaktivist der ersten Stunde, in seinem jüngst erschienenen Rück- und Ausblick auf die Klimabewegung (Malm 2020). Er erinnert an die ersten Blockadedemos beim COP1 in Berlin 1995. Seither habe sich vor allem verändert, dass man immer mehr wurde, aber sonst: „Wir errichten unsere Lager für nachhaltige Lösungen. Wir kochen unser veganes Essen und halten unsere Versammlungen ab. Wir marschieren, wir blockieren, wir führen Theaterstücke auf, wir überreichen Minister*innen Listen mit Forderungen, wir ketten uns an und marschieren auch am nächsten Tag wieder. Wir sind immer noch absolut und mustergültig friedlich. Zahlenmäßig sind wir mehr geworden und in unseren Stimmen liegt eine größere Verzweiflung. Wir sprechen vom Aussterben und davon, dass es keine Zukunft mehr gibt. Aber das business as usual geht unbeirrt seines Weges.“ (ebd., S. 14) Parallel zum Wachstum der Klimaschutzbewegung blieb das fossile Kapital nicht nur intakt, es wuchs sogar beschleunigt weiter (ebd., S. 33 f.)! Aus einer Studie zu fossiler Energieinfrastrukturentwicklung aus der Zeitschrift Nature aus dem Jahr 2019 zitierend stellt er fest: „Die letzten Jahrzehnte erfuhren jedoch eine beispiellose Expansion der historisch langlebigen, auf fossilen Brennstoffen basierenden Energieinfrastruktur. ( … Denn) nicht weniger als 49 % der aktuell betriebenen Kapazität (sei) nach 2004, dem Jahr der COP10, in Auftrag gegeben worden. Während ihrer bisherigen Zyklen hat die Klimaschutzbewegung keine Delle in diesen sich stetig hochschraubenden Kurven hinterlassen“ (S. 35 f.). Wenige Wochen nach dem „Herbstaufstand“ von XR veröffentlichte die IEA (Internationale Energieagentur) ihren Jahresbericht, der zeigte, dass zwei Drittel der Neuinvestitionen der Energiewirtschaft weiterhin in Kohle, Öl und Gas gingen. Dann kommen Atomenergie und Wasserkraftwerke, während der Anteil der weltweiten Investitionen in Wind- und Solarenergie keinerlei Wachstum aufwies. Insbesondere die Investitionen in Kohle sind weiterhin steigend. Besonders aufregend findet das Kapital Investitionsmöglichkeiten in Tiefseebohrungen (Deepwater Horizon ist wie gesagt längst „bewältigt“) vor Brasilien und Guyana, im Permbecken von Texas und seit einiger Zeit auch (heftig umkämpft) mehrere Feldern im Mittelmeer (Griechenland, Türkei, Israel, Libyen). Allein Explorationsbohrungen weisen in den letzten Jahren enorme Steigerungsraten auf, mit folgenden Erschließungsinvestitionen. Bei der Größenordnung der hier investierten Kapitalmengen geht es um sehr langfristige Anlageinvestitionen, die darauf ausgerichtet sind, das Kapital auch sehr lange verwerten zu lassen – in diesem Fall etwa von 40 Jahren. D. h. diese jetzt steigenden Massen an fossiler Energieproduktion will das Kapital sicherlich bis 2060 vollständig ausreizen. Die Studie schätzt, dass die in den bereits bestehenden Anlagen festgeschriebenen Emissionen bereits ausreichen, das 1,5 °C-Ziel zu durchbrechen. Mit den allein 2018 im Bau befindlichen Anlagen ist dann bereits das 2 °C-Ziel gerissen – aber wie gesagt, die Investitionen seither sind ja alles andere als rückläufig. Malm schließt, dass bei den Summen dieses Anlagekapitals und dem üblichen Risikobewusstsein von InvestorInnen es offensichtlich ist, dass diese sich keine Sorgen um die künftige Klimapolitik machen (ebd., S. 38). Klimaproteste, Blockaden, Umweltgesetzgebung, Klimaschutzerklärungen der „großen Politik“ hin oder her – „diese Kapitalist*innen scheinen keine Abrissbirnen vor Augen zu haben. Sie denken gar, ihnen könne überhaupt nichts geschehen“ (ebd.). Von der „Führungsschicht“ von Staat bis in die Unternehmen irgendeine ernsthafte Wahrnehmung der nahenden Katastrophe zu erwarten, ist vollkommen vergeblich: „An ihre Vernunft, an ihren Common Sense zu appellieren, wäre augenscheinlich vergebens. Denn letztlich siegt ein aufs andere Mal ihr Engagement zugunsten grenzenloser Kapitalakkumulation. Nach den letzten drei Jahrzehnten kann kein Zweifel mehr bestehen, dass die Führungsklasse geradezu gesetzmäßig untauglich ist, auf die Katastrophe anders zu reagieren, als sie immer weiter anzustacheln; aus eigenem Antrieb vermag sie nichts anderes zu tun, als sich den Weg bis zum bitteren Ende zu brennen“ (ebd., S. 14).

Die Strategie der Klimaschutzbewegung ist also nach diesen Bestandsaufnahmen von Müller und Malm an einem toten Ende der Wirkungslosigkeit angekommen. Malm sieht vor allem zwei Kernpunkte der bisherigen Bewegung, die überwunden werden müssen: die Beschränkung auf Methoden des „zivilen Ungehorsams und Protestes“ (bei dem man doch noch auf eine Wirkung auf die Führungsklassen hofft) und die Infragestellung des Eigentumsrechts, insbesondere in Bezug auf das fossile Kapital.

13.2 Zur Frage der gewaltfreien Protestformen

Malm sieht insbesondere das Dogma der „Gewaltlosigkeit“, des „phantasievollen, gewaltlosen, zivilen Ungehorsams“ als Kernproblem des bisherigen Mainstreams der Klimaschutzbewegung. Tatsächlich gehören Auseinandersetzungen um diesen „strategischen Pazifismus“ und die daraus erwachsenden Strategien und Taktiken des Protests genauso zu den zentralen Eckpunkten der Umweltbewegung wie die um „green economy“, Degrowth oder „Antikapitalismus“. Ein großes Verdienst von Malms Buch ist die direkte und detaillierte Auseinandersetzung mit den „Glaubenssätzen“ dieses Pazifismus, wie er in den Hauptströmungen der Bewegung, bei FFF (mit Zitaten von Thunberg), bei XR und bei 350.org (in Auseinandersetzung mit McKibben) sich widerspiegelt.

Am leichtesten fällt dies sicherlich bei XR, dessen Gründer unmittelbar und in naiver Weise die bizarre „wissenschaftliche“ Beweisführung von Chenoweth/Stephan in „Why Civil Resistance Works“ (2011) in die Grundlagen von XR aufgenommen hat. Dort wird mit angeblich statistisch-empirischen Mitteln „bewiesen“, dass bei den wichtigsten 300 Fällen von Übergängen weg von „Autokratien“ oder „Okkupationen“ mehrheitlich die Methoden des gewaltlosen Widerstandes die erfolgreicheren waren. Hier werden dann absurde Gegenüberstellungen vollzogen wie z. B. dem „erfolgreichen gewaltlosen Widerstand“ in Slowenien 1991 der „erfolglose“ gewaltsame Widerstand der PalästinenserInnen entgegengestellt. Wie die meisten solcher losgelösten, rein technischen Betrachtungen von Taktiken als die „Ein und alles“-Erklärungen für Erfolg/Misserfolg wird hier vollkommen vom historischen Gesamtkomplex und den vielen anderen Faktoren abstrahiert, die zu dem einen oder anderen vorläufigen Ergebnis führen. Die Unabhängigkeit Sloweniens im „10-Tage-Krieg“ 1991 kann natürlich überhaupt nicht isoliert werden vom umfassenden Zerfallsprozess Jugoslawiens, der spätestens seit den frühen 1980er Jahren immer heftigere und nationalistischere Züge annahm. Der slowenische Teilstaat besaß von vornherein, aufgrund seiner wirtschaftlichen Bedeutung, eine herausgehobene Stellung, die ihm auch in Sicherheitsfragen Vorrechte ermöglichte. Die Auseinandersetzung mit den Territorialstreitkräften der slowenischen Teilrepublik war für die serbisch dominierte jugoslawische Volksarmee von vornherein untergeordnet gegenüber der viel größeren Auseinandersetzung, die mit Kroatien heraufzog. Der Rückzug aus Slowenien war daher kein Erfolg von „gewaltlosem Widerstand“ (einer sehr wohl kampfbereiten Armee!), sondern eigentlich unmittelbare Vorbereitung für den blutigen Krieg in Slawonien, der Krajina und Norddalmatien. Etwas als erfolgreiches Muster von gewaltlosen Widerstand darzustellen, das Auftakt für einen der blutigsten Bürgerkriege in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bedeutete (mit den traurigen Höhepunkten Vukovar, Srebrenica, Racak und den NATO-Angriffen auf Rest-Jugoslawien), ist schon hochgradig „naiv“ (um es höflich auszudrücken). Wer dies dann auch noch mit einen vollkommen anderen gesellschaftlichen und historischen Konflikt wie dem in Palästina (der sowohl mit der Geschichte des Zerfalls des Osmanischen Reiches, der Kolonialisierung der Region als auch mit der komplexen Geschichte von Diaspora und Verfolgung des jüdischen Volkes verwoben ist), vergleicht, hat offenbar vom Verhältnis zwischen Taktiken und Entwicklung gesellschaftlicher Konflikte gar keine Ahnung. Anders als Jugoslawien ist der von den USA hochgerüstete Staat Israel alles andere als im Zerfall begriffen. Und natürlich gab es auch in Palästina nicht wenige Ansätze des zivilen Ungehorsams oder Setzens auf „Diplomatie“, den „arabischen Nationalismus“ und seine verschiedenen „Heimatländer, die Sowjetunion etc. Der bewaffnete Kampf war immer wieder die „asymmetrische“ Reaktion auf eben das Scheitern jeglicher solcher Lösungsversuche. Auch die BDS-Kampagne ist ja genau aus der Methode eines solchen „zivilgesellschaftlichen Protestes“ entstanden.

Nicht weniger falsch sind die Bezüge von McKibben und Greta Thunberg auf die Abschaffung der Sklaverei oder den Kampf um das Frauenwahlrecht. Beides wird als Resultat der „Erfindung“ des gewaltlosen Widerstandes durch AbolitionistInnen bzw. die Suffragetten dargestellt. Dies isoliert bestimmte Kampfformen dieser beiden politischen Bewegungen von dem viel umfassenderen und langwierigeren Kampf zu diesem Thema, der gerade umgekehrt vor allem durch revolutionäre Gewalt vorangetrieben wurde. Der wahrscheinlich einschneidendste Moment im Kampf gegen die Sklaverei war, dass nach vielen blutig niedergeschlagenen Aufständen die Revolution in Haiti gelang und hier eine erste, von SklavInnen gegründete Republik entstand. Die Bedrohung durch die SklavInnenbewegung einerseits und die ökonomisch günstigere Ausbeutungsmöglichkeit der industrialisierten Lohnarbeit andererseits machten die Sklaverei zu einem Auslaufmodell. Die AbolitionistInnebewegung war nur der letzte Schnitt an einem schon im Absterben begriffenem System, durch VertreterInnen der Herrenklassen selbst an schon von der Geschichte überrollten, reaktionären Überbleibseln der SklavInnenhaltersysteme. Bekanntlich hat außerdem diese Form des bürgerlichen Abolitionismus in keiner Weise zu einer tatsächlichen Gleichberechtigung der ehemaligen SklavInnen geführt, sondern zu neuen Formen der rassistischen Segregation.

Insofern wird auch der Mythos vom großen Vorbild des zivilen Widerstands, Martin Luther King, von den tatsächlichen Zusammenhängen des antirassistische Kampfes, wie er in den USA zu Beginn der 1960er Jahre in einen neuen Zyklus trat, völig losgelöst. Natürlich war, wie Malm detailliert ausführt, auch diese Bewegung bestimmt durch gewaltsame Zusammenstöße, die von der antirassistischen Bewegung mit einer defensiven, aber durchaus nicht „gewaltlosen“ Reaktion beantwortet wurden. Vielmehr gab es die Teilerfolge der Bewegung nur durch das Wechselspiel großer, gewaltloser Proteste einerseits und militanter Kämpfe andererseits, zu denen durchaus auch die Malcolm-X- und die Black-Panther-Bewegung gehörten.

Auch die Erkämpfung des Frauenwahlrechts war alles andere als Resultat einer gewaltlosen bürgerlichen Frauenbewegung. Ihm ging ein jahrzehntelanger Kampf proletarischer Frauen im Rahmen der ArbeiterInnenbewegung voraus, der dieses Recht zusammen mit vielen anderen Fragen der Unterdrückung von Frauen auf die Tagesordnung gesetzt hat. Nicht zuletzt standen proletarische Frauen in den Revolutionen ab 1917 von Russland bis Deutschland an vorderster Front des Kampfs ums allgemeine Wahlrecht inklusive des Frauenwahlrechts. Ohne die „Gefahr“ der Ausbreitung dieser revolutionären Welle ist die „plötzliche“ Durchsetzung dieses Rechts auch in den anderen europäischen Ländern nicht zu erklären. Malm zeigt jedoch, dass selbst die Suffragetten alles andere als Muster des „gewaltlosen Widerstands“verkörperten. Sie griffen zu Mitteln der Sabotage, Anschlägen auf Sachen (auch Brandanschlägen) etc. und wurden dafür auch zu entsprechenden Haftstrafen verurteilt.

Als letztes ist Malm auch zu danken, dass er ausführlich Mahatma Gandhi entmystifiziert, das neben Martin Luther King und Nelson Mandela meist zitierte Vorbild für „gewaltfreien Widerstand“ (übrigens letzter auch in völliger Verkennung der tatsächlichen Geschichte des ANC und Niederringens des Apartheidregimes). Auch das Ende der britischen Kolonialherrschaft wies natürlich eine viel längere und blutigere Geschichte voller Aufstände, Streiks und auch bewaffneter Konfrontationen auf, als dass es irgendwie im Entferntesten als Muster für die Strategie von „gewaltlosem Widerstand“ dienen könnte. Natürlich ist es richtige, gerade auf die Provokationen eines/r sehr mächtigen, bewaffneten GegnerIn mit Elementen des passiven Widerstands, mit dosierter Konfrontation etc. erstmal so viel wie möglich Kräfte zu sammeln bzw. ihn/sie zu schwächen, zu diskreditieren, Teile ins Zweifeln kommen zu lassen etc. (Gandhis Satyagraha). Doch Gandhi erkannte nicht, dass zu dieser Schwächung und Abschreckung durchaus auch der Einsatz von Gewalt gehören musste. Die Sabotageaktionen und Angriffe auf KollaborateurInnen, Massenstürmungen von Polizeistationen wurden zwar alle von Gandhi verurteilt, waren aber für die britischen Behörden das Zeichen, dass die Massen über die friedliche „Nichtkooperationstaktik“ hinaus drängten. Malm zieht mehrere Beispiele für Gandhis opportunistische Politik gegenüber dem britischen Imperialismus heran wie z. B. sein Andienen für Anwerbung von indischen Soldaten für den Ersten Weltkrieg oder den Einsatz gegen Aufständische in Südafrika: „Gandhis Strategie zur nationalen Befreiung hat niemals – soviel steht fest – Gewalt gegen die Briten geduldet, doch Gewalt mit ihnen war darin stets inbegriffen“ (ebd., S. 53). Man kann zu Recht feststellen, dass die indische „Unabhängigkeit“ nicht durch Gandhis Strategie errungen wurde, sondern trotz seiner Politik, die letztlich zur Errichtung neokolonialer Verhältnisse durch fortgesetzte staatliche, soziale und religiöse Spaltungen führte – was den indischen Subkontinent bis heute im Würgegriff hält.

Was aus diesen Betrachtungen des Verhältnisses von gesellschaftlichen Umwälzungen und der Frage der Kampfmittel (von friedlichem Protest bis zur Gewalt) klar wird, ist, dass die Umstände,  Gegenkräfte und das Stadiums der bereits vor sich gehenden Veränderungen über die Angemessenheit dieser oder jener Protestform entscheiden – nicht solche Prinzipien wie „Gewalt führt immer zu nichts Gutem“. Wenn die Gegenkräfte bereits entscheidend geschwächt sind bzw. in Angst vor Massenprotesten aller Art leben, dann mögen friedliche Massendemonstrationen, Streiks, gepaart mit einigen spontanen Gewaltausbrüchen ausreichen, um ein bereits bröckelndes System zum Einsturz zu bringen (z. B. die Abschaffung der Schulsegregation in den USA durch die „Bürgerrechtsbewegung“ zwischen 1957 und 1964).

13.3 Zur Notwendigkeit einer neuen Strategie

Bei der Umwälzung jedoch, die die Klimaschutzbewegung durchsetzen will, geht es nicht um irgendwelche veralteten und für das Kapital nicht essentiellen Institutionen oder den Sturz eines schon bröckelnden diktatorischen Regimes (wie z. B. im Fall Milosevics), sondern um nichts Geringeres als um einen grundlegenden Systemwechsel, der eine zentrale Säule der Kapitalakkumulation, das fossile Kapital, zum Gegner hat. Die Geschichte der Umweltproteste hat gezeigt, dass sich dieser nicht durch noch so große Massenproteste aus der Bahn werfen lässt. Außer einer Anpassung der Marketingstrategien („greenwashing“) und einer für die Problemlage völlig ungenügenden politischen Antwort („Green New Deal“) gibt es für das große Kapital keinen Wirkungstreffer seitens der Proteste. Sie bleiben nette Happenings für junge Leute, die ansonsten das business as usual nicht stören. Außerdem gibt es genug Gegenkräfte, die durch ökologische Veränderungen ihre „individuelle Freiheit“ und ihre „Lebensweise“ bedroht sehen, um zur Not auch reaktionäre Gegenproteste instrumentalisieren zu können. Das Problem bleibt tatsächlich, dass die herrschenden Strömungen der Klimaschutzbewegung auf ihren Prinzipien der Ablehnung militanter Aktionen herumreiten und nicht wahrhaben wollen, dass sie damit nur Zeit verlieren, die wir nicht mehr haben. Malm stellt damit zu Recht angesichts dieser Sackgasse der friedvollen Proteste inmitten einer immer bedrohlicher werdenden Lage an die Bewegung (der er von Beginn an angehört) die Frage: „Wann eskalieren wir? Wann gelangen wir zu der Einsicht, dass es an der Zeit ist, auch zu anderen Mitteln zu greifen? Wann fangen wir an, die Dinge, die unseren Planeten ruinieren, physisch anzugreifen … ?“ (ebd., S. 15).

Das Problem der Vorherrschaft pazifistischer Illusionen in den Umweltprotesten ist nicht einfach eines der „falschen Ideologien“ von der Wirksamkeit gewaltloser Proteste. Es ist eben auch ein Ergebnis eines Niedergangs der subjektiv revolutionären Bewegungen und damit Diskreditierung der Orientierung auf die Revolution als Lösungsweg für fundamentale gesellschaftliche Probleme: „Das Beharren darauf, militante Aktionen unter den Teppich der Zivilität zu kehren – das heutzutage nicht allein innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung, sondern auch in den meisten angloamerikanischen Ansichten und Theorien hinsichtlich sozialer Bewegungen vorherrscht -, stellt selbst ein Symptom der eklatant gewordenen Kluft zwischen der Gegenwart und all dem, was von der Haitischen Revolution bis zur Polltax-Rebellion passiert ist, dar. Es ist ein Symptom des Niedergangs revolutionärer Politik. Diese existiert kaum noch als lebendige Praxis innerhalb schlagkräftiger Bewegungen oder als Folie, derer sie sich bedienen könnten, um ihre Forderungen zu stellen. Von den Jahren rund um 1789 bis zu jenen um 1989 verlor die revolutionäre Politik nichts an Aktualität und dynamischer Potentialität, doch seit den 1980er Jahren ist sie zusehends diffamiert, antiquiert, verlernt und unglaubwürdig geworden. Mit der konsequenten Dequalifizierung geht der Widerwille einher, revolutionäre Gewalt als integralen Bestandteil ihrer selbst anzuerkennen. Und eben darin besteht die ausweglose Situation, in der sich die Klimagerechtigkeitsbewegung befindet: Der geschichtliche Sieg des Kapitalismus und die Zerstörung des Planeten sind ein und dasselbe. Um daraus auszubrechen, müssen wir das Kämpfen von Grund auf neu lernen, und zwar in dem vielleicht ungünstigsten Moment der bisherigen Geschichte der menschlichen Besiedlung des Planeten“ (ebd., S. 73).

Doch was schlägt Malm als „Eskalation“, als „Kämpfen neu lernen“ vor? Einerseits sieht er durchaus Anzeichen, aus der Bewegung heraus, zu einer Steigerung der Kampfformen. So haben etwa die beiden Gewerkschaftsaktivistinnen Jessica Reznicek und Ruby Montoya 2017 (kurz nach Trumps Amtsantritt) durch einen technisch geschickt durchgeführten Anschlag auf das Maschinendepot der Dakota Access Pipeline ihren Iowa den Baubeginn um mehrere Monate verzögert. Dazu gelang ihnen auch, durch selbst gebastelte Schweißbrenner regelmäßig Löcher in bereits verbaute Pipelineabschnitte zu schweißen. In Erklärungen zu den Aktionen stellten sie fest, dass sie zu diesen Mitteln greifen, da offenbar alle friedlichen zu nichts führen. Inzwischen scheinen die beiden in den USA, besonders in indigenen Gebieten, viele NachahmerInnen gefunden zu haben. In ähnlicher Weise mehren sich wieder Aktionen der „Entlüftung von SUVs“ oder ähnliche Maßnahmen, durch die SUVs zeitweise außer Betrieb gesetzt oder „entschönert“ werden.

Gemeinsam ist solchen Aktionen natürlich nicht einfach, dass sie „Gewalt gegen Sachen“ darstellen, Verletzungen oder gar Tötungen von Menschen jedenfalls vermeiden. Entscheidend ist, dass es um Beschädigungen von Sachen geht, die sich im privaten Eigentum befinden. Gerade das ist die entscheidende Schwelle für die Apostel der Gewaltlosigkeit: Das Niederreißen der Berliner Mauer ist ein Akt der Gewaltlosigkeit, aber einen privaten Pkw zu beschädigen ,ist „unmoralisch“. Entsprechend fällt auch die Reaktion von Staat und „Öffentlichkeit“ für solche Aktionen aus. Als man 2019 Reznicek und Montoya vor Gericht stellte, wurden sie jeweils mit einer Haftstrafe von 110 Jahren bedroht. Der Vorstandsvorsitzende der betroffenen Ölfirma sprach gar von einem derart schwerwiegenden Akt des „Terrorismus“, dass die beiden „aus dem Genpool“ getilgt werden müssten. Die harmlosen SUV-Entlüftungen in Schweden und Frankreich führten zu heftigen Beschuldigungen, die diese Aktionen als Angriffe auf „Freiheit und Demokratie“ und die „VerbrecherInnen“ als schlimmer als Pädophile oder SelbstmordattentäterInnen verurteilten. Selbstverständlich werden heute bei den VerfassungsschützeInnern Warnungen laut, dass es aus der Klimabewegung zu einer Radikalisierung kommen könne, mit der dann ein „Klimaterrorismus“ einherginge.

Hier wird natürlich einerseits die „Heiligkeit“ des Privateigentums deutlich, ob an Produktionsanlagen oder Luxusgütern. Andererseits das völlig Ausbleiben jeglicher Anerkennung, dass die Gewalt, die von der Ausübung bestimmter Formen von Privateigentum ausgeht, um ein Vielfaches gefährlicher ist (was die Klimafolgen betrifft) als die Nadelstiche, die hier gesetzt werden. Es ist also klar, dass die Eskalation, um die es gehen muss, die Frage der Verfügungsgewalt über die Produktions- und Konsumtionsmittel, die die wichtigsten Beiträge zu den großen Umweltschädigungen bewirken, aufwerfen muss, also die Frage des Eigentums. Enteignungsprozesse können natürlich verschiedene Formen annehmen, von der Sabotage, über (zeitweise) Besetzungen, Streiks (die für ihre Dauer die Verwertung von Eigentum unterbrechen) bis hin zur Enteignung (Verstaatlichung, Vergesellschaftung).

Der Begriff der „Enteignung“ ist in letzter Zeit wieder in das Arsenal von linken Bewegungen getreten, z. B. bei der Frage von Wohnungs- und Mietenpolitik. In der Klimapolitik gab es schwache Vorzeichen dazu in Initiativen für die Rekommunalisierung von Energieversorgungsunternehmen. Es fehlt allerdings noch eine Initiative ähnlich „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ auch für die großen Energiekonzerne. Ein Vorzug von FFF ist sicherlich, dass es den Streik auf die Tagesordnung des Klimaprotestes gesetzt hat. Auch wenn Streiks in der Schule nicht die ökonomisch-politische Bedeutung von betrieblichen Streiks erlangen, so hat dies doch auf die ArbeiterInnenbewegung Ausstrahlung. Es kam an verschiedenen Aktionstagen auch zu betrieblichen Warnstreiks und Diskussionen über „Klimastreiks“ auch in Gewerkschaften. Darüber hinaus tobten um die Schulstreiks durchaus auch Auseinandersetzungen um die „Illegalität“ der Verweigerung der Schulpflicht.

13.4 „Ende Gelände“ (EG) als Alternative?

Die Kampfform, die Malm jedoch besonders hervorheb,t ist die der Besetzung. Dies hat auch damit zu tun, dass er eine Rolle spielt für die Internationalisierung von „Ende Gelände“ (siehe Ende Gelände 2020). Dies ist inzwischen lange nicht mehr einfach eine deutsche Sonderform des Klimaprotestes. 2018 wurde auch formal die Struktur „Ende Gelände goes Europe“ (EGGE) gegründet, die Aktionen zumindest mal in Europa koordiniert. Es geht längst nicht mehr nur um die Braunkohlereviere in Deutschland oder den Hambacher Forst. Aktionen wurden von diesem Netzwerk durchgeführt gegen Gasterminals in Groningen (Niederlande), Braunkohletagebau in Tschechien (Bilina), weitere in Großbritannien, Italien und Schweden. Für 2020 waren die Kampagne „Shell Must Fall“ in den Niederlanden, weitere Aktionen gegen die Atomindustrie in Frankreich und die Kohleindustrie in Polen (Turow) geplant. Vieles davon konnte pandemiebedingt nur sehr beschränkt umgesetzt werden.

Sicherlich ist es richtig, dass EG in der „Klimagerechtigkeit“sbewegung eine Vorreiterrolle in Bezug auf Koordinierung militanter Aktionen gegen zentrale Produktionsstätten des fossilen Kapitals einnimmt. Die Besetzungsaktionen sind eine Herausforderung für die Sicherheitskräfte und können zeitweise tatsächlich zu Betriebsunterbrechungen führen. Viele der Kampfformen wie die Fingertaktik, Bezugsgruppen, ausgefeilte Kommunikationsstrukturen, lange logistische Vorbereitungen für möglichst große Protestteilnahme etc. sind weitgehend aus der Altermondialbewegung bekannt. Auch viele der Organisationsformen kommen von dort: aufwändige Plenardebatten, das „Konsensprinzip“, lokale Gruppen, inhaltliche und organisatorische Arbeitsgruppen, Bündnisse vor allem mit verschiedenen Umweltverbänden (vor allem aus dem CJA-Spektrum), Postautonomen, Antira-/fa-Gruppen, lokalen Bürgerinitiativen, gewerkschaftlichen Untergruppen etc. An Organisationsform und Zielsetzungen wird klar, dass auch EG nur einen Schritt hin zu einem internationalen militanten Kampf für den Systemwechsel repräsentiert. Es ist weder eine konsequent antikapitalistische, revolutionäre Organisation noch in der Lage, einen wirklich einschneidenden Stillstand des fossilen Kapitals zu bewirken. Insofern sind die einleitenden Einschätzungen zum „Scheitern“ der EG-Strategie, wie sie sich in Deutschland im „Kohlekompromiss“ manifestiert hat, verständlich. Immerhin haben auch viele der „BündnispartnerInnen“ von EG diesen Ausverkauf mitgetragen. Konsequent muss daher mit Malm gefragt werden: Was ist denn jetzt die nächste Stufe der „Eskalation“?

Die führende linke Organisation in EG, die Interventionistische Linke (IL), versteht die Eskalationsstrategie innerhalb solcher Bündnisstrukturen wie EG so, dass mit ihren Aktionsformen für größer werdende Mobilisierungen „niedrigschwellige Angebote“ gemacht werde. Dies soll zur Infragestellung der Eigentumsverhältnisse und darüber hinausgehend zur Frage der Vergesellschaftung führen. Selbst diese scheinbar radikale Perspektive verkennt natürlich, dass eine schrittweise Untergrabung des Privateigentums an Produktionsmitteln und von lokalen Strukturen ausgehende „Vergesellschaftung“ unter Bedingungen der Vorherrschaft des Wertgesetzes und seiner totalitären Durchdringung aller ökonomisch verwertbaren Bereiche durch den Verwertungszwang, vollkommen unmöglich ist. Dies hat die gesamte bisherige Geschichte des Kapitalismus bewiesen – namentlich das Schicksal des Genossenschaftswesens. Von daher bietet die Vorstellung der Ersetzung der bestehenden zentralen Energieversorgung durch „vergesellschaftete“, dezentrale Einheiten der Energieproduktion und -verteilung keine Perspektive. Die IL und damit große Teile von EG vertreten mit ihren niedrigschwelligen Angeboten für „revolutionäre Realpolitik“ auch nur (ähnlich wie Degrowth) die Perspektive einer langwierigen Transformation statt einer tatsächlich revolutionären Politik.

Bezeichnenderweise vermeidet Malm in seinem Plädoyer für revolutionäre Politik und die Einbeziehung von revolutionärer Gewalt als Kampfmittel jeglichen klassenpolitischen Bezug. Dabei stellt sich doch die Frage als erste, wie so grundlegende gesellschaftliche Umwälzungen wie der Systemwechsel weg vom fossilen Kapital durch „revolutionäre Gewalt“ denn funktionieren können. Wer kann denn TrägerIn, das Subjekt dieser revolutionären Umwälzung sein? Es ist klar, dass hier die ArbeiterInnenklasse als diejenige soziale Kraft, auf deren Einsatz letztlich die Verwertung des Kapitals beruht und die auch die Kraft ist, die zum Aufbau einer neuen Produktionsweise in der Lage ist, ins Spiel kommen muss. Wie schon am Anfang des Artikels ausgeführt, ist die ArbeiterInnenklasse in ihren sehr unterschiedlichen Schichtungen natürlich immer an der Umweltbewegung beteiligt. Auch die meisten AktivistInnen der Klimaschutzbewegung, die nicht SchülerInnen und StudentInnen sind, gehören ja zu dieser Klasse. Die große Frage, gerade was das fossile Kapital betrifft, sind natürlich die Beschäftigten in den unmittelbar betroffenen Industrien selbst. Offenbar sind die Gewerkschaften und Betriebsräte in diesen Unternehmen zumeist alles andere als Protestbeteiligte. Betriebsrats- und Gewerkschaftsvorsitzende der deutschen Industriegewerkschaften sind sogar in den Aufsichtsräten repräsentiert so wie viele kommunale oder LändervertreterInnen der „linken“ Parteien bei einigen Unternehmen die EigentümerInnen vertreten. Sehr wohl sprechen jetzt IG Metall und IG BCE von „Transformation“ und wollen den „Umbau“ mitgestalten. Gleichzeitig warnt der IG BCE-Vorsitzende (gleichzeitig Aufsichtsratsmitglied bei RWE) vor einem neuen „Klimaprekariat“, das durch eine allzu heftige Klimapolitik in Bezug auf die deutsche Industrie drohe. Es ist also klar, dass gegen die bestehenden Führungen in Betrieb und Gewerkschaft eine entschiedene Opposition aufgebaut werden muss. Diese muss sowohl gegen die Transformationszugeständnisse der Gewerkschaften (die de facto unter Transformationstarifverträgen vor allem Strukturkurzarbeitsregelungen oder Frühverrentungen verstehen) die erwähnten Forderungen wie gleitende Skala der Löhne und Arbeitszeit, Umbaukosten aus Profiten finanzieren etc .einbringen. Sie muss aber vor allem das sofortige Ende der Sozialpartnerschaft mit dem Kapital und ein Programm der sozial gerechten Konversion der auf fossilem Kapital beruhenden Produktionsprozesse erkämpfen. Die Gewinnung dieser ArbeiterInnen für ein solches Programm wird entscheidend sein, um dem Kapital tatsächlich die Kontrolle über diese Systeme aus der Hand schlagen zu können. Erst dann werden die Gewaltmittel des Kapitals und seiner Staatsorgane überwindbar sein – und wird revolutionäre Gewalt nicht mehr nur in Nadelstichen verabreicht werden können. Im Jahr 2020 im Gefolge der Corona-Gefahr wurde demonstriert, wie bei einem Notstand ein Shutdown auch zentraler Industrien unter Aufrechterhaltung versorgungswichtiger Betriebe möglich ist. Die Auswirkungen auf die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre zeitigten erstmals seit Jahren einen messbar geringeren Jahresanstieg. 2021 war dagegen sofort wieder eine „nachholende“ Rekordsteigerung zu verzeichnen. Der Klimanotstand macht einen solchen organisierten Shutdown ebenso erforderlich. Ein solcher  wird nur gegen das Kapital und seine Regierenden durchsetzbar sein (auch das hat der weitere Verlauf der Pandemie gezeigt) – als international koordinierter Generalstreik für das Klima. Dieser stellt sofort die Machtfrage, die Frage, wer über die weitere Entwicklung nach dem Shutdown bestimmt. Die Machtfrage verleiht überhaupt erst der „revolutionären Gewalt“ ihren Sinn, soll sie nicht ihrerseits weiterhin nur ein Element des symbolischen Protestes bleiben.               

14. Zur Frage der ökologischen Planwirtschaft

Die Pandemie lehrt auch einiges für die Zeit „nach der Revolution“. Die Krise von 2020/21 wird in den imperialistischen Ländern mit einem massiven Investitionsprogramm beantwortet. Der Stillstand soll vorgeblich zu einem Umbau im Sinn der „green economy“ genutzt werden. So beinhaltet das Investitionsprogramm der USA den Aufbau von mehreren riesigen Offshore-Windkraftanlagen mit einer Kapazität von 30 Gigawatt (entspricht etwa einem Siebtel der Energiekapazität Deutschlands). Ebenso große Ausbauprogramme gibt es in der EU, Großbritannien und China. Einher gehen diese Aufbauprojekte für erneuerbare Energien mit einem entsprechenden Ausbau der Stromnetze und -speicherkapazitäten sowie der Ersetzung von Verbrennungs- durch Elektromotoren. Ihre Kehrseite liegt im enorm steigenden Bedarf für Rohstoffe wie Kupfer, Lithium, Kobalt, Seltene Erden etc. Entsprechend sind die Preise für diese Rohstoffe in einer Aufstiegsbewegung, die derjenigen des Öls zu Beginn des Aufstiegs der ölbasierten Verbrennungsmotoren nicht nachstehen. Nicht nur erzeugt dies entsprechenden politischen Druck auf die Hauptbergbauländer – man denke an den Putsch(versuch) in Bolivien (einem der wichtigsten Lithiumlieferanten der Welt), der auch durch gewisse Konzerne der E-Mobilität befördert wurde. Es bedeutet auch, dass die Länder des Südens nicht nur des Kapitals entbehren, um sich an diesem Ausbau erneuerbarer Energien beteiligen zu können. Se können sich auch die Rohstoffe, die dafür gebraucht werden, nicht leisten. So sieht „Klimagerechtigkeit“ sicherlich nicht aus. Wie beim „Impfstoffnationalismus“ bildet auch das Programm des ökologischen „Neustarts“ einen Ausdruck der imperialistischen Aufteilung der Welt. Und wiederum erweisen sich die G7 als „Planagentur“, die dann Brosamen aus den Impf- und Neustartprogrammen an den Rest der Welt verteilen. Natürlich ist ein Neuanfang nur möglich, wenn die G7 (bzw. G20) zerschlagen werden und ein tatsächlich globaler Plan zum Ausbau der erneuerbaren Energien, alternativer Infrastrukturen und Mobilitätskonzepte erstellt wird, der zugleich einen Ausgleich für die vom erhöhten Rohstoffbedarf betroffenen Länder schafft.

Eine andere Auswirkung der Bewältigung der Pandemie, die längerfristig anzuhalten scheint, stellt die Ausweitung der Verlagerung vieler Arbeitsplätze nach Hause („mobiler Arbeitsplatz“) dar. Dies hat durch die Verringerung an Fahrten zum Arbeitsplatz sicherlich ökologisch gesehen Vorteile. Andererseits überlastet es offensichtlich Familien mit beengtem Wohnraum, ergibt Probleme mit der Essensversorgung (Lieferdienste statt Kantine sind ökologisch gesehen nachteilig), erzeugt erhöhten Arbeitsdruck durch atomisierte Arbeitsweise etc. Auch hier würden nachkapitalistische Verhältnisse andere Möglichkeiten eröffnen: Ein Umbau der gesellschaftlichen Arbeitsteilung wird möglich: z. B. mit integrierten Arbeits- und Wohnanlagen, Kombination von Wohnungen mit gemeinschaftlich nutzbaren/r Büroplätzen und IT-Infrastruktur, Gemeinschaftsküchen, gemeinsamen Careeinrichtungen (für Kinder, medizinische Grundversorgung etc.), gemeinsame Freizeiteinrichtungen. Die Verringerung an Mobilitätszwängen, die sich so ergäbe, könnte für den Ausbau von öffentlichem Verkehr bzw. Fahrradinfrastruktur genutzt werden, so dass auch diejenigen, die weiterhin zu zentralen Arbeitsstätten unterwegs sein müssen, nicht auf Pkws angewiesen wären bzw., sofern dies notwendig ist, Gemeinschaftsautos von Wohnanlage oder Betrieb nutzen könnten (IT-Anwendungen für den Share-Betrieb gibt es ja auch inzwischen genug).

Die Notwendigkeit der Umgestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen auf solidarische Gemeinschaftlichkeit wie auch die eines international koordinierten Plans zum ökologischen Umbau war auch schon das Thema von Rudolf Bahro in seinem 1977 erschienenen Buch „Die Alternative“ (Bahro 1977). Das besondere dabei war der Erscheinungsort: die DDR. Bahro war SED-Kader, Aktivist bei der Kollektivierung der Landwirtschaft und Leiter des Bereichs „Wissenschaftliche Arbeitsorganisation in der Industrie“ in der DDR-Wirtschaftsplanung. Aus dieser Position heraus war seine scharfe Kritik am nichtsozialistischen Charakter der DDR-Planwirtschaft und insbesondere an der fehlenden ökologischen Ausrichtung eine Sensation. Die Veröffentlichung führte ihn sofort nach Hohenschönhausen, Bautzen und dann ins Exil. Auch wenn vieles an seinen späteren Positionen kritikwürdig ist, ist „Die Alternative“ noch heute lesenswert, da sie wichtige Fragen zum ökologischen Umbau in nachkapitalistischen Gesellschaften aufwirft. Vor allem erklärt sie, warum die „Planwirtschaften“ in den degenerierten ArbeiterInnenstaaten das Gegenbeispiel für einen solchen Umbau darstellen (und heute noch als „Beweis“ für die Untauglichkeit von Planwirtschaft für eine grüne Wirtschaft angeführt werden).

Bahro stellt fest, dass die Entwicklung in der Sowjetunion nach der Revolution natürlich zunächst weiterhin geprägt war von Arbeitsteilung, Organisation und Verteilung, wie sie vom Kapitalismus übernommen wurde. In einer ersten Phase mussten eine nachholende Entwicklung, die Sicherstellung eigenständiger Versorgung und damit zusammenhängende Verteilungsnormen im Vordergrund stehen. Er meint nun, dass die „realsozialistischen Staaten“ praktisch nie über diese Phase hinausgekommen sind. D. h. die Arbeitsteilung und Konsumverhältnisse waren im „Osten“ nicht weniger fordistisch als im „Westen“. Dies trug zur Folge, dass bei der Arbeit hierarchische Strukturen und Kommandowirtschaft, weitgehend ohne demokratische Kontrolle, vorherrschten bzw. individualistische Konsumbedürfnisse im atomisierten Privaten. Damit sind die Planökonomien in eine Konkurrenz um Wirtschaftsleistung und Konsumgüterversorgung insbesondere mit den imperialistischen Ländern geraten, die sie nur verlieren konnten bzw. für die sie eine rücksichtslose Naturausbeutung in Kauf nehmen mussten. Deswegen hielt Bahro es für die nachkapitalistischen Ökonomien für unumgänglich durchzuführen (Bahro 1977, S. 325):

  • eine grundlegende Umorganisierung der Arbeit, so „dass sich kein Mensch mehr in die Funktion einer bestimmten beschränkten oder subordinierten Tätigkeit verwandeln kann“; eine selbstbestimmte Arbeit, ohne Privilegierung durch besondere Rollen in der Arbeitsteilung erlaubt dann auch erst eine demokratische Bestimmung über den Plan,
  • allgemeiner Zugang zu umfassender Bildung, die sowohl soziale Kompetenz wie auch ökologisches Verständnis mit beinhaltet, Vermeidung von „sozial inkompetenten Spezialistentum“,
  • „die Herstellung von Bedingungen für ein neues Gemeinschaftsleben auf der Basis autonomer Gruppenaktivitäten, um die sich erfüllte menschliche Beziehungen kristallisieren können“,
  • „die Vergesellschaftung (Demokratisierung) des allgemeinen Erkenntnis- und Entscheidungsprozesses, seine Konstituierung außerhalb und oberhalb des hierarchischen Apparats, der das normale Funktionieren der laufenden Reproduktion sichert“,
  • die Überwindung der patriarchalischen Formen der Betreuung, Erziehung und Heranführung an den Arbeitsprozess von Kindern und Jugendlichen.

Diese Punkte sah Bahro also nur in einer nachkapitalistischen Gesellschaft verwirklichbar, die sich vom Zwang der intensiven erweiterten Reproduktion befreit, wie er im Kapitalismus und in den ersten Phasen einer Planökonomie vorherrschend ist. In Bezug auf die DDR stellte er fest (ebd., S. 318), dass unsinnige Konkurrenz mit dem Westen um die Zahl der Privatpersonen zur Verfügung gestellten Pkws, um schnellen moralischen Verschleiß von Konsumgütern im Textil- oder Wohnungsausstattungsbereich, bei der Organisierung von Urlauben bzw. besonderen Wohnlagen für privilegierte Schichten etc. dazu führten, dass eine sozialistische Umgestaltung der Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht im Entferntesten angegangen würde. Damit würden hierarchische Strukturen verfestigt und ein von unten bestimmter Plan, der den wirklichen Bedürfnissen nach einem guten solidarischen Leben entspricht, verunmöglicht.

Grundlegend stellt Bahro für die nachkapitalistische Ökonomie – lange vor Degrowth – die Frage, ob eine solche nicht die im Kapitalismus vorherrschende Form der Entwicklung durch stetig wachsende materielle Verfügungsgewalt über Dinge und Natur ersetzen muss vor allem durch eine Entwicklung der menschlichen Formen des Zusammenlebens auf der Basis des Erhalts der erreichten materiellen Grundsicherung: „Der ganze Typus von erweiterter Reproduktion, den die europäische Zivilisation in ihrer kapitalistischen Ära hervorgebracht hat, diese lawinenartig anschwellende Expansion in allen materiell-technischen Dimensionen, beginnt sich als unhaltbar darzustellen. Der Erfolg, den wir mit unseren Mitteln der Naturbeherrschung hatten, droht uns und alle anderen, die er unbarmherzig in seinen Sog reißt, zu vernichten. Die gegenwärtige Lebensweise der industriell fortgeschrittensten Völker bewegt sich in einem global antagonistischen Widerspruch zu den natürlichen Existenzbedingungen des Menschen …. Die gegenwärtigen Rohstoff- und Umweltprobleme sind das Nebenprodukt von nur zwei Jahrhunderten industrieller Tätigkeit eines Bruchteils der Menschheit. Vom ökonomischen Prinzip der Profitmaximierung her, das mächtig in den real existierenden Sozialismus hineinregiert, ist es ein wesentlich quantitativer Progreß mit dem Trieb ins schlecht Unendliche. Er muß aufhören … , wenn der Planet bewohnbar bleiben soll“ (ebd., S. 310).

Andreas Malm spricht sich in einem 2020 bei Jacobin erschienen Interview (Malm 2020a) für einen „ökologischen Leninismus“ als Lösung des Klimanotstandes aus. Ebenso macht eine Publikation der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Aktualität der Frage der Planwirtschaft zum Thema (die wir auch demnächst ausführlicher besprechen werden: Daum/Nuss 2021). Tatsächlich ist es mehr als Zeit, die Frage der Revolution und der Einleitung einer nachkapitalistischen Gesellschaft wieder akut auf die Tagesordnung zu setzen. Die aktuellen Entwicklungen im digitalen Kapitalismus, z. B. die enormen globalen Plankapazitäten der Logistikkonzerne, aber auch die Infrastrukturen für gemeinsam nutzbare Ressourcen lassen auch die Frage der Planwirtschaft als Alternative in dieser nachfossilen Zeit zur Tagesaktualität gelangen. Dabei sollten wir die Erfahrungen aus den zusammengebrochenen Planökonomien berücksichtigen, die nicht nur von AutorInnen wie Bahro zusammengefasst wurden: Auch die planwirtschaftliche Umgestaltung der globalen Ökonomie kann nicht zur menschlichen, ökologisch verträglichen Emanzipation führen, wenn wir nicht die aus dem Kapitalismus überkommenen Formen der Arbeitsteilung, des Konsums und des Naturverhältnisses dabei überwinden.

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Roth, Jürgen (2010): Mindestlohn, Mindesteinkommen oder „bedingungsloses Grundeinkommen“? In: Revolutionärer Marxismus, Nummer 41, global red, Berlin 2010, S. 138 – 160




Die Green New Deals. Programm zur Rettung des Klimas oder des Kapitalismus?

Martin Suchanek, Revolutionärer Marxismus 54, Dezember 2021

In der Not verspricht auch die bürgerliche Politik Rettung für die Menschheit und den Planeten. Längst können selbst große Teile der herrschenden Klassen die Krise des Kapitalismus und die drohende ökologische Katastrophe nicht mehr ignorieren. Zu augenscheinlich mehren sich jährlich die Auswirkungen der Umweltkrise, vor allem des Klimawandels, in Form von Extremwetterlagen. Die wichtigsten kapitalistischen Mächte,  ob nun die USA unter Biden, die EU unter der Kommissionsvorsitzenden von der Leyen oder das aufstrebende China, bekennen sich zum Klimaschutz. Alle wollen erklärtermaßen nicht nur die Welt retten, sondern beanspruchen auch noch eine führende Rolle bei der ökologischen Runderneuerung des Kapitals.

Die Realität straft diese Behauptungen Lügen. Bei den Weltklimagipfeln kommt regelmäßig wenig mehr als heiße Luft heraus. Nichts gewesen außer Spesen und viel Blabla. Die Gipfel dienen mittlerweile allenfalls als Foren dafür, die eigenen Anstrengungen schönzureden, eine Reihe unverbindlicher Erklärungen abzugeben und ansonsten die Schuld für das weitere Voranschreiten der Katastrophe bei der Konkurrenz im Kampf um die Neuaufteilung der Welt zu suchen. Wie unlängst im November 2021 in Glasgow besteht der gemeinsame Nenner dieser Umweltpolitik darin, Meeting für Meeting dieselben Ziele und Absichten zu formulieren – und ansonsten möglichst keine konkreten Verpflichtungen einzugehen.

Zugleich konstatieren die Berichte des Weltklimarates IPCC regelmäßig die Verschlechterung der Lage und ein Zurückbleiben hinter den selbst gestellten, ohnehin moderaten Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens aus dem Jahr 2015. Nachdem die Emissionen 2020 infolge von Corona und globaler Rezession zeitweilig zurückgingen, werden sie 2021 wieder das Vorkrisenniveau erreichen. 2022 droht, einen neuen Höchstwert des CO2-Ausstoßes mit sich zu bringen. Eine Zusammenfassung des IPCC-Berichts aus dem Jahr 2021 bringt das folgendermaßen auf den Punkt:

„Die globale Oberflächentemperatur wird bei allen betrachteten Emissionsszenarien bis mindestens Mitte des Jahrhunderts weiter ansteigen. Eine globale Erwärmung von 1,5 °C und 2 °C wird im Laufe des 21. Jahrhunderts überschritten werden, es sei denn, es erfolgen in den kommenden Jahrzehnten drastische Reduktionen der CO2– und anderer Treibhausgasemissionen.“[i]

Diese und ähnliche Schlussfolgerungen werden mittlerweile durch beachtliche Fortschritte der Klimaforschung und durch Untersuchungen weiterer ökologischer Krisenprozesse so gut untermauert, dass sie über jeden ernst zu nehmenden Zweifel erhaben sind. Betrachtet man darüber hinaus nicht nur den Klimawandel, auf den sich die bürgerliche Umweltpolitik konzentriert, sondern weitere ökologische Krisenprozesse, so kann die aktuelle Gefahr kaum überschätzt werden. Parallel zum Klimawandel nehmen auch die Versauerung der Ozeane, die sinkende biologische Vielfalt, der Eintrag von Stickstoff und Phosphor in die Biosphäre, die Gefährdung der Ozonschicht, die Übernutzung von Land und Trinkwasser sowie die Verschmutzung durch Nanomaterialien und Mikroplastik kritische Ausmaße an. In der 2009 veröffentlichen Studie über die „Belastungsgrenzen des Erdsystems“ untersuchte der Agrarwissenschafter Johan Rockström diese verschiedenen Subsysteme und ihren Zusammenhang.

„Laut dieser Bestandsaufnahme der ökologischen Krise sind nur zwei von sieben Belastungsgrenzen noch nicht überschritten (nämlich die Süßwasser-Regeneration und Aufnahmefähigkeit der Ozeane für Kohlendioxid). Die Probleme sind zudem miteinander verbunden.“[ii]

Die wechselseitige Verbundenheit der oben benannten Phänomene erfordert nicht nur rasches, sondern vor allem auch planmäßiges, vorausschauendes Handeln, um den Stoffwechsel von Mensch und Natur und die Reproduktion des Erdsystems so zu organisieren, dass die Reproduktion der Menschheit dauerhaft und nachhaltig möglich ist. Das Fortschreiten nicht nur des Klimawandels, sondern auch aller anderen ökologischen Krisenphänomene droht letztlich, die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit selbst zu zerstören.

Auf einen rationalen, vernünftigen Umgang durch die herrschende Klasse kann jedoch keinesfalls gerechnet werden, weil der eigentliche Zweck kapitalistischen Wirtschaftens, nämlich möglichst hohe Profite zu erzielen, nicht in Frage gestellt wird und von Kapitalseite auch nicht in Frage gestellt werden kann. Unabhängig davon, was einzelne UnternehmerInnen, AktionärInnen, ManagerInnen oder deren politische SprecherInnen auch wollen, sorgen die Zwangsgesetze der Konkurrenz dafür, dass sie bei Strafe des eigenen Zurückbleibens und Untergangs gezwungen sind, eben diesen Folge zu leisten, sich als Personifikationen des Kapitals zu verhalten.

Während zur Zeit die meisten Regierungen der Erde die Gefahr als solche durchaus anerkennen, ist das keineswegs bei allen der Fall. Die Leugnung des Klimawandels oder anderer ökologische Gefahren durch die Trumps und Bolsonaros dieser Welt ist zwar irrsinnig, hat aber nachvollziehbare systemische Ursachen. Angesichts der aktuellen strukturellen Krise des Kapitalismus, der verschärften Konkurrenz und des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt zwischen den Großmächten stellen sie eine mögliche Rechtfertigung dafür dar, sich der Kosten des Klimawandels zumindest kurzfristig zu entziehen. Die aktuelle Weltlage bringt solche Formen des Irrationalismus durchaus folgerichtig hervor, sowohl bei einem Flügel des Kapitals als auch in Form reaktionärer kleinbürgerlich-populistischer Parteien und Bewegungen.

Vom Standpunkt der Konzerne und Nationalökonomien, die um ihre Stellung auf dem Weltmarkt fürchten, oder der Kleinunternehmen, die im Konkurrenzkampf zu unterliegen drohen, erscheint der Klimawandel als Ursache für ihren drohenden Niedergang oder Ruin. Sobald dieser oder der menschliche Einfluss auf ihn geleugnet wird, erscheint jede Anstrengung zur Abwendung der drohenden ökologischen Katastrophe als das  eigentliche Problem. Selbst die unzureichenden Pläne der Klimakonferenzen werden dann zum Anschlag, zur regelrechten Verschwörung gegen die „eigene“ Wirtschaft, Nation, den kleinen Laden oder den Arbeitsplatz verkehrt. Gerade weil sich die vorherrschende bürgerliche Klimapolitik als unfähig erweist und erweisen wird, auch nur eines der großen ökologischen Probleme zu lösen, werden früher oder später weitere reaktionäre bürgerliche und kleinbürgerliche Bewegungen auf den Plan treten, die die drohenden Katastrophen leugnen und mit nationalistischen, chauvinistischen und populistischen Lösungen reaktionär verknüpfen.

Das Versprechen des Green (New) Deal

Zur Zeit erkennen jedoch die vorherrschenden politischen Kräfte das Problem als solches an. Die EU-Kommission und alle Parteien, die sie tragen (Konservative, Liberale, Grüne und Sozialdemokratie), vertreten ein Programm des Green Deal. Biden verspricht das größte Klimaschutzprogramm der Geschichte im Umfang von zwei Billionen US-Dollar. Sowohl die EU als auch die USA, also die beiden (noch) größten Wirtschaftsregionen der Welt, haben sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein. China will dies 2060 erreichen, Indien 2070. Eine Klimapolitik, die ökologisch und ökonomisch nachhaltig sein will, versprechen heutzutage unter dem Titel Green Deal, Green New Deal oder einem ähnlichen Öko-Label fast alle.

Sicherlich sind die EU-Mächte wie Deutschland und Frankreich oder die USA nicht aus reinen Vernunftgründen zu dieser Einsicht gelangt, sondern wegen der kaum zu leugnenden Auswirkungen der ökologischen Krisen, vor allem aber aufgrund des politischen und gesellschaftlichen Drucks von Massenbewegungen und linker VertreterInnen einer sozialökologischen Transformation.

Es bedurfte langer, erbitterter Kämpfe vor allem jugendlicher und lohnabhängiger AktivistInnen der Umweltbewegung in den imperialistischen Metropolen, von Bauern und Bäuerinnen, von Landlosen, von GewerkschafterInnen und Indigenen in den halbkolonialen Ländern, um die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, die „ökologische Frage“ überhaupt ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit zu rücken. Über Jahrzehnte bekämpften viele, die heute den Green Deal versprechen, diese Bewegungen und in zahlreichen Ländern werden Bauern und Bäuerinnen und indigene Völker, die sich gegen Landraub und Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen wehren, weiter mit brutaler Gewalt unterdrückt, vertrieben oder gar ermordet.

Selbst die Ideen des Green Deal (GD) und der ökologischen Modernisierung der Wirtschaft, der sich USA und EU mit milliardenschweren Programmen verschrieben haben, gehen ursprünglich auf radikalere Programme aus dem kleinbürgerlichen oder reformistischen Flügel der Umweltbewegung zurück. So wurden erste Vorschläge für einen Green New Deal (GND) 2007/2008 in Britannien von der Green New Deal Group veröffentlicht, der VertreterInnen von NGOs, eine grüne Abgeordnete und später auch einige der Labour Party angehörten. Ähnliche Vorstellungen wurden auch in anderen grünen Parteien in Europa entwickelt und zur Klimakonferenz in Dänemark 2009 einer größeren Öffentlichkeit präsentiert.

In den letzten Jahren wurde der GND von zahlreichen linken Kräften aufgegriffen und popularisiert. Die britische Labour Party machte ihn 2019 zu einem Bestandteil des Wahlprogramms. Linke demokratische US-amerikanischen PolitikerInnen wie Bernie Sanders und Alexandra Ocasio-Cortez (AOC) griffen ihn ebenfalls auf. Schließlich fordern auch die Parteien der europäischen Linkspartei einen Green New Deal, der sich durch eine stärkere Betonung der sozialen Frage und globaler Klimagerechtigkeit vom Green Deal der EU-Kommission abheben soll.

Im folgenden Artikel wollen wir uns mit verschiedenen Konzepten des GD und GND auseinandersetzen und diese einer Kritik unterziehen. Auch wenn die verschiedenen Ansätze selbst noch eine bunte Bandbreite unterschiedlicher Theorien, AutorInnen und Schwerpunkte inkludieren, so werden wir uns mit drei Hauptströmungen befassen bzw. mit AutorInnen, die für diese stehen. Zwischen ihnen existiert natürlich eine Reihe von Überschneidungen, Übergängen und Zwischenstufen. Dennoch macht unserer Meinung nach eine Unterscheidung Sinn, weil sie auf verschiedene soziale Kräfte zur Umsetzung des Green (New) Deal verweist.

1. Großkapitalistischer Green Deal

Hier handelt es sich um das Programm und die politische Strategie von Kräften der herrschenden Klassen wie der EU-Kommission, der Biden-Administration oder den Grünen. Auch die Versprechen ökologischer Erneuerung, wie sie der chinesische Imperialismus proklamiert, gehören letztlich zu dieser Form von Umweltpolitik.

Darüber hinaus steht auch der Mainstream der europäischen Sozialdemokratie sowie der Gewerkschaften in den imperialistischen Zentren auf dem Boden dieses Programms, ebenso wie die etablierten, bürgerlichen Umweltverbände, also BUND oder NABU in Deutschland, Oxfam oder Greenpeace auf internationaler Bühne.

Als AgentInnen des ökologischen Wandels fungieren beim GD Regierung und bürgerlicher Staat, die mithilfe von Konjunkturprogrammen, Steuerpolitik und Bepreisung (Emissionshandel, CO2-Bepreisung) ökologisch schädlicher Technik, Produkte oder Verhaltens eine Veränderung der Lebensweise der Menschen und eine stoffliche Erneuerung des Kapitals anstreben. Letzteres stellt ein zentrales Ziel dar, weil das ökologisch modernisierte Kapital auch konkurrenzfähiger sein soll als die fossile Abteilung.

Die Programme der EU oder USA (aber auch Chinas) sind daher wesentlich solche zur Erneuerung des Gesamtkapitals einer imperialistischen Nation oder eines imperialistischen Blocks.

2. Linksbürgerlicher und radikal kleinbürgerlicher GND

Zur Linken des Programms des Großkapitals finden sich VertreterInnen aus bürgerlichen Parteien wie  US-DemokratInnen (z. B. Sanders, AOC), AnführerInnen von politisch kleinbürgerlichen Massenbewegungen wie Fridays for Future (Greta Thunberg) oder AutorInnen wie Naomi Klein.

Sie betrachten soziale Bewegungen als notwendigen Bestandteil zur Durchsetzung eines GND, der nicht nur ökologisch nachhaltiges Wirtschaften gewährleisten, sondern auch soziale Gerechtigkeit herbeiführen soll. Das schließt auch eine diffus antikapitalistische Zielsetzung ihrer Politik ein, die jedoch nicht wirklich an die Wurzeln des Systems geht, sondern Antikapitalismus auf einen Bruch mit dem Neoliberalismus reduziert. Die Zielsetzung dieser Spielart des GND besteht darin, den Staat darauf zu verpflichten, eine regulierte, sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Marktwirtschaft weltweit durchzusetzen.

Als zentrale Akteurin des GND gilt dieser Strömung eine Bewegung, die sich auf verschiedene Communities (Gemeinschaften) stützt, auf Gewerkschaften, Bauern-/Bäuerinnenschaft, aber auch „aufgeklärte“ bürgerliche Schichten und die eine andere, soziale und demokratische staatliche Politik durchsetzt.

Der GND soll also von eine Allianz scheinbar gleichberechtigter Klassenkräfte verwirklicht werden, die sich gegen das „fossile Kapital“ zusammenschließen, Druck auf die Staaten und Regierungen ausüben und ihrerseits ökologisch orientierte Regierungen an die Macht bringen. Die Triebkraft diese Politik sind daher nicht Klassen – und somit natürlich auch nicht die Lohnabhängigen –, sondern „das Volk“, „die“ Community oder „die“ Menschen. Daher trägt diese Politik einen (links)populistischen Charakter, der die gegensätzlichen Klasseninteressen diese Allianz verschleiern soll – und somit auch den eigentlich bürgerlichen Charakter dieses Programms.

3. Reformistische Transformationsstrategie

Der kleinbürgerlich-radikale GND weist viele Gemeinsamkeiten mit der reformistischen Strategie bürgerlicher ArbeiterInnenparteien auf. Dennoch unterscheidet er sich davon, auch wenn sich eine ganze Reihe der erhobenen Forderungen deckt. Der entscheidende Unterschied liegt jedoch im Verhältnis eines Green New Deal zur organisierten ArbeiterInnenbewegung. Organisationen wie Labour unter Corbyn, die Democratic Socialists of America (DSA) oder die Europäische Linkspartei verknüpfen den GND mit einer sog. Transformationsstrategie, also einem Konzept des graduellen Übergangs zu einer „anderen“ Gesellschaft.

Das zentrale gesellschaftliche Subjekt der Veränderung bildet für diese Strömung die Klasse der Lohnabhängigen. Sie setzt auf eine Politik der Mobilisierung der Gewerkschaften und der ArbeiterInnenklasse, um eine Reformregierung durchzusetzen, die, gestützt auf diese Kräfte und im Bündnis mit den Mittelschichten, ein linkskeynesianisches Programm, einschließlich einer Reihe von Verstaatlichungen in Kernsektoren (Energie, Transport/Verkehr, Gesundheit, … ) durchsetzt, um so eine sozialökologische Transformation zu einer anderen Wirtschaftsordnung in Gang zu bringen.

Wir sehen also, dass der GD bzw. der GND zum Programm verschiedener Klassenkräfte geworden sind. Grundlegend gehen jedoch alle von der Vorstellung aus, dass auch unter kapitalistischen Bedingungen eine staatliche Politik möglich sei, die ein ökologisch nachhaltiges Wirtschaften erzwingen könne. Offen oder implizit beziehen sich der GD und noch mehr der GND auf die Politik F. D. Roosevelts in den 1930er Jahren und dessen New Deal, weil sie als Beweis für die Machbarkeit einer solchen Reformpolitik auch unter kapitalistischen Bedingungen gilt.

Der New Deal

Bevor wir uns mit der Interpretation der Politik Roosevelts und des New Deal beschäftigen, wollen wir deren Ursachen, Verlauf und Durchsetzung betrachten.

Der Börsencrash von 1929, die darauf folgende tiefe Rezession der US- und Weltwirtschaft hatten den US-Kapitalismus erschüttert wie keine andere ökonomische Krise davor und danach. Von 1929 bis 1933 halbierte sich das BIP der USA nahezu, von 103,6 Mrd. US-Dollar auf 56,4 Mrd. Selbst wenn wir eine inflationsbereinigte Rechnung zugrunde legen, so brach es um von 1929 auf 1933 um rund 25 % ein.[iii]

Infolge der Finanzkrise mussten 9 490 Banken – 40 % des gesamten Sektors – Insolvenz anmelden und schließen. Die Industrieproduktion halbierte sich in diesem Zeitraum und die Landwirtschaft erfasste ebenfalls eine tiefe Krise, Export und Investitionen brachen ein.

Die sozialen Auswirkungen waren verheerend. Die Einkommen der FarmerInnen sanken um rund 70 %, Millionen Betriebe mussten aufgeben. Die Massenarbeitslosigkeit traf die Lohnabhängigen mit voller Wucht. Die Arbeitslosenrate stieg von 3 % 1929 auf 24,9 % 1933 – und das ohne öffentliche Arbeitslosen-, Rentenversicherung und soziale Absicherung. Nur ein Prozent der ArbeiterInnen und Angestellten hatte eine private Versicherung abgeschlossen. Aufgrund des Zusammenbruchs der Banken verloren viele obendrein noch ihre restlichen Ersparnisse.

Auch die Organisationen der ArbeiterInnenklasse wurden Ende der 1920er Jahre und während der großen Depression in eine tiefe Krise gestürzt . Die Gewerkschaften organisierten Ende der 1920er Jahre nur noch rund 2 Millionen Lohnabhängige (gegenüber rund 4 Millionen nach der großen Streikwelle 1919), was nur rund 6 % der Beschäftigten entsprach. Zu diesem Zeitpunkt hatte die AFL-Bürokratie ihre Kontrolle über die gewerkschaftlich organisierten Lohnabhängigen sogar noch ausgebaut und hielt hartnäckig an ihren reaktionären, berufsständischen Prinzipien fest. Auch deshalb trafen die sozialen Auswirkungen die Lohnabhängigen mit voller Wucht.

Auch wenn es schon 1932 zu wichtigen gewerkschaftlichen Kämpfen kam, so drückten sich Frustration, Wut und Empörung, aber auch die Desillusionierung von Millionen bis 1933 weniger in ArbeiterInnenkämpfen als vielmehr in lokalen Unruhen und einer Abwendung vom etablierten System aus.

Die Politik des amtierenden US-Präsidenten Herbert C. Hoover hatte sich nicht nur als vollkommen unfähig erwiesen, die Lohnabhängigen und die kleinbürgerlichen Massen vor Not, Elend und Ruin, vor Armut und Hunger zu bewahren, sondern konnte auch die herrschende Klasse nicht zufriedenstellen.

Dem Wahlsieg Roosevelts 1933 lagen also  eine grundlegende politisch-ökonomische Krise und die Unzufriedenheit aller Klassen zugrunde. Anders als Hoover erblickten er und seine BeraterInnen im Brain Trust, einer Gruppe von Wirtschafts- und RechtswissenschaftlerInnen, die maßgeblich den New Deal und seine Ausrichtung beeinflussten, die Ursachen für die Depression nicht in den Verhältnissen außerhalb der USA, sondern in inneren Problemen und Ungleichgewichten.

Die Monopolisierung der US-Wirtschaft und stagnierende Löhne hätten in den 1920er Jahren ein ökonomisches Ungleichgewicht – eine Art chronischer Unterkonsumtion – geschaffen, die durch staatliches Handeln ausgeglichen werden müsse. Der New Deal sollte Abhilfe schaffen. Erstmals verwandte Roosevelt diesen Begriff am 2. Juli 1932 in seiner Nominierungsrede: „Aus der ganzen Nation schauen Männer und Frauen auf uns, die von der politischen Philosophie der Regierung vergessen wurden, um Führung und eine gerechtere Chance auf einen Anteil am nationalen Wohlstand zu bekommen. Ich verpflichte mich zu einer Neuverteilung der Karten für das amerikanische Volk. Das ist mehr als eine politische Kampagne. Das ist ein Ruf zu den Waffen.“[iv]

Der New Deal selbst durchlief mehrere Phasen. Nach der Wahl zur ersten Präsidentschaft war Roosevelts Politik vor allem auf eine unmittelbare Stabilisierung der Wirtschaft und der sozialen Lage gerichtet. Dies umfasste eine Banken- und Finanzreform und die Abwertung des US-Dollar sowie Maßnahmen zur Stabilisierung der Agrarproduktion. Zur Bekämpfung der Deflation und Stabilisierung der Kaufkraft diente vor allem die National Recovery Administration (NRA), ein korporatistisches Projekt, das die Unternehmen auf einen Verhaltenscode verpflichten und Arbeit und Kapital zur Zusammenarbeit bringen sollte. Zu dem Maßnahmenkatalog der NRA gehörten außerdem auch Reformen, die die Rechte der LohnarbeiterInnen erweiterten – Mindestpreise und Mindestlöhne, gewerkschaftliche Organisationsrechte, die 40-Stunden-Woche und Ähnliches. Diese gingen naturgemäß vielen Unternehmen zu weit und wurde auf verschiedene Weise bekämpft. 1935 wurde die NRA vom Verfassungsgericht kassiert.

In den ersten Monaten erfreuten sich die Präsidentschaft Roosevelts und der New Deal unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise zwar einer breiten Zustimmung. Dies änderte sich jedoch bald. Einerseits betrachteten Teile der herrschenden Klasse den GND als Angriff auf ihre Privilegien, andererseits ermutigte die Politik Roosevelts auch die ArbeiterInnenklasse. Teils durch den Präsidenten und die mit ihm verbündeten Gewerkschaften vorangetrieben, vor allem durch den neu entstandenen Congress of Industrial Organizations (CIO), teils durch Bewegung von unten stiegen sowohl der Organisationsgrad wie auch die Zahl der Streiks und Arbeitskämpfe massiv. In den Jahren 1933 – 37 vervielfachte sich die Mitgliedschaft der Gewerkschaften von 2 auf 7 Millionen.

Dieses Wachstum war selbst ein Resultat der neuen Gesetze, die die Organisierung der Beschäftigten erleichterten, als auch von Arbeitskämpfen zu deren Durchsetzung auf betrieblicher Ebene. Allein 1934 traten 1,5 Millionen Lohnabhängige in den Streik, oft um ihre neue gewonnenen, legalen Möglichkeiten gegen den Widerstand von UnternehmerInnen, StreikbrecherInnen, bewaffnete Schlägergruppen und Polizeikräfte durchzusetzen. In Städten wie San Francisco, Minneapolis und Toledo kam es zu lokalen Generalstreiks.

Der Widerstand des Kapitals gegen den New Deal und die Aufhebung des NRA durch das Verfassungsgericht entfachten den Kampfeswillen der Lohnabhängigen. In den Jahren 1935 – 37 ergriffen die Kämpfe weitere zentrale Industriesektoren, und der Sitzstreik (Sit In) geriet zu einer besonders effektiven und dynamischen Kampfform.

Roosevelt selbst beunruhigten diese Entwicklungen. Nachdem das NRA aufgehoben worden war, versuchten er und seine Administration durch eine Reihe weiterer Reformen, der wachsenden Militanz der ArbeiterInnenklasse und auch der Entstehung populistischer Strömungen Rechnung zu tragen.

Eine Schlüsselrolle spielte dabei der Wagner Act von 1935. Mit ihm wurde den ArbeiterInnen erneut das Recht zugestanden, Gewerkschaften zu bilden und Löhne und Arbeitsbedingungen kollektiv zu verhandeln. Das Streikrecht wurde anerkannt und Lohnabhängige durften nicht mehr wegen einer Gewerkschaftsmitgliedschaft entlassen werden.

Doch auch nach der Verabschiedung des Gesetzes gingen die Kämpfe weiter, teilweise in brutaler und blutiger Form, bei der etliche ArbeiterInnen von der Polizei getötet wurden. Doch der Wagner Act umfasste nicht nur eine Reihe von Garantien für die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten. Mit ihm wurde auch das National Labour Relations Board eingeführt, das bei Arbeitskämpfen vermitteln sollte und diese Funktion auch immer mehr ausübte, nachdem sich die Einzelunternehmen mit der neuen Gesetzeslage abgefunden hatten.

Ab 1935 wurde zudem eine Reihe weiterer Gesetze eingeführt, die die Lage der ArbeiterInnenklasse verbessern sollten – so eine Sozial- und Rentenversicherung, ein Mindestlohn und das Verbot der Kinderarbeit für alle unter 16, das allerdings nicht für die schwarze Bevölkerung der Südstaaten galt.

Dass die Verbesserungen des New Deal Stückwerk blieben, verdeutlichen jedoch gerade dessen Beschränkungen und Grenzen. Der Social Security Act blieb selbst hinter den meisten damals bereits bestehenden europäischen Regelungen zurück, was unter anderem auf die Intervention des damaligen Finanzministers Hans J. Morgenthau zurückzuführen ist. So blieben LandwirtInnen, Hausangestellte und Selbstständige von der Renten- und Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen. Dies bedeutete, dass gerade die ärmsten und unterdrücktesten Schichten der Lohnabhängigen nichts von den Segnungen des New Deal abbekamen. Diese Exklusion trug darüber hinaus einen eindeutig rassistischen Charakter. 65 % aller Schwarzen waren von der Sozialversicherung faktisch ausgeschlossen, in den Südstaaten sogar 70 – 80 %.

Neben diesen beinhaltete der New Deal der 1930er Jahre auch eine Reihe von Infrastruktur- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Diese waren ursprünglich eigentlich eine Antwort darauf, dass die Arbeitslosigkeit trotz BIP-Wachstums weiter sehr hoch blieb. In den 1930er Jahren sank sie nie unter 14 % und nie unter die absolute Zahl von 10 Millionen. Roosevelt und die Mitglieder des Brain Trusts machten aus dieser Not eine Tugend.

1935 wurden mit der Emergency Relief Appropriation Bill erstmals Milliarden US-Dollar für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verwandt. Die Projekte wurden dabei auf Anweisung Roosevelts so konzipiert, dass sie arbeitsintensiv und langfristig sinnvoll sein sollten. Innerhalb weniger Jahre wurden so wichtige Infrastrukturprojekte in Gang gebracht, darunter eine Million Kilometer Autobahnen und Straßen, 77.000 Brücken, Bewässerungssysteme, die Elektrifizierung ländlicher Regionen und öffentliche Gebäude und Erholungseinrichtungen wie Schwimmbäder oder Parks.

Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen waren weit davon entfernt, ein Wohlfahrtsprogramm für die Lohnabhängigen darzustellen. Roosevelt persönlich bestand vielmehr darauf, dass die ArbeiterInnen bei diesen Projekten schlechter bezahlt werden mussten als jene in der Privatwirtschaft.

Auch wenn die Infrastrukturprojekte gegen den Widerstand einzelner Kapitalgruppen durchgesetzt wurden, entsprachen sie insgesamt den längerfristigen Interessen der besitzenden Klasse. Der Staat agierte als ideeller Gesamtkapitalist und leistete einen massiven Anschub zur Erneuerung der allgemeinen gesellschaftlichen Produktionsbedingungen in den USA, also essentieller Voraussetzungen für eine anhaltende erweiterte Reproduktion des nationalen Gesamtkapitals.

Dennoch führte der New Deal während der 1930er Jahre keineswegs zu einer Wiederherstellung eines dynamischen, expansiven Gleichgewichts der US-Ökonomie. Nicht nur die Arbeitslosigkeit blieb chronisch hoch. Die Maßnahmen des New Deal wurden durch eine Erhöhung der Staatsverschuldung erkauft. Wie sehr die US-Wirtschaft auf die staatliche Nachfrage angewiesen war, verdeutlicht die reale Entwicklung. Nachdem Roosevelt 1936 das Haushaltsdefizit etwas senken konnte, schlitterte die Wirtschaft 1937 in eine Krise.

Der Grund dafür liegt im Charakter des New Deal selbst begründet. Damit er als Programm funktionieren konnte, bedurfte es nicht nur der Erneuerung der Infrastruktur des US-Kapitalismus. Um ein neues Akkumulationsregime samt höherer Profitraten und einer Neujustierung des Verhältnisses zwischen den Klasse etablieren zu können, mussten nicht nur innere, sondern vor allem äußere Bedingungen geschaffen werden, die eine Überwindung der strukturellen Krise des US-Kapitalismus erlaubten: Der New Deal hatte letztlich nur Aussicht auf Erfolg als Bestandteil eines umfassenderen Programms zur Neuordnung der Welt.

In seiner Schrift „Marxismus in unserer Zeit“[v] unterzieht Trotzki den New Deal einer Analyse. Er verweist dabei auf den aristokratischen Charakter dieser Politik, die im Grunde nur für reiche, imperialistische Nationen möglich ist.

„Die Politik des New Deal, die die imperialistische Demokratie durch Bestechung der Arbeiter- und Farmer-Aristokratie zu retten sucht, steht im großen Stil nur den sehr reichen Nationen offen; in diesem Sinn ist sie die amerikanische Politik par excellence. Die amerikanische Regierung hat versucht, einen Teil der Kosten dieser Politik auf die Schultern der Monopolisten abzuladen, indem sie diese ermahnte, die Löhne zu erhöhen und die Arbeitszeit zu verkürzen und so die Kaufkraft der Bevölkerung zu heben und die Produktion zu erweitern.“[vi]

Trotzki berührt hier einen entscheidenden Punkt bezüglich des Klassencharakters des New Deal, der versucht, die oberen aristokratischen Schichten der ArbeiterInnenklasse zu integrieren, nicht jedoch die Gesamtheit der Lohnabhängigen. Auch ließ der New Deal die Jim-Crow-Gesetze, also die Politik der sog. Rassentrennung, unberührt. Der Ausschluss der schwarzen Massen stellte den politischen Preis für die Unterstützung des New Deal durch die demokratischen Abgeordneten aus den Südstaaten dar. Doch die Bedeutung dieses Ausschlusses ist weit grundlegender.

Die Politik der Klassenzusammenarbeit, des Korporatismus, wie sie der New Deal einleitet und wie sie den westlichen Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg prägen wird, entspricht einer Politik der Integration der ArbeiterInnenaristokratie in den imperialistischen Staat. Sie kann ihrer eigenen Natur nach nicht auf die gesamte Klasse der Lohnabhängigen ausgedehnt werden, sondern setzt vielmehr eine imperiale und rassistische Spaltung der Arbeitskraft im Inneren wie erst recht auf globaler Ebene voraus und reproduziert diese, wenn auch in unterschiedlichen Formen.

Auch auf diesen Zusammenhang verweist Trotzki schon 1939: „Natürlich sind die sich auftürmenden Staatsschulden eine Hypothek für die Nachwelt. Aber der New Deal selbst war nur möglich auf Grund des von den früheren Generationen aufgehäuften Reichtums. Nur eine sehr reiche Nation kann sich eine solche Politik der Verschwendung erlauben. Aber auch eine derartige Nation kann nicht unbegrenzt fortfahren, auf Kosten vergangener Generationen zu leben. Die New Deal-Politik mit ihren eingebildeten Großtaten und ihrem sehr realen Steigen der Staatsschulden ist unvermeidlich dazu verurteilt, in wilder kapitalistischer Reaktion und in einer verheerenden Explosion des Imperialismus zu gipfeln.“[vii]

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, also durch den Sieg über die imperialistischen RivalInnen, die Vernichtung überschüssigen Kapitals, die Etablierung hoher Ausbeutungs- und Profitraten, die Neuordnung des Weltmarktes und des Weltwirtschaftssystems unter Vorherrschaft der USA, des US-Dollar und des Bretton-Woods-Systems, können die Maßnahmen des New Deal Teil eines Ganzen werden, das eine dynamische Expansion des Kapitalismus über mehrere Zyklen erlaubt – und somit auch eine stabile Integration der ArbeiterInnenaristokratie und sogar breiterer Schichten der ArbeiterInnenklasse in den imperialistischen Zentren. Hier wird deutlich, dass der New Deal eine Politik im Interesse der herrschenden Klasse war, die jedoch einzelnen konkurrierenden Kapitalen selbst aufgezwungen werden musste:

„Die artikulierte Mehrheit der amerikanischen Großbürger schrie Zeter und Mordio über Roosevelts ,New Deal’; sogar Trumans ‚Fair Deal’ wurde mit nicht wenig Geschrei über ‚schleichenden Sozialismus’ beantwortet. Aber kein objektiver Beobachter der Entwicklung der amerikanischen Wirtschaft und Gesellschaft der letzten 35 Jahre könnte heute bestreiten, daß sich in dieser Epoche die Akkumulation des Kapitals erweitert und nicht eingeschränkt hat; daß die amerikanischen Großkonzerne unvergleichbar reicher und mächtiger geworden sind, als sie in den zwanziger Jahren waren; daß die Bereitschaft anderer Gesellschaftsklassen – hauptsächlich der Industriearbeiterschaft – die Herrschaft dieser Konzerne unmittelbar gesellschaftlich und politisch in Frage zu stellen, geringer geworden ist, als sie während und sofort nach der großen Wirtschaftskrise war.“[viii]

Vom Klassencharakter des New Deal wie auch von seinen historischen Voraussetzungen wollen die heutigen ParteigängerInnen dieser Politik aus verschiedenen Lagern – vom bürgerlichen Linksliberalismus bis zu den „demokratischen SozialistInnen“ in den USA oder in der europäischen Linkspartei – nichts wissen.

Vielmehr negieren die VertreterInnen des GND dessen Klassencharakter und stellen ihn vielmehr als Politik im Interesse der gesamten Gesellschaft oder gar der ArbeiterInnenklasse dar, an die es heute anzuknüpfen gelte.

Sie abstrahieren dabei nicht nur von den Krisen und Kämpfen der 1930er Jahre und vom imperialistischen Charakter der US-Politik im Zweiten Weltkrieg. Sie abstrahieren auch  davon, dass der Einbindung von Elementen des New Deal in die US-geführte Nachkriegsordnung  eine historisch einzigartige Kapitalvernichtung vorausgehen musste und ein Weltkrieg, der überhaupt erst eine neue Periode der Kapitalakkumulation im Weltmaßstab möglich machte.

Das überschüssige US-Kapital hätte ohne Krieg und Neuordnung der Welt auf Kosten der geschlagenen imperialistischen und verbündeten RivalInnen, ohne Sieg über den deutschen und japanischen Imperialismus und ohne Aufbrechen der britischen und französischen Kolonialreiche nie die erforderlichen Anlagegebiete gefunden. Nur durch Errichtung der US-Hegemonie im Krieg und in der unmittelbaren Nachkriegsperiode bis Ende der 1940er Jahre konnten die realen Bedingungen für die Expansion des Kapitalismus geschaffen werden.

Die VertreterInnen des GND müssen jedoch von diesen Voraussetzungen absehen, weil sie mit dem Bezug auf den New Deal zeigen wollen, dass eine solche Politik voraussetzungslos sei, dass sie unabhängig von der Akkumulationsdynamik des Kapitals und der internationalen Ordnung gewissermaßen jederzeit durchgeführt werden könnte, wenn nur der politische Wille vorhanden wäre.

Die ApologetInnen des New Deal in der heutigen reformistischen und kleinbürgerlich-radikalen Linken interpretieren ihn darüber hinaus als eine quasi antikapitalistische Politik, weil sie sich auch gegen wichtige Monopole und Konzerne wandte. Sie übersehen dabei, dass der Widerspruch zwischen den kurzfristigen Profitinteressen der Einzelkapitale und den langfristigen des Gesamtkapitals selbst ein notwendiges Element der Kapitalbewegung darstellt, der in Krisenperioden offen und sichtbar als politische Krise der Bourgeoisie und der Gesellschaft, als innerer Konflikt des Kapitals hervortritt. Genau das meint beispielsweise Lenin, wenn er davon spricht, dass eine revolutionäre Krise davon gekennzeichnet sei, dass die Herrschenden nicht mehr so regieren könnten wie bisher.

Diese Lage führte überhaupt erst dazu, dass das Programm Roosevelts und des Brain Trusts zu einer staatlichen Politik werden konnte. Diese musste jedoch in langjährigen Kämpfen gegen den Widerstand von Einzelkapitalen durchgesetzt werden.

Aufgrund der Verelendung breiter Massen und der Lage der ArbeiterInnenklasse konnte sich Roosevelt dabei auf ein Bündnis mit den Gewerkschaften, genauer mit Teilen der Gewerkschaften und ihres Apparates stützen. Die ökonomische Lage erforderte drastische Maßnahmen, um überhaupt die Reproduktion der Lohnabhängigen zu sichern und somit auch eine ausreichend qualifizierte und arbeitsfähige ausgebeutete Klasse dem Kapital zur Verfügung zu stellen. Die Verringerung der Arbeitszeit und die Erhöhung der Löhne sollten letztlich durch andere Mittel zur Erhöhung der Profitrate (Produktivitätssteigerung, Verringerung der Kosten für Transport, Infrastruktur, Extraprofite auf dem Weltmarkt) ausglichen werden.

Insofern trugen die Klassenkämpfe der 1930er Jahre auch einen zwiespältigen Charakter. Einerseits drückten sie eine potentiell revolutionäre Erschütterung des US-Kapitalismus aus, eine Zunahme des Klassenkampfes, der deutlich machte, dass auch die „unten“ nicht mehr so leben wollten wie bisher.

Zugleich ordneten sich die Gewerkschaftsführungen in diesen Jahren faktisch immer der Führung Roosevelts und der Demokratischen Partei unter. Ihre teilweise überaus militant geführten Kämpfe bargen zweifellos das Potential, über die Grenzen des New Deal und einer Modernisierung des US-Kapitals hinauszugehen. Dies hätte aber eine Überwindung des vornehmlich nurgewerkschaftlichen Kampfes erfordert – und somit einen politischen Bruch mit den US-DemokratInnen und mit Roosevelt, den Aufbau einer revolutionären ArbeiterInnenpartei, die sich auf die gewerkschaftliche und betriebliche Militanz stützt. Doch hätte eine solche Partei  nicht nur auf gewerkschaftlicher Ebene die US-Bourgeoisie bekämpfen müssen, sondern beispielsweise auch  den dem New Deal  inhärenten Rassismus. Sie hätte den New Deal als das betrachten müssen, was er war  – ein Programm zur Rettung des US-Imperialismus. Daher hätte eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei vor allem auch die US-amerikanische imperialistische Politik bekämpfen müssen. Genau dies taten die Gewerkschaften und vor allem ihre Führungen nicht. Spätestens mit dem Kriegseintritt wurden sie zu patriotischen Verteidigerinnen des demokratischen Imperialismus und seiner Weltmachtambitionen.

Und die heutigen ParteigängerInnen des ND wollen von all dem nicht nur nichts wissen. Sie stellen vielmehr die politische Unterstützung Roosevelts als vorbildlich hin. Sie behaupten nämlich, dass es möglich wäre, den bürgerlichen Staat zu Reformen für die ArbeiterInnenklasse zu nutzen und den Einfluss des Kapitals zurückzudrängen.

So wird der damalige Opportunismus auch heute gefeiert, während die Kritik am New Deal als „Sektierertum“ gebrandmarkt wird. Dafür reicht schon, den New Deal als bürgerliches Programm zur Rettung des Kapitalismus zu charakterisieren, wie es die TrotzkistInnen und RätekommunistInnen und sogar die stalinisierte KP in den 1930er Jahren taten.

Das Abfeiern des New Deal soll vor allem darauf einstimmen, dass seine grüne Neuauflage, sollte sie je verwirklicht werden, ähnliche Bündniskonstellationen erfordern wird.

Der bürgerliche GD/GND

Staats- und Regierungschefs wie Biden, von der Leyen, Scholz, Macron oder Xi eignen sich allerdings nicht gut als zeitgenössische Roosevelts. Das ficht die VertreterInnen des GND aber nicht oder nur bedingt an. Schließlich schwankte auch die US-Regierung in den 1930er Jahren und musste durch Gewerkschaften und Druck von unten zum Handeln gezwungen werden. Von den US-DemokratInnen, von der europäischen Sozialdemokratie oder den Grünen mag zwar keine konsequente sozialökologische Transformation erwartet werden. Aber wenn es eine linke Partei oder Bewegungen gäbe, die genügend gesellschaftlichen Druck entfalteten, könnten sie zum „vernünftigen“ Handeln gedrängt werden und der bürgerliche Staat zu einem Instrument sozialer und ökologischer Transformation mutieren.

Schließlich erkennen mittlerweile fast alle Regierungen und auch zahlreiche führende UnternehmensvertreterInnen die Realität der ökologischen Probleme an – und damit scheinbar auch die Notwendigkeit des Handelns. Vor diesem Hintergrund, so die Kalkulation der AnhängerInnen eines „echten“ Green New Deal, könnten auch die EU-Kommission, die Regierungen Deutschlands und der USA vom fossilen Saulus zum nachhaltigen Paulus mutieren. Wer lieber auf den chinesischen Imperialismus als alternatives Modell staatsinterventionistischer Politik setzt, kann seine Hoffnungen auf die Erneuerungspläne Pekings projizieren, auch wenn diese zur Zeit noch in den Kohlegruben des Landes lagern.

In diesem Abschnitt wollen wir daher kurz die proklamierten Klimaziele und Strategie der wichtigsten imperialistischen Regierungen oder Staatenbündnisse wie der EU sowie der Grünen skizzieren, um deren wesentliche Aspekte herauszuarbeiten.

USA

Zuerst betrachten wir das Programm der USA. Nach seiner Wahl zum Präsidenten verkündete Joe Biden bekanntlich eine Wende in der Klimapolitik. Auch auf diesem Gebiet wolle das Land nach den Jahren unter Trump wieder zum Vorreiter werden.

So verkündete er ein massives zwei Billionen US-Dollar schweres Programm, das  verschiedene Bereiche der US-Wirtschaft stimulieren und die Beschäftigung erhöhen soll. Einen damit verbundenen Teil bildet auch der „Clean-Energy Plan“. Insgesamt sah das Biden-Programm ursprünglich vor:

  • Die US-Infrastruktur soll massiv aufgebaut werden: Straßen und Brücken, Wasserversorgungssysteme, Strom- und Breitbandnetze sollen saniert oder verbessert werden.
  • Eine Million Jobs sollen in der Autoindustrie und bei ihren ZuliefererInnen geschaffen werden, dabei liegt der Schwerpunkt auf Elektroautos.
  • Alle Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern sollen mit emissionsfreien öffentlichen Transportmitteln ausgestattet werden.
  • Millionen Arbeitsplätze sollen auch durch Investitonen in den Energiesektor geschaffen werden, der bis 2035 saubere Energie „made in America“ ohne Emissionen erreichen soll.
  • Investitionen in die energetische Sanierung von vier Millionen Gebäuden und der Bau von 1,5 „Millionen nachhaltigen“ Häusern und Wohnungen sollen zur Jobmaschine werden.[ix]

Auf den ersten Blick erscheint das ursprünglich geplante Programm Bidens sehr umfangreich. Rund die Hälfte der im sog. Recovery Act anvisierten 2 – 2,7 Billionen US-Dollar sollten zur Umrüstung der US-Wirtschaft auf Klimaneutralität verwendet werden. Die Summe erscheint jedoch schon deutlich geringer, wenn man bedenkt, dass die Ausgaben über 8 Jahre verteilt werden. Aufgrund des Widerstandes der RepublikanerInnen und der Konzession der neuen Administration ist mittlerweile die Hälfte schon kassiert, aus über zwei Billionen wurde eine. Ähnliches gilt, nebenbei bemerkt, für die Sozial- und Arbeitsbeschaffungsprogramme.

Vergessen wird zudem, dass der Umfang des Umweltprogramms weit hinter dem zurückbleibt, was ÖkonomInnen für notwendig halten, um eine Volkswirtschaft von der Größe der USA bis 2050 umzurüsten, nämlich rund 5 – 7 % des BIP pro Jahr. Das Biden-Programm kommt hier dem Topfen auf den heißen Stein gleich:

„Großzügig geschätzt, ist etwa die Hälfte der zwei bis 2,7 Bill. für die Bewältigung der Klimakrise bestimmt. Verteilt man eine bis 1,3 Bill. über acht Jahre, kommt man auf etwa 0,5 Prozent des derzeitigen Bruttoinlandsprodukts jährlich. Das liegt weit unter jeder vernünftigen Schätzung des für die Dekarbonisierung benötigten Investitionsvolumens. Das Lager von Bernie Sanders verlangte, unterstützt von der 350.org-Kampagne des Aktivisten Bill McKibben, 16,3 Bill. Dollar. Die Thrive-Act-Initiative, die von Gruppen aus dem Umfeld des Green New Deal unterstützt wird, fordert zehn Bill. Dollar, von denen achtzig Prozent vor allem der Klimapolitik zufließen sollen.“[x]

Vergleicht man außerdem die konkreten Reformvorhaben der US-Regierung, so fällt auf, dass sie auf vielen Gebieten weit hinter ihren imperialistischen RivalInnen zurückliegen und wohl auch weiter zurückfallen werden – selbst wenn Bidens Pläne umgesetzt würden. Dazu 2 Beispiele:

  • China verfügt über ein Hochgeschwindigkeitsnetz für Züge in der Länge von 19 000 Kilometern, die USA über eines von – 500 Kilometern! Selbst wenn das gesamte Biden-Programm für den Ausbau der Schiene verwendet würde, würde das nicht reichen, um China einzuholen.
  • Für die Umstellung auf E-Autos plant die US-Regierung, bis Ende 2030 im ganzen Land 500 000 Ladestationen zu errichten. Das scheint viel, ist aber wenig im Vergleich zu China (3 Millionen) oder Deutschland (eine Million). Lassen wir einmal den problematischen Charakter der E-Mobilität als „Lösung“ der Verkehrsproblematik beiseite, so lässt sich anhand solcher Zahlen ermessen, wie ernst es der US-Regierung mit dem Ausstieg aus den fossilen Energieträgern wirklich ist.

Da sich die Regierung Biden nicht einmal im begrenzten Maße wie einst Roosevelt mit US-Unternehmen anlegen will und sie fürchten muss, die Mehrheiten im Kongress und Senat bei den Wahlen 2022 zu verlieren, sind große Taten auf diesem Gebiet wie bei anderen Reformvorhaben nicht zu erwarten.

Die „Lösung“ des Problems? Ganz einfach: Die staatlichen Ausgaben sollen nur einen Bruchteil der Summen ausmachen, die in „grüne“ Anlagen fließen. Sie sollen gewissermaßen nur als Funke wirken, der ein regelrechtes Investitionsfeuerwerk entfachen soll. Die staatlichen Ausgaben würden so als Multiplikatorinnen wirken – und schon löst sich das ganze Problem. Wer braucht schon Staatsintervention, wenn Kredite und Finanzmärkte für die notwendigen Investitionen zur Entwicklung neuer, grüner Märkte sorgen sollen?

Es bleibt also entweder die Hoffnung darauf, dass es ausgerechnet die Finanzmärkte richten. Damit diese nicht zuerst stirbt, muss die Regierung allerdings nachhelfen. Sie muss garantieren, dass die nachhaltige Investition vor allem profitabel, genauer profitabler ist als jene in traditionelle, auf fossilen Trägern basierende Produktion.

Das ist nicht nur von ökologischer Nachhaltigkeit weit entfernt. Es stößt auch beständig an die Grenzen der aktuellen Akkumulationsdynamik des Kapitalismus. Die chronische Überakkumulation von Kapital ist es ja gerade, die Investitionen in spekulative Anlagen, in Finanzgeschäfte fließen lässt. Die InvestorInnen und großen Player auf diesen Anlagemärkten vergleichen Gewinnerwartungen zwischen den einzelnen Sphären, um eine möglichst hohe und möglichst sichere Rendite einzufahren. Damit das Kapital also in ökologische Modernisierung fließt, müsste diese daher, wie bei jeder anderen Anlagesphäre, mit überdurchschnittlichen Gewinnerwartungen aufwarten. Dies wiederum erfordert Expansion, wachsenden Markt und hohe Ausbeutungsraten in der sog. Zukunftsbranche.

Gigantische Investitionen in erneuerbare Energien, in Infrastruktur usw., die über den Finanzmarkt vorfinanziert werden, werden zudem logischerweise zum spekulativen Markt, der alles Mögliche bewerkstelligen mag – aber sicher keine gezielte, effektive und ressourcensparende ökologische Umrüstung, weil die stoffliche Seite der Investition wie im Kapitalismus allgemein, so auf den Finanzmärkten in besonders drastischer Form, nur Mittel zum Zweck ist.

Hinzu kommt außerdem, dass eine Umrüstung der gesamten US-Wirtschaft auf „Nachhaltigkeit“ notwendigerweise das Ende oder wenigstens die Reduktion ganzer Produktionszweige (Öl, Gas, Bergbau) bzw. die Umstellung ganzer Sektoren usw. erfordern würde. Unter privatkapitalistischen Bedingungen schließt das die Vernichtung von bestehendem Kapital ein. Und das will die Regierung Biden nicht, jedenfalls nicht in den USA. Ökologische Erneuerung ist gut, aber sie darf die Profite der großen US-Kapitale – und das heißt natürlich auch der Ölmultis, der Autoindustrie usw. – nicht beschneiden. Ebenso wenig soll die internationale Konkurrenz die US-Konzerne auf dem Gebiet neuer, grüner Technologien ausstechen. Daher führt eine ökologische „Runderneuerung“ der KonkurrentInnen auf dem Weltmarkt gerade unter den aktuellen Bedingungen unvermeidlich zu einem ruinösen Wettbewerb zwischen den verschiedenen nationalen Kapitalen darum, wer bei der Neuorganisation des Weltmarktes die Nase vorn hat. Dieser muss nicht nur früher oder später zur Vernichtung der auf dem Markt unterlegenen Konkurrenz oder zur Austragung ebendieser mit außerökonomischen Mitteln führen, sondern resultiert logischerweise in einer Überakkumulation in diesen Sektoren samt Überproduktion, da unter Bedingungen der kapitalistischen Konkurrenz nicht in das ökologisch sinnvollste oder nachhaltigste Produkt, sondern in das mit den größten Profiterwartungen investiert wird.

Selbst wenn das Biden-Programm zum Klimaschutz voll umgesetzt würde, würde es am anarchischen Charakter des Kapitalismus nichts ändern, würde es in vielfacher Hinsicht das Problem verschärfen und den Output der US-Wirtschaft weiter erhöhen – also die ökologischen Folgewirkungen weiter verschärfen.

EU

So wie die US-Regierung ihren Green Deal hat, so auch ihre Konkurrenz. Unter der Kommissionspräsidentin von der Leyen erklärte die Europäische Union den Green Deal zur eigenen Kernstrategie. Getragen wird er von einer ganz großen Koalition aus Konservativen, Liberalen, Grünen und Sozialdemokratie. Folgen wir der Selbstdarstellung der Kommission, so liest sich das folgendermaßen:

„Klimawandel und Umweltzerstörung sind existenzielle Bedrohungen für Europa und die Welt. Mit dem europäischen Grünen Deal wollen wir daher den Übergang zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft schaffen, die

  • bis 2050 keine Netto-Treibhausgase mehr ausstößt,
  • ihr Wachstum von der Ressourcennutzung abkoppelt,
  • niemanden, weder Mensch noch Region, im Stich lässt.

Der europäische Grüne Deal führt uns auch aus der Corona-Krise: Ein Drittel der Investitionen aus dem Aufbaupaket NextGenerationEU und dem Siebenjahreshaushalt der EU mit einem Umfang von insgesamt 1,8 Billionen EUR fließt in den Grünen Deal.“[xi]

Wie alle grünen Wirtschaftsprogramme fehlt es auch bei jenem der EU nicht an philanthropischen Beschwörungsformeln. Niemand soll im Stich gelassen werden: Davon können nicht nur die Geflüchteten  an den EU-Außengrenzen ein Lied singen, sondern auch Millionen Arbeitslose und prekär Beschäftigte.

Wie die US-Regierung setzt auch die EU auf die Hebelwirkung ihres Förderprogramms, um Investitionen in den Umweltsektor zu fördern. Mit der Taxonomie-Verordnung vom 18. Juni 2020 wurde die weltweit erste „grüne Liste“ für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten geschaffen, gewissermaßen ein offizielles Gütesiegel für Anlagen mit wirklichen oder jedenfalls behaupteten positiven Klima- und Umweltauswirkungen. Darüber hinaus hat die EU auch einen Fonds von 150 Milliarden Euro aufgelegt, um Regionen mit überdurchschnittlich hohem Verbrauch fossiler Energie den Übergang zu nachhaltigen zu subventionieren.

Anders als das aktuelle Biden-Programm setzt die EU auf die CO2-Bepreisung, um über diesen Mechanismus Konsum und Investitionen in grüne Produkte und Wirtschaftszweige zu stimulieren.

Ähnlich wie die USA – und alle anderen imperialistischen Staaten mit einem riesigen Kapitalstock – steht freilich auch die EU vor dem gigantischen Problem, die eigenen industriellen Konzerne und die Infrastruktur auf „Nachhaltigkeit“ umzurüsten. Dabei sollen die bestehenden Kapitalien nicht nur erhalten, sondern möglichst auch noch zu WeltmarktführerInnen in den neuen, grünen Branchen entwickelt werden.

Fazit

Alle Programme zur Erreichung der Klimaziele (Green Deal … ) der Großmächte – und das gilt auch für China, Japan oder andere imperialistische Konkurrenz von USA und EU – sind wesentlich solche zur Erneuerung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals der jeweiligen Nationen oder Blöcke. Sie unterscheiden sich natürlich angesichts der verschiedenen Herrschaftsformen, inneren Kräftekonstellationen und historischen Voraussetzungen, der Zusammensetzung der jeweiligen Kapitale wie auch ihrer Stellung in der globalen Konkurrenz.

Bei der grünen Erneuerung geht es daher vor allem darum, das eigene nationale Kapital so umzustrukturieren, dass es sich als produktiver und konkurrenzfähiger als die anderen erweist, es seine Stellung auf den internationalen Märkten ausbaut – und das notwendigerweise auf Kosten der anderen.

Daher sind alle Programme des Green Deal wesentlich nationale Wirtschaftsprogramme – nicht bloß in dem Sinne, dass ein Nationalstaat die Rahmenbedingungen( gesetzlichen Rahmen und Regularien für eine Umstrukturierung der Wirtschaft) setzt, überwacht oder  ökologisches Handeln mit wirtschaftlichen Anreizen oder Sanktionen herbeizuführen trachtet. Vor allem geht es darum, dass sich die jeweiligen Großkapitale als führende, als Champions auf dem Weltmarkt bewähren, also die Konkurrenz aus den anderen Blöcken übertreffen.

Die Aufgabe des imperialistischen Staates (oder eines Staatenbundes) besteht darin, genau diese überlegende Konkurrenzfähigkeit herzustellen und das Zurückbleiben der eigenen großen Konzerne zu verhindern. Solange die Aussicht auf eigene Überlegenheit besteht, erscheint der Green Deal als Zukunftskonzept für das Gesamtkapital. Doch genau aus denselben Gründen muss früher oder später auch auf die Bremse getreten werden. Die Rettung der Erde soll schließlich nicht auf Kosten des eigenen Kapitals oder der eigenen imperialen Ambitionen gehen. Besser ist es, in der fossilen Hölle zu herrschen, als im nachhaltigen Himmel zu dienen.

Vor dem Hintergrund struktureller Überakkumulation, einer verschärften Konkurrenz auf dem Weltmarkt und eines Kampfes um die Neuaufteilung der Welt kann von einem ausgewogenen, geplanten Umbau der Ökonomie im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit erst recht nicht die Rede sein.

Im Gegenteil. Die Fragen der Dominanz der Ökonomie und des Weltmarktes sowie der Halbkolonien durch das Großkapital (neuer Formen des Finanzkapitals, Großindustrie, Multis, Agrarkonzerne) taucht im kapitalistischen ökologischen Diskurs selbst als Aspekt imperialistischer Politik, der Sicherung grüner Rohstoffe und als Investitionsprojekt auf. Die Verpreisung der Umweltpolitik, der Zertifikathandel, ist dafür nur ein Beispiel.

Die Hilfen für die ärmsten Länder, die eigentlich 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr betragen sollen, existieren bis heute nur auf dem Papier. Wo es welche auf bilateraler Ebene gibt, nehmen sie die Form von Almosen oder Exportförderung für InvestorInnen aus den finanzstarken Ländern an.

Alle Ideologien bürgerlicher Umweltpolitik kennzeichnet eine Abstraktion von den grundlegenden gesellschaftlichen Widersprüchen des Kapitalismus. Dessen innerer Zwang zur immer größeren Aneignung fremder Arbeit zur Vermehrung des Profits, der daraus resultierenden stetigen Ausdehnung des Kapitals und damit auch der Produktionsmittel und des Outputs spielt nicht nur keine Rolle. Er muss notwendigerweise negiert werden, beispielsweise in Phantasien von einem kapitalistischen Wachstum ohne Ausdehnung der Produktion und Ausbeutung. Dies mag zwar für einige Zeit in Form der Ausweitung fiktiven Kapitals möglich sein. Grundsätzlich ist das auf dem Boden des Kapitalismus aber ausgeschlossen. Da der ganze Zweck der Produktion und jeder anderen wirtschaftlichen Tätigkeit für das Kapital darin besteht, sich Mehrwert in Form von Profit anzueignen, dessen Rate und Masse zu erhöhen, bedarf es notwendigerweise auch der stetigen Suche nach neuen Feldern zur Ausbeutung der Lohnarbeit. Da mehr Lohnarbeit aber ohne mehr und neue Produktionsmittel nicht in Bewegung gesetzt werden kann, müsste das Kapital dem eigentlichen Zweck seiner Betätigung entsagen, müsste aufhören, Kapital zu sein.

Die IdeologInnen des Green Deal müssen daher notwendigerweise nicht nur das Wesen des Kapitalismus negieren. Sie müssen die Frage der Nachhaltigkeit letztlich als technische begreifen, als Frage der Innovation, der „richtigen“ Lenkung von Angebot und Nachfrage. Rezessionen, Einbrüche, ja selbst die Umweltzerstörung gelten allenfalls als Exzesse, als Betriebsunfälle der Marktwirtschaft, der es mit etwas staatlicher Unterstützung und richtigem Konsumverhalten auf die Sprünge zu helfen gelte. Der Kapitalismus gilt einfach als die natürliche und beste Ordnung der Welt, die nur noch besser und so nachhaltig gemacht werden soll, dass sie ewig hält.

Allenfalls braucht es ergänzende Maßnahmen der Steuerpolitik, der sozialen Abfederung, um die Ärzte und Ärztinnen am Krankenbett des Kapitalismus, die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften, an Bord zu halten.

Wie auch der New Deal stellt der Green Deal ein Programm zur Rettung des Kapitals dar. Wie der New Deal stellt er ein nationales Programm dar. Internationale Zusammenstöße und der Kampf um die Kosten der Klimakatastrophe bilden dabei einen integralen Bestandteil der imperialistischen Dominanz der ärmeren Länder wie auch der imperialistischen Konkurrenz.

Anders als der New Deal vermag der Green Deal wie jedes kapitalistische Umweltprogramm jedoch eines nicht: Das Problem, das er zu lösen vorgibt, irgendwo zu meistern. Der New Deal bzw. das Akkumulationsmodell, auf das er sich bezog, konnten nach der Etablierung des Nachkriegsordnung zu für mehrere Weltmarktzyklen dominierenden Modellen werden (Sozialstaat), weil es mit den Akkumulationsbedingungen des Kapitals nicht nur vereinbar war, sondern für eine bestimmte Periode sogar ermöglichte, die kapitalistische Expansion auf der Basis des relativen Mehrwerts mit einer Ausdehnung des Konsums der ArbeiterInnenklasse zu vereinbaren. Unter bestimmten, historischen Voraussetzungen erwies sich dieses Akkumulationsregime sogar als das günstigste für das Gesamtkapital der wichtigen imperialistischen Länder. Mit dem Ende des sog. langen Booms und mit der Krise der frühen 1970er Jahre ist diese Phase jedoch unwiederbringlich vorbei.

Der New Deal erwies sich für eine bestimmte Periode vor allem als ein Instrument, die Akkumulationsbedingungen des Kapitals zu verbessern. Diese Komponente inkludiert auch der Green Deal.

Sie steht aber in einem unauflösbaren Widerspruch zum eigentlich proklamierten Ziel ökologischer Nachhaltigkeit. Diese ist, wie oben kurz skizziert, auf der Basis einer kapitalistischen Marktwirtschaft grundsätzlich unmöglich. Die kann nicht einfach besser reguliert werden. Sie muss vielmehr durch eine demokratische Planwirtschaft ersetzt werden. Nur so können eine globale Wirtschaftsweise gemäß den Bedürfnissen der Menschen und eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft reorganisiert werden. Ziele und Umfang der gesellschaftlichen Gesamtarbeit müssen und können unter diesen Voraussetzungen bewusst bestimmt, das Was und Wie von Produktion und Reproduktion so festgelegt werden, dass die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit reproduziert werden können. Dazu ist der Kapitalismus grundsätzlich nicht in der Lage.

Das Programm der Grünen

Als Beispiel der ideologischen Verkleisterung wollen wir nicht liberale, konservative Umweltpolitik heranziehen, sondern das Wahlprogramm der deutschen Grünen.

Unter dem Titel „Deutschland. Alles ist drin.“[xii] versprechen sie nicht nur eine Klimaregierung und eine Kanzlerin, sondern auch allen Klassen und Schichten das Blaue vom Himmel.

Das erste Kapitel „Lebensgrundlagen schützen“ stellt uns einen klimagerechten Wohlstand, Versorgungssicherheit mit Erneuerbaren, nachhaltige Mobilität, ein gutes Leben für alle sowie eine Stärkung von Bauern, Bäuerinnen und deren Tieren in Aussicht. Diese Versprechungen werden in weiteren Abschnitten auf allen möglichen Ebenen ergänzt. So wollen die Grünen für faire Löhne und Gehälter sorgen, Kinder, Jugendliche und Familien fördern, Gerechtigkeit zwischen  Geschlechtern schaffen und soziale Netzwerke sichern.

Gleichzeitig wollen sie Unternehmensgeist, Wettbewerb und Ideen stimulieren, dem Markt einen sozialökologischen Rahmen verleihen, die Digitalisierung voranbringen, die Finanzmärkte stabiler und nachhaltiger gestalten sowie die Wirtschafts- und Währungsunion vollenden.

Mehr als alle anderen stehen die Grünen für ein Konzept zur Überwindung der gegenwärtigen Krise: den Green New Deal. Diese „sozialökologische Transformation“ soll nicht weniger leisten als die Lösung der wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und demokratischen Herausforderungen unserer Zeit. Dazu müssten nur alle anpacken und von den Grünen lernen: „Als Gesellschaft haben wir den Schlüssel für so vieles schon in der Hand. Wir wissen, wie man eine Industriegesellschaft sicher ins Zeitalter der Klimaneutralität führt. Wie man dafür den Kohleausstieg beschleunigt und Versorgungssicherheit gewährleistet, wie viel mehr Strom aus Wind und Sonne gewonnen werden kann. Wir wissen, wie man eine sozialökologische Marktwirtschaft entwickelt, die zukunftsfähige Jobs, sozialen Schutz und fairen Wettbewerb in Deutschland und Europa zusammenbringt, wie man der Globalisierung klare Regeln setzt und Tech-Konzerne angemessen besteuert. ( … ) Wir sind in der Lage und fest entschlossen, Europa als Wertegemeinschaft demokratisch zu stärken und im globalen Systemwettbewerb gerechter und handlungsfähiger zu machen.“[xiii]

Die Frage, ob eine sozialökologische Umgestaltung im Kapitalismus an Systemgrenzen stößt, stellt sich für die Grünen im Unterschied zu linkeren Versionen des Green New Deal erst gar nicht. Kein Wunder also, dass die Umverteilungsvorschläge, also die soziale Komponente des Deals, auf den 137 Seiten des Programms dünn und vage ausfallen.

So versprechen die Abschnitte zu Arbeit, Löhnen und sozialen Netzen wenig mehr, als dass alles „sozialer werden“ solle. Hartz IV soll zwar durch eine „Grundsicherung“ ersetzt werden, über deren Höhe schweigen sich die Grünen aber aus. Das Rentenniveau soll auf gerade 48 % gehalten werden, das Renteneintrittsalter bei 67 Jahren festgeschrieben bleiben, also beim erreichten Stand an Verschlechterungen der Großen Koalition. Der Mindestlohn soll auf gerade mal 12 Euro angehoben werden. Armut verhindert das Programm der Grünen trotz gegenteiliger Beteuerung also längst nicht.

Statt einer generellen Arbeitszeitverkürzung soll Vollbeschäftigung durch einen flexiblen Arbeitszeitkorridor von 30 – 40 Stunden pro Woche erreicht werden, ohne Lohnausgleich natürlich. Damit das alles auch weiter friedlich und reguliert über die Bühne geht, soll die SozialpartnerInnenschaft gestärkt werden. Schließlich versprechen die Grünen zur Milderung der Wohnungsnot neben einer Zügelung der Wohnungsspekulation und „fairen Mieten“, ganz wie alle tradierten bürgerlichen Parteien, die Erleichterung des Erwerbs von Wohneigentum.

Betrachten wir die sozialen Versprechungen, entpuppen sich jene der Grünen als bescheidener als jene des sogenannten ArbeitnehmerInnenflügels von CDU/CSU. Die Armen sollen etwas weniger arm werden – darin erschöpft sich die grüne Transformation. Andere Forderungen nach sozialer Absicherung oder nach Ausbau des Bildungswesens, Verbesserung der Digitalisierung usw. sind vor allem Versprechungen gegenüber bessergestellten Teilen der Lohnabhängigen und den bildungsbürgerlichen Mittelschichten, also der Kernklientel der Grünen, und natürlich auch dem Kapital, das besser qualifizierte Arbeitskräfte braucht.

Noch unbestimmter und zahmer erweisen sich die Umverteilungsforderungen gegenüber Kapital und VermögensbesitzerInnen. Neben allgemeinen Beschränkungen von Exzessen der Spekulation und Profitmacherei geht es vor allem darum, dass die Reichen einen gerechten, wenn auch nicht übertrieben hohen Anteil an der sozialökologischen Umgestaltung leisten.

So soll klimaschädliches Verhalten von ProduzentInnen und KonsumentInnen nicht weiter subventioniert werden, was in einem ersten Schritt die Staatsausgaben um jährlich 10 Milliarden Euro reduzieren soll. Des Weiteren sollen mit Steuergeldern umsichtig umgegangen und die Vergabe von öffentlich-privaten Partnerschaften transparenter gestaltet werden.

Die Schuldenbremse soll reformiert werden, um den Spielraum für Staatsausgaben zur Steigerung von Konsum und Zukunftsinvestitionen in Ökologie, Bildung und Digitalisierung zu erleichtern. Der Spitzensteuersatz soll außerdem auf bis zu 48 % angehoben werden, würde also noch immer deutlich geringer als unter Helmut Kohl liegen. Außerdem soll für alle Vermögen von über 2 Millionen Euro eine Vermögensteuer von jährlich 1 % erhoben werden. Selbst davon ist bei den Koalitionsverhandlungen nichts geblieben. Zittern muss das Kapital also nicht, zumal auch Begünstigungen für Betriebsvermögen im verfassungsrechtlich erlaubten und wirtschaftlich gebotenen Umfang eingeführt werden sollen. Fazit des Ganzen: Die Reichen sollen etwas weniger reich werden.

Die Klassenspaltung der Gesellschaft kommt im Programm wie generell bei den Grünen überhaupt nicht vor. Sie erscheint erst gar nicht als Realität, daher auch nicht als Problem. Auch die Kluft zwischen Arm und Reich wird als solche nicht Frage gestellt. Die Grünen stört nur, dass sie mittlerweile zu groß wird – so groß, dass sie den „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ gefährde. Dadurch würden nämlich die Demokratie, der soziale Frieden und die Möglichkeit eines „vernünftigen“, von allen akzeptierten Ausgleichs der verschiedenen gesellschaftlichen Interessen untergraben. Doch genau ein solches Mindestmaß an Harmonie scheint der Partei notwendig, um auch den ökologischen Umbau „vernünftig“ zu gestalten und „alle mitzunehmen“.

An mehreren Stellen des Wahlprogramms wird der Green New Deal als neue Wirtschaftsweise verkauft. Jedoch Kritik am Kapitalismus oder an der Warenproduktion ist damit nicht gemeint.

Die neue Wirtschaftsweise soll allerdings klimaneutral sein. Erreicht werden soll das im Wesentlichen durch eine endlich konsequente Umsetzung der internationalen Vereinbarungen zum Klimaschutz und des Grünen Deals, den die EU-Kommission zu implementieren versucht. Während linkere Spielarten des Green New Deal – z. B. das Wahlprogramm der britischen Labour Party unter Corbyn – auch die Verstaatlichung strategischer Wirtschaftsbereiche inkludieren und anerkennen, dass ein ernsthafter ökologischer Umbau nur gegen mächtige Kapitalinteressen durchsetzbar wäre, wollen die Grünen den Konzernen und Banken vermitteln, dass eine ökologische Umgestaltung der Wirtschaft auch in ihrem längerfristigen ökonomischen Interesse läge. Sie präsentieren sich dabei als bessere, weitsichtigere SachwalterInnen der Gesamtinteressen des deutschen und europäischen Kapitals.

Diesem soll die Investition in die sozialökologische Transformation schmackhaft gemacht werden. Da das Kapital aber noch nicht nach Wunsch in diese Branchen strömt, müsse dem freien Spiel der Marktkräfte auf die Sprünge geholfen werden. Auf technologischer Ebene erscheint den Grünen dabei das Problem im Grunde schon als gelöst. Die Unternehmen müssten bloß dazu ermutigt werden, in enger Kooperation mit einer Regierung zu handeln, die sich dem Green New Deal verschrieben hat.

In dieser Politik finden sich Elemente des Keynesianismus wieder: Einerseits sollen Produktion und Konsum von ökologisch schädlichen Gütern durch den Abbau von Subventionen und durch Preissteigerungen (Ökosteuern; CO2-Preis) verteuert werden, so dass nicht nur die Unternehmen solcher Branchen Gewinneinbußen hinnehmen, sondern auch die KäuferInnen ihrer Produkte (also bei Konsumgütern vor allem die Lohnabhängigen) höhere Preise zahlen müssten.

Andererseits sollen steuerfinanzierte Programme zur ökologischen Erneuerung der Wirtschaft das Kapital in die gewünschten Sphären lenken. Dabei setzen die Grünen auf eine Stärkung der europäischen Kooperation und ein großes Investitionsprogramm, um „etwa gemeinsame europäische Energienetze oder ein Schnellbahnnetz“ zu finanzieren. Außerdem soll der Euro als internationale Leitwährung gestärkt werden, auch um zusätzliche InvestorInnen anzuziehen. Wie sehr dabei die Politik der Grünen von den Interessen des deutschen Großkapitals durchdrungen ist, verdeutlichen zwei Passagen:

„Jetzt braucht es Entschlossenheit und Zusammenarbeit, damit unsere Autobauer in Zukunft wieder die Nase vorn haben. Klar ist: Der fossile Verbrennungsmotor hat keine Zukunft. Wir wollen ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos neu zulassen. Wir unterstützen bei Forschung und Innovation und sichern einen schnellen Aufbau der Ladesäuleninfrastruktur und eine weitere Förderung des Markthochlaufs von emissionsfreien Fahrzeugen zu. Aktuell haben Deutschland und Europa den Anschluss bei der Batteriezellenproduktion und damit viel Wertschöpfung verloren. Das darf sich bei den Batterien der nächsten Generation, die günstiger und ressourcensparender sind, nicht wiederholen. Wir wollen Europa zum Weltmarktführer einer ökologischen Batteriezellenproduktion machen.“[xiv]

Und weiter: „Um kritische Abhängigkeiten zu verringern, soll die EU-Kapazität im Bereich der Halbleitertechnologie wie von der EU-Kommission vorgeschlagen auf 20 Prozent der weltweiten Produktion ausgebaut werden. Das gilt vor allem für die Bereiche, in denen wir bei der Halbleitertechnologie für industrielle Anwendungen bereits eine starke europäische Stellung haben oder in denen eine besonders dynamische zukünftige Entwicklung zu erwarten ist.“[xv]

Bei allem kleinbürgerlichen Gedöns über Menschlichkeit, Zusammenhalt, Gerechtigkeit und sonstigen Phrasen präsentieren die Grünen hier ein Programm für den deutschen Imperialismus und eine in seinem Interesse vollendete EU. Diese soll zu einem Bollwerk im Kampf bei der Neuaufteilung der Welt werden, die in der grünen Ideologie zur sozialökologischen Vorreiterrolle Europas verbrämt wird.

Anders als rein neoliberale DoktrinärInnen erkennen die Grünen dabei an, dass es staatlicher Intervention bedarf, wenn ein solches Programm Wirklichkeit werden soll, dass der deutsche Staat und die EU im längerfristigen Interesse des Gesamtkapital als GeburtshelferInnen der Transformation der technischen Basis des Kapitals wirken müssen. Der soziale Anstrich dieser Politik erscheint darüber hinaus rational, weil eine zu große Vertiefung der sozialen Kluft der Gesellschaft das Projekt noch zusätzlich erschweren würde. Daher sollen die ärgsten Auswüchse des Neoliberalismus auch abgemildert werden. Schließlich lässt sich das Programm der kapitalistischen Ökotransformation auch besser verkaufen und gegen andere bürgerliche Kräfte und gesellschaftliche Opposition durchsetzen, wenn man es mit viel sozialer und demokratischer Tünche lackiert.

So wie die Interessen der deutschen Autoindustrie und anderer Konzerne offen benannt werden, so erinnert der Abschnitt „Klimaaußenpolitik“ sehr an klassischen, verlogenen Imperialismus:

„Sie bedeutet zum einen, dass wir Europäer*innen unseren Bedarf an grüner Energie durch Klimapartnerschaften decken helfen: grüner Wasserstoff statt Öl- und Gasimporte. Andererseits werden wir so endlich unserer historischen Verantwortung gerecht, indem wir Elektrifizierung und Technologietransfers insbesondere in afrikanischen Ländern vorantreiben und den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien in diesen Ländern unterstützen. Nur so können wir es schaffen, global auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen.“[xvi] Am deutschen (und europäischen) Kapitalexport soll also die Welt genesen. Der Imperialismus wird so endlich wieder seiner Verantwortung gerecht. In der Vergangenheit mag er Afrika geplündert haben, jetzt macht er es nachhaltig. Die imperialistische Ausbeutung wird bei der sozialökologischen Transformation mit neuen Phrasen beschönigt. Die Realität dieser Politik zeigt der EU-Afrika-Pakt, der seit Jahren im Interesse der europäischen Konzerne vorangetrieben wird, um sich Zugang zu strategisch wichtigen Rohstoffen, Investitionen und Märkten zu sichern. Zugleich bildet er einen Teil der europäischen Strategie, um im neuen Wettlauf um Afrika den USA und China Paroli bieten zu können. In der grünen Ideologie hingegen erscheint diese klassisch imperialistische Politik des europäischen Finanzkapitals als „Win-win“-Situation, ganz so wie die bürgerliche Wirtschaftstheorie immer gerne die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Metropolen und Peripherie als Vorteil für alle verklärt hat.

Die sozialökologische Transformation der Grünen erweist sich weder als sozial noch als ökologisch. Sie entpuppt sich vielmehr als Programm zur Umstrukturierung des deutschen Kapitals. Wie ökologisch das Ganze ist, zeigt der Schulterschluss mit der deutschen Autoindustrie. Die Grünen setzen auf E-Mobilität im privaten, vorgeblich klimaneutralen Pkw. Wenn notwendig, werden dafür auch Wälder gerodet und unsinnige, aber höchst profitable Autobahnbauten durchgesetzt wie zur Zeit im Dannenröder Wald. Was die Grünen für Deutschland und Europa versprechen, führt schon jetzt Kretschmann in Baden-Württemberg vor.

An der kapitalkonformen Ausrichtung lässt das Programm der Grünen keinen Zweifel übrig. Es wird aber nicht nur den ökologischen, geschweige denn den sozialen Fragen unserer Zeit nicht gerecht. Die Grünen skizzieren auch ein alternatives, imperialistisches Programm. Damit werden sie zu einer Option für die deutsche Bourgeoisie. Die Ampel schaltet auf Grün – freie Ökofahrt für das deutsche Kapital.

Linksbürgerliche, populistische und kleinbürgerliche Kritik

Vom bürgerlichen Green (New) Deal heben sich deutlich all jene Spielarten des GND ab, die ihn in ein Gesamtkonzept sozialer und globaler ökologischer und sozialer Transformation einbetten. Oft wird dieses Plädoyer mit einer teilweise recht beißenden und treffenden Kritik bürgerlicher Umweltpolitik und einer engagiert vorgetragenen am neoliberalen Kapitalismus verbunden.

Für diesen Flügel der Umweltbewegung steht u. a. Naomi Klein, eine der meistgelesenen AutorInnen dieser Richtung mit den Büchern wie „Kapitalismus vs Klima“[xvii] (2015) und „Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann“[xviii](2019). Kernthesen dieser Publikation wollen wir im Folgenden einer Kritik unterziehen, weil darin grundlegende Konzepte dieser politisch kleinbürgerlichen Strömung der Umweltbewegung deutlich werden.

Das Buch „Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann“ basiert zu einem bedeutenden Teil auf Artikeln und Reportagen der Autorin, die für die Veröffentlichung überarbeitet wurden. Wie bei anderen Texten Kleins liegt deren Stärke und Kraft in der  plastischen und engagierten Darstellung von Beispielen ökologischer Verheerungen, ihrer Verbindung zur Profitmacherei sowie ihren Auswirkungen auf Mensch und Natur. Die Betroffenen werden dabei nicht nur als Opfer, sondern auch als Subjekte von Widerstand, als Kämpfende dargestellt. Die Formen von Selbstorganisation, die sie dabei, ob nun als indigene Gemeinden, als Lohnabhängige oder als KlimaaktivistInnen entwickelt haben, nehmen einen wichtigen Platz in Kleins Artikeln und Büchern ein. Kein Wunder, dass sie viele junge AktivistInnen inspiriert und ermutigt haben.

Eine weitere, für vieler LeserInnen zweifellos mitreißende Seite solcher Texte besteht darin, den Blick auf die VerursacherInnen von Umweltzerstörung und deren soziale Folgen zur richten. Klein tut dies seit Jahren auf zweierlei Art. Erstens, indem sie konkrete ProfiteurInnen, also einzelne Konzerne, AkteurInnen auf den Finanzmärkten, Medien und staatliche Organe (Regierungen, Gerichte, Repressionskräfte) benennt und anprangert, die diese offen und gezielt unterstützen.

Zweitens richtet sie ihre Aufmerksamkeit auch auf die systemischen Ursachen der drohenden Umweltkatastrophe.

Welcher Antikapitalismus?

In dem Buch „Kapitalismus vs. Klima“ stellt Klein 2015 diesen Gegensatz folgendermaßen dar: „Wir haben nicht die notwendigen Dinge getan, um die Emissionen zu reduzieren, weil diese Dinge in fundamentalem Widerspruch zum deregulierten Kapitalismus stehen, der herrschenden Ideologie, seit wir uns um einen Weg aus der Krise bemühen. Wir kommen nicht weiter, weil die Maßnahmen, die am besten geeignet wären, die Katastrophe zu verhindern – und die dem Großteil der Menschheit zugute kommen würden –, eine extreme Bedrohung für eine elitäre Minderheit darstellen, die unsere Wirtschaft, unseren politischen Prozess und unsere wichtigsten Medien im Würgegriff hält.“[xix]

Entscheidend für die Konzeption von Naomi Klein und einer sehr viel breiteren Strömung der Umweltbewegung, deren Positionen sie artikuliert, ist hier Folgendes. Das fundamentale gesellschaftliche Verhältnis, der grundlegende Widerspruch, der den ökologischen Katastrophen zugrunde liegt, wird nicht in der kapitalistischen Produktionsweise ausgemacht, sondern im „deregulierten Kapitalismus“ oder Neoliberalismus. Dieser erscheint darüber hinaus selbst gar nicht als Periode einer Produktionsweise, sondern als vorherrschende Ideologie und Politik.

Dieser Gedanke durchdringt sämtliche ihrer Arbeiten und auch ihre Konzeption des Green New Deal. Mit der neoliberalen Wende unter Thatcher und Reagan hätte es auch einen Bruch mit jenen Institutionen und Formen gegeben, die eine gewisse demokratische Regulierung des Kapitalismus ermöglicht hätten.

In „Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann“ betont Klein immer wieder diesen Bruchpunkt in der kapitalistischen Entwicklung selbst. So heißt es:

„Und es stimmt absolut, dass die weltweite Entfesselung des unregulierten Kapitalismus, also der Neoliberalismus, in den achtziger und neunziger Jahren den bei weitem größten Beitrag zu einer katastrophalen Emissionsspitze in der jüngsten Zeit geleistet hat und das bei weitem größte Hindernis für wissenschaftsbasierte Klimamaßnahmen darstellt, … “[xx] Doch nicht nur der deregulierte Kapitalismus erwies sich als Desaster. Auch der „autokratische, industrialisierte Sozialismus“ war „eine Katastrophe für die Umwelt“ [xxi]. Zweifellos kann niemand ernsthaft die verheerenden ökologischen Folgen der Herrschaft der Bürokratie in den degenerierten ArbeiterInnenstaaten[xxii] bestreiten wollen. Indem Klein jedoch die bürokratischen Planwirtschaften mit Sozialismus gleichsetzt, verwirft sie zugleich die Möglichkeit und Notwendigkeit einer wirklich antikapitalistischen, demokratischen Planung, die auf der Enteignung des Kapitalismus und der Ersetzung des bürgerlichen Staatsapparates durch Organe der ArbeiterInnendemokratie und -herrschaft wie Räten beruht.

Kleins Antikapitalismus will von einem revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus nichts wissen. Vielmehr stellt sie diesem einen dritten, „demokratisch-sozialistischen“ Weg entgegen:

„Dem (Scheitern des autokratischen, industrialisierten Sozialismus und des Petropopulismus in Venezuela; Anm. d. Red.) müssen wir uns stellen, aber wir können auch darauf verweisen, dass Länder mit einer starken demokratisch-sozialistischen Tradition (wie Dänemark, Schweden und Uruguay) eine Umweltpolitik verfolgen, die zu den visionärsten der Welt gehört. Daraus können wir den Schluss ziehen, dass Sozialismus nicht unbedingt ökologisch ist, aber ein demokratischer Öko-Sozialismus – der die Demut besitzt, die Lehren der indigenen Völker über die Pflichten gegenüber zukünftigen Generationen und die Verbundenheit aller Lebensformen zu befolgen – die beste Chance für ein kollektives Überleben der Menschheit bietet.“[xxiii]

Hier zeigt sich auch die Brücke zum New Deal Roosevelts. So wie die Beispiele Schwedens, Dänemarks oder Uruguays beweisen sollen, dass auf Basis eines regulierten Kapitalismus eine „visionäre“ Umweltpolitik und eine fast schon sozialistische Gleichheit möglich wären, so soll der New Deal der 1930er Jahre belegen, dass in Krisensituation auch auf Basis der Marktwirtschaft große gesellschaftliche Fortschritte erzielt werden können, wenn nur die richtigen gesellschaftlichen und politischen Weichen gestellt werden.

„Im Hinblick auf die Dimension, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, bezieht das Konzept des Green New Deal seine Inspiration aus Franklin D. Roosevelts New Deal, der mit einem bunten Strauß politischer Maßnahmen und öffentlicher Investitionen auf das Elend und den Zusammenbruch während der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre reagierte.[xxiv]

Natürlich, so Klein, war auch dieser nicht perfekt und enthielt einige offenkundige Schwächen wie die Reproduktion des Rassismus und den Ausschluss der indigenen Bevölkerung der USA. Darüber hinaus basierte er bekanntlich auf dem Ausbau fossiler Energieträger.

Naomi Klein und die ParteigängerInnen eines radikalen Green New Deal begegnen diesem Problem einfach, indem sie darauf verweisen, dass ein solches Programm heute mit Investitionen in erneuerbare Energien sowie einer entsprechenden Umgestaltung anderer Bereiche des Lebens (z. B. Umrüstung auf 100 % energiesparenden Wohnungsbau usw.) kombiniert werden könne. Die Forderungen indigener Gemeinden und rassistisch Unterdrückter müssten eben einfach nur aufgenommen werden – dann wäre ein großer Reformentwurf perfekt.

Was die globale Dimension betrifft, haben sie und verschiedene AnhängerInnen des GND auch ein simples, der Neugestaltung des Weltkapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg entlehntes, mit dem historischen New Deal verbundenes Konzept parat – einen neuen Marshallplan (European Recovery Program) für die Erde.

Das Fehlen eines tieferen Verständnisses der kapitalistischen Produktionsweise erlaubt es Klein und anderen VertreterInnen des linksbürgerlichen oder kleinbürgerlichen GND ironischer Weise, eine radikale, scheinbar gegen den Kapitalismus gerichtete Kritik an großen Konzernen und dem politischen Establishment mit einem Reformprogramm zu verbinden, das Marktwirtschaft und Privateigentum an den Produktionsmitteln nirgendwo grundlegend in Frage stellt. Wenn die eigentlichen Gegner, der Neoliberalismus und der deregulierte Kapitalismus, als eine herrschende Ideologie und Politik bestimmt werden, drängt sich geradezu die Schlussfolgerung auf, dass es genügen würde, dieser Politik einfach eine andere, inkludierende bürgerliche Reformpolitik entgegenzusetzen.

Klassenübergreifende Allianz

Neben diesen globalen und institutionellen Aspekten umfasst der Green New Deal Kleins außerdem auch die Ausweitung vorhandener,  widerständiger Erneuerungsbewegungen der kleinbürgerlich-bäuerlichen Selbstorganisation wie in Chiapas, populistischer wie der MAS in Bolivien, der indigenen Bauern und Bäuerinnen im selben Land oder der reformistischen Regierung wie im indischen Bundesstaat Kerala.

Damit sind für Klein auch schon die Kräfte gefunden, die im Rahmen einer globalen Allianz unterschiedlicher Klassen einen Green New Deal durchsetzen sollen:

  • Bürgerliche Kräfte wie z. B. vom linken Flügel der Demokratischen Partei in den USA. Deren bekannteste und auch linkeste VertreterInnen wie AOC und Bernie Sanders gelten Klein, nebenbei bemerkt, auch als SchlüsselautorInnen ihres Programms eines Green New Deal. In ihrem Buch verweist sie auf insgesamt 105 Mitglieder des US-Kongresses und des Senats, die sich vor den Wahlen öffentlich zur Green-New-Deal-Resolution von AOC bekannt hatten – darunter Politikerinnen wie Elizabeth Warren und selbst die nunmehrige US-Vizepräsidentin Kamala Harris.
  • Linke, in den Augen von Klein, demokratisch-sozialistische Regierungen in den imperialistischen wie auch in den halbkolonialen Staaten (Schweden, Dänemark, Uruguay), Parteien wie ein Teil der Grünen oder Bewegungen wie DiEM25 (Democracy in Europe Movement 2025).
  • Aktivistische und kampagnenorientierte Teile der globalen Klimagerechtigkeitsbewegung wie das Sunrise Movement in den USA, Extinction Rebellion (XR) in Europa oder Fridays for Future. Diese Gruppierungen verfügen selbst nur über sehr rudimentäre Programme. Faktisch greifen sie nicht nur die Losung des Green New Deal auf, sondern übernehmen weite Teile des Programms von linken Grünen und linken DemokratInnen, betonen in Aktionen deren Dringlichkeit.
  • Bewegungen der indigenen und bäuerlichen Gemeinden in den Halbkolonien, einschließlich von linken kleinbürgerlichen Kräften wie den Zapatistas, die auf Basis genossenschaftlichen und kleinbürgerlichen Eigentums eine Form lokaler nachhaltiger Kommunen aufzubauen versprechen.
  • Reformistische Kräfte aus dem linken Flügel der ArbeiterInnenbewegung (Europäische Linkspartei, DSA in den USA, Corbyn-Flügel in Labour).

Für die AnhängerInnen eines linksbürgerlichen Green New Deals wie Naomi Klein stellt die ArbeiterInnenklasse dabei keinesfalls das entscheidende Subjekt der Veränderung dar. Sie ist vielmehr bloß Bestandteil einer breiten, klassenübergreifenden Allianz, die vom „linken“ Flügel des Kapitals über wichtige Teile der lohnabhängigen Mittelschichten und des KleinbürgerInnentums bis hin zu Teilen der ArbeiterInnenbewegung reicht.

Folgerichtig beschränkt sich der Antikapitalismus dieser Strömungen auf eine bestimmte Erscheinungsform und Ideologie der bestehenden Gesellschaftsordnung, den Neoliberalismus. An deren Stelle soll eine regulierte, nachhaltige ökosoziale Marktwirtschaft treten, deren Gehalt jedoch ideologisch überhöht wird, ja werden muss.

Programm des kleinbürgerlichen GND

Das beschränkte Ziel spiegelt sich deutlich in den Programmen des kleinbürgerlichen GND wider. Unbenommen der Tatsache, dass sich die verschiedenen Konzepte in etlichen Aspekten unterscheiden, arbeitet Naomi Klein im Anschluss an die GND-Resolution von AOC in ihren Büchern Eckpunkte dieser Strategie heraus.

Erstens verspricht der GND nicht nur ökologische Erneuerung und das Erreichen der Klimaziele. Er soll sich auch als wahres Jobwunder erweisen, als echte Win-Win-Situation für Klima, Kapital und Arbeit, für kleine und große ProduzentInnen.

Die Frage, welche inneren Hindernisse dem im Wege stehen, warum sich zentrale Teile des gesellschaftlichen Gesamtkapitals entweder gegen eine ökologische Transformation wenden oder sich diese wie die Kohleindustrie dreifach vergolden lassen, wird nicht oder nur oberflächlich betrachtet. Letztlich erscheint der Widerstand gegen den GND als Mischung aus Mangel an Vernunft, übermäßiger Profitgier, fehlenden finanziellen Mitteln und Ängsten von Lohnabhängigen, Jobs und Einkommen zu verlieren.

Dem könne aber leicht abgeholfen werden durch Erhöhung staatlicher Ausgaben und massive Konjunkturprogramme, die sich, so die frohe Botschaft, rasch refinanzieren würden. Zustimmend zitiert Klein den US-amerikanischen Thinktank New Consensus. Diesem zufolge „werden durch den Green New Deal neue Arbeit von Waren und Dienstleistungen entstehen, die die zusätzlichen Ausgaben ausgleichen. Von daher besteht kein Grund zu Bedenken, es könnte durch dessen Finanzierung ein wirtschaftlicher Stillstand eingeleitet werden, ebenso wenig, wie dies bei der Finanzierung von Kriegen oder Steuererhöhungen der Fall war.“[xxv]

Laut AOC sollten alle Erfordernisse für den GND wie Notstandsmaßnahmen finanziert werden. Der Kongress solle einfach die notwendigen Mittel bewilligen, die ihrerseits vom Weltwährungsfonds abgesichert werden. Auf ähnlichem Wege sollte dieser auch die Programme anderer Länder und vor allem des globalen Südens absichern.

Die damit einhergehende Zunahme der Staatsverschuldung stelle kein Problem dar. Letztlich würde diese durch zukünftige Einnahmen infolge einer Expansion der Wirtschaftsleistung und Gewinne gedeckt werden. Die Schulden wären somit nur vorübergehender Natur. Die Austeritätspolitik, die von den neoliberalen und monetaristischen bürgerlichen WissenschaftlerInnen vertreten wird, kritisieren sie und andere VerfechterInnen des GND als „Vernichtungspolitik“. Ihr müsse eine konterzyklische, vom Keynesianismus inspirierte Konjunkturpolitik zur Stimulierung und Finanzierung einer ökosozialen Transformation entgegengesetzt werden.

Zusätzliche ideologische Schützenhilfe erhält diese Strömung durch die dem Neokeynesianismus zuzurechnende Modern Monetary Theory (MMT). Grundsätzlich gehen die AutorInnen der MMT, die dem GND nahestehen, davon aus, dass es ein Finanzierungsproblem eigentlich gar nicht gebe:

„Bezahlbarkeit ist für eine souveräne Regierung nie eine wichtige Frage – die relevante Frage betrifft die Ressourcenverfügbarkeit und ihre Aneignung. Es besteht daher eine natürliche Allianz zwischen der MMT und dem GND. Wenn es uns gelingt, technologisch machbare Projekte zu identifizieren, mit denen die Ziele des GND erreicht werden können ( … ), dann können wir die Finanzierung der Programme ermöglichen.“[xxvi]

Dazu müsse man letztlich nur den Staat und die mit ihm verbundene Zentralbank der Kontrolle des Kapitals, genauer seiner „fossilen“ Fraktion, entreißen und die nationale Souveränität – ganz wie es der Linkspopulismus proklamiert – für die „Linke“ einräumen.

Diese recht optimistischen Annahmen versucht die MMT, damit zu untermauern, dass der Staat über das Monopol der Geldpolitik verfügt, also Geld selbst emittieren kann. Die Gefahr der Staatspleite oder dauerhaften Inflation sei dabei gering, ja ausgeschlossen, wenn mit den quasi schon vorhandenen Mitteln produktive Investitionen getätigt würden.

Ganz in diesem Stil verspricht Naomi Klein daher, dass der GND auch krisenfest wäre. Denn: „Wenn die Weltwirtschaft in einen neuerlichen Abschwung oder eine weitere Krise gerät, was zweifellos der Fall sein wird, wird die Unterstützung für einen Green New Deal nicht abnehmen wie bei früheren größeren ökologischen Initiativen als Gegenmittel gegen eine Rezession. Da er die Wirtschaft in großem Stil stimulieren wird, bietet er die größten Hoffnungen auf ein Ende der wirtschaftlichen Not der Menschen und wird deshalb umso mehr Unterstützung finden.“[xxvii]

Kombiniert werden soll das mit einer Besteuerung der Reichen, einer Art Öko- und Sozial-Solidaritätszuschlag, und einer Mindestsicherung für die Armen, so dass es keine Rückschläge durch GND-VerliererInnen aus den Unterschichten und –klassen geben könne.

Den kleinbürgerlichen und linksbürgerlichen VertreterInnen des GND ist durchaus klar, dass sie mit ihrem Programm auf den entschlossenen Widerstand der Großkonzerne, vor allem des fossilen Kapitals stoßen werden. Diese – jedoch keineswegs alle Unternehmen – werden als Gegner ausgemacht. Die Konzerne sollen, so Klein, „gebändigt“ werden. Wie? Indem Subventionen gestrichen und höhere Steuern erhoben, staatliche Infrastrukturprogramme und Ausgaben für Nahverkehr, Stadterneuerung, Wohnungsbau auf den Weg gebracht werden. Darüber hinaus bedürfte es einer Rückkehr zur öffentlichen Raum-, Industrie- und Flächennutzungsplanung, wie sie in vielen kapitalistischen Ländern noch vor der neoliberalen Wende existierte.

Bemerkenswert an all diesen Reformvorschlägen ist weniger, welche Wünsche noch vorgetragen werden, sondern welche Forderung nirgendwo erhoben wird: die nach Enteignung der großen Kapitale oder auch nur der größten UmweltverschmutzerInnen!

Der ganze Antikapitalismus des GND macht vor dem Privateigentum an Produktionsmitteln aus mehreren miteinander verbundenen Gründe halt.

Erstens entspricht – und das ist auch der entscheidende Grund –  dies der klassenübergreifenden Zusammensetzung der GND-Allianz, die ihrerseits  die Begrenzung der Kritik auf den Neoliberalismus, d. h. einen beschränkten Antikapitalismus, widerspiegelt. Es erscheint, wie wir oben gezeigt haben, als systemische Ursache der aktuellen Umweltkatastrophe, nicht der Kapitalismus als solcher, sondern seine deregulierte, neoliberale Spielart.

Als eigentliche politische Gegnerin wird folglich nicht die herrschende Klasse insgesamt betrachtet, sondern nur eine (neoliberale und fossile) Fraktion dieser. Die anderen gelten als Verbündete im Kampf für den Green New Deal.

Es entspricht daher der gesamten Konzeption dieser Richtung, den Charakter ihres Programms, die Frage, welche gesellschaftliche Kraft eigentlich bestimmen soll, mit Formeln zu übertünchen, hinter denen der Klassenstandpunkt der einzelnen Kräfte zurücktritt.

So erscheinen bei Klein die VertreterInnen der demokratischen Partei nicht als solche einer der beiden tradierten Hauptparteien des US-Kapitals, sondern vielmehr als Dutzende, wenn nicht Hunderte neuer Abgeordnete, die mit ihrer Community, mit ihren WählerInnen verbunden sind, als wohlmeinende, wenn auch vielleicht etwas privilegiertere Menschen, denen die Nöte und Sorgen ihrer Gemeinde noch immer ans Herz gehen, als philanthropische UnternehmerInnen und EigentümerInnen, die sich nicht nur um Profit, sondern auch um ihre Beschäftigten kümmern.

Der Widerstand der Konservativen wird, so Klein, durchaus zu brechen sein – und zwar durch die Resultate des GND selbst. Selbst jene, die den GND als sozialistisches Projekt verteufeln und so gegen ihn polarisieren wollten, würden schließlich eines Besseren belehrt, wenn neue Jobs und Unternehmen geschaffen würden. Schließlich würde das ja auch neue grüne Gewinne mit sich bringen.

„Natürlich werden die Republikaner in Washington den Green New Deal auch weiterhin als das beste Rezept hinstellen, die Vereinigten Staaten in ein zweites Venezuela zu verwandeln. Damit ignorieren sie einen der größten Vorteile unseres Modells, das den Klimanotstand als ein umfassendes Infrastruktur- und Bodensanierungsprojekt betrachtet: Nichts hebt ideologische Trennlinien so schnell auf wie ein konkretes Projekt, das leidenden Gemeinden Arbeitsplätze und Ressourcen verschafft.“[xxviii]

Schließlich, so können wir hinzufügen, söhnten sich auch die bürgerlichen GegnerInnen von Roosevelts New Deal mit diesem aus, nachdem sie erkannt hatten, dass er die Interessen des Kapitals bediente.

Betrachten wir das Programm des GND von AOC oder Klein wie überhaupt der GND-Allianz, so entpuppt es sich letztlich als eines zur ökologisch-sozialen Transformation des Kapitalismus, wenn auch mit mehr sozialen Abfederungen und radikalerer Rhetorik als jenes der großen bürgerlichen Kräfte. Es entspringt dem Bedürfnis, der gesellschaftlichen Stellung der dominierenden aktivistischen Kräfte und der kleinbürgerlichen IdeologInnen dieser Strömung, es als radikaleres und zugleich als „klassenübergreifendes“ darzustellen.

Sie geben zwar vor, die Welt grundlegend verändern zu wollen – freilich ohne ihre eigentlichen Grundlagen, das Privateigentum an den Produktionsmitteln und das System der Profitmacherei, selbst anzugreifen. Unbenommen ihrer vergleichsweise radikalen Aktionsformen ist ihr Ziel letztlich jenem des Bourgeoissozialismus aus dem Kommunistischen Manifest ähnlich: Sie wünschen „den sozialen Mißständen abzuhelfen, um den Bestand der bürgerlichen Gesellschaft zu sichern.“[xxix]

Es gehört daher zum notwendigen Erscheinungsbild dieser Richtung, das eigene Reformprogramm als radikaler zu verkaufen, als es seinem Inhalt nach ausfällt. So wird die klassenübergreifende Bewegung des GND, die vor der Enteignung haltmacht und am Standpunkt seiner linksbürgerlichen Elemente, also am Klassenstandpunkt der Bourgeoisie, ihre politische Grenze findet, noch zur „intersektionalen Massenbewegung“[xxx] (Klein, S. 327) verklärt.

Dahinter steckt – wie bei der gesamten Intersektionalitätstheorie – letztlich, dass man sich die Allianz zwischen bürgerlichen Kräften, aus dem KleinbürgerInnentum und den Mittelschichten stammenden UmweltaktivistInnen, kleinbürgerlich-bäuerlichen Communities in den Halbkolonien und Teilen der ArbeiterInnenklasse ähnlich wie bei der Volksfrontpolitik als Addition verschiedener Klassen vorstellt. In Wirklichkeit paralysieren sich jedoch die Kräfte, weil das Bündnis nur funktioniert, wenn die Lohnabhängigen entscheidende Klassenstandpunkte und Ziele ihren Verbündeten aus anderen Klassen, und das heißt vor allem aus der bürgerlichen, unterordnen. Der Verzicht auf die Enteignung auch zentraler Kapitalgruppen verdeutlicht das.

Es entspricht jedoch der inneren Logik solcher Bündnisse, dass das linksbürgerliche Programm – in diesem Fall der Green New Deal – mit scheinradikaler Rhetorik überhöht werden muss. Schließlich sollen die AktivistInnen, die eigentlich radikalere Absichten verfolgen, denen es jedoch an einer eigenen, revolutionären Strategie und einem Klassenstandpunkt fehlt, bei der Stange gehalten werden. Der proklamierte Antikapitalismus, das proklamierte „system change, not climate change“ bildete daher eine notwendige Ergänzung zum bürgerlichen Reformprogramm, das der GND letztlich darstellt.

Modern Monetary Theory

Klein und andere AnhängerInnen des GND propagieren diesen, wie wir oben gesehen haben, gern auch als wirtschaftliches Erfolgsprojekt. Dabei stützen sie sich einerseits auf die Kalkulation, dass ein Konjunkturprogramm allen Klassen der Gesellschaft helfen würde:  Die KapitalistInnen könnten Anlagen und Profite machen, die ArbeiterInnen hätten Jobs und Einkommen und könnten überdies neue grüne Produkte mit Öko-Siegel kaufen.

Finanziert werden soll dies durch eine vorübergehende Erhöhung der Staatsverschuldung, die früher oder später wieder eingespielt werden kann.

Doch selbst wenn dem nicht so wäre, so versichern die VertreterInnen der Modern Monetary Theory (MMT), die dem GND nahestehen, wäre das kein Problem. Wir haben schon oben gesehen, dass die praktischen Schlussfolgerungen dieser Theorie darauf hinauslaufen, dass Staatsschulden für einen  Staat eigentlich kein wirkliches Problem darstellen würden, dass also der Souverän nur Geld drucken müsse, um notwendige Infrastrukturprogramme anzuschieben. Das Finanzierungsproblem eines GND ist damit überhaupt kein ökonomisches, sondern ein rein politisches. Es ginge letztlich nur darum, dass der bestehende bürgerliche Staat für ein solches Programm eingesetzt, also dessen Souveränität gegenüber neoliberalen Gegenkräften behauptet oder wieder erkämpft wird.

Das fehlende Verständnis für den Klassencharakter des bürgerlichen Staates der MMT springt hier natürlich ins Auge. Darauf verweist auch Ingo Stützle in dem lesenswerten Aufsatz „Money makes the world go green?“[xxxi], in dem er die MMT einer grundlegenden Kritik unterzieht und auf den wir uns in den folgenden Ausführungen stützen. Die naive Sicht des bürgerlichen Staates, ja, das Fehlen einer Staatstheorie in der MMT bildet dabei letztlich nur die andere Seite einer falschen Geldtheorie und damit eines falschen Verständnisses des Kapitalismus selbst.

Der MMT zufolge sei eigentlich alles Geld seinem Wesen nach Kredit. Damit es als solches von den Gesellschaftsmitgliedern, also den Tauschenden, anerkannt wird, bedürfe es des Staates, der die Währung emittiert und ein Monopol darauf geltend machen könne, gewissermaßen die StaatsbürgerInnen zwingt, nur sein Geld zu verwenden und ihre Tauschgeschäfte nur mit diesem zu verrichten. Die Steuern erschienen daher nicht als zentrales Finanzierungsmittel des Staates, sondern als Mittel, die StaatsbürgerInnen zur Begleichung einer Schuld mit dem Geld zu zwingen, das der Staat selbst emittiert. Alle Tauschverhältnisse zwischen den Marktsubjekten, alle Steuern usw. werden als Schuldner-Gläubiger-, als Kreditverhältnisse begriffen.

Wie in anderen bürgerlichen Wirtschaftstheorien wird der Kredit nicht von den Geldfunktionen und dem Kapitalbegriff her entwickelt, sondern umgekehrt erscheint jedes Geld und jede Geldfunktion als Kredit. Mit dieser Setzung bedarf die MMT auch keiner werttheoretischen Fundierung. Geld wird nicht wie im Marx`schen Kapital aus der Wertform der Waren (allgemeines Äquivalent) entwickelt und daraus seine Funktionen herausgearbeitet (Maß der Werte, Zirkulationsmittel, Weltgeld usw.): Es wird vielmehr bloß als eine geniale Erfindung zur Erleichterung des Warentausches begriffen. Darüber hinaus bedarf die MMT auch keiner Klärung des Verhältnisses von kapitalistischer Akkumulation und staatlicher (Geld-)Politik und keiner Staatstheorie.

Der Staat bzw. die staatliche Notenbank, die in dieser Theorie einseitig auch bloß als Verlängerung der Regierung aufgefasst wird, setzten das Geld als Währung und zwängen damit  allen StaatsbürgerInnen oder Untertanen ihr Geld auf.

Der Staat steht dieser Theorie zufolge nicht erst vor der Notwendigkeit, Geld über Steuern einzunehmen. Er besitzt es bereits, da er über das Monopol verfügt, es zu drucken, also die Mittel zur Verfügung zu stellen, die notwendig sind, um z. B. die ökologische Umstellung der Wirtschaft zu finanzieren.

Dass der Staat zur Zeit nicht in diesem Sinne handelt, hat für die MMT letztlich zwei Ursachen. Einerseits folgt dies aus den mit dem Kredit selbst verbundenen Krisen- und Spekulationsphänomenen, die letztlich auch die eigentliche Ursache der kapitalistischen Krise ausmachen. Andererseits folgt das aus der falschen politischen Ausrichtung des Staates. Letzterer wird dabei nicht als Organ der Klassenherrschaft begriffen und auch nicht als Kampfterrain zwischen Klassen wie bei der reformistischen Konzeption von Poulantzas, sondern erscheint als eine Art Black Box, die prinzipiell verschiedenen gesellschaftlichen Kräften zur Verfügung stünde. Daher, so einige AutorInnen dieser Schule, müsse die politische Linke selbst zu einer Vorkämpferin der staatlichen Souveränität werden und ihre Distanz zu Begriffen wie „nationale Souveränität“ ablegen.

Da der Staat Geld als Mittel zur Allokation von Gütern und Arbeitskräften selbst in Umlauf bringen kann, kann er auch die negativen Ausformungen des Kredits (Spekulation, … ) politisch in den Griff kriegen. Die Warenproduktion selbst stellt für die MMT kein Problem dar. Um Krisen zu überwinden, genüge es letztlich, das Geld- und Kreditsystem für  bestimmte produktive Zwecke einzusetzen.

Bei den Schlussfolgerungen bezüglich des Staates springen nicht nur die grundlegenden Unterschiede zum Marxismus ins Auge. Die Differenzen beginnen schon bei der Frage, was eigentlich Geld und Kapitalismus sind. Für die MMT ist Geld letztlich nur ein Mittel zur Allokation von Ressourcen.

Der Fehler in der MMT beginnt schon damit, dass sie verkennt, dass eine bestimmte Ware überhaupt nur zur Geldware werden kann, wenn sie selbst vergegenständlichte menschliche Arbeit verkörpert:

„Die Waren werden nicht durch das Geld kommensurabel. Umgekehrt. Weil alle Waren als Werte vergegenständlichte menschliche Arbeit, daher an und für sich kommensurabel sind, können sie ihre Werte gemeinschaftlich in derselben spezifischen Ware messen und diese dadurch in ihr gemeinschaftliches Wertmaß oder Geld verwandeln. Geld als Wertmaß ist notwendige Erscheinungsform des immanenten Wertmaßes der Waren, der Arbeitzeit.“[xxxii] Damit eine bestimmte Warenart überhaupt zum Geld werden kann, muss sie selbst Produkt menschlicher Arbeit sein. Sobald diese jedoch einmal als solche als Geld etabliert ist, sie dauerhaft zur besonderen allgemeinen Äquivalentform aller Waren wird, verschwindet die Wertfundierung des Geldes in der Erscheinung.

„Eine Ware scheint nicht erst Geld zu werden, weil die andren Waren allseitig ihre Werte in ihr darstellen, sondern sie scheinen umgekehrt allgemein ihre Werte in ihr darzustellen, weil sie Geld ist. Die vermittelnde Bewegung verschwindet in ihrem eignen Resultat und läßt keine Spur zurück. Ohne ihr Zutun finden die Waren ihre eigne Wertgestalt fertig vor als einen außer und neben ihnen existierenden Warenkörper.“[xxxiii]

Marx nennt dies den Geldfetisch. Genau diesem sitzt die gesamte Geldtheorie der MMT auf.

Doch damit nicht genug. Marx arbeitet im „Kapital“ heraus, welchen grundlegenderen systemischen, mit der Warenproduktion untrennbar verbunden Charakter Geld hat. Dazu Stützle:

„Die im Kapitalismus nachträgliche vergesellschaftete Privatarbeit erschöpft sich nicht in der Produktion von Gütern, diese sind lediglich Mittel zur Verwertung des Werts, der im Geld seine selbstständige Gestalt hat – es ist Maßstab der Verwertung. Die voneinander getrennten Privatarbeiten sind als Kapitalverhältnis organisiert, Kapital beutet Arbeitskraft aus, um Profit zu machen. Investiertes Geld muss sich rentieren, aus G (Geld; Anm. d. Red.) muss G’ (mehr Geld; Anm. d. Red.) werden, und Produktion, die kein G’ macht, wird nicht als Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit anerkannt. Diese Prozesse muss das Geld organisieren, sonst ist es kein Geld und wird nicht als Geld akzeptiert.“[xxxiv]

Anders als für die MMT fungiert Geld nicht als bloßes Hilfs- oder Schmiermittel des Warentausches, sondern stellt Ausgangs- und Endpunkt der Kapitalbewegung dar. Erst auf deren Basis lässt sich die Funktion des bürgerlichen Staates, seine historische Besonderheit gegenüber früheren Staatsformen verstehen. Sein Zweck besteht nämlich, unbenommen aller konkreten Unterschiede zwischen verschiedenen Staaten, darin, die allgemeinen Bedingungen der Kapitalakkumulation zu garantieren.

Formal hat der Staat (oder seine Notenbank) zwar das Recht, beliebig viel Geld zu emittieren. Die MMT  verwechselt aber hier diese formelle Souveränität damit, dass diese materiell keineswegs existiert, sondern vielmehr durch das Kapitalverhältnis, und zwar nicht bloß durch ein nationales, sondern den Weltmarkt und die internationale Arbeitsteilung  beschränkt, ja, bestimmt wird.

„Ob und inwieweit diese staatlichen Zahlungsmittel aber Geld sind, wie weit ihre Zugriffsmacht (,Kaufkraft’) reicht, was dieses Aneignungsrecht gilt, das bestimmt der Staat ebenso wenig wie die Frage, ob sie als Kapital fungieren. Eine Zentralbank kann zwar eine Währung herausgeben. Doch was diese Währung kann, welche Macht sie als Zugriffsmittel hat, das entscheidet sich in der kapitalistischen Privatwirtschaft – und letztlich kommt es darauf an, ob das Geld als Mittel der Verwertung fungieren kann oder nicht.“[xxxv]

Ob ein bestimmtes staatliches Konjunktur- und Investitionsprogramm die Akkumulation des Gesamtkapitals befördert oder es sich als Milliarden schweres Strohfeuer entpuppt, hängt daher nicht vom Willen und politischen Entscheidungen des Staates ab. Entscheidend sind vielmehr der Stand der Akkumulation des Gesamtkapitals, dessen organische Zusammensetzung, die Entwicklung der Profitrate etc.

Für die MMT ist Kapital letztlich bloß eine große Menge Geld, ein „Kredit“, der den Anspruch auch bestimmte Ressourcen (Arbeitskraft und Produktionsmittel) begründet. Ebenso verfüge auch der Staat (über Steuern, Aufnahme von Schulden und über Gelddruck) über eine Menge Geld.

Übersehen wird dabei jedoch, dass Kapital ein gesellschaftliches Verhältnis darstellt, dessen Zweck darin besteht, aus Kapital in Geldform noch mehr Geld, aus G  G’ zu machen. Der Staat ist für das Kapital notwendig, um allgemeine gesellschaftliche Voraussetzungen der Kapitalakkumulation zu sichern, das Konkurrenzverhältnis zwischen konkurrierenden Einzelkapitalen wie auch zwischen den Gesellschaftsmitgliedern zu regeln sowie das Kapitalverhältnis nach innen und außen abzusichern. Dazu bedarf es eines Staatsapparates, einer Bürokratie, eines Heeres, Gemeindiensten, Gerichten, FinanzbeamtInnen und auch staatlicher Investitionen in Bereichen, die einzelnen Kapitalen nicht lukrativ erscheinen.

Die einzelnen KapitalistInnen, ja, die gesamte Klasse nehmen zu diesen Ausgaben ein zwiespältiges Verhältnis ein. Einerseits sind sie unerlässlich, andererseits Abzüge vom Mehrwert. Daher soll der Staat möglichst nichts kosten, aus den Steuern der Masse der Gesellschaft, also vor allem denen der Lohnabhängigen, finanziert werden und zugleich die Interessen des Kapitals bedienen.

Da sich die bürgerliche Gesellschaft als eine unabhängiger PrivatproduzentInnen und voneinander unabhängiger, freier WarenbesitzerInnen konstituiert, muss ihnen der Staat notwendigerweise als eine scheinbar über der Gesellschaft stehende, von ihnen unabhängige Instanz gegenübertreten.

Nur so kann er überhaupt zwischen verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse vermitteln, das Interesse des Gesamtkapitals gegen widerstreitende Einzelkapitale durchsetzen. Nur so kann er den Schein wahren, das gesellschaftlich Allgemeine, also auch die unterdrückten Klassen und Schichten der Gesellschaft, zu repräsentieren. Wie sich diese widerstreitenden Interessen in staatlicher Politik ausdrücken, ist selbst eine Machtfrage im Kampf zwischen den Klassen. Dass die Lohnabhängigen dabei in der Lage sind, auch reale Verbesserungen durchzusetzen, nährt zusätzlich den Schein der Klassenneutralität des Staates.

Es ist diese formelle Unabhängigkeit des Staates, über die und hinter der sich jedoch dessen materieller Klassencharakter durchsetzt. Die MMT sitzt hier einmal mehr der Oberflächenerscheinung gesellschaftlicher Verhältnisse auf. Dass sie diesen Fehler mit der gesamten kleinbürgerlichen Umweltbewegung und dem Reformismus teilt, macht die Sache natürlich nicht besser. Betrachten wir die Programme von Sanders, AOC und anderen, können wir jedoch leicht erkennen, warum die MMT bei diesen VertreterInnen des GND so beliebt ist. Sie verspricht eine Finanzierung einer „radikalen“ Umweltpolitik aus dem Nichts. Wenn der Staat einfach Geld, also die notwendigen Mittel für ökologische Investitionen schöpfen kann, spielen Eingriffe in die Verfügungsgewalt des Kapitals über die Produktionsmittel nur eine Nebenrolle. Selbst partieller Verstaatlichungen z. B. des Energiesektors, des Transportwesens oder der Banken und Finanzinstitutionen bedarf es dann nicht. Die Eigentumsfrage spielt keine Rolle, weil der Staat die Realallokation von Ressourcen (Arbeitskraft, Produktionsmittel) auch selbst hervorbringen oder lenken könne, ohne zu verstaatlichen. Selbst die Frage der Besteuerung spielt eine untergeordnete Rolle, auch wenn die Programme des GND eine Umverteilung der Steuerlast in der Regel vorsehen.

Die MMT führt somit zu falschen Schlüssen, denen die reale Entwicklung entgegenschlägt. In Wirklichkeit ist der Zugriff des Kapitals auf den Staat nur zu brechen durch die Aufhebung des Kapitalverhältnisses selbst. In den letzten Jahrzehnten wurde das Kapital zudem nicht nur ideologisch, sondern auch materiell noch stärker gegenüber dem Staat,  sei es durch Privatisierungen, Umverteilung der Steuerlast, Ausweitung der Staatsschulden. Letztere bilden selbst einen mächtigen Hebel nicht nur des Einflusses des Kapitals auf den Staat. Für es bescheren diese gleich zwei Vorteile: Erstens müssen so weniger Steuern gezahlt, also weniger Gelder den Unternehmen entzogen werden. Zweitens bilden Staatsanleihen und Schulden imperialistischer Staaten einen sicheren Hafen für InvestorInnen in wirtschaftlich stürmischen Zeiten. Das zinstragende Kapital kann also mit einer sicheren Rendite rechnen. Drittens verschafft diese Abhängigkeit den privaten GläubigerInnen auch einen materiellen Hebel. Damit AnlegerInnen „Vertrauen“ in einen mit anderen konkurrierenden Staat als Schuldner haben, muss dieser auch glaubhaft machen, dass er die Kapitalinteressen bedient.

Schon diese Überlegungen verdeutlichen, wie naiv die Sicht ist, dass Staatsschulden kein Problem darstellen. Außerdem kann keineswegs jeder Staat beliebig Schulden bedienen. Deren Höhe ist vielmehr nur so lange ein handhabbares Problem, als Wirtschaftswachstum und Steuereinnahmen ihre Tilgung und Zinsen garantieren. Jede große globale Krise stellt genau diese Fähigkeit der schwächeren, vom Imperialismus beherrschten Länder in Frage. Die sog. Schwellenländer Argentinien oder Türkei sind nur zwei markante Beispiele für diese Entwicklung, die durch einen weiteren Faktor verschärft wird, für den MMT blind ist.

Den verschiedenen Nationalökonomien und den Staaten, die darauf basieren, weisen der Weltmarkt und die imperialistische Ordnung einen bestimmten Platz in der internationalen Arbeitsteilung, in den Wertschöpfungsketten bezüglich des Zugangs zu Finanzmitteln usw. zu. Dieser Hierarchie entspricht auch eine der nationalen Währungen.

Selbst die formelle Währungssouveränität existiert auf dem Weltmarkt letztlich nur für wenige imperialistische Staaten. Ganz oben stehen hier (noch) die USA. Der US-Dollar fungiert als Leitwährung, als Weltgeld, auch wenn China und die EU ihm diesen Platz streitig machen wollen. Für die meisten Länder der Welt existiert eine Währungssouveränität nicht wirklich, so wie die meisten halbkolonialen eben nur formell unabhängig, ökonomisch jedoch als untergeordnete, ausgebeutete Teile in den Weltmarkt integriert sind. Ihre Ökonomien werden vom imperialistischen Großkapital beherrscht – und die Unterordnung ihrer Landeswährungen ist selbst nur ein Ausdruck des Klassenverhältnisses auf imperialistischer Stufenleiter. Diese etablierte und durch das Weltwährungssystem reproduzierte Arbeitsteilung verfestigt logischerweise auch die ökologische Seite der imperialistischen Arbeitsteilung.

Entgegen ihrer eigenen Proklamation, eine Theorie zur Rettung der Menschheit vor der Krise zu liefern, entpuppt sich die MMT eigentlich als Schönwetterideologie, die den  grundlegenden Charakter des Kapitalverhältnisses verkennt.

5. „Linker“, transformatorischer Green New Deal

Die linkeste Variante des Green New Deal, die sich in vielen Forderungen mit denen von Sanders oder AOC durchaus deckt, wurde in den letzten Jahren von reformistischen Parteien bzw. von deren VertreterInnen entwickelt. Im Folgenden wollen wir uns mit dem Wahlprogramm von Labour aus dem Jahr 2019 und mit dem Buch „System Change“ von Bernd Riexinger, dem ehemaligen Vorsitzenden der Linkspartei, beschäftigen, der darin versucht, das Konzept in eine strategische Perspektive einzuordnen.

Das Programm von Labour

Im September verabschiedeten die Delegierten des Labour-Parteitags das, was weithin als die radikalste Umweltpolitik einer großen politischen Partei in der Welt gefeiert wurde:

„Die Maßnahmen des Labour-Konzepts beinhalten die Installation eines Nationalen Transformationsfonds von 400 Milliarden Pfund zur Umsetzung der ‚Green Industrial Revolution’. Davon sollen 250 Milliarden Pfund direkt in den Ausbau erneuerbarer Energie, für den Umbau des Transportwesens, den Erhalt von Biodiversität und Umweltschutz fließen. Die ‚Green Industrial Revolution’ verspricht insgesamt die Schaffung von einer Million neuer Jobs.

Im britischen Energiesektor soll der Übergang zu netto-null Emissionen in den 2030er Jahren erfolgen. Dafür sollen bis 2030 bis zu 90 Prozent der Elektrizität und 50 Prozent der Wärme durch den Ausbau von Off- und Onshore Windenergie, Solar- und Kernenergie erzeugt und auf verbesserten Stromnetzen verteilt werden.

Der Energieverbrauch in Gebäuden verursacht 56 Prozent der britischen CO2-Emissionen; er soll durch den Ausbau und die Erforschung verschiedener Technologien wie Wärmepumpen, solare Warmwassererzeugung und Wasserstofftechnologien reduziert werden. Auch die britischen Haushalte könnten laut Labour profitieren und ab 2030 im Durchschnitt 417 Pfund pro Jahr sparen.

Wichtige Bausteine der ‚Green Industrial Revolution’ sind zudem die Förderung regionaler wirtschaftlicher Entwicklung, besonders in den deindustrialisierten und ökonomisch schlechter gestellten Regionen Großbritanniens, sowie der massive Ausbau öffentlichen Eigentums. Durch demokratische Selbstverwaltung sollen die Menschen bei Entscheidungen über die regionale Entwicklung der Energieversorgung und alle Investitionen mitbestimmen.

• Bus und Bahn sollen wieder verstaatlicht und ausgebaut werden. Der öffentliche Nahverkehr soll verbessert und Straßen für Fußgänger*innen sowie Radfahrer*innen sicherer und komfortabler werden. Zusätzlich ist eine Verbesserung der Infrastruktur für Elektroautos und die Förderung von E-Auto Carsharing Clubs vorgesehen. Bereits ab 2030 sollen in Großbritannien keine neuen Autos mit Verbrennungsmotoren mehr verkauft werden.“[xxxvi]

Der Beschluss, den mittlerweile der Nachfolger Corbyn’s kassiert hat, verpflichtet Labour zu „öffentlichem Eigentum an Energie“ und „öffentlichem Eigentum an den großen Sechs [Energieversorgern]“. Dies stellte zweifellos einen Fortschritt dar gegenüber der bisherigen Politik der Labour-Partei, die zwar das öffentliche Eigentum an den Stromnetzen befürwortete, die Energieverteilung aber in privater Hand belassen wollte. Aber die Grenzen dieses Vorhabens sollten nicht unerwähnt bleiben. Während ein von der Partei in Auftrag gegebener Bericht einräumte, dass erhebliche staatliche Subventionen notwendig sein würden, um Anreize für die Erzeugung von Wind- und Solarenergie zu schaffen, würde Labour der Privatwirtschaft die Freiheit lassen, die Gewinnung fossiler Brennstoffe und die Stromerzeugung aus Kernkraft fortzusetzen, solange sie rentabel seien.

Der Labour-GND sprach auch von einer Verstaatlichung der Verkehrsindustrie und massiven Investitionen in kostenlose oder erschwingliche öffentliche Verkehrsmittel. Die Partei hatte jedoch deutlich gemacht, dass sie bei Verstaatlichung der Eisenbahnen alle privaten Vermögenswerte zum Marktpreis zurückkaufen würde, finanziert durch staatliche Anleihen – ein gewaltiger Vermögenstransfer von den SteuerzahlerInnen zu den ProfiteurInnen. Ähnliches war für den Energiesektor vorgesehen.

Die Betonung technologischer Lösungen, die zu einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien, einschließlich Elektroautos, führen sollten, kam außerdem einer unkritischen Unterstützung von Industrien gleich, die weiter schädliche Auswirkungen auf die Umwelt hätten. So werden für den Bau von Wind- und Solarparks Metalle aus seltenen Erden und nicht erneuerbaren Materialien benötigt, deren Herstellung zudem energieintensiv ist. Die Autoindustrie kompensiert geringere Gewinne bei der Produktion von Elektroautos durch den Verkauf von Luxusmodellen an weniger energiebewusste VerbraucherInnen oder durch die billigere Produktion von benzinbetriebenen Modellen in anderen Teilen der Welt.

Am wichtigsten ist jedoch, dass der Labour-Ansatz jeden privaten Industriezweig (Solar, Wind, Autos, Busse, Energieerzeugung) als einzelnes Puzzleteil betrachtete, das sich, wenn es nur mit genügend staatlichen Mitteln gefördert würde, in ein harmonisches Gesamtbild einer grünen Wirtschaft einfügen würde. So als ob die Anarchie des Marktes und das Motiv der Profitmaximierung aufgehoben würden, wenn alle privaten AkteurInnen gleich gefördert würden.

Damit sind wir bei der entscheidenden Frage der Eigentumsverhältnisse angelangt. Auch wenn sie wichtige Verstaatlichungen vorsah, räumt die Labour-Partei letztlich der Logik des Privatkapitals Vorrang ein. Sie betrachtet die Unternehmen als „Partner“ beim grünen Wandel, die vom Staat nur von Zeit zu Zeit an ihre ökologische und soziale Verantwortung erinnert werden müssten. Selbst wenn die versprochenen Summen an staatlichen Investitionen bereitgestellt würden, räumte selbst der Labour-GND ein, würden wesentliche Teile der „grünen“ Industrie in privater Hand bleiben.

Somit erweist sich selbst der relativ radikale „Green New Deal“ in Wirklichkeit als Subventionierung, um Anreize für die Ökologisierung von profitorientierten Unternehmen und Finanziers zu schaffen, von denen viele zu den größten VerursacherInnen der Umweltzerstörung gehören.

Ein radikales Verstaatlichungsprogramm müsste die entschädigungslose Enteignung vorsehen und den gesamten Sektor der Energie und Verkehrswirtschaft umfassen, um eine Planung wenigstens für diesen Bereich gemäß gesellschaftlichen Bedürfnissen sicherzustellen. Doch Labour verpflichtete sich, die Unantastbarkeit des Privateigentums grundsätzlich zu respektieren, indem den ehemaligen EigentümerInnen eine „faire“ (d. h. marktgerechte) Entschädigung angeboten und andere Unternehmen als „Partner“ begriffen werden sollen.

In Wirklichkeit hätten diese „Partner“ freilich auch Labours Programm als Kriegserklärung aufgefasst. Wenn die Partei z. B. bereit gewesen wäre, wesentlich radikalere Steuerpläne zur Finanzierung des GND durchzusetzen, hätte das eine Kapitalflucht in großem Umfang ausgelöst, um das Eigentum in Sicherheit zu bringen und eine Schuldenkrise auszulösen, um damit diese Labour-Regierung zu Fall zu bringen. Die Androhung von Enteignungen hätte zweifellos eine ähnliche Wirkung. In jedem Fall aber müsste Labour auf eine solche Sabotage mit strengen Devisen- und Kapitalverkehrskontrollen reagieren und diese erzwingen, wobei die Gewerkschaften die ArbeiterInnenkontrolle und die Öffnung der Konten, Bücher und Finanzunterlagen der betroffenen Unternehmen hätten durchsetzen müssen.

All das hätte jedoch zu einer massiven Verschärfung des Klassenkampfes geführt, die ihrerseits die Systemfrage, also die der Enteignung der herrschenden Klasse, der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates und Errichtung einer demokratischen Planwirtschaft aufgeworfen hätte.

Das wollte aber auch die linke Labour-Führung unter Corbyn nicht. Mehr noch. Da die Labour-Führung eine sozialistische Umwälzung gegenwärtig als nicht möglich, unrealistisch und utopisch zurückwies und eine Planwirtschaft prinzipiell ablehnte, blieb ihr letztlich nur eine mehr oder minder radikale Reformpolitik übrig.

Die Verhandlungen am Labour-Parteitag brachten jedoch nicht nur die Schwächen und Grenzen ihres New Deals hinsichtlich der herrschenden Klasse zum Ausdruck. Viele Abschnitte stellten auch einen Formelkompromiss mit jenen GewerkschaftsvertreterInnen dar, die vor allem um die Zukunft „ihrer“ Industrie fürchteten.

Die Spannungen zwischen eng definierten Gewerkschaftsinteressen (Erhalt bestehender Arbeitsplätze und Verbesserung der Arbeitsbedingungen) und der Umweltpolitik sind nicht neu. Wie die AktivistInnen zu Recht erkannt haben, ist eine breite Unterstützung der ArbeiterInnenklasse, einschließlich derjenigen, die derzeit z. B. in fossile Energieträger verbrauchenden Industrien arbeiten, für eine ökologische Transformation unerlässlich. Aber die Gegensätze lassen sich nicht dadurch lösen, dass man sie unter den Teppich kehrt, wie es die Labour-Partei z. B. bei der Frage des Flughafenausbaus getan hat. Die Bewegung muss offen zugeben, dass einige Produkte und Produktionsstätten verschwinden müssen – und zwar schnell.

Staatliche Unterstützung für Umschulungsprogramme kann zwar einen gewissen Beitrag leisten, die sozialen Folgen kapitalistischer Umstrukturierungen abzufedern. Sie wird aber niemals in der Lage sein, den anarchischen Marktkräften vollständig entgegenzuwirken, die – zumindest vorübergehend – LohnarbeiterInnen verdrängen und sie in schlechter bezahlte Arbeit zwingen werden.

Auch hier zeigt sich, dass eine grundlegende ökologische Umstrukturierung der Wirtschaft ein Gesamtprogramm der ArbeiterInnenklasse erfordert, das Arbeitskräfte aus Branchen, die geschlossen werden, ohne Einkommensverlust und zu gleichen Arbeitsbedingungen in andere überführt. Allein diese notwendige Neuverteilung der gesellschaftlichen Arbeit lässt sich viel leichter, reibungsloser durchführen, wenn die entsprechenden Unternehmen unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlicht werden.

Schließlich sprach der Green New Deal der Labour-Partei auch einige Folgen des Umweltimperialismus und dessen Dynamiken an. Doch blieb er, wie ein großer Teil der vorherrschenden Umweltpolitik, bei freiwilligen Lösungen und wohlklingenden Phrasen stehen, indem er sich auf die Förderung des internationalen Austauschs von Technologien und Ressourcen beruft, um anderen Ländern zu helfen, einen Green New Deal zu erreichen. Diese unverbindliche Erklärung verpflichtet zu nichts. Noch wichtiger ist jedoch, dass die Labour-Partei angesichts ihres Engagements für marktwirtschaftlich-keynesianische Lösungen im eigenen Land sicherlich nicht bereit gewesen wäre, die Zerschlagung aller Institutionen des globalen Imperialismus zu unterstützen, die notwendig wäre, um die Volkswirtschaften des globalen Südens aus den Fesseln zu befreien.

Der linke, reformistische GND – und nicht nur der von Labour – behandelt sowohl soziale Transformation, internationale Verhältnisse wie Umweltfrage als Verteilungsproblem.

Sofern eine Überwindung des Kapitalismus angestrebt wird, geht sie mit einer verengten, reformistischen Vorstellung von Sozialismus einher und einer Wiederbelegung utopischer, marktsozialistischer Konzeptionen. So heißt es z. B. bei Klaus Dörre:

„Neben kollektivem Selbsteigentum benötigt eine neue Wirtschaftsdemokratie drei weitere Säulen:

– eine induktive demokratische Rahmenplanung einschließlich der Abstimmung über Planalternativen im Rahmen allgemeiner, gleicher und freier Wahlen;

– ein Maximum an direkter Partizipation und Demokratie in Region, Kommune, Betrieb und Unternehmen;

– echte Marktwirtschaft und Märkte als wichtiger Allokationsmechanismus.

In einer solchen Wirtschaft könnten noch immer Unternehmen existieren, die Gewinne erwirtschaften. Aber eine gesamtwirtschaftliche Koordination würde sie einer social order unterwerfen, die keine kapitalistische wäre.“[xxxvii]

Was im Labour-Programm noch vergleichsweise altbacken, traditionsreformistisch daherkommt, hebt sich in Dörres Vorstellung von einer „großen Transformation“ letztlich nur durch eine anders geartete Verkennung der Zwangsgesetze der Kapitalakkumulation ab.

Die Vorstellung, dass eine Art „Rahmenplanung“ neben einer funktionierenden oder gar „echten“ Marktwirtschaft harmonisch zum Wohl aller existieren könnte und, ganz nebenbei, sich auch noch ein nachhaltiges Verhältnis von Mensch und Natur etablieren würde, ist kompletter Utopismus. Sie kommt dem Versuch gleich, die Grundlagen der kapitalistischen Produktionsweise unangetastet zu lassen und gleichzeitig alle ihre Missstände und Nachteile durch eine nebulöse, nichtkapitalistische „social order“ auszumerzen. Ebenso gut könnte man die Abschaffung des Kapitalismus auf Basis des Kapitalismus verlangen.

In Wirklichkeit greifen alle Formen eines Green New Deal zu kurz, weil sie das Privateigentum intakt lassen – und somit notwendigerweise auch die Grundstruktur der gesellschaftlichen Arbeitsteilung.

Riexinger

Nachdem wir das Programm der Labour-Partei unter Corbyn betrachtet haben, wollen wir uns dem ehemaligen Vorsitzenden der Linkspartei, Bernd Riexinger, zuwenden. Gegen Ende seine Funktionsperiode ging dieser unter die BuchautorInnen und versuchte sich als Stratege seiner Partei. Schon 2018 legte er mit „Neue Klassenpolitik“[xxxviii] einen Text vor, in dem er die Ausrichtung der Linkspartei zu begründen suchte. Mit seinem vor wenigen Monaten beim Hamburger VSA-Verlag erschienenen „System Change, Plädoyer für einen linken Green New Deal“[xxxix] versucht er, eine langfristige, strategische Antwort auf die derzeitige Krise vorzulegen.

Er will deshalb die herrschenden Zustände angreifen, den „Status quo in Frage stellen“. Auch wenn er den Kapitalismus nicht abschaffen will, so strebt er eine andere „Formation“ desselben an. Dass der Vorsitzende einer reformistischen Partei dem Reformismus treu bleibt, überrascht nicht weiter. Die Beschäftigung mit seinem Buch erweist sich dennoch als sinnvoll. Reformistische Parteien und ParteichefInnen begründen ihre „Realpolitik“ in der Regel erst gar nicht theoretisch, da sie diese ohnedies, ganz im Sinne ihres engen, pragmatischen Horizonts, für alternativlos erachten.

Riexinger hingegen hält eine theoretische Begründung für nötig, weil er einen „neuen“ Linksreformismus begründen will, dessen Vorstellung von Systemwandel (System Change) und Green New Deal sich nicht nur vom revolutionären Marxismus, sondern auch von den Konzepten der Sozialdemokratie und der Grünen unterscheiden und abgrenzen soll.

Dabei greift er reale Probleme auf: „Lange schon schwelen verschiedene Krisen des Kapitalismus: Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, Klimawandel, Grenzen des Wachstums, soziale Ungleichheit, Zusammenbruch der öffentlichen Daseinsvorsorge und das Gefühl von vielen, dass die Gesellschaft nicht mehr zusammenhält. Corona hat diese Vielfachkrise des Kapitalismus verschärft und zugespitzt.“[xl] Er beschreibt Erscheinungen und Probleme, die mit dem Kapitalismus zu tun haben bzw. von ihm produziert werden. Aber eine marxistische Krisenanalyse stellt dies nicht dar.

Eine theoretisch fundierte, konkrete Untersuchung des Kapitalismus findet nicht statt und auch nicht, wie diese „einzelnen Krisen“ zusammenhängen. Er beschreibt die Erscheinungen meist ganz treffend und belegt, dass die vorgeblichen Bemühungen von Bundesregierung oder EU-Kommission, bestimmte Probleme, z. B. die globale Erwärmung, anzugehen, hilflos sind, Einzelmaßnahmen darstellen und durch die generelle Ausrichtung der Politik konterkariert werden.

Ein Beispiel: „EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bereits Ende 2019 ein Konzept für einen Green Deal auf den Weg gebracht, der die Klima- und Wirtschaftspolitik stärker aufeinander abstimmen soll. Ziel sind massive Investitionen in neue Technologien zur effizienteren Ressourcennutzung und zur Reduktion der Treibhausgas-Emissionen. Das klingt gut, erweist sich aber bei näherem Hinsehen wie eine Mischung aus ,Greenwashing’ und Wettbewerbspolitik. Das Ziel, bis 2050 eine ,grüne Null’ zu erreichen, ist für die EU ein Fortschritt, reicht aber nicht aus, um die Klima-Katastrophe zu verhindern. Während aus einem Fonds Investitionen in den Klimaschutz finanziert werden sollen, fördern zahlreiche EU-Töpfe mit Milliarden Euro klimaschädliche Großprojekte.“[xli]

Aus all diesen Beispielen folgt für Riexinger, dass eine neue Politik nötig ist. Er beansprucht dabei nicht weniger, als alle genannten Probleme in ihrer Vielfältigkeit anzugehen. Sein Ziel ist es, alle Bewegungen, die gegen diese aktiv sind, zu einer einzigen zu vereinen, die dann alles für alle erreicht, was sozial und ökologisch ist, unabhängig von Geschlecht und Herkunft. Riexinger fasst das so zusammen: „Entscheidend ist, ein Bündnis sozialer Bewegungen für den sozialökologischen Umbau und unteilbare Solidarität aufzubauen. Dafür ist der Green New Deal kein Masterplan, sondern ein strategischer Vorschlag, wie wir eine bessere Welt gewinnen können.“[xlii]

Die Ziele, die er vorschlägt, basieren auf den bekannten Forderungen der Linkspartei:

  • Löhne, die zum Leben reichen; 13 Euro Mindestlohn; Leiharbeit verbieten: prekäre Arbeit abschaffen; Arbeitszeit um die 30-Stunden-Woche mit Lohnausgleich.
  • Rentenniveau auf 53 % anheben; Mindestrente von 1 200 Euro; AlG I auf 24 Monate verlängern; Elterngeld auf 24 Monate anheben.
  • Für die „Transformation der Autoindustrie“ stellt Riexinger sich unter anderem vor, Fahrzeuge für kollektive Mobilitätskonzepte herzustellen und einen Ausbau der Bahn zu forcieren.

Um diese Ziele zu erreichen, sollen die Bewegungen, die es schon gibt und die sich noch mehr verbinden müssen, soviel Druck auf den Staat ausüben, dass dieser die Konzerne und das Kapital dazu zwingt. Am Beispiel der Autoindustrie liest sich das so: „Der Staat muss die Auto-Konzerne auf einen sozial gerechten, ökologischen Transformationspfad verpflichten. Das wird nur gelingen, wenn Belegschaften, Gewerkschaften, Umweltverbände und Klimabewegung an einem Strang ziehen.“[xliii]

Er verweist darauf, dass es im Konjunkturpaket Gelder der Regierung für Transformation gebe.

Für die Zukunft will er außerdem die Wirtschaft demokratisieren. DAX-Unternehmen sollen mindestens zu 21 % in öffentlichem Eigentum stehen, 30 % Belegschaftseigentum, den Rest dürfen private AktionärInnen behalten.[xliv]. Was er nicht sagt, ist, wie den DAX-Konzernen 51 % ihres Kapitals genommen werden sollen. Darüber hinaus liegt seinem Buch die Vorstellung zugrunde, dass die VertreterInnen des Staates, des „öffentlichen Eigentums“ und die Belegschaften einen Block formen würden. Realistischer ist jedoch, dass der Staat mit dem Kapital zusammengeht. Hinzu kommt, dass das „Belegschaftseigentum“ letztlich auch eine Form des Privateigentums, nämlich Gruppeneigentum darstellt. Die Beschäftigten wären (Mit-)EigentümerInnen „ihres“ Betriebes und daher auch an dessen Konkurrenzfähigkeit interessiert. Was Riexinger als Schritt zu einer Vergesellschaftung ausgibt, könnte sich nur allzu leicht als weitere Fessel der Lohnabhängigen an „ihr“ Unternehmen erweisen.

Solche Utopien kann man nur schreiben, wenn man alles ignoriert, was MarxistInnen über Konkurrenz und den bürgerlichen Staat formuliert haben. Die Marx’sche Sichtweise erledigt Riexinger, indem er die Aussage, der „Staat sei nur ein Instrument in den Händen von Kapital und Konzernen“[xlv], so interpretiert, als würde sie bedeuten, dass Staat und Kapital als identisch betrachtet würden, dass sich der Kampf zwischen Lohnarbeit und Kapital nicht im Staat reflektieren würde, als könnten überhaupt keine politischen Reformen errungen werden. Zwar weist er die platte bürgerliche Idee, dass „der Staat ein neutrales Instrument sei“ zurück und erklärt stattdessen, „dass sich im Staat Kräfteverhältnisse verdichten. Er ist das Feld, auf dem die verschiedenen Interessen (Klasseninteressen) ausgetragen werden.“[xlvi]

Hinter diesen Ideen steckt zwar ein Körnchen Wahrheit, nämlich dass rein gewerkschaftliche oder soziale Kämpfe allein nicht ausreichen, um grundlegende Veränderungen zu erzielen, sondern ein politischer Kampf notwendig ist. Aber durch die Weigerung, den bürgerlichen Klassencharakter dieses Staates anzuerkennen, verkommt das Ganze nur zu einer komplexeren Begründung einer reformistischen, bürgerlichen Reformstrategie. Letztlich muss und kann die ArbeiterInnenklasse in Riexingers Augen den Staat in einem langwierigen gesellschaftlichen und institutionellen Kampf übernehmen und verändern.

Genau hier liegt der entscheidende Unterschied zur marxistischen Staatstheorie, die den bürgerlichen Staat als Herrschaftsinstrument des Kapitals begreift, das über tausende Fäden materieller Spitzenprivilegien die Armee, den Repressionsapparat, die Justiz- und Staatsbürokratie auf sich als herrschende Klasse verpflichtet, um die Interessen des Gesamtkapitals wahrzunehmen. Die Crux besteht gerade darin, dass der bürgerliche Staat als ideeller Gesamtkapitalist fungieren kann, weil er nicht mit einzelnen Kapitalen oder der ökonomischen Vertretungen der Bourgeoisie identisch ist. So kann er deren Gesamtinteresse auch gegen einzelne dieser Fraktionen durchsetzen – wie beim New Deal der 1930er Jahre.

Das ist auch der Grund, warum ein revolutionäres kommunistisches Programm immer auf die Zerschlagung des bürgerlichen Staates und seine Ersetzung durch einen Rätestaat der ArbeiterInnenklasse, die Diktatur des Proletariats, zielt.

Es würde aber auch reichen, die politische Realität wahrzunehmen: Es ist ja kein Ausrutscher, wenn in den Konjunkturpaketen keine Auflagen für die Lufthansa oder die Autokonzerne enthalten sind, denn es geht diesem Staat, seiner Regierung und seinem Apparat dabei immer um das, was im Wortsinn „systemrelevant“ ist: den Erhalt der Profitmaschinen der deutschen Bourgeoisie im Konkurrenzkampf mit ihren internationalen KonkurrentInnen. Dem werden alle sozialen und ökologischen Fragen untergeordnet.

Es zeigt sich an dieser Stelle, dass die Schwammigkeit zu Beginn des Buches bei der Darstellung der vielfältigen „Krisen des Kapitalismus“ ihre Ergänzung und Fortsetzung findet, wenn es um den Staat im Kapitalismus geht. Die Utopie schließt auch ein, dass dieser sozial und ökologisch gebändigte Kapitalismus funktionieren und nicht weiter Krisen produzieren würde.

Riexinger hält seine Utopie für Realismus. Sein Credo ist, man müsse an die realen Bewegungen anknüpfen, weil nur Menschen in Bewegung etwas verändern können. Sein Irrtum besteht darin, dass er auch an den falschen Vorstellungen der Bewegungen festhält, ja sie zu seinen eigenen macht. Die Führung der Umweltbewegung beispielsweise glaubt, dass eine ökologische Wende in diesem System, ja sogar mit diesen Regierungen möglich sei.

RevolutionärInnen vertreten einen anderen Ansatz: Sie wollen, dass Menschen in der Bewegung lernen und ihre Ziele ändern. Dafür gilt es immer, Vorschläge zu unterbreiten, die realistisch sind, weil sie funktionieren können. Wir leugnen, dass der Staat der Bourgeoisie durch eine Bewegung zu einem anderen werden kann, selbst wenn es möglich ist, Maßnahmen im Interesse der Lohnabhängigen durchzusetzen.

Notwendig ist vielmehr, dass die ArbeiterInnenklasse diese Kämpfe für Reformen – einschließlich von Forderungen nach Verstaatlichung – mit dem Kampf um Kontrolle eben dieser Maßnahmen und den Aufbau ihrer eigenen Macht verbindet. Dass die Beschäftigten Betriebe besetzen, die geschlossen werden sollen. Dass sie für die Verstaatlichung, die Fortführung und Umstellung, Konversion der Produktion unter ihrer eigenen Kontrolle kämpfen und diese gegen Übergriffe des Staates verteidigen.

Eine solche Perspektive ist im revolutionären Sinne realistisch, weil sie von den realen gegensätzlichen Interessen der Klasse und der Rolle des Staates ausgeht und nicht selbst Luftschlösser produziert. Indem sie die Kämpfenden in den Bewegungen darauf vorbereitet, deren Illusionen und falschen Vorstellungen solidarisch kritisiert und darlegt, welche Aktionen und Forderungen notwendig sind, um kurz- und langfristige Ziele zu erreichen, tritt sie für einen revolutionären Realismus ein.

Für seine Vision muss sich Riexinger aber nicht nur den Kapitalismus und seinen Staat schönreden, sondern auch die AkteurInnen seiner Bewegungen. Das fängt an bei der Linkspartei, die sich „behauptet“ und die „stabil“ ist, aber auch in „ständiger Veränderung“[xlvii]. Dies würde wahrscheinlich auch Riexinger nach der Wahlniederlage 2021 anders formulieren. Blauäugig war es aber auch vorher schon. Schon damals musste man die Frage stellen, warum die Linke so gut wie nichts aus den Verlusten der SPD gewinnen konnte. Was ist mit der Politik der Linken an der Regierung? Martin Schulz sagt zu Recht: „Eine Regierung SPD-Grüne-Ramelow, zum Beispiel, vor der hat in Deutschland keiner Angst.“

In den Gewerkschaften sieht Riexinger völlig zu Recht eine entscheidende Kraft für jede Veränderung. Er erkennt auch, dass diese sich entscheiden müssen, „ob sie sich als mobilisierende, organisierende und konfliktorientierte Interessenvertretung stärken oder ob sie sich auf die korporatistische Zusammenarbeit mit (exportorientiertem) Kapital konzentrieren wollen.“[xlviii]  Dann lobt er das IG Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban, um anschließend festzustellen: „Selbstverständlich gibt es auch ganz andere Stimmen. Betriebsräte und GewerkschafterInnen, die Abwrackprämien auch für neue Dieselautos fordern.“[xlix]  Diese „anderen“ Stimmen stellen in der IG Metall die absolute Mehrheit! Auch Urban hat der Forderung nach Kaufanreizen für Verbrennerautos nicht widersprochen.

Aber die SozialpartnerInnenschaft floriert nicht nur in der Exportindustrie. Die maßgeblich von der Linkspartei und ihren FunktionärInnen in ver.di angestoßene Pflegekampagne wurde trotz breiter Wirkung von der ver.di-Bürokratie auf einzelne Betriebe beschränkt, eine Politisierung durch die Verbindung mit der Forderung nach Rekommunalisierung der Krankenhäuser bekämpft und die ganze Kampagne in die Sackgasse von BürgerInnenbegehren gelenkt.

Um die Gewerkschaften und ihre Millionen Mitglieder für antikapitalistische Kampagnen jeder Art zu gewinnen, ist also eine systematische Auseinandersetzung mit der SozialpartnerInnenschaft und ihrer Trägerin, der Gewerkschaftsbürokratie, nötig. Schon die Debatte darüber, wie diese aussehen könnte und sollte, wird in der Linken nicht geführt und auf den Streikkonferenzen der Luxemburg-Stiftung konsequent verhindert.

Die Idee eines sozial gebändigten Kapitalismus‘ ist nicht neu. Riexinger will dem Raubtier nur neue ökologische Fesseln anlegen. Dieser Traum ist immer wieder befeuert worden, weil es Phasen gab, in denen die Bourgeoisie Zugeständnisse an die ArbeiterInnenbewegung machen musste. Er wurde auch genährt, weil in Krisenperioden die gängigen bürgerlichen Ideologien selbst fraglich werden. Daher suchen auch viele nach radikalen Alternativen. Auch das versuchen Riexinger und die Linkspartei wie auch viele ähnliche Strömungen in Westeuropa, den USA und auf der gesamten Welt aufzugreifen, indem sie einen scheinbar radikaleren Reformismus als gangbare quasi revolutionäre, antikapitalistische Politik zu begründen versuchen.

Die Aufgabe für SozialistInnen und KommunistInnen bleibt beständig, in einer historischen Krise des kapitalistischen Systems nicht für eine neue sozialere Formation des Kapitalismus zu kämpfen, welche dieses verrottete System sofort wieder zerlegen würde, sobald es kann.

Fazit

Die reformistischen Spielarten des Green New Deal lösen weder die sozialen und politischen Probleme unserer Zeit noch die ökologischen Krisen. Ganz grundlegend behandelt dieser GND die soziale Transformation, nationale und internationale  Klassenverhältnisse als Verteilungsprobleme. Und in diesen Reigen fügt sich auch die Umweltfrage ein, die sich, ebenso wie Fragen der sozialen Gerechtigkeit, des Verhältnisses von Norden und Süden usw. angeblich durch eine stärkere Regulation der kapitalistischen Wirtschaft lösen ließen. Ob es nun Teilverstaatlichungen, eine „Rahmenplanung“ durch den bürgerlichen Staat oder Belegschaftseigentum an großen Unternehmen sein sollen, in jedem Fall bleiben die grundlegenden Mechanismen der Konkurrenz und der kapitalistischen Akkumulation intakt.

Was den reformistischen Green New Deal von anderen, vor allem vom linksbürgerlichen unterscheidet, ist nicht, dass er Bündnisse mit Teilen der herrschenden Klasse ablehnen würde. Er sieht nur im Unterschied zu anderen Spielarten des GND die Notwendigkeit, dass die ArbeiterInnenklasse, die gewerkschaftlich und in reformistischen Massenparteien organisiert ist, im Bündnis mit der Umweltbewegung ständig Druck auf den Staat, die Regierung und auf die KapitalistInnen ausüben muss, quasi als ständiger Reparaturbetrieb wirken muss, um die „Transformation“ voranzubringen, was, wie jede reformistische oder rein gewerkschaftliche Strategie, bestenfalls einer Sisyphusarbeit gleichkommt.

Bei günstigem Geschäftsgang des Kapitals kann sie noch eine gewisse Logik für sich beanspruchen, weil sich der Umverteilungsspielraum der rein gewerkschaftlichen und sozialreformerischen Aktivität bei Prosperität des Kapitals erweitert, dann die Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft günstiger sind. Krisenperioden jedoch  unterhöhlen die Basis dieser Sisyphusarbeit.

Was die Frage der ökologischen Transformation betrifft, stößt diese Reformpolitik jedoch auf ein zweites, grundlegendes Problem. Während die Prosperität des Kapitals den Spielraum für Sozialreformen erhöhen kann, so gilt dies keineswegs für die Lösung  ökologischer Probleme. Im Gegenteil, der freie Gang der Akkumulation verschärft und beschleunigt diese Krise. Daher greift eine Politik, die die Frage der gesellschaftlichen Transformation letztlich als Verteilungsproblem analog zum gewerkschaftlichen Kampf betrachtet, notwendigerweise immer zu kurz.

Die verschiedenen Formen der ökologischen Krise (in gewisser Weise auch die Corona-Pandemie) werfen vielmehr die Frage nach grundlegender bewusster Reorganisation der Gesellschaft auf: nach dem Was, Wie, Wieviel, Womit und Für wen produziert wird, nach bewusster gesellschaftlicher Planung.

Um die sieben, zu Beginn des Artikels dargestellten, großen ökologischen Krisenphänomene bewältigen zu können, sind grundlegende Eingriffe in die Bestimmung dessen, was wie produziert wird, notwendig. Diese sind untrennbar mit der Überwindung der globalen kapitalistischen Ausbeutungsordnung verbunden, also der internationalen Revolution. Nur so kann Produktion und Reproduktion vernünftig und ökologisch nachhaltig im Interesse der gesamten Menschheit bewusst reorganisiert werden.

Ein Aspekt dieses Gesamtkomplexes betrifft auch die Frage der Endlichkeit von Ressourcen. Sozialismus und Kommunismus können nicht einfach als ein Mehr an Produktion und eine Verallgemeinerung des Konsums der Bevölkerung auf dem Stand der ArbeiterInnenklasse der Industrieländer aufgefasst werden. Für diese wird vielmehr eine Beschränkung des aktuellen individuellen Konsumniveaus notwendig sein.

Dem stehen natürlich ein Gewinn an frei verfügbarer Zeit, weniger Arbeitsstunden, gemeinschaftlich statt nur persönlich nutzbare, wiederverwertbare und langlebige Güter und die Möglichkeit zur viel breiteren, umfassenderen individuellen Entfaltung entgegen, so dass eine sozialistische Umwälzung letztlich im Interesse der gesamten ArbeiterInnenklasse liegt.

Beim Green New Deal werden diese Fragen jedoch entweder grundsätzlich ignoriert oder bloße Scheinlösungen präsentiert, weil auch ein „reformierter“ oder „gebändigter“ Kapitalismus, der notwendigerweise auf einer erweiterten Reproduktion des Gesamtkapitals beruhen muss, mit einer planmäßigen, an den Bedürfnisse von Mensch und Natur ausgerichteten Produktion unvereinbar ist.

6. Zusammenfassende Kritik

a) Alle Spielarten des ND oder GND erkennen an, dass der „reine“ freie Markt nicht ausreicht zur ökologischen Transformation, sondern ein staatliches Eingreifen erforderlich ist. Insofern impliziert der GD oder der GND immer zumindest eine begrenzte Kritik am Neoliberalismus und das Aufgreifen einzelner keynesianischer Momente.

b) Alle unterstellen jedoch zugleich, dass kapitalistisches Wachstum mit ökologischem Umbau erfolgreich verbunden werden muss.

Dies impliziert also die Möglichkeit einer erfolgreichen Regulierung des Kapitalismus durch Regierungen – durch Preispolitik, Stimulation der Konkurrenz für ökologische Ziele, Investitionsprogramme oder, in den linksten Varianten, durch partielles Eingreifen in die Verfügungsgewalt des Privateigentums bis hin zu Verstaatlichungen in einzelnen Sektoren.

Grundsätzlich gehen alle Varianten des GD/GND davon aus, dass die kapitalistische Produktionsweise ökologisch nachhaltig gemacht werden könne, wenn nur eine dementsprechende Technologie verallgemeinert und ökologisch nachteilige Effekte durch staatliche Rahmenbedingungen oder Wirtschaftspolitik ausgeglichen würden.

c) Der bürgerliche Staat wird als Instrument zur Regulierung des Kapitalismus im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit (und bei den linkeren Konzeptionen auch sozialer Gleichheit) begriffen . Er muss gewissermaßen nur selbst reformiert und „richtig“ eingesetzt werden.

d) Staatliche Politik soll durch eine gesellschaftliche Mehrheit (Allianzen) oder Bewegungen gestützt werden. Gesellschaftliche Hegemonie soll hergestellt werden, um den GND (oder GD) gegen Widerstände durchzusetzen. Bei allen Unterschieden zielen sämtliche Konzepte auf eine Art korporatistische und zivilgesellschaftliche Einbindung verschiedener Klassen, auf eine „progressive Allianz“.

e) Alle Varianten des GND unterstellen, dass sich eine nachhaltige Ökonomie analog zur Einbeziehung von Teilen der ArbeiterInnenklasse in eine reformierte kapitalistische gestalten ließe. Das heißt, die ökologischen Fragen werden letztlich wie Umverteilungsfragen behandelt.

f) Alle sind letztlich nationale (oder allenfalls auf einen Staatenbund wie die EU bezogene) Programme, deren internationale Komponente nie über wechselseitige, völkerrechtliche Abmachungen bürgerlicher Staaten und nebulöse Bekenntnisse zu mehr „Fairness“ in den Wirtschaftsbeziehungen hinausgeht. Die bestehende imperialistische Ordnung und die ihr zugrunde liegende Arbeitsteilung werden faktisch vorausgesetzt und bleiben letztlich unangetastet.

7. Umwelt und sozialistische Transformation

Bei aller Kritik wirft der Green New Deal die Frage auf, wie die Produktion, wie Gesellschaft, wie das Verhältnis von Mensch und Natur in Zukunft organisiert werden sollen. Natürlich mussten sich Menschen immer schon zur Natur verhalten, haben immer in diese eingegriffen, diese verändert. Das trifft für alle menschlichen Gemeinschaften und damit natürlich auch alle vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen zu.

Das Verhältnis dieser Gemeinschaften zur Natur war natürlich nie ein naiv-harmonisches. Die äußere Natur tritt dem Menschen oft genug als unbeherrschter, noch wenig erkannter und verstandener Zusammenhang entgegen. Die Mittel zur eigenen Existenz werden teilweise vorgefunden oder als Mittel zur Befriedigung eigener Bedürfnisse entdeckt oder müssen einer oft übermächtigen Naturgewalt abgerungen werden. Die Natur, die natürliche Umwelt, tritt also selbst als sich durch menschlichen Eingriff, Arbeit verändernde Materie auf. Ein „harmonisches“ Mensch-Natur-Verhältnis existiert nicht. Dieses Bild entsteht vielmehr erst auf späteren Stufen der Entwicklung der Klassengesellschaft, insbesondere in verschiedenen Spielarten der Romantik und ihren Ausläufern, als immer schon verklärtes und ideologisiertes, seinem Wesen nach reaktionäres Naturbild.

Reaktionär ist es insbesondere deshalb, weil es den Blick auf das Mensch-Natur-Verhältnis selbst verstellt. Dieses ist immer schon durch die gesellschaftliche Arbeit vermittelt, ja, die menschliche Arbeit konstituiert überhaupt erst den Unterschied zwischen Mensch und Natur. Neben die natürliche Umwelt tritt eine zweite, mit dieser immer eng verbundene menschliche, gesellschaftliche Natur:

„Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur.“[l]

Mit der menschlichen Arbeit geht also immer schon ein zweckmäßiger Eingriff in Natur einher, und als Bildnerin von Gebrauchswert stellt sie, egal, ob nun als Arbeitsmittel oder zum individuellen Verbrauch, eine Grundbedingung jeder menschlichen Gesellschaft dar. Mit der menschlichen Arbeit geht aber auch ihre Zwecksetzung einher. Dies unterscheidet sie von den entwickeltsten anderen Spezies auf dem Planeten. Auch Primaten können z. B. Gegenstände als Hilfsmittel einsetzen, aber sie produzieren diese nicht. Bienen, Termiten oder Ameisen kooperieren instinktiv in riesigen Gemeinschaften, aber sie setzen sich diese Zwecke nicht selbst. Marx macht diesen Unterschied und damit auch ein Wesenselement der menschlichen Arbeit im 1. Band des Kapitals deutlich:

„Wir unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen ausschließlich angehört. Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht daß er nur eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt; er verwirklicht im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt und dem er seine Willen unterordnen muß. Und diese Unterordnung ist kein vereinzelter Akt.“[li]

Diese allgemeinen Bestimmungen der menschlichen Arbeit verweisen schon darauf, dass im Arbeitsprozess nicht nur ein unvermeidlicher Eingriff in die Natur stattfindet, sondern auch darauf, dass dieser auch die Möglichkeit einer rationalen, nachhaltigen Regelung dieses Stoffwechsels beinhaltet. Auf den ersten Blick erscheint das Verhältnis von Mensch und Natur dabei als recht einfaches, transparentes.

Nicht so jedoch im realen historischen Entwicklungsprozess. Die Menschen machen bekanntlich zwar ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie unter vorgefundenen, ihnen selbst als gegeben entgegentretenden Bedingungen, weder aus freien Stücken noch mit vollem Bewusstsein in Gestalt eines Gesellschaftsplans. Die von ihnen selbst geschaffenen Verhältnisse erscheinen ihnen wie Naturgewalten, als außerhalb ihres Willens und ihrer Kontrolle liegend. Die Produktionsweisen und Gesellschaftsformationen, die sie im Laufe ihrer Entwicklung hervorgebracht haben und die letztlich auf Entwicklungsstufen der menschlichen, und das heißt immer schon der gesellschaftlichen, Arbeit beruhen, erscheinen ihnen daher in ideologisierter Weise.

Auch frühere Produktionsweisen griffen teilweise massiv und extrem zerstörerisch in die Natur ein – bis hin zur Verwüstung ganzer Landstriche, der Ausrottung zahlreicher Tierarten oder auch der Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen lokaler oder regionaler menschlicher Gemeinschaften, die, wenn auch ungewollt, zum Untergang ganzer Kulturen führen konnten. Allerdings waren diese Prozesse letztlich lokal oder regional begrenzt.

Der Kapitalismus stellt das Verhältnis von Mensch und Natur auf eine nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ neue Grundlage. Anders als frühere Produktionsweisen greift er in globalem Maßstab und auf Grundlage der großen Industrie in dieses Verhältnis ein. Die Menschheit wird im Kapitalismus selbst zu einem bestimmenden Faktor der Entwicklungen globaler ökologischer Systeme. Der Klimawandel ist dafür nur ein Bespiel.

Dabei kommt zweierlei zum Ausdruck. Erstens stellt der Kapitalismus von Beginn an eine globale Produktionsweise dar. Zweitens prägt der Widerspruch zwischen gesellschaftlichem Charakter der Arbeit und privater Aneignung der Arbeitsprodukte diese Produktionsweise grundlegend.

Der nützliche Charakter der Arbeit erweist sich erst im Nachhinein über den Markt, also  hinter dem Rücken der ProduzentInnen. Ob ein Produkt das Bedürfnis eines/r Dritten befriedigt, ist dabei jedoch nur eine Bedingung für die erfolgreiche Vermittlung über Kauf und Verkauf. Die Ware muss nicht nur ein Bedürfnis befriedigen, der Bedürftige muss  seinerseits auch kaufkräftig sein.

Wesentlich für das über den Markt vermittelte Verhältnis ist jedoch, dass in der kapitalistischen Produktionsweise noch in einem viel grundlegenderen Sinn die Bedürfnisse Dritter nur Mittel zum eigentlichen Zweck der Produktion verkörpern. Die Metamorphosen (Umwandlung) der Waren stellen selbst ein dem Kapitalkreislauf und den Metamorphosen des Kapitals untergeordnetes Moment dar. Der eigentliche Zweck der Produktion besteht in der Verwertung des Werts, darin, aus Kapital C mehr Kapital C’ zu schlagen. Daher muss der kapitalistische Produktionsprozess ständig nach Expansion, nach Ausdehnung seiner Basis und nach Erweiterung der Akkumulation streben. Ein Kapitalismus ohne Wachstum wäre gleichbedeutend mit einem Kapitalismus ohne erweiterte Reproduktion des Kapitals, wie Sklaverei ohne Versklavung.

Akkumulation ist das Lebenselixier der bestehenden Produktionsweise; ohne diese keine Vermehrung von Profit. Historisch betrachtet, ging dies mit einem enormen Fortschritt gegenüber vorhergehenden Gesellschaftsformationen einher, nämlich der Umwälzung der technischen Grundlage der Produktion, der Einbeziehung von Wissenschaft und Technik in den Arbeitsprozess und damit auch der Schaffung der produktiven Grundlagen für eine bewusste Form der Vergesellschaftung. Doch solange das Kapitalverhältnis selbst besteht, geht der Widersprich zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung auf Kosten von Mensch und Natur. Er  besteht in der Ausbeutung und damit in der Zurichtung der Arbeitenden einerseits in der Ausnutzung der Naturbedingungen ohne Rücksicht auf langfristige Folgen, also der Unterminierung und tendenziellen Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit andererseits.

Die Stärke des Marxismus und seiner Kapitalanalyse besteht zweifellos darin, dass er im 19. Jahrhundert bereits diese grundlegende Tendenz erkannt hat:

„In der Agrikultur wie in der Manufaktur erscheint die kapitalistische Umwandlung des Produktionsprozesses zugleich als Martyrologie der Produzenten, das Arbeitsmittel als Unterjochungsmittel, Exploitationsmittel und Verarmungsmittel des Arbeiters, die gesellschaftliche Kombination der Arbeitsprozesse als organisierte Unterdrückung seiner individuellen Lebendigkeit, Freiheit und Selbständigkeit. Die Zerstreuung der Landarbeiter über größre Flächen bricht zugleich ihre Widerstandskraft, während Konzentration die der städtischen Arbeiter steigert. Wie in der städtischen Industrie wird in der modernen Agrikultur die gesteigerte Produktivkraft und größre Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt in Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z. B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“[lii]

In der imperialistischen Epoche wird dieser Widerspruch weiter auf die Spitze getrieben. Die Tendenzen zur Monopolisierung, die immer größere Konzentration und Zentralisation des Kapitals verstärken erstens den Umfang des Produktionsprozesses und der Warenzirkulation, zweitens aber auch die Tendenz zum Beharren auf bestehender (umweltschädlicher) Produktion.

Globale Konkurrenz, Aufteilung der Welt zwischen den großen Kapitalgruppen und die Beherrschung der sog. Dritten Welt bedeuten auch, die Kosten etwaiger ökologischer „Folgeschäden“ auf ärmere Regionen, deren ArbeiterInnenklasse und Bauern- und Bäuerinnenschaft abzuwälzen – allesamt Folgen einer Produktionsweise, die sich auf der Ebene des Mensch-Natur-Verhältnisses zu einem System des Umweltimperialismus’[liii] verdichtet hat.

Die krisenhafte, katastrophische Zuspitzung dieses Widerspruchs drängt in den letzten Jahrzehnten unwillkürlich ins Bewusstsein der Gesellschaft, in den öffentlichen Diskurs. Klimawandel, wachsende Kluft zwischen Stadt und Land, zwischen Nord und Süd, die Fragen der Zukunft der Landwirtschaft, der Energieversorgung, des Artensterbens, die Zunahme von Schadstoffen und Müll sind nur einige Problemfelder, die deutlich machen, dass sich die Gesellschaft in einer ökologischen Sackgasse befindet.

So wie bei großen ökonomischen und gesellschaftlichen Krisen muss das Kapital auch bei der ökologischen Zuflucht beim Staat nehmen. Die Akkumulation und Konkurrenz führen an den Abgrund. Die ökologische Katastrophe bedroht nicht nur den ökonomischen Reproduktionsprozess, sondern die Lebensgrundlagen der Menschheit selbst. Daher ruft auch ein Teil der herrschenden Klasse nach Staatsintervention, ähnlich wie beim ökonomischen Krisenprozess.

So wie die gesellschaftlichen Formen des Kapitals (z. B. die Aktiengesellschaft) und das Staatseigentum ihre jeweilige Kapitaleigenschaft nicht abstreifen können, somit also keine Lösung seiner inneren Widersprüche darstellen können, sondern nur deren Austragungsform verändern, so kann auch kein noch so gut gemeinter Green New Deal, kein noch so ökologisch auftretender bürgerliche Staat ein nachhaltiges Verhältnis zu den natürlichen Grundlagen menschlicher Existenz herstellen.

Ähnlich wie bei Kapitalverhältnissen kann er zwar reformierend eingreifen, z. B. indem bestimmte Umweltauflagen für Unternehmen erlassen, bestimmte Technologien und damit verbundene Kapitalgruppen gefördert werden, indem versucht wird, durch Steuerpolitik einzugreifen usw.

Doch in Wirklichkeit sind die Möglichkeiten, den ökologischen Krisenprozessen mit staatlichen Reformen beizukommen, noch viel begrenzter, als der Verelendung der Lohnabhängigen durch den rein ökonomischen bzw. gewerkschaftlichen Kampf der ArbeiterInnenklasse zu begegnen.

Das liegt daran, dass der Lohnkampf bis zu einem gewissen Grad selbst notwendig ist, um das Wertgesetz im Kapitalismus überhaupt zur Geltung zu bringen. Ohne kollektive gewerkschaftliche Aktionen oder ohne staatliche Gesetze, also ohne Begrenzung des Arbeitstages oder Mindesteinkommen würde der Arbeitslohn für große Teile der Lohnabhängigen unter die Reproduktionskosten sinken, der Arbeitstag immer mehr ausgeweitet werden. Für die einzelnen Kapitale hätte dies natürlich unmittelbare Vorteile, weil es die Mehrwertrate deutlich erhöhen würde, aber für die Reproduktion des Gesamtkapitals würde es langfristig ein Problem darstellen, wenn sich die ArbeiterInnenklasse aufgrund zu geringer Löhne nicht ausreichend reproduzieren könnte. Ihr Gebrauchswert würde damit nämlich zerstört oder zumindest nicht in ausreichendem Maße hergestellt.

Allerdings kennt die herrschende Klasse Lösungswege auf dem Boden der Kapitalakkumulation und der imperialistischen Ordnung. Erstens können Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzungen oder eine Erhöhung des Soziallohns (Arbeitsschutzbestimmungen, Sozialversicherungen oder staatliche, über Steuern finanzierte Leistungen wie Schulbildung … ) durch eine Erhöhung des relativen Mehrwerts   so kompensiert werden, dass die Akkumulation sogar über mehrere Konjunkturzyklen hinweg weiter expansiv und dynamisch ausfallen kann. Zweitens erzwingt die imperialistische Arbeitsteilung auch, dass neben der Durchschnittsarbeit auch Lohnarbeitende in den Kolonien oder Halbkolonien bzw. rassistisch unterdrückte ihre Arbeitskraft unter ihrem Wert verkaufen müssen. Die Entlohnung der Arbeitskraft zu ihrem Wert findet daher auch im Normalbetrieb des Kapitalismus nur für einen Teil der globalen ArbeiterInnenklasse statt. In Krisenperioden wird auch dieses geschichtlich etablierte Niveau angegriffen.

Doch darüber hinaus muss noch ein weiterer grundlegender Unterschied in Betracht gezogen werden. Die Reproduktion von globalen ökologischen Systemen folgt einer anderen Logik als die des Kapitals. In letzter Instanz trifft das zwar auch auf die menschliche Arbeitskraft zu, aber in Phasen der Prosperität kann diese noch eher mit der Entwicklungsdynamik des Kapitals vermittelt werden.

Für den/die einzelne/n Lohnabhängige/n wie auch ganze Beschäftigtengruppen, ja, für eine gesamte ArbeiterInnenschaft, springt das Interesse an Löhnen, die die Reproduktionskosten auf Basis der kapitalistischen Verhältnisse decken, unmittelbar ins Auge und wird z. B. in der ideologisierten Forderung nach gerechtem Lohn erhoben.

Anders bei den ökologischen Folgekosten des Kapitalismus. Diese sind ohnedies oft externalisiert. Sie erscheinen darüber hinaus in einem Gegensatz zum eigentlichen Produktionsverhältnis. Indem die natürlichen Grundlagen der Produktion und des menschlichen Lebens gewissermaßen gratis vorgefunden werden, scheinen die zerstörerischen Folgen der kapitalistischen Produktion nur als „äußeres“ technisches Problem, nicht als Teil des Gesamtkomplexes gesellschaftlicher Arbeit.

Dies trifft ganz offenkundig auf die kapitalistische Umweltpolitik, aber auch auf linkere Varianten des Green New Deal zu. Alle unterstellen einen dauerhaft expandierenden, aber sozial regulierten Kapitalismus. Die ökologische Frage wird so allenfalls analog zu einem gewerkschaftlichen Problem betrachtet. Doch genau das bleibt unterhalb der eigentlichen Problematik.

In Wirklichkeit wirft die ökologische Krise dauerhaft die Frage auf, die auch jede Krise des Kapitalismus erhebt: die nach der Reorganisation des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs. Schon in der „Deutschen Ideologie“ begründen Marx und Engels die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution aus der Entwicklung der inneren Widersprüche des Kapitalismus und verweisen in diesem Zusammenhang auf den grundlegenden Unterschied der kommunistischen Umwälzung gegenüber der bürgerlichen:

„Der Kommunismus unterscheidet sich von allen bisherigen Bewegungen dadurch, daß er die Grundlage aller bisherigen Produktions- und Verkehrsverhältnisse umwälzt und alle naturwüchsigen Voraussetzungen zum ersten Mal mit Bewußtsein als Geschöpfe der bisherigen Menschen behandelt, ihrer Naturwüchsigkeit entkleidet und der Macht der vereinigten Individuen unterwirft. Seine Einrichtung ist daher wesentlich ökonomisch, die materielle Herstellung der Bedingungen dieser Vereinigung; sie macht die vorhandenen Bedingungen zu Bedingungen der Vereinigung. Das Bestehende, was der Kommunismus schafft, ist eben die wirkliche Basis zur Unmöglichmachung alles von den Individuen unabhängig Bestehenden, sofern dies Bestehende dennoch nichts als ein Produkt des bisherigen Verkehrs der Individuen selbst ist.“[liv]

Kurzum, die Aufgabe der sozialistischen Umwälzung besteht darin, die Verkehrsform der Gesellschaft selbst bewusst hervorzubringen und zu gestalten. Dies schließt zugleich ein, die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit, also ökologische Nachhaltigkeit selbst zu sichern. Im „Kapital“, wo Marx auf den zunehmenden Riss von Landwirtschaft und Industrie, von Mensch und Natur verweist, deutet er auch allgemein auf die Mittel zur Lösung des Problems:

„Die Zerreißung des ursprünglichen Familienbandes von Agrikultur und Manufaktur, welches die kindlich unentwickelte Gestalt beider umschlang, wird durch die kapitalistische Produktionsweise vollendet. Sie schafft aber zugleich die materiellen Voraussetzungen einer neuen, höheren Synthese, des Vereins von Agrikultur und Industrie, auf Grundlage ihrer gegensätzlich ausgearbeiteten Gestalten.“[lv]

Die Verbindung von Industrie, Agrikultur und Wissenschaft bildet den Schlüssel für diese Produktion der Verkehrsform – aber eben nur unter der Voraussetzung der Enteignung der herrschenden Klasse und einer planwirtschaftlichen Reorganisation der gesamten Produktion und Reproduktion.

Die Entwicklung der Produktivkräfte schafft zwar die Bedingungen zur Lösung der gesellschaftlichen und ökologischen Probleme. Erstere darf aber nicht nur als rein technische  Entwicklung verstanden werden, also solche der Erfindung neuer nachhaltiger Energieträger, effizienterer, Ressourcen sparender Produktion und Technik.

Vielmehr müssen solche in zukünftige Planungen und auch bereits in ein Programm von Übergangsforderungen eingebunden werden, um auf diesem Weg von Beginn an Parameter und Gleichgewichtsbedingungen für den Erhalt (oder teilweise auch die Wiederherstellung) ökologischer Geosysteme zu installieren.. Eine gesellschaftliche Gesamtplanung muss daher nicht nur als Planung bestimmter menschlicher Bedürfnisse, effektiverer, arbeitszeitsparender Produktion und dazu notwendiger Verteilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit auf verschiedene Bereiche von Produktion und Reproduktion verstanden werden. Es muss auch der Stoffwechsel mit der Natur in die Planung selbst einfließen, so dass die menschliche Produktion als Teil eines größeren, globalen Kreislaufes begriffen wird.

Die gesellschaftliche Produktionsweise muss und kann nicht nur als Gegensatz zur natürlichen Umwelt verstanden, sondern muss auch als ihr Bestandteil erfasst werden – nämlich weil sich die Menschheit zwar selbst eine eigene, zweite gesellschaftliche Natur schafft, zugleich aber immer auch Naturwesen bleibt.

Die Enteignung des Kapitals, die Eigentumsfrage, stellt wie generell im Übergang zum Sozialismus die Schlüsselfrage zur Reorganisation der Wirtschaft gemäß menschlichen Bedürfnissen und ökologischer Nachhaltigkeit dar. Jedes Programm von Übergangsforderungen muss in der „Expropriation der ExpropriateurInnen“ gipfeln und in der Errichtung einer umfassenden demokratischen Planung.

Auch wenn es möglich und notwendig ist, Umweltreformen auch vom bürgerlichen Staat zu fordern, so entspricht die ökologische Transformation keiner Addition solcher, sondern sie erfordert vielmehr einen grundlegenden Bruch mit der bestehenden Gesellschaftsordnung.

Daher nimmt schon im Hier und Jetzt die Frage der Kontrolle über solche Maßnahmen, über Gesetze, erkämpfte Verbesserungen usw. eine Schlüsselrolle ein. Die Reorganisation der Produktion erfordert die Kontrolle durch die Lohnabhängigen, und zwar nicht nur auf betrieblicher, sondern auf gesellschaftlicher Ebene. So darf die ArbeiterInnenkontrolle z. B. bei der Umstellung von Produktionsverfahren oder Produktion nicht nur auf betrieblicher Ebene gedacht werden. Die Kontrolle z. B. über die Prioritäten der Verkehrsplanung muss über die betriebliche Ebene hinaus erfolgen. Selbiges gilt für die Frage der Reorganisation des Verhältnisses von Stadt und Land, für die Veränderungen in der Agrarproduktion, die Schaffung von Verbindungen und Kontrollorganen nicht nur der ArbeiterInnenklasse, sondern auch mit Bauern und Bäuerinnen, insbesondere der Kleinbauern-/bäuerinnenschaft und den Landlosen, wenn wir an die halbkolonialen Länder denken.

Die ökologische Transformation muss in jedem Fall mit einer massiven Umverteilung der Ressourcen einhergehen, einschließlich einer gewaltigen Zentralisation ebendieser, um das Erreichen von bedrohlichen Kipppunkten bei globalen Erdsystemen wie dem Klima zu verhindern, aber auch um die Mittel für die Bekämpfung der Folgen ökologischer Veränderungen gerade in den ärmsten Ländern und Regionen massiv zu erhöhen.

Die ökologische Transformation ist daher untrennbar mit der Machtfrage verbunden, dem Kampf für ArbeiterInnen- und Bauern-/Bäuerinnenregierungen und seiner Verallgemeinerung zur globalen sozialistischen Revolution.

Damit die ArbeiterInnenklasse selbst zum Subjekt, zur entscheidenden Trägerin dieser Umwälzung werden kann, muss sie selbst aber grundlegend verändert werden. Nicht nur die Jahrzehnte der Vorherrschaft von Stalinismus und Sozialdemokratie haben Verheerendes im Bewusstsein der Klasse angerichtet. Auf dem Weg zu einer Revolutionierung der Klasse müssen auch Scheinlösungen wie der Green New Deal politisch überwunden werden. Erst recht trifft das auf  rein ökonomistische Sichtweisen in der Umweltfrage und im ArbeiterInnenbewusstsein zu.

So erfordert beispielsweise ein Übergangsprogramm, auch offen auszusprechen, dass bestimmte Produktionsfelder eingestellt werden müssen, wenn wir die ökologische Krise überwinden wollen. Natürlich können und sollen die Arbeitenden in diesen Sektoren weiter Beschäftigung finden, ja, ihr Wissen, ihre Expertise stellt selbst eine enorme Ressource für die Konversion in ökologische nachhaltige Produktion dar. Zugleich erlaubt eine solche Umverteilung der Arbeit auch eine Reduktion der Arbeitszeit oder eine Verlagerung von Arbeit auf Sektoren, die heute chronisch an Überbelastung leiden (z. B. im Gesundheitswesen). Die Überwindung des entfremdeten Charakters der Arbeit und der repressiven Grundstruktur der bürgerlichen Gesellschaft wird schließlich auch die Bedürfnismuster verändern und die Grundlagen für den vorherrschenden Konsumfetisch allmählich zum Verschwinden bringen.

Aber ein Gesamtprogramm ökologischer Transformation erfordert, auch deutlich zu machen, dass es reale Einschränkungen des Verbrauchs an Konsumgütern nicht nur für KapitalistInnen und Mittelschichten wird geben müssen, sondern auch für bedeutende Teile der ArbeiterInnenaristokratie in den imperialistischen Ländern, wenn nicht für die gesamte Klasse. Schon Lenin wies in der Diskussion über die sozialistische Umwälzung des 20. Jahrhunderts darauf hin, dass das kommunistische Programm den privilegierteren Schichten der ArbeiterInnenklasse – damals der ArbeiterInnenaristokratie in Westeuropa und den USA – nicht einfach den bestehenden Zugang zu Konsumgütern weiter garantieren könne. Schließlich muss die globale sozialistische Revolution zuerst die Lebensbedingungen der Masse der Lohnabhängigen und vor allem der ärmsten und unterdrücktesten Schichten in den halbkolonialen Ländern sichern.

Was die sozialistische Revolution und eine damit einhergehende ökologische Transformation jedoch der gesamten Klasse der Lohnabhängigen und insbesondere auch der oft hoch qualifizierten, für die planmäßige Umgestaltung der Gesellschaft in vielen Fällen überaus wichtigen ArbeiterInnenaristokratie garantieren kann, ist erstens die Überwindung der Entfremdung ihre Arbeit, ihrer knechtischen, vereinseitigenden Unterordnung unter das Kapital und zweitens eine Reduktion der Arbeits- und damit eine deutliches Mehr an disponibler Zeit, um sich selbst umfassend als menschliches Individuum zu entwickeln.

Natürlich muss auch heute eine sozialistische Revolution für die große Masse der weltweiten ArbeiterInnenklasse wie auch der Bauern und Bäuerinnen eine Zunahme an Gütern bedeuten – sei es an Konsumgütern, an Wohnraum, an Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, an Gesundheits- und Altersversorgung usw. Für die privilegierteren Teile der ArbeiterInnenklasse gerade in den imperialistischen Ländern können wir uns jedoch eine sozialistische Revolution nicht ökonomistisch als weitere Vermehrung von Konsumgütern vorstellen. Diese würde die klassenlose Gesellschaft zu einer Unmöglichkeit machen. Auch der Überfluss der kommunistischen Gesellschaft, von dem Marx spricht (z. B. in der Kritik des Gothaer Programms) darf nicht als unbegrenzter Zugang zu Gütern missverstanden werden. Der Überfluss, den die klassenlose Gesellschaft allerdings herbeiführen kann, besteht vielmehr in der Reduktion gesellschaftlich notwendiger Arbeits- und in der Ausdehnung disponibler, frei verfügbarer Zeit, die zur eigenen allseitigen Entwicklung verwendet werden kann. Eng damit verbunden ist die Tatsache, dass eine klassenlose Gesellschaft, eine Reorganisation von Produktion und Reproduktion im Interesse der Gesellschaft selbst und ökologischer Nachhaltigkeit auch dazu beitragen werden, die für den Kapitalismus typische Trennung von entfremdeter Arbeit und, oft nur auf andere Weise entfremdeter, Freizeit zu überwinden, so dass die gesellschaftliche Arbeit selbst zu einem Bedürfnis und Teil einer allseitigen menschlichen Entwicklung wird.

Eine solche Perspektive der sozialistischen Transformation wird jedoch nicht spontan in der ArbeiterInnenklasse entstehen, ja, nicht entstehen können. Grundsätzlich entwickeln die Lohnabhängigen revolutionäres Klassenbewusstsein nie spontan oder auch nur aus ihren ökonomischen Kämpfen heraus. Dieses muss vielmehr von außen in die Klasse getragen werden.

Die aktuelle ökologische Krise und deren Verschärfung führen zweifellos Millionen Lohnabhängige und vor allem Millionen Jugendlicher zur Suche nach einer Lösung für die großen ökologischen Probleme.  Aufgrund der Verhältnisse werden sie geradezu auf den Weg der Systemkritik, auf die Suche nach einer Alternative zum Kapitalismus  gestoßen. Worin der oft geforderte Systemwandel jedoch besteht, wie er erkämpft werden kann, welche gesellschaftliche Neuorganisation daher notwendig ist und wie diese erkämpft werden soll, ergibt sich daraus jedoch noch nicht. Das erfordert vielmehr die Verbindung von ArbeiterInnenklasse, ökologischer Kritik und wissenschaftlichem Sozialismus zu einer Einheit, zu einer revolutionären Partei und Internationale. Es erfordert ein internationales Programm von Übergangsforderungen, das den Kampf gegen die ökologische Krise als Teil der sozialistischen Weltrevolution begreift. Und es erfordert eine Rückbesinnung auf einen umfassenden Begriff von sozialer Umwälzung und Kommunismus. Nur die Umwerfung aller Verhältnisse, die den Menschen zu einem verächtlichen, ausgebeuteten, geknechteten, unterdrückten und vereinseitigten Wesen machen, stellt die notwendige, unerlässliche Voraussetzung dafür dar, dass die Menschen selbst ihre eigene gesellschaftliche Verkehrsform bewusst gestalten und hervorbringen – im Einklang mit ihren natürlichen Lebensbedingungen.

Endnoten

[i] https://www.de-ipcc.de/media/content/Hauptaussagen_AR6-WGI.pdf

[ii] Matthias Martin Becker, Klima, Chaos, Kapital, PapyRossa Verlag, Köln 2021, S. 78

[iii] http://pdwb.de/nd23_2011.htm

[iv] Roosevelt, Nominierungsrede 1932, Zitiert nach: https://de.wikipedia.org/wiki/New_Deal

[v] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1939/04/marxismus.htm

[vi] Leo Trotzki, Faschismus und New Deal. In: Ders., Denkzettel. Politische Erfahrungen im Zeitalter der permanenten Revolution [Hrsg.: Isaac Deutscher/George Novack/Helmut Dahmer], Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1981, S. 254)

[vii] Ebenda, S. 255

[viii] Ernest Mandel, Trotzkis Faschismustheorie, Einleitung zu Schriften über Deutschland, in: Leo Trotzki, Schriften über Deutschland, Band 1, EVA, Frankfurt/Main 1971, S. 14.)

[ix] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/boerse/biden-klimaschutz-billionenprogramm-101.html

[x] https://www.blaetter.de/ausgabe/2021/juni/bidenomics-klimawende-mit-angezogener-handbremse

[xi] https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal_de

[xii] https://cms.gruene.de/uploads/documents/Wahlprogramm-DIE-GRUENEN-Bundestagswahl-2021_barrierefrei.pdf

[xiii] Ebenda, S. 6

[xiv] Ebenda, S. 34

[xv] Ebenda, S. 34

[xvi] Ebenda, S. 117

[xvii] Naomi Klein, Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima, S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2015

[xviii] Naomi Klein, Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann, Hoffmann und Campe, Hamburg 2019

[xix] Klein, zitiert nach: Ebenda, S. 280

[xx] Klein, ebenda,  S. 281

[xxi] Ebenda, S. 282

[xxii] Unter degenerierten ArbeiterInnenstaaten verstehen wir Staaten, in denen der Kapitalismus zwar abgeschafft wurde, jedoch die Bürokratie die politische Macht monopolisiert hat. Die Sowjetunion entwickelte sich nach einer genuinen proletarischen Revolution zu einem ArbeiterInnenstaat mit bürokratischen Auswüchsen, Deformationen aufgrund ihrer Isolation. Die Etablierung der stalinistischen Herrschaft bedeutete den Abschluss dieses Prozesses. China, Kuba, Nordkorea, Vietnam oder die Länder Osteuropas waren von Beginn an degenerierte ArbeiterInnenstaaten. Zur Analyse siehe: Revolutionärer Marxismus 52, Theoretisches Journal der Liga für die Fünfte Internationale, Stalinismus und der Untergang der DDR, global red, Berlin 2019

[xxiii] Klein, Warum nur ein … , a. a. O., S. 282

[xxiv] Ebenda, S. 38

[xxv] Ebenda, S. 320

[xxvi] Yeva Nersisyan/Randall L. Wray, How to Pay for the Green New Deal, in: Working Paper des Levy Insitute of Bard College, No 931, Mai 2019; zitiert nach: Ingo Stützle, Money makes the world go green, in: PROKLA 202, 51. Jg., Nr. 1, Bertz + Fischer, Berlin März 2021, S. 72

[xxvii] Klein, Warum nur ein … , a. a. O., S. 324

[xxviii] Ebenda, S. 328

[xxix] Karl Marx/Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, in: MEW 4, Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959, S. 488

[xxx] Klein, Warum nur ein … , a. a. O., S. 327

[xxxi] Ingo Stützle, Money makes the world go green? In: PROKLA 202, Bertz + Fischer, Berlin 2021, S. 71 – 94

[xxxii] Karl Marx, Das Kapital, Band 1, MEW 23, Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971, S. 109

[xxxiii] Ebenda, S. 107

[xxxiv] Ingo Stützle, Money makes … , a. a. O.,  S. 83

[xxxv] Ebenda

[xxxvi] Katharina Schramm, Radikal bis neoliberal – aktuelle Konzepte des Green New Deal, in: Z. Zeitschrift für marxistische Erneuerung 121 [Hrsg.: Forum Marxistische Erneuerung e. V./IMSF e. V.], Frankfurt(Main März 2020; [online]: https://www.linksnet.de/artikel/47932

[xxxvii] Dörre, Great Transformation: Die Zukunft moderner Gesellschaften (Vortrag, gehalten auf dem 30. ordentlichen Bundeskongress der NaturFreunde Deutschlands e. V., Nürnberg 31. März bis 2. April 2017); [nur online]:

http://www.intranet.naturfreunde.de/sites/default/files/attachments/nfdbk_vortrag-doerre_great-transformation.pdf

[xxxviii] Bernd Riexinger, Neue Klassenpolitik. Solidarität der Vielen statt Herrschaft der Wenigen, VSA Verlag, Hamburg 2018

[xxxix] Bernd Riexinger, System Change, Plädoyer für einen linken Green New Deal –
Wie wir den Kampf für eine sozial- und klimagerechte Zukunft gewinnen können.
Eine Flugschrift, VSA Verlag, Hamburg 2020

[xl] Ebenda, S. 9

[xli] Ebenda, S. 24

[xlii] Ebenda, S. 132 f.

[xliii] Ebenda, S. 59 f.

[xliv] Ebenda, S. 62

[xlv] Ebenda, S. 103

[xlvi] Ebenda, S. 103

[xlvii] Ebenda, S. 16

[xlviii] Ebenda, S. 96

[xlix] Ebenda, S. 97

[l] Marx, Das Kapital, Band 1, a. a. O., S. 192

[li] Ebenda, S. 193

[lii] Ebenda, S. 528 ff

[liii] Chris Kramer, Umwelt und Kapitalismus, Revolutionärer Marxismus 54, S. 7 – 40

[liv] Karl Marx/Friedrich Engels, Die Deutsche Ideologie, in: MEW 3, Dietz Verlag, Berlin/DDR 1969, S. 70

[lv] Marx, Das Kapital, Band 1, a. a. O.,  S. 528




Verkehrswende: Postwachstum vs. demokratische Planwirtschaft

Leo Drais, Neue Internationale 254, April 2021

Die in den Dannenröder Wald im vergangenen Herbst für den Bau der A49 geschlagene Schneise zeigt eindrucksvoll, dass hierzulande von einer Verkehrswende nicht gesprochen werden kann. Bisher gibt es sie einfach nicht. Winzige Positivbeispiele können allenfalls einen schwächlichen Anschein davon erwecken. Ein Blick in diverse Statistiken unterstreicht diese Erkenntnis: Zwischen 2015 und 2019 verdoppelten sich die Neuzulassungen von SUV und Geländewagen, der Güterverkehr auf der Schiene stagniert seit Jahren bei einem Anteil von 18 %, das Autobahn-und Bundesstraßennetz Deutschlands wuchs seit 1990 um rund 6.000 km, das Schienennetz schrumpfte um etwa dieselbe Größe.

Da stellt sich natürlich die Frage: Wie kann das gehen, diese Verkehrswende? Die Antworten darauf sind vielfältig. Die deutsche Autoindustrie und „Bundesautominister“ Scheuer verkaufen uns übergewichtige E-Autos als Antwort, was unter anderem bedeutet, die Energiewende zu verzögern und wasserintensiv Lithium abzubauen, wo kaum Wasser vorhanden ist (Argentinien, Bolivien, Chile). Die Intention der deutschen Autoindustriellen liegt auf der Hand: Den pseudonachhaltigen E-Mobility-Hype nutzen, um elektrisch aus der derzeitigen Krise zu neuem Wirtschaftswachstum und fetten Profiten zu fahren – selbst im Krisenjahr 2020 hat VW über 10 Mrd. Euro Gewinn getätigt.

Lösung Postwachstum?

Eine andere der diskutierten Lösungen zur Abwendung der Klimakatastrophe – eine Lösung, die eine Verkehrswende natürlich beinhalten müsste – ist die aus akademischen Kreisen stammende Idee des Postwachstums, auch bekannt als „Degrowth“. Diese erkennt an, dass die gegenwärtige Form von Wirtschaftsachstum mit einer begrenzten Erde unvereinbar ist. Ziel ist daher, eben jenes Wachstum zu beschränken beziehungsweise umzukehren, sprich die Wirtschaftsleistung sowie den Konsum zu senken. Und auch wenn es manche anders sehen mögen – explizit antikapitalistisch ist die in ihren Köpfen angepeilte Postwachstumsökonomie nicht, womit auch schon das Unmögliche und Problematische dieser Idee beginnt.

Der Wachstumszwang, genauer das fortwährende Vermehren, die Akkumulation von Kapital, ist untrennbar mit dessen Produktionsweise verbunden, wächst ihm direkt aus dem Herzen, dem bürgerlichen Privateigentum, das in Konkurrenz zu seinesgleichen steht. Nicht zu wachsen, die Produktion und damit den Konsum nicht auszuweiten, heißt für die kapitalistischen AkteurInnen wie die deutschen AutokapitalistInnen, zu verschwinden und von der Konkurrenz vom Weltmarkt verdrängt zu werden. Wer also davon träumt, das Natur und Mensch zerstörende kapitalistische Wachstum zu beseitigen, darf vor der Enteignung bürgerlichen Eigentums, sprich von VW, Lufthansa & Co. nicht zurückschrecken, sondern muss es offen aussprechen. Alles andere schürt Illusionen in die Reformierbarkeit und Zähmbarkeit des Kapitalismus …

An dieser Stelle muss eingeschoben werden, dass dieser Artikel bei Weitem nicht ausreicht, um sämtliche Gedanken der PostwachstumstheoretikerInnen einer angemessen umfassenden Kritik zu unterziehen. Er ist eher ein Anreiz zur weiteren Diskussion – wofür der folgende Satz besonders taugt:

„So wenig wie möglich, so viel wie nötig.“

Dieser sollte Kernelement jeder ernsthaften Verkehrswende-Strategie sein und führt direkt zur Frage: Wer bestimmt, wie viel Verkehr nötig ist und auf welchen Wegen er stattfindet? Unter kapitalistischen Vorzeichen ist die Antwort klar: Das Kapital kommandiert Arbeit und Konsum, sei es durch die Produktion direkt oder vermittels des kapitalistischen Staates, der Autobahnen baut und vom Bahnstreckenneubau für ländlichere Gebiete nichts wissen will.

Dass das Auto das dominierende Fortbewegungsmittel ist und für eine große Anzahl Menschen alternativlos erscheint, liegt ja eben daran, dass es oft genug das günstigste, flexibelste und schnellste ist, insbesondere im ländlichen Gebiet. Oft genug gibt es keine taugliche andere Möglichkeit und daher ist es auch unmöglich, auf individualistische Weise durch Konsumänderung eine andere Verkehrsinfrastruktur herbeizuführen. Dem Kapital innerhalb des Kapitalismus seinen Wachstumszwang zu nehmen, der zudem aufgrund wachsender Arbeitsproduktivität mit überproportional zunehmender Erzeugung von materiellen Gütern und entsprechendem Ressourcenverbrauch einhergeht, ist eine Utopie, zudem eine reaktionäre, wenn sie die Mehrheit der Weltbevölkerung auffordert, den Gürtel enger zu schnallen.

Ein wie auch immer gearteter „Aufstand derer, die ihre eigene Verantwortung ernst nehmen und auf demokratische und freiheitliche Weise positive Beispiele vorleben und das Leben entrümpeln und mehr Zeit finden, statt immerzu unterwegs zu sein“, wie PostwachstumsvordenkerInnen wie Niko Paech es vorschlagen, geht an der Lebensrealität der meisten Menschen völlig vorbei und klingt  beiläufig gesagt gegenüber ärmeren unter ihnen auch höhnisch. Vor allem aber fehlt der  konkrete Weg, wie zu so wenig wie möglich, so viel wie nötig Verkehr gekommen werden kann. Weder der individuelle Konsumverzicht noch die punktuelle und ineffiziente Regionalökonomie können das schaffen.

Die Frage der Verkehrswende ist eine Machtfrage. So wie die Macht des Kapitals darin liegt, den gegenwärtigen Transportfluss auf der Erde wesentlich zu steuern, ist es eine Machtfrage, die Verkehrswende global gegen Automobil- und Ölindustrie durchzusetzen. Statt individualistisch das eigene Mobilitätsverhalten zu ändern (so gut das auch ist, wenn’s denn möglich wäre) und Arbeitszeit zu reduzieren (sofern man sich das überhaupt leisten kann), braucht es eine Veränderung, die um gesellschaftlich übergreifend zu wirken, von der gesamten Produktions -und Verteilungssphäre ausgehen muss und sich nicht auf die – je nach Geldbeutel – „freie“ Wahl des Endprodukts beschränkt und den immer größer werdenden Anteil der Zwischenprodukte ignoriert.

Demokratischer Plan

Der Utopie einer Postwachstumsökonomie stellen wir die Perspektive einer demokratischen Planwirtschaft entgegen, die anstatt das Wachstum an sich überwinden zu wollen, sich im Gegenteil das Ziel setzt, die Produktivkräfte der Gesellschaft zu steigern, um auf diesem Wege eine Arbeitszeitverkürzung für alle möglich zu machen und die bestmögliche Effizienz in der Logistik zu verwirklichen. Das schließt nicht nur eine sinnvoll geplante Produktion mit ein, sondern auch die Überwindung der Kluft zwischen Stadt und Land sowie die möglichst gleichmäßige internationale Verteilung von Industrie und Dienstleistungen.

Voraus geht diesem Vorschlag natürlich, die Kontrolle über die Produktion dem bürgerlichen Staat und den KapitaleignerInnen zu entreißen. Die einzige gesellschaftliche Kraft, die dies überhaupt könnte, ist die organisierte und sich ihrer Aufgabe bewusst werdende ArbeiterInnenklasse, die damit beginnt, für die Enteignung der Transportunternehmen einzutreten, für demokratische ArbeiterInnenkontrolle kämpft und selbst ein Verkehrswendeprogramm entwickelt, dem der Grundsatz „So wenig wie möglich, so viel wie nötig“ aus Sicht der notwendigen Reproduktion der unmittelbaren ProduzentInnen und nicht der Produktion fürs Kapital zugrunde liegt.

Natürlich – davon sind wir weit entfernt, von einer klassenbewussten ArbeiterInnenklasse, die sich der ökologischen Aufgaben unserer Zeit annimmt. Derzeit sucht die Umweltbewegung nach dem Weg, der wirklich zu einer anderen Klima- und Umweltpolitik, ernsthaft zu einer globalen Verkehrswende führt. Wir haben hier kurz versucht anzureißen, warum die Postwachstumstheorie nur eine mangelhafte Antwort gibt. Demgegenüber schlagen wir der Umweltbewegung vor, die potentielle Macht einer ArbeiterInnenbewegung wieder zu entdecken. Dazu braucht diese eine neue revolutionäre Partei, die revolutionäres Umweltbewusstsein in Klasse und Bewegung tragen kann. Denn: Was ist schon die individuelle Entschleunigung gegen einen Generalstreik für das Klima?




Agrarwende? Nur gegen das Kapital!

Jürgen Roth, Neue Internationale 243, Dezember 2019/Januar

Am 18. Januar 2020 werden wie in den vergangenen Jahren zehntausende Menschen auf den Straßen Berlins unter dem Motto „Wir haben es satt!“ demonstrieren. Anlass ist die Eröffnung der 85. „Grünen Woche“, der weltweit größten Agrarmesse.

Forderungen

Das Bündnis „Meine Landwirtschaft“ als Veranstalter weist darauf hin, dass 2020 wichtige Entscheidungen für Landwirtschaft und Klima anstehen (EU-Agrarreform, EU-Mercosur-Freihandelsabkommen, Klimapaket), und fordert: „Agrarwende anpacken, Klima schützen – Macht endlich eine Politik, die uns eine Zukunft gibt!“ Fördergelder soll es nur für Bauernhöfe geben, „die die Tiere gut halten, Umwelt und Klima schützen und gutes Essen für uns alle herstellen!“

Die Demonstration
fordert von der Bundesregierung:

„Die Agrarwende finanzieren – Bauernhöfe beim Umbau der Landwirtschaft nicht alleine lassen: Mit gezielten Subventionen und fairen Preisen sind artgerechte Tierhaltung und mehr Klima- und Umweltschutz machbar!

  • Klares Veto gegen das Mercosur-Abkommen: Für gerechten Welthandel, globale Bauernrechte und konsequenten Regenwaldschutz!
  • Nein zu den Industrie-Mogelpackungen: Gentechnik, Patent-Saatgut und der routinemäßige Einsatz von Pestiziden und Kunstdünger verschärfen die Klimakrise und den Hunger!“

Landwirtschaft
in Bewegung

Am 18. Januar
geht der fortschrittlichere Teil der landwirtschaftlichen, bäuerlichen und
genossenschaftlichen ProduzentInnen auf die Straße. Schon am 22.10. zog auch
das europäische Netzwerk „#GoodFoodGoodFarming“ (http://gfgf.eu)
zum EU-Parlament in Straßburg und forderte dort die Umverteilung der
EU-Agrarsubventionen: weg von pauschalen Flächenprämien hin zu einer konkreten
Unterstützung für „enkeltaugliche“ Landwirtschaft. „Wir haben es satt!“
unterstützte auch letzteres.

Eine andere
Haltung nahm das Bündnis richtigerweise zu den am 22. Oktober und 26. November
2019 demonstrierten in mehreren deutschen Städten Bäuerinnen und Bauern. Diese
wurden von der Initiative „Land schafft Verbindung“ gegen Düngeverordnung und
Insektenschutzprogramm mobilisiert, um auf die missliche Lage auf dem Lande
aufmerksam zu machen.

Die
Traktor-Demonstrationen kritisiert „Wir haben es satt!“ als ambivalent. Das
„Agrarpäckchen“ der Bundesregierung mit seinen halbherzigen Maßnahmen
grundsätzlich abzulehnen, sei falsch, richtig dagegen, dass die Bauernhöfe
nicht mit dem „gesellschaftlich gewollten“ Umbau der Landwirtschaft allein
gelassen werden dürften. Zu Recht weist das Bündnis auf die verheerenden
ökologischen Folgen von Pestizideinsatz (Insektensterben), Massentierhaltung
(Gülleverseuchung des Trinkwassers, Abholzung des Regenwalds für
Gensoja-Futter) und Dumpingexporten (Vernichtung kleinbäuerlicher Existenzen)
hin.

Als Alternative
stellt es in den letzten 10 Jahren eine starke Bewegung für gute Landwirtschaft
und gutes Essen fest. Immer mehr Bauern und Bäuerinnen bauten ihre Ställe um
und erzeugten Lebensmittel ohne Gentechnik, nutzten weniger Pestizide oder
setzten ganz auf Bio. Bürgerinitiativen hätten unzählige Tierfabriken
verhindert, Volksbegehren kämpften für Artenvielfalt und Foodsharing-Projekte
retteten wertvolle Lebensmittel vor dem Müll. Schließlich kauften immer mehr
Menschen konzernfreie Nahrung und äßen weniger Fleisch.

Unbegründeter
Optimismus

Diese Sichtweise
der Agrarprotestbewegung „Wir haben es satt“ legt nahe, dass der Fortschritt lediglich
eine Frage der Vernunft sein und dass sich bei LandwirtInnen wie
VerbraucherInnen zunehmend durchsetze. Es brauche eigentlich nur Druck auf
Regierungen und EU, um auch diese zur Vernunft zu bewegen, und alles gehe wie
von selbst.

Doch derzeit
liegt der weltweite Anteil der ökologisch bewirtschafteten Äcker im Vergleich
zur Gesamtnutzfläche bei 0,8 %. Zudem steigt die Weltbevölkerungszahl
weiter an und verschwinden weltweit immer mehr Nutzfelder für die
Grundnahrungsmittelproduktion. Darüber hinaus sind sich die Herrschenden der
drastischen Verschlechterung der Bedingungen des zukünftigen Nahrungsanbaus,
darunter v. a. der Übersäuerung und Auslaugung fruchtbarer Böden, durchaus
bewusst. Gerade deshalb sichern sie sich bereits jetzt mittels Handel und
Börsenspekulation unbearbeitete Flächen, um aus der von ihnen selbst
verursachten globalen Hungersnot zukünftig Profit zu schlagen. Bei steigenden
Bevölkerungszahlen und stets rückgängigen fruchtbaren Ackerböden ist der Gewinn
so sicher wie das Amen in der Kirche.

Gute und
schlechte Bauern und Bäuerinnen?

So richtig die
Kritik an der letztlich reaktionären Stoßrichtung von „Land schafft Verbindung“
ist, so sehr kippt z. B. das Netzwerk Campact in einem Spendenbettelbrief
(!) das Kind mit dem Bade aus. „Kleine, naturnahe“ Höfe schützten Artenvielfalt
und Insekten, während die „Turbo-Landwirtschaft“ als einzige von den
Erzeugerpreisen der Discounteinzelhandelsketten noch gut leben könne.
Zahlreiche Insolvenzen auch größerer Betriebe zeigen aber, dass auch viele von
diesen unter den herrschenden Bedingungen unter Druck geraten, wenn auch nicht
so sehr wie kleinere Höfe. Zudem ist es nicht so, dass Beihilfen auch für die
große Agrarwirtschaft seit 2005 nicht an Umwelt- und Tierschutzstandards
gebunden seien. Diese stellen aber nur eine kümmerliche Kompensation für die
miserable Vergütung durch Handel und verarbeitendes Gewerbe dar, die sich zugleich
frei auf dem Weltmarkt bedienen können. Biobetriebe bekommen übrigens längst
wesentlich mehr – in Brandenburg 490 ggü. 250 Euro pro Hektar.

Richtig an der
Kritik bleibt, dass Unternehmen mit viel Fläche und ohne Tierhaltung durch die
Direktzahlungen überproportional begünstigt werden und diese deshalb an soziale
und zusätzliche ökologische Standards sowie die Beschäftigtenzahl gekoppelt
werden sollten. Der Protest von „Land schafft Verbindung“ richtete sich erst an
letzter Stelle gegen das Mercosur-Abkommen und vorrangig gegen das noch gar
nicht beschlossene Agrarpaket der Bundesregierung, dessen Auswirkungen auf
Arten- und Gewässerschutz höchst zweifelhaft sein dürften. Das
Mercosur-Abkommen führt die bauernfeindliche Agrarpolitik fort und soll für verstärkte
Konkurrenz mit AnbieterInnen auf globalisierten Märkten sorgen, die überhaupt
keine Tierschutz- und Umweltstandards einhalten müssen. Die Empörung dagegen
wäre viel berechtigter gewesen als die gegen das Regierungspaket, in dessen
Zustandekommen die Protestierenden nicht einbezogen waren. Trotzdem ist die Wut
verständlich, die Suppe auslöffeln zu müssen für Lebensmittelindustrie und
–handel, die mit ihrem Preisdumping maßgeblich für die Misere mit
verantwortlich sind.

Zurück zur
kleinbäuerlichen Hofidylle?

Bei aller
berechtigten Kritik an den reaktionären Protesten von „Land schafft
Verbindung“, prägt auch „Wir haben es satt“ eine rückwärtsgewandte Perspektive.
Die Rettung der „unabhängigen“ Bauernwirtschaft durch „gezielte Subventionen“
soll nicht nur die Landwirtschaft retten, sondern auch die Ernährung auf
sichern.

Dabei entspricht
das Selbstbild als freie UnternehmerInnen auf dem Land längst nicht mehr der
Realität – und es wird auch nicht mehr wiederkehren. „Wir haben es satt“ täte
gut darin, sich von dieser Chimäre zu verabschieden, die schon lange nicht mehr
der Realität entspricht und im globalisierten Kapitalismus erst recht nicht.

Eine ökologisch
nachhaltige Agrarwirtschaft wird die Ernährung der Weltbevölkerung nicht
mittels Rückkehr zur nicht-kapitalistischen kleinen Hofwirtschaft sicherstellen
können! Nicht Ersatz der industriell betriebenen Agrarwirtschaft durch
handwerkliche kann die Lösung sein, die zudem eine rückwärtsgewandte
reaktionäre Utopie darstellt, sondern die Aneignung der landwirtschaftlichen
Produktivkräfte auf wissenschaftlicher Basis und in großem Maßstab. Dazu muss
man diese (Veterinärmedizin, Saatgut, Düngemittel, Bodenfläche, Genpatente …)
den kapitalistischen Agrarkonzernen und GroßgrundbesitzerInnen entreißen und in
den Dienst der Allgemeinheit stellen. Dazu braucht es eine Revolution nicht nur
auf dem Lande, sondern in der gesamten Gesellschaft, letztlich die Errichtung
der Herrschaften der ArbeiterInnenklasse und die Enteignung des Großkapitals.
Nur auf der Grundlagen von Gemeineigentum an den Produktionsmitteln und eine
demokratischen Planwirtschaft können auch die landwirtschaftlichen
ProduzentInnen in einen transparenten, auf Nachhaltigkeit und soziale Standards
bedachtes Verhältnis zu den KonsumentInnen und zur industriellen Produktion
eingebunden werden. Die Verbindung von ArbeiterInnenklassen und armer
Bauern-/Bäuerinnenschaft ist dabei in den Entwicklungsländern
überlebenswichtig, aber auch z. B. in der BRD notwendig.

Klassenfrage

In Deutschland
waren 2010 noch 1,6 % der Erwerbsbevölkerung in der Landwirtschaft
einschließlich Fischerei und Forstwirtschaft tätig. Dabei repräsentiert „Wir
haben es satt“ den untypischen, schrumpfenden Teil der selbstständigen
Kleinunternehmen. In Deutschland (außer im ostelbischen Preußen) spielte der
kapitalistische Betrieb mit LohnarbeiterInnen im Gegensatz zu Großbritannien
eine untergeordnete Rolle. Nichtsdestoweniger wurde die Landwirtschaft
v. a. nach dem 2. Weltkrieg vollständig der Warenproduktion einverleibt.

Eine immer größer
werdende Anzahl von AgrarproduzentInnen befindet sich in einem Stadium zwischen
KleinunternehmerIn und LohnarbeiterIn. Damit ist nicht die Zahl der Bauern und
Bäuerinnen gemeint, die ihre Betriebe aufgegeben haben und z. B. als LohnarbeiterInnen
in der Industrie ihr Geld verdienen. Diese gehören zum Proletariat.

Zum
Halbproletariat gehört die Schar der NebenerwerbslandwirtInnen, die ihre Höfe
nach Feierabend bewirtschaften. Immer mehr AgrarierInnen arbeiten wie die
deklassierte DorfhandwerkerInnenschaft im 19. Jahrhundert (Verlagssystem) nur
für Aufträge aus Industrie und Handel mit von diesen festgelegten Preisen.
Ganze ehemals bäuerliche Tätigkeiten (Schlachtung, Milchverarbeitung …) sind
zum kapitalistisch betriebenen Gewerbe geworden. Bereiche wie Geflügelmast und
Eierproduktion werden praktisch in Lohnarbeit erledigt, auch wenn die Betriebe
und Böden sich noch in Händen des/r bäuerlichen LohnarbeiterInnen befinden
mögen. Es ist von daher einsichtig, dass KommunistInnen diese im Übergang zum
Proletariat befindlichen Schichten keineswegs ignorieren oder abschreiben
dürfen zugunsten alleiniger Orientierung auf das „grüne“
kleinbäuerlich-selbstständige Milieu, auch wenn erstere in der
„Turbolandwirtschaft“ tätig sind!

Nachhaltige
Landwirtschaft und Markt: unlösbarer Widerspruch!

Wie in allen
anderen Wirtschaftsbereichen führt diese triste kapitalistische Wirklichkeit
auch in der ökologischen Landwirtschaft zwangsläufig zu stets sich selbst
reproduzierenden Widersprüchen. Auf der einen Seite existiert das völlig
verständliche Bedürfnis nach qualitativ hochwertigen Lebensmitteln, nach Ausbau
sozialer Mindeststandards insbesondere für ProduzentInnen aus Drittweltstaaten
und einer sich verbunden fühlenden Gemeinschaft der Ökolandbauern und
–bäuerinnen. Auf der anderen Seite werden diese Prinzipien gerade durch den
permanenten Konkurrenzkampf mit anderen MarktteilnehmerInnen immer wieder
ausgehöhlt. De facto sind Ökolandbauern und –bäuerinnen, so fortschrittlich sie
auch denken mögen, zur kapitalistischen Produktionsweise gezwungen, da ihr
Überleben selbst vom Gesamtmarkt (also dem übergeordneten System) abhängig ist.
Die von der Ökobewegung ausgeblendete oder falsch beantwortete Klassenfrage
stellt ein zusätzliches Hindernis für wirklich selbstverwaltete Strukturen in
den Händen der Lohnabhängigen, der übergroßen Bevölkerungsmehrheit in diesem
Lande, dar wie umgekehrt der niedrige Stand proletarischen Klassenbewusstseins.

Nicht die
ArbeiterInnen als EndverbraucherInnen sind z. B. für die massive
Lebensmittelverschwendung verantwortlich. Nur ein geringer Bruchteil wird
tatsächlich in Privathaushalten entsorgt, ein noch geringerer in
LohnempfängerInnenhaushalten. Durch unzählige Lebensmittelnormen im Interesse
der Industrie gelangt ein großer Teil erst gar nicht in den Handel.

Sozialismus und
Landwirtschaft

Die staatliche
Landwirtschaftspolitik, so scheinen etlicher selbständige BäuerInnen zu hoffen,
soll anscheinend durch ihre Subventionen die kapitalistische Konkurrenz außer
Kraft setzen. Die Mehrzahl der untergegangenen Höfe spricht eine andere Sprache
und verdeutlicht, dass auch in der Landwirtschaft die Gesetze des Marktes
wirken. Die staatliche Politik hat allenfalls zeitweilig, beginnend mit dem
letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, die Proletarisierung, das Ausscheiden aus
der Landwirtschaft verzögert, doch nur insoweit, als sie das Agrarkapital
stärkte. Genauso haben später die EU-Programme diesen Prozess beschleunigt bei
immer weiterer Durchsetzung kapitalistischer Marktlogik und
Weltmarktorientierung. „Wir haben es satt“ wendet sich also mit seinen Appellen
an falsche Freundinnen, ähnelt hier einem Großteil der Bewegung „Fridays for
Future“.

Auch die in der
Ökobranche gängigen Genossenschaften und Kommunen können den äußeren Einfluss
des Kapitalismus nicht aushebeln. Solange sie am marktwirtschaftlichen
Geschehen teilnehmen, müssen sie zum Überleben nach seinen ökonomischen
Spielregeln handeln. Sie werden entweder ein stinknormaler kapitalistischer
Betrieb wie alle anderen oder untergehen.

Erst die eine sozialistische
Umwälzung schafft die Voraussetzungen für eine nachhaltige ökologische
Landwirtschaft. Die Enteignung der Agrokonzerne und des Großgrundbesitzes sowie
die Planwirtschaft, nicht die kleine Parzellenwirtschaft für einen anonymen
Markt, können die unabdingbaren Voraussetzungen schaffen, um bäuerliche
Genossenschaften bzw. Privatwirtschaften der KleinbesitzerInnen in eine
integrierte ökologische Kreislaufwirtschaft einzubeziehen und somit den
Gegensatz zwischen Stadt und Land nach und nach zu überwinden. Soziale
Phänomene wie Landflucht und Hypertrophie der Städte werden verschwinden.

Agrarwende nur
mit Systemwandel

An dieser Stelle
können wir kein umfassendes Agrarprogramm vorlegen. Wir wollen hier nur kurz
wichtige Forderungen im Kampf gegen das Kapital in der Landwirtschaft
sowie  Eckpunkte eines
sozialistischen Programms darlegen und zur Diskussion stellen.

  • Annullierung aller Schulden für nicht-ausbeutende ErzeugerInnen! Verstaatlichung der Banken unter ArbeiterInnenkontrolle, günstige Kredite für genossenschaftliche ProduzentInenn, Ermutigung der selbstständigen Wirtschaften zum genossenschaftlichen Zusammenschluss
  • Integrierte ökologische Kreislaufwirtschaft! Gleichmäßige Verteilung von Ackerbau und Viehzucht sowie Artenvielfalt und Düngemittel sparende Fruchtfolge!
  • Offenlegung aller Patente (Gentechnik, Antibiotika, Dünger, Anbau- und Erntetechniken)! Frei zugängliches, breit diversifiziertes Saatgut!
  • Anwendung von Pestiziden und Antibiotika nur nach wissenschaftlichen Kriterien, wenn andere Mittel versagen! Landwirtschaftliche Forschung unter ArbeiterInnenkontrolle, nicht unter jener der Konzerne!
  • Staatliches Außenhandelsmonopol statt Protektionismus und kapitalistischen Freihandels! Gezielte Förderung der Erzeugung eines breiten Angebots an Grundnahrungsmitteln vorrangig vor dem Anbau von Exportfrüchten! Sicherstellung der Ernährung der Weltbevölkerung zuerst! Erlass aller Schulden der Länder der Dritten Welt!
  • Verstaatlichung des Grund und Bodens unter Kontrolle durch ArbeiterInnen und nicht-ausbeutende bäuerliche Werktätige! Abschaffung des Großgrundbesitzes! Zahlung der Grund- und Bodenrente an den Staat!
  • Entschädigungslose Enteignung der Agro- und Lebensmittelkonzerne unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Integration von Landwirtschaft, Forsten und Fischerei in den allgemeinen Wirtschaftsplan unter ArbeiterInnenkontrolle und der dortigen nicht-ausbeutenden Werktätigen! Aufhebung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land!
  • Keine Agrarwende ohne Sozialismus – kein Sozialismus ohne Agrarwende!



Ökosozialismus: Kritik der Konzeption von Michael Löwy

Michael Märzen, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1980, 9. Dezember 2019

Mit diesem Artikel möchten wir unsere bisherige Kritik des Ökosozialismus zur Diskussion stellen. Dabei ist es schwierig, von dem Ökosozialismus zu sprechen, da es sich um einen politisch breit besetzten Begriff handelt. Eine der ausgeprägteren politischen Darstellungen lieferte Michael Löwy, Mitglied der Vierten Internationale (Vereinigtes Sekretariat), in seinem Buch „Ökosozialismus. Die radikale Alternative zur ökologischen und kapitalistischen Katastrophe“, weshalb wir uns vor allem darauf beziehen. Das bedeutet aber auch, dass dieser Artikel nicht schon unser letztes Wort zu diesem Thema sein kann. Die zunehmende Bedeutung der Ökologie, welche durch die Umweltbewegung eine beträchtliche öffentliche Aufmerksamkeit erhalten hat, wird eine marxistische Auseinandersetzung mit den Ideen des Ökosozialismus auch in Zukunft erfordern.

Hintergrund unserer Auseinandersetzung mit dem Ökosozialismus ist die Tatsache, dass im Dezember 2018 das Netzwerk „Aufbruch – für eine ökosozialistische Alternative“ in Österreich gegründet wurde. Die beteiligten Organisationen Aufbruch Salzburg, Aufbruch Innsbruck, Revolutionär-Sozialistische Organisation (RSO), Sozialistische Alternative (SOAL) und Solidarische Linke Kärnten (SLK) bekennen sich damit zum gemeinsamen Aufbau einer antikapitalistischen und ökosozialistischen Organisation, ohne ihre eigenen Strukturen bisher aufgelöst zu haben. Dieser Gründung war ein Austausch über eine antikapitalistische und ökosozialistische Kooperation vorangegangen, an dem wir uns zwar nicht personell beteiligen konnten, aber zu dem wir in einem Diskussionsbeitrag unsere Offenheit gegenüber einer antikapitalistischen Kooperation klarstellten. Zur Frage des Ökosozialismus konnten wir damals noch keine fundierte Position beziehen. Deshalb schrieben wir: „Ist der Begriff des ‚Ökosozialismus‘ wirklich noch so offen oder stehen hinter dem Begriff teilweise nicht schon seit längerer Zeit linke Strömungen, die sich damit bewusst vom ‚orthodoxen‘ Marxismus abzugrenzen versuchten? Wir halten eine gewissenhafte Auseinandersetzung mit dem Ökosozialismus im Rahmen einer Kooperation jedenfalls für vernünftiger, als diesen als Ausgangspunkt einer solchen zu setzen.“ Unsere Bedenken wurden jedenfalls bei der Gründung dieser Kooperation nicht berücksichtigt, auch haben wir von keiner Seite eine Antwort auf unseren Beitrag erhalten.

Zum inhaltlichen Einstieg möchten wir klarstellen, dass sich unsere Kritik des Ökosozialismus nicht auf die hervorgehobene Bedeutung der Ökologie bezieht. Der Kapitalismus zerstört die Lebensgrundlagen auf unserem Planeten in einem immer drastischeren Ausmaß und gefährdet damit nicht nur die Möglichkeit einer zukünftigen egalitären Gesellschaft, sondern die Existenz menschlicher Zivilisation überhaupt. Dementsprechend kann man der Umweltfrage gar nicht genug Aufmerksamkeit schenken. Unsere Kritik bezieht sich vielmehr auf die Revisionen, die zum Teil und unter anderem bei Löwy an den revolutionären Auffassungen des Marxismus vorgenommen werden und zu gefährlichen politischen Schlussfolgerungen verleiten. In diesem Zusammenhang ist es auch aufschlussreich zu erwähnen, dass einige dieser Revisionen – zumindest für den deutschsprachigen Raum – auf die historischen Ursprünge des Ökosozialismus in entsprechenden Debatten innerhalb der deutschen Grünen in den 1980ern zurückreichen. Eine lesenswerte Kritik an den damaligen ökosozialistischen Führungsfiguren Rainer Trampert und Thomas Ebermann findet sich schon bei Dieter Elken. Nun aber zu Michael Löwy.

Warum Ökosozialismus?

Löwy geht davon aus, dass die Rettung des ökologischen Gleichgewichts auf dem Planeten unvereinbar ist mit der „expansiven und zerstörerischen Logik des kapitalistischen Systems“. An dessen Stelle brauche es über den Weg einer Revolution eine nachhaltige Gesellschaft auf Grundlage einer demokratisch geplanten Wirtschaft. Soweit können wir ihm folgen. Aber schon beim eigentlichen Ausgangspunkt für seine Theorie des Ökosozialismus wird es schwierig: Löwy unterstellt der ArbeiterInnenbewegung sozialdemokratischer und stalinistischer Tradition eine „Fortschrittsideologie“ und eine „Ideologie des Produktivismus“. Er definiert nicht klar, was er darunter versteht, aber sofern er damit die Unterordnung der Ökologie unter die quantitative Ausweitung der Produktion meint, können wir ihm zustimmen – allerdings sind wir nicht wie er bereit, das Kind mit dem Bade auszuschütten und sogleich die Idee des Fortschritts zu verwerfen, sondern würden diese vielmehr unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit verteidigen. Wie dem auch sei, aufgrund des „Produktivismus“ müsse es eine „Konvergenz“ der ArbeiterInnenbewegung und der Umweltbewegung zum Ökosozialismus geben. Dabei handle es sich um eine „ökologische Theorie- und Aktionsströmung, die sich die grundlegenden Errungenschaften des Marxismus zu eigen macht und sich dessen Schlacken entledigt“. Man muss ihm zugutehalten, dass er entgegen anderen ÖkosozialistInnen Marx und Engels gegen den „Produktivismus“-Vorwurf letztlich verteidigt. Warum es daher abseits der noch zu diskutierenden Schlacken nicht ausreiche, den Marxismus gegen sozialdemokratische und stalinistische Entstellungen zu verteidigen und die Umweltbewegung für den Marxismus zu gewinnen, bleibt an dieser Stelle noch etwas unverständlich.

Zur Herrschaft über die Natur

Einen Teil der Antwort findet man in Löwys Auseinandersetzung mit Marx‘ und Engels‘ Bemerkungen zur Herrschaft über die Natur, die sich immer wieder in ihren Werken finden und immer wieder kritisiert wurden. So verweist er beispielhaft auf Engels‘ Aussage, dass die Menschen im Sozialismus zum ersten Male bewusste, wirkliche HerrInnen der Natur werden. Anschließend verweist er wohlwollend darauf, dass Marx den Mensch als Teil der Natur gesehen habe (was hier nicht als Widerspruch zu Engels gemeint ist). Er zitiert ein bedeutendes Zitat von Engels selbst, das da lautet: „Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andre, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben. ( … ) Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, dass wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand der außerhalb der Natur steht (…) und dass unsere ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen anderen Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.“ Trotz dieser Klarstellung und Verteidigung von Marx und Engels gesteht er den falschen KritikerInnen zu, dass ihre Schriften Anlässe für unterschiedliche Interpretationen des Verhältnisses von Mensch und Natur böten. Und schlussendlich behauptet er, dass Marx am Ende den Sozialismus nicht mehr als „Herrschaft“ oder „Kontrolle“ des Menschen über die Natur gesehen habe, sondern eher als „Kontrolle des Stoffwechsels mit der Natur“ und offenbart zumindest seine Distanzierung zur marxistischen Terminologie – wozu man einwendend fragen könnte, wie der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur denn (nachhaltig) kontrollieren könne ohne Kontrolle und Beherrschung der Natur?

Zur Frage der Produktivkräfte

Kommen wir aber zum eigentlichen Kritikpunkt von Löwy am Marxismus. Diesen verortet er in einer bestimmten Formulierung des historischen Materialismus von Marx selbst, im Vorwort der „Kritik der politischen Ökonomie“: „Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in einen Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen ( … ). Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein.“ Dazu meint Löwy: „Diese Konzeption scheint den Produktivapparat als ,neutral‘ zu betrachten: und wenn er einmal von den durch den Kapitalismus auferlegten Produktionsverhältnissen befreit sei, könne er sich unbegrenzt entwickeln. Der Irrtum dieser theoretischen Konzeption muss heute nicht einmal mehr bewiesen werden. ( … ) [Der Produktivapparat ist] nicht neutral, er dient der Akkumulation des Kapitals und der unbegrenzten Expansion des Marktes. Er steht im Widerspruch zu den Erfordernissen des Umweltschutzes ( … ). Man muss ihn daher ‚revolutionieren‘ ( … ) Das kann für bestimmte Produktionsbranchen bedeuten, sie zu ‚brechen‘ ( … ).“ Und gegen Ende des Buches erklärt er, dass „eine sozialistisch-ökologische Transformation zugleich sowohl die Produktionsverhältnisse als auch die Produktivkräfte und, damit verbunden, die Konsummodelle, die Transportsysteme sowie letztlich die gesamte kapitalistische Zivilisation umwandeln muss.“

Die ökologische Frage fordere laut Löwy daher von den MarxistInnen eine Revision der traditionellen Konzeption der Produktivkräfte und er zitiert wohlwollend einen italienischen „Ökomarxisten“, der meint: „Die Formel, nach der sich eine Transformation potenzieller Produktivkräfte in reale Destruktivkräfte vor allem in Bezug auf die Umwelt vollzieht, erscheint uns angemessener und bedeutsamer als das altbekannte Schema des Widerspruchs zwischen (dynamischen) Produktivkräften und (den sie in Ketten haltenden) Produktionsweisen.“ Zum besseren Verständnis sei hier Marx selbst zu den Destruktivkräften zitiert: „In der Entwicklung der Produktivkräfte tritt eine Stufe ein, auf welcher Produktionskräfte und Verkehrsmittel hervorgerufen werden, welche unter den bestehenden Verhältnissen nur Unheil anrichten, welche keine Produktionskräfte mehr sind, sondern Destruktionskräfte (… ).“

Dass Löwy Marx‘ Konzeption des Verhältnisses von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen als Irrtum (ohne Beweis!) einfach beiseiteschiebt, ist höchst problematisch, immerhin bildet sie den Kern seiner materialistischen Geschichtsauffassung. Der Verweis, dass eben alles revolutioniert werden müsse, bietet dafür keinen Ersatz, denn dabei handelt es sich nur um eine Schlussfolgerung und um keine materialistische Herleitung gesellschaftlicher Veränderung. Obendrein basiert diese auf der falschen Unterstellung, dass die Veränderung der Produktionsweise nicht auch eine qualitative Veränderung der Produktivkräfte nach sich ziehe, und impliziert eine „produktivistische“ Deutung. Was die Entwicklung von Produktivkräften tatsächlich bedeutet, wird klar, wenn man sich vor Augen hält, was Marx eigentlich unter Produktivkräften verstanden hat – was Löwy in seinem Buch unterlässt. Im ersten Band von „Das Kapital“ schreibt Marx: „Die Produktivkraft der Arbeit ist durch mannigfache Umstände bestimmt, unter anderen durch den Durchschnittsgrad des Geschickes der Arbeiter, die Entwicklungsstufe der Wissenschaft und ihrer technologischen Anwendbarkeit, die gesellschaftliche Kombination des Produktionsprozesses, den Umfang und die Wirkungsfähigkeit der Produktionsmittel und durch Naturverhältnisse.“ Die Produktivkräfte umfassen also nicht nur Wissenschaft, Technik oder Maschinerie, sondern (wie an anderer Stelle formuliert) die Naturbedingungen, unter denen produziert wird, und die menschliche Arbeitskraft selbst, die es natürlich beide zu bewahren gilt. Somit wird klar, dass Umweltzerstörung bei Marx Zerstörung von Produktivkraft ist!

Zur ökosozialistischen Ethik

Oberflächlich betrachtet könnte man meinen, dass es sich bei der Frage der Produktivkräfte nur um ein belangloses Missverständnis handelt. Tatsächlich folgen aus der falschen Theorie aber irreführende Folgerungen für die Praxis. Löwy problematisiert die Hemmung der Produktivkräfte durch den Kapitalismus nämlich kaum, sondern vorwiegend deren falsche Entwicklung und Handhabung. Dementsprechend spielt der offensichtlichste Ausdruck von Produktivkrafthemmung und -zerstörung, die Wirtschaftskrise, keine zentrale Rolle in seiner politischen Konzeption. Wirtschaftskrisen werden bei ihm vor allem aufgrund der darauf folgenden hemmungsloseren Ausbeutung der Natur als Verschärfung der Umweltkrise thematisiert. Natürlich gibt es auch Menschen, die darunter leiden und sich gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur wehren, aber er skizziert keine revolutionäre Situation, in der die herrschende KapitalistInnenklasse in eine politische Krise gerät und die ausgebeutete und unterdrückte ArbeiterInnenklasse die bestehenden Verhältnisse nicht mehr ertragen möchte. Stattdessen widmet er ein eigenes Kapitel einer „ökosozialistischen Ethik“, die der nicht-ethischen Logik des Kapitals radikal entgegengesetzt sei. Sie müsse sozial, egalitär und demokratisch sein und der Ökosozialismus würde letztendlich als Ethik der Verantwortung zum humanistischen Imperativ. Hier verlässt Löwy den Boden des wissenschaftlichen Sozialismus, der sich von seinen utopischen Vorläufern dadurch abgrenzte, dass er ihn aus den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen und deren Entwicklung begründete und nicht aus moralischen oder sonstigen Prinzipien, nach denen sich die Welt zu richten habe.

Zur Revolution

Im Marxismus ist es die ArbeiterInnenklasse, die aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozess den Kapitalismus nicht nur beseitigen kann, sondern daran auch ein objektives Interesse hat. Wer ist das „revolutionäre Subjekt“ bei Michael Löwy? Eine wirklich eindeutige Antwort bleibt er schuldig. Natürlich bezieht sich Löwy implizit beim Ökosozialismus als Konvergenz von ArbeiterInnenbewegung und Umweltbewegung auf die ArbeiterInnenklasse. Auch spricht er davon, die Produktionsmittel in die Hände der ArbeiterInnen zu geben. Aber die Rolle der ArbeiterInnenklasse wird nicht weiter ausgeführt, und wo es um politische AkteurInnen geht, hebt er vor allem indigene Gemeinschaften hervor und als besonders entscheidend die globalisierungskritische Bewegung. Aufschlussreicher ist die „Internationale ökosozialistische Erklärung von Belém (Brasilien)“, die Löwy am Ende des Buches anfügt. Dort heißt es: „Die am stärksten unterdrückten Schichten der menschlichen Gesellschaft, die Armen und die indigenen Bevölkerungsgruppen, müssen ein prägender Teil dieser ökosozialistischen Revolution werden ( … ) Gleichzeitig ist die Geschlechtergerechtigkeit eine grundlegende Komponente des Ökosozialismus ( … ) In allen Gesellschaften gibt es darüber hinaus noch weitere mögliche TrägerInnen für eine revolutionäre ökologische Veränderung. ( … ) Die Arbeiterkämpfe, die Kämpfe der Bauern und Bäuerinnen, die Kämpfe der Landlosen und der Arbeitslosen für soziale Gerechtigkeit sind untrennbar mit den Kämpfen für Umweltgerechtigkeit verbunden.“ Es ist unbestreitbar, dass all die genannten sozialen Gruppen wichtig sind im Kampf gegen den Kapitalismus. Aber zumindest in der Erklärung von Belém, die Löwy unterzeichnet hat, sind die Kämpfe der ArbeiterInnen nur ein Teil vieler Kämpfe, ohne herausragende Rolle. Wir wollen hier keinen rein ökonomischen ArbeiterInnenkampf beschwören – es geht um die Frage, wer die notwendige revolutionäre Umgestaltung tatsächlich vollziehen kann und auf wen sich eine sozialistische Organisation daher orientieren und stützen muss.

Diese Frage wird in Löwys Buch allerdings nicht gestellt.
Überhaupt findet sich bei ihm keine wirkliche Begründung einer politischen
Organisation, geschweige denn Partei. In der marxistischen Tradition müssen
sich die klassenbewussten Teile des Proletariats zur ArbeiterIinnenpartei
formieren, zum politischen Subjekt werden, um den Rest ihrer Klasse für den
Sozialismus zu gewinnen. Auch bleibt in diesem Zusammenhang bei ihm die Frage
offen, wie ein revolutionäres Klassenbewusstsein in der ArbeiterInnenklasse
hergestellt werden soll. Die ÖkosozialistInnen haben sich in einem
internationalen Netzwerk organisiert, der Aufbau einer Partei gehört nicht zu
dessen Zielen.

Zu guter Letzt wollen wir noch auf eine zentrale Frage eingehen, nämlich die programmatische Methode. Löwy kommt wie wir aus einer politischen Tradition, die sich die Methode von Trotzkis Übergangsprogramm auf die Fahnen schreibt. Er stellt richtig fest, dass die Notwendigkeit der Revolution nicht bedeutet, auf den Kampf für Reformen, also für Verbesserungen innerhalb des Kapitalismus zu verzichten. Er formuliert das so, dass der Kampf für ökosoziale Reformen zugleich Träger einer Veränderungsdynamik ist, eines Übergangs von Minimal- zu Maximalforderungen. Mit Minimalforderungen werden im Marxismus Reformen bezeichnet, während Maximalforderungen die nach einer zukünftigen Gesellschaft beinhalten. Übergangsforderungen wie zum Beispiel diese, dass die ArbeiterInnen in ihren Betrieben Komitees schaffen, mit denen sie eine Kontrolle über die kapitalistische Produktion ausüben, sollen am Kampf um Verbesserungen im Hier und Jetzt anknüpfen (in diesem Beispiel könnte es um die Umweltverträglichkeit des Unternehmens gehen), aber die ArbeiterInnenklasse zur Eroberung der politischen Macht befähigen. Löwy formuliert in Wahrheit keine solchen Übergangsforderungen. Stattdessen scheint es, als ob er darunter nur Forderungen versteht, die in der kapitalistischen Profitlogik nicht umsetzbar sind, etwa die öffentliche Umgestaltung des Verkehrssystems, und somit über den Kapitalismus hinausweisen. Allerdings handelst es sich dabei nicht um Übergangsforderungen, weil sie in ihrer Konsequenz nicht zur Selbstermächtigung der ArbeiterInnen gegen das Kapital führen. Übergangsforderungen bestehen eben nicht nur im Kampf für ökosoziale Reformen. Somit weist der Ökosozialismus von Michael Löwy programmatisch nicht über einen Kampf um radikale Reformen gepaart mit einem ökologischen Maximalismus hinaus.




Capitalism kills

Imperialismus, Kapitalismus und die Zerstörung der
natürlichen Lebensgrundlagen

Redemanuskript Gruppe ArbeiterInnenmacht, Infomail 1064, 11. August 2019

Im Folgenden veröffentlichen wir das Redemanuskript für den Workshop „Capitalism Kills“, der beim Klimacamp in Leipzig von den OrganisatorInnen verboten wurde. Zu den Hintergründen siehe: Klimacamp Leipzig – Antiimperialismus unerwünscht

Einleitung

Nachhaltigkeit, Umweltverträglichkeit, Klimarettung –
allgemein anerkannte Ziele/Fragen – damit z. T. so allgemein, dass sie
kaum noch etwas auszusagen scheinen. Für „rasches Handeln“ ist (fast) jede/r,
Nachhaltigkeit ist in aller Munde.

Problem sind klar: a) Übernutzung von Ressourcen (z. B.
Überfischung, Raubbau an Boden…) und b) Überlastung von Senken
(Verschmutzung, Müll, CO2 = Atmosphäre als Senke).

So tagte das sog. Klimakabinett über über zwei „Modelle“ zur
Rettung der Umwelt: CO2-Steuer und Zertifikathandel

Außerdem soll der „ökologische Umbau“ der Gesellschaft
vorangebracht werden.

Bemerkenswert ist: einerseits scheinbare Geschäftigkeit der
Regierungen – bei manchen einfach auch nur Scheintätigkeit zur „Rettung der
Umwelt“ – zugleich realer Rückschritt.

Im Folgenden wollen wir uns damit beschäftigen, woran das
eigentlich liegt.

Als Hintergrund wollen wir dabei auf die von unserer Gruppe
– Gruppe ArbeiterInnenmacht – erstellte Broschüre „Capitalism kills.
Imperialismus, Kapitalismus und die Zerstörung von Mensch und Natur“ (http://arbeiterinnenmacht.de/broschueren/capitalism-kills)
verweisen, auf die sich die folgende Einleitung stützt.

Dabei werde ich auf folgende Punkte eingehen:

  • Green Economy und die Probleme der bürgerlichen Umweltstrategie
  • Kapitalismus und Umwelt
  • Umweltparadoxon
  • System des Umweltimperialismus
  • Umwelt, Kapitalismus und die zentrale Bedeutung der Eigentumsfrage

Green Economcy

Hierzu auch eine Reihe mehr oder weniger nebulöser Schlagwörter: Green Growth, Green New Deal, … green … bis zum Grünen Punkt. In unserer Broschüre schreiben wir dazu:

„Sie umschreiben die Vorstellung, dass die Grundlagen unserer Gesellschaft und Ökonomie – die kapitalistische Wirtschaftsordnung – weiter bestehen und ihre negativen Umweltauswirkungen reduziert und/oder schließlich ganz überwunden werden könnten bei gleichzeitiger Beibehaltung des Wachstums, der kapitalistischen Akkumulation. Diese Konzepte sind heute im öffentlichen Umweltdiskurs vorherrschend. Sie werden nur selten hinterfragt, geschweige denn in Frage gestellt, sondern meistens als völlig selbstverständlich vorausgesetzt.“ (Seite 6)

Zur Lösung des „Umweltproblems“ werden in diesem Diskurs
zwei zentrale Mittel angeführt:

a) Technische Umstellung

– damit auch vorherrschende Tendenz, die Umweltfrage als
„Technologiefrage“ zu diskutieren, nicht als gesellschaftliche (was auch das
Verhältnis der menschlichen Gesellschaft zur Natur voraussetzen würde)

b) „Vernünftiger Rahmen“, wo Umwelt, „sozialer Ausgleich“,
Entwicklungspolitik im Rahmen eines „Sozialpaktes“ miteinander verbunden werden
sollen, …

Abgesehen wird dabei von der systemischen Logik des
Kapitalismus wie auch von seiner historischen Genese. Gerade diese müssten
jedoch in den Blick genommen werden.

Kapitalismus und Umwelt I

1. Kapitalismus ist historisch auf die Energieproduktion
durch fossile Träger angewiesen. Warum? Fabriksystem erfordert eine stabile,
stetig laufende Antriebsmaschine für die industrielle Produktion. Daher auch
die Bedeutung der Dampfmaschine, später Verbrennungsmotor und Elektrizität (und
damit verbundene Energieproduktion)

2. Damit in diesen Komplex ein großer Teil des Kapitalstocks
(des konstanten Kapitals) eingebunden: Öl, Energie, Auto, Verkehr, damit große
Teile der chemischen Industrie, Bergbau, Transport, Metall- und
Elektroindustrie … (inkl. der Produktion der Produktionsmittel für den
Sektor)

D. h. ein großer Teil des gesellschaftlichen Gesamtkapitals
hängt – zumal in den imperialistischen Staaten – daran.

3. Warenproduktion immer Produktion von Gütern, deren
gesellschaftliche Nützlichkeit sich erst im Nachhinein offenbart. Daher immer
schon krisenanfällig.

4. Produktion erfolgt für Profit, nicht für Deckung von
Bedürfnissen. Dass ein Bedürfnis befriedigt wird mit einem Produkt, ist im
Kapitalismus nur Mittel zum eigentlichen Zweck. Drückt sich auch im Verhältnis
von Gebrauchswert zu Wert/Tauschwert aus. Das kann im Kapitalismus nicht gelöst
werden (allenfalls gemildert durch Druck der Gesellschaft, partielle Reformen).

5. Immanente Krisentendenz, Überakkumulation macht
Veränderung noch schwieriger, weil „Umbau“ auch Vernichtung von Kapital
erfordert – oder Alimentierung der KapitalistInnen durch die Gesellschaft
(Kohlekompromiss). Kapital fließt zur günstigsten Anlagesphäre, nicht zur
„sinnvollsten“ (ökologisch, sozial).

6. Im Kapitalismus unmöglich, Akkumulation „ökologisch“ zu
beschränken. Warum? Weil das Motiv der Produktion in der Aneignung von Mehrwert
besteht, daher Akkumulation um der Akkumulation willen. Diese ist – ihrem Ziel
nach – schrankenlos, d. h. sie wird nur durch jeweils historisch bestimmte
Schranken des Kapitals beschränkt (die nach einer Krise verschoben werden
können). Aber auch dann wird die Anarchie der Produktionsweise  nur auf höherer Stufe reproduziert.

7. Imperialismus, Konkurrenz, Kampf um Neuaufteilung der
Welt machen Umweltfrage noch prekärer. Die ökologischen Kosten sollen
KonkurrentInnen, ArbeiterInnenklasse und „Dritter Welt“ aufgehalst werden.
Darin liegt auch Logik von Trumps „Umweltpolitik“ (aber nicht nur von ihm,
sondern allen Staaten, die um die Vorherrschaft ringen).

8. Im imperialistischen System bildet außerdem der
Nationalstaat ein Hindernis für jede sinnvolle Lösung, da dieser die Interessen
des nationalen Kapitals im Blick hat – nicht eine sinnvolle Verteilung
ökologischer oder sonstiger Folgekosten des Kapitalismus.

Wie die Broschüre an mehreren Stellen zeigt, sind auch
„erneuerbare“ Energien nicht frei von prekären Lösungen. Energieerzeugung aus
Biomasse führt z. B. zur Vernichtung von AgrarproduzentInnen,
Einseitigkeit, Ersetzung von Land für Ernährung, steigenden Lebensmittelpreisen
– zugleich Monopolisierung …

Auch die „Energiewende“ ist ein Flickwerk, das ähnliche
Problem inkludiert – auf Kosten der Masse der Lohnabhängigen, z. B. Kosten
für Energie, CO2-Steuer = Massensteuer

9. Externalisierung der Umweltkosten – im Kapitalismus
immanent.

„Umwelt“ erscheint als Gratisproduktivkraft, weil sie keinen
„(Tausch)Wert“ hat, wohl aber Reichtum und Gebrauchswert hervorbringt.

Gilt im Grunde für drei Gruppen von Phänomenen: die Erde
(Rohstoffe, Wasser, Luft, „Natur), private Reproduktion (Familie), allgemeine
gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit (Infrastruktur, Wissenschaft,
Bildung, …)

Ähnliches gilt im Kapitalismus auch für andere Phänomene
(Wissenschaft, Kooperation, private Hausarbeit).

Längerfristige Folgekosten sind daher nicht eingepreist –
aber Preissystem (Zerifikathandel) verschiebt das Problem nur, löst es nicht
wegen Anarchie des Marktes, abgeleiteten Operationen (Handel u. Spekulation mit
Zertifikaten. Grundsätzlich auf Gesellschaft abgewälzt: auf
ArbeiterInnenklasse, v. a. aber auch Länder und Bevölkerung der sog. „Dritten
Welt“, also der Halbkolonien.

Umweltparodoxon

Es erscheint dies an der Oberfläche oft verkehrt.

In etlichen imperialistischen Ländern hat sich die Lage
z. B. im Bereich des Grundwassers, der Bodenverseuchung, industrieller
Abwässer in den letzten Jahrzehnten tatsächlich verbessert.

Sicher selbst nicht Resultat von Einsicht, sondern auch von
Bewegungen – Umweltbewegung, ArbeiterInnenbewegung.

„Externalisierung“ – Auslagerung der Umweltzerstörung: ein
Phänomen in Halbkolonien.

– Verlagerung bestimmter Produktion und des Ressourcenabbaus
(ökologisch schädlicher, energieintensiver, …).

Damit erscheint auch die Umweltbilanz der imperialistischen
Länder „grüner“.

Stofflich betrifft das Rohstoffförderung (Öl, Kohle, Uran,
…), Verlagerung arbeitsintensiver, umweltschädlicher Produktion (Textil,
Stahl, Zement, …), Agrarsektor (Großflächen, …)

Daher Problem, die „Ökobilanz“ einer kapitalistischen
Wirtschaft nur national zu messen.

Externalisierung hat allerdings Grenzen (Kapitalstock noch
immer in imp. Ländern konzentriert, eine „echte“ Deindustrialisierung findet
nicht statt, vielmehr aus den imperialistischen Ländern gesteuerte
internationale Arbeitsteilung – inkl. imperialistischer Monopole und von diesen
kontrollierten Produktions- und Verteilungsketten).

Tw. auch rückläufige Tendenzen oder umgekehrte (Fracking;
Subvention der extrem produktiven Agrarproduktion in den imperialistischen
Ländern).

Grenze auch an den Bedürfnissen der imperialistischen
Konkurrenz und Blockbildung (Aufbau konkurrierender Einflusssphären).

Daran scheitern natürlich auch multi-laterale Abkommen (Klimaabkommen von Paris).

Umweltimperialismus

Schon oben gezeigt, dass der Marxismus immer auch die
ökologische Frage mitdachte – aber Sozialdemokratie und Stalinismus reproduzierten
ein Verhältnis zur Natur, das ökologischen Riss nicht mitdachte, Umweltfragen
im Grunde als rein technische betrachtete.

Die Externalisierung von negativen Folgen des Kapitalismus
entsteht „naturwüchsig“ im System des Weltmarktes (im Unterschied zur
Vorstellung der bürgerlichen Ökonomie).

Kapitalismus eben nicht einfach ein Handels- oder
Tauschsystem, sondern eine Produktionsweise, im Kern Produktion und Aneignung
von Mehrwert.

Expansion des Weltmarktes und Imperialismus (ab Ende 19.
Jh.) verstärken die Ungleichheit, globale, hierarchische Arbeitsteilung und
verstetigen sie. „Ausbruch“, Nachholen … findet seine Grenzen an dieser
bestehenden globalen Arbeitsteilung. Kern ist Konzentration und Zentralisation
des Kapitals in den imperialistischen Ländern (Monopole, Finanzkapital), die
Akkumulation und „Entwicklung in den Halbkolonien – die sehr ungleichzeitige
Züge annehmen kann – bestimmen. Nicht nur und v. a. über Handel und
Tausch, sondern über Kapitalexport, Finanzmärkte (Schulden, Spekulation, …)
und Währungssystem. Institutionell, staatlich und letztlich militärisch
gesichert.

Wie generell im Kapitalismus ist dabei zwischen Wertseite
und stofflicher Seite des Verhältnisses zu unterscheiden.

– Halbkolonien auf bestimmte Sektoren, Rohstoffe …
fixiert.

– Imperialistische Kapitale bestimmen letztlich auch die
ökonomische Struktur der Halbkolonie.

Diese Fragen werden vom Mainstream der Umweltbewegung
(Grüne) ignoriert.

Linkere Strömungen werden dabei oft von Theorien des
ungleichen Tausch und der „imperialen Lebensweise“ inspiriert.

Positiv ist dabei, dass das Augenmerk auf die Aneignung von
„Umweltraum“ in den Halbkolonien gelegt wird.

Aber problematische Theorien: „Ungleicher ökologischer
Tausch“.

Kann als Beschreibung verwendet werden, ökonomisch jedoch
äußerst problematisch.

Ein Problem besteht im Versuch, ein gemeinsames Wertmaß für
Gebrauchswert und Wert zu finden, also gesellschaftliche Arbeit mit
energetischen Größen zu kombinieren.

Problem liegt auch darin, dass das Problem kolonialer oder
halb-kolonialer Ausbeutung v. a. auf der Verteilungs-, nicht auf der
Produktionsebene gesucht wird.

Das findet sich auch in den Theorien von der „imperialen
Lebensweise“ wieder.

Unterschied zwischen Halbkolonie und Imperialismus (arm und
reich) wäre größer als zwischen den Klassen –
Eigentums-/Produktionsverhältnisse erscheinen hier nur als sekundär.

Hat Tendenz zur klassenübergreifenden Politik, Lösung über
Kleinproduktion, Änderung der Konsumweise, …

(Kein Zufall, dass diese Ideologie Lage des Kleinbürgertums
in den Halbkolonien oder der „bewussteren“ MittelschichtskonsumentInnen in den
imperialistischen Ländern entspricht.

Wir halten demgegenüber in der Broschüre Folgendes fest:

„Um die ökologische Dynamik des Kapitalismus zu verstehen, muss an diesem Verständnis angeknüpft werden und müssen die Material- und Energieflüsse zwischen den imperialistischen und halbkolonialen Nationen als Teil des imperialistischen Gesamtsystems begriffen werden.

Dies hat notwendigerweise auch Folgewirkungen auf die Klassenstruktur in den imperialistischen Zentren – nicht nur hinsichtlich der Bereicherung der herrschenden Klasse, der oberen Schichten des KleinbürgerInnentums und der Mittelschichten, sondern auch für die ArbeiterInnenklasse. Ein bedeutender Teil der Lohnabhängigen kann über einen Anteil an der Ausbeutung der ,Dritten Welt‘ integriert werden, kann über längere Perioden Einkommen erkämpfen, die über den Reproduktionskosten liegen, die eine dem KleinbürgerInnentum ähnliche Lebensweise erlauben, wenn auch oft mit enorm hoher Ausbeutung verbunden (was sich z. B. in der enormen Arbeitsproduktivität und Intensität der Beschäftigen in der Exportindustrie zeigt).

Der Kapitalismus kann sich das nur unter drei Bedingungen leisten: (i) eine ständige Expansion der Kapitalakkumulation, (ii) die Extraktion von Extraprofiten aus armen Ländern und (iii) die systematische Externalisierung seiner sozio-ökonomischen Auswirkungen. Die soziale Stabilisierung ,zu Hause‘ durch die Externalisierung negativer sozialer und ökologischer Folgen des Kapitalismus bildet somit ein zentrales, herrschaftsstabilisierendes Element dieses Systems. In den halbkolonialen Ländern werden dafür Rohstoffe geplündert, Landstriche und Wasserressourcen zerstört, Bevölkerungen entwurzelt und zwangsumgesiedelt, Kleinbäuerinnen und -bauern von ihren Felder vertrieben, Wälder gerodet und geplündert. Das kennzeichnet das System des Umweltimperialismus und erklärt das ,Umweltparadoxon‘.“

D. h., es ist nicht zu leugnen, dass es in der
ArbeiterInnenklasse – siehe Stellung der ArbeiterInnenaristokratie, materielle
und ideologische Bindung an imperialistische Monopole über Extraprofite –
tatsächlich auch eine materielle Basis für reaktionäre, bornierte Positionen
gibt (ähnlich dem Sozialchauvinismus, Sexismus, …).

Aber das ändert nichts daran, dass besser gestellte
Lohnabhängige selbst noch ausgebeutet sind; dass das nicht auf „die Klasse“
(prekäre Elemente, …) zutrifft und umgekehrt  findet sich eine solche kleinere, aber oft hochkonzentrierte
Schicht auch in Halbkolonien (Indien, Südkorea, Brasilien).

Kapitalismus und Umwelt II

Noch einmal zum Verhältnis Mensch-Natur unter
kapitalistischen Produktionsverhältnissen.

Kapitalismus ist gesellschaftliche Produktion mit privater
Aneignung – das bildet zugleich einen zentralen Widerspruch der
Produktionsweise. Dieser drückt sich auch im Verhältnis zur Natur aus. Arbeit,
menschliche Arbeit ist immer zweckbestimmte Umformung von Natur, unter
Ausnützung von Naturkräften zur Schaffung von Gebrauchswerten, zur Befriedigung
von Bedürfnissen.

Das wird auch in einer klassenlosen Gesellschaft so sein.

So wie sich aber in der kapitalistischen Gesellschaft die
gesellschaftlichen Verhältnisse „verkehrt“ darstellen, sich ihre Gesetze hinter
dem Rücken der ProduzentInnen durchsetzen, so auch im Verhältnis zur Natur.

Daher die Eigentumsfrage zentral – nicht einfach im Sinne
„wem gehört es“, sondern im Sinn des Brechens des Kapitalmonopols als
Voraussetzung einer bewussten, planmäßigen Vergesellschaftung.

Ein nachhaltiges Verhältnis von Mensch-Natur, ein
Verhältnis, das die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit nachhaltig und
dynamisch reproduziert – kann nur auf Basis einer Gesellschaft entstehen, die
auch die Produktion, das Verhältnis zwischen verschiedenen Sektoren (z. B.
Landwirtschaft und Industrie), zwischen Produktion und Reproduktion … bewusst
und gemäß den Zwecken der Gesellschaft reguliert, plant.

Die materiellen Voraussetzungen existieren dazu
grundsätzlich, gesellschaftliche statt individueller Subsistenzproduktion und
eine Klasse, das Proletariat, das sich selbst nur durch die Enteignung der
EnteignerInnen, durch die Expropriation der PrivateigentümerInnen an
Produktionsmitteln befreien kann. Der Kapitalismus selbst verweist als globale
Produktionsweise darauf, dass die Lösung des Problems in einer globalen,
revolutionären Umwälzung liegt. Für die Umweltbewegung heißt das, dass sie
internationalistisch, klassenpolitisch ausgerichtet und antikapitalistisch
werden muss.

„Deshalb“ – so enden wir in unserer Broschüre„ist die Lösung der ökologischen Frage aufs Engste mit der Überwindung des Kapitalismus verbunden. Die Schaffung einer Perspektive für eine sozialistische Gesellschaftsordnung, die in der Lage ist, diese grundlegenden Widersprüche zwischen der menschlichen Ökonomie und den natürlichen Bedingungen zu überwinden, bei gleichzeitiger Befriedigung der materiellen und immateriellen Bedürfnisse aller Menschen, ist die zentrale Herausforderung für RevolutionärInnen im 21. Jahrhundert.“